Handbuch
Deutsch als Fachund Fremdsprache
Ein aktuelles Handbuch zeitgenössischer Forschung
Herausgegeben von
Michael Szurawitzki und Patrick Wolf-Farré
Die frei zugängliche Open-Access-Publikation des vorliegenden Titels wurde mit Mitteln des
Publikationsfonds der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, des Karl. J. R. Arndt Publication Fund
der Society for German-American Studies, des Open-Access-Publikationsfonds der Universitätsund Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Halle/Saale) sowie der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen
Fakultät der Universität Wien ermöglicht.
ISBN 978-3-11-069025-5
e-ISBN (PDF) 978-3-11-069027-9
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069029-3
DOI https://doi.org/10.1515/9783110690279
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© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, Zusammenstellung © 2024 Michael Szurawitzki
und Patrick Wolf-Farré, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston. Dieses Buch
ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.degruyter.com.
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Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
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Vorwort
Der Bereich Deutsch als Fremdsprache richtet seine Aufmerksamkeit neben sprachdidaktischen und kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten spätestens seit dem Millenniumswechsel in einem immer stärkeren Maße auf die berufliche Kommunikation
in Handwerk und Technik, Bildung und Wissenschaft sowie Politik und Institutionen.
Die Themenbereiche sind dabei ausgesprochen vielfältig und werden immer tiefer
wie breiter wissenschaftlich bearbeitet. Deutsch als Fremdsprache ist inzwischen ein
eigenes, mitunter gar nicht einmal mehr so kleines akademisches Fach.
Vor diesem Hintergrund sind zwei Maßnahmen von größerer Bedeutung geworden: Zum einen wurde es erforderlich, ein eigenes Publikationsforum für Einzelschriften und Sammelbände einzurichten, in dem Arbeiten zu Deutsch als Fremdsprache
und Deutsch als Fachsprache erscheinen und somit einmal mehr zur Konstituierung
eines spezifischen Forschungskontextes und Forschungskotextes beitragen. Zum anderen ist die Zeit inzwischen reif für ein umfangreiches Handbuch – ein Handbuch, in
welchem die wesentlichen Strömungen und wichtigsten Ergebnisse aus beiden Bereichen zusammengeführt und aufeinander bezogen werden und das somit als ein echtes Referenzwerk dient.
Das vorliegende Handbuch „Deutsch als Fach- und Fremdsprache“ erfüllt diesen
Anspruch in besonderem Maße: In rund sechzig Beiträgen meist namhafter Autorinnen und Autoren werden mit theoretischen Aspekten, historischer Dimension, allgemeinen sprachlichen Charakteristika, didaktischen Perspektiven, Textsorten und Kommunikationsformen, fachlichen Disziplinen sowie internationalen Perspektiven sieben
Schwerpunkte ausgemacht und beleuchtet. Das Handbuch spiegelt den aktuellen Stand
der Forschung wider und kann gleichermaßen als Ausgangs- und Bezugspunkt für
weitere wissenschaftliche Arbeiten wie auch als Werk zur Orientierung und zum Nachschlagen in Lehre und Studium dienen.
Das Handbuch „Deutsch als Fach- und Fremdsprache“ war ursprünglich als Eröffnungsband für die gleichnamige Reihe vorgesehen, die von uns vor Kurzem beim
Verlag de Gruyter gegründet wurde. Nachdem sich indessen beide Projekte verselbständigt haben, erscheint es nun bei de Gruyter Reference. Als Herausgeber der Reihe
„Deutsch als Fremd- und Fachsprache“ freuen wir uns über das Erscheinen des Handbuches unter dem gleichen Namen, danken seinen beiden Herausgebern, Michael
Szurawitzki und Patrick Wolf-Farré, für die unermüdliche Arbeit an diesem schönen
und wichtigen Projekt und wünschen dem Werk ein breites Lesepublikum sowie eine
gute Aufnahme und einen großen Erfolg.
