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DREI IDEEN FÜR EINE KRISENSICHERE ZUKUNFT
(English version available upon request)
Die folgenden Zeilen entstanden aus einem Projekt für die Bundesregierung, in dem es um neue Konzepte für die Belebung von geringbesiedelten Regionen in Verbindung zum Klimaschutz ging. Entstanden sind drei Ideen, welche Menschen dazu bringen möchten sich mit anderen Menschen über die Veränderungen der Welt konkreter auszutauschen, und über neue Ideen und Lösungen zu sprechen. Empfehlenswert dazu, jeder Mensch schreibe seine Gedanken und Ideen zu einer zukünftigen Welt nieder, in der er gemeinsam mit allen Bewohnern glücklich wie friedlich leben möchte. Es geht darum, wie das System aus Geld, Arbeit und
Demokratie reformiert werden kann. Weil die Zukunft, der Zufall, sich
nicht planen lässt. Für eine sich immer in Bewegung
befindende, permanent verändernde Welt.
Wie können wir heute leben, um morgen
von Krisen nicht erschlagen zu werden? Welche Parlamente werden dafür
benötigt? Welche Wirtschafts- und Denksysteme? Welche Eigenschaften
des positiven Menschenbilds trägt jeder in sich und können
jederzeit nach außen getragen werden? Welche Ideen lassen uns die
Komfortzone der Ohnmacht verlassen? Warum müssen wir erkennen, dass
wir uns erst bewegen, wenn es kracht?
Bekanntes vorweg: Wir brauchen die
Arbeitsteilung, den sozialen Zusammenhalt. Ziel ist es, über die
konkrete Gestaltung der Zukunft zu reden. Für eine natürliche
Ökonomie und Ökologie. Dabei müssen wir bereit sein zu
experimentieren, durch den regionalen wie globalen Austausch von
Erfahrungen und Ideen. Menschen können ihr Denken und Handeln
innerhalb von kürzester Zeit ändern, wenn sie dabei eine
Perspektive sehen, für die es sich zu kämpfen lohnt, mit mehr
Leidenschaft und Mut, auf jeder Ebene. Der Mensch vom Objekt und
Konsumenten zur Person, der die in ihnen angelegten
Entwicklungspotentiale voll entfalten kann, und durch Begegnungen
wächst. Die zukünftigen Herausforderungen durch zunehmende
Komplexität und die Informationsexplosion können nur erfolgreich in
Gesellschaften mit hohem sozialen Zusammenhalt gemeistert werden. /
Hoher sozialer Energie.
Idee 1: Das Ablösen des Vertrauens
in das Geld, hin zum Vertrauen in die Menschen
Als im Spätjahr 2008 die
Auseinandersetzung mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise die
Schlagzeilen der Medien beherrschte, bestand die Gefahr, dass die
anderen Krisen in den Hintergrund gedrängt würden. Doch die
gegenwärtige globale Krisensituation zeichnet sich nicht nur durch
die Gleichzeitigkeit der Finanz- und Wirtschaftskrise, der
Klimakrise, der Ernährungskrise, der Wasserkrise, der Energiekrise
im Süden und der Biodiversitätskrise aus, sondern auch dadurch,
dass diese Krisen in einem systemischen Zusammenhang stehen. Wir
erleben einen umfassenden Transformationsprozess unserer gesamten
Produktions- und Konsumtionsweise, von dem niemand weiß, wie lange
er dauern und wohin er führen wird.
Nebenbei zeige sich die
gewinnorientierte Funktionsweise der Märkte, die darin bestehe, dass
aus ökonomischer Sicht Geld an den Börsen arbeitet und Wert
schafft, dass aber Kinderbetreuung und der Wasserkreislauf der Natur
als unproduktiv, nicht wertschöpfend gelten würden. Bis hin zu:
während Verluste sozialisiert würden, würden Gewinne privatisiert.
Seit der Finanzkrise 2008 sind die Schulden weltweit um 78 Billionen
Dollar gestiegen. Im ersten Halbjahr 2019 sind die Verbindlichkeiten
von Banken, Staaten und Unternehmen rund um den Globus auf 250
Billionen Dollar gestiegen. Im am meist verschuldetem Land der Welt,
Japan, entsprechen die Staatsschulden mittlerweile 240 Prozent der
Wirtschaftsleistung.
