Leitthema
Urologe 2006 · 45:1135–1144
DOI 10.1007/s00120-006-1151-2
Online publiziert: 10. August 2006
© Springer Medizin Verlag 2006
J. Rassweiler1 · D. Teber1 · J. de la Rosette2 · P. Laguna2 · V. Pansodoro3 · T. Frede4
1 Urologische Klinik, SLK-Kliniken Heilbronn, Akademisches Lehrkrankenhaus
der Universität Heidelberg, Heilbronn
2 Department of Urology, Amsterdam Medical Center, Amsterdam
3 Vincenzo Pansodoro Foundation, S. Giovanni-Addolorata Hospital, Rom
4 Urologische Abteilung, Helios-Kliniken, Müllheim
Laparoskopische
Beckenchirurgie
Wo stehen wir im Jahr 2006?
Die Einführung der pelvinen Lymphadenektomie durch Schuessler 1991
kann als Initialzündung für die Laparoskopie in der Urologie gesehen
werden [63]. Wie auf anderen Gebieten der Urologie (z. B. Steintherapie)
hat das Verfahren eine ungeheure
Entwicklung erlebt. Zunächst standen technische Schwierigkeiten, wie
die endoskopische Nahttechnik oder
auch subtile Blutstillung im Vordergrund, die eine rasche Verbreitung
der Technik auf weitere Indikationen
behinderte [46, 74]. Erst 1999 konnten Guillonneau und Vallancien erfolgreich die laparoskopische radikale Prostatektomie einführen und somit einen entscheidenden Meilenstein setzen [28], deren Technik sich
über Europa weltweit verbreitete [17,
46]. 2001 führten Binder u. Kramer
[7] in Frankfurt die erste roboterassistierte laparoskopische radikale Prostatektomie mit dem da Vinci-Gerät
durch. Heute findet die Technik im
Rahmen der Beckenchirurgie im wesentlichen für fünf Bereiche mit unterschiedlichem Stellenwert ihre Anwendung.
Radikale Prostatektomie
Indikation
Das Verfahren wird wie die offenen Varianten zur Behandlung des lokal begrenz-
ten Prostatakarzinoms eingesetzt, wobei
inzwischen praktisch keine technischen
Kontraindikationen mehr vorliegen. Das
Verfahren kann auch nach Eingriffen im
Becken (z. B. laparoskopische Hernienplastik), nach vorangegangener TURP
(transurethrale Resektion der Prostata) oder neoadjuvanter Antiandrogenbehandlung eingesetzt werden [21, 35, 58,
65]. Der Zugangsweg ermöglicht eine simultane pelvine Lymphadenektomie –
auch erweitert – bei entsprechender Indikation (Gleason-Score>6, PSA>10) sowie
im Frühstadium (Gleason-Score<7, T1c,
PSA<10) eine Schonung des neurovaskulären Bündels [58, 67, 68].
Tab. 1 Laparoskopische radikale Prostatektomie (LRP):
Vergleich von extra- und transperitonealem Zugang
Extraperitoneale LRP
Vorteile
• Keinen Kontakt mit Darm bei abdominellen
Voroperationen
• Weniger Probleme bei Urinextravasation
• Bei Adipositas permagna
Keine Vorteile
Transperitoneale LRP
Vorteile
• Größeres Arbeitsfeld
• Weniger Spannung auf Anastomosennaht
• Minimales Risiko einer Lymphozele
(bei erweiterter Lymphadenektomie)
• Operationszeit
• Postoperative Morbidität
• Komplikationsrate
• Positive Schnittränder
• Kontinenz
Tab. 2
Nervenschonende LRP: Vergleich von retrograder und antegrader Technik
Retrograd
Vorteile
• Frühe Identifikation des neurovaskulären
Bündels (Inzision der Levatorfaszie)
• Optimale Exposition des neurovaskulären
Bündels und der Samenblasen
• Direkter Transfer der bewährten offenen
Technik
Nachteile
• Technisch schwieriger
(frühe Kontrolle des dorsalen Venenplexus)
Antegrad
Vorteile
• Frühe Kontrolle des Prostatapfeilers
• Frühe Kontrolle der Samenblasengefäße
• Günstige Arbeitsrichtung der Instrumente
• Bessere Hämostase
Nachteile
• Späte Identifikation der neurovaskulären
Bündel (unter der Levatorfaszie)
Der Urologe 9 · 2006
| 1135
Leitthema
Tab. 3 LRP: Ergebnisse der Multicenterstudie der Sektion Laparoskopie und Endourologie des Arbeitskreises Operative Techniken der Akademie der Deutschen Urologen
Kriterien
Operationsdaten
Operationszeit [min]
transperitoneal deszendierend
extraperitoneal deszendierend
transperitoneal aszendierend
Lymphadenektomie [%]
Konversion [%]
Blutung
Harnleiterläsion
Darmverletzung
Adhäsionen
Tumor bedingt (Größe, Ränder)
Technik (Anastomose,
Operationszeit)
Reintervention [%]
Blutung
Rektumfistel
Lymphozele
Hydronephrose
Infektion
Anastomosenstriktur
Komplikation [%]
Blutung
Rektumverletzung
Extravasation
Thromboembolie
Onkologische und funktionelle Daten [%]
Pathologische Stadien
pT2
pT3a
pT3b
pT4
Positive Ränder
pT2
pT3a
pT3b
PSA-Rezidiv
pT2
pT3a
Kontinenz nach 12 Monaten
Potenz nach
Unilaterale Nervschonung
12 Monaten
Bilaterale Nervschonung
Technik
Drei Techniken sind beschrieben: transperitoneal deszendierend mit primärem
Zugang zu den Samenblasen [29, 72],
extraperitoneal deszendierend [8, 66]
und trans-/extraperitoneal aszendierend
[20, 48, 52].
