Wie ethnographiert man Vergnügen?
Zur Erforschbarkeit von Erfahrungsqualitäten
&KULVWRSK%DUHLWKHU
Eine europäisch-ethnologische Auseinandersetzung mit Populärkulturen erfordert nicht nur die historische, theoretische und systematische Aufarbeitung der
UHOHYDQWHQ%HJULIÁLFKNHLWHQXQG.RQ]HSWHVRQGHUQDXFKHLQHNULWLVFKH5HÁH[LRQ
der Erkenntniskraft und Tragweite gängiger Forschungsmethoden für das Forschungsfeld. Das wird im vorliegenden Band mit den Begriffen Unterhaltung und
Vergnügung eingegrenzt, die auf zwei Arten der praktischen Teilhabe an Populärkultur verweisen.1 Während Unterhaltung eine körperlich eher passive, „private
Rezeption von Präsentationen“ bezeichnet, meint Vergnügung eine körperlich
aktive „eigene Performanz“ oder auch „Eigenaktivität“.2 Gemein ist beiden Begriffen, dass sie sich im weitesten Sinne auf Praktiken beziehen.
Eine folgenreiche Besonderheit von Praktiken der Unterhaltung und Vergnügung ist ihre Ausrichtung auf emotional als positiv bewertete Erfahrungen.
Sie zielen auf das Erleben angenehmer Affekte, von Glücksgefühlen und Begeisterung, starken Emotionen und ästhetischem Genuss. Diese Dimension
des Forschungsfeldes deutet sich im Begriff des VergnügHQV an. Während mit
VergnügXQJ meist das konkrete Tun der Akteure, sichtbare und empirisch klar
erfassbare Situationen und Prozesse bezeichnet werden, verweisen Beschreibungen des VergnügHQV auch auf Erlebnis- oder Erfahrungsdimensionen. Folgt man
dem Duden, ist Vergnügung „ein angenehmer Zeitvertreib“, Vergnügen dagegen
ein „inneres Wohlbehagen, das jemandem ein Tun, eine Beschäftigung, ein Anblick verschafft“.3=ZDUZHUGHQEHLGH%HJULIIHDOOWDJVVSUDFKOLFKKlXÀJV\QRQ\P
verwendet,4 zu fragen wäre jedoch, ob der Begriff des Vergnügensdurch seine
VSH]LÀVFKH.RQQRWDWLRQSURGXNWLYH)RUVFKXQJVSHUVSHNWLYHQHU|IIQHQNDQQGD
er DXFKauf die jeweiligen Erfahrungsqualitäten von Praktiken der Unterhaltung
XQG9HUJQJXQJYHUZHLVW,QVRIHUQGLHVH(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQIUGLHMHZHLOLJHQ
Praktiken konstitutiv sind, scheint mir eine Vertiefung des Verständnisses für diese Aspekte sinnvoll, wobei eine erste Herausforderung in der Konkretisierung
methodischer Zugänge besteht.
'HPHQWVSUHFKHQGVWHKHQPHWKRGLVFKH5HÁH[LRQHQ]XU(UIRUVFKEDUNHLWYRQ
Erfahrungsqualitäten im Mittelpunkt dieses Beitrags, oder anders gewendet die
Frage: Wie ethnographiert man Vergnügen? Eine Schärfung des Begriffs Vergnügen (auch in Abgrenzung zu seiner Verwendung beispielsweise in den Cultural
1
Vgl. hierzu den Beitrag von Kaspar Maase in diesem Band.
Ebd.
3
KWWSZZZGXGHQGHUHFKWVFKUHLEXQJ9HUJQXHJXQJ KWWSZZZGXGHQGHUHFKWVFKUHLEXQJ9HUJQXHJHQ>@
4
Vgl. zur historischen Semantik beider Begriffe den Beitrag von Jens Wietschorke in diesem
Band.
2
(WKQRJUDSKLHYRQ(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ
Studies oder der Soziologie) scheint mir darüber hinaus für das Projekt einer
europäisch-ethnologischen Populärkulturforschung unerlässlich. Hier möchte
ich mich jedoch auf einige Hinweise beschränken, die an aktuelle ÜberlegunJHQ]XlVWKHWLVFKHQ(UIDKUXQJHQLP$OOWDJDQVFKOLHHQGLHHEHQIDOOVVSH]LÀVFKH
Erfahrungsqualitäten in den Vordergrund rücken. Der Begriff der ästhetischen
Erfahrungen ist weder deckungsgleich mit dem des Vergnügens, noch lassen sie
sich trennscharf unterscheiden. Am produktivsten scheint mir, ästhetische Erfahrungen als HLQHvon vielen möglichen Erfahrungsqualitäten eines Vergnügens
zu verstehen. Das schmälert jedoch nicht die Relevanz der theoretischen AusarEHLWXQJGHVHUVWHUHQ%HJULIIVIUHLQ9HUVWlQGQLVGHVOHW]WHUHQ,Q.RPSDNWIRUP
lautet ein Vorschlag:
0HQVFKHQPDFKHQl(>lVWKHWLVFKH(UIDKUXQJHQ&%@PLWMHGHU$UWYRQ
Gegenständen, Tätigkeiten, Situationen – nicht nur mit Kunst und Natur. Sie beruhen auf ‚außergewöhnlichen‘, aus dem Strom der Eindrücke
herausragenden sinnlichen Wahrnehmungen, die mit Bedeutungen verknüpft und in der emotionalen Gesamtbilanz als angenehm empfunden
ZHUGHQ ,P 8QWHUVFKLHG ]X DQGHUHQ SRVLWLYHQ (PSÀQGXQJHQ EH]LHKHQ
sich ästhetische auf mentale Repräsentationen und nicht auf die physische
Verfügung über ein Objekt – auf das Bild einer prallen Frucht und nicht
DXI GHUHQ%HVLW]RGHU9HU]HKUb(VLQG6HOEVW]ZHFNVLHZHUGHQJHVXFKW
ZHJHQ GHV *HIKOV GHU ,QWHQVLYLHUXQJ %HUHLFKHUXQJ XQG 5HÁH[LRQ GHV
/HEHQVJHIKOVXQGGHU%H]LHKXQJHQ]XU8PZHOWXQG]XXQVVHOEVW,P
Alltag sind ä. E. nicht scharf von anderen Wahrnehmungen, Tätigkeiten
XQG (PSÀQGXQJHQXQWHUVFKLHGHQLKUH NRQNUHWH4XDOLWlWKlQJWDEYRQ
den Gegenständen, Situationen und (Motiven und Voraussetzungen der)
beteiligten Personen – beim Sport anders als beim Lesen.