Kein anderes Land auf der Welt ist
stärker verschuldet, und die Notenbank kauft praktisch alles auf,
was der Tokioter Finanzmarkt hergibt – nicht nur Anleihen, sondern
auch Aktien. Tokios Notenbank hält inzwischen fast die Hälfte der
japanischen Schulden, sie werden bei der Notenbank endgelagert. Die
Japaner haben erkannt, dass sie ihre Schulden nie wieder zurückzahlen
können. Bei der offenen monetären Finanzierung (OMF) werden
Staatsschulden und andere Altlasten dauerhaft von den Notenbanken
übernommen. Bislang unumstößliche Regeln einer soliden
Geldwirtschaft – wie etwa das Verbot offener Staatsfinanzierung
durch Notenbanken – werden dabei ausgeblendet und verlieren an
Bedeutung. Das Geld löst sich auf, durch die ununterbrochene
Steigerung der Schulden in astronomische Summen.
Die Folge ist die natürliche Lösung:
die offizielle Auflösung des Geldes. In einer Zeit, in der Menschen
Waren und Dienstleistungen überwiegend nach Bedarf konsumieren.
Als Übergang wird das gesamte Weltvermögen eingesetzt, einer Gemeinschaftskasse in der alle Menschen einzahlen und von dem jeder monatlich eine bestimmte Summe entnehmen darf.
Der
Gedanke der Rentabilität, wie er für die heutige Wirtschaftsordnung
maßgeblich ist, verschwindet. Nicht mehr die Gewinnmaximierung ist
Triebkraft der Entwicklung, sondern das Streben nach ökologischen
Kriterien zu produzieren. Zu tun ist genug auf unserer Erde. Das
Trinkwasserproblem, um nur eins zu nennen, kann gelöst werden, und
nicht erst dann, wenn ein Liter Wasser fünf Dollar kostet, weil sich
vorher teure Salzwasseraufbereitungsanlagen nicht rentieren.
Alle ökonomischen Systeme dieser Welt
- Sozialismus, Kommunismus, Faschismus und sogar das gepriesene
System des freien Marktes, fördern soziale Schichtenbildung,
Elitarismus, Nationalismus und Rassismus, vor allem wegen
wirtschaftlicher Ungleichheit. So lange in einem Sozialsystem Geld-
oder Tauschhandel betrieben wird, werden Menschen und Nationen nach
einem Wettbewerbsvorteil streben, und wenn sie den nicht auf
wirtschaftlichen Wegen erreichen können, militärisch intervenieren.
Niemand wird mit Gier, Vorurteilen, Fanatismus, Patriotismus und Hass
geboren; alle diese Verhaltensweisen sind erlernt worden. Wird die
Umgebung nicht verändert, tritt ähnliches Verhalten wiederholt auf.
Das Schönste im Leben ist umsonst,
lautet eine Binsenweisheit der Menschheitsgeschichte. Oder wie viel
kostet es, geliebt zu werden? Werbung wird es in der heutigen Form
nicht mehr geben. Sie wird ersetzt durch sachliche Information über
das vorhandene oder geplante Produkt, um den Bedarf festzustellen.
Profisport gibt es nicht mehr, die schönste Belohnung für den
Sportler ist der Jubel im Stadion. Profikünstler sind ebenfalls nur
noch aus Leidenschaft tätig, durch das Mehr an Freizeit erschließt
sich die Kultur und die kulturelle Betätigung viel mehr Menschen als
heute. Die Gesellschaft stellt Räume, Veranstaltungssäle, Theater
usw. zur Verfügung, in denen jeder auftreten kann. Wahrhaftiger als
in 15 minütigem Ruhm.
