Academia.eduAcademia.edu

Die Türmer von Babel

in: Frankfurter Rundschau, 27. Juli 1992, Nr. 172, S. 19.

Streiflichter vom Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte

FEUILLETON Montag. 27. Juli 1992, Nr. 172 S/R/D Die Türmer von Babel Streiflichter vom Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte BERLIN. Großveranstaltungen man mõgen. Der Internationale Kunst historikerkongreß, der im Rhythmus von vier Jahren stattfindet, hat in dieser Hin sicht Maßstäbe gesetzt, die nicht mehr zu überbieten sind. Mehr als 3500 Vertreter des Faches lauschten in 26 Sektionen 180 Vorträgen und hatten durch ein um es Exkursionsprogramm dis sich mit Problemen der und Museumsplanung zu machen Das reichhaltige Spektrum der Sektionen beinhaltete The assoziativen Denkens in Bildern hín. Die dern immer dem Entweder-Oder: Entwe Ergebnissen miteinonder. Kunstkammer ist gleichermaßen ein Ort der ist ein Vortrag sehr gut oder eben der Memoria (Speicher) wie intellektuel sehr schlecht. An keinem anderen Ort Jer Motor einer Kombinatorik. Sie eröff könnte man derart intensiv die Phetorik, net visuelle Assoziationen, Denkbilder". besser noch: die Rhetoriken eines Faches die nicht vorhersehbar sind. Es ist eine studieren, angefangen beim Vortragsstil Logik des Spiels, die gerade deshalb zu oder dem Umgang der Wissenschafler gelangt, weil sie darauf nicht aus war, dem Prinzip folgend, daß nicht das Ziel, sondern der Weg das Denkmalpflege Wesentliche ist. Der Vortrag setzte nach men wie Video", Konstruktivismus in Ost und West", Gedruckte Photographie eine Kunstgeschichte im Zeitalter der Vorherrschaft des Bildes. Carlo Severi sprach über das Problem vertraut - Narrative und redaktionelle Strate gien" oder Modernität und Tradition in der islamischen Architektur" Die Planung und Ausrichtung eines Kongresses für fast 4000 Personen ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Wenn die Kunstgeschichte als Disziplin so gut ist wie ihre Fähigkeit zur Logistik, darf man noch einiges erwarten. Thomas Gaehtgens und sein Team haben in die ser Hinsicht Unglaubliches geleistet Um in es Ronert zu formulieren, . die Grenzen um Zeit sind erreicht Die Wahl für den Tagungsort Berlin wurde schon 1988, vor dem Fall der Mauer, getrofen, und niemand konnte ahnen, welche politische Bedeutung dem damals beschlossenen Rahmenthema Künstlerischer Austausch" 1992 zukom Nun wäre es naiv zu glauben, die men würde Kunstwissenschaft sei in der Lage, auf politische Veränderungen zu reagieren wie die Fahne auf den Wind, aber sie kann versuchern, ihre Paradignen darauf hin zù befragen Thomas Gaehtgens hat in seiner Eröffnungsrede darauf hinge wiesen, wie lange dic an der Stilkritik Ansicht vieler Teilnehmer Maßstäbe für der Forn in primitiven" Kulturen. Seine en Gesel) Ausgangsfrage lautete: Wie bilden schaften ohne Schrift eine kultu Identität aus? Die Schwierigkeit, hier zu ciner angemessenen Antwort zu kom Dic vielleicht wichtigste Erkenntnis in dieser Hinsicht betrifft das Verhältnis von schen und europäiscl schen Die Sektion von Benja Kur min Buchloh und Rosalind Krauss zu Methodenproblemen der Nachkriegs kunstgeschichte in Europa und den USA" war in dieser Hinsicht ein lohnendes Er kenntnisobjekt. Bei aller hemdsärmeli gen Offenheit erhielt man doch den Ein men, liegt darin begründet, daß Kulturen, die über eine Textüberlieferung verfügen, druck einer extrem selbstbezogenen in-group, die Fragen von außen gar nicht denken, sozusagen nach dem Modell von phie in der deutschen Kunstgeschichte zumal ohne große Einflüsse geblieben ist, Form immer in Opposition zumn Inhalt Wort und Begriff, und diesen Dualismus verabsolutieren. Auch die kunsthístori scheeForschung hat in Form der N Motivge schíchte nicht das geeignete Instrumen tarium, zum Beispiel Piktogramme ange messen zu verstehen. Der Vortrag lieferte eine Reihe von Beispielen für die Les barkeit" dieser Kunst und ihre Möglich keit, komplexe Ordnungen der rinne rung herzustellen und somit kulturelle Identität Severi betrachtete als die Ele mentarfunktion primitiver Kunst, ein Raum-Zeit-Kontinuum herzustellen. Eliska Fucikova schilderte in der von ihr geleiteten Sektion Kunst in Mittel und Osteuropa 1500-1800" in ibrer Ein führung eindr ringlich,, wie unvorbereitet mehr zuläßt Nun könnte man generell behaupten, daß die