1136 |
Der Urologe 9 · 2006
Durchschnitt
(alle Zentren)
Bereich
[min]
Bereich
(maximal)
196,4
211,1
176,7
232,9
68,1
2,4
0,4
0,1
0,7
0,8
0,7
0,6
150
182
150
195
5.2
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
292
255
240
280
100
14,1
4,6
1,6
0,7
3,8
10,3
5,0
2,7
0,5
0,7
0,4
0,3
0,3
0,4
8,9
2,2
1,7
2,4
0,6
0,3
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
1,8
0,0
0,0
0,0
0,0
7,7
1,5
2,8
2,8
1,4
1,5
3,8
10,8
7,6
7,1
15,0
5,1
60,7
26,7
10,7
1,9
33,2
7,5
1,4
0,0
91,4
53,8
13,1
2,9
10,6
32,7
56,2
3,2
20,0
40,0
18,0
38,5
75,0
8,6
17,5
84,9
31,0
52,5
4
15
72
19
35
15,3
20,6
94
35
67
Die Vorteile des sich immer mehr
durchsetzenden extraperitonealen Vorgehens liegen in der geringeren Rate an
Subileus bzw. Problemen bei Extravasation, während ein extraperitoneales Vorgehen v. a. in Zusammenhang mit der erweiterten Lymphadenektomie sinnvoll
erscheint [11, 20], (. Tab. 1). Analog zur
offenen Chirurgie wird für die Schonung
der neurovaskulären Bündel sowohl ein
antegrades als auch retrogrades Vorgehen beschrieben [25, 38, 58, 67, 68, 71, 75],
(. Tab. 2).
Ergebnisse
Die Reproduzierbarkeit der Techniken
konnte insbesondere durch die Studie der
Sektion Laparoskopie und Endourologie
der Akademie der Deutschen Urologen
belegt werden: 50 Operateure behandelten 5824 Patienten an 18 Zentren [59]. Die
mittlere Operationszeit lag bei 211 min,
die Konversionsrate bei 2,4%, die Reinterventionsrate bei 2,7%. Die Komplikationsrate betrug 8,9%, wobei Blutungen (0,3–
2,5%) und Rektumverletzungen (1,5–2,5%)
im Vordergrund standen. Die Rate der
positiven Ränder lag bei 10,6% für pT2und bei 32,7% für pT3-Stadien. 84,9% (72–
94%) der Patienten waren nach 12 Monaten kontinent und 52,5% (35–67%) potent
nach bilateraler Nervenschonung. Die 5Jahres-PSA-Rezidivrate lag bei 8,6% für
pT2- und bei 17,5% für pT3a-Tumoren
(. Tab. 3).
Verschiedene Arbeiten konnten die
Gleichwertigkeit des Verfahrens im Vergleich zur offenen Operation belegen [27,
51, 54, 58, 60, 62]. Hier zeigt sich allerdings
auch die Abhängigkeit der Ergebnisse von
der Erfahrung des Operateurs mit der jeweiligen Technik [23, 27, 33, 58, 59]. In der
einzigen Phase-III-Studie eines einzigen
Operateurs hat die laparoskopische radikale Prostatektomie längere Operationszeiten, dagegen aber weniger Blutverlust,
geringeren Analgesiebedarf, kürzere Rehabilitation und Katheterzeiten und die
gleiche Rate an positiven Rändern [27].