Mit den Bewegungen der Peer-, Gift oder
Sharing Economy wird Markt und Macht dezentralisiert, was zur
Entfaltung der unbegrenzten Kreativität des Menschen führt. Eine
Gemeinwohl-Ökönomie oder Gift Economy sind nicht radikal. Sie ist
jedem schon recht vertraut, der eine große Familie unterhielt, einem
Freund ein Getränk kaufte, Hilfe anbot, wenn jemand sie brauchte
oder Zeit jemanden anbot ohne Erwartungen dafür etwas zurück zu
erhalten. Aktuell werden weniger als 40 Prozent der in Deutschland
geleisteten Arbeiten bezahlt, der größere Teil wird nicht entlohnt:
Tätigkeiten im Haushalt, private Pflege- und Betreuungsleistungen
sowie ehrenamtliche Tätigkeiten. Gerade weil sie unbezahlt sind,
werden diese Tätigkeiten in unserer Gesellschaft meist nicht sehr
ernst genommen, doch ohne sie würde alles zusammenbrechen. Und sie
demonstrieren eindrucksvoll, dass Menschen für andere nützliche
Dinge tun, auch wenn sie nicht mit Geld entlohnt werden.
Doch aus Verunsicherung muss
nicht Misstrauen folgen. Vertrauen geht mit Unsicherheit einher. Wenn
ich vertraue, habe ich keine Garantien für das Handeln des anderen.
Vertrauen hält diese Unsicherheit aus. Viele besitzen die Angst vor
Vertrauen, weil sie die Verletzlichkeit spüren, die mit Vertrauen
einhergeht. Krisen sind ein Riesenschock für unseren Kontrollwahn.
Es macht Vertrauen auf eigentümliche Weise relevant, weil Vertrauen
eine Haltung ist, die Unsicherheit zulässt. Das Vertrauen, das wir
jetzt schenken, sollte begleitet sein von einem Misstrauen, das
besagt: Nicht nur wir müssen Euch vertrauen, Ihr müsst auch uns
vertrauen.
Idee 2: Das Arbeiten in dezentralen
Netzwerken und kooperativen Gesellschaften
Im Industriezeitalter war klar, dass es
in der Wirtschaft einer Konzentration von Kapital in Kombination mit
einer hierarchischen Arbeitsorganisation bedarf. Hauptstreitpunkte
zwischen Theoretikern des freien Marktes und Sozialisten waren nur
die Fragen, wer im Besitz der Produktionsmittel sein sollte – beide
gingen davon aus, dass die Produktionsmittel zentralisiert sein
mussten –, und wer die Entscheidung trifft, wie genau die
Produktionsmittel eingesetzt werden. Die Marktkapitalisten setzten
auf Privateigentum an Produktionsmitteln, die Sozialisten stattdessen
auf Staatseigentum. Aber beider Verständnis fand seine Grenzen in
einer spezifischen technologischen Produktionsform, die eine
Konzentration von Reichtum voraussetzte.
Zur Erinnerung: Es dauerte 62 Jahre,
bis das Auto von 50 Millionen Menschen genutzt wurde. Der Fernseher
benötigte dafür 22 Jahre, das Internet 7 Jahre. Die Evolution der
Erfindungen beschleunigte sich ebenso, wie der Weg hin zu gegen null
sinkenden Grenzkosten in den Produktionen. Hinzu kommt die wachsende
Kraft von Netzwerkeffekten. Das Metcalfe'sche Gesetz besagt, dass der
Nutzen eines Kommunikationssystems proportional zur Anzahl der
möglichen Verbindungen zwischen den Teilnehmern - also etwa dem
Quadrat der Teilnehmerzahl - wächst. Dies bedeutet, dass jeder
zusätzliche Benutzer einer Ware oder Dienstleistung anderen in
diesem Netzwerk einen zusätzlichen Mehrwert bietet. Aus diesem Grund
konnten Social Media, Apps und das Internet so schnell starten. Das
ist auch der Grund, warum das Augmented-Reality-Spiel Pokémon Go in
nur 19 Tagen 50 Millionen Nutzer erreichen konnte. Und jetzt, mit
beispielloser Vernetzung und mehr als vier Milliarden Internetnutzern
weltweit, könnte die nächste Erfindung uns noch schneller
erreichen. Anstelle von fast drei Wochen könnte dies in ein paar
Tagen - oder sogar ein paar Stunden - geschehen. Gleichzeitig
beobachten wir ein anderes Phänomen: das Aussterben von großen
Konzernen. Die Lebenserwartung der 500 größten, öffentlich
gelisteten Unternehmen liegt inzwischen durchschnittlich bei nur noch
18 Jahren – statt bei 60 Jahren wie in der Mitte des 20.
Jahrhunderts. Die großen Namen unserer Zeit wie Facebook, Amazon,
Google, Apple usw. werden ebenfalls aus diesem Index verschwinden.