Der Begriff der ästhetischen Erfahrungen hilft dabei, den hier ins Zentrum gestellten Begriff des Vergnügens zu konkretisieren. Auch Vergnügen bezieht sich
auf Erfahrungen, die mit „jeder Art von Gegenständen, Tätigkeiten, Situationen“
gemacht werden können und mit „aus dem Strom der Eindrücke herausragenden
sinnlichen Wahrnehmungen“ verbunden sind, „die mit Bedeutungen verknüpft
und in der emotionalen Gesamtbilanz als angenehm empfunden werden“ und
GDUEHUKLQDXVHLQHÅ,QWHQVLYLHUXQJ%HUHLFKHUXQJXQG5HÁH[LRQGHV/HEHQVJHfühls und der Beziehungen zur Umwelt und zu uns selbst“ ermöglichen.
Während ästhetische Erfahrungen aber beispielsweise durch die selbstUHÁH[LYDOVVFK|QJHGHXWHWH5H]HSWLRQGHV%LOGHVHLQHUSUDOOHQ)UXFKWJHPDFKW
werden (s.o.), kann Vergnügen auch die Freude an ihrem Erwerb (und Besitz)
oder am Verspeisen dieser Frucht einschließen. Diese Unterscheidung meint keine einfache Trennung in aktive und passive Erfahrungen. Auch eine ästhetische
Erfahrung beziehungsweise die mit ihr verbundene sinnliche Wahrnehmung ist
ÅNHLQSDVVLYHV+LQQHKPHQYRQ(LQGUFNHQ>@VRQGHUQDNWLYH(U]HXJXQJYRQ
.DVSDU0DDVH(UIDKUXQJHQlVWKHWLVFKH,Q'HUV +J 'LH6FK|QKHLWHQGHV3RSXOlUHQ
bVWKHWLVFKH(UIDKUXQJGHU*HJHQZDUW)UDQNIXUW1HZ<RUN6I
&KULVWRSK%DUHLWKHU
VLQQYROOHQ,QIRUPDWLRQHQDXVGHQ'DWHQÁXWHQGHU6LQQHVRUJDQH´'LH6SH]LÀN
lVWKHWLVFKHU(UIDKUXQJVFKHLQWPLUYLHOPHKULQGHUVHOEVWUHÁH[LYHQ)RNXVVLHUXQJ
der Erfahrung auf die ihr selbst innewohnenden Aspekte des Ästhetischen oder
Schönen zu bestehen. So kann beispielsweise ein Autofahrerlebnis ästhetische
Erfahrungen beinhalten (die elegante Form des Wagens, das angenehme Dahingleiten über die Straße, die stimmungsvolle Musik aus den Lautsprechern),
doch zugleich kann sich die Freude am Fahren beispielsweise aus dem Eindruck
der Beherrschung einer machtvollen Maschine speisen – viele weitere Qualitäten
des Vergnügens am Fahren sind denkbar.
Ein solcher weiter Begriff von Vergnügen läuft freilich Gefahr, mit allen als
irgendwie angenehm oder positiv empfundenen Erlebnissen in Verbindung gebracht zu werden – deshalb grenze ich weiter ein: Vergnügen wird gezielt wegen
der mit ihm verbundenen, als angenehm empfundenen sinnlichen Wahrnehmungen und insgesamt positiv bewerteten emotionalen Erfahrungen gesucht (ist wie
die ästhetische Erfahrung „Selbstzweck“) und ist darüber hinaus mit komple[HQ NXOWXUHOOHQ 3UDNWLNHQ XQG %HGHXWXQJVJHZHEHQ YHUÁRFKWHQ :HQQ LFK DOVR
beispielsweise mit meinem Auto von A nach B fahre, dabei das Fenster herunterkurble und spontan Freude am Gefühl des Durch-die-Landschaft-Fliegens
HPSÀQGHZlUHQRFKQLFKWYRQ9HUJQJHQ]XVSUHFKHQ:HQQLFKDEHUDXIJUXQG
dieser Erfahrung beginne, mit meinem Auto nicht mehr einfach nur von A nach
B zu fahren, sondern fahre, um bewusst das als angenehm empfundene Fahrgefühl zu suchen, wenn ich dann auf ein Motorrad umsteige, um das Erleben
von Freiheit, Beweglichkeit und Geschwindigkeit zu intensivieren, wenn ich regelmäßig einschlägige Motorrad-Zeitschriften und TV-Angebote studiere, um mein
Wissen über die Optimierung des Fahrverhaltens erfolgreich (und begleitet von
EHIULHGLJHQGHU%HVWlWLJXQJ LQ,QWHUQHWIRUHQ]XP7KHPD0RWRUUDGIDKUHQDQ]Xwenden, wenn ich dann einem Motorrad-Club beitrete, durch den aus der Freude
am Fahrerlebnis soziale Beziehungen zu Gleichgesinnten (und damit ein als angenehm empfundenes Gruppengefühl) erwachsen und schließlich für einen Road
Trip gemeinsam mit diesen Gleichgesinnten die legendäre 5RXWH abfahre, dann
wäre aus einer spontanen Freude am Fahren ein um seiner selbst willen gesuchtes
Vergnügen am Fahren geworden, das viele verschiedene als positiv empfundene
Erfahrungsqualitäten vereint.
Kaspar Maase: Der Banause und das Projekt schönen Lebens. Überlegungen zu Bedeutung
XQG4XDOLWlWHQDOOWlJOLFKHUlVWKHWLVFKHU(UIDKUXQJ,Q'HUV'DV5HFKWGHU*HZ|KQOLFKNHLW
hEHUSRSXOlUH.XOWXU7ELQJHQ6KLHU6
Ein solcher Begriff von Vergnügen als Bezeichnung für eine um ihrer selbst willen gesuchte,
als angenehm empfundene und mit komplexen Praktiken verbundene emotionale bzw. sinnliche Erfahrung ist auch anschlussfähig an neuere Entwicklungen in der kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung. Monique Scheer hat erst kürzlich die Frage diskutiert, inwiefern Emotionen nicht nur mit Praktiken einhergehen, sondern selbst als Praktiken (im Sinne
3LHUUH%RXUGLHXV ]XYHUVWHKHQVLQG,QVRIHUQGHU%HJULII GHV9HUJQJHQV3UDNWLNHQXQG(Ufahrungsqualitäten zugleich bezeichnet, ist er möglicherweise besonders geeignet, um auf
jenes „doing emotions“ im Bereich populärer Unterhaltung und Vergnügung hinzuweisen.