Der Vergleich größerer Serien bestätigt
auch die Vorteile des laparoskopischen
Vorgehens hinsichtlich der Komplikationsraten, v. a. wegen der niedrigen Rate
von lymphatischen und thromboembolischen Komplikationen bzw. Wundheilungsstörungen [4, 58]. Daten zur postoperativen Potenz nach nervschonender
Technik liegen nur von wenigen Zentren vor (. Tab. 3, 4), die allerdings vergleichbar zu den Ergebnissen der retropubischen radikalen Prostatektomie sind
[25, 38, 58, 59, 67, 68].
Leitthema
Tab. 4 Antegrade nervenerhaltende radikale Prostatektomie: Vergleich laparoskopischer und offener Daten. Anteil der Patienten mit der Angabe von erfolgreichem
Geschlechtsverkehr mit oder ohne PDE-5-Inhibitoren bei präoperativer Potenz
Tab. 7 Laparoskopische radikale
Zystektomie – Daten größerer Multicenterstudien und Literaturübersichten
Klinik
Heilbronn
(LRP, n=219)
Studien und Zentren
Literaturübersicht [55, 56, 57]
Internationale Zystektomiedatenbank [31, 32]
Norditalienische Studie [14]
Italienische Studie
(Pansodoro et al. 2006)
Hamburg
(RRP, n=524)
Tab. 5
Nervschonung
Unilaterale Nervschonung
Bilaterale Nervschonung
Unilaterale Nervschonung
Bilaterale Nervschonung
55–65 Jahre [%]
31,0
60,0
20,7
52,8
Operationszeit
[min]
Rassweiler
33a
8,8
375
Bentas
40
11,3
460
Wolfram
81
8,9
250
Menon
40
n.v.
274
Menon
100
7,2
195
Ahlering
60
8,1
231
Menon
1100
n.v.
160
Cathelineau 105
8,0
180
a Kumulierte frühe Europäische Daten.
n.v. nicht vorhanden.
n
PSA
[ng/ml]
Stationärer
Aufenthalt
[Tage]
n.v.
17
n.v,
n.v.
1,2
1,1
1,2
5,5
Katheter
[Tage]
7
14
14
n.v.
7
7
7
7
Komplikationen
[%]
n.v.
25
n.v.
n.v.
8
6,7
5
8
Pos. Ränder
alle/pT2
[%]
21/n.v.
30/8
22/13
18/n.v.
15/10,5
17/4,5
9/n.v.
22/12
Laparoskopische radikale Zystektomie: Operationsschritte und Optionen
Operativer Schritt
Position des Patienten
Anordnung der Trokare
Optionen
Rückenlage Steinschnitt
Halbkreis W-Form
Transperitonealer Zugang
Keine
Exposition
Keine
des Extraperitoneums
Durchtrennung der A./V. ovarica Endoclips
Pelvine Lymphadenektomie
Standard erweitert
Kontrolle des Lig. umbilicale
Endo-GIA Hem-o-lock
Kontrolle der A. vesicalis
Ligasure Ultracision
Durchstechung
Keine
des dorsalen Veneplexus
Absetzten der Urethra
Verschlossen durch Katheter
Verschlossen durch Clip
Inzision der Vaginalvorderwand Keine
Kontrolle der Prostatapfeiler
Radikal Nervenschonend
Absetzten der Ureteren
Keine
Einsacken des Präparats
Mittels Bergebeutel
transabdominal transrektal
Bergen des Präparats
Minilaparotomie
Transvaginal Transrektal
Bewertung
Die laparoskopische radikale Prostatektomie (LRP) hat sich zunehmend als minimal-invasives Alternativverfahren zur offenen retropubischen radikalen Prostatektomie etabliert. Die Operationszeiten
1138 |
>65 Jahre [%]
33,3
42,9
18,0
37,3
Roboterassistierte LRP: Literaturübersicht
Autoren
Tab. 6
<55 Jahre [%]
36,4
77,8
36,7
69,0
Der Urologe 9 · 2006
Kommentar
Für alle weiblichen Patienten
Bei Ileumconduit
10-mm-Port (Urostoma)
Wie bei offener Operation
Wie bei offener Operation
Bei weiblichen Patienten
Möglichst erweitert
Nach Präferenz des Operateurs
Je nach Technik
Bei weiblichen Patienten
Je nach Indikation
Je nach Technik
der Harnableitung
n
237
308
84
114
nisse der Zentren mit durchlaufener Lernkurve und entsprechender Perfektion der
Technik auch für weitere Vorteile des laparoskopischen Vorgehens, wie eine höhere
Frühkontinenzrate [58, 67].
