flis04 🎞’s review published on Letterboxd:
Dankeschön - Eine persönliche Challenge
Hauptrunde: Film 8/10
Ausgewählt von Tycio
Es eine Geschichte der Widersprüche, der Diskussion, der unterschiedlichen Meinungen, ausufernden Argumentation, gebrochen von immer häufiger aufkeimenden Momenten der Einigkeit, mag es im gleichen Empfinden des Positiven, im Falle einer miserablen Verfilmung eines fabelhaften Literaturklassikers von Heinrich von Kleist, aber auch des Negativen sein.
Die erste mir einfallende Anekdote und somit in meiner Erinnerung ein wenig der Startpunkt aller noch kommenden Zusammenstösse führt uns zurück in den Sommer 2023 als es Tycio zufiel mir im Rahmen des Yes-or-No Filmquiz eine filmische Hausaufgabe herauszusuchen. Für mich erwies sich die Sichtung von "Tausendschönchen" als Erweiterung des eigenen Horizontes, auf die ich allerdings auch ohne Weiteres hätte verzichten können. Für Tycio war dies ein Ansporn mir in der Folge Filme vorzuschlagen, die ich auch tatsächlich mögen würde, mal sicherer und mal etwas gewagter. Dass mir "Pulp Fiction" gefallen würde, war sicherlich keine Geniestreich, bei "Rossini" lag der Fall anders. Dass ich als Komödienmuffel einen eben solchen Film lieben würde, war nicht sicher. Und nun "Cinema Paradiso", doch darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Zunächst möchte ich noch eine Verbindung hervorheben, die mich ehrt. Tycio spricht an manchen Stellen, davon er hätte meine Idee dieser Challenge geklaut. Ich möchte lieber davon sprechen er hat sich von mir dazu inspirieren lassen, selbst eine solche Challenge durchzuführen und das rührt mich zutiefst.
Kommen wir nun endlich zu "Cinema Paradiso", einer Auswahl die Tycio selbst wieder als recht sichere Nummer ansah, während ich dem Film ohne jegliches Wissen darüber, enorme Skepsis entgegenbrachte. Skepsis entstehend durch reine Unwissenheit, vielleicht auch durch die Herkunft aus dem italienischen Kino der 80er Jahre mit dem ich kaum bis gar keine Berührungspunkte hatte. Es folgte eine gewisse Furcht und ein ungerechtfertigter aber vorhandener Druck als Tycio eben genau diesen Film auch noch für seine 1000ste Review wählte und "Cinema Paradiso" als einen seiner Lieblingsfilme bekräftigte. Ein Text über die Liebe zum Film, ein Text, so persönlich, dass die Möglichkeit der emotionalen Entfremdung unmöglich war und sich genauso verhält wie der Film selbst. Aber auch ein Text, der in seiner Brillanz so anders war als die präzisen, in ihrem flotten Stil einmaligen Reviews, die Tycio sonst schrieb. Beides hat mehr als nur eine Daseinsberichtigung, nein das Können zu zwei so vorzüglich unterschiedlichen Textstilen hat höchstes Lob verdient.
Doch nach diesem kurzen Einschub, heisst es wieder zurückzukehren zu "Cinema Paradiso". Denn dieser Film bedeutet nicht nur Tycio viel. Es ist ein viel gelobtes Meisterwerk der Filmgeschichte, ein Geniestreich, der mir verborgen blieb, weil er in Deutschland nicht zu streamen, ja zur Zeit noch nicht einmal mehr eine aktuelle Disc-Auswertung besitzt. Die einzige deutsche DVD geht auf das Jahr 2006 und ist mittlerweile kaum noch zu bekommen. Eine Blu Ray gibt es in Deutschland gar nicht. Das ist schockierend. Denn blickt man auf die grossen Filmseiten, reiht er sich in ein Muster ein, nachdem ein zu grosser Teil der beliebtesten Filme aller Zeiten, hier in Deutschland gar nicht verfügbar sind.
"Cinema Paradiso" ist mit einer Bewertung vo 4,5 auf Platz 23 der Top 250 auf Letterboxd. Auf IMDB besitzt der Film starke 8,5 Punkte und ist damit immer noch auf Platz 48 der dortigen Top 250. Und um all dem die Krone aufzusetzen, gewann der Film von Giuseppe Tornatore im Jahr 1990 auch noch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
"Cinema Paradiso" ist somit zurecht einer dieser Filme, bei denen man vor der Sichtung kaum glauben kann, dass sie wirklich so gut sind. Das alles klingt so unfassbar surreal, schürt Erwartungen, die kaum zu erfüllen sind. Bei mir sorgt all dies für eine Ernüchterung schon vor der Sichtung, in die Sichtung gehend mit der Gewissheit eben nicht dieses phänomenale Ausnahmewerk zu erhalten, sondern nur einen guten Film.