9JO0RQLTXH6FKHHU$UH(PRWLRQVD.LQGRI 3UDFWLFH $QG,V7KDW:KDW0DNHV7KHP
(WKQRJUDSKLHYRQ(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ
Dem Begriff des Vergnügens ist durch diese Eingrenzungen längst keine endgültige Schärfe verliehen, doch seine problematische Vielfältigkeit ist skizziert –
genug, um zum eigentlichen Anliegen dieses Beitrags fortzuschreiten, zur Frage,
RE XQG LQZLHIHUQ HWKQRJUDSKLVFKH 6WXGLHQ LPVWDQGH VLQG GLH VSH]LÀVFKHQ (Ufahrungsqualitäten des jeweils in den Blick genommenen Vergnügens auszudifferenzieren. Reicht es aus festzuhalten, dass die Akteure ihre Teilhabe an Praktiken der Unterhaltung und Vergnügung als grundsätzlich positiv, als angenehm,
VSDLJXVZHUOHEHQ"8QGZHQQQLFKWZLHNDQQPDQGLH6SH]LÀNDGHV(UOHEHQV
ohne psychologisierende Zuschreibungen erfassen? Welche Möglichkeiten bieten
uns ethnographische Methoden, um nicht nur Praktiken, sondern die mit ihnen
verbundenen Erfahrungsqualitäten zu beobachten und in die ethnographische
Beschreibung einzubinden?
Das Beispiel: Zum Vergnügen am Killen in Online-Multiplayer-Shootern
$OV5HÁH[LRQVÁlFKH]XU(U|UWHUXQJGLHVHU)UDJHQP|FKWHLFKGDV)RUVFKXQJVIHOGGHV2QOLQH&RPSXWHUVSLHOHQVKHUDQ]LHKHQ,QGLHVHP)HOGVWHKHQPLUHLJHQH
Forschungserfahrungen zur Verfügung und gerade das scheint für das folgende
Vorhaben unerlässlich. Befragt werden sollen hier ganz bestimmte, insbesondere für die sogenannten Killerspiele (und ihre Kulturen) relevante Erfahrungen,
die mit dem Killen anderer Spieler einhergehen. Das Killen (gemeint ist das
computervermittelte Töten von durch Spieler gesteuerten Avataren) in OnlineSpielen wie &RXQWHU6WULNHoder 'D\=(dazu später mehr) ist eine von intensiver
Eigenaktivität geprägte Praxis, die mit vielfältigen Arten und Weisen der Online,QWHUDNWLRQPLWNRPSOH[HQ%HGHXWXQJVVRZLH6LQQ]XVDPPHQKlQJHQYHUEXQGHQ
ist. Diese Praxis geht mit verschiedenen Erfahrungen einher, die um ihrer selbst
willen gesucht und von den Akteuren vorwiegend positiv bewertet werden. Das
.LOOHQHUP|JOLFKWDOVRHLQVSH]LÀVFKHVYHUVFKLHGHQH(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQYHUHLnendes Vergnügen.
Die Ausdifferenzierung dieses Vergnügens ist ein heikles Unterfangen, insofern die Akteure in diesem Feld durch die anhaltende Killerspiel-Debatte immer
wieder zur Zielscheibe zahlreicher und oft spekulativer psychologisierender Zuschreibungen werden. Zugleich erleichternd und erschwerend kommt hinzu, dass
+DYHD+LVWRU\" $%RXUGLHXLDQ$SSURDFKWR8QGHUVWDQGLQJ(PRWLRQ,Q+LVWRU\DQG7KHRU\ 0D\ 6KLHU6
,FK YHUZHQGH KLHU GLH PlQQOLFKH )RUP Å6SLHOHU´ GD WDWVlFKOLFK GLH PHLVWHQ 6SLHOHQGHQ
männlich sind. „Spieler“ schließt aber grundsätzlich immer weibliche wie männliche Spielende ein.
Vgl. Jens Schroeder: ‚Killer Games‘ Versus ‚We Will Fund Violence‘. The Perception of DiJLWDO*DPHVDQG0DVV0HGLDLQ*HUPDQ\DQG$XVWUDOLD)UDQNIXUWD00LFKDHO0Rsel / Christian Waldschmidt: „... und wir sagen immer noch ‚Killerspiele‘“. Der Diskurs um
&RPSXWHUVSLHOH LP .RQWH[W YRQ 6FKRRO 6KRRWLQJV ,Q $XJHQEOLFN 0DUEXUJHU +HIWH ]XU
0HGLHQZLVVHQVFKDIW 7KHPHQKHIWÅ.LOOHUVSLHOH´%HLWUlJH]XUbVWKHWLNYLUWXHOOHU
*HZDOWKJJYRQ+HLQ]%+HOOHU$QJHOD.UHZDQLXQG.DUO3UPP6
&KULVWRSK%DUHLWKHU
GLH)UDJHQDFKGHQVSH]LÀVFKHQ4XDOLWlWHQGHU)UHXGHDP.LOOHQEHUHLWVYLHOIDFK
JHVWHOOWZXUGHXQG:LVVHQVFKDIWOHU,QQHQDXVXQWHUVFKLHGOLFKHQ'LV]LSOLQHQ LQVbesondere aus der Medienpädagogik und Medienpsychologie) allein im deutschsprachigen Raum vielfältige Antworten auf diese Frage geben.10
'DV(UOHEHQYRQ&RPSXWHUVSLHOHQZLUGGDEHLKlXÀJXQWHUGHP6WLFKZRUW
„Nutzungsmotive“ mitverhandelt, deren Erörterung ein Verständnis für die Erfahrungsqualitäten des Spielens voraussetzt. Zu unterscheiden ist dabei zwischen
Studien, die sich mit allgemeinen Nutzungsmotiven beschäftigen, und solchen,
die konkret auf „gewalthaltige Spiele“ eingehen.11
Die Medienpädagogen Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr tun letzteres und
beobachten dabei beispielsweise Erfahrungen der „Wirkungsmächtigkeit eigenen
Handelns“, die mit der Ausübung „virtueller Gewalt“ einhergehen.12 „Die Wünsche nach Macht und Kontrolle“, schreiben sie, „werden dadurch in besonders
intensiver Weise erfüllt.“ Die „virtuelle Gewalt“ befriedige das Bedürfnis nach
starken Reizen und vertreibe dadurch Langeweile. Schließlich tragen, so die Autoren, zur
)DV]LQDWLRQVNUDIWYLUWXHOOHU*HZDOW>@DXFKJHVHOOVFKDIWOLFKH*HZDOWNRQtexte Wesentliches bei. Virtuelle Gewaltinszenierungen verschränken sich
nicht nur mit alltäglichen Ohnmachtsgefühlen, indem sie die mit Macht,
Herrschaft und Kontrolle verbundenen Gewaltphantasien aufgreifen und
ausbauen. Sie setzen auch fort, was durch den ‚Prozess der Zivilisation‘
an realen kollektiven und individuellen Gewaltbedürfnissen in die mentale
und mediale Welt ‚übergeleitet‘ wurde.13
'RURWKHH0HLVWHUXQGDQGHUH(U]LHKXQJVZLVVHQVFKDIWOHU,QQHQDUJXPHQWLHUHQLKUHUVHLWVGDVVVLFKGHUÅ*HQXVVDQPHGLDOHU*HZDOW>@DXV5HDOLWlWVIHUQH´14 speise:
So berichten einzelne Jugendliche, gerade aus dem spielerischen und
damit gleichsam realitätsfernen Moment Befriedigung zu erhalten, und
verweisen dabei gar auf eine kathartische Wirkung, wenn entsprechende
10
Eine Erörterung der dabei zur Anwendung kommenden Gewaltbegriffe spare ich hier aus.