postmoderne Philoso allenfalls im Rahmen der Architektur theorie und des Feminismus wurde sie rezipiert In den USA scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Dies ist zunächst einmal als Feststel lung gemeint Die Kunstgeschichtete in Europa ist sicher nicht konservativer, so wenig die amerikanische Kunstgeschich te per se fortschrittlicher ist. Aber gerade in dieser Sektion hatte man den Ein druck, daß alle Europäer harmlos im Ver gleich zu den Amerikanern wirkten. `elbst Benjamin Buchloh wirkt im Ver gleich zu Timothy Clark wie ein harmlo ser Hegelianer. Birgit Peltzer eröffnete mit ihrem Vortrag die und zeigte, postmodon wie an die Philosophie möglichst nicht für die Kunstgeschichte Entwicklung die tschechi orientierte Kunstgeschichte künstleri die politische Kunsthistoriker getroffen hat und einsetzen sollte. Nachdem die Referentin sche Einflksse als Abhängigkeit bewertet schen mit welchen Schwierigkeiten ver eine komplexe Darlegung der Subjekt hat und wie wenig die Wer-warder-Erste bunden war. Hellmut Lorenz dies erinnerte theorie Lacans geliefert hatte was der Phi Fragen dazu taugen, das Phânomen kulturellen Begegpung in den Blick Zu bekommen Forschung ist träge in bezug auf tagespolitische Ereignisse, aber ein flußreich in der Formierung kultureller Hegemonialansprkche, verantwortlich für dieGrenzen in unseren Köpfen. In der Sektion von Salvatore Settis wurden verschiedene Modelle kulturellen Austauschs durchgespielt Lyckle de Vries untersuchte die Bedingungen für Stilübernahmen und Stilwandel im 16. Jahrhundert in Haarlem. Wichtig war der Hinweis, daß Stil eben nicht als Fa tum oder persönliche Handschrift zu ver stehen ist, sondern eine markktorientierte, bewußte Entscheidung des Künstlers dar stellt Horst Bredekamps Vortrag zur Kunst als Ort spielerischen Aus kammer tauschs wies auf die Ursprünge des daran, wie der von Hans Sedlmayr 1938 für Fischer von Erlach geprägte Reichs stil", der die Überlegenheit der deutschen Barockkunst Österreichs herausstellte, den Offizieren in den besetzten Ostgebie ten ihre kulturelle" Aufgabe vor Augen stellte Nun ist eine Methode, die zur Völker verständigung führt, noch nicht erfunden. auch sonst?, wird der Eingeweibhte den ken -, in welcher das Unbewußte nicht nach Innen, sondern ins Außen verlegt wurde, folgte eine biedere Werkschau der Arbeiten Lucio Fontanas. Niemandem konnte klar sein, wie diese beiden Hälf- ten des Vortrages zusammenge hörten bzw. inwiefern Lacans Theorde eine Be reicherung für das Verständnis moderner Sie ist auch nicht nötig, denn eines der in Kunst sein konnte. staltungen in den informellen Mõglich wie Leonardo über den Maler sagt, daß er lernen, gemeinsam Projekte ins Auge zu fassen rschlicht nachzufragen. nac Moxey jeder Kunsthistoriker seine dieser Hinsicht fungierenden Instrumen te ist der Kongreß. In der Tat besteht der vielleicht wichtigste Wert solcher Veran keiten: andere Fachvertreter kennenzu In einer anderen Sektion gab Keith Moxey eine Interpretation von Panofskys Deutung von Dürers Melancholia". `o immer nur sich selbst male, so projiziert eigenen Probleme in die zu analysieren Eine zweite wichtige Aufgabe könnte den Werke: der Kunsthistoriker man als Wissenschaftssozialisation be ewiger Narziß. Panofskys eigene Melan zeichnen. Interessant ist etwa der Polari cholie ist die Folge des unlösbaren Kon sierungseffekt Die Beurteilung der Vor fliktes seines an der deutschen Aufklä träge unterliegt nie einem Ja-Aber, son rung ausgerichteten Kulturverständnis ses und der tiefen Kränkung, daß diese Kultur den Naziterror und letztlich seine Emigration erzwungen hat. Nun ist es zweifelsohne eine unum men, um dann zur Ausschreibung seines Schon Blankert Vornamens zu hat darauf hingeuriesen. daß sich Rem brandt, indem er das Patronym in er Signatur fortlät, in die Tradition der großen italienischen Renaissancekünstler stellt. Die Signatur wird sozusagen zum kreativen Kürzel, und durch die Kursive stellt sich der Künstler in eine hurnanisti sche Tradition und beansprucht eine hohe soziale Stellung. Um ein wie bedeu tungsvolles Detail es sich dabei handelt, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß Raffael nur ca. zehn, Rembrandt hin gegen neunzig Prozent seiner Werke signierte. Die Signatur wird zum notwen digen Markenzeichen einer sich ausdiffe