Telefonbuch
Beiträge zu einer Kulturgeschichte
. des Telefons
Herausgegeben von Stefan Münker
und Alexander Roesler
Im Gegensatz zu seiner objektiven Bedeutung spielt das Telefon im theoretischen Bewußtsein bislang nur eine Nebenrolle. Es ist so stark in unser
Alltagsleben integriert, daß es schlechterdings selbstverständlich geworden ist: Gerade sein zunehmend exzessiver Gebrauch, das zeigt das Beispiel des Handys, läßt das »Telefon« als Medium in den Hintergrund
treten.
sondern zugleich das am
Damit ist das Telefon nicht nur das L・エウァゥャ¦ヲオ。ョセ
meisten unterschätzte Kommunikationsmittel der Gegenwart. In einer
Zeit, in der die kulturwissenschaftliche Reflexion auf die uns umgebenden
elektronischen Technologien von immer grundlegenderer Bedeurung
wird, ist es aber unentschuldbar, dem Telefon als dem Zentralmedium
seine Aufmerksamkeit zu verweigern. Denn ob wir EMails, Faxe, gesprochene Nachrichten verschicken oder empfangen, ob wir im Internet recherchieren oder an Videokonferenzen teilnehmen es heißt immer: wir
telefonieren.
Stefan Münker, Jahrgang 1963, lebt und arbeitet in Berlin. Der promovierte Philosoph ist Kulturredakteur beim Fernsehen und Autor von Texten zur Medientheorie und Gegenwartsphilosophie. Buchveröffentlichungen (gemeinsam mit Alexander Roesler): Mythos Internet (1997, es 2010)
und Televisionen (1999, es 2091) sowie zuletzt Poststrukturalismus (Stuttgart 2000).
Alexander Roesler, Jahrgang 1964, hat Philosophie, Germanistik, Musikwissenschaft und Semiotik in Heidelberg und Berlin studiert. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Philosophie der TU Dresden
und arbeitet nun als Verlagslektor in FrankfurtiMain.
Suhrkamp
Wセ ヲエQ
RセHI [
Uwe Wirth
Piep. Die Frage nach dem Anrufbeantworter
",Montag,22 Uhr 30<
piep
Anne? Nimm den Hörer ab. (Pause)
Ich weiß, daß du da bist [...].«
»Was bedeutet es, einen Anruf zu beantworten?« Diese, von Avi-
tal Ronell zu Beginn ihres Telephone Book aufgeworfene Frage
nach dem Telefonmuß im folgenden als Frage nach dem Anrufbeantworter radikalisiert werden. Während das »Annehmen eines Anrufs« eine Situation heraufbeschwört, »deren gestische
Syntax >ja< bedeutet, selbst wenn der Affirmation ein Fragezeichen folgen sollte: Ja?« (Ronell 1989, S. 5), führt das Anschalten
des Anrufbeantworters geradewegs in ein Paradox, denn der Anrufbeantworter sagt weder »Ja?« noch »Nein!«. Das Paradox des
Anrufbeantworters gründet in seiner widersprüchlichen AufgabensteIlung: Er soll einerseits der Aufrechterhaltung der Telekommunikation dienen und wird zugleich als ein »Kommunikationshemmnis« empfunden. Deshalb kann er, so Knirsch, seine
»eigentliche Funktion nicht uneingeschränkt erfüllen« (Knirsch
1998, S. I). Doch was ist die »eigentliche Funktion« eines Anrufbeantworters? »In dem Maße, in dem du das wurdest, was du
bist«, schreibt Ronell mit Blick auf das »transzendentale Dilemma« des Angerufenwerdens, »nämlich, zum Teil, ein automatischer Anrufbeantworter, wird es notwendig, Fragen zu stellen«
(Rönell 1989, S. 5). Fragen wir. Was bedeutet es, im metaphorischen oder gar im wörtlichen Sinn, »answering machine« .einer
transzendentalen Telekommunikationsgemeinschaft zu sein, die
nur auf eines zu warten scheint: den wunderbaren Moment der
Verbindung?
Die Voraussetzung allen Telefoniere!).$' ist der Kontakt zwischen Fernsprechendem und Fernhörendem, also die Erreichbarkeit des Empfängers. Eben diese Voraussetzung wird durch den
Anrufbeantworter aufgehoben und aufgeschoben. Der Anrufbeantworter zeigt die momentane Unerreichbarkeit des gewählten
Empfängers an bedingt durch tatsächliche oder vorgetäuschte
Abwesenheit und verspricht zugleich explizit oder implizit 161
desseri Wiedererreichbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt. Der
Anrufbeantworter übt damit eine Funktion aus, die früher den
Butlern oder den Sekretärinnen oblag: er nimmt einen Anruf entgegen, verleugnet den Empfänger und »bestellt« eine Nachricht.
Während die Logik des Telefons auf »ubiquitäre Erreichbarkeit«
(Höflich 1998, S. 213) abzielt - man denke an das Handy - wirkt
der Anrufbeantworter als vorgeschaltetes Sekretariat dieser totalisierenden Tendenz entgegen - ohne sie deswegen zu verneinen.
Unabhängig von dem Inhalt der hinterlassenen Nachrich.t oder
ihrer Zuordnung zu einem Sprechakttyp - die Linguistik unterscheidet hier zwischen »Aufforderungstext« und »Informationstext« (Nickl und Seutter 1995> S. 266) - übermittelt der Anrufer
durch das Hinterlassen einer Nachricht eine indexikalische Information: »Ich habe angerufen, aber Sie waren nicht erreichbar.«
Der Anrufer hat sich seines telefonischen Aprioris, fernmündlichen Kontakt herzustellen, entledigt. Nun ist der Angerufene an
der Reihe; durch einen Rückruf seine Wiedererreichbarkeit zu demonstrieren. Dieser Rückruf ist die explizite Antwort auf die implizite Frage jedes Anrufers: »Ist jemand da?« »Ist jemand erreichbar ?«
»pIep.
Anne? Nimm den Hörer ab. (Pause) Ich weiß, daß du da bist [...]. Sei nicht
kindisch, Anne, und nimm den Hörer ab. (Pause) Also was soll das sein?
Ein Hilfeschrei? Erzähl mir nicht, daß das ein Hilfeschrei ist. Weil, wie, genau soll ich auf deinen Hilfeschrei reagieren? Hm? (Pause) Und was, wenn
du da gerade liegst, Anne, schon tot? Hm? Soll ich mir jetzt etwa dieses
Szenario vorstellen?Das Szenario eines toten Körpers, ,der neben dem Anrufbeantworter verfault? (schwaches Lachen) (Pause) [...] Ich weiß, daß du
da bist. Ich weiß, daß du da bist, Anne. Und ich weiß, wenn ich etwas Geduld habe, wirst du mir antworten. (Pause) Du wirst mir doch antworten,
oder, Anne?«
Geht man davon aus, daß erst der Rückruf eine Antwort ist, dann
muß man klären, warum man den Anrufbeantworter überhaupt
»Anrufbeantworter« nennt. Was ist das für eine Antwort, die der
Anrufbeantworter gibt? Und wem gibt er Antwort? Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Entweder antwortet der Anrufbeantworter dem Anrufenden auf die Frage: »Ist jemand da?« oder er
antwortet dem Angerufenen auf die Frage: »Hat jemand angerufen?« Im ersten Fall gibt der Anrufbeantworter Antwort, indem
er sich automatisch einschaltet. Doch wenn das Anspringen einer
162
Maschine als Antwort auf die Frage nach der Erreichbarkeit des
Empfängers gelten kann - was für eine Auffassung von Kommunikation liegt diesem Modell dann zugrunde?
Im zweiten Fall entspricht das Verhältnis des Angerufenen zu
seinem Anrufbeantworter dem Blick in den Briefkasten - oder
dem in die »Mailbox«. Der Anrufbeantworter hat die Funktion
eines Boten, der Nachrichten be- und zustellt. Die Metapher von
der »übertragbaren Botschaft« reduziert das Kommunikationsproblem auf ein Transportproblem (Krippendorff 1994, S.86).