Erfurt und Berlin, im Frühjahr 2023
Csaba Földes und Thorsten Roelcke
Open Access. © 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110690279-202
Dieses Werk ist
Inhalt
Vorwort
Einleitung
V
1
Theoretische Aspekte
Christiane Andersen
Wissenschaftliche Denkstile im Deutschen als Fach- und Fremdsprache
Thorsten Roelcke
Binnen- und mehrsprachliche Fachsprachengliederungen
Karolina Suchowolec
Fachkommunikative Modelle
Peter Ernst
Fachkommunikative Pragmatik
Thorsten Roelcke
Fachkommunikative Effizienz
7
23
39
55
69
Historische Dimension
Kerstin Roth
Geschichte des Deutschen als Fach- und Fremdsprache I: Mittelalter
81
Sebastian Seyferth
Geschichte des Deutschen als Fach- und Fremdsprache II: Von der Frühen Neuzeit
97
bis 1900
Jörg Roche
Deutsch als Fach- und Fremdsprache im 20. Jahrhundert
Nikolas Koch und Claudia Maria Riehl
Deutsch als Fach- und Fremdsprache: Aktuelle Tendenzen
113
127
VIII
Inhalt
Allgemeine sprachliche Charakteristika
Klaus-Dirk Schmitz
Grundlagen der Terminologiearbeit
151
Erwin Tschirner
Lexik des Deutschen als Fach- und Fremdsprache
173
Lesław Cirko
Morphologie des Deutschen als Fach- und Fremdsprache
Mikaela Petkova-Kessanlis
Stilistik des Deutschen als Fach- und Fremdsprache
187
201
Wilhelm Grießhaber
Profilanalyse
217
Steffen Pappert
Textualität
233
Susanne J. Jekat
Barrierefreie Kommunikation
249
Roger Fornoff
Fachsprachliche Kommunikation im Kontext von Migration
Didaktische Perspektiven
Birgitta Meex
Technikkommunikation und Didaktik im Deutschen
Cordula Meißner
Fachsprachliche Textroutinen im Deutschen
305
Inger Petersen
Fachsprachliche Schreibkompetenz im Bereich DaFF
Gabriele Kniffka
333
Scaffolding
285
319
265
IX
Inhalt
Bettina M. Bock
Das Spannungsfeld „Leichte Sprache“ – Fachsprache
Michael Schart
CLIL – fach- und sprachintegrierter Unterricht
349
367
Anja Binanzer, Heidi Seifert und Verena Wecker
Bildungssprache – Eine Bestandsaufnahme empirischer Zugänge
379
und Evidenzen
Uwe Koreik
Fachsprachen und Landeskunde
405
Ksenia Masalon und Hülya Yildirim
Testen und Prüfen im Bereich Deutsch als Fach- und Fremdsprache
421
Fachsprachliche Textsorten und Kommunikationsformen
auf Deutsch
Winfried Thielmann
Schriftliche und mündliche Wissenschaftskommunikation im Kontext von Deutsch
441
als Fach- und Fremdsprache
Ines-A. Busch-Lauer
Das Abstract im Kontext von Deutsch als Fach- und Fremdsprache
463
Birgit Huemer
Die Hausarbeit im Kontext von Deutsch als Fach- und Fremdsprache
479
Matthias Meiler
Wissenschaftliche Blogs im Kontext von Deutsch als Fach493
und Fremdsprache
Arne Krause
Die Vorlesung im Kontext von Deutsch als Fach- und Fremdsprache
Lisa Rhein und Ute Henning
Die Präsentation im Kontext von Deutsch als Fach- und Fremdsprache
Karl-Hubert Kiefer
Werkstattgespräche und Deutsch als Fach- und Fremdsprache
539
509
523
X
Inhalt
Manuel Wille
Populärwissenschaftliche Vermittlungstexte
Annely Rothkegel
Technische Kommunikation
547
563
Hartwig Kalverkämper
Fachsprachliche Gebrauchstexte
579
Almut Schön
Zur Arzt-Patienten-Kommunikation als Experten-Laien-Kommunikation im Kontext
611
von Deutsch als Fach- und Fremdsprache
Paweł Szerszeń, Przemysław Wolski und Christian Efing
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in digitalen Technologien
Jörg Roche
Berufssprache Deutsch
627
645
Hartwig Kalverkämper
Deutsch als fachbezogene Fremdsprache (DaFF) für das Fernstudium
661
Disziplinen
Winfried Thielmann
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in den Natur685
und Technikwissenschaften
Eglė Kontutytė