Wenn sie dieser Logik folgen, zumindest. Wenn sie kein Heilmittel
gegen ihr Aussterben gefunden haben, natürlich.
Auf dem Weg der technischen
Evolutionsstufe entsteht ein dritter Weg zwischen Staatssozialismus
und rein marktbasierter Produktion: ein soziales System, das auf
individuelle schöpferische Kräfte und Eigenverantwortlichkeit im
Zusammenspiel mit anderen setzt. Auf digitalen Plattformen sozialer
Arbeitsnetzwerke kommunizieren Menschen regional wie national. Ein
globales Bewusstsein für Lösungen entsteht. Individuelle Menschen
arbeiten auf freiwilliger Basis, sogenannte Peers, eine auf
Gemeingütern bekannt basierende, gemeinschaftlich-gleichberechtigte
Produktionsweise. Auf diesem sozialen Arbeitsnetzwerk informieren
zudem kooperative Unternehmen darüber, wie viele Leute für welche
Arbeit und für welchen Zeitraum gebraucht werden. Des Weiteren
werden zum Beispiel die Baupläne von Maschinen selbst als freies
Design offengelegt, und man arbeitet daran, dass sich mit ihnen
wiederum mindestens gleichwertige Maschinen herstellen lassen. So
kann sich commons basierte Peer Produktion weiter ausbreiten.
Anders als in Firmen sind alle
freiwillig dabei, Befehle werden nicht erteilt. Deshalb wird diese
Produktionsweise als Peer-Produktion bezeichnet: Die Beteiligten
arbeiten auf gleichberechtigter Basis zusammen. Und anders als auf
dem Markt sind die anderen keine potenziellen Tauschpartner, sondern
Menschen, die mit mir zusammen zu einem Ziel beitragen, das uns
wichtig ist. Bei solchen Projekten geht es also ums Beitragen statt
ums Tauschen. Beitragen ist im Gegensatz zum Tauschen kein
Nullsummenspiel: Wenn beim Tauschen bzw. (Ver-)Kaufen ein »gutes
Geschäft« gemacht wird, bedeutet dies allzu oft, dass jemand übers
Ohr gehauen wurde. Wenn dagegen jemand gute Beiträge liefert,
gewinnen alle Beteiligten.
Solange die Produzenten Verkäufer sind
und die Nutzer Käufer, arbeiten alle tendenziell gegeneinander: Die
Einnahmen des einen sind die Kosten des anderen. Und ein höherer
Marktanteil für einen Produzenten schmälert die Einnahmen
desjenigen, der dasselbe produziert, weshalb die Produzenten
zwangsläufig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.
Derselbe Interessengegensatz wie zwischen Verkäufern und Käufern
besteht zwischen Angestellten und Inhabern bzw. Geschäftsführung
einer Firma: Erstere wollen zu möglichst günstigen Konditionen ihre
Arbeitskraft verkaufen; letztere wollen ein Maximum an Arbeitskraft
für möglichst wenig Geld erhalten. Diese Gegensätze fallen bei der
bedürfnisorientierten Peer Produktion weg, da eigene Bedürfnisse
nicht auf Kosten der Bedürfnisse anderer gehen müssen. Im
Gegenteil: Alle Beteiligten unterstützen sich gegenseitig bei der
Befriedigung ihrer Bedürfnisse, was für alle von Vorteil ist.
Im Kapitalismus werden Ideen, Produkte
und natürliche Ressourcen vorwiegend als Eigentum betrachtet, das
nur mit Zustimmung der Eigentümerin oder des Eigentümers – und in
aller Regel gegen Geld oder eine andere Gegenleistung – den
Besitzer wechseln kann. Bei allgemeiner Peer Produktion werden sie zu
Gemeingütern und Besitz, denn wo das Geld überflüssig wird,
verliert auch das Eigentum, also die Berechtigung, Dinge »zu Geld zu
machen«, seine Bedeutung. Etwas zu besitzen, bedeutet dagegen, es zu
benutzen: Die Wohnung, die ich gemietet habe, ist mein Besitz, aber
das Eigentum meines Vermieters. Gemeingüter sind Güter, die von
einer Gemeinschaft produziert oder gepflegt werden und die für die
Nutzerinnen und Nutzer nach gemeinsam festgelegten Regeln verfügbar
sind. Wasser, Luft, Wälder und Land galten oder gelten in vielen
Gesellschaften als Gemeingüter, die von größeren oder kleineren
Gruppen genutzt und gepflegt wurden und werden. Peer-Produktion
basiert auf Gemeingütern und bringt ihrerseits neue Gemeingüter
hervor.