Insofern betrifft die Frage nach dem Anrufbeantworter nicht den
propositionalen Aspekt des Hinterlassens von Nachrichten, sondern die Bedeutung einer im doppelten Sinne »aufgehobenen
Übertragung«, welche, obwohl keine »lebendige Verbindung«
hergestellt werden konnte, die Möglichkeit einer späteren Verbindungsaufnahme in Aussicht stellt. Von hier ist es nur noch ein
Schritt zu der von Derrida in La Carte Postale projektierten Verschaltung von Telekommunikation und Psychoanalyse, welche
unter dem Aspekt einer»Technologie des Kuriers« und einer »allgemeinen Theorie der Sendung« all das thematisiert, »was durch
eine gewisse Telekommunikation beansprucht, sich zu schicken«
(Derrida 1982, S. 7). Die Frage nach dem Anrufbeantworter thematisiert auf geschickte Weise die Vermittlung zwischen dem Anspruch totaler Erreichbarkeit und der Angst vor jener totalen U nerreichbarkeit, die Kafka in Das Schloß vor Augen führt:
»(...) wenn man von hier aus jemanden im Schloß anruft, läutet es dort bei
allen Apparaten der untersten Abteilungen oder vielmehr, es würde bei allen läuten, wenn nicht, wie ich bestimmt weiß, bei fast allen dieses Läutewerk abgestellt wäre. Hier und da aber hat ein übermüdeter Beamter das
Bedürfnis, sich ein wenig zu zerstreuen, besonders am Abend oder bei
Nacht, und schaltet das Läutewerk ein; dann bekommen,wir Antwort, allerdings eine Antwort, die nichts ist als Scherz. Es ist das ja auch sehr verständlich. Wer darf denn Anspruch erheben, wegen seiner privaten kleinen
Sorgen mitten in die wichtigsten und immer rasend vor sich gehenden Arbeiten hineinzuläuten?« (Kafka 1994, S. 91)
Die hier geschilderte Form, Anrufe zu beantworten, hat mit einem Anrufbeantworter zweierlei gemeinsam. Das »StillstelIen«
signalisiert nicht nur die mangelnde Bereitschaft zu einer lebendigen Antwort - die Unerreichbarkeit manövriert die Anrufer auch
unterschiedslos in eine kommunikative Ohnmacht. Dergestalt
bringt das Post- und Kommunikationswesen die Frage der Macht
16 3
ins Spiel. Die Möglichkeit, »zu jeder gewünschten Zeit und von
jedem gewünschten Ort aus jeden (telefonisch erreichbaren) anderen erreichen zu können, symbolisiert Einfluß, Kontrolle und
Macht« (Zerdick 1990, S. 16). Umgekehrt verliert man an Macht
und Wichtigkeit in dem Maße, in dem man für alle erreichbar ist.
Der Anrufbeantworter gibt dem Angerufenen die Macht, unerreichbar zu sein. Er verleiht "dem Nutzer den Status einer geschützten Person«, ja, er stellt »eine Umkehrung der gesamten
Geschichte des Telefons dar«, weil er »dem Empfänger das Recht
zurückgibt, Kommunikation zu initiieren« (Rosen 1994, S. 368 ).
Dieses Recht, Kommunikation zu initiieren, ist das Recht, zu bestimmen, wann man auf einen Anruf mit einem Rückruf reagiert.
In einer Fußnote zu La Carte Postale berichtet Derrida von einem
überraschenden Anruf, der angeblich eintraf, während er das »telekommunikative« Verhältnis zwischen Sokrates und Plato sowie
dessen »Umkehrung« durch die Schrift bei Freud und Heidegger
behandelte:
»Ich muß es hier anmerken, diesen Morgen des 22. August 1979, gegen
loh, während ich diese Seite für die vorliegende Veröffentlichung tippe,.
läutet das Telephon. Die Vereinigren Staaten. Die amerikanische Telephonistin fragt mich, ob ich einen ,collect' call< (zu übersetzen: R-Gespräch)
von Martin (sie sagt Martine oder Martini) Heidegger akzeptiere [...] Ich
kann hier nicht die ganze Chemie des Kalküls wiedergebe, die mich sehr
schnell hat ablehnen lassen (>!t's a joke, I do not accept<), nachdem ich
mehrmals den Namen Martini Heidegger hatte wiederholen lassen, in der
Hoffnung, daß der Urheber der Farce schließlich seinen Namen nennen
würde.« (Derrida 1982, S. 29)
Bei Kafka wie bei Derrida wird die Forderung nach Antwort zur
Herausforderung. Bei Kafka ist es die Herausforderung, eine
Antwort, »die nichts ist als Scherz«, auszuhalten, bei Derrida die
Herausforderung, die scherzhafte Forderung nach Rückruf abzulehnen - trotz der Neugier nach dem» Urheber der Farce«. In beiden Fällen bleiben die Angerufenen unerreichbar. Die Frage nach
dem Telefon verkehrt sich in die Frage: Was bedeutet es, einen
Anruf nicht zu beantworten, nicht zurückzurufen, sich unerreichbar zu machen?
16 4
Anrufen, Aufzeichnen, Aufschreiben
Kehren wir zum eingangs erwähnten Paradox des Anrufers zurück, das sich im Fall des Anrufbeantworters als »kommunikative
Dysfunktionalität« (Knirsch 1998, S. I) manifestiert, nämlich sowohl Unerreichbarkeit zu signalisieren und·dadurch Kommunikation zu verhindern als auch die Voraussetzung dafür zu schaffen, eine Botschaft zu hinterlassen und so den Moment einer
kommunikativen Verbindung aufzuschieben. Für die Linguistik
stellt der Anrufbeantworter nur insofern eine »Herausforderung« dar, als der »Gesprächscharakter« von Anrufbeantworterkommunikation »nicht unproblematisch« ist (Nicki und Seutter
1995> S. 258). Dies betrifft zum einen die Mündlichkeit, zum·anderen die kommunikative Struktur zwischen Ansage- und Anruftext. Eine Lösung dieses Problems ist schnell gefunpen: Obgleich
»sowohl der Ansagetext als auch der Sprechtext teilweise monologische Eigenschaften besitzen« (ebd.), ist nach Nicki und s・オエセ
ter der Gesamttext als Dialog zu verstehen, denn: »Die zeitliche
Trennung der beiden Texte spielt keine Rolle für den Dialogcharakter des Gesamttexts« (Nicki und Seutter 1995, S.266).
Schwieriger ist es dagegen, den zwischen Mündlichkeit und
Schriftlichkeii changierenden Charakter der Telekommunikation
angemessen einzuschätzen. Campe zufolge leitet das Telefonat
»vom mündlichen zum schriftlichen Verkehr über« (Campe 1986,
S. 69), es hält »die Mitte zwischen Rendez-vous und dem Liebesbrief« (ebd.), wobei die »sekundäre Mündlichkeit« der Stimme
am Telefon »weder (primär) mündlich noch schriftlich« ist (ebd.).
Allerdings fehlt dem Telefonat gegenüber der Schrift »die zurückbleibende Spur, das Dokument« (Campe 1986,S. 72). Der Anrufbeantworter dagegen verleiht der aufgezeichneten Mündlichkeit
den gleichen Spurcharakter wie die Schrift - und wirft auch die
gleichen Fragen auf. Erinnern wir uns an Derridas vielzitierte Bestimmung der Schrift in »Signatur Ereignis Kontext«:
»Ein schriftliches Zeichen tritt hervor in Abwesenheit des Empfängers.
