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Die Projektförmigkeit der Forschung (2009)

2009

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Die Welt der Projekte und die Projektförmigkeit der Forschung 9 2. Die Projektform als operative Struktur im Wissenschaftssystem 21 2.1. Zum begrifflichen Verhältnis von ‚Projekt’ und ‚Forschung’ 2.1.1. Projektbegriff 2.1.2. Forschungsbegriff 2.1.3. Projektförmige Forschung 24 25 35 45 2.2. Die Projektform als operative Struktur 2.2.1. Begriffliche Umwelten 2.2.2. Semantik und Deutungsmuster als operative Sinnstrukturen. Zur Komplementarität von Systemtheorie und Objektiver Hermeneutik 2.2.3. Systemtheoretisches Semantikkonzept 2.2.4. Deutungsmusteransatz der Objektiven Hermeneutik 49 50 56 67 74 2.3. Zusammenfassung und Folgerungen für die Analyse 82 3. 4. Karriere der Projektform: Von der randständigen Projektemacherei über die spezifische Projektforschung zur projektförmigen Struktur der Forschung Stabilisierung der Projektform in der Forschungsförderung 88 100 4.1. Die Projektform als Voraussetzung, „Forschung statt Forscher“ zu fördern 102 4.2. Projektförmigkeit der Forschung als kommunikative Erwartung 4.2.1. Rekonstruktion des Merkblatts zum Normalverfahren 4.2.2. Rekonstruktion des Leitfadens zum Normalverfahren 111 112 127 4.3. Fazit 140 7 5. Die Projektform in der Forschungspraxis 5.1. Über die Einheit von Projektform und technischer Forschung 5.1.1. Projektförmige Kommunikation und das Bezugsproblem „Vertragslogik“ 5.1.2. Die Differenz zwischen Forschungspraxis und idealem Projekt 5.1.3. Genese und Stabilisierung eines neuen Forschungsprojekts 5.1.4. Fazit: Differenzierung von Projektform und Forschung 142 148 151 172 182 203 5.2. Über die Spannung zwischen Projektform und empirischer Forschung 5.2.1. Umordnung sachlicher, sozialer und zeitlicher Bezüge in der projektförmigen Kommunikation 5.2.2. Erwartungsstrukturen der Projektform 5.2.3. Selektivität der Projektform 5.2.4. Fazit: Einschränkung von Handlungsoptionen 208 217 226 241 5.3. Über die Differenz zwischen Projektform und theoretischer Forschung 5.3.1. Verhältnis zwischen Professor M.s Forschungsart und Projektform 5.3.2. Zeitstrukturierung: Konstruktion von Äquivalenten zur Projektform 5.3.3. „Teamwork und Theorie, das geht nicht zusammen“ 5.3.4. Theorietechnik als „Rudimente eines Handwerkszeugs“ 5.3.5. Fazit: Die Anschlussfähigkeit der Projektform 243 245 254 268 273 278 5.4. Fazit: Die Projektform als generalisierte und eigenständig operierende Struktur in der Forschungspraxis 279 6. Zusammenfassung und Ausblick 284 7. Literatur 303 8 205 1. Die Welt der Projekte und die Projektförmigkeit der Forschung Das Phänomen: Projektförmigkeit Der Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein sehr altes, allgemeines und weit verbreitetes Phänomen, das heute zum allgegenwärtigen und selbstverständlichen Bestandteil des sozialen Lebens geworden ist. Wo man hinsieht, drängt sich eine einheitliche Bezeichnung von ganz unterschiedlichen Sachverhalten und Handlungszusammenhängen als ‚Projekt‘ auf. Sein Leben nach einzelnen Projekten zu ordnen, Projekte anzustoßen, daran beteiligt zu sein oder hierfür nach Unterstützung zu suchen, ist modern. Andere Beschreibungsmöglichkeiten – einer Tätigkeit nachgehen, einen Auftrag oder eine Aufgabe erfüllen, vielleicht auch einfach etwas vorhaben, genügen nicht mehr. Heute bedarf es Projekte aller Art. Vor allem in der Berufswelt der selbstständigen, kreativen und schöpferischen Tätigkeiten sowie zunehmend auch in allen Bereichen der postindustriellen Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft (Bell 1973) hat sich das Projekt als zentrale Einheit des Berufsalltags durchgesetzt. Man macht keine Theaterinszenierung oder produziert keinen Film, sondern hat ein Theater- oder Filmprojekt; statt an einem Kunstwerk zu arbeiten, ist man an einem Kunstprojekt beteiligt; kulturelle Veranstaltungen werden als Kulturprojekte ausgeflaggt; man forscht oder entwickelt nicht mehr nur, sondern bearbeitet ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt; in der Sozialarbeit werden nicht lediglich Betreuungsleistungen erbracht, sondern am laufenden Band Sozialprojekte initiiert; statt Kundenaufträge zu bearbeiten, bewältigt man heute Kundenprojekte; statt Maßnahmen der Staatsbürokratie durchzusetzen, werden Eingliederungs- oder Qualifizierungsprojekte angeboten, und bisweilen wird sogar die Massenfertigung zur im Team verfolgten Projektarbeit. Nicht die jeweiligen Inhalte einer Tätigkeit, sondern abstrakte Formkriterien bestimmen, inwiefern etwas als ‚Projekt‘ gekennzeichnet wird. Von Projekten ist typischerweise die Rede, sobald konkrete Inhalte von bestimmten Personen in begrenzter Zeit hervorgebracht werden sollen. Auf die Projektform abgestimmt, haben sich spezielle Techniken, Organisationsformen und Berufsrollen entwickelt, die dazu beitragen, Projekte zu entwerfen, zu beantragen, zu finanzieren, durchzuführen und in ihrem Verlauf zu kontrollieren. Will man