"Cinema Paradiso" zeigt, was einen wirklich meisterhaften Film ausmacht. Nämlich all diesen Vorschusslorbeeren zu trotzen, die Skepsis mit wärmenden Armen aufzunehmen, zu erweichen und am Ende wirklich so brillant zu sein, wie alle sagen.
Das liegt unter anderem daran, dass Giuseppe Tornatorre unter all den Regisseuren, die versuchten Filme über Filme, über die Magie des Kinos drehen, das meiste Verständnis für den Zauber dieser bewegten Bilder aufbringt.
Tornatore macht dies eben nur bedingt über die Handlungsebene und bringt trotzdem unfassbar vielr Details in seinem Film unter. Natürlich findet man die Liebe zum Film auch in den Hauptfiguren, doch die möchte ich gesondert betrachten. Hier geht es mir nun darum wie Tornatore den Film inszenatorisch feiert. Und das gelingt natürlich über das Zeigen von Ausschnitten einer Vielzahl von Filmen. Der Kinokenner wird John Wayne auf der Leinwand des Cinema Paradiso erkennen, aber auch Kirk Douglas in "Die Fahrten des Odysseus". Die Auswahl ist vielschichtig, geht hinein in verschiedenste Bekanntheitsgrade und wirkt somit authentisch und ehrlich.
Diese beiden Werte finden sich auch in der Zeichnung des Publikums. Eine meiner Lieblingsszenen dürfte sogleich eine der Allerersten sein. Wenn Alfredo dem Pfarrer alle Filme zuvor zeigen muss und auf dessen Geheiss jede Kussszene herausschneidet. Ein cleveres Element, dass sich lange auf verschiedenste Arten durch den Film zieht und damit endet, dass sich der Pfarrer im Kino Jahre später von der "Pornographie" angewidert abwendet, während das Publikum johlt.
Das Publikum! "Cinema Paradiso" zeigt das Kino als Event. Ein Ort an dem alle Menschen, aus allen sozialen Kreisen und Altersklassen zusammentreffen. Trotz Unterschiede solange vereint, wie Bilder über die Leinwand ziehen. So unterschiedlich ist auch der Genuss des Kinos. Mehr als um die Qualität des Films geht es den Menschen um die Ablenkung, um das Fliehen aus dem Alltag. Jeder Mensch geniesst den Besuch anders und starke Kamerafahrten fangen das ein. Es wird in den hinteren Reihen gevögelt, es werden Kinder gestillt, es wird gelacht und geweint. "Cinema Paradiso" zeigt einen Blick auf das Kino, der weniger dem Medium an sich gilt, sonderm dem was der Ort des Lichtspielhauses sein kann und was er einmal in einer Zeit der Trauer, der Probleme und der Verarbeitung des Krieges einmal war.
Auf der Ebene des Erzählens folgt "Cinema Paradiso" nun Salvatore Di Vita, der sich durch ein Ereignis in der Gegenwart dazu angeregt fühlt sich zu erinnern, weswegen fast der gesamte Film in den 40er und 50er Jahren spielt.
Dort war Salvatore Di Vita noch Toto, der kleine Toto gespielt von Salvatore Cascio. Ein Junge um die zehn Jahre alt, aufgezogen von der alleinerziehenden Mutter, aufgeweckt und doch wandelnd in einer eigenen Welt. Tot schläft beim Messedienst am Altar ein, doch in einer Beziehung ist Müdigkeit ein Fremdwort für ihn. Es ist die Begeisterung für dem Film.
Und wie das eine Begeisterung ist. Salvatore Cascio spielt mit Toto mit weit aufgerissenen Augen und verschmitzten Lächeln. Wie könnte man diesen kleinen Jungen nicht ins Herz schliessen? Erst recht, wenn Tornatore ihn so schön in Szene setzt. Springe wir zurück zu meiner Lieblingsszene und dem Pastor der alle Kussszenen aus den Filmen herausschneiden lässt. Nur ist da noch mehr. Der kleine Toto, der sich hinter dem Vorhang versteckt hält und mit grossen Augen und kindlicher Freude dem Geschehen auf der Leinwand folgt. Das ist Magie, ja Film-Magie, wie sie schöner und ausdrucksstärker kaum sein könnte.
Darüberhinaus ist es aber auch Verbindung, die hier von Tornatore einfach nur bezaubernd erzählt wird. Zwischem dem aufmüpfigen Toto und dem grummeligen Filmvorführer Alfredo entsteht schnell eine tiefe und eigenwillige Freundschaft. Zwei Menschen durch Jahrzehnte getrennt und doch verbunden durch ihren einzigartigen Blick auf die Welt, der sich von der Mehrheit unterscheidet. Phillipe Noiret ist als Alfredo eine warmherzige Wucht und im Zusammenspiel mit Salvatore Cascio besitzt der Film ein emotional mitreissendes Duo, dass sehr schnell das eigene Herz erobert.