Wie ist diese Abwesenheit zu kennzeichnen? Man kann sagen, daß in dem
Moment, da ich schreibe, der Empfänger im Feld meiner gegenwärtigen
Wahrnehmung nicht anwesend zu sein braucht. Aber ist diese Abwesenheit nicht einfach eine entfernte, aufgeschobene oder in dieser oder jener
Form in ihrer Repräsentation idealisierte Anwesenheit?« (Derrida 1976,
S.I33)
16 5
Die Frage nach dem Anrufbeantworter zielt in die gleiche Richtung wie die dekonstruktive Frage nach der Schrift. Jene Abwesenheit des Empfängers, die zugleich als »idealisierte Anwesenheit« dar und vorgestellt wird, ist die Ausgangssituation der
Anrufbeantworterkommunikation. Der Anrufbeantworter signalisiert eine Abwesenheit, die durch die Möglichkeit der Aufzeichnung überbrückt werden soll. Genau wie die Schrift kölJnte
der Anrufbeantworter ohne die Möglichkeit der »lterierbarkeit«
nicht funktionieren. Die Aufzeichnung des Anrufs impliziert den
Aufschub seiner Beantwortung, aber auch die Möglichkeit seiner
Wiederholung. Aufschub und Wiederholung wiederum werfen
das Problem der Archivierung auf, denn das Archivierbare wird
von der "technischen Struktur der Archivierung mitbestimmt«,
wie Derrida in Mal d'Archive betont (Derrida 1995, S. 34). Es gibt
kein Archiv »ohne einen Ort der Versammlung von Zeichen,
ohne eine Technik der Wiederholung« (ebd., S.26). Nicht die
bloße Wiederholbarkeit der Schrift, so könnte man folgern, sondern die »technique de repetition« sichert das Fortbestehen der
Schrift auch »über den Tod des Empfängers hinaus« (Derrida
1976, S. 133).
、ョuセ
was, wenn du da gerade li·egst, Anne, schon tot? Hm?«
Der Anrufbeantworter funktioniert auch dann noch, wenn der
Angerufene vielleicht schon längst aufgehört hat zu existieren.
»Lesbar« bleiben seine Aufzeichnungen dann allerdings nurmehr
für einen Dritten, für den die Nachrichten nicht bestimmt waren,
der also nicht ihr »Empfänger« ist, aber dennoch, als Voyeur, genauer als Ecouteur »mitliest«. An eben dieser Stelle verbindet die
Frage nach dem Anrufbeantworter die dekonstruktive Schriftproblematik mit der Poetik des Briefromans.
Martin Crimps Theaterszenen »Angriffe auf Anne« beginnen mit
dem eingangs bereits zitierten Abhören eines Anrufbeantworters. Die darauf gespeicherten 11 Nachrichten vermitteln
dem Zuschauer und Zuhörer ein rätselhaftes Bild von der angerufenen Anne:
セLmッョエ。ァ
11 Uhr 51'
pIep
... Oh. Hallo? Hier ist Mama ... «
166
»,Montag IJ Uhr 05<
pIep
... Anne? Hallo? Hier ist Mama. (Pause) Deine Postkarte ist da. (Pause)
Sieht ja sehr schön aus. (Pause) Und das Foto. Bist das wirklich du?
(Pause) Prima, daß du schon Freunde gefunden hast und alles. (Pause) Es
ist nur so, Anne, so, daß wir dir leider kein Geld schicken können. Ich habe
mit Papa gesprochen, und er sagt, nein, auf gar keinen Fall. (Pause) (im
Hintergrund hört man die Stimme eines Mannes: ,Keinen Pfennig mehr.
Daß du ihr das klipp und klar sagst.< Mama antwortet: ,Ich sag's ihr ja, ich
sag's ihr ja.< Dann wieder in den Hörer:) Es tut mir wirklich leid, Anne,
Liebling, aber wir können das doch nicht bis in alle Ewigkeit tun. (Wieder
die Stimme des Mannes:, Wenn du's ihr nicht sagst, rede ich verdammt noch
mal mit ihr.<) Hör zu, Liebling, ich muß auflegen. Papa läßt dich ganz lieb
grüßen. Ja? Gon schütze dich.«
»,Montag IJ Uhr 06<
pIep
Hallo, hier ist Sally von Coopers. Wollt Ihnen nur kurz Bescheid sagen,
daß das Fahrzeug jetzt im Ausstellungsraum steht. Sie können es abholen.
Danke.«
セLmッョエ。ァ
IJ Uhr J2<
piep
Wir wissen, wo du wohnst, du dreckige Schlampe. Du bist so gut wie tot.
Was du verdammt noch mal getan hast. (Pause) Du wirst dir noch wünschen du wärest nje geboren worden.«
Betrachten wir die aufgesprochenen Nachrichten nicht einzeln,
sondern als Arrangement, so wird der Anrufbeantworter zum
Rahmen eines mehrstimmigen Textes. Jede Nachricht ist Szene jenes Drama, dessen Hauptperson die Empfängerin, die Besitzerin
des Anrufbeantworters ist. Der Schrift und Spurcharakter des
Anrufbeantworters offenbart sich nicht nur in der Möglichkeit,
Nachrichten zu archivieren und aufzuzeichnen, sondern auch
darin, im Ensemble von Nachrichten Aufschluß über die seltsamen Verstrickungen der Protagonistin zu geben. Die widersprüchliche Vielfalt der Nachrichten für Anne wird, als Ganzes
gesehen, zu einer Spur, einem symptomatischen Zeichen, das uns
hilft, eine Vorstellung von dieser Anne zu entwickeln, die so kurz
hintereinander bemuttert, benachrichtigt und bedroht wird.
Der Anrufbeantworter als Rahmen dieses Ensembles übernimmt eine Funktion, die im Briefroman der fiktive Herausgeber
innehat. Das Spezifikum der Herausgeberrolle gleichgültig, ob
diese fiktiv oder real ist besteht darin, daß der Herausgeber per
167
definitionem der erste Leser und der zweite Autor der herausgegebenen Texte ist. Er bearbeitet, übersetzt und arrangiert hinterlassene Botschaften. Das "erste Lesen« entspricht dem Abhören
der Nachrichten, wobei das Blinken der AnrufbeantworterDiode die Tatsache des "Davor-noch-nicht-abgehört-wordenSeins« anzeigt. Die "auktoriale Funktion« des Abhörens besteht
darin, eine Einheit zwischen den verschiedenen Nachrichten herzustellen, die auf einen Punkt hin zulaufen: den Besitzer des Anrufbeantworters, dessen Persönlichkeit das Ensemble der Nachrichten symptomatisch darstellt. Anders als bei den Briefromanen
Rousseaus, Richardsons oder Goethes, in denen der Herausgeber
die gefundenen Manuskripte als unbeteiligte, dritte Person herausgibt, fallen beim Anrufbeantworter Editeur und Destinateur
normalerweise zusammen. Die aufgezeichneten Nachrichten
sind ja für den Besitzer des Anrufbeantworters bestimmt und
werden von diesem per Knopfdruck abgerufen. Zu fragen ist jedoch, ob der Besitzer des Anrufbeantworters als Empfänger der
Nachrichten tatsächlich "Herausgeber« und nicht vielmehr
"Herausforderer« der empfangenen Nachrichten ist. Der Anrufbeantworter selbst übernimmt die Rolle eines "editeur automatique«. Und eben diese Tatsache eines nicht qualifizierenden Automatismus, der "gleichberechtigt« alle Nachrichten aufzeichnet,
läßt den Anrufbeantworter zu einem "mehrstimmigen« Medium
werden.
