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ADB:Struve, Georg Adam

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Artikel „Struve, Georg Adam“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 677–681, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Struve,_Georg_Adam&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 23:18 Uhr UTC)
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Struve: Georg Adam St., Rechtsgelehrter, sächsischer Geheimrath und Präsident des Juristencollegiums zu Jena, geboren am 27. (nicht 25.) September 1619 zu Magdeburg, † am 15. December 1692 zu Jena. Struve’s Vater Berthold, einer alten braunschweigischen Familie entstammend, war Erbherr zu Wanzleben und erzbischöflicher Rath zu Magdeburg, die Mutter Anna Margaretha eine geborne Brunner, unter deren Vorfahren sich mehrere namhafte Juristen befanden; insbesondere genoß deren Urgroßvater, Georg Brunner, als Beisitzer des Reichskammergerichtes zu Speier und Consulent mehrerer Reichsstände hohes Ansehen. Im October 1630 kam der elfjährige St. auf das Gymnasium nach [678] Schleusingen, und kehrte wegen der damaligen Kriegswirren erst 1636 ins Elternhaus zurück, ohne von den Seinen erkannt zu werden, bis er sich selbst den freudig Ueberraschten zu erkennen gab. Nach kurzem Aufenthalte dortselbst bezog er am 11. Juni 1636 die Universität Jena, um sich philosophischen, geschichtlichen und juristischen Studien zu widmen, und erhielt durch Professor Fomann, einen mütterlichen Verwandten, fördernde Anleitung; andrerseits hatte er durch die kaiserlichen Truppen, welche die Stadt besetzt hatten und brandschatzten, auch das väterliche Heim in Wanzleben zerstörten, unter schweren Drohungen ernste Gefahren zu bestehen. Nach Ablauf von mehr als vier Jahren ging St. im December 1640 zur Erholung seiner Gesundheit nach Hause, und bezog im Frühjahr 1641 die Universität Helmstedt. Dort trat er in regen Verkehr mit Hermann Conring, der ihn in die Politik und die deutschen Rechtsalterthümer einführte, und mit dem Juristen Heinrich Hahn, an dessen Stelle er bisweilen den Zuhörern die Observationes Wesenbeccii erläuterte und in die Feder dictirte. Nach vollendetem Rechtsstudium erwarb er unter Hahn’s Vorsitz mit der Dissertation „de vindicta privata“ (Helmstedt 1646. 4°; Jena 1670 u. 74. 4°) im Februar 1645 die akademische Licenz, und wurde bereits im April desselben Jahres von Herzog August von Sachsen, Erzbischof zu Magdeburg, im Alter von noch nicht 26 Jahren zum Beisitzer am Schöffengerichte zu Halle ernannt. Im Februar des folgenden Jahres in Helmstedt zum Doctor juris promovirt, wurde er nach Ablauf eines halben Jahres auf Vorschlag der Facultät an Stelle des verstorbenen Gottfr. Fibig als Rechtslehrer nach Jena berufen, wo er am 12. December 1646 die Dissertation pro loco „de privatis aedificiis“ hielt (Jena 1646. 4°). Nach damaligem Herkommen wurde er zuerst Professor der Institutionen, dann der Pandekten (die er anfangs nach Wesenbeck vortrug), endlich der Novellen und des Lehenrechts. Da er bemüht war, an Stelle des geisttödtenden Dictirens den lebendigen Vortrag treten zu lassen, und zugleich dem herrschenden Gerichtsgebrauche Rechnung trug, gewann er bald, nicht ohne den Neid einiger Collegen, zahlreiche Schüler. Im Juni 1648 erfolgte nebenbei seine Ernennung zum Assessor am Gerichtshofe (Landgericht) zu Jena, und am 6. November desselben Jahres seine Heirath mit Anna Maria, der einzigen Tochter seines Vorfahren im Ordinariate, Christoph Philipp Richter’s, Präsidenten der Juristenfacultät zu Jena. Einige Jahre später (1653) gab er dortselbst seine erste größere schriftliche Arbeit, das „Syntagma Juris Feudalis“ in 16 Capiteln heraus; ein beliebtes Handbuch des Lehenrechts, welches eine Reihe von Auflagen erlebte. Die 2., vermehrte Aufl. erschien 1659 ebenda, die 8. 