RE:Kritai
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Preisrichter bei dramatischen u. musischen Agonen | |||
Band XI,2 (1922) S. 1894–1896 | |||
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Kritai (κριταί), Preisrichter an dramatischen und musischen Agonen (Poll. III 145), z. B. an den Dionysien: Lysias π. τραυμ. 14, 3. Aisch. adv. Ktes. 232. Epich. frg. 229 Kaib. Hesych. s. ἐν πέντε κριταί und Suid. s. ἐν πέντε κριτῶν γούνασι. Nach Schol. zu Arist. Aves 445 waren bei Komödienvorstelllungen fünf Richter, und man meint, daß dieselbe Zahl der Richter auch die Tragödienvorstellungen prüfte (Bernhardy Gr. Literaturgesch. II 2, 143). Nach Lukian Harmon. 2 waren es fünf oder sieben Preisrichter, aber diese Vermehrung kann mit der Zeit entstanden sein oder redet Lukian nicht von dramatischen, sondern von anderen Wettkämpfen. Eupolis nennt sie ἄνδρες λογισταὶ τῶν ὑπευτύνων χορῶν (Πόλεις frg. 223 K.). Ob dieselben Richter über Tragödie, Komödie und musische Agone urteilten, oder für den einzelnen Zweig besondere Richter gewählt wurden, bleibt unbestimmt. Der letzten Meinung war Sauppe; Hermann aber meint, daß aus jeder von zehn Phylen ein Richter gewählt wurde so, daß fünf die Tragödie, fünf aber die Komödie beurteilen sollten. Noch vor den Dionysien wählten die Mitglieder des Rates eine Anzahl von zum Richteramte geeigneten Männern aus (Isokr. XVII 33), und auch der Chorege konnte wahrscheinlich seinen Einfluß auf diese Wahl ausüben (Lys. IV 3). Die Namen der hier gewählten Kandidaten wurden in für jede Phyle besonderer Urne, später versiegelt, aufgehoben (Isokr. XVII 33). Nachher zog der Archon aus jeder Urne einen Namen, ob diese Losung vor dem Anfange der Vorstellung stattfand oder nach Beendigung derselben, bleibt unentschieden, aber aus Plut. Kimon 8 ist nach [1895] Sauppe zu schließen, daß diese Richter erst nach der Aufführung des beurteilten Stückes gewählt wurden. Aus derselben Plutarcherzählung sieht man, daß gewöhnlich diese Richter vom Archon durch das Los gewählt wurden, aber in dem von Plutarch an der angegebenen Stelle erzählten Falle waren die zehn Strategen als Preisrichter bestellt, einer von jeder Phyle (vgl. v. Wilamowitz Heracles II² 2). Da diese Richter Vertreter des ganzen Volkes waren, konnten auch die Dichter sagen, daß des ganze Volk über ihre Leistungen urteile (Krat. frg. 322 K). Moessner dachte, daß die Richter auf irgendwelche Weise über die Meinungen des ganzen Volkes sich erkundigen konnten (Die Mythologie in der dor. und altatt. Komödie, Diss. Erlangen 1907, 16), und das wird durch die Anekdote, welche Aelian. var. hist. II 13 über die Aufführung der Wolken des Aristophanes mitteilt, belegt, aber derselbe Aelian erzählt über diese Wolkenaufführung so viel Eigentümliches, daß auch diese Nachricht mit vollem Rechte bezweifelt werden kann (Teufel und Kaehler Wolken 1887, 4837). Plat. leg. II 659a spricht den Wunsch aus, daß der Richter unabhängig vom Volke urteilen sollte: οὐ μαθητὴς ἀλλὰ διδάσκαλυς θεατῶν μᾶλλον ὁ κριτὴς καθίζει, aber Andokides erzählt von Alkibiades: τῶν κριτῶν οἱ μὲν φοβούμενοι, οἱ δὲ χαριζόμενοι νικᾶν ἔκρινον αὐτόν (Andok. Alkib. § 20). Petersen nimmt dreifache Wahl der Preisrichter an: aus den durch Wahl der Stämme zum Bühnenrichteramt Vorgeschlagenen sollte seiner Meinung nach eine kleine Zahl von Bühnenrichtern zugelost werden, welche zu prüfen hatte, endlich sollten aus diesen wiederum durch eine neue Losung fünf entscheidende Richter gewählt werden, aber A. Mommsen bezweifelt mit Recht die Erzählung Plutarchs und dann fallen die ersten Losungen weg. Die offizielle Bezeichnung des Richteramtes war καθίζειν: Plut. Legg. II 659 A. Plut. Kimon 8; καθίζεσθαι: Lys‚ IV 3; καθῆσθαι: Poll. III 145. Den Namen der von ihnen zum Sieg bevorzugten Wettkämpfer mußten sie in eine Schreibtafel eintragen in der Reihe ihres Erfolges: Lys. IV 3. Aelian. var. hist. II 13. Zenob. Cent. III 64. Aus Lys. IV 3 kann man ersehen, daß die Abstimmung einzelner Richter nachher allbekannt wurde. Die Dichter baten die Richter μὴ ʾπιορκεῖν αλλ’ ὀρθῶς κρίνειν (Aristoph. Eccles. 