Vergleicht man Anrufbeantworter und Briefroman, so muß
man aber auch klären, inwiefern die hinterlassenen Nachrichten
als "Briefe« im Rahmen einer ;,allgemeinen Theorie der Sendung«
aufzufassen sind. Artemon bezeichnet im Vorwort seiner Ausgabe der Briefe des AristoteIes den Brief als Botschaft, die »gleichsam die eine Hälhe des Dialoges darstellt« (zit. nach Vosskamp
1971, S. 82). Für GottSched ist der Brief "die Rede eines Abwesenden von denjenigen Angelegenheiten, die ihm am Herzen liegen«
(ebd., S. 83), für Geliert wird er sogar "eine freye Nachahmung
des guten Gesprächs« (ebd.). Entscheidend für die Poetik des
Briefromans ist dabei die Überlegung, in welcher Form der Abwesende vergegenwärtigt wird, um "das gute Gespräch« nachzuahmen. Dies kann auf zweierlei Art geschehen: Entweder der
Schreiber fordert den künftigen Leser auf, sich in seine, des
Schreibers, Situation zurückzuversetzen oder umgekehrt, der
Schreiber versetzt sich in die Situation des Empfängers. Dies ent168
spricht der antiken Tradition des Briefschreibens, bei der sich die
Intention des Schreibers "erst beim Lesen des Briefes durch den
Empfänger verwirklicht« (ebd., S. 84)' "Written to the moment«
ist auch das Motto, das den Briefromanen Richardsons eine dramatische Spannungsdichte verleiht. Dieser Moment ist jedoch
nicht mehr der imaginierte Moment des Briefelesers, sondern der
Moment kurz vor und während des Schreibens. Gegenüber der
antiken Tradition des Briefeschreibens, die als Nachahmung
mündlicher Rede den Moment des Lesens betont, bringt die "moderne« Briefpoetik des 18. Jahrhunderts den Moment des Schreibens, der Empfindung beim Schreiben, ins Spiel.
Wollte man so etwas wie eine Poetik des Anrufbeantworters
skizzieren, so müßte man ein merkwürdiges Spannungsverhältnis attestieren, da das Oppositionsverhältnis von Schriftlichkeit
und Mündlichkeit nivelliert ist: Da nicht mehr nur die schriftliche Fixierung im Brief, sondern auch die phonographische Aufzeichnung der bis dato »flüchtigen gesprochenem Rede« möglich
wird, findet die "freie Nachahmung des guten Gesprächs« als
"mündlicher Brief« auf dem AnruTheantworter statt. Dabei
bleibt unklar, in welcher Hinsicht die hinterlassene Nachricht
"spoken to the moment« ist. Handelt es sich um den Moment des
Abhörens der Nachricht oder um den des Aufsprechens? Die
Rhetorik des Anrufbeantworters verknüpft beide Momente und
wirkt sich zugleich auf die Rhetorik des Briefeschreibens aus eine E-Mail ist ihrem Stil nach meist nichts anderes als eine カ・イセ
schriftlichte Anrufbeantworter-Nachricht. Begreift man den Anrufbeantworter als speichernden Vermittler - als Medium - zwischen dem aktuellen Kommunikationsbedürfnis des Anrufers
und der momentanen Unerreichbarkeit des Angerufenen, so ist
eben diese kommunikative Asymmetrie die einzige Botschaft, die
der Anrufbeantworter Sender und Empfänger, wenn auch zeitversetzt, übermittelt. Sein »piep« ist das Signal für einen Moment
der U nerreichbarkeit.
169
Telefon, Anrufbeantworter, Psychoanalyse
und Dekonstruktion
Das Wunder der Telekommunikation liegt im "Moment der Verbindung«, einem Moment, der durch das Einschalten des Anrufbeantworters »aufgehoben« und "aufgeschoben« ist. Zu klären
bleibt jedoch, welche Funktion der Wiederholung und der
Wiederholbarkeit der aufgezeichneten Nachrichten zukommt.
Insofern der Anruf seinen Schriftcharakter erst durch die Aufzeichnung erhält, schreibt nicht der Anrufer, sondern der Anrufbeantworter. Er ist nicht nur das vorgeschaltete Sekretariat seines
Besitzers, sondern er ist auch der Sekretär des Anrufenden. Er
zeichnet auf, was ihm vom Anrufer diktiert wird. Aber nicht auf
dem Briefpapier des Senders, sondern auf der "akustischen Tafel«
des Empfängers. Als Automat ist der Anrufbeantworter somit
Diener zweier Herren: des Anrufers, dessen Nachricht er wörtlich aufzeichnet und wiederholbar macht, und des Empfängers,
der den Zeitpunkt der Wiederholung und des Aufschubs bestimmt. Die Herausforderung des Anrufbeantworters besteht
nicht nur in dieser mysteriösen Verschriftlichung von Mündlichkeit, vielmehr verläuft die Frage nach dem Anrufbeantworter
parallel zu der von Derrida geforderten »Radikalisierung des
Freudschen Spurbegriffs«, ja sie geht sogar darüber hinaus.
Die Radikalisierung des Denkens der Spur ist für Derrida nicht
nur die Voraussetzung für eine Theorie der Schrift, sondern rur
die Praxis der Dekonstruktion überhaupt (vgl. Derrida 1985,
S. 349). Dabei spielt Freuds Metapher vom "Wunderblock« eine
zentrale Rolle. Der "Wunderblock« ist das Modell rur die Funktionsweise unseres seelischen Apparats, der "in unbegrenzter
Weise aufnahmefähig rur immer neue Wahrnehmungen« ist und
zugleich "dauerhafte -wenn auch veränderliche Erinnerungsspuren« von ihnen schafft (Freud I925lr975> S.366). Für Derrida
wiederum ist der "Wunderblock« deshalb von besonderem Interesse, weil Freud die Erinnerungs- und Wiederholungsmechanismen des psychischen Apparats mit dem Modell der Schrift
erklärt: Der Wunderblock vereinigt die Vorteile zweier Möglichkeiten des Aufschreibens. Das Aufschreiben mit Tinte auf einem
Blatt Papier, das zwar »Dauerhaftigkeit« bietet, aber keine unbegrenzte Aufnahmefähigkeit, und das Schreiben mit Kreide auf
eine Tafel, wobei zwar die Aufnahmefläche unbegrenzt, aber die
17°
Aufzeichnung eben keine Dauerspur ist (vgl. Freud I925lr975,
S·3 6 5)·
Freuds Modell des Wunderblocks ist aber auch noch aus einem
anderen Grund psychoanalytische Zentralmetapher: Von ihm leitet sich die Aufgabe und die Technik der Analyse ab. Die Aufgabe
des Analytikers besteht darin, das, was vergessen und verdrängt
ist, dem Patienten wieder in Erinnerung zu bringen. Dieser wiederum versucht dem Schmerz des Erinnerns dadurch zu entrinnen, daß er, anstatt sich zu erinnern, das Verdrängte ausagiert: "Er
reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat> er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt« (Freud
I9I2lr975, S. 219f.). Der "kathartische Effekt« der Analyse besteht daher darin, dem Patienten die Möglichkeit zu etöffnen, das
agierend in der Tat Wiederholte in Erinnerungsleistung umzuwandeln. Der Analytiker hilft dem Patienten gewissermaßen an
die rur ihn zunächst unerreichbare Wachsschicht unter dem
Deckblatt des Wunderblocks heranzukommen, damit er die Ähnlichkeit der dort versammelten Spuren mit seiner neurotischen
Praxis des "Schreibens« an der Oberfläche erkennt.
Derridas Kritik an der Psychoanalyse betrifft das "doppelte
Problem der Archivierung«: einmal das der theoretischen Darstellung im Rahmen der Analyse, zum anderen das der Archivierung der Psychoanalyse selbst. Offensichtlich wird dieses doppelte Problem im Motiv der Abwertung des technischen.