Roboterassistierte laparoskopische
radikale Prostatektomie
In den USA verdrängt inzwischen die roboterassistierte LRP den offenen Eingriff
(ca. 30% aller Behandlungen beim lokal
begrenzten Prostatakarzinom). Dies ist
im Wesentlichen bedingt durch die Tatsache, dass sich mit dem da Vinci-Gerät die
Lernkurve entscheidend verkürzen lässt
[1, 36]. Die Ergebnisse sind mit denen der
alleinigen LRP vergleichbar [1, 6, 12, 36, 37,
49], (. Tab. 5).
Obwohl in Deutschland der erste Eingriff mit da Vinci erfolgte [7], hat sich diese Technik v. a. aus Kostengründen bisher nicht durchgesetzt (Gerätekosten
1,2 Mio. EUR, Wartung 100.000 EUR/
Jahr, Instrumente 1500 EUR/Fall). Außerdem bestehen in Europa inzwischen auch
gute Trainingsprogramme zum Erlernen
der klassischen laparoskopischen Technik
[9, 24, 42, 59, 66, 70].
Pelvine Lymphadenektomie
Indikation
Periumbilikal, Unterbauchinzision pararektal bei weiblichen
Patienten bei Mainz-Pouch II
sind meist noch länger, die postoperative
Morbidität geringer und die funktionellen
und onkologischen Ergebnisse vergleichbar [54, 58, 62]. Zwar sind die Vorteile bezüglich der Morbidität nicht so eklatant
wie bei laparoskopischen Niereneingriffen [23, 33], dennoch sprechen die Ergeb-
Hier lassen sich 4 Indikationsbereiche unterscheiden [44, 45]: das Staging des Prostatakarzinoms, des Harnblasenkarzinom
und des Penis- bzw. Vulvakarzinoms.
Beim Prostatakarzinom kann die pelvine
Lymphadenektomie (limitiert/erweitert)
im Rahmen der LRP vor einer perinealen Prostatektomie bzw. Strahlentherapie
(perkutan, interstitiell) oder diagnostisch
als Salvage-Lymphadenektomie bei Ver-
Zusammenfassung · Abstract
dacht auf eine isolierte Lymphknotenmetastase nach radikaler Prostatektomie erfolgen [2, 15, 34, 40, 44, 45], (. Abb. 1).
Beim Harnblasenkarzinom wird die
pelvine Lymphadenektomie überwiegend
vor einer laparoskopischen radikalen Zystektomie und in seltenen Fällen zur diagnostischen Abklärung (vor Strahlentherapie) durchgeführt [22, 32, 57].
Beim Penis-/Vulvakarzinom kann sie
bei einem positiven computertomographischen Befund (Befall der parailiakalen
Lymphknoten) zur Diagnosesicherung
erfolgen, um dem Patienten die Morbidität einer inguinalen Lymphadenektomie
zu ersparen [45]. Selten ist die Exstirpation von pelvinen Lymphknotenmetastasen anderer solider Tumoren (Zervix, Seminom).
Technik
Auch hier ist sowohl ein trans- als auch
extraperitoneales Vorgehen möglich, wobei bei umfangreicher Lymphknotendissektion ein transperitoneales Vorgehen
wegen der besseren Exposition der Iliakalgefäße (Gefäßkreuzung) und dem minimalen Risiko einer Lymphozele vorteilhaft ist (. Tab. 1). Die Präparationstechnik ist hier vergleichbar dem offenen Vorgehen („split and roll“) mit Einsatz von Titan- oder Hemo-lock-clips.
Ergebnisse
Die Gleichwertigkeit der limitierten pelvinen Lymphadenektomie konnte schon
frühzeitig belegt werden [40]. Im Rahmen der radikalen Zystektomie ließ sich
die Dissektion auch auf das Gebiet der
parailiakalen, präsakralen und hypogastrischen Lymphknotenregionen erweitern [22]. Bezüglich der Komplikationsraten bestehen keine Unterschiede zur offenen Technik außer einer deutlich niedrigeren Lymphozelenrate im Fall eines
transperitonealen laparoskopischen Vorgehens. Technisch konnte auch eine Sentinel-Lymphknotendissektion mit laparoskopischen Detektionssonden realisiert
werden [15].
Urologe 2006 · 45:1135–1144 DOI 10.1007/s00120-006-1151-2
© Springer Medizin Verlag 2006
J. Rassweiler · D. Teber · J. de la Rosette · P. Laguna · V. Pansodoro · T. Frede
Laparoskopische Beckenchirurgie. Wo stehen wir im Jahr 2006?
