I[eeW`eUZSXfeg`VFWUZ`[]XadeUZg`Y
:h$CWhYJehaWfhecel_[hj[Wc?di_jkj\hM_ii[diY^W\ji#kdZJ[Y^d_a\ehiY^kd]Z[hKd_#
l[hi_jj8_[b[\[bZkdZWhX[_j[j][][dmhj_]_dZ[h<ehiY^kd]i]hkff[ØM_ii[diY^W\ji#
feb_j_aÇWcM_ii[diY^W\jip[djhkc\hIep_Wb\ehiY^kd]_d8[hb_d$
Fad]S
<ehiY^kd]i^WdZ[bdijjpji_Y^m_[`[Z[iiep_Wb[>WdZ[bdWk\CeZ[bb[Z[h7d][c[ii[d#
^[_j$?dFhe`[aj[dpkZ[da[dkdZpk^WdZ[bd"_ij[_d[iZ_[i[h^[kj[m[_jl[hXh[_j[j[d
Ckij[h"ZWi_dpm_iY^[dWkY^Z_[M_ii[diY^W\j[dZec_d_[hj$M_[kdZmWhkcZ_[Fhe`[aj#
\ehcZehjpk[_d[hiep_Wb[dIjhkajkhX_bZkd][_][d[dJofi][mehZ[d_ijkdZm_[i[^hi_[
_dZ[h<ehiY^kd]ifhWn_i[_d[;_][dbe]_a[dj\Wbj[j"h[aedijhk_[hjCWhYJehaW_dZ_[i[c
8kY^$:_[<WbbWdWboi[dfhe`[aj\hc_][d<ehiY^kd]i^WdZ[bdil[hX_dZ[d;ha[ddjd_ii[Z[h
M_ii[diY^W\ji\ehiY^kd]"Z[h7bb][c[_d[dIep_ebe]_[kdZZ[hiep_ebe]_iY^[d=[][dmWhji#
Z_W]dei[c_j[_dWdZ[h$
6[WBda\W]fXd_[Y]W[fVWd8adeUZg`Y
?SdUFad]S
6[WBda\W]fXd_[Y]W[f
VWd8adeUZg`Y
)
ISBN 978-3-8329-4961-7
Decei
n%
M_ii[diY^W\jkdZJ[Y^d_ai_dZm[i[djb_Y^[7djh_[Xiah\j[][i[bbiY^W\j#
b_Y^[hL[hdZ[hkd]$I_[^WX[d_dZ[db[jpj[d@W^hp[^dj[dpk]b[_Y^j_[\
]h[_\[dZ[Aedjhel[hi[dkdZAed\b_aj[X[hZ_[<eb][dkdZZ_[c]b_Y^[d
=h[dp[dm_ii[diY^W\jb_Y^[hkdZj[Y^d_iY^[hCeZ[hd_i_[hkd]ifhep[ii[
^[hleh][hk\[d$:W^[hX[h^h[di_[ZWiI[bXijl[hijdZd_iceZ[hd[h
=[i[bbiY^W\j[d_d]hkdZb[][dZ[hM[_i[$
:_[H[_^[M_ii[diY^W\ji#kdZJ[Y^d_a\ehiY^kd]m_Zc[ji_Y^Z[d][i[bb#
iY^W\jb_Y^[d"eh]Wd_iWjeh_iY^[dkdZ_dj[hWaj_l[d:_c[di_ed[dceZ[h#
d[hM_ii[diY^W\jkdZJ[Y^d_a"_^h[c^_ijeh_iY^[dMWdZ[b"Z[d:_iakhi[d
kdZ:[kjkd]ickij[hd"_dZ[d[di_[aecckd_p_[hjkdZb[]_j_c_[hj
m[hZ[d"iem_[Z[dc_j_^d[dl[hXkdZ[d[d[j^_iY^[dkdZfeb_j_iY^[d
>[hWki\ehZ[hkd][d$I_[_dj[]h_[hjJ^[eh_[dkdZC[j^eZ[dWkikdj[h#
iY^_[Zb_Y^[dj^[cWj_iY^h[b[lWdj[d:_ip_fb_d[d"lehWbb[cWkiIep_e#
be]_[kdZ=[iY^_Y^jim_ii[diY^W\j$:Wc_jX_[j[ji_[ieme^b=hkdZ#
bW][dm_ii[d\hZ_[X[j[_b_]j[dm_ii[diY^W\jb_Y^[d:_ip_fb_d[dWbiWkY^
Eh_[dj_[hkd]im_ii[d\h;djiY^[_Zkd]ijh][hkdZZ_[_dj[h[ii_[hj[
z\\[djb_Y^a[_j$
IY^h_\j[dh[_^[
ØM_ii[diY^W\ji#kdZJ[Y^d_a\ehiY^kd]Ç
^[hWki][][X[dled
Fhe\$:h$7b\edi8ehW"Kd_l[hi_jj8_[b[\[bZ
Fhe\$:h$IWX_d[CWWi[d"Kd_l[hi_jj8Wi[b
Fhe\$:h$9Whij[dH[_d^WhZj"Kd_l[hi_jj8_[b[\[bZ
F::h$F[j[hM[^b_d]"Kd_l[hi_jj7k]iXkh]
8WdZ)
CWhYJehaW
:_[Fhe`[aj\hc_]a[_j
Z[h<ehiY^kd]
Decei
:_[:[kjiY^[DWj_edWbX_Xb_ej^[al[hp[_Y^d[jZ_[i[FkXb_aWj_ed_d
Z[h:[kjiY^[dDWj_edWbX_Xb_e]hW\_[1Z[jW_bb_[hj[X_Xb_e]hW\_iY^[
:Wj[di_dZ_c?dj[hd[jX[h^jjf0%%mmm$Z#dX$Z[WXhk\XWh$
Pk]b$08_[b[\[bZ"Kd_l$":_ii$"(&&.
?I8D/-.#)#.)(/#*/,'#-
'$7k\bW][(&&/
DeceiL[hbW]i][i[bbiY^W\j"8WZ[d#8WZ[d(&&/$Fh_dj[Z_d=[hcWdo$7bb[H[Y^j["
WkY^Z_[Z[iDWY^ZhkYailed7kip][d"Z[h\ejec[Y^Wd_iY^[dM_[Z[h]WX[kdZZ[h
{X[hi[jpkd]"lehX[^Wbj[d$=[ZhkYajWk\Wbj[hkd]iX[ijdZ_][cFWf_[h$
Inhaltsverzeichnis
1.