In der neuen Gesellschaft gilt der
Grundsatz, dass erst dann produziert wird, wenn die Nachfrage klar
ist. Ein Produzent informiert über die Ware, die er herzustellen in
der Lage ist. Je nach Stückzahl, Liefertermin und Transportaufwand
wird es unterschiedliche Nachfrager geben. Erhält der Produzent den
Auftrag, dann wird produziert. So wird Verschwendung vermieden,
Waren, die keiner will, wird auch niemand herstellen, es sei denn, er
tut dies für den eigenen Bedarf, in seiner Freizeit. Passend dazu,
dass Produkte immer mehr generischer werden. Neuentwicklungen lassen
sich schnell kopieren. Laut einer Studie der Agenturgruppe Havas aus
dem Jahr 2019 könnten 77 Prozent der Marken verschwinden – und
niemanden würde es interessieren. Seit Beginn der Studie im Jahr
2008 ist das der höchste je gemessene Wert. Noch nie waren so viele
Marken für die Menschen komplett verzichtbar. Wo die Dinge als
Gemeingüter und Besitz produziert werden, wird die Frage der
Verteilung, die letzte noch offene Geldfunktion, viel entspannter.
Ich kann beliebig viele Lebensmittel verkaufen, aber nur eine sehr
begrenzte Anzahl essen. Dasselbe gilt für alle anderen Güter: Jedes
Bedürfnis, sie zu nutzen, ist tendenziell begrenzt. Grenzenlos ist
nur die Möglichkeit und gegebenenfalls das Interesse, sie zu Geld zu
machen. Aber diese Möglichkeit verschwindet in einer Welt, wo die
Produktion bedürfnisorientiert erfolgt und niemand kaufen und
verkaufen muss.
Weil Menschen ganz unterschiedlich
sind, können sie auch unterschiedlich geführt werden. Beim
situativen Führen wird die jeweilige Situation berücksichtigt, die
Bedürfnisse und Fähigkeiten eines Mitarbeiters oder Teams. Zum
Beispiel: Ein Oberbrandmeister kann nicht erst basisdemokratisch
abstimmen lassen, wer welche Aufgabe bei einem Löscheinsatz
übernimmt. Er muss deutliche Anweisungen geben. Ein Grafikdesigner
hingegen braucht oft viel Freiraum. Strenge Anweisungen würden seine
Kreativität zunichte machen. Und ein Lehrling wiederum braucht mehr
Anweisungen und Aufmerksamkeit als ein langjähriger Angestellter.
Auch hier folgt eine Weiterentwicklung des situativen Führungsstil
in Verbindung mit dynamischen Arbeitszeitmodellen.
Jede Biografie ist heute so
individuell, dass der Einzelne selbst und für sich die Grenzen
ziehen muss, denn die unterschiedlichen Bereiche seines Lebens sind
zeitlich nicht mehr klar getrennt, sondern überlappen sich. Somit
zeichnet sich eine große Linie der neuen Lebensdynamik bereits ab:
wo institutionelle, organisatorische und kommunikative Grenzen
fallen, muss der Mensch die Verantwortung für seine Gesundheit,
seine psychische Dynamik und seine Balance übernehmen. Dieser Gewinn
an persönlicher Freiheit muss Hand in Hand gehen mit der Fertigkeit
der Selbstorganisation, der Entscheidungsfähigkeit und einem soliden
Alltagsmanagement. Dabei haben sich
drei Schwerpunkte, die den Jobs der Zukunft gemein sind,
herausgestellt. Mentoring: die Vermittlung von Wissen und neuen
Fähigkeiten, ebenfalls wie pragmatische Hilfestellungen im Leben.