Vgl. dazu Christoph Bareither: Ego-Shooter-Spielkultur. Eine Online-Ethnographie. TübinJHQ6
11
Michael Kunczik und Astrid Zipfel verweisen darauf, „dass sich nur wenige Untersuchungen speziell mit den Motiven für die Nutzung gewalthaltiger Spiele befasst haben.“ Michael
Kunczik / Astrid Zipfel: Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch. Köln / Weimar / Wien
IQIWH$XÁ6
12
-UJHQ)ULW]:ROIJDQJ)HKU9LUWXHOOH*HZDOW0RGHOORGHU6SLHJHO",Q-UJHQ)ULW] +J
Computerspiele: virtuelle Spiel- und Lernwelten. Bonn 2003, CD-ROM, o.P. Einschränkend
muss hinzugefügt werden, dass sich die Autoren hier nicht konkret auf Online-MultiplayerSpiele, sondern auf Computer- und Videospiele allgemein beziehen, was auch für die weiter
unten angeführten Arbeiten zu „virtueller Gewalt“ u.ä. zutrifft.
13
Ebd.
14
Dorothee M. Meister u.a.: Mediale Gewalt: ihre Rezeption, Wahrnehmung und Bewertung
GXUFK-XJHQGOLFKH:LHVEDGHQ6
200
(WKQRJUDSKLHYRQ(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ
Spiele eingesetzt werden, um sich im Wettkampf zu messen und alltägliche Aggressionen und Frustrationen abzubauen.
,P%HUHLFKGHU0HGLHQSV\FKRORJLHVLQGZHLWHUH0RGHOOHJlQJLJ7LOR+DUWPDQQ
Peter Vorderer und Christoph Klimmt differenzieren einige der psychologischen
Thesen aus.
Medial präsentierte Gewalt kann grundsätzlich bei bestimmten Personen
Genuss auslösen, weil sie ästhetische Motive befriedigen kann bzw. die ErIDKUXQJPlQQOLFKHQ5ROOHQYHUKDOWHQVHUODXEW>@=XGHPN|QQHQJHZDOWhaltige Szenarien (und darin enthaltene natürliche Symbole wie Blut) die
Erregung des Computerspielers steigern, was wiederum, sofern relevante
(SLVRGHQHUIROJUHLFKDEJHVFKORVVHQZHUGHQVHLQH(XSKRULHYHUVWlUNW>@
'DQHEHQN|QQHQGXUFKYLUWXHOOH*HZDOW>@%HORKQXQJHQHUUHLFKWZHUGHQ>@ZLH]XP%HLVSLHOGDV(UOHEHQYRQ:LUNVDPNHLW6WRO]9HUP|JHQ
Kontrolle und Macht.
Auch aus soziologisch-medienwissenschaftlicher Perspektive existieren bereits
einschlägige Thesen. „Die eindeutige und körperbezogene Symbolik des Tötens
im Multiplayer-Ego-Shooter“, schreibt beispielsweise Alexander Stoll, ermöglicht
„in der Wahrnehmung einen als ernsthaft, authentisch und einigermaßen glaubhaft empfundenen Wettkampf auch in der virtuellen Welt“. Das Killen wird in
GLHVHP 0RGHOO DXVVFKOLHOLFK IXQNWLRQDO ZDKUJHQRPPHQ XQG ]XP ,QVWUXPHQW
NRPSHWLWLYHUVR]LDOHU,QWHUDNWLRQ
(LQHHWKQRJUDSKLVFKH3HUVSHNWLYHDXI GDV9HUJQJHQDP.LOOHQÀQGHWVLFK
also in einem von vielfältigen Deutungen durchdrungenen Feld wieder. Umso
NODUHU OlVVW VLFK LKU VSH]LÀVFKHU %HLWUDJ KHUDXVDUEHLWHQ (WKQRJUDSKLVFKH %Hschreibungen scheinen deutlich ‚schwächer‘ als die skizzierten Thesen, insofern
sie (zumindest in der europäisch-ethnologischen Tradition) auf allzu konkrete
Aussagen über das Wahrnehmen und Erleben der Akteure verzichten. Zwar sind
alle genannten Thesen durch quantitative Verfahren oder auch durch qualitative
,QWHUYLHZVHPSLULVFKEHOHJWGRFKGLHVHV9HUVWlQGQLVYRQ(PSLULHJLOWLQGHQHWKnographisch arbeitenden Disziplinen als problematisch. Und zwar insofern, als
TXDQWLWDWLYH=XJlQJHKLHUYRUDOOHPGHU9HULÀ]LHUXQJGHGXNWLYHU+\SRWKHVHQGLHQHQXQGTXDOLWDWLYH,QWHUYLHZV RKQHHUJlQ]HQGH0HWKRGHQ GHQ8QWHUVFKLHG]X
YHUQDFKOlVVLJHQGURKHQ]ZLVFKHQGHPZDV0HQVFKHQ LP,QWHUYLHZ EHULKUH(UIDKUXQJHQEHULFKWHQ²GHUÅUHÁHNWLHUWHQÄYRU]HLJEDUHQ¶9HUVLRQGHV(UOHEWHQ´ –,
Ebd.
Tilo Hartmann / Peter Vorderer / Christoph Klimmt: Medienpsychologische Erforschung
von Computerspielen – Ein Überblick und eine Vertiefung am Beispiel von Ego-Shootern.