Die Welt der Projekte und die Projektförmigkeit der Forschung
9
2.
Die Projektform als operative Struktur im Wissenschaftssystem
21
2.1. Zum begrifflichen Verhältnis von ‚Projekt’ und ‚Forschung’
2.1.1. Projektbegriff
2.1.2. Forschungsbegriff
2.1.3. Projektförmige Forschung
24
25
35
45
2.2. Die Projektform als operative Struktur
2.2.1. Begriffliche Umwelten
2.2.2. Semantik und Deutungsmuster als operative Sinnstrukturen. Zur
Komplementarität von Systemtheorie und Objektiver Hermeneutik
2.2.3. Systemtheoretisches Semantikkonzept
2.2.4. Deutungsmusteransatz der Objektiven Hermeneutik
49
50
56
67
74
2.3. Zusammenfassung und Folgerungen für die Analyse
82
3.
4.
Karriere der Projektform:
Von der randständigen Projektemacherei über die spezifische
Projektforschung zur projektförmigen Struktur der Forschung
Stabilisierung der Projektform in der Forschungsförderung
88
100
4.1. Die Projektform als Voraussetzung, „Forschung statt Forscher“ zu fördern 102
4.2. Projektförmigkeit der Forschung als kommunikative Erwartung
4.2.1. Rekonstruktion des Merkblatts zum Normalverfahren
4.2.2. Rekonstruktion des Leitfadens zum Normalverfahren
111
112
127
4.3. Fazit
140
7
5.
Die Projektform in der Forschungspraxis
5.1. Über die Einheit von Projektform und technischer Forschung
5.1.1. Projektförmige Kommunikation und das Bezugsproblem
„Vertragslogik“
5.1.2. Die Differenz zwischen Forschungspraxis und idealem Projekt
5.1.3. Genese und Stabilisierung eines neuen Forschungsprojekts
5.1.4. Fazit: Differenzierung von Projektform und Forschung
142
148
151
172
182
203
5.2. Über die Spannung zwischen Projektform und empirischer Forschung
5.2.1. Umordnung sachlicher, sozialer und zeitlicher Bezüge in der
projektförmigen Kommunikation
5.2.2. Erwartungsstrukturen der Projektform
5.2.3. Selektivität der Projektform
5.2.4. Fazit: Einschränkung von Handlungsoptionen
208
217
226
241
5.3. Über die Differenz zwischen Projektform und theoretischer Forschung
5.3.1. Verhältnis zwischen Professor M.s Forschungsart und Projektform
5.3.2. Zeitstrukturierung: Konstruktion von Äquivalenten zur Projektform
5.3.3. „Teamwork und Theorie, das geht nicht zusammen“
5.3.4. Theorietechnik als „Rudimente eines Handwerkszeugs“
5.3.5. Fazit: Die Anschlussfähigkeit der Projektform
243
245
254
268
273
278
5.4. Fazit: Die Projektform als generalisierte und eigenständig operierende
Struktur in der Forschungspraxis
279
6.
Zusammenfassung und Ausblick
284
7.
Literatur
303
8
205
1. Die Welt der Projekte und die Projektförmigkeit der Forschung
Das Phänomen: Projektförmigkeit
Der Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein sehr altes, allgemeines und weit verbreitetes
Phänomen, das heute zum allgegenwärtigen und selbstverständlichen Bestandteil
des sozialen Lebens geworden ist. Wo man hinsieht, drängt sich eine einheitliche
Bezeichnung von ganz unterschiedlichen Sachverhalten und Handlungszusammenhängen als ‚Projekt‘ auf. Sein Leben nach einzelnen Projekten zu ordnen, Projekte
anzustoßen, daran beteiligt zu sein oder hierfür nach Unterstützung zu suchen, ist
modern. Andere Beschreibungsmöglichkeiten – einer Tätigkeit nachgehen, einen
Auftrag oder eine Aufgabe erfüllen, vielleicht auch einfach etwas vorhaben, genügen nicht mehr. Heute bedarf es Projekte aller Art.
Vor allem in der Berufswelt der selbstständigen, kreativen und schöpferischen
Tätigkeiten sowie zunehmend auch in allen Bereichen der postindustriellen
Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft (Bell 1973) hat sich das Projekt als zentrale Einheit des Berufsalltags durchgesetzt. Man macht keine Theaterinszenierung
oder produziert keinen Film, sondern hat ein Theater- oder Filmprojekt; statt an
einem Kunstwerk zu arbeiten, ist man an einem Kunstprojekt beteiligt; kulturelle
Veranstaltungen werden als Kulturprojekte ausgeflaggt; man forscht oder entwickelt
nicht mehr nur, sondern bearbeitet ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt; in der
Sozialarbeit werden nicht lediglich Betreuungsleistungen erbracht, sondern am laufenden Band Sozialprojekte initiiert; statt Kundenaufträge zu bearbeiten, bewältigt
man heute Kundenprojekte; statt Maßnahmen der Staatsbürokratie durchzusetzen,
werden Eingliederungs- oder Qualifizierungsprojekte angeboten, und bisweilen wird
sogar die Massenfertigung zur im Team verfolgten Projektarbeit. Nicht die jeweiligen Inhalte einer Tätigkeit, sondern abstrakte Formkriterien bestimmen, inwiefern
etwas als ‚Projekt‘ gekennzeichnet wird. Von Projekten ist typischerweise die Rede,
sobald konkrete Inhalte von bestimmten Personen in begrenzter Zeit hervorgebracht
werden sollen.
Auf die Projektform abgestimmt, haben sich spezielle Techniken, Organisationsformen und Berufsrollen entwickelt, die dazu beitragen, Projekte zu entwerfen, zu
beantragen, zu finanzieren, durchzuführen und in ihrem Verlauf zu kontrollieren.
Will man eigene Ideen verwirklichen, dann fertigt man eine Projektbeschreibung an
und sendet diese an Projektförderungsorganisationen wie Stiftungen, Hilfsfonds
oder Fördervereine. Berufliche Karrieren starten über die Partizipation an Projekten
und münden vielleicht in einer Projektmitarbeit oder Projektleitung. Als Projektmanager ist man von der inhaltlichen Arbeit entbunden, um über den Erfolg von
Projekten zu wachen und neue Projekte zu initiieren. Hierfür entwickelt das Projektmanagement ohne Unterlass Techniken, die anfallende Arbeiten in Projekte ordnen
und darauf hinwirken sollen, dass auch im Sinne des Projekts gehandelt wird.