"recordings« bzw. im Ausschluß mechanischer Aufzeichnungsmöglichkeiten in der psychoanalytischen Situation (Derrida
1998, S.43). Das Problem der Archivierung betrifft das, "was
bleibt oder nicht bleibt«, ein Problem, das durch die Psychoanalyse "in Verbindung mit der Heraufkunft neuer Techniken der
Archivierung oder Telekommunikation« bestimmte Paradoxien
verstärkt (Derrida 1998, S. 16). Dies zeigt sich insbesondere bei
Lacan, der das aufgezeichnete Sprechen gegen das "volle Sprechen« (Lacan I986a, S. 201) mit lebendiger Stimme ausspielt:
»Sogar die Wiedergabe einer Tonbandaufzeichnung seines Diskurses
kann, selbst.wenn sie dem Subjekt des Arztes übermittelt wird, nicht dieselbe Wirkung haben wie das analytische Gespräch, da sie das Subjekt in
dies'er endremdeten Form erreicht.« (Lacan 1986b, S. 97)
Dieser Punkt ist für Derrida deshalb wichtig, weil hier die Verbindung des "Phono-Logozentrismus« mit der analytischen Situa17 1
tion »als einem Sprechen ohne technische Zwischenhaltung, ohne
Vorrichtung einer archivierenden Wiederholung« ersichtlich
wird: »ein sehr altes Philosophem, von Platon bis Heidegger inklusive« (Derrida 1998, S. 43). Eben deshalb thematisiert Derrida
in La Carte postale das Problem der Übermittlung und der Übertragung im Rahmen der analytischen Situation und der philosophischen »Urszene« des Dialogs zwischen Sokrates und Plato.
Insbesondere hinterfragt Derrida unter dem Stichwort »Teleanalyse« den Grund für die philosophische und ーウケ」ィッ。ョ ャケエゥウ」ィセ
Ausschließung jeder technischen Aufzeichnung.
Als Fortführung seiner in »Freud und der Schauplatz der
Schrift« angemahnten Radikalisierung des Spurbegriffs widmet
sich Derrida in »Widerstände« dem Verhältnis von Wiederholungszwang und Widerstand gegen die Analyse, der das Problem der Wiederholung und der lterierbarkeit im Kontext von
»Schrift« und »Analyse« aufwirft. Aus Freuds Traum von
»Irrna«, in dem Freud die latsache verarbeitet, daß Irma die Ergebnisse seiner Analyse nicht annimmt und wegen dieses Widerstands nicht »geheilt« werden kann, leitet Derrida das »Gesetz
der Analyse« ab, das »allgemein gebietet«, »als einen Widerstand
gegen die Analyse, gegen die Lösung den Vorbehalt von jeinandem zu deuten, der ihre Lösung (nämlich die der Analyse, U. W.)
nicht annimmt« (Derrida 1998, S. 139). Merkwürdigerweise übergeht Derrida bei seiner Dekonstruktion der berühmten Geschichte von Freuds Selbstanalyse eine, meines Erachtens für das
Problem der »Archivierung« und der »technischen Übertragung«
zwischen Arzt und Patient äußerst aufschlußreiche Auslassung
Freuds. Nachdem Freud im Vorbericht sagt: »Ich war damals
noch nicht recht sicher in den Kriterien, welche die endgültige Erledigung einer hysterischen Krankengeschichte bezeichnen, und
mutete der Patientin eine Lösung zu, die ihr nicht annehmbar erschien«, folgt Freuds Aufzeichnung des Traums von Irma, vom
23.h4.Juli 1895:
»Eine große Halle - viele Gäste, die wir empfangen. - Unter ihnen Irma,
die ich sofort beiseite nehme, um gleichsam ihren Brief zu beantworten,
ihr Vorwürfe zu machen, daß sie die .Lösung< noch nicht akzeptiert...
(Freud 1900/r972, S. 12M.)
In der anschließenden Analyse geht Fr'eud Satz für Satz - oder
doch zumindest Gedanke für Gedanke - auf seinen Traum ein.
17 2
Allerdings widmet weder Freud noch Derrida dem Nebensatz
»um gleichsam ihren Brief zu beantworten« die geringste Aufmerksamkeit. Tatsächlich wird im Vorbericht nicht erwähnt, daß
Freud und Irma Briefe schreiben, sondern lediglich, daß Freud Irmas Krankengeschichte niederschrieb (ebd.). Die Wendung »um
gleichsam ihren Brief zu beantworten« ist also ein Gleichnis innerhalb Freuds Traum. Doch wofür steht' es? Ist das Niederschreiben des Krankenberichts ein »innerer Dialog« mit der Patientin? - Doch wenn es ein »Dialog« ist, warum ist es dann nur
»gleichsam ein Brief«? Und warum beantwortet Freud »ihren
Brief«, indem er sie »sofort beiseite« nimmt, um »ihr Vorwürfe zu
machen«? Freuds schriftlicher Aufzeichnung seines Traums »unmittelbar nach dem Erwachen« geht die schriftliche Aufzeichnung von Irmas Krankengeschichte vor dem Traum voraus. Im
Traum wird diese eigene Niederschrift von Irmas Krankengeschichte nun zu einem Brief von Irma über ihre' Krankengeschichte, die sie an Freud schickt. Auffällig ist die kommunikative
Asymmetrie innerhalb des Traums: Freud antwortet »mündlich«
auf »ihren Brief«. Mit anderen Worten: In Freuds Traum wird die
Patientin, die für die »Lösung der Analyse« nicht empfänglich
war, zur Senderin seiner eigenen Niederschrift. Sie sendet zurück,
was sie als Freuds Sendung nicht bereit war anzunehmen. Freud
dagegen schreibt ihr seine eigene Niederschrift als an ihn gerichteten Brief zu. Er selbst wird zum Empfänger seiner eigenen Niederschrift. Dieser, Traum, der sich auf den ersten Blick ums
»Schreiben« und »Zuschreiben« dreht, thematisiert auf den zweiten Blick etwas viel Grundsätzlicheres, was unmittelbar die Voraussetzung jeder Telekommunikation betrifft: Erreichbarkeit
und Empfangsbereitschaft.
Interessanterweise steht bei der Charakterisierung des »seelischen Apparats« und der Technik der Analyse die im Wunderblock manifestierte »Metapher der Schrift« in einem Konkurrenzverhältnis zur »Metapher des Telefons«. Mit Bezug auf die
Verbindung zwischen Ich und Es heißt es in der gleichnamigen
Untersuchung Freuds: »Das Verdrängte ist nur vom Ich durch die
Verdrängungswiderstände scharf geschieden, durch das Es kann
es mit ihm kommunizienn« (Freud 1923/r975> S. 292f.). Freud
spricht an gleicher Stelle nicht nur vom »psychischen Apparat«,
sondern verwendet auch eine Metapher aus dem Bereich der telefonischen Kommunikation: Das »Ich« trägt eine »Hörkappe«
173
(Freud 192311975, S.293). Die Hörkappe ist der "Kopfhörer«,
den das Fräulein vom Amt trägt, welche die Verbindung zwischen
Anrufer und Angerufenem herstellt und dergestalt eine telefonische "Übertragung« ermöglicht. Die Hörkappe ist also das vertin gerte Organ einer menschlichen Anrufbeantworterin, der es
um die Herstellung einer »Leitung«, eines »geleiteten« Kontaktes
geht. Auch die psychoanalytische Technik selbst gehorcht, wie
man aus Freuds »Ratschlägen für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung« ersehen kann, der Logik des Telefonierens:
» Wie der Analysierte alles mitteilen soll, was er in seiner Selbstbeobachtung erhascht, mit Hintanhaltung alle"r logischen und affektiven Einwendungen, die ihn bewegen wollen, eine Auswahl zu treffen, so soll sich der
Arzt in den Stand setzen, alles ihm Mitgeteilte für die Zwecke der Deutung, der Erkennung des verborgenen Unbewußten zu verwerten, ohne
die vom Kranken aufgegebene Auswahl durch eine eigene Zensur zu ersetzen, in eine Formel gefaßt: Er soll dem gebenden Unbewußten des Kranken sein eigenes Unbewußtes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf
den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver die von Schallwellen angeregten elektrischen
Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das
Unbewußte des Arztes befähigt, aus den ihm mitgeteilten Ankömmlingen
des Unbewußten dieses Unbewußte, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wiederherzustellen.« (Freud 19121t975, S. 17jf.)