Zusammenfassung
Die laparoskopische radikale Prostatektomie (LRP) gilt inzwischen als äquieffektives
Verfahren im Vergleich zum offenen retropubischen Eingriff mit den Vorteilen der minimal-invasiven Chirurgie und wird zunehmend in deutschen Kliniken eingesetzt. Unklar ist, ob sich hierfür der Operationsroboter da Vinci – ähnlich wie in den USA – durchsetzen wird, da einer breiten Anwendung die
hohen Anschaffungs- und Unterhaltkosten
gegenüber stehen. Auch die laparoskopische
Sakrokolpopexie zur Behandlung von massiver Zysto- bzw. Rektozele mit oder ohne
Stressinkontinenz gilt an Zentren als gleichwertiger Eingriff zur offenen transabdominellen bzw. transvaginalen Operation mit geringer Belastung für die Patientinnen.
Der Stellenwert der radikalen Zystektomie ist – trotz erwiesener Machbarkeit – um-
stritten. Einserseits führen die technischen
Schwierigkeiten bei rein laparoskopisch
durchgeführter Harnableitung zu langen
Operationszeiten, während beim laparoskopisch assistierten Vorgehen sich die Frage
nach dessen Vorteil im Vergleich zur primär
offenen Operation stellt. Andererseits deuten
die bisher vorliegenden onkologischen Ergebnisse mit Lokalrezidiven und Fernmetastasen in bis zu 30% zumindest auf eine unzureichende Patientenselektion hin. Das Verfahren sollte nur auf wenige Zentren beschränkt
bleiben.
Schlüsselwörter
Laparoskopie · Radikale Prostatektomie · Roboterassistierte Chirurgie · Radikale Zystektomie · Sakrokolpopexie
Laparoscopic pelvic surgery. Where do we stand in the year 2006?
Abstract
Laparoscopic radical prostatectomy has become an equivalent alternative to the open
retropubic approach, offering the advantages of minimally invasive surgery. It is being
applied increasingly in Germany and the rest
of Europe. Whether the surgical robot da Vinci will be used for this procedure to the same
extent as in the United States is unpredictable because of high investment and maintenance costs. Similarly, laparoscopic sacrocolpopexy has proven to be a viable option
compared to open transabdominal or transvaginal surgery, showing a significant reduction in postoperative morbidity.
The value of radical cystectomy is controversial despite proven feasability. On one
hand, the technical difficulties of purely laparoscopic urinary diversion result in very long
operating times, and in the case of the laparoscopically assisted creation of a neobladder, the advantage of this approach has to be
questioned. On the other hand, a maximum
rate of 30% of local recurrences and distant
metastases indicates at least poor patient selection. In conclusion, this procedure should
be limited to a few experienced centers.
Keywords
Laparoscopy · Radical prostatectomy · Robotic surgery · Radical cystectomy · Sacrocolpopexy
Der Urologe 9 · 2006
| 1139
Leitthema
Harnableitung aufgrund der Komplexität
und des Zeitaufwands zunehmend ein laparoskopisch assistiertes Vorgehen [11, 31,
32, 57]. Hierbei wird der erweiterte Bergungsschnitt zur Bildung des Urinreservoirs (Ileum-, Sigmaneoblase) oder Conduits genutzt, meist inklusive Implantation der Ureteren. Nach Verschluss der Inzision und erneuter Anlage des Pneumoperitoneums erfolgt die Harnröhrenanastomose mit endoskopischer Nahttechnik.
Ergebnisse
Abb. 1 9 PET-CTScan einer parailiakalen Lymphknotenmetastase 2 Jahre nach retropubischer radikaler Prostatektomie; entfernt durch sekundäre
Salvage-Lymphadenektomie
Stellenwert
Indikation
Mit dem Propagieren einer erweiterten
Lymphknotendissektion beim Prostatakarzinom hat der Stellenwert der laparoskopischen pelvinen Lymphadenektomie
vor perinealer radikaler Prostatektomie
oder Strahlentherapie zugenommen [34].
Die Dissektion aller relevanten Bereiche
konnte auch im Rahmen der laparoskopischen radikalen Zystektomie demonstriert werden [22, 32, 57, 73]. Insofern kann
dies nicht als Mangel der LRP angeführt
werden, sondern im Gegenteil mit zunehmender Erfahrung erweitert sich der Indikationsbereich der laparoskopischen pelvinen Lymphadenektomie (. Abb. 1).