9
Die Projektform bleibt aber nicht auf das zweckorientierte Berufsleben begrenzt.
Man trifft auf Beschreibungen, in denen das ganze „Leben als Projekt“ (Boltanski
2007) erscheint. Soziale Bindungen und Verortungen stellen sich auf die Möglichkeit zukünftiger Veränderungen ein und konstituieren eine Biographie, die von Projekt zu Projekt voranschreitet. In diesen Bannkreis diskontinuierlicher Lebensabschnitte und -ausschnitte kann alles geraten, was vormals als fester Bezugspunkt
galt. Statt beispielsweise einer alternativen Lebensführung nachzugehen, engagiert
man sich fortlaufend in Alternativprojekten oder beschreibt sogar die eigene
Existenz als Projekt. Selbst Paarbeziehungen, Kinder oder der Mensch werden gelegentlich mit dem Projektbegriff belegt, sofern dabei das potenzielle Ende mitbedacht
wird oder hervorgehoben werden soll, welch besonderer Anstrengungen ihr Zustandekommen bedarf oder dass dabei unterschiedliche Entwicklungsalternativen offen
stehen. Das Denken und Handeln in Alternativen sowie in Perioden mit Anfang und
Ende sind der Projektform eigen und finden sich in allen Lebensbereichen wieder
(Luhmann 1990b; Seyfarth 2002; Lehmann 2004).
Aber worauf deutet der expansive Gebrauch der Projektsemantik hin? Handelt es
sich nur um eine weiter nicht beachtenswerte semantische Modeerscheinung, die
allenfalls einer satirischen Behandlung als „Projektquatsch“ (Henscheid 1991)
standhält? Oder stoßen wir ganz im Gegenteil auf eine inzwischen institutionell
abgestützte gesellschaftliche Selbstbeschreibung, die auf eine allgemeine Problemlage und einen ‚Zeitgeist‘ verweist? Liefert die Projektform eine geeignete Bearbeitungsweise für verallgemeinerbare zeit-typische Anforderungen und ist sie deshalb
zu einem Handlungsbereiche übergreifenden Orientierungsmuster avanciert? Diese
Arbeit geht davon aus, dass die Projektform eine allgemeine Grundstruktur ist und
stellt sich die Aufgabe, dies nachzuweisen. Es macht einen Unterschied, ob etwas
als Projekt bezeichnet wird oder nicht. „Folgerichtig würde man nie sagen dürfen,
dass eine Analyse nur eine semantische Analyse ist, der sich fundamentale Realitäten entzögen“ (Stichweh 2006: 168).
Mit dieser Sichtweise steht diese Arbeit nicht allein. Andere Autoren schreiben
der Projektform ebenfalls eine epochale Bedeutung zu. Neben ideologiekritischen
Ansätzen, welche die Anforderung in Projekten zu handeln als Folge und Rechtfertigung einer neo-liberalistischen Wirtschaftsordnung verstehen (Boltanski/Chiapello
2003; Bröckling 2005, 2007), finden sich auch sozialphilosophische und sozialtheoretische Arbeiten, die das Projekt ins Zentrum gesamtgesellschaftlicher
Entwicklungen stellen. Dort wird beispielsweise eine Verschiebung Vom Subjekt
zum Projekt (Flusser 1994), das Hervortreten einer neuen Ontologie des Project
Man (Lundin/Söderholm 1995), die Projektform als Schlüsselphänomen fortgeschrittener Gesellschaften (Seyfarth 2002) oder sogar eine „projectified society“
konstatiert (Sahlin-Andersson/Söderholm 2002: 14). Für die Erhärtung solcher generalisierenden Thesen zu einer gesamtgesellschaftlichen Transformation, in deren
Kern die Projektform steht, wäre jedoch ein umfangreiches empirisches und theoretisches Forschungsprogramm vonnöten. Doch dies ist ein Desiderat, dem bislang
niemand nachgekommen ist und dem auch diese Arbeit nicht entsprechen kann. Die
Ausarbeitung dieser gesellschaftstheoretischen Fragen bedarf eingeschränkter Fall10
studien, die zugleich konzeptionell und begrifflich im Blick behalten, dass die Projektform eine den jeweiligen Handlungsbereich überschreitende Struktur ist.
Wir schränken die empirische Analyse deshalb auf einen Handlungsbereich ein,
in dem die Projektform besonders bedeutsam ist: die Projektform in der Forschung.
Die Kerntätigkeit der Wissenschaft scheint umfassend durch die Projektform
bestimmt zu sein. Finanzierungsformen, Organisationen, Karrieren und Forschung
selbst beziehen sich verstärkt auf die Grundeinheit ‚Projekt‘. Vor dem Hintergrund,
dass die Projektform eine Grundstruktur im Wissenschaftssystem ist und zugleich
gesellschaftsweit Verwendung findet, überrascht die nahezu ausbleibende Thematisierung der Projektförmigkeit von Forschung in der Wissenschaftssoziologie.1
Obwohl diese unter dem Stichwort der ‚Wissensgesellschaft‘ seit Jahren vornehmlich grenzüberschreitende Strukturen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in den
Blick nimmt, bleibt die grundlegende Struktur ‚Projektförmigkeit‘ ausgespart. Eine
Erklärung hierfür könnte sein, dass die Projektform in der Wissenschaft (und darüber hinaus) als Selbstverständlichkeit gilt und deshalb nicht als eigenständige
Struktur wahrgenommen wird.
An dieser Stelle setzt diese Arbeit mit der These ein, dass die Projektform eine
Struktur ist, die kontextunabhängig mit eigenen Unterscheidungen operiert und
deshalb eigenlogische Selektionen auch in Forschung und Wissenschaft vornimmt.
Dabei stellt sich die Frage, wie sich die Projektform historisch, organisatorisch und
vor allem in konkreten Forschungszusammenhängen als eigenständige operative
Struktur manifestiert. Bevor wir uns dem empirischen Feld ‚Projektförmigkeit der
Forschung’ und dem konkreten Argumentationsgang widmen, bedarf es einer Vergegenwärtigung der besonderen Perspektive dieser Arbeit.
Die Perspektive: Projektform als eigenständige operative Struktur
Im Unterschied zu Arbeiten, die der Projektform ebenfalls einen zentralen Stellenwert einräumen und diese vor allem dem Wirtschaftssystem (Boltanski/Chiapello
2003; Bröckling 2005, 2007) und Organisationen (Lundin 1995; Luhmann 2000;
Besio 2009) zuordnen, wird die Projektform hier nicht als Element eines bestimmten
Handlungskontextes begriffen. Stattdessen wird sie als eine eigenständige Sinneinheit verstanden, die von beliebigen Akteuren in unterschiedlichen Situationen verwendet und spezifiziert werden kann.