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in den Sozial- und
701
Geisteswissenschaften
Jan Engberg und Almut Meyer
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in den Rechtswissenschaften
Internationale Perspektiven
Magnus P. Ängsal
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Nordeuropa
737
719
Inhalt
Liubov Patrukhina und Sabine Diao-Klaeger
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Frankreich
753
und der frankophonen Welt
Gabriella Carobbio und Tiziana Roncoroni
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Italien
Lesław Cirko
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Polen
779
795
Csaba Földes
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Ungarn
807
Lyubov Nefedova
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in der Russischen Föderation
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Nordafrika
841
Jean-Claude Bationo
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Subsahara-Afrika
859
Marianne Zappen-Thomson
Deutsch als Fach- und Fremdsprache im südlichen Afrika
881
Vibha Surana
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Indien
895
Michael Szurawitzki, Yuan Li und Di Pan
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in China
911
Hideaki Takahashi
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Japan
933
Per Urlaub, John Benjamin und Alexander Lorenz
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in den USA
949
Karen Pupp Spinassé
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Brasilien
965
Patrick Wolf-Farré
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Lateinamerika
973
823
XI
XII
Inhalt
Tristan Lay und Diana Feick
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Australien und Neuseeland
Sachregister
1003
987
Tristan Lay und Diana Feick
Deutsch als Fach- und Fremdsprache
in Australien und Neuseeland
Zusammenfassung: Das vorliegende Kapitel widmet sich dem Lehren und Lernen
des Deutschen als Fremd- und Fachsprache (DaFF) in Australien und Neuseeland. Vor
dem Hintergrund sprachpolitischer, geopolitischer, sozioökonomischer und einwanderungsbedingter Einflussfaktoren, die das Fremdsprachenlernen in der maritimen
Pazifikregion wesentlich mitbestimmen, wird der gegenwärtige Diskussions- und Entwicklungsstand zu DaFF überblicksartig nachgezeichnet. Die institutionellen und curricularen Rahmenbedingungen des DaF-Unterrichts im Kontext von Schule, Hochschule
und Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie gegenwärtige Herausforderungen in
diesen Bereichen bilden die Schwerpunkte der Betrachtungen. Weiterhin wird auf aktuelle Tendenzen im Bereich Deutsch als Fachsprache im Rahmen des Studiengangs German (Studies) eingegangen. Abschließende Beobachtungen und Überlegungen zur künftigen Entwicklung von DaFF in Australien und Neuseeland runden den Beitrag ab.
Schlagwörter: Australien, Neuseeland, Deutsch als Fremdsprache, Deutsch als Fachsprache, German (Studies)
1
2
3
4
5
Situation des Deutschen in Australien und Neuseeland
Deutsch als Fremdsprache im Bildungssektor
Deutsch als Fachsprache
Ausblick: Herausforderungen, Chancen und Perspektiven
Literatur
1 Situation des Deutschen in Australien
und Neuseeland
Australien und Neuseeland gehören zu den traditionellen Einwanderungsländern
Ozeaniens, sodass die deutsche Sprache in dieser Region auf eine mehr als hundertachtzigjährige Geschichte zurückblickt. Die Pazifik-Region ist zudem durch die deutsche Kolonialzeit von 1884–1914 u. a. im heutigen Papua-Neuguinea, Teilen Mikronesiens und Samoa geprägt (McBryde 1993).