Umsorgen: das Verbessern von Gesundheit und Wohlbefinden der
Menschen. Vernetzen: Mensch und Maschine, traditionelle und
Schatten-IT, das Physische und das Virtuelle sowie ethische und
wirtschaftliche Ansprüche zusammenbringen.
Die Mehrheit an Unternehmen werden in
Kooperativen weitergeführt. Die Betriebe werden von den Arbeitern
selbst gemanagt. Derjenige, der nur vorhat, einen Tag oder einen
Monat dort zu arbeiten, weil er danach Urlaub in einem anderen
Erdteil macht, wird sich dort nicht für eine Aufgabe wählen lassen,
die eine durchgehende Mitarbeit von mehreren Jahren erfordert. Es
wird aber auch Menschen geben, die sich mit der Herstellung ihres
Produkts, mit ihrem Betrieb stark identifizieren, die also für
längere Zeit Verantwortung übernehmen wollen. Diese werden in die
entsprechenden Aufgaben gewählt, sei es für die Leitung eines
Kleinbetriebs oder für die einer ehemaligen multinationalen
Aktiengesellschaft.
Die beste Idee gewinnt in kooperativen
Gesellschaften/Genossenschaften, bei komplexen Projekten, in denen
die Lösung nicht feststeht, sondern erst noch entwickelt werden
muss. Hier ist vor allem Kreativität gefragt. Denkprozesse sollen
sich bewusst von tradierten Mustern lösen können, um innovative
Ideen hervorzubringen. Steigt die Komplexität, lassen sich Maßnahmen
nicht bis ins Kleinste vorweg planen. Keine Führungskraft der Welt
könne zu jedem Zeitpunkt sämtliche Parameter im Blick haben, um
stets die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie ist auf das
eigenverantwortliche Denken und Handeln der Mitarbeiter angewiesen.
Ein solches Umfeld brauche einen kooperativen Führungsstil. Statt
klarer Anweisungen sei es jetzt wichtig, zu überzeugen und
Orientierung zu geben. Diskussionen um die beste Lösung sind nicht
nur erlaubt, sondern erwünscht.
Was wäre, wenn sich für bestimmte
Aufgaben keine Freiwilligen finden, weil sie von allen als
unangenehm, gefährlich oder aus anderen Gründen unattraktiv
empfunden werden? Ein geldbasiertes System zwingt die schwächsten
Glieder der Gesellschaft zur Übernahme solcher Aufgaben –
diejenigen, die keine anderen Möglichkeiten zum Geldverdienen haben.
Falls weder Automatisierung noch Umorganisation greifen, ist ein Pool
von unangenehmen Aufgaben denkbar, von denen jede und jeder anteilig
einige übernimmt. Wenn sich so alle oder die meisten an der
Erledigung dieser Aufgaben beteiligen, hat niemand sehr viel damit zu
tun, und was alle machen müssen, ist erfahrungsgemäß auch weniger
schlimm.
Es gibt eine Menge zu tun. Wenn 20
Prozent der Weltbevölkerung 5 Tage arbeiten, warum nicht 100 Prozent
jeweils einen Tag? Wie soll das funktionieren, die Betriebe können
nicht mit einer täglich wechselnden Belegschaft produzieren?
Natürlich nicht. Aber das Verhältnis zwischen Arbeitszeit und
freier Zeit kann bei 1:4 bleiben. Ich kann einen Monat arbeiten und
dann vier Monate Urlaub machen. Ich kann auch ein Jahr arbeiten und
dann vier Jahre pausieren. Im Durchschnitt einen Tag pro Woche zu
arbeiten, das könnte allerdings Pflicht eines jeden sein. Menschen
werden generell weniger arbeiten, auch um mehr für andere zu sorgen.
Ein großer Teil der Büroarbeit,
insbesondere in den Bereichen Verwaltung, Management, Marketing,
Recht, Finanzen, Beratung wird auch dank der Weiterentwicklung von
künstlicher Intelligenz verschwinden. In den riesigen, leeren Büros,
in denen keine Bürokraten oder Geheimpolizisten mehr untergebracht
sind, würde ein Großteil in freie städtische Universitäten, soziale Zentren und Hotels für
diejenigen verwandelt werden, die Schutz brauchen. Wir könnten sie
“Zentren der Begegnungen” nennen - gerade weil sie Räume
sind, die keinerlei Produktion feiern, sondern Raum und Mittel für
die Schaffung sozialen Zusammenhalts und die Vorstellung völlig
neuer Formen sozialer Beziehungen bieten.