Analog zum offenen Eingriff stellt – abgesehen von seltenen benigen Indikationen
(Schrumpfblase, interstitielle Zystitis) –
das muskelinvasive Urothelkarzinom die
Hauptindikation zur laparoskopischen
Zystektomie mit Harnableitung dar. Prinzipiell sollte man hier von einem kurativen Therapiekonzept ausgehen [57].
Radikale Zystektomie
Erste Berichte einer laparoskopischen radikalen Zystektomie stammen schon aus
den Jahren 1992 [41] und 1995 [43], eine
breitere Anwendung fand die Technik allerdings erst nach Etablierung der LRP [3,
5, 10, 13, 16, 31, 32, 57, 64].
1140 |
Der Urologe 9 · 2006
Technik der Zystektomie
Wie beim offenen Vorgehen sind sowohl
eine Zystoprostavesikulektomie beim
Mann als auch eine vordere Exenteration
mit Ovarektomie und Hysterektomie bei
der Frau möglich (. Tab. 6). Außerdem
wurde schon die nervenschonende bzw.
prostataerhaltende (mit vorangegangener
TUR, Adenomektomie) Zystektomie beschrieben [3, 26].
Technik der Harnableitung
Auch wenn rein laparoskopische Techniken für Ileumconduit, Mainz-Pouch II,
Ileum- und Sigmaneoblase realisiert werden konnten [16, 31, 57, 72], erfolgt bei der
In der Zwischenzeit liegen weltweit kurz
bis mittelfristige Ergebnisse von >500 Patienten vor. Ein Großteil dieser Daten wird
im Rahmen einer internationalen Studie
erfasst. Außerdem existieren 2 italienische
Multicenterstudie sowie eine Literaturübersicht über 237 Patienten (. Tab. 7).
Abhängig von der Art der Harnableitung und des operativen Vorgehens (laparoskopisch assistiert) liegen die Operationszeiten im Mittel zwischen 6 und 10 h,
wobei für Zystektomie und erweiterte pelvine Lymphadenektomie zwischen 3 und
4 h benötigt werden (. Tab. 8, 9). In der
internationalen Studie wurden in 54% eine Ileumneoblase und in 38% ein Ileumconduit eingesetzt. Die Rate intraoperativer Komplikationen und Konversionen
ist angesichts der Erfahrung der Operateure relativ gering (internationale Studie
8%). Demgegenüber sind die Raten postoperativer (24%) und verzögerter Komplikationen (16%) nicht zu vernachlässigen.
Auch liegt der mittlere stationäre Aufenthalt mit 13 (3–60) Tagen weit von den Daten nach radikaler Prostatektomie entfernt.
Bezüglich onkologischer Langzeitergebnisse existieren noch wenige Daten [14, 31, 57, 64], (. Tab. 10). Die vergleichsweise hohe Rate an Lymphknotenmetastasen (14–17%) und der hohe Anteil an T3/4-Tumorstadien spiegelt die
sicherlich nicht ideale Patientenselektion in diesen Serien wieder. Dementsprechend finden sich in den wenigen Studien mit bisher maximal 5-jähriger Erfahrung Lokalrezidivraten und Fernmetastasen bis 15% bzw. 30% (. Tab. 10). Die rezidivfreien Überlebensraten liegen bei 55–
70%. Zwar ist in den größeren Serien noch
nicht über Portmetastasen berichtet wor-
Tab. 8
Jahr
1995
1995
2002
2002
2003
2003
2004
2004
2005
Laparoskopische radikale Zystektomie mit Ileumconduit: Literaturübersicht (mod. nach Rassweiler et al. 2005)
Autor
Puppo
Sanchez de B.
Gill
Peterson
Popken
Hoepffner
van Velthoven
Sakakibara
Rassweiler
Gesamt
n
4
1
12
1
5
10
13
11
6
64
Operationszeit [h]
6–8
8
7–8
7
5–6
6
5−7
7–9
6−7
den, es liegen jedoch schon erste Kasuistiken vor [19]. Bekanntermaßen besteht
beim Transitionalzellkarzinom ein höheres Risiko für Portmetastasen [50, 53].
Dies hat sich zwar im Falle der laparoskopischen Nephroureterektomie nicht negativ auf die onkologischen Langzeitergebnisse ausgewirkt, es stellt jedoch zusätzlich Anforderungen an eine korrekte Indikationsstellung und technische Durchführung der laparoskopischen radikalen
Zystektomie (Non-touch-Verfahren, adäquate Organbergung).