Die zuvor dargelegte hohe Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Handlungsbereiche, ihre Querlage zu üblichen Ordnungskategorien sowie die Selbstverständlichkeit
ihres Gebrauchs kennzeichnen die Projektform als eine nicht reduzierbare soziale
Tatsache sui generis (Durkheim 1961 [1895]). Aus welchen Gründen die Projektform auch immer entstanden sein mag, einmal in der Welt, strukturiert sie diese
nach Maßgabe eigener abstrakter Unterscheidungen. Hierzu gehört beispielsweise
die Relationierung der Differenzen von Anfang/Ende, Gegenwart/Zukunft, Idee/
Verwirklichung, alltäglich/außeralltäglich oder bekannt/neu.
1
Wichtige Ausnahmen finden sich in Fußnote 4.
11
Gerade der selbstverständliche und allgegenwärtige Gebrauch sowie die nahezu
ausbleibende Thematisierung zeigen die Stabilität und kollektive Gültigkeit der
Sinneinheit ‚Projekt‘ an (Geidecke/Liebert 2003: 6-8). Sie bietet eine nicht weiter
begründungsbedürftige, aber dennoch eigene Weltsicht, an der sich Handlungen
verschiedenster Art orientieren. Gleichwohl hält die Projektform spezifische Erwartungsstrukturen bereit, die auf nahezu alle Sachverhalte bezogen werden können und
hierüber in besonderer Weise konstruiert werden. Wie jede spezifische Beobachtungsweise erzeugt auch die Bezeichnung von etwas als Projekt „a difference which
makes a difference“ (Bateson 1972: 315). Die Projektform fügt dem Bezeichneten
etwas hinzu und stellt damit eine eigenständige Struktur dar, die operativ wirksam
ist, indem sie Anforderungen an die Folgehandlungen und Anschlusskommunikationen stellt. Wird beispielsweise die kontinuierliche, alltägliche und der Sphäre der
Routine zugehörige Tätigkeit des Wohnens zum ‚Wohnprojekt’, dann entsteht ein
Anspruch auf ständige Veränderung, Neugestaltung und außeralltägliche Erlebnisse.
Welche Beobachtungsinstanz (Personen, Interaktionssystem, Organisationen, Funktionssystem) aus welchen Gründen und in welchen Kontexten auch immer die Projektform wählt, so werden mit deren Verwendung Erwartungen hinsichtlich dessen
hervorgerufen, was möglich und unmöglich bzw. nötig und unnötig ist. Wenn manche Handlungssituationen Eigenschaften aufweisen, die sich der Projektform nicht
unmittelbar und wie selbstverständlich fügen (z.B. das alltägliche und dauerhafte
Wohnen), dann greift dies die Erwartungsstrukturen der Projektform nicht an. Die
Frage, warum eine Bezeichnung gewählt wurde oder nicht, ist von den kommunikativen Folgen zu unterscheiden. Aber sobald eine Selbstbeschreibung als ‚Projekt‘
vorgenommen wird, gestaltet sich die Handlungssituation entlang der Erwartungsstrukturen der Projektform um.
Wenn die Projektform in Anspruch genommen wird, dann liefert sie Unterscheidungen, die den jeweiligen Sachverhalt einer spezifischen Beobachtungsweise unterziehen:
„Der Name, den man einer Sache gibt, lässt diese nicht unberührt. Etwas als Projekt zu deklarieren, heißt ihm den Charakter eines Entwurfs oder Vorhabens zuzusprechen und in der Folge
so auf es einzuwirken, dass es den Kriterien der Projektförmigkeit entspricht“ (Bröckling
2005: 366).
Welche Erwartungsstrukturen der Projektform zu Grunde liegen, ob, inwieweit und
auf welche Weise eine Eigenselektivität entfaltet wird, dies zu klären ist Gegenstand
und Aufgabe dieser Arbeit. Sofern es gelingt, die Projektform als eigenständige
operative Struktur im Bereich der Forschung zu rekonstruieren, ergeben sich erste
Hinweise in Hinblick auf Fragen, die über den konkreten Gegenstand dieser Arbeit
hinausreichen. Deren Thema ist an drei Diskussionsstränge anschließbar, die kurz
angeführt werden sollen und zu unserem konkreten Untersuchungsfeld ‚Forschung‘
überleiten.
Die Analyse operativer Strukturen steht im Kontext der in letzter Zeit verschiedentlich gestellten Frage, ob im Rahmen der allgemeinen soziologischen (System)
Theorie nicht weitere Ebenen einbezogen werden müssten oder ob mit der Unterscheidung der drei Typen Funktions-, Organisations- und Interaktionssystem bereits
12
alle Möglichkeiten abgedeckt sind.2 Gerade die Projektform liefert einen Gegenstand, der sich einer einfachen Zuteilung sperrt und immer wieder als ein ebenenübergreifendes Phänomen beschrieben wird, das quer (Besio 2009: 15) oder „zwischen“ (Neidhardt 1983: 552) diesen Systemtypen steht und mithin eine „Mittellage“ einnimmt (Bröckling 2005: 264). Von daher liefert die Analyse der Projektform
als operativer Struktur ein instruktives Beispiel.
Die Projektform wird überwiegend im Kontext der oben angeführten gesellschafts-theoretischen Verallgemeinerungen und im Rahmen der Organisationssoziologie verhandelt. Der hier verfolgte Ansatz, die Projektform als operative Struktur
zu analysieren, bringt zwei fruchtbare Einwände hervor. Die Projektform ins Zentrum einer gesamtgesellschaftlichen Transformation zu stellen und beispielsweise als
„projectified society“ (Sahlin-Andersson/Söderholm 2002) zu kennzeichnen setzt
eine Ersetzungsthese voraus. Zu diesem Zweck müsste am konkreten Gegenstand
überprüft werden, ob und ggf. wie die Projektform andere Strukturen ersetzt oder
überlagert. Es stellt sich die Frage, ob die Orientierung an Erwartungsstrukturen der
Projektform genuin wissenschaftliche Bezüge ersetzt. Wird die Projektform in die
Logik wissenschaftlichen Handelns integriert? Oder treten Erwartungskomplexe der
Projektform und der Forschung parallel auf? Werden also bisherige wissenschaftliche Handlungsformen durch die Projektform verändert oder stellt sie nur eine neben
anderen Strukturen dar? Dies sind empirische Fragen, denen in dieser Arbeit am
konkreten Gegenstand nachgegangen wird und die insofern für weiterführende Fragen aufschlussreich sind.