,Q0DWWKLDV%RSS6HUMRVFKD:LHPHU5ROI )1RKU +J 6KRRWHU(LQHPXOWLGLV]LSOLQlUH
(LQIKUXQJ0QVWHU6KLHU6I
Alexander Stoll: „Killerspiele“ oder E-Sport. Funktionalität von Gewalt und die Rolle des
.|USHUVLQ0XOWLSOD\HU(JR6KRRWHUQ%RL]HQEXUJ6
%ULJLWWD6FKPLGW/DXEHU'DVTXDOLWDWLYH,QWHUYLHZRGHU'LH.XQVWGHV5HGHQ/DVVHQV,Q
Silke Göttsch / Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen,
201
&KULVWRSK%DUHLWKHU
und dem ‚tatsächlich Erlebten‘. Essentialistische Antworten auf die Frage nach
diesem ‚tatsächlich Erlebten‘ werden ethnographische Studien nicht geben könQHQXQGZROOHQ$XFKZHUGHQVLHNDXPGHUTXDQWLWDWLYHQ9HULÀ]LHUXQJYRQNODUHQ
+\SRWKHVHQGLHQHQ,KU%HLWUDJEHVWHKWYLHOPHKULP8PNUHLVHQGHU)UDJHQQDFK
Erfahrungsqualitäten, in der Überblendung von Selbstdeutungen und Praktiken,
in der Dokumentation und Ausdifferenzierung von Artikulationen des Erlebens,
die ihrerseits als Bestandteil von kulturell geprägten Umgangsweisen des komplexen Ganzen einer (Vergnügungs-)Kultur verstanden werden, und schließlich auch
in den Fragen (nicht Antworten), zu denen autoethnographische Beobachtungen
führen können.
Das Vergnügen am Killen als Gegenstand teilnehmender Beobachtung
Eine in diesem Sinne induktive ethnographische Annäherung setzt eine Art „methodologisches Banausentum“ voraus, wie es Kaspar Maase für die Erforschung
ästhetischer Erfahrungen im Alltag einfordert – wobei in Bezug auf das Killen
eher von einer moralischen Unbefangenheit zu sprechen wäre, die Vor- und Werturteile erst einmal auszublenden versucht. Möglichst ohne Vorannahmen (oder
PLW EHJOHLWHQGHU 5HÁH[LRQ GHU HLJHQHQ 9RUDQQDKPHQ LQV )HOG ]X JHKHQ XQG
sich stattdessen „das nachfühlende Verstehen kulturellen Lebens zum Ziel“20 zu
setzen, ist ein zentrales Merkmal der teilnehmenden Beobachtung. Diese Methode steht hier im Mittelpunkt, weil sie erstens dem Beobachtungsgegenstand –
Erfahrungsqualitäten, die mit einer von hoher Eigenaktivität geprägten Praxis
einhergehen – entspricht und weil sie zweitens imstande ist, die bestehende qualitative Rezeptionsforschung zu ergänzen. Während letztere sich auf schriftliche
Quellen21RGHUTXDOLWDWLYH,QWHUYLHZV22 stützt, erlaubt teilnehmende Beobachtung,
Rückschlüsse auf Erfahrungsqualitäten ausgehend vom konkreten (performatiYHQ 7XQGHU$NWHXUH]X]LHKHQ$XI GLHVHQVSH]LÀVFKHQ$VSHNWP|FKWHLFKPLFK
hier beschränken, auch wenn die Triangulation verschiedener qualitativer Methoden langfristig die komplexesten Ergebnisse verspricht.
,QPHLQHU)HOGIRUVFKXQJPXVVWHGLHWHLOQHKPHQGH%HREDFKWXQJDQGLH6SH]LÀNGHV)RUVFKXQJVIHOGHVDQJHSDVVWXQGJHZLVVHUPDHQLQGHQYLUWXHOOHQ5DXP
verlagert werden.23 Der bisherige Forschungsprozess bestand darin, in Online-
20
21
22
23
$UEHLWVZHLVHQGHU(XURSlLVFKHQ(WKQRORJLH%HUOLQ6KLHU6
Maase: Der Banause und das Projekt schönen Lebens, S. 240.
Brigitta Schmidt-Lauber: Feldforschung. Kulturanalyse durch teilnehmende Beobachtung.
,Q*|WWVFK/HKPDQQ +J 0HWKRGHQGHU9RONVNXQGH6KLHU6
Vgl. beispielsweise Ralf von Appen: Der Wert der Musik. Zur Ästhetik des Populären. BieOHIHOG
Vgl. beispielsweise Mohini Krischke-Ramaswamy: Ästhetische Erfahrungen mit populärer
.XOWXU,Q0DDVH +J 'LH6FK|QKHLWHQGHV3RSXOlUHQ6
Zur Problematik dieser Übertragung vgl. Gertraud Koch: Der Cyberspace als Ende der
(WKQRJUDÀH"$QPHUNXQJHQ]XU2UWVPHWDSKHUGHV,QWHUQHWVLQGHUNXOWXUDQDO\WLVFKHQ)RUVFKXQJ,QNXOWXUHQ-J +7KHPHQKHIW)HOGIRUVFKXQJ#F\EHUVSDFHKJJYRQ
202
(WKQRJUDSKLHYRQ(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ
0XOWLSOD\HU6KRRWHUQPLW]XVSLHOHQ ELVKHUFD6WXQGHQ7HLOQDKPH]HLW XQGLQ
Audiosprachkanälen (die ähnlich wie eine Telefonkonferenzschaltung funktionieren) sowie in Textchats an den vielfältigen Konversationsprozessen während des
Spielens teilzuhaben. Das Führen eines Feldtagebuchs, die Anfertigung verschiedener Textchat- und auch Audio-Video-Mitschnitte sowie Analysen der Spielkontexte (Webseiten von Spielgemeinschaften etc.) gehörten zum Forschungsalltag.
,P6LQQHHLQHUÅWHLOQHKPHQGHQ%HREDFKWXQJDOV,QWHUDNWLRQVSUR]HVV´24 legte und
lege ich Wert darauf, die Spieler, mit denen ich regelmäßig in Kontakt trete, von
meinem Forschungsvorhaben in Kenntnis zu setzen (auch wenn eine ‚unsichtbare
Teilnahme‘ durchaus möglich wäre). Anhand einer solchermaßen gestalteten Methode wird im folgenden die Erkenntniskraft der teilnehmenden Beobachtung in
Bezug auf das Vergnügen am Killen skizziert, um Beispiele für ethnographische
Umschreibungen desselben zu geben.
&RXQWHU6WULNH ist ein auch in Deutschland seit über zehn Jahren sehr populärer Ego-Shooter, bei dem sich die Spieler (in der Ego-Perspektive von als
Terroristen und Antiterroreinheiten dargestellten Avataren) mit verschiedenen
Schusswaffen bekämpfen und versuchen, so viele Kills wie möglich zu schaffen
oder (in einer eher teamsportlichen Variante) den Sieg für ihr eigenes Team herauszuholen. Ein ethnographischer Blick wird zuerst einmal feststellen, GDVVSpieler in diesem Spiel aufeinander schießen. Zweitens wird er bemerken, dass das
Killen nicht immer im Stillen geschieht, sondern dass Spieler über Textchats und
LQ$XGLRVSUDFKNDQlOHQKlXÀJGDV6SLHOJHVFKHKHQNRPPHQWLHUHQXQGGDEHLGDV
individuell Erlebte in Worte fassen. Verbale Artikulationen des Erlebten (seien sie
QXQEHZXVVWRGHUYRUEHZXVVW VLQGIUHLOLFKNHLQHHQGJOWLJHQ,QGLNDWRUHQIUGDV
WDWVlFKOLFK(UOHEWHDEHUVLHN|QQHQDOV+LQZHLVHDXI VSH]LÀVFKH(UIDKUXQJVTXDlitäten dienen.