Freuds Vergleich des psychischen Apparats mit dem Wunderblock und der analytischen Technik mit dem Telefonieren belegt,
daß der mediale Status des psychischen Apparats zwischen »Einschreibung« und »fernmündlicher Übertragung« changiert. Obwohl Campe recht zu geben ist, wenn er schreibt, daß Freuds Telefonmetaphorik lediglich die »Technik und Spekulation des
Analytikers« betrifft, so liegt er meines Erachtens falsch, wenn er
behauptet, daß dies »nicht die Theorie des psychischen Apparats«
betrifft, weil das Telefon »in seinem metaphorischen Aspekt der
kommunikativen Technik [...] vom psychischen Apparat und
seiner Skripturalmetaphorik ferngehalten« wird (Campe 1986,
S. 88). Umgekehrt könnte man fragen, ob die Mitteilungen des
Patienten in der »Übertragungssituation« nicht sogar »telefonisiert« werden, um erst dann, als nachträgliche Niederschrift, auf
dem Notizblock des Arztes zu landen. Bei dieser Übertragung ist
der psychische Apparat des Patienten mit dem des Arztes verbunden: Zwei Wunderblöcke telefonieren miteinander. Der Notiz. 174
block des Arztes jedoch übernimmt nur eine Funktion des» Wunderblocks«, der ja die Eigenschaften des Schreibens auf Papier
und des Schreibens auf einer Tafel vereinigen soll. Die Voraussetzung der nachträglichen Verschriftlichung ist das vorherige» Abhören« der auf der »akustischen Tafel« des Analytikers zwischengespeicherten Patientenrede. Obwohl der Analytiker scheinbar
mit dem Patienten telefoniert, übernimmt er tatsächlich in der
analytischen Situation die Rolle eines Speichermediums> das,
wenn man Freuds Analogie zum Telefonieren mit Derridas Kritik
an der Abwertung des technischen »recordings« verbindet> die
Eigenschaft eines Anrufbeantworters hat. Tatsächlich vergleicht
Freud seine Erinnerungsleistung mit der eines Phonographen,
wenn er in Bruchstücke einer Hysterie-Analyse bemerkt, seine
Niederschrift dürfe »auf einen hohen Grad von Verläßlichkeit
Anspruch machen«, auch wenn sie »nicht absolut - phonographisch - getreu« sei (Freud 190511971, S. 90). »Er selber tritt«, wie
Kittler schreibt, »anstelle phonographischer Prüfungen« (Kittler
1986, S. 137)' Und insofern kann man auch Kittler zustimmen,
wenn er behauptet: Der Phonograph
»sucht psychoanalytische Vertextungen wie ihren Grenzwert heim. Damit
weist sie Freuds Methode, mündliche Redeflüsse auf unbewußte Signifikanten hin abzuhören und diese Signifikanten sodann als Buchstaben eines
großen Rebus oder Silbenrätsels zu deuten, als den letzten Versuch aus,
noch unter Medienbedingungen eine Schrift zu statuieren.« (Kitt/er 1986,
S.139)
Zugleich äußert Freud in seiner Vorlesung über» Traum und Okkultismus« jedoch auch Vorbehalte gegen die nachträgliche Verschriftlichung: »Ich muß bedauern«, schreibt er, »daß meine B,eobachtung an dem nämlichen Fehler leidet wie so viele ähnliche.
Sie ist zu spät niedergeschrieben [...]« (Freud 191511982, S. 491):
Dabei sind aber auch die Bemerkungen zur Telepathie selbst von
Interesse, denn neben der von Kittler ausgemachten Grenze
zwischen schriftlicher und phonographischer Aufzeichnung ist
hier noch ein zweite mediale Grenzziehung festzustellen: die
zwischen Telefonie und Telepathie, zwischen der Übertragung
von fernmündlichen Botschaften und der Gedankenü bertragung:
175
»Telepathie nennen wir die angebliche Tatsache, daß ein Ereignis, welches
zu einer bestimmten Zeit vorfällt, etwa gleichzeitig einer räumlich entfernten Person zum Bewußtsein kommt [...] so, als ob sie telefonisch verständigt worden wäre, was aber nicht der Fall gewesen ist, gewissermaßen ein
psychisches Gegenstück zur drahtlosen Telegraphie.< (Freud 1915/r982,
S·477)
Hier erhält das »gleichsam als Brief« aus Freuds Traum von Irma
ihre, im doppelten Sinn des Wortes »mediale« Entsprechung im
»Als-ob« telefonischer Verständigung bei der Gedankenübertragung. Auch hier ist das Unbewußte das »empfangende Organ«,
das quasi-telefonisch verständigt wird. Wichtiger als die Form der
Übertragung »mit« oder »ohne« Draht - im Zeitalter des Handys sowieso Makulatur - ist auch hier die Frage nach der» Bedingung der Möglichkeit« einer solch »wunderbaren Verbindung«.
Die Telepathie ist, so konnte man sagen, die Fortsetzung des
»Wunderblocks« mit den Mitteln der Telekommunikation. Die
»Übertragung« schert hier aus dem metaphorischen Hof des
»Transports« aus, wird zu einer »Übersetzung«, wie sie die »Datenprotokolle« der Modems vornehmen, zum»Tango der Seele«
sozusagen. Bemerkenswerterweise besetzt die Telefonmetapher
bei der Telepathie die gleiche systematische Leerstelle wie bei der
"Übertragungssituation« der Analyse: Was bei der telepathischen
Gedankenübertragung zwischen den beiden seelischen Akten
liegt,
»kann leicht ein physikalischer Vorgang sein, in den sich das Psychische an
einem Ende umsetzt und der sich am anderen Ende wieder in das gleiche
Psychische umsetzt. Die Analogie mit anderen Umsetzungen wie beim
Sprechen und Hören am Telephon wäre dann unverkennbar.« (Freud
1915/r9 82 , S. 493 f.)
Das Phänomen der Telepathie in Metaphern der Fernmündlichkeit zu übertragen ist dabei jedoch nur eine Möglichkeit. Die andere ist, Telepathie nicht als Kommunikation zwischen zwei Seelen, sondern als ),inneren Dialog« bzw. »Gleichklang« einer Seele
aufzufassen, die dadurch »empfangs bereit« wird für Botschaften,
denen sie sonst »widerstanden« hätte. Genau dies schildert
E. T. A. Hüffmanns Geschichte »Die Automate«. Ein künstlicher
Mechanismus, der dem schachspielenden Türken des Barons von
Kempelen sehr ähnlich ist, gibt auf geheimnisvolle Weise »automatisch« Antwort auf Fragen, die ihm »ins rechte Ohr« geflüstert
17 6
werden: »[...] jeden Tag wußte man von neuen, geistreichen, treffenden Antworten des weisen Türken zu erzählen« (Hoffmann
19 6 7, S. 354). Die Freunde Ferdinand und Ludwig versuchen den
Mechanismus dieses geistreichen automatischen Anrufbeantworters zu ergründen - und kommen schließlich zu der folgendenden
telefonisch-telepathischen Hypothese:
»Wie, wenn es dem antwortenden Wesen möglich wäre, sich durch uns unbekannte Mittel einen psychischen Einfluß auf uns zu verschaffen, ja sich
mit uns in einen solchen geistigen Rapport zu setzen, daß es unsere Gemütsstimmung, ja unser ganzes inneres Wesen in sich auffaßt und so, wenn
auch nicht das in uns ruhende Geheimnis deutlich ausspricht, doch wie in
einer Ekstase, die eben der Rapport mit dem fremden geistigen Prinzip erzeugte, die Andeurungen alles dessen, was in unserer eigenen Brust ruht,
wie es hell erleuchtet dem Auge des Geistes offenbar wird, hervorruft. Es
ist die psychische Macht, die die Saiten in unserem Innern, welche sonst
nur durcheinanderrauschten, anschlägt, daß sie vibrieren und ertönen und
wir den reinsten Akkord deutlich vernehmen; so sind wir aber es selbst,
die wir uns die Antworten erteilen, indem wir die innere Stimme, durch
ein fremdes geistiges Prinzip geweckt, außer uns verständlicher vernehmen und verworrene Ahndungen, in Form und Weise des Gedankens festgebannt, nun zu deutlichen Sprüchen werden; so wie uns oft im Traum
eine fremde Stimme über Dinge belehrt, die wir gar nicht wußten oder
über die wir wenigstens in Zweifel waren [...].« (Ebd., S. 366)
Vergleichen wir die telepathische Situation des »inneren Dialogs«
mit der quasi-telefonischen Situation der Analyse: Damit der
Anruf »angenommen« werden kann, muß der Übertragungswiderstand quasi durch telepathische Übertragung überwunden
werden. Gleichgültig, ob es sich um die Kommunikation zwischen Verdrängtem und Ich oder die zwischen Patient und Analytiker handelt: Voraussetzung ist eine Empfangsbereitschaft,
»als ob« man sich telefonisch verständigte. Die Psychoanalyse
verlegt die inneren Widerstände, die die »interne Kommunikation« verhindern, nach außen, ins scheinbar »lebendige Gespräch« zwischen Patient und Arzt, dessen Aufgabe in der
»Übertragungssiruation« darin besteht, für die inneren Widerstände des Patienten verantwortlich gemacht zu werden. Dort,
wo im »Haustelefon« der Seele keine Verbindung zustande kommen kann, leitet die Analyse den internen Anruf sozusagen über
ein externes Amt um. Das ist im doppelten Sinne das »Amt« des
Analytikers, der so die Rolle des »Fräuleins vom Amt« über-
177
nimmt, wobei der Patient für die Kosten der Vermittlung zu zahlen hat. Der Analytiker ermöglicht so als Anrufbeantworter »das
Wunder der Verbindung«.