In der Organisationssoziologie wird die Projektform zweifellos am intensivsten
diskutiert; sie wird dabei überwiegend als Organisation verstanden. Auf den ersten
Blick erscheint das plausibel, denn Planung, Koordination und Terminierung zur
Vorbereitung von Finanzierungsentscheidungen sind schließlich typische Merkmale
von Projekten. Ohne den Konnex zwischen Organisation und Projektform in Abrede
stellen zu wollen oder die herausragende Bedeutung von Organisationen für die
Stabilisierung und Durchsetzung der Projektform zu bezweifeln, führt die Annahme
einer eigenständigen operativen Struktur jedoch über eine Kennzeichnung als Organisation hinaus. Die angeführten empirischen Verwendungsweisen und Charakterisierungen der Zwischen- und Querlage von Projekten lassen vermuten, dass das
2
In diesem Kontext wird mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten experimentiert. Beispielsweise spricht Fuchs von Beratung als „fungierender Ontologie“ (2004: 249); Bora arbeitet mit
den Begriffen „Diskurs“, „soziale Positionierung“ oder „Positionalität“ (2005) vor allem im
Rahmen systemtheoretisch angeleiteter empirischer Forschung. Auch Schneider (2004: 241)
platziert die Analyse und den Begriff der „operativen Struktur“ an zentraler Stelle, um das
Auflösungsvermögen systemtheoretischer Gesellschaftstheorie zu vergrößern und unterhalb
dieser Ebene an konkreten Gegenständen verfügbar zu machen. In gleicher Weise plädiert
Nassehi (2008: 98) für einen „operativen Funktionalismus“, der sich eben nicht auf vermeintliche institutionelle Differenzierungen beschränkt, sondern vor allem Handlungsformen „zwischen Interaktion, Organisation und Gesellschaft, aber auch zwischen gesellschaftlichen
Funktionslogiken“ aufsucht. Semantik und Deutungsmuster sind weitere Begrifflichkeiten,
die auf eine solche Zwischenlage abzielen und in Kapitel 2 eingehend erörtert werden.
13
Beobachtungsschema der Projektform diese Bezüge nicht zwingend voraussetzt und
eigenen Regeln folgt. Hinweise für die These, dass die Bestimmung der Projektform
als Organisation eine unzureichende Reduktion ist, finden sich in der Organisationssoziologie selbst. Sobald von der Projektform die Rede ist, werden atypische, mit
zahlreichen Anomalien versehene Organisationsformen genannt. Zum Beispiel fehlt
der „temporary organization“ (Lundin 1995) oder „Adhokratie“ (Mintzberg 1992)
der Charakter der Dauerhaftigkeit und formalen Reguliertheit. Eine weitere Variante
ist, den Organisationsbegriff per se für die Herstellung sozialer Ordnung zu reservieren und auf den Aspekt des „Organisierens“ auszudehnen, um die Projektform zu
fassen (Hasse 1996: 81 ff.). Schließlich sind Ansätze zu finden, welche die Eigenständigkeit der Projektform zwar benennen, aber nicht aus der Organisationstheorie
herauslösen. Organisationen sind dann beispielsweise „project-based“ (Sydow et al.
2004) oder „projektifiziert“ (Midler 1995, Kalkowski/Mickler 2002). Die Projektform als eigenständige operative Struktur zu begreifen, ermöglicht hingegen aufschlussreiche Fragen: Welche organisationsinternen Probleme bearbeitet die Projektform? Zu welcher Betrachtung des Gegenstands sind Organisationen angehalten,
wenn auf die Projektform gesetzt wird? Ist die Projektform sogar eine Bedingung für
den Aufbau der „organisierten Forschung“ (Krauch 1970; Hasse 1996)? Um diese
Fragen zu beantworten, muss das Verhältnis zwischen Organisation und Projektform
in zwei Richtungen beleuchtet werden. Zum einen ist zu untersuchen, weshalb die
Förderorganisationen der Forschung auf die Projektform angewiesen sind und in
welcher Weise diese als Beobachtungs- und Entscheidungsmittel genutzt wird
(Kapitel 4). Zum anderen stellt sich die Frage, wie Drittmittelprojekte mit der Anforderung umgehen, sich als Projekt zu kommunizieren.
Die Projektform in der Forschung zu untersuchen, ist schließlich die bislang wenig beachtete Aufgabe der Wissenschaftssoziologie. Wenden wir uns also unserem
Gegenstand mit der Frage zu, welche Anschlüsse sich bieten, wenn man die Projektform als operative Struktur der Forschung analysiert.
Der Gegenstand: Projektförmigkeit der Forschung
Um die Projektform als eigenständige operative Struktur zu analysieren, ist die Wissenschaft ein besonders interessanter und instruktiver Fall. Wie kaum ein anderes
gesellschaftliches Funktionssystem ist die heutige Wissenschaft umfassend projektförmig strukturiert. Die Projektform ist über alle Disziplinen und Forschungsarten
hinweg fest etabliert und institutionalisiert, so dass die im Wirtschaftssystem noch
übliche Rede von einem Prozess der „Projektifizierung“ unangemessen erscheint
(Midler 1995; Kalkowski/Mickler 2002). Der Normalfall von Forschung ist projektförmige Forschung. Die Projektform liefert von den Finanzierungsmechanismen
über die Forschungsorganisationen und Karrieren bis zur Kerntätigkeit der Forschung ein gemeinsames Muster mit eigenem semantischen Apparat, der Projektförderung, Projektorganisation, Projektmitarbeiter und -leiter sowie Forschungsprojekte
umfasst.
14
Im Alltag bedeutet Forschung zu betreiben überwiegend, Projekte zu entwerfen,
zu lancieren und eventuell durchzuführen. Befristete Beschäftigungen sind in der
Forschung die Regel und auch die institutionell vorgesehenen lehr- und leitungsbezogenen Stellen betreiben Projektakquise. Die Forschungstätigkeit selbst vollzieht
sich in Form von Forschungsprojekten, und die Fähigkeit, Projekte zu akquirieren,
sie zu bearbeiten, zu koordinieren oder zu leiten, gilt mittlerweile in Stellenausschreibungen ebenso als Gütesiegel von Wissenschaftlern wie die Verfügung über
Projekte zunehmend ein Leistungsmerkmal von wissenschaftlichen Institutionen
geworden ist.