,Q &RXQWHU6WULNH NDQQ PDQ EHVRQGHUV KlXÀJ -XEHO /DFKHQ $XVUXIH ZLH
„Jaa!“ hören oder auch Emoticons wie „xD“ (einen lachenden Smiley) im Textchat sehen, wenn ein Spieler gerade einen anderen gekillt hat. Solche Ausdrücke
zeigen zwar vorerst nur, dass die Akteure beim Killen prinzipiell positiv empfunGHQH (UIDKUXQJHQ PDFKHQ GRFK LQ $QEHWUDFKW GHU JUDÀVFKHQ 5HSUlVHQWDWLRQ
der Spielhandlungen als physische Gewalt liegt die Vermutung nahe, dass diese
positiven Erfahrungen mit dem Erleben eigener Stärke und Überlegenheit zu-
24
9LFWRULD+HJQHUXQG'RURWKHH+HPPH6%ULJLWWD6FKPLGW/DXEHU:HJHXQG,UUZHJHGHU)RUVFKXQJEHUXQGLP&\EHUVSDFH(LQ3UREOHPDXIULVV,QHEG6$OOHUdings wurde das Mitspielen online als Variante der teilnehmenden Beobachtung bereits vielfach erprobt. Als Einführung in die entsprechende Methodologie vgl. Tom Boellstorff u.a.
+J (WKQRJUDSK\DQG9LUWXDO:RUOGV$+DQGERRNRI 0HWKRG3ULQFHWRQ2[IRUG
aus volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Perspektive vgl. u.a. Gertraud Koch: Second Life
²HLQ]ZHLWHV/HEHQ"$OOWDJXQG$OOWlJOLFKHVHLQHUYLUWXHOOHQ:HOW,Q=HLWVFKULIWIU9RONVNXQGH 6
Rolf Lindner: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden BeREDFKWXQJDOV,QWHUDNWLRQVSUR]H,Q=HLWVFKULIWIU9RONVNXQGH 6
Damit sind hier alle verschiedenen Versionen des Spiels bezeichnet. Vgl. die aktuellste Version: Counter-Strike: Global Offensive. Valve 2012.
203
&KULVWRSK%DUHLWKHU
sammenhängen. Tatsächlich wird diese Vermutung durch weitere Artikulationen
bestärkt. Spieler drohen sich mitunter genüsslich an, sich eins auf die Fresse
oder auch in den Kopf (also einen sogenannten Headshot) zu geben, den anderen
SODWW]XPDFKHQVLFK]XEDVKHQGHQ$UVFK]XYHUVRKOHQ]XÀFNHQZHJ]XPDchen, zu holen, zu drücken, zu ziehen usw. – alles sprachliche Objektivationen der
Erfahrungsqualität einer zwar computervermittelten, aber dennoch als körperlich
gedeuteten Überlegenheit.
Auf manchen &RXQWHU6WULNH-Servern (technische Plattformen, die jeweils
einen Spielraum zur Verfügung stellen) sind darüber hinaus Soundfunktionen
installiert, durch die eine entweder männlich-anfeuernde oder weiblich-laszive
Stimme bestimmte Spielaktionen mit Ausrufen wie „Headshot!“, „Doubleheadshot!“, „Multikill!“, „Domination!“ oder „Humiliation!“ kommentiert. Solche
0RGLÀNDWLRQHQGHU6RIWZDUHGLHQHQGHUDXWRPDWLVLHUWHQ(YRNDWLRQHLQHUVSH]LÀschen Erfahrungsqualität, die sehr konkret auf den Genuss an der Ausübung von
Dominanz verweist.
Nicht nur verbale Artikulationen deuten in diese Richtung. Zwar sind bei der
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doch auch ingame (wie man im Spieljargon sagt) kann man computervermitteltkörperliche Artikulationen beobachten. So schießen beispielsweise nach einem
besonders intensiven Zweikampf manche Spieler zusätzliche Gewehrsalven auf
ihre bereits gekillten Gegner (was die Gegner noch in ihrer sogenannten Deathcam sehen können). Auch in solchen Spielaktionen artikuliert sich die Freude an
der Erfahrung einer als körperlich repräsentierten Überlegenheit.
,Q GHQ 6SLHONXOWXUHQ GHU PHLVWHQ 2QOLQH6SLHOH LVW GLHVH )UHXGH Y|OOLJ OHgitim. Sie wird nicht als etwas Ernstes oder Brutales gedeutet, sondern als integraler Bestandteil der Spielprozesse verstanden. Das zeigt sich beispielsweise an
GHULQÁDWLRQlUHQ9HUZHQGXQJYHUVFKLHGHQHU6PLOH\VRGHUYRQ.U]HOQZLHÅORO´
(laughing out loud), die nicht nur von den Überlegenen, sondern auch von den
gekillten Spielern geschrieben oder ausgesprochen werden. Letztere signalisieren
dadurch, dass sie sich ihre eigene Unterlegenheit nicht zu sehr zu Herzen nehmen
und vermitteln das wiederholte Sterben als einen integralen Bestandteil des vergnüglichen Spiels. Schließlich werden sie schon in der nächsten Runde wieder am
Spiel teilhaben und die Chance erhalten, es ihren Gegnern heimzuzahlen.
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der Woche ihr Können zu trainieren und gegen andere Spielgemeinschaften in
der jeweiligen &RXQWHU6WULNH-Liga anzutreten. Solche Organisationsformen demonstrieren bereits die Transformation des Spiels in eine von den Spielern als
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kulturellen Praktiken durchzogen (Training, Professionalisierung, ‚Vereinsleben‘,
Wettkämpfe usw.) und bringt schließlich auch eine veränderte Erfahrungsqualität
des Killens mit sich.
Für Clanspieler gibt es nicht einfach nur Kills, sondern simple und besonders gekonnte Kills. Clan-Wars sind geprägt von gegenseitigem Lob für Ele
Die im Folgenden zitierten Artikulationen wurden im Feldtagebuch wörtlich notiert.