Laparoskopisch assistiert
Ja
Ja
Nein
Ja
Ja/nein
Ja/nein
Ja
Ja
Ja/nein
Revision
2
-1
3/64 =4.7%
Burch sich angesichts weniger invasiver
Techniken (TV, TOT) nicht durchsetzen konnte [47], wird die laparoskopische
Sakropexie zunehmend eingesetzt [2, 61,
69, 76].
In der Tat stellte die Erfahrungen von
Gaston mit dieser Technik, die Grundlage für die Entwicklung der laparoskopischen radikalen Prostatektomie dar.
Entsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass die größten Serien aus Frankreich stammen.
F die präsakrale Präparation zur Darstellung des Promontoriums,
F die Fixation des/der Netze an der Vagina sowie am Promontorium (mit
rechtsseitigem durchführen des vorderen Netzes durch das Lig. latum bei
vorhandenem Uterus),
F die zusätzliche Kolposuspension im
Sinne eines Burch-Verfahrens am
Couper-Ligaments und
F die abschließende Retroperitonealisierung der Netze.
Technik
Die Vorteile der zusätzlichen Kolposuspension liegen neben der Behandlung ei-
Stellenwert
Zwar konnte die technisch sichere Durchführung der laparoskopischen radikalen
Zystektomie belegt werden, die Vorteile
der laparoskopisch assistierten Harnableitung sind bisher noch nicht gesichert [5,
11, 57]. Außerdem weisen die bisherigen
onkologischen Daten auf die bekannte
Aggressivität des Urothelkarzinoms hin
(. Tab. 10). Hier sind langfristige Vergleichstudien absolut erforderlich, um die
Gleichwertigkeit mit dem offenen Vorgehen zu dokumentieren. Solange sollte das
Verfahren nur auf einzelne Zentren beschränkt bleiben.
Laparoskopische Sakrokolpopexie
Die Technik der sakralen Fixation der Vagina zur Korrektur des genitalen Prolapses
(Promontofixation) stammt aus dem Jahre 1889, wobei sowohl ein transperitoneales als auch transvaginales Vorgehen beschrieben wurden. Im Jahre 1994 wurde
die laparokopische Sakropexie von den
Gynäkologen Dorsey [18] und Nezhat [39]
vorgestellt. Während der laparoskopische
Komplikationen
Keine
Nervenläsion (n=1)
Ileus (n=1), Sepsis (n=1)
Keine
Keine
Sepsis(n=1)
Rektumläsion (n=1)
Ileus (n=4), Urinleakage (n=2)
Urinleakage (n=1) Kolonläsion (n=1)
12/64 =18,7%
Analog zum offenen Vorgehen ist eine exakte präoperative Diagnostik mit Abklärung des Ausmaßes von Zystozele, Hysterozele und Rektozele sowie einer möglichen Stressinkontinenz. Das Verfahren kann auch bei vorhandenem Uterus
durchführt werden (abgesehen von der
Adhäsiolyse).
Das Prinzip der transabdominellen sakralen Kolposuspension besteht in der Fixation der vaginalen Vorder- und Hinterwand mittels eines nicht-resorbierbaren
Netzes (Prolene, Gortex, Marlex) am Promontorium. Zur (prophylaktischen) Korrektur einer assoziierten (latenten) Stressinkontinenz kann entweder eine TVT
oder ein Burch-Verfahren in gleicher Sitzung erfolgen [2, 61, 76]. Dementsprechend kann das Verfahren in folgende Abschnitte unterteilt werden:
F Die anteriore Dissektion mit Freilegung des Spatium retzii und Darstellung der vaginalen Vorderwand (vesikovaginaler, vesikoureteriner Raum),
F die posteriore Dissektion mit Präparation der vaginalen Hinterwand
(rektovaginaler Raum),
Leitthema
Tab. 9
Laparoskopische radikale Zystektomie mit kontinenter Harnableitung: Literaturübersicht (mod. nach Rassweiler et al. 2005)
Jahr
99
01
02
02
Autor
Denewer
Türk
Abdel-Hakim
Gill
n
10
11
8
3
Operationszeit [h]
8–10
7–8
7–12
8–12
Harnableitung
Mainz II
Mainz II
Ileumneoblase
Ileumneoblase
Laparoskopisch assistiert
Ja
Nein
Ja
Nein
Revision
n.a.
1
0
0
02
03
03
03
03
Chiu
Gaboardi
Paulhac
Hoepffner
Goharderakh.
1
6
1
25
25
8,5
6–8
7,5
7
n.a.