eigene Ideen verwirklichen, dann fertigt man eine Projektbeschreibung an und sendet diese an Projektförderungsorganisationen wie Stiftungen, Hilfsfonds oder Fördervereine. Berufliche Karrieren starten über die Partizipation an Projekten und münden vielleicht in einer Projektmitarbeit oder Projektleitung. Als Projektmanager ist man von der inhaltlichen Arbeit entbunden, um über den Erfolg von Projekten zu wachen und neue Projekte zu initiieren. Hierfür entwickelt das Projektmanagement ohne Unterlass Techniken, die anfallende Arbeiten in Projekte ordnen und darauf hinwirken sollen, dass auch im Sinne des Projekts gehandelt wird. 9 Die Projektform bleibt aber nicht auf das zweckorientierte Berufsleben begrenzt. Man trifft auf Beschreibungen, in denen das ganze „Leben als Projekt“ (Boltanski 2007) erscheint. Soziale Bindungen und Verortungen stellen sich auf die Möglichkeit zukünftiger Veränderungen ein und konstituieren eine Biographie, die von Projekt zu Projekt voranschreitet. In diesen Bannkreis diskontinuierlicher Lebensabschnitte und -ausschnitte kann alles geraten, was vormals als fester Bezugspunkt galt. Statt beispielsweise einer alternativen Lebensführung nachzugehen, engagiert man sich fortlaufend in Alternativprojekten oder beschreibt sogar die eigene Existenz als Projekt. Selbst Paarbeziehungen, Kinder oder der Mensch werden gelegentlich mit dem Projektbegriff belegt, sofern dabei das potenzielle Ende mitbedacht wird oder hervorgehoben werden soll, welch besonderer Anstrengungen ihr Zustandekommen bedarf oder dass dabei unterschiedliche Entwicklungsalternativen offen stehen. Das Denken und Handeln in Alternativen sowie in Perioden mit Anfang und Ende sind der Projektform eigen und finden sich in allen Lebensbereichen wieder (Luhmann 1990b; Seyfarth 2002; Lehmann 2004). Aber worauf deutet der expansive Gebrauch der Projektsemantik hin? Handelt es sich nur um eine weiter nicht beachtenswerte semantische Modeerscheinung, die allenfalls einer satirischen Behandlung als „Projektquatsch“ (Henscheid 1991) standhält? Oder stoßen wir ganz im Gegenteil auf eine inzwischen institutionell abgestützte gesellschaftliche Selbstbeschreibung, die auf eine allgemeine Problemlage und einen ‚Zeitgeist‘ verweist? Liefert die Projektform eine geeignete Bearbeitungsweise für verallgemeinerbare zeit-typische Anforderungen und ist sie deshalb zu einem Handlungsbereiche übergreifenden Orientierungsmuster avanciert? Diese Arbeit geht davon aus, dass die Projektform eine allgemeine Grundstruktur ist und stellt sich die Aufgabe, dies nachzuweisen. Es macht einen Unterschied, ob etwas als Projekt bezeichnet wird oder nicht. „Folgerichtig würde man nie sagen dürfen, dass eine Analyse nur eine semantische Analyse ist, der sich fundamentale Realitäten entzögen“ (Stichweh 2006: 168). Mit dieser Sichtweise steht diese Arbeit nicht allein. Andere Autoren schreiben der Projektform ebenfalls eine epochale Bedeutung zu. Neben ideologiekritischen Ansätzen, welche die Anforderung in Projekten zu handeln als Folge und Rechtfertigung einer neo-liberalistischen Wirtschaftsordnung verstehen (Boltanski/Chiapello 2003; Bröckling 2005, 2007), finden sich auch sozialphilosophische und sozialtheoretische Arbeiten, die das Projekt ins Zentrum gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen stellen. Dort wird beispielsweise eine Verschiebung Vom Subjekt zum Projekt (Flusser 1994), das Hervortreten einer neuen Ontologie des Project Man (Lundin/Söderholm 1995), die Projektform als Schlüsselphänomen fortgeschrittener Gesellschaften (Seyfarth 2002) oder sogar eine „projectified society“ konstatiert (Sahlin-Andersson/Söderholm 2002: 14). Für die Erhärtung solcher generalisierenden Thesen zu einer gesamtgesellschaftlichen Transformation, in deren Kern die Projektform steht, wäre jedoch ein umfangreiches empirisches und theoretisches Forschungsprogramm vonnöten. Doch dies ist ein Desiderat, dem bislang niemand nachgekommen ist und dem auch diese Arbeit nicht entsprechen kann. Die Ausarbeitung dieser gesellschaftstheoretischen Fragen bedarf eingeschränkter Fall10 studien, die zugleich konzeptionell und begrifflich im Blick behalten, dass die Projektform eine den jeweiligen Handlungsbereich überschreitende Struktur ist. Wir schränken die empirische Analyse deshalb auf einen Handlungsbereich ein, in dem die Projektform besonders bedeutsam ist: die Projektform in der Forschung. Die Kerntätigkeit der Wissenschaft scheint umfassend durch die Projektform bestimmt zu sein. Finanzierungsformen, Organisationen, Karrieren und Forschung selbst beziehen sich verstärkt auf die Grundeinheit ‚Projekt‘. Vor dem Hintergrund, dass die Projektform eine Grundstruktur im Wissenschaftssystem ist und zugleich gesellschaftsweit Verwendung findet, überrascht die nahezu ausbleibende Thematisierung der Projektförmigkeit von Forschung in der Wissenschaftssoziologie.1 Obwohl diese unter dem Stichwort der ‚Wissensgesellschaft‘ seit Jahren vornehmlich grenzüberschreitende Strukturen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in den Blick nimmt, bleibt die grundlegende Struktur ‚Projektförmigkeit‘ ausgespart. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Projektform in der Wissenschaft (und darüber hinaus) als Selbstverständlichkeit gilt und deshalb nicht als eigenständige Struktur wahrgenommen wird. An dieser Stelle setzt diese Arbeit mit der These ein, dass die Projektform eine Struktur ist, die kontextunabhängig mit eigenen Unterscheidungen operiert und deshalb eigenlogische Selektionen auch in Forschung und Wissenschaft vornimmt. Dabei stellt sich die Frage, wie sich die Projektform historisch, organisatorisch und vor allem in konkreten Forschungszusammenhängen als eigenständige operative Struktur manifestiert. Bevor wir uns dem empirischen Feld ‚Projektförmigkeit der Forschung’ und dem konkreten Argumentationsgang widmen, bedarf es einer Vergegenwärtigung der besonderen Perspektive dieser Arbeit. Die Perspektive: Projektform als eigenständige operative Struktur Im Unterschied zu Arbeiten, die der Projektform ebenfalls einen zentralen Stellenwert einräumen und diese vor allem dem Wirtschaftssystem (Boltanski/Chiapello 2003; Bröckling 2005, 2007) und Organisationen (Lundin 1995; Luhmann 2000; Besio 2009) zuordnen, wird die Projektform hier nicht als Element eines bestimmten Handlungskontextes begriffen. Stattdessen wird sie als eine eigenständige Sinneinheit verstanden, die von beliebigen Akteuren in unterschiedlichen Situationen verwendet und spezifiziert werden kann. Die zuvor dargelegte hohe Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Handlungsbereiche, ihre Querlage zu üblichen Ordnungskategorien sowie die Selbstverständlichkeit ihres Gebrauchs kennzeichnen die Projektform als eine nicht reduzierbare soziale Tatsache sui generis (Durkheim 1961 [1895]). Aus welchen Gründen die Projektform auch immer entstanden sein mag, einmal in der Welt, strukturiert sie diese nach Maßgabe eigener abstrakter Unterscheidungen. Hierzu gehört beispielsweise die Relationierung der Differenzen von Anfang/Ende, Gegenwart/Zukunft, Idee/ Verwirklichung, alltäglich/außeralltäglich oder bekannt/neu. 1 Wichtige Ausnahmen finden sich in Fußnote 4. 11 Gerade der selbstverständliche und allgegenwärtige Gebrauch sowie die nahezu ausbleibende Thematisierung zeigen die Stabilität und kollektive Gültigkeit der Sinneinheit ‚Projekt‘ an (Geidecke/Liebert 2003: 6-8). Sie bietet eine nicht weiter begründungsbedürftige, aber dennoch eigene Weltsicht, an der sich Handlungen verschiedenster Art orientieren. Gleichwohl hält die Projektform spezifische Erwartungsstrukturen bereit, die auf nahezu alle Sachverhalte bezogen werden können und hierüber in besonderer Weise konstruiert werden. Wie jede spezifische Beobachtungsweise erzeugt auch die Bezeichnung von etwas als Projekt „a difference which makes a difference“ (Bateson 1972: 315). Die Projektform fügt dem Bezeichneten etwas hinzu und stellt damit eine eigenständige Struktur dar, die operativ wirksam ist, indem sie Anforderungen an die Folgehandlungen und Anschlusskommunikationen stellt. Wird beispielsweise die kontinuierliche, alltägliche und der Sphäre der Routine zugehörige Tätigkeit des Wohnens zum ‚Wohnprojekt’, dann entsteht ein Anspruch auf ständige Veränderung, Neugestaltung und außeralltägliche Erlebnisse. Welche Beobachtungsinstanz (Personen, Interaktionssystem, Organisationen, Funktionssystem) aus welchen Gründen und in welchen Kontexten auch immer die Projektform wählt, so werden mit deren Verwendung Erwartungen hinsichtlich dessen hervorgerufen, was möglich und unmöglich bzw. nötig und unnötig ist. Wenn manche Handlungssituationen Eigenschaften aufweisen, die sich der Projektform nicht unmittelbar und wie selbstverständlich fügen (z.B. das alltägliche und dauerhafte Wohnen), dann greift dies die Erwartungsstrukturen der Projektform nicht an. Die Frage, warum eine Bezeichnung gewählt wurde oder nicht, ist von den kommunikativen Folgen zu unterscheiden. Aber sobald eine Selbstbeschreibung als ‚Projekt‘ vorgenommen wird, gestaltet sich die Handlungssituation entlang der Erwartungsstrukturen der Projektform um. Wenn die Projektform in Anspruch genommen wird, dann liefert sie Unterscheidungen, die den jeweiligen Sachverhalt einer spezifischen Beobachtungsweise unterziehen: „Der Name, den man einer Sache gibt, lässt diese nicht unberührt. Etwas als Projekt zu deklarieren, heißt ihm den Charakter eines Entwurfs oder Vorhabens zuzusprechen und in der Folge so auf es einzuwirken, dass es den Kriterien der Projektförmigkeit entspricht“ (Bröckling 2005: 366). Welche Erwartungsstrukturen der Projektform zu Grunde liegen, ob, inwieweit und auf welche Weise eine Eigenselektivität entfaltet wird, dies zu klären ist Gegenstand und Aufgabe dieser Arbeit. Sofern es gelingt, die Projektform als eigenständige operative Struktur im Bereich der Forschung zu rekonstruieren, ergeben sich erste Hinweise in Hinblick auf Fragen, die über den konkreten Gegenstand dieser Arbeit