204
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ganz und herausragende Leistungen beim Killen der Gegner: „Schönes Ding!“,
„Nice!“, „Sauber!“ sind regelmäßige Ausrufe, die deutlich an das Vokabular beNDQQWHU 2IÁLQH6SRUWNXOWXUHQ DQJHOHKQW VLQG (LQ VRJHQDQQWHU 2QH6KRW HLQ
reaktionsschneller und punktgenauer Schuss in den Kopf eines Gegners, gilt beispielsweise als besonders gekonnt, und die Spieler rühmen sich dementsprechend
gerne selbst oder gegenseitig, indem sie auf ihre One-Shots verweisen. Zugleich
betreiben die High-Skiller (also besonders gute Spieler) Distinktion, indem sie das
Vergnügen der Amateure an ‚plumpen‘ Kills abwerten. Spieler, die nur nach dem
Genuss der Demonstration individueller Überlegenheit streben (anstatt gekonnt
und in Einklang mit der sportlichen Strategie zu spielen), werden als „fraggeil“
bezeichnet. „Fraggeil“ ist dabei gleichbedeutend mit „killgeil“ und durchaus negativ konnotiert. Der Qualität des Vergnügens fraggeiler Spieler wird somit (zumindest in Wettkampfsituationen) die Anerkennung verweigert.
'DVVVSH]LÀVFKH6SLHODNWLRQHQDOVEHVRQGHUVVFK|QJHNRQQWRGHUDXFKHOHgant verstanden und zur Sprache gebracht werden, deutet außerdem auf mit dem
Killen einhergehende ästhetische Erfahrungen hin. Wie im Fußball die schönsten
Tore in der Zusammenschau gezeigt werden, so arrangieren auch manche &RXQWHU
6WULNH-Spieler Videos ihrer schönsten Kills in Zeitlupe zu emotionsgeladener Musik und stellen sie auf <RX7XEH zur Bewunderung aus.
Über diese Erfahrungsqualitäten hinaus sind Praktiken zu beobachten, die
den Genuss von grotesken, als hyperbolisch und lustig erfahrenen Darstellungen
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Explosionen in die Luft oder durch Schüsse in grotesken Animationen zu Boden
geschleudert. Auch hier folgen regelmäßig Kürzel wie das lol und Smileys, besonders dort, wo sich Spieler tollpatschig angestellt haben oder wo komische Situationen absichtlich herbeigeführt wurden. Wenn, wie ich es mehrmals beobachten
konnte, ein Spieler sich selbst tötet (per unsichtbarer Eingabe eines Befehls) und
dann seinen Mitspielern beispielsweise schreibt: „ah. ich bin gestolpert. immer
fall ich hin“, dann werden dadurch Elemente des Slapstick aufgegriffen, die auf
ein Vergnügen an der hyperbolischen Darstellung physischer Gewalt verweisen.
Das Vergnügen am Killen in &RXQWHU6WULNHlässt sich also nicht auf die Erfahrungsqualität der Ausübung von Überlegenheit reduzieren. Vielmehr treten das
vergnügliche Erleben grotesker Darstellungen und zumindest für die Clanspieler
die Freude an der Bewältigung sportlicher Aufgaben hinzu, gepaart mit dem diese
(UIDKUXQJHQEHJOHLWHQGHQVHOEVWUHÁH[LYHQ*HQXVVYRQDOVVFK|QHPSIXQGHQHQ
Spielaktionen.
,QDQGHUHQ6SLHOHQJHKHQPLWGHP.LOOHQDQGHUH(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQHLQKHU,QGLH%HVFKUHLEXQJGHVIROJHQGHQ6SLHOVÁLHHQYHUVWlUNWDXWRHWKQRJUDSKLsche (Selbst-)Beobachtungen ein – eine Methode, deren Möglichkeiten jüngst von
Brigitte Bönisch-Brednich kritisch diskutiert wurden. Gerade zum Verständnis
Vgl. Muriel Andrin: Back to the „Slap“. Slapstick’s Hyperbolic Gesture and the Rhetoric of
9LROHQFH,Q7RP3DXOXV5RE.LQJ +J 6ODSVWLFN&RPHG\1HZ<RUN6
%ULJLWWH%|QLVFK%UHGQLFK$XWRHWKQRJUDÀH1HXH$QVlW]H]XU6XEMHNWLYLWlWLQNXOWXUDQWKURSRORJLVFKHU)RUVFKXQJ,Q=HLWVFKULIWIU9RONVNXQGH +6
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von Erfahrungsqualitäten könnte die weitere Ausarbeitung autoethnographischer
=XJlQJH²GLH(LQELQGXQJGHVÅ6HOEVW´VWDWWQXUGHVÅ,FK´ – einen wichtigen
Beitrag leisten, wie auch Jochen Bonz im vorliegenden Band demonstriert. Kritisch zu diskutieren bleibt sicherlich die Frage nach der Repräsentativität der eigenen Erfahrungen und nach den Möglichkeiten ihrer adäquaten Verwendung in
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auf eine Verwendung autoethnographischer Beobachtungen als ‚Türöffner‘ in
Erfahrungsräume, die ich sonst nicht betreten hätte und die mir neue Frageperspektiven erschlossen haben.
'D\=LVWHLQHGHU]HLWVHKUSRSXOlUH0RGLÀNDWLRQHLQHUDOVUHDOLVWLVFKJHOWHQGHQ0LOLWlUVLPXODWLRQEHLGHUVLFKYHUVFKLHGHQH EHUGDV,QWHUQHWYHUEXQGHQH
Spieler in einer von computergesteuerten Zombies bevölkerten Landschaft wieGHUÀQGHQ'LHPHQVFKOLFKHQ$NWHXUHVWHXHUQDXFKPHQVFKOLFKH$YDWDUHXQGN|Qnen entweder zusammenarbeiten, um gegen die Zombies zu bestehen (und um
sich gegenseitig mit Nahrung, Fahrzeugen und Medizin zu versorgen), oder sie
können sich gegenseitig töten und ihrer mühselig gesammelten Gegenstände und
Waffen berauben.