1703 zu Frankfurt, 4°, unter Beigabe zahlreicher Consilien und Responsen aus dem Lehenrecht. (Die späteren Werke Struve’s werden weiter unten Besprechung finden.) Am 23. März 1661 übernahm unser Gelehrter mit landesherrlicher Genehmigung für drei Jahre mit einem Gehalte von jährlich 300 Joachimsthalern und der Verpflichtung, nöthigenfalls viermal im Jahre nach Braunschweig zu reisen, das Amt eines Rathes genannter Stadt, der er in ihrem Streite mit dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg wegen der städtischen Freiheit sehr ersprießliche Dienste leistete. Im J. 1667 – nach mehr als zwanzigjähriger Lehrthätigkeit – verliehen die Herzöge von Sachsen, weimaraner Linie, St. das Amt eines Hofrathes und übertrugen ihm zugleich als Director die Cameralangelegenheiten, weshalb er sich am 11. December mit seiner zahlreichen Familie nach Weimar begab, wo er am 13. desselben Monats in eidliche Pflicht genommen wurde. Als im J. 1672 die altenburger Linie erlosch, und die Gothaer mit der Weimaraner zur Erbfolge berufen wurde, betraute letztere St. mit ihrer Vertretung, welcher die umfassende Sache bereits am 17. Mai des nämlichen Jahres durch einen Erbvergleich zu allgemeiner Zufriedenheit ordnete, [679] und in Anerkennung dessen am 25. Juni zum Geheimen Rath befördert wurde. Durch den am 31. December 1673 erfolgten Tod Philipp Christoph Richter’s, Struve’s Schwiegervater, kam die Stelle eines Präsidenten und Ordinarius am Jenenser Juristencollegium in Erledigung. Um diese bewarb sich u. a. der gefeierte Rechtslehrer Johannes Strauch (s. o. S. 529), allein sie erhielt St., welcher am 28. Juli 1674 mit den Seinen nach Jena übersiedelte, und dort im August in feierlicher Weise in sein neues Amt eingeführt wurde, mit dem zugleich die Professur des kanonischen Rechtes nebst dem Vorsitze am Gerichtshofe (Landgericht) zu Jena verbunden war. St. entfaltete nun trotz seiner Jahre eine vielseitige Wirksamkeit. Er war am Gerichtshofe und als Schriftsteller thätig, las kanonisches Recht, ertheilte Rechtsgutachten und stand auf Wunsch dem fürstlichen Hause berathend zur Seite. Ums Jahr 1680 starb Herzog Bernhard von Jena; ihm folgte sein einziger, minderjähriger Sohn, Johann Wilhelm; Johann Ernst der Aeltere von Weimar, zum Vormund bestellt, übergab gegen Ende August 1680 St. die Oberleitung der Vormundschaftsgeschäfte, zugleich ernannte er ihn zum Präsidenten des Consistoriums und Director des Steuerwesens. wodurch St. dem Lehrfache aufs neue entzogen wurde. Die verschiedenen Dienstaufgaben nahmen den Ernannten so sehr in Anspruch, daß er häufig auch zur Nachtzeit an den Schreibtisch gefesselt war.

Der jugendliche Fürst, Johann Wilhelm, war unserm Gelehrten sehr zugethan, und pflegte ihn deshalb meist „Vater“ zu nennen. Es war daher für letzteren ein schwerer und schmerzlicher Schlag, als jener am 4. November 1690 allgemein betrauert von einer bösartigen Krankheit hinweggerafft wurde. St. hatte sich in die bisherigen Zustände zu fest eingelebt, als daß er in seinen vorgerückten Jahren sich in die durch die veränderten Verhältnisse völlig neue Sachlage hätte finden können. Er trat sohin im Juni 1691 in den Ruhestand, sich nur auf den Katheder beschränkend, dem er nie völlig entsagt hatte, obwohl er Befreiung von der Lectionspflicht genoß; denn nach Versicherung der Biographen „war seine Begierde, der studirenden Jugend mit gelehrten Discursibus und Collegiis an die Hand zu gehen, unersättlich“. Im nämlichen Jahre bedurfte der Landgraf von Hessen seiner Dienste, und ernannte ihn deshalb zum hessisch-darmstädtischen Geheimen Rath.