Knapp nach der Hälfte des Films kommt es dann zum Bruch. Die erste und die zweite Stunde von "Cinema Paradiso" unterscheiden sich in ihrer Tonalität, ihrem erzählerischen Fokus stark.
Plötzlich erzählt Tornatore vom Erwachsenwerden, von der Vergänglichkeit der kindlichen Einfachheit. Mit dem Alter kommen neue Interessen, neue Dinge, die in Fokus rücken.
Aus eben diesem verschwindet dann auch immer mehr der Film. Das Leben ist eben kein Film, sondern das Leben. Nur manchmal schiebt sich die Magie des Kinos mitten hinein in die Realität und lässt Traum und Wirklichkeit miteinander verschwimmen.
Für Toto bedeutet diese Zeit herauszufinden wer er wirklich ist. Die erste Liebe bricht über ihn herein, grosse Entscheidungen für die Zukunft müssen getroffen werden. Mit dieser Schwere geht auch dem Film ein wenig die Leichtigkeit verloren.
So wie für uns mit dem Älterwerden die Zeit immer schneller zu vergehen scheint, so zieht auch der Film sein Tempo an. Die Liebesgeschichte zu Elena mag in der rund zweistündigen Kinofassung sehr kurz und übereilt erscheinen. Lediglich eine Szene brennt sich wirklich ein, doch genau das trifft den Kern. Im Leben von Toto wird Elena nie mehr sein als ein flüchtiger Augenblick, ein Augenblick der tiefe Spuren hinterlassen hat, sowie es auch dem Film gelingt.
Und schliesslich führt Tornatore die Geschichte über Toto einem Ende entgegen. Das Treffen einer wichtigen Entscheidung, das Beschreitenneines Weges ohne Zurückzuschauen.
Schliesslich zurückzukehren nach Jahrzehnten und zu begreifen, dass sich alles verändert hat, die Heimat, die Zeit und man selbst. Und im Falle von "Cinema Paradiso" auch die Sicht auf das Kino selbst.
Bevor ich bereits zum Fazit überschreite muss ich jedoch noch einem Mann Respekt zollen, den ich mit "Cinema Paradiso" erstmal nicht verbinden würde, es nun aber tue. Ich spreche von einer Legende des Filmgeschäfts, die fast jeden Film mit ihrer Arbeit verbesserte und die Kirsche auf der Torte der Emotionalität ist, welche "Cinema Paradiso" so ausmacht.
Natürlich stammt die Filmmusik von keinem geringeren als Ennio Morricone. Ein Score, der sich von einigen anderen von ihm unterscheidet.
Denn in "Cinema Paradiso" nimmt sich die Musik oftmals zurück, existiert mehr oder weniger heimlich im Hintergrund. Die Klänge, sind der gite Geist, der Schutzengel des Films. Immer wenn die Emotionen mal nicht zu treffen drohen, dann kommen Morricones Stücke hervor und tragen die Geschichte darüber hinweg.
Nur eine Musik sticht besonders hervor. Es ist das "Love Theme", das "Tema d' Amore", welches sich gefühlvoll im Ohre des Zuschauers oder in diesem Fall besser Zuhörers einnistet und ihn noch Stundem später zu verfolgen weiss.
"Cinema Paradiso" ist ein Erlebnis. Ein Film, der vollkommen zurecht als eines der grössten Meisterwerke der Filmgeschichte. Unter all den Filmen, die sich mit dem Medium an sich, dem Blick hinter die Kulissen oder dem Phänomen Kino auseinandersetzten, gibt es keinen Film, der solch eine Magie heraufbeschwört, wie es vor über 35 Jahren Giuseppe Tornatore gelang.
"Cinema Paradiso" erzählt eine mitreissende fiktive Lebensgeschichte, die in wundervollen Detailverliebten Bildern eingefangen wurde und den Zuschauer fast durchgehend emotional packt und zum Weinen einlädt.
Allerdings muss ich auch eine kleine Einschränkung vornehmen. Denn während die erste Stunde, für mich einfach nur einmalig ist, keine Makel, keine Ansätze für Kritik aufweist, konnte mich die zweite Stunde nicht auf die gleiche Weise bezaubern.
Auch hier erzählt Tornatore nuanciert und gefühlvoll, was fehlt ist allerdings die Einmaligkeit. Das was "Cinema Paradiso" in seiner ersten Hälfte abfeuert habe ich so noch nicht gesehen. Dementsprechend verlief die zweite Hälfte mit ihren Themen, ihren Motiven einfach ein wenig bekannter, erwartbarer und damit auch nicht mehr ganz so magisch, was in Anbetracht dessen, dass sie unfassbar stark ist, vermutlich negativer klingt als es soll.
"Cinema Paradiso" ist ein umwerfendes Eroebnis und daher bin ich Tycio dankbar, dass er mich zu dieser Erfahrung anstiess, die sonst vermutlich noch sehr lange an mir vorbeigeflogen wäre, ohne dass ich sie wahrgenommen hätte.