Im Zuge der europäischen Einwanderung des 19. und 20. Jahrhunderts kamen
auch Zuwanderer aus dem deutschsprachigen Raum nach Australien und Neuseeland,
die nicht nur zu einer veränderten demografischen Struktur beitrugen, sondern über
mehrere Generationen hinweg die ethnolinguistische Sprach- und Kulturlandschaft
beider Länder bereicherten. Auch wenn in Australien Einwanderungen in andere Bundesstaaten erfolgten (z. B. Queensland, Victoria und New South Wales), gehört South
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Tristan Lay und Diana Feick
Australia zum wichtigsten Standort und Zeugnis deutscher Emigrationsgeschichte. Hierhin emigrierten 1838 knapp 600 fromme Lutheraner (und kulturelle Mediatoren), um
ihren Glauben weiter leben zu können. In Neuseeland stellten deutsche Einwanderer
die größte europäische Gruppe nach den Briten dar (Bade 1993), wobei Siedlungen
wie das deutschböhmische Puhoi noch heute von großem Interesse für die historische
Sprachkontaktforschung sind (Heimrath 2021, Wildfeuer 2021).
Im multiethnischen Australasien des 21. Jahrhunderts verliert die deutsche Sprache jedoch sukzessive an Boden. Dies ist zum einen dem anglophonen „monolingual
mindset“ (Clyne 2005) geschuldet, indem die Nationalsprache (und internationale Verkehrssprache) Englisch nicht nur weite Teile des öffentlichen Lebens dominiert, sondern auch die Einstellungen zu Mehrsprachigkeit grundsätzlich beeinflusst. Ähnlich
wie in anderen (traditionell) anglophonen Ländern des Commonwealth, ist sowohl
das gesellschaftliche als auch das individuelle Interesse an Fremd- und Zweitspracherwerb eher schwach ausgeprägt (Lanvers et al. 2021). Selbst wenn heutzutage das Lehren und Lernen fremder Sprachen in Australasien im Wesentlichen positiv bewertet
wird, reichen in der Gesamtwahrnehmung vieler Australier und Neuseeländer Englischkenntnisse nicht nur für die alltägliche, sondern auch für die internationale Kommunikation völlig aus – oder zumindest entsteht der Eindruck, dass nationale Interessen, die Fremdsprachenkenntnisse erfordern, durch (neu zugewanderte) Personen
mit Migrationshintergrund abgedeckt und bedient werden können. Bildungsreformen
im Schul- und Hochschulsektor trugen und tragen zum einen dazu bei, das Lehren
und Lernen fremder Sprachen zu schwächen (vgl. dazu East 2021, Mason/Hajek 2021,
Schmidt 2015). Zum anderen legen aktuelle Entwicklungen nahe, dass der Gebrauch
insbesondere asiatischer, arabischer, indischer und pazifischer Sprachen im familiären Kontext kontinuierlich zunimmt 1 und damit auch Auswirkungen auf die Präsenz
des Deutschen als Erstsprache (L1) hat: Während in Australien bei der Volkszählung
2011 das Deutsche in der Familie mit 80.366 Sprechern noch zu den wichtigsten Herkunftssprachen gehörte, wird die deutsche Sprache im Zensus 2016 nicht mehr in den
Top 10 aufgeführt, obwohl die Abnahme über den Fünfjahreszeitraum „nur“ minus
1018 betrug (2011: 80.371; 2016: 79.353). Die Verdrängung des Deutschen aus deutschaustralischen/neuseeländischen Haushalten führt häufig zu einem Sprachenwechsel
zugunsten des Englischen (Hunt/Davis 2019, Wohlfahrt 2017). Einen ähnlichen Abwärtstrend verzeichnet das Deutsche in Neuseeland (Zensus 1996: Platz 4, 2013: Platz 6, 2018:
Platz 7), wobei es dennoch stabil zu den zehn meistgesprochenen nicht offiziellen
Sprachen zählt und in absoluten Sprecherzahlen gemessen kontinuierlich steigt (1996:
30.501; 2013: 36.645; 2018: 41.844; Buckingham 2021).