Die Verschränkung der Tätigkeit Forschung mit der Projektform ist eine über alle
disziplinären Unterschiede hinweg geteilte und nicht selten normativ abgestützte
Selbstverständlichkeit: „Befristete Arbeitsverhältnisse entsprechen der Projektförmigkeit wissenschaftlicher Tätigkeit am besten“ (Wissenschaftsrat 2000: 52). Diese
Selbstverständlichkeit drückt sich aber auch im Feld selbst aus. Bis auf wenige Ausnahmen fristet das Kernphänomen der Projektform bei den professionellen Beobachtungsinstanzen des Wissenschaftssystems (Wissenschaftsphilosophie, -geschichte,
-soziologie und -forschung) ein vergleichsweise randständiges Dasein und wird
kaum explizit thematisiert.3 Macht man die Projektform wie in dieser Arbeit zum
Thema, stößt man unter Forschern auf überraschte oder sogar abwehrende Reaktionen („Wie soll man denn sonst forschen?“), so wie stets, wenn an Grundgewissheiten gerüttelt wird.
Eine empirische Arbeit über die Projektförmigkeit der Forschung steht vor zwei
Problemen. Da die Projektform eine Grundstruktur im Wissenschaftssystem ist,
müsste eine nicht zu bewältigende Analyse des gesamten Wissenschaftssystems auf
allen zuvor genannten Ebenen und zu verschiedenen Zeiten geleistet werden. Man
müsste heterogene Fragen nach den Effekten projektförmiger Finanzierungsmodi,
Karrieremodelle, Organisationsweisen für unterschiedliche Forschungstypen beantworten und aufeinander beziehen. Eine Landkarte empirischer Realisationen der
3
Eine breitere, vorwiegend auf Steuerungsprobleme projektförmiger Handlungszusammenhänge bezogene Diskussion erfolgt vor allem in der betriebswirtschaftlich orientierten und
organisationsbezogenen Projektmanagementliteratur. Auf diese beziehen sich dann auch Arbeiten, die dem hier vorgelegten Ansatz am ähnlichsten sind. Am bekanntesten dürfte die Arbeit von Luc Boltanski und Eve Chiapello über den Neue(n) Geist des Kapitalismus (2003)
sein, der sich maßgeblich über die Projektform legitimiert („projektbasierte Polis“). Hieran
schließen die Gouvernementalitätsstudien von Bröckling (2005, 2007) an. Auf die Rolle der
Projektform in der Wissenschaft beziehen sich vergleichsweise wenige Arbeiten direkt, ausgenommen Neidhardt (1983) aus gruppensoziologischer, Neidhardt (1986, 1988) aus gutachterlicher und Besio (2009), Luhmann (1990), Stichweh (1988, 1994), Kaddatz (1987), Platt
(1976), Buchhofer (1979) aus vorwiegend organisationssoziologischer Perspektive. Als allgemeines Schema erscheint die Projektform nur in den Essays von Matthes (1988) und Wolff
(1996) sowie in den ‚grauen Papieren‘ von Seyfarth (1999, 2002). Empirische Arbeiten beziehen sich nicht auf die Projektform selbst, sondern auf Drittmittelquoten und den Zusammenhang von Drittmitteln und Publikationsoutput (Hornbostel 1997; Jansen et al. 2007), die
zunehmende Abhängigkeit von Drittmitteln sowie auf Einzelprobleme bei der Drittmittelakquise (Schimank 1992, 1995).
15
Projektform im Wissenschaftssystem zu zeichnen, ist unmöglich, aber für das Erkenntnisinteresse dieser kommunikationstheoretischen Arbeit auch unnötig. Hier
wird die Frage gestellt, welche spezifischen Erwartungsstrukturen die Projektform
freisetzt, in welchem Verhältnis diese zu Erwartungsstrukturen der Forschung stehen
und welche Selektionen auftreten, wenn beide aufeinander bezogen werden. Um
diese Frag zu beantworten, muss man verschiedene Kontexte aufsuchen, von denen
erwartbar ist, dass Forschung und Projektform zusammentreffen und kommunikativ
bearbeitet werden. Verfolgt man die Kommunikations- und Handlungsereignisse,
die auftreten, sobald die Projektform ins Spiel kommt, dann lässt sich beobachten
und rekonstruieren, ob und welchen Unterschied es macht, wenn die Projektform
aufgerufen wird. Prototypisch ist dies im Rahmen von Drittmittelprojekten der
hiermit befassten Organisationen der Fall, aber auch in der historischen Sequenz der
Thematisierung der Projektform. Gegenstand dieser Arbeit sind deshalb dokumentierte und aufgezeichnete Kommunikationen, in denen die Projektform ihrer historischen Entwicklung, organisatorischen Stabilisierung und forschungspraktischen
Verwendung Ausdruck verleiht.
Das zweite Problem liegt darin, Projektform und Forschung zu unterscheiden,
wenn Forschung der Selbstbeschreibung oder vielleicht auch dem Selbstverständnis
nach projektförmig ist und die Projektform zwischenzeitlich in allen Bereichen fest
institutionalisiert ist. Daher muss man die Vorstellung aufgeben, einen klar abgrenzbaren Bereich nicht-projektförmiger Forschung mit projektförmiger Forschung
zu vergleichen. Beispielsweise ist die Unterscheidung von projektfinanzierter universitärer und grundfinanzierter außeruniversitärer Forschung etwa der Max-PlanckGesellschaft irreführend, weil auch in dieser die Projektform eine interne Grundstruktur ist. Man muss deshalb einen anderen Weg gehen und innerhalb von
forschungsbezogenen Kommunikationen zeigen, ob und wie sich die Erwartungskomplexe Forschung und Projektform voneinander differenzieren, wie sie aufeinander bezogen werden und welche besonderen Ereignisketten folgen, sobald von ‚Projekt‘ die Rede ist. Für eine solche empirische Analyse der Projektform als operativer
Struktur müssen eben jene Kontexte aufgesucht werden, in denen voraussichtlich
Forschung auf Erwartungsstrukturen der Projektform trifft. Die Nullhypothese wäre,
dass nichts Besonderes geschieht und somit die Projektform keinen Unterschied
erzeugt, der für die Folgeereignisse Konsequenzen hätte.