Dies ist die Voraussetzung dafür, daß der Arzt als »aufzeichnender Phonograph« zum Anrufb.eantworter wird und eine telefonische Verbindung mit dem »psychischen Apparat« des Patienten herstellt, indem er sich auf den Analysierten einstellt »wie der
Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist«. Die »elektrischen Schwankungen der Leitung«, welche der Arzt »wieder in
Schallwellen verwandelt«, leiten sich weniger von der akustischen
als vielmehr von der psychoanalytischen Übertragung her. Insofern der »Widerstand gegen die analytische Deutung« ein
Widerstand des Patienten gegen die Kenntlichmachung der Wiederholung durch den Arzt ist und diese wiederum die» Übertragungssituation« auszeichnet, ist die Erreichbarkeit des Patienten,
ebenso wie die Empfangsbereitschaft des Arztes, die Voraussetzung dafür, daß das Unbewußte »hörbar« wird. Das Unbewußte
fällt »mit elektrischen Schwingtingen zusammen« (Kittler 1986,
S. 138). Der Widerstand gegen die Analyse ist gleichsam ein elektrischer, der die »Schwankung der Leitung« und damit das akustische Übertragen der Schallwellen ermöglicht. Die Botschaft, die
diese Schallwellen transportieren, ist aber nur für den Arzt »hörbar«. Während das Verdrängte vom Ich des Patienten »durch die
Verdrängungswiderstände scharf geschieden« ist und nur durch
das Es mit ihm kommunizieren kann, ist das Unbewußte des Arztes sehr wohl in der Lage, »aus den ihm mitgeteilten Ankömmlingen des Unbewußten dieses Unbewußte [...) wiederherzustellen«. Interessanterweise findet die Übertragung aber auch, ja
gerade dann statt, wenn der Patient für die Deutung des Analytikers »nicht erreichbar« ist. Umgekehrt ist der Analytiker ebenfalls nicht als Person erreichbar, sondern nur als »akustische Tafel« empfangsbereit. Betrachten wir noch einmal Freuds Traum
von Irma vor dem Hintergrund des Konkurrenzverhältnisses von
Schrift- und Telefonmetapher, so läßt der Umstand, daß er »ihren
Brief« durch (mündliche) Vorwürfe beantwortet, sobald sie die
Halle betritt, also »da ist«, »erreichbar« ist, eine bemerkenswerte
Umkehrung der quasi-telefonischen, analytischen Situation zutage treten: der Analytiker, der die Schallwellen des Patienten wie
ein Receiver empfangen soll, wird nun selbst zum »Teller«, der
durch die Nichtempfänglichkeit seiner Patientin zu einem Vor17 8
wurf, genauer: einem empörten »Rückruf« provoziert wird. Der
Analytiker verläßt in seinem Traum die »geschützte Position« eines Anrufbeantwortes, er geht an den Apparat und nimmt ab.
Hier ist zu fragen, inwiefern die von Derrida attestierte »technisch-psychoanalytische Paradoxie« nicht nur die oben erwähnte
»Paradoxie des Anrufbeantworters«, sondern auch die von Avit;ll
Ronell vorgenommene Gleichsetzungjedes Angerufenen mit einer »answering machine« betrifft. Zurückgewendet auf das Verhältnis zwischen dem »psychischen Automatismus« des Patienten
und der Technik der Analyse als Form des quasi-telefonischen
Empfangs läßt sich Ronells Gleichnis mit Derridas Kritik an der
Psychoanalyse koppeln, um in die These zu münden, daß die Rolle
des Psychonalytikers die eines »editeur automatique«, eines »Anrufbeantworters der Seele« ist. Der Analytiker, das zeigt Freuds
Telefonmetapher, macht sich selbst zu einem Apparat, zu einem
Diktiergerät, das als »editeur automatique« fungiert. Der Analytiker schal tet die Instanz seines» Ichs« aus, so daß der als Wunderblock strukturierte »psychische Apparat« des Patienten mit dem
»Telefonhörer« des Analytikers ohne dessen selektierendes Bewußtsein verbunden wird. Das von Freud geforderte »Abschalten
des Analytikerbewußtseins« ist seinerseits jedoch äußerst ambivalent, denn was folgt, ist das »Abnehmen des Hörers«, ohne daß
der Anruf des Patienten wirklich »angenommen« wird. Eben weil
das »Ich« des Analytikers ausgeschaltet bleiben soll, darf er nicht
als Person erreichbar sein, sondern nur als »akustische Tafel« - als
Anrufbeantworter. Nicht in der Abwertung der technischen Aufzeichnung besteht also die »technisch-psychoanalytische Paradoxie«, sondern in der Gleichzeitigkeit von Unerreichbarkeit und
Empfangsbereitschaft. In gewisser Hinsicht gleicht die analytische Situation damit nicht nur jener Kopplung von»Telephon und
Parlographen«, die Kafka in seinem Brief an Felice Bauer imaginiert (Kafka 1976; S. 266), sondern der im gleichen Brief erwähnten Situation einer telefonischen Unterhaltung zwischen einem
Parlographen in Berlin und einem Grammophon in Prag. Die analytische Situation ist, denkt man Freuds Telefonmetapher zu
Ende, ebenfalls eine reine Gerätekommunikation, bei der der Patient die immer gleiche Platte abspielt und diese Wiederholung
durch den Parlographen des Analytikers aufgezeichnet und rückァ・ォッー セャエ
wird. Die Bedingung der Möglichkeit der Analyse ist
die Empfangsbereitschaft des »ParIographen«.