Neben der Schul- und Bildungspolitik (vgl. Abschnitt 2) spielen regionale und
wirtschaftliche Interessen eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Pazifikregion,
1 Vgl. für Australien https://profile.id.com.au/australia/language#:~:text=Overall%2C%2072.0%25%20of
%20the%20population,using%20this%20language%20at%20home (letzter Zugriff 12. 02. 2024), für Neuseeland Buckingham 2021.
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die durch die mächtige Präsenz Großchinas (Festlandchina, Hongkong, Macau, Taiwan, Singapur) maßgeblich beeinflusst wird. Der asiatische Handelsmarkt im Allgemeinen und die bilateralen Handelsbeziehungen zwischen Australien/Neuseeland und
der Volksrepublik im Besonderen sind von immenser Bedeutung, sodass Fremdsprachenlernen hier stets im Kontext von geopolitischen, hochschulpolitischen, sozioökonomischen aber auch einwanderungsbedingten Faktoren betrachtet werden muss. Mit
dem gegenwärtigen sprachpolitischen Trend zur Förderung von Asia Literate Schooling in the Asian Century (so der Titel des von Christine Halse 2015 herausgegebenen
Sammelbands), das offiziell in Form von White Papers (z. B. Australia in the Asian
Century, White Paper 2012) als Instrument der regierungsamtlichen australischen Öffentlichkeitsarbeit disseminiert wird, wächst innerhalb der Bevölkerung nicht nur
das Bewusstsein eines unabdingbaren Wissens und einer Basiskompetenz in Asia literate als Schlüsselqualifikation, sondern auch die ohnehin schon sehr starke Konkurrenz des Deutschen zu ostasiatischen Sprachen, wie Hochchinesisch (Mandarin), Japanisch oder Koreanisch. Deren Sprecher sind in den Großstädten nicht nur in aktiven
Diasporagemeinden organisiert, auch ihre Herkunftssprachen sind in der Sprachlandschaft (linguistic landscape) des öffentlichen Raums, innerhalb studentischer Vereinigungen oder in der australischen/neuseeländischen Populärkultur präsenter als europäische Sprachen (vgl. Chik et al. 2019). Fremdsprachenlernende vieler asiatischer
Sprachen haben vor Ort die Möglichkeit, mit Gleichaltrigen nicht nur Freundschaften, sondern bei Bedarf auch Lernpartnerschaften zu schließen, um Fremdsprachenkenntnisse im gesellschaftlichen Miteinander mit Peers zu erweitern. Diesen Motivationsschub bietet das Deutsche kaum, deren Sprecher im Vergleich über eine relativ
schwach ausgeprägte Gruppenidentität und -sichtbarkeit verfügen (vgl. BönischBrednich 2002; Hunt/Davis 2019, 167), insgesamt eher unauffällig in der Öffentlichkeit 2 auftreten und so Kontaktmöglichkeiten für potenzielle und interessierte Fremdsprachenlernende erschwert werden.