Unglücklich war, daß van de Wetering in der folgenden Diskussion den wohl an rollsten Kritiker des Rese arch b mit dem Hinweis abspeiste, dar spr über streite man sich nun schon seit ünf Jahren ohne Ergebnis. Das läßt sich leicht sagen, wenn man auf dem Podium sitzt Es wäre eine Bereicherung der Sek tion gewesen, wenn Gary Schwartz so wie Grimm - seine Einwände hätte vor tragen können. Entscheidungen sollte man besser der Zuhörerschaft zutrauen, als diese für dieselbe zu treffen. In der von Martin Warnke geleiteten Sektion Künstler in der Emigration" untersuchte lja Veldman exemplarisch Werke flämischer Künstler des 16. Jahr durchaus schon als geistiges Eigentum hunderts, die aus religiösen Gründen betrachtet wurde, aber vor dem 18. Jahr emigrieren mußten. Die wichtigste An renzierenden Marktsituation Man darf hierbei nicht vergessen, daß Kunst zwar einem juristischen laufstelle der Künstler, zumeist Stecher, Mit ihrem interessanten Material lie aufmerksam die Exilbedingungen nach hundert nicht Sinne. in war Köln. In ihrem Referat zeichnete sie und die Them emenverschiebungen, die sich pretationen zu historisieren, aber nicht zum Unternehmer" Rembrandt Der auch im katholischen Köln durch die um den Preis, daß daraus eine diffuse Mi Graphologe Huub Hardy, assoziierter Zensur ergaben schung aus mehr oder weniger unbe wuß Mitarbeiter des , Rembrandt Research Einige Teilnehmer der Emigrationssek gängliche Aufgabe, ddie geleisteten Inter ferte Adams einen ten Handlungsmotiven wird, die als Er Project", hat sich des gleichen Themas weiteren Baustein kenntnis ausgegeben werden, Panofskys angenommen. Er stellte Ergebnisse sei tion besuchten das Grab von Max J. Friedländer, der während der nationalso Melancholia-Interpretation stammt aus ner vergleichenden Analysen vor und be seiner Hamburger Zeit, also aus den Jah stätigte die Vermutung, daß Rembrandt au ren vor der Emigration. Aber mehr noch, ach vOn Arbeiten eigenhandig man ist schlecht beraten, wenn man sol erte, um ihren zu stei che Wahrheiten, jeder spiegele immerfort signier gern. Nicola Courtright sprach über die sic selbst, zum er au die Projektion Tür und Tor öftnet Das Motiv Türmer und seine doppelte Aufgabe, zu sehen und zu schauen, entspricht dem ldeal eines Ausgleichs von aktivem und senert hebt wwi euristschen Prinzip : der Spiegelung als der unendlichen Spiegelung könnte aller Vorbilder von Rembrandts Zeichenstil und Peter Schatborn allgemein über das Problem der Zuschreibung von Zeichnun gen. zialistischea Herrschaft nach Amsterd am emigrierte. Ein äußerst schlichtes Grab Friedhof an der Heerstraße, dem d e o irmers Lynkeus un Sehen geboren, zum Schauen bestellt* aus Faust I beigegeben sind. Goethes dings als Modell nicht für die fröhliche. kontemplativen Dasein. Ein Wissen Ernst van de Wetering hielt einen ful sondern diejenige Wissenschaft gelten, minanten Vortrag über das Problem der schaftsideal, das in der heutigen Zeit vor die an sich selbst irre wird. Kennerschaft im 17. Jahrhundert Ziel allem eins ist, nämlich ein schõnes Ideal. welche Bedeutung der Connaisseur sehon des Elenbeinturms geschrieben und die seiner Ausführungen war es, zu zeigen, Die von Christopher Brown Beleitete Sektion zu Rembrandt verlief insgesamt in der Zeit Rembrandts hatte. Abschlie gen im vergangenen Jahr waren hier starkere Händescheidung in den einzel unglücklich. Nach den großen Ausstellun große Ereignisse im Sinne spektulkulärer Abschreibungen auch nicht mehr mög lich. Ann Adams eröffnete die Sektion mit einem Vortrag über die Entwicklung von Rembrandts Signierlormen uad ihre Bedeutung. Bis 1833 experimentuerte. der Hollånder mit verschiedenen Monogram Erwin Panofsky hat eine Verteidigung Aufgabe des Turmers als diejenige enes Bend sprach sich Claus Grimm für eine Warners beschrieben (siehe FR von 28. 3. nen Werken aus. ohne weiteres fur Die Kategorien, die das Rembrandt Re seurch Project zugrunde legt, betreffen die generelle ~u- oder Abschreibung. nur c nicht hingegen, welche Anteile Rem brandt bzw seine Schüler an den jeweili gen Werken hatten 1992). Zwei Modelle, die man nicht mehr beanspruchen die Kunstgeschiche könnte. Den vielleicht muß jeder Turm heute in Babel sein. Nur sieht er eben aus wie das Inernationale Congress Centrum, ein Raumschiff bei der Zwischenlandung. JÜRGEN MÜLLER