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Ein Handelsartikel

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Ein Handelsartikel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 536-536
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[536] Ein Handelsartikel, der seinen Markt vorzugsweise in Paris hat, sind unechte Adelsdiplome und untergeschobene Ordensdecorationen. Ein Börsenspieler B. fand, daß er, um für einen Mann von Bedeutung zu gelten, einer Ordensdecoration bedürfe. Er sprach gegen mehrere Personen seine Sehnsucht nach einem Stern oder Bändchen aus und eine von diesen bezeichnete ihm einen Herrn G., der sich G. de Chahaignes nennen ließ, als einen Mann, der wohl im Stande wäre, ihm zur Erfüllung seiner Wünsche zu verhelfen. G., ein ehemaliger Notar, der in Folge gerichtlicher Verfolgung genöthigt gewesen, seine Stelle niederzulegen, und der seitdem sich mannichfachen industriellen Unternehmungen zweideutigen Ursprungs hingegeben, brachte den Bittsteller mit einem gewissen D., einem Winkelmakler an der Börse, in Verbindung, und dieser Letztere wies den Ordenssüchtigen an Herrn L., der sich Graf L. de Bellefonds nannte. Nach mancherlei Verhandlungen verpflichtete sich der Pseudograf von Bellefonds, Herrn B. gegen Erlegung von 2000 Fr. den „Orden der vier Kaiser von Deutschland" zu verschaffen. Herr B. erklärte sich zur Zahlung jener Summe bereit, wünschte aber zuvor Näheres über die Personen, mit denen er zu thun habe, zu erfahren und sich von der Rechtsgültigkeit der Titel, die man ihm verkaufen wollte, zu überzeugen. Man fand dies Begehren gerechtfertigt und wies den Liebhaber ausländischer Orden an den Herrn Grafen v. St. Maurice-Cabanis. Dieser seltsame Graf ist ganz einfach ein Herr C., Sohn eines ehemaligen Papierhändlers der Straße St. Avoie. Er gab den „Necrologe Universel" heraus und nannte sich Historiograph des „Ordens der vier Kaiser von Deutschland“ und des „Löwen von Holstein-Limburg,“ Von dem Besuche des Heren B. im Voraus unterrichtet, nahm er denselben mit einer würdevollen Courtoisie auf. Seine Brust war mit Bändern und funkelnden Ordenssternen bedeckt. Um ihn her lagen Pergamente mit heraldischen Wappen. Der eitle Börsenmann war von diesem Glanze geblendet. Als der Graf ihm versicherte, er habe mit den respektabelsten Persönlichkeiten zu thun, beeilte er sich, den Handel abzuschließen, zahlte die 2000 Francs und erhielt dafür ein Diplom, das ein wahres Meisterstück der Kalligraphie war. Begierig sein Ordensband in das Knopfloch zu knüpfen, eilte B in die Kanzlei und suchte um die Autorisation nach, die Insignien des „Ordens der vier Kaiser" tragen zu dürfen. Man antwortete ihm, daß dieser Orden seit langer Zeit aufgehört habe zu existiren (wenn er überhaupt jemals bestanden hat). Wüthend über den Betrug, dem er zum Opfer gefallen, machte er eine Klage anhängig und die Untersuchung, zu welcher diese Klage Anlaß gab, führte zu der Entdeckung eines beträchtlichen Handels, der in Paris, London, Brüssel, Madrid, Rom, Florenz und Parma seine Märkte hat und von Industrierittern geleitet wird, die auf die Eitelkeit ihrer Mitmenschen speculiren. Gegenstände dieses Handels sind Pergamente, Genealogien, Adelstitel, Ahnenbilder, Decorationen, Ehrentitel, Diplome gelehrter Gesellschaften u. s. w.

In Paris sind die Etablissements dieser Art sehr zahlreich. Die Leiter derselben nennen sich Wappenrichter (juges d’armes), Genealogen, Chronologisten, Historiographen, und entfalten in dieser eigenthümlichen, nicht patentirten Industrie eine große Fruchtbarkeit der Phantasie. Sie verschaffen jedem Beliebigen, der ihnen zahlt, seine Biographie, seine Genealogie mit zahlreichen Ahnen, Adelscertificate und im Nothfalle auch Decorationen. An Personen, welche behaupten, ihre Familienpapiere verloren zu haben, verkaufen sie mehr oder weniger authentische Pergamente. Einige dieser Industriellen haben gewisse unbedeutende Orden zu ihrer Disposition, die von kleinen italienischen Fürsten und Autoritäten gegründet worden. Diese gehen mit einer Art von Regelmäßigkeit zu Werke. Sie haben ein goldenes Buch, ein wahres Meisterwerk der Typographie und des Kupferstichs, dessen Seiten die Namen der Gewählten enthalten. Sie bringen Genealogien zum Vorschein, in denen die Wahrheit mit dem Betruge in so geschickter Weise vermischt ist, daß es fast unmöglich ist, den letztern nachzuweisen. In ihrer Eigenschaft als juges d’armes ertheilen sie Titel und Decorationen, mit denen sie nachher handeln. Die Anderen, welche über solche Mittel nicht verfügen, verlegen sich einfach auf Gaunereien. Sie haben ebenfalls ihr goldenes Buch und ihre Genealogien, welche, wie man leicht denken kann, rein erfunden sind. Jene Industrieritter ließen abgeschaffte Orden wieder aufleben, oder sie schufen neue Orden, wie z. B. den des „Don Juan von Nicaragua“, und um den Wirkungen des Gesetzes von 1853 zu entgehen, welches den Gebrauch von Decorationen ohne Autorisation der Kanzlei verbietet, trugen sie in der Regel ein Datum ein, das der Promulgation jenes Gesetzes vorangeht. Sie verkauften auch Diplome mit Consuls- und Viceconsuls-Titeln, gründeten angebliche Akademien oder gelehrte Gesellschaften, ertheilten Medaillen an Industrielle und Kaufleute, verliehen Ehrentitel, vermittelten Heirathen und verschmähten nicht, auf Wucherzinsen Geld auszuleihen.