hinausreichen. Deren Thema ist an drei Diskussionsstränge anschließbar, die kurz angeführt werden sollen und zu unserem konkreten Untersuchungsfeld ‚Forschung‘ überleiten. Die Analyse operativer Strukturen steht im Kontext der in letzter Zeit verschiedentlich gestellten Frage, ob im Rahmen der allgemeinen soziologischen (System) Theorie nicht weitere Ebenen einbezogen werden müssten oder ob mit der Unterscheidung der drei Typen Funktions-, Organisations- und Interaktionssystem bereits 12 alle Möglichkeiten abgedeckt sind.2 Gerade die Projektform liefert einen Gegenstand, der sich einer einfachen Zuteilung sperrt und immer wieder als ein ebenenübergreifendes Phänomen beschrieben wird, das quer (Besio 2009: 15) oder „zwischen“ (Neidhardt 1983: 552) diesen Systemtypen steht und mithin eine „Mittellage“ einnimmt (Bröckling 2005: 264). Von daher liefert die Analyse der Projektform als operativer Struktur ein instruktives Beispiel. Die Projektform wird überwiegend im Kontext der oben angeführten gesellschafts-theoretischen Verallgemeinerungen und im Rahmen der Organisationssoziologie verhandelt. Der hier verfolgte Ansatz, die Projektform als operative Struktur zu analysieren, bringt zwei fruchtbare Einwände hervor. Die Projektform ins Zentrum einer gesamtgesellschaftlichen Transformation zu stellen und beispielsweise als „projectified society“ (Sahlin-Andersson/Söderholm 2002) zu kennzeichnen setzt eine Ersetzungsthese voraus. Zu diesem Zweck müsste am konkreten Gegenstand überprüft werden, ob und ggf. wie die Projektform andere Strukturen ersetzt oder überlagert. Es stellt sich die Frage, ob die Orientierung an Erwartungsstrukturen der Projektform genuin wissenschaftliche Bezüge ersetzt. Wird die Projektform in die Logik wissenschaftlichen Handelns integriert? Oder treten Erwartungskomplexe der Projektform und der Forschung parallel auf? Werden also bisherige wissenschaftliche Handlungsformen durch die Projektform verändert oder stellt sie nur eine neben anderen Strukturen dar? Dies sind empirische Fragen, denen in dieser Arbeit am konkreten Gegenstand nachgegangen wird und die insofern für weiterführende Fragen aufschlussreich sind. In der Organisationssoziologie wird die Projektform zweifellos am intensivsten diskutiert; sie wird dabei überwiegend als Organisation verstanden. Auf den ersten Blick erscheint das plausibel, denn Planung, Koordination und Terminierung zur Vorbereitung von Finanzierungsentscheidungen sind schließlich typische Merkmale von Projekten. Ohne den Konnex zwischen Organisation und Projektform in Abrede stellen zu wollen oder die herausragende Bedeutung von Organisationen für die Stabilisierung und Durchsetzung der Projektform zu bezweifeln, führt die Annahme einer eigenständigen operativen Struktur jedoch über eine Kennzeichnung als Organisation hinaus. Die angeführten empirischen Verwendungsweisen und Charakterisierungen der Zwischen- und Querlage von Projekten lassen vermuten, dass das 2 In diesem Kontext wird mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten experimentiert. Beispielsweise spricht Fuchs von Beratung als „fungierender Ontologie“ (2004: 249); Bora arbeitet mit den Begriffen „Diskurs“, „soziale Positionierung“ oder „Positionalität“ (2005) vor allem im Rahmen systemtheoretisch angeleiteter empirischer Forschung. Auch Schneider (2004: 241) platziert die Analyse und den Begriff der „operativen Struktur“ an zentraler Stelle, um das Auflösungsvermögen systemtheoretischer Gesellschaftstheorie zu vergrößern und unterhalb dieser Ebene an konkreten Gegenständen verfügbar zu machen. In gleicher Weise plädiert Nassehi (2008: 98) für einen „operativen Funktionalismus“, der sich eben nicht auf vermeintliche institutionelle Differenzierungen beschränkt, sondern vor allem Handlungsformen „zwischen Interaktion, Organisation und Gesellschaft, aber auch zwischen gesellschaftlichen Funktionslogiken“ aufsucht. Semantik und Deutungsmuster sind weitere Begrifflichkeiten, die auf eine solche Zwischenlage abzielen und in Kapitel 2 eingehend erörtert werden. 13 Beobachtungsschema der Projektform diese Bezüge nicht zwingend voraussetzt und eigenen Regeln folgt. Hinweise für die These, dass die Bestimmung der Projektform als Organisation eine unzureichende Reduktion ist, finden sich in der Organisationssoziologie selbst. Sobald von der Projektform die Rede ist, werden atypische, mit zahlreichen Anomalien versehene Organisationsformen genannt. Zum Beispiel fehlt der „temporary organization“ (Lundin 1995) oder „Adhokratie“ (Mintzberg 1992) der Charakter der Dauerhaftigkeit und formalen Reguliertheit. Eine weitere Variante ist, den Organisationsbegriff per se für die Herstellung sozialer Ordnung zu reservieren und auf den Aspekt des „Organisierens“ auszudehnen, um die Projektform zu fassen (Hasse 1996: 81 ff.). Schließlich sind Ansätze zu finden, welche die Eigenständigkeit der Projektform zwar benennen, aber nicht aus der Organisationstheorie herauslösen. Organisationen sind dann beispielsweise „project-based“ (Sydow et al. 2004) oder „projektifiziert“ (Midler 1995, Kalkowski/Mickler 2002). Die Projektform als eigenständige operative Struktur zu begreifen, ermöglicht hingegen aufschlussreiche Fragen: Welche organisationsinternen Probleme bearbeitet die Projektform? Zu welcher Betrachtung des Gegenstands sind Organisationen angehalten, wenn auf die Projektform gesetzt wird? Ist die Projektform sogar eine Bedingung für den Aufbau der „organisierten Forschung“ (Krauch 1970; Hasse 1996)? Um diese Fragen zu beantworten, muss das Verhältnis zwischen Organisation und Projektform in zwei Richtungen beleuchtet werden. Zum einen ist zu untersuchen, weshalb die Förderorganisationen der Forschung auf die Projektform angewiesen sind und in welcher Weise diese als Beobachtungs- und Entscheidungsmittel genutzt wird (Kapitel 4). Zum anderen stellt sich die Frage, wie Drittmittelprojekte mit der Anforderung umgehen, sich als Projekt zu kommunizieren. Die Projektform in der Forschung zu untersuchen, ist schließlich die bislang wenig beachtete Aufgabe der Wissenschaftssoziologie. Wenden wir uns also unserem Gegenstand mit der Frage zu, welche Anschlüsse sich bieten, wenn man die Projektform als operative Struktur der Forschung analysiert. Der Gegenstand: Projektförmigkeit der Forschung Um die Projektform als eigenständige operative Struktur zu analysieren, ist die Wissenschaft ein besonders interessanter und instruktiver Fall. Wie kaum ein anderes gesellschaftliches Funktionssystem ist die heutige Wissenschaft umfassend projektförmig strukturiert. Die Projektform ist über alle Disziplinen und Forschungsarten hinweg fest etabliert und institutionalisiert, so dass die im Wirtschaftssystem noch übliche Rede von einem Prozess der „Projektifizierung“ unangemessen erscheint (Midler 1995; Kalkowski/Mickler 2002). Der Normalfall von Forschung ist projektförmige Forschung. Die Projektform liefert von den Finanzierungsmechanismen über die Forschungsorganisationen und Karrieren bis zur Kerntätigkeit der Forschung ein gemeinsames Muster mit eigenem semantischen Apparat, der Projektförderung, Projektorganisation, Projektmitarbeiter und -leiter sowie Forschungsprojekte umfasst. 14 Im Alltag bedeutet Forschung zu betreiben überwiegend, Projekte zu entwerfen, zu lancieren und eventuell durchzuführen. Befristete Beschäftigungen sind in der Forschung die Regel und auch die institutionell vorgesehenen lehr- und leitungsbezogenen Stellen betreiben Projektakquise. Die Forschungstätigkeit selbst vollzieht sich in Form von Forschungsprojekten, und die Fähigkeit, Projekte zu akquirieren, sie zu bearbeiten, zu koordinieren oder zu leiten, gilt mittlerweile in Stellenausschreibungen ebenso als Gütesiegel von Wissenschaftlern wie die Verfügung über Projekte zunehmend ein Leistungsmerkmal von wissenschaftlichen Institutionen geworden ist. Die Verschränkung der Tätigkeit Forschung mit der Projektform ist eine über alle disziplinären Unterschiede hinweg geteilte und nicht selten normativ abgestützte Selbstverständlichkeit: „Befristete Arbeitsverhältnisse entsprechen der Projektförmigkeit wissenschaftlicher Tätigkeit am besten“ (Wissenschaftsrat 2000: 52). Diese Selbstverständlichkeit drückt sich aber auch im Feld selbst aus. Bis auf wenige Ausnahmen fristet das Kernphänomen der Projektform bei den professionellen Beobachtungsinstanzen des Wissenschaftssystems (Wissenschaftsphilosophie, -geschichte, -soziologie und -forschung) ein vergleichsweise randständiges Dasein und wird kaum explizit thematisiert.3 Macht man die Projektform wie in dieser Arbeit zum Thema, stößt man unter Forschern auf überraschte oder sogar abwehrende Reaktionen („Wie soll man denn sonst forschen?“), so wie stets, wenn an Grundgewissheiten gerüttelt wird. Eine empirische Arbeit über die Projektförmigkeit der Forschung steht vor zwei Problemen. Da die Projektform eine Grundstruktur im Wissenschaftssystem ist, müsste eine nicht zu bewältigende Analyse des gesamten Wissenschaftssystems auf allen zuvor genannten Ebenen und zu verschiedenen Zeiten geleistet werden. Man müsste heterogene Fragen nach den Effekten projektförmiger Finanzierungsmodi, Karrieremodelle, Organisationsweisen für unterschiedliche Forschungstypen beantworten und aufeinander beziehen. Eine Landkarte empirischer Realisationen der 3 Eine breitere, vorwiegend auf Steuerungsprobleme projektförmiger Handlungszusammenhänge bezogene Diskussion erfolgt vor allem in der betriebswirtschaftlich orientierten und organisationsbezogenen Projektmanagementliteratur. Auf diese beziehen sich dann auch Arbeiten, die dem hier vorgelegten Ansatz am ähnlichsten sind. Am bekanntesten dürfte die Arbeit von Luc Boltanski und Eve Chiapello über den Neue(n) Geist des Kapitalismus (2003) sein, der sich maßgeblich über die Projektform legitimiert („projektbasierte Polis“). Hieran schließen die Gouvernementalitätsstudien von Bröckling (2005, 2007) an. Auf die Rolle der Projektform in der Wissenschaft beziehen sich vergleichsweise wenige Arbeiten direkt, ausgenommen Neidhardt (1983) aus gruppensoziologischer, Neidhardt (1986, 1988) aus gutachterlicher und Besio (2009), Luhmann (1990), Stichweh (1988, 1994), Kaddatz (1987), Platt (1976), Buchhofer (1979) aus vorwiegend organisationssoziologischer Perspektive. Als allgemeines Schema erscheint die Projektform nur in den Essays von Matthes (1988) und Wolff (1996) sowie in den ‚grauen Papieren‘ von Seyfarth (1999, 2002). Empirische Arbeiten beziehen sich nicht auf die Projektform selbst, sondern auf Drittmittelquoten und den Zusammenhang von Drittmitteln und Publikationsoutput (Hornbostel 1997; Jansen et al. 2007), die zunehmende Abhängigkeit von Drittmitteln sowie auf Einzelprobleme bei der Drittmittelakquise (Schimank 1992, 1995). 