Wie die Projektform sich historisch generalisiert, stabilisiert und heute als generalisierte Erwartungsstruktur jenseits von organisatorischen Auflagen eigenlogische
Selektionen in konkreten Forschungszusammenhängen erzeugt, wurde bislang nicht
empirisch gezeigt. Mit Ausnahme einer Studie von Neidhardt (1988), in der allerdings die Problematik der Gutachterkommunikation im Rahmen der Projektförderung im Zentrum stand, begnügt sich die Wissenschaftssoziologie mit zwar interessanten, aber empirisch wenig gehaltvollen organisationstheoretischen Reflexionen
(Besio 2009). Diese Arbeit liefert somit einen ersten empirischen Beitrag, um das
Operieren einer eigenlogischen Grundstruktur in der Forschung nachzuweisen. Die
potenziellen Anschlüsse an aktuelle Fragen der Wissenschaftsforschung sind gleichwohl vielfältig; sie werden deshalb hier nur selektiv angesprochen.
16
Im Rahmen der Debatte um die Wissensgesellschaft wird verstärkt nach einem
Wandel im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft gefragt.4 Wenn die Projektform eine eigenständige operative Struktur ist, die in der Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen beobachtet werden kann und auf gleichartigen
Erwartungen fußt, wie lässt sich dieses Verhältnis dann beschreiben? Ist die Projektform ein Indiz, dass sich tatsächlich die Grenzen zwischen Funktionssystemen
auflösen und hybridisieren? Oder wird die Projektform durch systemspezifische
Erwartungen imprägniert und an diese angepasst? Die Frage ist also, in welchem
Verhältnis forschungsbezogene und projektbezogene Kommunikation stehen.
Seit den 70er Jahren wendet sich die mikrosoziologische Wissenschaftsforschung
(Knorr-Cetina 1984) gegen die institutionelle Betrachtung der Wissenschaft (Merton
1985). Der Vorteil eines höheren Auflösungsvermögens bis in konkrete Forschungshandlungen hinein wurde vielfach mit dem Preis erkauft, statt vereinheitlichende
Konzepte eine facettenreiche Beschreibung heterogener Forschungskulturen hervorzubringen. Die Verbindung zwischen der Mikro- und der Makrobetrachtung ist
abgerissen und kann sicherlich nicht auf der Ebene stets flüchtiger und situationsspezifischer Handlungsereignisse zurückerlangt werden. Greift man hingegen auf
die diesen Handlungen zu Grunde liegenden Erwartungsstrukturen zu, dann lässt
sich eine mikrosoziologische und institutionalistische Perspektive miteinander
verbinden. Förderorganisationen richten beispielsweise gleiche Erwartungsstrukturen an unterschiedliche Forschungstypen und diese reagieren in spezifischer und
vergleichbarer Weise auf die Erwartung, sich projektförmig zu verfassen.
Ein ähnliches Problem liegt vor, wenn das Verhältnis von Forschungsorganisation
und Forschungspraxis untersucht werden soll. Dass formale Organisations- und
Aktivitätsstrukturen beträchtlich voneinander abweichen können, ist eine alte und
insbesondere vom Neo-Institutionalismus vertretene Erkenntnis (Meyer/Rowan
1977, Brunsson 1989). Auf die Projektform nehmen hingegen sowohl Forschungsorganisationen als auch die Forschungspraxis Bezug, weil sie generalisierte Erwartungsstrukturen jenseits von etwaigen Einzelregelungen bereithält und deshalb handlungsrelevant ist.
Diese Fragen lassen sich nicht theoretisch beantworten, sondern benötigen exemplarische Fallstudien, die untersuchen, was passiert, wenn Forschung auf die Erwartungsstrukturen der Projektform trifft. Mit der Konzentration auf die Frage, ob die
Projektform als eigenständige operative Struktur in der Forschung beobachtet werden kann und was gegebenenfalls hieraus folgt, wird eine begriffliche und empirische Basis gelegt, die zu diesen weiterführenden Diskussionen beitragen kann.
4
Für einen Überblick über diese Debatte vgl. Weingart/Carrier/Krohn 2007, Heidenreich 2003,
Stichweh 2002, Weingart 2001, Stehr 1994 sowie die einflussreichen Transformationsthesen
von Gibbons et al. 1994, Nowotny/Scott/Gibbons 2001, Nowotny 2004.
17
Argumentationsgang der Arbeit
Die Projektform in der Forschung wird in vier Schritten untersucht. Im anschließenden zweiten Kapitel wird die begriffliche und theoretische Grundlage für eine Analyse der Projektform als eigenständiger operativer Struktur erarbeitet. Zunächst wird
das begriffliche Verhältnis von Projektform und Forschung hinsichtlich geteilter und
differenter Erwartungsstrukturen betrachtet. Die vorhandene Literatur wird daraufhin befragt, worin jeweils die Besonderheit und der Problembezug des Projekt- und
Forschungsbegriffs liegen. Es schließt eine Diskussion der Gemeinsamkeiten und
Differenzen beider Begriffe an. Das gemeinsame Bezugsproblem ist die Zukunftsoffenheit, mit der jedoch unterschiedlich umgegangen wird. Die zunächst getrennte
Behandlung von Forschungs- und Projektbegriff ermöglicht eine analytische Distanzierung und Sensibilisierung gegenüber der im Alltag selbstverständlichen Verknüpfung beider im ‚Forschungsprojekt‘.
Anschließend folgt eine theoretische Konzeptionalisierung der Projektform als
operativer Struktur. Entlang dem hier verfolgten Erkenntnisinteresse werden unterschiedliche Begriffs- und Theorieangebote verglichen, die vier Ansprüchen genügen
müssen. Es muss sich um eigenständige, nicht-intentionale und dennoch operativ
wirksame Strukturbildungen handeln, die zugleich ein empirisches Vorgehen anleiten. Weder der wissenssoziologische Ideologiebegriff, der neoinstitutionalistische
Mythosbegriff, noch der Diskurs- bzw. Dispositvbegriff von Foucault genügen
diesen Ansprüchen. Hingegen eignen sich für die Analyse der Projektform als eigenständiger operativer Struktur vor allem das systemtheoretische Semantikkonzept und
der objektiv-hermeneutische Deutungsmusteransatz. Mittels eines Vergleichs der
theoretischen Grundlagen und der jeweiligen Begriffsbestimmungen werden deren
prinzipielle Kompatibilität geprüft, eine Kombination ermöglicht und partielle Verengungen auf beiden Seiten bereinigt.