Wir brauchen Mitstreitende,
Mitmachende, Weggefährten; wir sind keine Einzelgänger. Selbst
griesgrämige Eremiten haben Katze, Hund oder Esel, weil Menschen nun
mal alleine nicht leben können. Und die Begegnung mit anderen ist
ohne Arbeit eben nicht möglich. Manchmal ist schon die Begegnung an
sich Arbeit, weil die Menschen so anders sind, das es Arbeit braucht,
um ihnen zu begegnen. Sie sprechen andere Sprachen, sie denken andere
Gedanken, sie haben andere Gewohnheiten. Das alles kann anstrengend
sein und braucht aktives Tun, um es zu verstehen. Und selbst wenn
derlei leicht fällt, dann ist die Begegnung mit Anderen nur dann
schön und erfüllend, wenn wir gemeinsam etwas tun, und sei’s
Holzkohle in einen Alu-Grill schütten, um darauf selbstgestaltete
Pizza zu grillen. Die „Vita Activa“ ist die schönste Form des
Lebens, ein Leben, in dem wir in Gemeinschaft arbeiten – und zwar
nicht für Geld, sondern füreinander.
Idee 3: Das offene Parlament der
dynamischen Demokratie
Nicht nur Demokratie und soziale
Marktwirtschaft entwickeln sich weltweit zurück. Eingeschränkte
Presse- und Meinungsfreiheit oder ausgehebelte Verfassungsgerichte –
in der Regel sind dies Merkmale von Autokratien. Doch der aktuelle
Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass auch in
immer mehr Demokratien eine schleichende Aushöhlung von
Rechtsstaatlichkeit und politischen Freiheiten stattfindet.
Wesentliche Ursachen sind Machtsicherung und Vetternwirtschaft, die
wirtschaftliche Ungleichheit verstärken und zur Spaltung der
Gesellschaft beitragen.
Demnach schränken viele Regierungen
Freiheit und Bürgerrechte immer stärker ein, um ihre eigene Macht
zu sichern. Selbst in relativ stabilen Demokratien sind Regierungen
oft nicht in der Lage, politische und soziale Konflikte zu
entschärfen. Die 250 Wissenschaftler, die für den
Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) 137 Entwicklungs-
und Transformationsländer anhand von 17 Kriterien beobachten,
bescheinigen lediglich noch sechs Staaten eine sehr gute
Regierungsqualität – so wenigen wie nie. Demgegenüber stehen 46
Länder, deren Regierungen laut BTI in ihren
Transformationsbemühungen schwach oder gescheitert sind.
Der derzeitige Anteil von Demokratien
in den untersuchten Ländern liegt bei 54 Prozent. Die im weltweiten
Durchschnitt fallenden Demokratiewerte sind im Wesentlichen das
Ergebnis schwächerer Demokratien und repressiverer Autokratien. So
wurde die Gewaltenteilung im letzten Jahrzehnt in 60 Staaten
erkennbar ausgehöhlt. In 58 Ländern wurden Demonstrationsrechte und
Organisationsfreiheit eingeschränkt. Die Meinungs- und
Pressefreiheit sank sogar in der Hälfte aller untersuchten Länder.
Nahezu ungebremst setzt sich dieser Negativtrend in der aktuellen
Untersuchung fort. In rund einem Fünftel der untersuchten
Entwicklungs- und Transformationsländer sank die Demokratiequalität
oder stieg das Repressionsniveau erneut. Diese chronischen Missstände
sind häufig die Folgen von Machtkonzentration und Vetternwirtschaft.