1160), wenn sie von denselben ein bitteres Wort nicht zu hören bekommen wollen (Pherekr. 96 K.): im Falle eines ungerechten Urteils wurden die Richter auch vom Staate bestraft (Aeschin. c. Ktesiph. 232). Um ihre Gunst zu erlangen, wurde von einigen Dichtern ihre Klugheit gepriesen (Amphis 21 K. Aristoph. Eccl. 1155) oder spaßhafte Versprechungen gegeben (Aristoph. Aves 1102ff.; Nub. 1115). Der Chor in den Wolken stellt das πᾶσι νικᾶν τοῖς κριταῖς dem ἑνὶ κριτῇ νικᾶν μόνον gegenüber (v. 445), daraus schließt man, daß das erste einstimmige Zuerkennung des Sieges, das letzte — Mißerfolg bedeute (vgl. Koch z. St). Die Richter mußten schwören, daß sie dem besten von den Wettkämpfen den Sieg zuteilen werden (Aristoph. Eccl. 1160. Demosth. XXI 17. 65. Dion. Chrys. LII 549 R.) und man meint, daß die Richter nur vor dem [1896] Agon des ersten Spieltages zu schwören hatten, es bedurfte nur dieser einen Eidesleistung für das ganze Dionysosfest. Aber es gab auch solche Fälle, wo die persönlichen Feinde des Choregen auf ihre Stimmung Einfluß ausüben wollten, so handelte z. B. Meidias gegen den von Demosthenes besorgten Chor (Demosth. XXI argument. II p. 511 R § 18). Es gab auch Fälle, wo die Richter bestochen wurden (Demosth. XXI 5, 18). Durch solche beeinflußte Stimmungen der Richter erklärte man, daß z. B. Menander bei dem Wettkampfe von Philemon besiegt wurde. (Gell. N. A. XVII 4, § 1). Wenn ein großer Dichter von einem schlechten besiegt wurde, so erklärte man das dadurch, daß ἢ ἀνόητοι ἦσαν οἱ τῆς ψήφου κύριοι καὶ ἀμαθεῖς καὶ πόῤῥω κρίσεως ὀρθῆς ἢ ἐδεκάσθησαν (Aelian. var. hist. II 8). In jenen Wettkämpfen, welche von privaten Leuten auf ihre eigenen Kosten eingerichtet wurden, erschien der Agonothet auch als Preisrichter (Liermann Analecta epigraphica et agonistica, Diss. Hal. X 1899, 126). Der Schol. Aristoph. Pax 733 sagt, daß die Richter auch ῥαβδοῦχοι genannt wurden, aber ebenda finden wir auch die Nachricht, daß dieselben keine Richter waren, sondern τῆς εὐκοσμίας τῶν θεατῶν ἐμέλοντο.
Griechische Einrichtungen ahmte Claudius nach, als er comoediam Graecam Neapolitano certamine docuit ac de sententia iudicum coronavit (Suet. Claud. 11). Wieseler (Denkm. d. Bühnenwesens IV 6) meinte, daß auf einem Vasenbilde zu Seiten der Thymele, auf welcher der Flötenspieler steht, zwei Kampfrichter dargestellt seien (S. 34; ebenso urteilt auch Harzmann Quaestiones scaenicae; Diss. Marb. 1889, 26). Heinze hat solche Preisrichter auf einer panathenäischen Amphora aus Bonn erkannt (Bonn. Stud. Kekule dargebracht S. 243, dort auch abgebildet. Reisch De Musicis Graecor. certam. 1885, 16), aber es könnten auch keine Richter, sondern einfache Zuhörer (Urlichs Beiträge zur Kunstgeschichte 56) oder die Polizeibehörde (Ribbeck Rh. Mus. XXIV 134) sein. Auf dem Relief aus Chiusi sind die Preisrichter in sehr bewegter Stellung auch bei einem gymnischen Agone dargestellt (Schreiber Bilderatlas I 24 N. 11).
Hermann Opuscula. VII 88—96. Sauppe Die Wahl der Richter in den musischen Wettkämpfen an den Dionysien, Berichte d. Sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften VII 1855, 1—22. Petersen Preisrichter d. großen Dionysien, Progr. Dorpat 1878. A. Mommsen Bursians Jahresb. LII 1889, 354—358.