Nicht minder wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass das Reisen in die jeweiligen asiatischen „Nachbarländer“ weniger umständlich und mit weitaus niedrigeren
Kosten verbunden ist. Die Nutzung des Deutschen als Fremdsprache vor Ort ist im
australisch-neuseeländischen Kontext hingegen (fast) ausschließlich auf institutionelle Zusammenhänge (z. B. Bildungseinrichtungen oder Firmen mit Deutschbezug) begrenzt. Dennoch existieren im Zeitalter der Digitalisierung mediale und technologische Alternativen (z. B. die australische öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft
Special Broadcasting Service (SBS) mit ihrem umfangreichen deutschsprachigen Angebot in der Sektion SBS German), die nicht nur das Eintauchen und Vertiefen in die
deutsche Sprache, Kultur und Geschichte erleichtern, sondern auch die Kommunika-
2 Eine bemerkenswerte Ausnahme hinsichtlich der Sichtbarkeit des Deutschen bildet die Textsorte
der Sticker in der städtischen Sprachlandschaft, für die Brown/de Pont (2021) einen höheren Anteil
deutschsprachiger als nichtenglischsprachiger Aufkleber im öffentlichen Raum von Aucklands Zentrum dokumentierten.
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Tristan Lay und Diana Feick
tion mit Sprechern aus DACHL-Ländern ermöglichen (z. B. Feick/Knorr 2021). Eine
synchrone Kommunikation in der Fremdsprache Deutsch wird jedoch durch die extremen Zeitzonenunterschiede beider Hemisphären sowie bisweilen voneinander abweichenden Schul- bzw. Semesterferien zusätzlich erschwert.
Andere Sprachen als Englisch (Languages Other Than English, LOTE) werden in
Australien und Neuseeland prototypisch in unterschiedliche Rubriken kategorisiert,
wobei es gelegentlich zu Überschneidungen in der Nomenklatur kommt:
– Strategic languages (oder: languages of national importance for tourism and trade)
aus dem europäischen oder asiatischen Kulturraum mit einer genuin strategischen
Ausrichtung (dazu gehören v. a. Mandarin, Japanisch, Koreanisch, Indonesisch),
– academic oder international languages aus dem europäischen Kulturraum, die als
Bildungssprachen wahrgenommen werden z. B. Französisch, Deutsch oder Spanisch, sowie
– community/heritage languages, die vornehmlich in Familien und Gemeinschaften
gesprochen und zusätzlich in indigene Sprachen (Australian indigenous languages, Te Reo Māori) und Migrantensprachen (immigrant origin community languages) untergliedert werden (z. B. Samoanisch, Hindi, Italienisch, Neugriechisch,
Kantonesisch, Vietnamesisch usw.).
Angesichts der bestehenden definitorischen Begriffsunschärfe lässt sich die deutsche
Sprache je nach Kontext und sprachpolitischer Zielsetzung sowohl in academic/international als auch in community/heritage languages verorten. Somit besitzt das Deutsche in der Region nicht nur als Fremd-, sondern auch als Herkunftssprache eine
gewisse Relevanz. Als Gemeinschaftssprache wird es vereinzelt durch eigene Schulen
(nur in Australien, so z. B. in Adelaide: The School for the German Language), deutschsprachige Spiel- und Krabbelgruppen, lokale Vereine oder kulturelle Zentren gefördert. Im formalen Bildungskontext vermischt sich die formale Trennung in Deutsch
als Herkunfts- und Bildungssprache jedoch wieder (v. a. in Neuseeland), da Personen
mit Deutsch als Herkunftssprache z. T. aus Mangel an zielgruppenspezifischen Alternativen meist in für Fremdsprachenlernende konzipierte Bildungsangebote integriert
werden (z. B. durch die Te Kura Distance School in Neuseeland) (s. Abschnitt 2.1).
2 Deutsch als Fremdsprache im Bildungssektor
Aktuelle Zahlen, die die Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (StADaF)/
Netzwerk Deutsch/Auswärtiges Amt 3 im Fünfjahresrhythmus für den DaF-Kontext erhebt, lassen eine rückläufige Entwicklung der Lernerzahlen in der Region erkennen
3 StADaF 2003 (Erhebung: 2000); StADaF 2006 (Erhebung 2005); Netzwerk Deutsch 2010; Netzwerk
Deutsch 2015; Auswärtiges Amt 2020.