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Vierzig Millionen Centner reines Silber!

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Titel: Vierzig Millionen Centner reines Silber!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 184
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[184] Vierzig Millionen Centner reines Silber! Vierzig Millionen Centner reines Silber? Ja. Und zwar flüssig für Jedermann. Neugroschen oder Silbergroschen davon geschlagen – und jedes Mitglied der traditionell auf 1,000,000,000 Stück geschätzten Menschheit hat alle Taschen voll kleines Geld, das Jeder hübsch gleichmäßig in die rechten und linken Taschen vertheilen mag, sonst lernt er schief gehen. Auf jeden Menschen kommen zwar blos etwas über vier Pfund dieses reinen Silbers, aber gehörig zu Silbergroschenmasse gemischt und dann gemünzt, gibt es alle Taschen voll und noch mehr. Und zwar reine Zuthat zu den jetzt schon flüssigen Groschens der Menschheit! Freilich müßte es erst gefischt werden, und das hat seine Schwierigkeiten.

Die Sache ist, daß in den erdumgürtenden Oceanen vierzig Millionen Centner gediegenen Silbers umherschwimmen und sich Heringe und andere Fische ihre Panzer damit plattiren, auch Pflanzen davon naschen, Menschen aber aus dieser ungeheueren, unverschlossenen, wenn auch feuerfesten Geldspinde keine besonderen Zahlungen leisten. Wenigstens ist der Profit aus dieser entdeckten größten Silbermine bis jetzt nur ein wissenschaftlicher.

Den Naturforschern von Profession ist längst bekannt, daß drei Chemiker hinter einander, Malaguti, Dürocher und Sarzeaud, metallisches, reines Silber in dem Meerwasser entdeckten und daraus gewannen. Das Ergebniß der genauesten und zahlreichsten chemischen Analysen von Meerwasser, an der Küste von St. Malo geschöpft, war, daß je 100 Kilogramms dieses Wassers ein Milligramm reines Silber enthalten. Mit anderen Worten: unter hundert Millionen Tropfen Seewasser ist erst ein Stück reines Silber so schwer wie ein Wassertropfen. In einer geographischen Kubikmeile Seewasser sind ungefähr zwölf Pfund Silber. So weit man die Tiefe und Ausdehnung aller Oceane kennt, müssen darin, nach Berechnung ihres Kubikinhaltes, mindestens 40,000,000 Centner reines Silber enthalten sein.

Das ist ein Gegenstand. Das ist mehr, als man jemals wird aus der Erde bergwerken können, nur daß wir bis jetzt keine Netze erfunden haben, es mit Profit herauszufischen. Chemisch immer hundert Millionen Tropfen zu besteuern, um ihnen Alles abzunehmen und dann nur einen Tropfen zu gewinnen – das verlohnt sich nicht der Mühe. Wir müssen also dem Meere seinen Reichthum lassen und gestehen, daß die Bewohner des Salzwassers im Ganzen reicher sind, als wir auf dem Trocknen. Die Dichter, welche von silbernen Wogenkämmen und vom silbernen Schaum des Meeres – echtem Meerschaum – singen, machen damit dem alten Ocean nicht blos kein leeres Compliment – im Gegentheil, er klimpert mit viel tausend Millionen Zweithalerstücken – sondern sprechen damit auch eine naturwissenschaftliche Thatsache aus.

Als diese hat die Entdeckung allerdings schon Werth genug. Man hat schon unzählige Male die Bestandtheile des Meerwassers auf das Genaueste und Feinste chemisch analysirt und die kleinsten Proportionen gefunden, gewogen und gemessen, aber erst neuerdings die ersten Spuren von den vierzig Millionen Centnern Silber darin entdeckt. Wie viele andere Centnerlasten von Kraft und Stoff mag bis jetzt die Naturwissenschaft übersehen, goldene und silberne Schätze und Wahrheiten, die noch Niemand ahnt und die sich plötzlich ein Mal mit Millionen-Centner-Wucht aus der ewigen Schöpfung hervordrängen und die ganze Wissenschaft revolutioniren mögen!

Aber wo hat Urvater Ocean alle diese Casse her? Haben’s die Flüsse ihm aus den Taschen der Menschen zugespült? Faule Hypothese! Diese haben selber nichts übrig. Außerdem ist uns nicht bekannt, daß die Flüsse durch die Taschen der trocknen Menschen laufen, die Geld haben und sich vor Nässe und Rheumatismus sehr in Acht nehmen. Das Weltmeer hatte eher Casse, als Eva vom Apfel biß. Chemiker entdeckten Silber in vorsündfluthlichen Steinsalzlagern. Silber kommt auch in Steinkohlen vor. Und als diese wuchsen, war noch lange nicht an Menschen zu denken.