Auch westliche Demokratien können mehr
oder weniger autoritär verfasst sein und gesellschaftliche
Lernprozesse blockieren. Es braucht eine beteiligungsorientierte
Weiterentwicklung und Vertiefung von Demokratie, um die wachsende
Kluft zwischen Bürgern und Staat zu verkleinern. Angesagt ist der
Übergang von einer überwiegend repräsentativ dominierten
Demokratie zu einer Bürgerdemokratie. Im Zentrum steht dabei die
Stärkung von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Staat und
Wirtschaft, aber auch gegenüber Verbänden, Parteien und
Parlamenten. Bürgerdemokratie stellt eine progressive Antwort auf
aktuelle politische Krisenerscheinungen dar. Sie ist mehr
als eine Fiktion, weil wir auf die gestiegenen Beteiligungsansprüche
in der Bevölkerung und auf institutionelle Innovationen bauen
können, die bereits erprobt werden. Angesichts der Folgen der
globalen Krisen ist es verhängnisvoll, dass das bestehende globale
Institutionengefüge zur Steuerung der Globalisierung im Interesse
von Mensch und Umwelt scheitert.
Repräsentative Demokratie funktioniert
nur mit einer aufgeklärten Gesellschaft. Aktuell sind Menschen
überfordert mit jeglicher technologischen Entwicklung, ganz zu
schweigen von geopolitischen Veränderungen. Im besten Fall sollten
Menschen einem Politiker vertrauen wie einem Arzt, er sollte die
beste Behandlungsmethode kennen. In der Realität wählen Menschen
Personen wie Trump oder den Brexit, und geben dabei jegliche
Verantwortung ab. Der Glaube an die bisherige Demokratie macht dies
möglich. Was haben wir alle aus der Geschichte der Demokratie
gelernt? In den aktuellen Demokratien unserer Welt sind kaum noch
neue und stärkere Entscheidungen möglich, sei es durch
Zweiparteienysteme oder die Vielzahl von Parteien, die absolute
Mehrheiten in einem Parlament kaum noch ermöglichen.
Eine dynamische Demokratie durch ein
offenes Parlament bezieht Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft und
dem Volk in den politischen Prozess. Dazu besteht das Parlament zu 25
Prozent aus Politikern, 25 Prozent aus Vertretern der Wirtschaft, 25
Prozent Wissenschaftlern und 25 Prozent einfachen Bürgern. In
Abständen von 12 Monaten wechseln die Mitglieder das Parlament. Alle
Mitglieder werden per Zufallsgenerator gewählt. Bestimmend für die
Persönlichkeit des offenen Parlamentes sind Eigenschaften wie
schnelleres Handeln, mehr Möglichkeiten zur Improvisation,
Fachkompetenzen, dem Planen mit dem Unplanbaren. Konzentration der
dynamischen Demokratie liegt im offenem Dialog, Argumenten,
Kreativität, Problemlösungen. Dadurch erhalten Menschen das Gefühl
an der Gesellschaft teilzuhaben und sie verändern zu können.
Nicht nur Geld und Reichtum schafft
Machtstreben. Beispiele aus der Geschichte und aus der Gegenwart
zeigen, dass auch in Gesellschaften, in denen der Reichtum relativ
gleichmäßig verteilt ist, es immer Menschen gab und gibt, die Macht
über andere Menschen ausüben wollen. Alle Formen repräsentativer
Demokratie schaffen Hierarchien und das bedeutet Macht. Das
Vorhandensein von Macht schließt den Missbrauch derselben ein.
Voraussetzung für das Funktionieren ist, dass eine breite Welle
gesellschaftlicher Diskussion die Mehrheit der Menschen erfasst hat,
die vielleicht nur mit der Bedeutung der Aufklärung zu vergleichen
ist. Denn mit einer Mentalität des “Nur-Konsumieren-Wollen”
würde es nicht gehen. Es muss ein gesellschaftlicher Konsens
dahingehend vorherrschen, dass nur mit Alternativen zum Kapitalismus
die Zukunft unseres Planeten zu sichern ist.
Es ging absurd schnell, die Hälfte
aller Spezies auszurotten, das Klima zu verändern, die Flüsse und
Meere zu verdrecken. Exponentielles Wachstum. Geschwindigkeit,
Leistung. Ungeduld ist eine Tugend. Wie schnell können drei Ideen
für eine krisensichere Zukunft und den Untergang von Rassismus
umgesetzt werden? Sofort. Wenn ein Virus unseren Alltag von heute auf
morgen verändern kann, dann können wir es erst recht. Wenn man sich
das Unwahrscheinliche ausdenkt, dann hat es gute Chancen, Realität
zu werden. Nur das Nächstliegende, das passiert nie. Ein Ansatz für ein neues Europa und
weit darüber hinaus.