15 Projektform im Wissenschaftssystem zu zeichnen, ist unmöglich, aber für das Erkenntnisinteresse dieser kommunikationstheoretischen Arbeit auch unnötig. Hier wird die Frage gestellt, welche spezifischen Erwartungsstrukturen die Projektform freisetzt, in welchem Verhältnis diese zu Erwartungsstrukturen der Forschung stehen und welche Selektionen auftreten, wenn beide aufeinander bezogen werden. Um diese Frag zu beantworten, muss man verschiedene Kontexte aufsuchen, von denen erwartbar ist, dass Forschung und Projektform zusammentreffen und kommunikativ bearbeitet werden. Verfolgt man die Kommunikations- und Handlungsereignisse, die auftreten, sobald die Projektform ins Spiel kommt, dann lässt sich beobachten und rekonstruieren, ob und welchen Unterschied es macht, wenn die Projektform aufgerufen wird. Prototypisch ist dies im Rahmen von Drittmittelprojekten der hiermit befassten Organisationen der Fall, aber auch in der historischen Sequenz der Thematisierung der Projektform. Gegenstand dieser Arbeit sind deshalb dokumentierte und aufgezeichnete Kommunikationen, in denen die Projektform ihrer historischen Entwicklung, organisatorischen Stabilisierung und forschungspraktischen Verwendung Ausdruck verleiht. Das zweite Problem liegt darin, Projektform und Forschung zu unterscheiden, wenn Forschung der Selbstbeschreibung oder vielleicht auch dem Selbstverständnis nach projektförmig ist und die Projektform zwischenzeitlich in allen Bereichen fest institutionalisiert ist. Daher muss man die Vorstellung aufgeben, einen klar abgrenzbaren Bereich nicht-projektförmiger Forschung mit projektförmiger Forschung zu vergleichen. Beispielsweise ist die Unterscheidung von projektfinanzierter universitärer und grundfinanzierter außeruniversitärer Forschung etwa der Max-PlanckGesellschaft irreführend, weil auch in dieser die Projektform eine interne Grundstruktur ist. Man muss deshalb einen anderen Weg gehen und innerhalb von forschungsbezogenen Kommunikationen zeigen, ob und wie sich die Erwartungskomplexe Forschung und Projektform voneinander differenzieren, wie sie aufeinander bezogen werden und welche besonderen Ereignisketten folgen, sobald von ‚Projekt‘ die Rede ist. Für eine solche empirische Analyse der Projektform als operativer Struktur müssen eben jene Kontexte aufgesucht werden, in denen voraussichtlich Forschung auf Erwartungsstrukturen der Projektform trifft. Die Nullhypothese wäre, dass nichts Besonderes geschieht und somit die Projektform keinen Unterschied erzeugt, der für die Folgeereignisse Konsequenzen hätte. Wie die Projektform sich historisch generalisiert, stabilisiert und heute als generalisierte Erwartungsstruktur jenseits von organisatorischen Auflagen eigenlogische Selektionen in konkreten Forschungszusammenhängen erzeugt, wurde bislang nicht empirisch gezeigt. Mit Ausnahme einer Studie von Neidhardt (1988), in der allerdings die Problematik der Gutachterkommunikation im Rahmen der Projektförderung im Zentrum stand, begnügt sich die Wissenschaftssoziologie mit zwar interessanten, aber empirisch wenig gehaltvollen organisationstheoretischen Reflexionen (Besio 2009). Diese Arbeit liefert somit einen ersten empirischen Beitrag, um das Operieren einer eigenlogischen Grundstruktur in der Forschung nachzuweisen. Die potenziellen Anschlüsse an aktuelle Fragen der Wissenschaftsforschung sind gleichwohl vielfältig; sie werden deshalb hier nur selektiv angesprochen. 16 Im Rahmen der Debatte um die Wissensgesellschaft wird verstärkt nach einem Wandel im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft gefragt.4 Wenn die Projektform eine eigenständige operative Struktur ist, die in der Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen beobachtet werden kann und auf gleichartigen Erwartungen fußt, wie lässt sich dieses Verhältnis dann beschreiben? Ist die Projektform ein Indiz, dass sich tatsächlich die Grenzen zwischen Funktionssystemen auflösen und hybridisieren? Oder wird die Projektform durch systemspezifische Erwartungen imprägniert und an diese angepasst? Die Frage ist also, in welchem Verhältnis forschungsbezogene und projektbezogene Kommunikation stehen. Seit den 70er Jahren wendet sich die mikrosoziologische Wissenschaftsforschung (Knorr-Cetina 1984) gegen die institutionelle Betrachtung