Noch interessanter ist, daß nicht blos Fischschuppen von echtem Silber sind (wenigstens echt plattirt), – sie wurden also damit nicht „beschuppt“ – sondern auch Thiere und Pflanzen manchen Silbergroschen ohne Kupfer in ihren Adern und Zellen-Täschchen verbergen. Ein Chemiker analysirte reines Silber aus dem Blute eines ganz gemeinen Ochsen. Aus der Asche der Eiche, Birke, Espe, Esche u. s. w. gewann man Silber. Die Silber-Birke ist kein leerer Wahn. Silber in Thieren und Pflanzen, die fern vom Meere wuchsen. Daraus folgt, daß die Natur überall mit echtem Gelde spielt, nicht mit werthlosen Spielmarken. Im Meere geht’s nur etwas höher her. Es ist mehr Wohlstand, mehr Reichthum verbreitet im größten Königreiche der Erde, dem des Neptun. Die Seegewächse bereichern sich, während sie wachsen. In deren Asche findet man viel mehr Silber, als ihnen nach der Vertheilung im Meere zukommen würde, besonders in fucus serrats, fucus ceranoides u. s. w. Sie enthalten sechsundzwanzig Mal mehr Silber, als die Luft, in der sie leben, nämlich das Seewasser. Sie entstehen, wurzeln, wachsen im Wasser, haben also den Trieb und die Kraft, sich aus der gemeinschaftlichen Casse zu bereichern. Und wie der höhere Staatsbürger trotz aller allgemeinen Bruder- und Schwesterliebe sich lieber an Zeitgenossen anschließt, die mehr Geld haben, als an die mit wenig Geld und Gut, könnte es auch kommen, daß der Beherrscher der Meere und Länder sich weniger um das zu weit und breit im Meerwasser verwässerte Silber bekümmert, als um die sechsundzwanzig Mal reicheren Seegewächse. Diese mögen sich mit tausend zarten Fäserchen abmühen, dem Meere die Silber-Atome abzufischen. Der Mensch kommt hernach, schließt Freundschaft mit ihnen und nimmt ihnen die gesammelten, wenigstens sechsundzwanzigfach concentrirten Schätze ab. Das Aussilbern der Meeresgewächse (dieser Silberfischer im Meere für den Menschen) könnte sich schon lohnen, wie man auch neuerdings beim Reinigen des Blei’s die ungemein geringen Beimischungen von Silber mit Nutzen nebenbei mit concentrirt. So ist wenigstens eine Besteuerung des Meeres für die Herren des Trocknen nicht unmöglich. Und in dieser Bedeutung gilt’s immer in des Wortes verwegenster Bedeutung: „Was gemacht werden kann, soll gemacht werden.“

Die Engländer mit ihrem praktischen Sinn für’s Solide (und was gäb’ es Solideres, als vierzig Millionen Centner Silber, wenn sie hübsch beisammen wären?) sind übrigens bereits auf dem Wege, ein paar Tausend oceanische Steuereinnehmer anzustellen. Professor Faraday hielt neulich in der „Royale Society of London“ einen Vortrag über die Analysen Frederik Field’s, die er mit alten äußeren, metallischen Beschlägen der Schiffskiele vorgenommen. Field fand Folgendes: „Da eine Auflösung von Silber-Chlorid[1] und Sodium-Chlorid sich durch Berührung mit Kupfer zersetzt, indem sich Kupfer-Chlorid bildet und Silber niederschlägt, hielt ich es für wahrscheinlich, daß Kupfer und das sogenannte „gelbe Metall“, womit Schiffsbäuche außen beschlagen werden, an alten, vielgebrauchten Schiffen mehr Silber enthalten könnten, als gewöhnliches Kupfer, da lange Berührung mit dem Seewasser das Silber-Chlorid darin zersetzen und Silber ansetzen müßte. Der Capitain eines sieben Jahre lang gebrauchten Schiffes gab mir einige Unzen gelbes Metall vom Kiele außen. Es war so bröcklig, daß man es in der Hand zerdrücken konnte.

Ich löste 5000 Gran auf und analysirte 2,01 (2 1/100) Gran Silber daraus. Das gäbe aus der Tonne (20 Centner) über 34 Loth Silber. Kupfer und „gelbes Metall“ enthält selten so viel. Ich fand auch, daß dieselbe Metallmasse im Innern der Kajüte, wo es nicht dem Seewasser ausgesetzt, aber eben so lange im Schiffe war, acht mal weniger reines Silber enthielt."

Nun das ist der Weg, oceanische Steuereinnehmer[WS 1] unter den Schiffsbäuchen anzustellen. Während diese die Wogen Pflügen, müssen die Kupferbeschläge chemische Ernten sammeln.

Mr. Field hat vorläufig einige stille Einnehmer der Art im stillen Oceane auf Probe angestellt: hölzerne, von allen Seiten durchlöcherte, mit reinem Kupfer gefüllte Kasten, durch welche das silberreiche Meer nun ziehen muß, um unbewußt ein silbernes Scherflein in die Büchse zu werfen, und dann weiter zu ziehen und anderen Almosenspendern Platz zu machen. Nach einer Weile will Mr. Field die Büchsen wieder herausziehen und zusehen, ob die reichen Meereswogen dem armen, stillen Bettler Kupfer erklecklich viel atomistische Silbermünze in die Büchse geschmissen haben. Findet er, daß das reiche Meer nicht knickerig gewesen, und sich diese stille Bettelei der Mühe verlohnt, will man mehr plebejes Kupfer in’s Meer schicken, um es versilbert wieder herauszuziehen, ihm dann den Bettelkorb auszuleeren und als kupfernen Bettelstreicher zu entlassen. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan. Der Mohr kann gehen.“

Im Ganzen haben wir nichts gegen diese versuchten Attentate auf die Schätze des Meeres. Es hat zu leben und kann von den 40 Millionen Centnern abgeben, ohne zu verderben. Diese chemisch-praktische, wissenschaftliche Besteuerung ist honoriger, als die Indiens mit Tortur. Sie ist nobel, da der alte Ocean nicht in Ketten gelegt, nicht mit Daumen-Schrauben mißhandelt, sondern ein freiwilliger Steuerzahler bleiben wird.


  1. Ich übersetze die englischen Bezeichnungen, die mit den in der deutschen Chemie-Sprache nicht wörtlich übereinstimmen. Chemiker mögen das Uebersetzte übertragen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Steuereinehmer