179
Die Eingangsfrage, was es bedeutet, einen Anruf zu beantworten,
einen Anruf »anzunehmen«, wird vor dem Hintergrund der Psychoanalyse zur Frage danach, was es bedeutet, eine Deutung anzunehmen. Dabei hat der »Widerstand gegen die Analyse« sehr
viel mit dem häufig zu bemerkenden»Widerstand gegen den Anrufbeantworter« gemeinsam. Irritierend ist im letzten wie im ersten Fall der Umstand, daß eine Maschine antwortet, daß man gezwungen wird, seine Rede einem Automaten zur Archivierung zu
überlassen, und daß es dem Besitzer des Anrufbeantworters überlassen bleibt, den Zeitpunkt des Rückrufs zu bestimmen. Der
»Widerstand gegen die Analyse« ist aus der Sicht des Patienten
auch ein Widerstand dagegen, als Plattenspieler, als Apparat behandelt zu werden. Zugleich jedoch ist die Erkenntnis, daß wir
alle Apparate - und zumindest zum Teil Anrufbeantworter - sind,
die Voraussetzung dafür, daß wir den »An«- und »Aus«-Schalter
dieses Apparats selbst bedienen können. Der entscheidende Vorteil des Analytikers vor dem Patienten ist, daß er selbst bestimmen kann, wann er zum Apparat wird - zum automatischen
Anrufbeantworter - und wann er den Anruf als »lebendiges Gespräch« - live - annimmt. Hierin liegt die telekommunikative
Macht des Analytikers, die er mit keinem "echten« Phono- oder
Parlographen teilen möchte. Nicht Vorsprung durch Technik,
sondern Vorsprung durch Einsicht in Technik. Die Einsicht in
den psychischen Automatismus, in den Wiederholungszwang, ist
der »kathartische Effekt« der Behandlung. Sie ist die Wahrheit,
die die Technik der Psychoanalyse - telefonisch - in jedem zutage fördern will.
Noch ein Anruf ...
N eben dem Bezug zum Telefon haben die Frage nach dem Anrufbeantworter und die Frage nach der Psychoanalyse noch etwas
anderes gemeinsam: Sie implizieren die Frage nach der Technik.
Ein Anruf von Heidegger? Nehmen wir ihn an.
Für Heidegger ist die Technik »eine Weise des Entbergens«
(Heidegger 1967, S. 12), ein bestimmer Zugang zur Welt und zur
Erkenntnis, welcher die Begriffe »techne« und »episteme« insofern miteinander verknüpft, als beide »ein Sichauskennen in etwas« meinen: »Das Erkennen gibt Aufschluß. Als aufschließen180
des ist es ein Entbergen« (ebd., S. I2f.). Das »Entbergen« der
modernen Technik hat »den Charakter des Stellens im Sinne der
Herausforderung« - etwa dadurch, daß man die Energiequellen
der Natur aufschließt, umformt, speichert und verteilt. »Erschließen, umformen, speichern, verteilen, umschalten sind Weisen des
Entbergens« (ebd., S.16). Der Modus des »herausfordernden
Stellens« bezeichnet die ubiquitäre Verfügbarkeit des technisch
»Bereitgestellten«. So ist etwa ein Flugzeug zwar auch ein Gegenstand - also ein »Zeug« bzw. ein »Zuhandenes« -, doch seinem
Wesen nach ist es dadurch bestimmt, eine funktionsbereite Maschine zu sein. Diese Maschine steht auf der Rollbahn »nur als
Bestand, insofern sie bestellt ist, die Möglichkeit des Transports
sicherzustellen. Hierfür muß sie selbst in ihrem ganzen Bau, in
jedem ihrer Bestandteile bestellfähig, d. h. startbereit sein« (ebd.).
Eben diese ständige »Startbereitschaft« der Technik, also ihre
»Bestellbarkeit«, nennt Heidegger das »Ge-stell«, welches die
»Weise des Entbergens« der modernen Technik bestimmt (ebd.,
S.20).
Der Begriff des »Ge-stells« bezieht sich aber nicht nur auf das
»Herstellen« von etwas, sondern auch auf das »Bestellen« einer
Nachricht, ja sogar das »Stellen einer Frage« - so etwa in der wissenschaftlichen Befragung der Natur durch die Experimentalphysik »(...) deshalb wird das Experiment bestellt, nämlich zur
Befragung, ob sich die so gestellte Natur und wie sie sich meldet«
(ebd., S. 21). Selbst die Frage an die Natur wird getragen von der
Forderung, daß sie für diese Frage erreichbar zu sein hat. Nicht
nur die Psychoanalyse, auch die Physik gehorcht der Logik des
Telefons - und der des Anrufbeantworters. Die Apparate zur Befragung der Natur, welche der Aufzeichnung der Antworten dienen, sind Anrufbeantworter, die sich anschalten, wenn die Natur
»sich meldet«. Der Anrufbeantworter wird so zur Metapher nicht
nur für das Wesen der Technik, sondern auch für die Weise in der
die Frage nach der Wahrheit »gestellt« wird.
Insofern die Metapher von der »übertragbaren Botschaft« das
Kommunikationsproblem auf ein Transportproblem reduziert,
ist auch die Telekommunikation ein »Ge-stell«, der sowohl die
»Technologie des Kuriers« als auch das, »was durch eine gewisse
Telekommunikation beansprucht, sich zu schicken« (Derrida
19 82 , S. 7), gehorcht. Für Heidegger besteht das Geschick in dem,
was den Menschen »auf einen Weg des Entbergens bringt« (ebd.,
181
S. 24), denn »auf einen Weg bringen«, heißt »schicken«. Da nun
das "Wesen der modernen Technik« darin besteht, den Menschen
»auf den Weg jenes Entbergens« zu bringen, »wodurch das Wirkliche überall, mehr oder weniger vernehmlich, zum Bestand
wird« (ebd.), verbinden sich die Probleme des Transports, der
Kommunikation und der Technik. Telefon und Anrufbeantworter werden zu geschickten Metaphern dieser Verbindung.
Das Telefon ist der Inbegriff moderner Technik, weil es die
ständige Forderung nach Erreichbarkeit darstellt - man denke an
das Handy. »Handy« bedeutet »Handlichkeit«, aber auch »Zuhandenheit«. Diese Forderung nach ubiquitärer Zuhandenheit
findet ihre Antwort in der Mailbox des »unified messaging«, die
sich in ständiger Empfangsbereitschaft befindet und an die sich
gleichermaßen Voicemail, E-Mail und Faxe schicken lassen. Der
Anrufbeantworter sichert den »Bestand« der geschickten Nachrichten, nicht nur indem er sie aufzeichnet und speichert, sondern
indem er, auch bei momentaner Unerreichbarkeit »(be)ständig«
empfangsbereit - »standby« - ist. Wenn das Telefon Metapher für
die Forderung nach ubiquitärer Erreichbarkeit ist, wie sie das
Handy zu erfüllen scheint, dann liegt der metaphorische Tenor
des Anrufbeantworters in seinem »Standby«-Modus. Der Anrufbeantworter als »Gestell« repräsentiert die Herausforderung der
Technik dadurch, daß er ständig empfangsbereit ist, ohne erreichbar zu sein.
Der Anrufbeantworter ist nicht die Verneinung der Forderung
nach ständiger Erreichbarkeit, sondern die herausfordernde Antwort darauf. Nur auf den ersten Blick scheint der Anrufbeantworter die Forderung der Telefonie, ubiqitär erreichbar zu sein,
zu hemmen, indem er sie »aufschiebt«; tatsächlich hält dieser
Aufschub den Anspruch auf Erreichbarkeit als permanente Herausforderung aufrecht. Der Anrufbeantworter speichert dabei
nicht in erster Linie Botschaften, sondern er speichert die Forderung nach Empfangsbereitschaft. Der Anrufbeantworter gibt als
ständig empfangsbereiter »editeur automatique« heraus, was von
ihm herausgefordert wird. Der Anrufbeantworter ist keine Erlösung von der Forderung der Telefonie, erreichbar zu sein - er ist
deren Radikalisierung. Obwohl der Empfänger den Hörer des
Telefons nicht abnimmt, bleibt er der Forderung der Telefonie
hörig. Der Versuch, unerreichbar zu sein, »abzuschalten«, wird
182
durch das automatische Anschalten des Anrufbeantworters beantwortet. In dem Maß, in dem sich der menschliche Empfänger
»stand by« geschaltet hat, wird auch er - und zwar wörtlich - zu
einem »automatischen Anrufbeantworter«.
»Dienstag 00 Uhr 19. Dies war Ihre letzte Nachricht. Um alle Nachrichten
zu speichern, drücken Sie die EINS. (Pause) Alle Nachrichten gelöscht.«
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