St. starb (seit 1686 mit einem schmerzhaften Steinleiden behaftet) in der Nacht auf den 16. December 1692 Morgens 4 Uhr infolge eines Lungenschlages, nachdem er tags vorher am Schöffengerichte Vortrag erstattet hatte, weshalb er noch auf dem Todtenbette bemerkte: „Ordinarium Jenensem stantem mori oportet.“ St. erfreute sich sehr günstiger Vermögensumstände; die Honorare seiner vielgelesenen Werke mehrten trotz der Kinderschaar die väterliche Erbschaft, und zu dem Erbgute Wanzleben erwarb er zwei weitere Landgüter, eins in Uhlstatt, das zweite zu Wenigen-Jena, nach denen er sich auf den Titelblättern seiner späteren Ausgaben zu nennen pflegte. Auch äußere Erscheinung und Temperament waren nach dem von den Zeitgenossen entworfenen Bilde vortheilhaft; „corpus firmum, quadratum, bene dispositum et gerendis negotiis obduratum, frons hilaris atque aperta, oculi vivaces“ sagen die Quellen.

Zweimal verheirathet, schloß er die erste Ehe, wie bereits erwähnt, 1646 mit Anna Maria Richter, welche ihm eine Tochter und sieben Söhne gebar; die zweite am 31. August 1663 in Dresden mit Susanna, der jüngeren Tochter des kaiserlichen Pfalzgrafen und kurfürstlich sächsischen Rathes, Burkhard Berlich, Erbherrn zu Wegfart und Waltersdorf. In nahezu 30jähriger Ehe erzeugte er mit seiner Gattin 17 Kinder, von denen indeß die Mehrzahl schon frühzeitig starb. Von den überlebenden fünf Söhnen widmeten sich vier dem Studium der Rechtswissenschaft; unter ihnen haben die zweitehelichen Söhne: Friedrich [680] Gottlieb, Ordinarius an der Juristenfacultät der Kieler Hochschule, namentlich aber Burkhard Gotthelf, ordentlicher Professor der Geschichte zu Jena, in der Gelehrtenwelt viel Ansehen genossen (s. oben). Letzterer, beim Tode des Vaters auf Reisen abwesend, schrieb auch unter dem Titel „Pii Manes Struviani sive de vita & scriptis Georgii Adami Struvii etc.“ (Jena 1705) dessen von kindlicher Pietät zeugende Biographie, welcher das übliche Programma in funere Struvii (gleichfalls ein curriculum vitae enthaltend, pag. 91–108) und ein ausführliches Schriftenverzeichniß beigegeben sind (pag. 108–125). Von den 149 Dissertationen sind vier, von St. 1639–46 selbst vertheidigte, mehrmals aufgelegt, die übrigen 145 wurden von 1646–92 unter seinem Vorsitze vertheidigt. Unter den größeren Schriften sind neben dem „Syntagma jur. feud.“ noch zwei hervorzuheben: das „Syntagma juris civilis universi“, später „Syntagma jurisprudentiae secundum ordinem pandectarum“ (1658–63) und „Jurisprudentia Romano-Germanica forensis olim in Academia praelecta et explanata, nunc revisa & aucta“. Jenae 1670. 4°. Ersteres hat der Verfasser in 50 Dissertationes oder Exercitationes eingetheilt, deren erste Hälfte 1658, deren zweite 1663 erschien. Die Behandlung des reichhaltigen Stoffes ist fließend und klar. Einer rechtsphilosophischen Einleitung folgt die Darlegung der historischen Grundlage des positiven Rechts in Deutschland, dieser das jus civile – bestehend aus dem römischen Privatrecht und den wichtigsten deutschrechtlichen Instituten. Zur dritten Ausgabe von 1668 lieferte ein Ungenannter einen äußerst umfassenden index tripartitus; die 9. Auflage ist