Ileumneoblase
Ileumneoblase
Ileumneoblase
Ileumneoblase
Ileumneoblase
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
0
0
0
1
3
03
03
03
03
03
Vallancien
Popken
Guazzoni
Liu
van Velthoven
20
41
3
5
15 2
4–6
6–7 7
7−8
7
7–9 7–8
Ileumneoblase
Ileumneoblase Mainz II
Ileumneoblase
Sigmaneoblase
Ileumneoblase Mainz II
Ja
Ja nein
Ja
Ja
Ja/nein ja/nein
n.a.
0
0
0
0
04
Deger
20
8–9
Mainz II
Nein
2
05
Arroyo
25
5
Ileumneoblase
Ja/nein
0
05
Rassweiler
23
8 9−11
Ileumneoblase
Sigmaneoblase
Ja nein
1
TOTAL
n.a. nicht angegeben.
Tab. 10
190
8/190 4,2%
Laparoskopische radikale Zystektomie: onkologische Daten
Kriterien
Beobachtungszeit [Monate]
Pathologische Stadien [%]
pT0/Ta
pT1/is
pT2
pT3
pT4
pN+
Rezidivrate [%]
Lokal
Systemisch
Portmetastasen
Überlebensrate [%]
Gesamt
Spezifisch
Rezidivfrei
Internationale Studie
(n=308)
18
Italienische Studie
(n=114)
24
Norditalien-Studie
(n=84)
16
12
11
35
31
11
17
12
8
37
28
12
15
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
10
7
-
12
18
-
9
21
-
80
94
n.a.
66
n.a.
63
79
n.a.
70
ner assoziierten Stressinkontinenz in der
Anhebung der Vaginalvorderwand, allerdings beinhaltet dies auch eine höheres
Risiko einer Rektoenterozele, sofern nur
1142 |
Der Urologe 9 · 2006
eine anteriore Fixation durchgeführt wird
[75].
Komplikationen
n.a.
Pouchfistel (n=2)
Thrombose (n=1)
Vaginalfistel (n=1)
GI-Blutung (n=1)
Urinleakage (n=1)
Hautfistel (n=1)
Blutung (n=2), Sepsis
(n=3), Urinleakage (n=3)
n.a.
n.a.
Ileus (n=3),
Harnverhalt (n=1)
Urinleakage (n=1)
Vaginalfistel (n=1)
Neoblasenfistel (n=1)
Lymphozele (n=1), Ileus
(n=1), Porthernie (n=1)
Blutung (n=1)
Anastomosenenge (n=1)
Ureterenge (n=1)
22/190 11,5%
Ergebnisse
Die Operationszeiten liegen im Mittel
zwischen 97 und 261 min, wobei in etwa
3% zum offenen Eingriff konvertiert werden mussten. Postoperative Komplikationen (7,5%) beinhalten Darmläsionen,
-einklemmungen, Netzinfektionen, Spondylodiszitis und vaginale Erosionen. Die
Rezidivrate lag abhängig von der Erfahrung der Zentren zwischen 4 und 25% [2,
61, 69, 76].
Stellenwert
Wie auch bei der offen-operativen Korrektur sollte auch die laparoskopische Sakrokolpopexie nur an Zentren erfolgen.
Die Erfahrung mit der LRP prädestiniert
urologische Zentren, wobei die Umsetzung aller operativen Prinzipien möglich
ist. Vorteile der Laparoskopie liegen im
Erhalt der anatomischen Strukturen (z. B.
Lig. rotundum). Vergleichsstudien fehlen
allerdings bisher.
Fazit für die Praxis
Betrachtet man die gewaltige Entwicklung der laparoskopischen Beckenchirurgie mit der Etablierung von Techniken,
die vor kurzem noch als nicht realisierbar erschienen, so muss man davon ausgehen, dass sich dieser Trend fortsetzen
wird. In allen Bereichen hat die Laparoskopie auch die offenen Operationstechniken stimuliert. Auch wenn zzt. der Kostenaspekt der roboterassistierten Laparoskopie noch sehr im Vordergrund
steht, wird sich diese Technologie langfristig – wie bereits schon heute in den
USA – auch hier in Deutschland durchsetzen. Allerdings wird hierbei (hoffentlich) weiterhin die Qualifikation des Operateurs über der des Roboters gesetzt
werden.
Korrespondierender Autor
Prof. Dr. J. Rassweiler
Urologische Klinik, SLK-Kliniken Heilbronn,
Akademisches Lehrkrankenhaus
der Universität Heidelberg,
Am Gesundbrunnen 20, 74074 Heilbronn
jens.rassweiler@slk-kliniken.de
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der Inhalte produktneutral.
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