der Wissenschaft (Merton 1985). Der Vorteil eines höheren Auflösungsvermögens bis in konkrete Forschungshandlungen hinein wurde vielfach mit dem Preis erkauft, statt vereinheitlichende Konzepte eine facettenreiche Beschreibung heterogener Forschungskulturen hervorzubringen. Die Verbindung zwischen der Mikro- und der Makrobetrachtung ist abgerissen und kann sicherlich nicht auf der Ebene stets flüchtiger und situationsspezifischer Handlungsereignisse zurückerlangt werden. Greift man hingegen auf die diesen Handlungen zu Grunde liegenden Erwartungsstrukturen zu, dann lässt sich eine mikrosoziologische und institutionalistische Perspektive miteinander verbinden. Förderorganisationen richten beispielsweise gleiche Erwartungsstrukturen an unterschiedliche Forschungstypen und diese reagieren in spezifischer und vergleichbarer Weise auf die Erwartung, sich projektförmig zu verfassen. Ein ähnliches Problem liegt vor, wenn das Verhältnis von Forschungsorganisation und Forschungspraxis untersucht werden soll. Dass formale Organisations- und Aktivitätsstrukturen beträchtlich voneinander abweichen können, ist eine alte und insbesondere vom Neo-Institutionalismus vertretene Erkenntnis (Meyer/Rowan 1977, Brunsson 1989). Auf die Projektform nehmen hingegen sowohl Forschungsorganisationen als auch die Forschungspraxis Bezug, weil sie generalisierte Erwartungsstrukturen jenseits von etwaigen Einzelregelungen bereithält und deshalb handlungsrelevant ist. Diese Fragen lassen sich nicht theoretisch beantworten, sondern benötigen exemplarische Fallstudien, die untersuchen, was passiert, wenn Forschung auf die Erwartungsstrukturen der Projektform trifft. Mit der Konzentration auf die Frage, ob die Projektform als eigenständige operative Struktur in der Forschung beobachtet werden kann und was gegebenenfalls hieraus folgt, wird eine begriffliche und empirische Basis gelegt, die zu diesen weiterführenden Diskussionen beitragen kann. 4 Für einen Überblick über diese Debatte vgl. Weingart/Carrier/Krohn 2007, Heidenreich 2003, Stichweh 2002, Weingart 2001, Stehr 1994 sowie die einflussreichen Transformationsthesen von Gibbons et al. 1994, Nowotny/Scott/Gibbons 2001, Nowotny 2004. 17 Argumentationsgang der Arbeit Die Projektform in der Forschung wird in vier Schritten untersucht. Im anschließenden zweiten Kapitel wird die begriffliche und theoretische Grundlage für eine Analyse der Projektform als eigenständiger operativer Struktur erarbeitet. Zunächst wird das begriffliche Verhältnis von Projektform und Forschung hinsichtlich geteilter und differenter Erwartungsstrukturen betrachtet. Die vorhandene Literatur wird daraufhin befragt, worin jeweils die Besonderheit und der Problembezug des Projekt- und Forschungsbegriffs liegen. Es schließt eine Diskussion der Gemeinsamkeiten und Differenzen beider Begriffe an. Das gemeinsame Bezugsproblem ist die Zukunftsoffenheit, mit der jedoch unterschiedlich umgegangen wird. Die zunächst getrennte Behandlung von Forschungs- und Projektbegriff ermöglicht eine analytische Distanzierung und Sensibilisierung gegenüber der im Alltag selbstverständlichen Verknüpfung beider im ‚Forschungsprojekt‘. Anschließend folgt eine theoretische Konzeptionalisierung der Projektform als operativer Struktur. Entlang dem hier verfolgten Erkenntnisinteresse werden unterschiedliche Begriffs- und Theorieangebote verglichen, die vier Ansprüchen genügen müssen. Es muss sich um eigenständige, nicht-intentionale und dennoch operativ wirksame Strukturbildungen handeln, die zugleich ein empirisches Vorgehen anleiten. Weder der wissenssoziologische Ideologiebegriff, der neoinstitutionalistische Mythosbegriff, noch der Diskurs- bzw. Dispositvbegriff von Foucault genügen diesen Ansprüchen. Hingegen eignen sich für die Analyse der Projektform als eigenständiger operativer Struktur vor allem das systemtheoretische Semantikkonzept und der objektiv-hermeneutische Deutungsmusteransatz. Mittels eines Vergleichs der theoretischen Grundlagen und der jeweiligen Begriffsbestimmungen werden deren prinzipielle Kompatibilität geprüft, eine Kombination ermöglicht und partielle Verengungen auf beiden Seiten bereinigt. Im dritten Kapitel erfolgt eine historische Distanzierung gegenüber der heutigen Selbstverständlichkeit der Projektform in Wissenschaft und Forschung. Weder war das ‚Projekt‘ schon immer in der Welt noch ein fester Bestandteil von Forschung. Anhand eines kurzen historischen Abrisses der Verwendungskontexte und Verwendungsweisen des Projektbegriffs wird dessen Umwertungs- und Generalisierungsprozess dargelegt. Die Projektform tritt im Übergang zur Moderne in speziellen Kontexten auf, ist zunächst negativ konnotiert und verschwindet mit dem Beginn der modernen Wissenschaft wieder. Sie erscheint dann im Zuge der Industrialisierung erneut am Rande der Wissenschaft (Industrie- und Großforschung) und durchläuft zunächst dort eine positive Umwertung. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts rückt die Projektform allmählich in den institutionellen Kern der Wissenschaft und schreibt sich in nahezu alle vorhandenen Strukturen ein. Es handelt sich um eine Karriere der Projektform von der randständigen „Projektemacherei“ über die spezifische „Projektforschung“ zur projektförmigen Struktur der Forschung. Im vierten Kapitel setzen die kommunikationstheoretischen Fallrekonstruktionen im engeren Sinn ein. Gegenstand sind Kommunikationsprotokolle verschiedenster Art, in denen sich die Projektform zum Ausdruck bringt. Mit der Deutschen For18 schungsgemeinschaft (DFG) betrachten wir eine wesentliche Stabilisierungs- und Verbreitungsinstanz der Projektform. Dieses Kapitel erfüllt zwei argumentative Funktionen. In einer fokussierten Betrachtung des Institutionalisierungsprozesses wird zunächst gezeigt, dass dort erste Weichenstellungen für die Etablierung der Projektform erfolgen, weil damit grundlegende Formationsprobleme der Organisation bearbeitet werden können. Das wesentliche Diktum, „Forschung statt Forscher“ zu fördern, setzt die Projektform nämlich bereits voraus. Um Entscheidungen nicht auf vergangene Errungenschaften von Personen, sondern auf unpersönliche Entwürfe zukünftiger Forschung gründen zu können, bedarf es einer vorgängigen, möglichst vollständigen Offenlegung der Forschung. Anschließend werden die heutigen Normalitätserwartungen dieser Organisation analysiert. Zu diesem Zweck werden die zentralen Dokumente, mit deren Hilfe sie kommuniziert, einer detaillierten Rekonstruktion unterzogen. Die Organisation selbst bezeichnet diese Dokumente als Grundlage des „Normalverfahrens“ und „Kern der Forschungsförderung“. Auch die quantitativ bedeutsameren „koordinierten Programme“ bauen auf einer Vielzahl solcher kleinsten Einheiten auf. Diese Dokumente sind die einzigen kommunikativ relevanten Verbindungen zwischen der Organisation und der im anschließenden Kapitel rekonstruierten Forschungspraxis. Sie zeichnen sich vor allem darin aus, dass keine konkreten inhaltlichen, sondern abstrakte Formkriterien kommuniziert werden, die einen Typus institutionalisierter projektförmiger Forschung bilden. Es werden keine Forschungen ausgegrenzt, sofern sie sich projektförmig verfassen können. Die Organisation DFG operiert selbst mit dem Deutungsmuster der Projektform und reicht dieses an alle Adressaten, also die Gemeinschaft der Forschenden, weiter. Im fünften Kapitel stellt sich die Frage, ob und wie mit diesem Deutungsmuster umgegangen wird und auf welche Weise dieses in Konfrontation mit konkreten Forschungen gefüllt, korrumpiert, ersetzt oder radikalisiert wird. Die Projektform trifft direkt auf konkrete wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge. Anhand von drei stark kontrastierenden Fällen wird ausführlich rekonstruiert, ob und welche Neuinterpretationen von Forschung zu beobachten sind, wenn das Deutungsmuster der Projektförmigkeit ins Spiel kommt. Hier wird die Annahme überprüft, dass die Projektform ein eigenständiges und operativ wirksames Deutungsmuster ist. Die Fälle repräsentieren theoretisch denkbare und in der Literatur vertretene Annahmen über das Verhältnis von Projektform und Forschung. Demnach variiert dieses Verhältnis je nach kognitiver Ausstattung und sozialer Organisation der verschiedenen Forschungsarten. Der erste Fall aus der technischen Forschung wird als Typus eines Passungsverhältnisses rekonstruiert, der zweite Fall aus der empirischen Forschung als Typus eines problematischen Spannungsverhältnisses und der dritte Fall aus der theoretischen Forschung eines Einzelwissenschaftlers als Typus einer Forschungsart. Der letztgenannte Fall steht in größtmöglichem Kontrast zu den ersten beiden Fällen, weil weder teamartige Kooperationszwänge noch organisatorische Rahmenbedingungen von Bedeutung sind. Weil in allen Fällen gezeigt werden kann, dass die Projektform relevant wird und eigenlogische Selektionen anstößt, ergeben sich deutliche Hinweise dafür, dass die 19 Projektform ein eigenständiges und operativ wirksames Deutungsmuster ist. Projektförmigkeit der Forschung wäre dann als ein auf Dauer angelegtes, strukturelles Spannungsverhältnis zwischen Erwartungsstrukturen der Projektform und der Forschung beschreibbar, das nicht aufgelöst, sondern nur bearbeitet werden kann. Von besonderem Interesse ist in dieser Hinsicht vor allem der letzte Fall, nämlich der eines Wissenschaftlers, der sich als „faktischer Nichtprojektler“ bezeichnet, seine Forschungsart ohne Notwendigkeit aber dennoch als ein Äquivalent zur Projektform entwirft. Die Projektform wird nicht etwa in der Logik von Organisation, sondern in der Strukturlogik von Forschung verankert. Die Projektform erscheint als eine spezifische Umgangsweise mit dem Strukturproblem der Offenheit von Forschung, wodurch ihre hohe Anschlussfähigkeit jenseits von institutionellen Zwängen deutlich hervortritt. Im abschließenden sechsten Kapitel wird der Argumentationsgang dieser Arbeit entlang zentraler Ergebnisse rekapituliert und auf die hier angerissenen übergeordneten Fragen rückbezogen. 20