Im dritten Kapitel erfolgt eine historische Distanzierung gegenüber der heutigen
Selbstverständlichkeit der Projektform in Wissenschaft und Forschung. Weder war
das ‚Projekt‘ schon immer in der Welt noch ein fester Bestandteil von Forschung.
Anhand eines kurzen historischen Abrisses der Verwendungskontexte und Verwendungsweisen des Projektbegriffs wird dessen Umwertungs- und Generalisierungsprozess dargelegt. Die Projektform tritt im Übergang zur Moderne in speziellen
Kontexten auf, ist zunächst negativ konnotiert und verschwindet mit dem Beginn der
modernen Wissenschaft wieder. Sie erscheint dann im Zuge der Industrialisierung
erneut am Rande der Wissenschaft (Industrie- und Großforschung) und durchläuft
zunächst dort eine positive Umwertung. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts rückt
die Projektform allmählich in den institutionellen Kern der Wissenschaft und
schreibt sich in nahezu alle vorhandenen Strukturen ein. Es handelt sich um eine
Karriere der Projektform von der randständigen „Projektemacherei“ über die spezifische „Projektforschung“ zur projektförmigen Struktur der Forschung.
Im vierten Kapitel setzen die kommunikationstheoretischen Fallrekonstruktionen
im engeren Sinn ein. Gegenstand sind Kommunikationsprotokolle verschiedenster
Art, in denen sich die Projektform zum Ausdruck bringt. Mit der Deutschen For18
schungsgemeinschaft (DFG) betrachten wir eine wesentliche Stabilisierungs- und
Verbreitungsinstanz der Projektform. Dieses Kapitel erfüllt zwei argumentative
Funktionen. In einer fokussierten Betrachtung des Institutionalisierungsprozesses
wird zunächst gezeigt, dass dort erste Weichenstellungen für die Etablierung der
Projektform erfolgen, weil damit grundlegende Formationsprobleme der Organisation bearbeitet werden können. Das wesentliche Diktum, „Forschung statt Forscher“
zu fördern, setzt die Projektform nämlich bereits voraus. Um Entscheidungen nicht
auf vergangene Errungenschaften von Personen, sondern auf unpersönliche Entwürfe zukünftiger Forschung gründen zu können, bedarf es einer vorgängigen, möglichst vollständigen Offenlegung der Forschung.
Anschließend werden die heutigen Normalitätserwartungen dieser Organisation
analysiert. Zu diesem Zweck werden die zentralen Dokumente, mit deren Hilfe sie
kommuniziert, einer detaillierten Rekonstruktion unterzogen. Die Organisation
selbst bezeichnet diese Dokumente als Grundlage des „Normalverfahrens“ und
„Kern der Forschungsförderung“. Auch die quantitativ bedeutsameren „koordinierten Programme“ bauen auf einer Vielzahl solcher kleinsten Einheiten auf. Diese
Dokumente sind die einzigen kommunikativ relevanten Verbindungen zwischen der
Organisation und der im anschließenden Kapitel rekonstruierten Forschungspraxis.
Sie zeichnen sich vor allem darin aus, dass keine konkreten inhaltlichen, sondern
abstrakte Formkriterien kommuniziert werden, die einen Typus institutionalisierter
projektförmiger Forschung bilden. Es werden keine Forschungen ausgegrenzt, sofern sie sich projektförmig verfassen können. Die Organisation DFG operiert selbst
mit dem Deutungsmuster der Projektform und reicht dieses an alle Adressaten, also
die Gemeinschaft der Forschenden, weiter.
Im fünften Kapitel stellt sich die Frage, ob und wie mit diesem Deutungsmuster
umgegangen wird und auf welche Weise dieses in Konfrontation mit konkreten
Forschungen gefüllt, korrumpiert, ersetzt oder radikalisiert wird. Die Projektform
trifft direkt auf konkrete wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge.
Anhand von drei stark kontrastierenden Fällen wird ausführlich rekonstruiert, ob
und welche Neuinterpretationen von Forschung zu beobachten sind, wenn das Deutungsmuster der Projektförmigkeit ins Spiel kommt. Hier wird die Annahme überprüft, dass die Projektform ein eigenständiges und operativ wirksames Deutungsmuster ist. Die Fälle repräsentieren theoretisch denkbare und in der Literatur vertretene Annahmen über das Verhältnis von Projektform und Forschung. Demnach
variiert dieses Verhältnis je nach kognitiver Ausstattung und sozialer Organisation
der verschiedenen Forschungsarten. Der erste Fall aus der technischen Forschung
wird als Typus eines Passungsverhältnisses rekonstruiert, der zweite Fall aus der
empirischen Forschung als Typus eines problematischen Spannungsverhältnisses
und der dritte Fall aus der theoretischen Forschung eines Einzelwissenschaftlers als
Typus einer Forschungsart. Der letztgenannte Fall steht in größtmöglichem Kontrast
zu den ersten beiden Fällen, weil weder teamartige Kooperationszwänge noch organisatorische Rahmenbedingungen von Bedeutung sind.
Weil in allen Fällen gezeigt werden kann, dass die Projektform relevant wird und
eigenlogische Selektionen anstößt, ergeben sich deutliche Hinweise dafür, dass die
19
Projektform ein eigenständiges und operativ wirksames Deutungsmuster ist. Projektförmigkeit der Forschung wäre dann als ein auf Dauer angelegtes, strukturelles
Spannungsverhältnis zwischen Erwartungsstrukturen der Projektform und der Forschung beschreibbar, das nicht aufgelöst, sondern nur bearbeitet werden kann. Von
besonderem Interesse ist in dieser Hinsicht vor allem der letzte Fall, nämlich der
eines Wissenschaftlers, der sich als „faktischer Nichtprojektler“ bezeichnet, seine
Forschungsart ohne Notwendigkeit aber dennoch als ein Äquivalent zur Projektform
entwirft. Die Projektform wird nicht etwa in der Logik von Organisation, sondern in
der Strukturlogik von Forschung verankert. Die Projektform erscheint als eine spezifische Umgangsweise mit dem Strukturproblem der Offenheit von Forschung, wodurch ihre hohe Anschlussfähigkeit jenseits von institutionellen Zwängen deutlich
hervortritt.
Im abschließenden sechsten Kapitel wird der Argumentationsgang dieser Arbeit
entlang zentraler Ergebnisse rekapituliert und auf die hier angerissenen übergeordneten Fragen rückbezogen.
20