von 1701 datirt. Die wissenschaftliche Bedeutung des Werkes geht am sprechendsten daraus hervor, daß eine Reihe tüchtiger Gelehrten dasselbe mit Annotationes, Additiones und ähnlichen Beigaben versahen. So Philipp Müller, Professor der Theologie in Jena, mit einer synoptischen Tabelle (1687); Erhard Weigel, Professor der Mathematik in Jena, mit einer synopsis mnemoneutica (1669); Adrian Baier, Pandektist in Jena, mit Schnobel’s Dissertationen (Jena 1663 u. 1669); Peter Müller, Professor in Jena, dann Kanzler in Gera, mit umfassenden Zusätzen und Observationen in drei Bänden (Nürnb. 1. Bd. 1692, 2. Bd. 1698, 3. Bd. 1704; 2. Aufl. 1738); Heinrich Ernst Flörcke, Struve’s Schwiegersohn, mit Annotationen (Magdeburg u. Leipzig 1706); endlich hat Ferdinand Behaimb in Linz eine Sciagraphia Struv. jur. privati (Lincii 1672) ausgearbeitet.

Wohl wenige Bücher waren von solchem Erfolge begleitet, wie die obengenannte „Jurisprudentia Romano-Germanica forensis“, welche unter dem Namen des „kleinen Struve“ über ein Jahrhundert das beliebteste Institutionenlehrbuch war, und hundert Jahre nach seinem Erscheinen (Jena 1670. 4°) die letzte Auflage erlebte (Frankfurt 1771). St. hatte das Compendium nach den in Jena gehaltenen Vorlesungen während seines Weimaraner Aufenthaltes ausgearbeitet. Es ist ein einleitendes Lehrbuch für das gesammte geltende Recht nach der Institutionenordnung, mithin eine Vorbereitung auf das Studium des Syntagma jur. civ.; das sehr zweckmäßig angelegte Werkchen fand sofort nach dessen Erscheinen lebhaften Beifall, und wurde schon im nächsten Jahre in Frankfurt a. O. 1671 nachgedruckt. 1683 erschien die 4., 1704 die 9., 1718 die 12., 1733 die 13., 1739 die 16., 1760 die vorletzte und 1771 (wie bereits erwähnt) die letzte Ausgabe. Mehrere Autoren, wie Ludwig Mencke in Leipzig (1704), J. G. Schauenburg in Jena (1737), J. G. Heineccius (1759 u. 1767), endlich Joh. Ludwig Schmidt (1763) haben das Werk mit Zusätzen und Observationen versehen. Bedeutend als Staatsmann und Lehrer ist St. auf dem Gebiete der juristischen Litteratur geradezu eine hervorragende Erscheinung, wie schon die zahlreichen Auflagen seiner Schriften und die Bemühungen namhafter Juristen um dieselben bekunden. Er war eine Persönlichkeit, in welcher sich die leitenden [681] Gedanken der Zeit verkörperten, und kann in der That Bened. Carpzov an die Seite gestellt werden. Stintzing bemerkt in seiner treffenden Charakteristik Struve’s (Gesch. d. deutsch. Rechtswissensch. II, 161–64): Seine Schriften sind die ersten theoretischen Werke, in denen die empirische Methode, die unbefangene Erkenntniß und Gestaltung der Wirklichkeit als Ziel der Rechtswissenschaft zur Geltung kommen. Er hat Klarheit über die Grundlagen des deutschen Rechtszustandes geschaffen, und wird hierdurch in der Rechtsgeschichte stets einen hervorragenden Platz behaupten. – Sein in Kupfer gestochenes Brustbild ist der von Burkhard Gotthelf St. verfaßten Biographie beigegeben.

Pii manes Struviani von Burkhard Gotthelf Struve. – Rosenmüller, Beiträge etc. … – Zeumer, Vitae 139. – Schulte III, 2, 47. – Stintzing, Geschichte d. deutsch. Rechtswissenschaft 2. Abth. 146–164.