Eine folgenreiche Besonderheit dieses Spiels besteht darin, dass jeder
menschliche Avatar im Gegensatz zu den meisten anderen Online-MultiplayerSpielen nur ein einziges Leben hat. Stirbt die eigene Figur, ist sie für immer verschwunden und der Spieler verliert seine gesammelte Ausrüstung an seinen Gegner. Wenn er wieder respawned (also wieder den Spielraum betritt), startet er
mit einem neuen Avatar bei Null. Dieser Umstand verleiht den Erfahrungen des
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Als Neuling im Spiel verbrachte ich viele Tage mit erfolglosen Überlebensversuchen (sogenannten Survival-Attempts), die entweder von Zombies oder von
anderen Spielern (mit besseren Waffen und mehr Skill) beendet wurden. Als ich
schließlich genügend Equipment gesammelt hatte, um fürs Erste in der feindlichen Umgebung am Leben zu bleiben, traf ich einen fremden Spieler und gewann
sein Vertrauen, indem ich ihm eine Waffe schenkte. Er tötete mich tatsächlich
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und uns gegenseitig beim Überleben helfen würden. Als uns ein dritter Spieler
VFKOLHOLFKDWWDFNLHUWHXQGZLUUHODWLYNRSÁRVGXUFKGLH*HIHFKWVVLWXDWLRQVWROSHUten, stand ich plötzlich neben einem anderen Avatar und wusste nicht mehr, ob
ich auf Freund oder Feind zielte. Die Hände zitternd, regelrecht schwitzend und
mit klopfendem Herzen schoss ich ihm in den Kopf. Eine Sekunde zu spät hatte
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unmöglich, da der Mitspieler umgehend den Spielraum verließ, und ich fühlte
mich ernsthaft schlecht. Zugleich war da aber etwas anderes: der Reiz der unerwartet intensiven körperlichen Erfahrung, die enorme Anspannung, der Thrill,
auch ein Gefühl von Überlegenheit, gemischt mit der Erleichterung des ÜberlebtHabens und einer heimlichen Freude daran, dass ich nun die Ausrüstung meines
toten Mitspielers an mich nehmen konnte.
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Neugierig geworden auf die eigentümliche Mischung dieser Erfahrung, verbrachte ich die folgenden Monate viel Zeit mit 'D\=. Die durch das Spiel ermöglichte
Wahl zwischen Töten und Nicht-Töten bildet die Grundlage für ganz eigene Erfahrungsqualitäten. Spieler werden in der Spielkultur von 'D\=vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die sie treffen, einem von zwei Typen zugeteilt: die
sogenannten Bandits auf der einen und die (friendly) Survivors auf der anderen
Seite. Tatsächlich changieren die meisten Spieler permanent zwischen beiden Rollentypen, doch sind diese Konstrukte hier hilfreich, insofern sie zugleich auf zwei
verschiedene, in Zusammenhang mit dem Killen sich entfaltende Erfahrungsqualitäten verweisen.
Bandits locken mitunter bewusst andere Spieler in ausgeklügelte Fallen, beispielsweise indem sie ihnen vorgaukeln, verletzt zu sein und Hilfe zu benötigen,
nur um dann ihren Rettern in den Rücken zu schießen. Teils verschanzen sich
ganze Clans von Bandits mit überlegenen Waffen in überlegenen Positionen und
killen unvorsichtige Anfänger (obwohl sie nicht auf deren Ausrüstung angewiesen sind). Als ein mir bekannter Spieler einmal eines der seltenen Fahrzeuge als
Köder aufstellte, um den erstbesten Spieler, der sich auf den Fahrersitz setzen
würde, zu erschießen, kommentierte er genüsslich im Sprachkanal, er sei manchmal „so ein Ekliger“. Solche Praktiken und Selbstdeutungen verweisen darauf,
dass die bewusste Entscheidung für das vorsätzliche Killen anderer Spieler die
Erfahrung eines vergnüglichen Mal-so-richtig-gemein-Seins ermöglicht.
Auf der anderen Seite stehen Spieler, die sich gegen das Killen entscheiden, genauer: die vorgeben, sich gegen das Killen entschieden zu haben und nur
DXV1RWZHKUDQGHUH6SLHOHU]XHUVFKLHHQ,PPHUZLHGHUHU]lKOHQVROFKH6SLHler Geschichten davon, wie sie selbst in Fallen gelockt oder wegen ihrer eigenen
Freundlichkeit gekillt wurden, nur um direkt im Anschluss trotzig zu verkünden, dass sie selbst nun auch keine Rücksicht mehr nehmen werden. Dass sie
diese Notwendigkeit aber letztlich nicht als negativen Aspekt des Spielprozesses
HPSÀQGHQ VRQGHUQ LP *HJHQWHLO GHQ =ZDQJ ]XP .LOOHQ LQ GLHVHU LPDJLQLHUten Auge-um-Auge-Welt genießen, zeigt sich immer wieder darin, wie sie über
ihre Erlebnisse sprechen. Ein Spieler, mit dem ich viel Zeit verbrachte, erzählte
von seinem Tod durch einen Banditen und schlussfolgerte: „Deswegen gibts jetzt
keine Gnade mehr, Gnade ist ausverkauft!“, bevor er halb hämisch, halb freudigHUZDUWXQJVYROODXÁDFKWH
6ROFKH%HREDFKWXQJHQZHUIHQGLH)UDJHDXIZHOFKHQ(LQÁXVVGLHXPGDV
6SLHO JHÁRFKWHQHQ 1DUUDWLYH DXI GLH (UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ EHLP .LOOHQ KDEHQ
können. Aufschlussreich ist in diesem Kontext das Beispiel eines Narrativs, an
dem ich als Teil eines 'D\=-Clans über einige Wochen hinweg teilhatte. Einige
Mitglieder dieses Clans bezeichneten es als ihre „Philosophie“, niemals zuerst zu
schießen. Sie wollten friendly sein, wie man im Spieljargon sagt, wollten schwächeren Spielern eher helfen und eben gemeinsam am Leben bleiben statt einander
zu töten. Der Haken an dieser Philosophie war, dass sie fast immer mit dem Tod
des jeweiligen Philosophen endete – in unserem Fall meist herbeigeführt durch
einen überlegenen gegnerischen Clan, der regelmäßig denselben Spielraum aufsuchte. Bald hatten wir untereinander ein Bild dieses Clans als einer blutrünstigen
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Masse gezeichnet, die alles tötet, was sich bewegt, während wir die Unschuldigen
waren und nur friedlich koexistieren wollten.
Als ich durch Zufall mehrere unserer verhassten Gegner (meine Mitspieler
sprachen tatsächlich von „Hass“) im Alleingang umbrachte, bekam ich die Kraft
dieses Narrativs zu spüren. Nicht nur ich selbst freute mich ohne Vorbehalte –
auch in den Augen meiner Clankollegen hatte ich eine respektable Leistung vollbracht und darüber hinaus (indem ich einen der Gegner in seinem Auto entführt
sowie mit einer seiner eigenen Waffen getötet hatte) für gelungene Comedy-Einlagen gesorgt. Beinahe andächtig lauschten die anderen meiner Schilderung des
Erlebten und lachten herzlich an den lustigsten Stellen. Mehrere Tage erzählten
GLH&ODQPLWJOLHGHUVLFKGLHVH*HVFKLFKWHJHJHQVHLWLJLPPHUZLHGHU,FKGHULFK
sonst als eher unbeholfener Spieler galt, war ein wenig wie ein Held geworden
und fühlte mich gut dabei. Vor dem Hintergrund des Fremdbilds des ‚bösen‘
Clans wurde das vormals als unethisch gedeutete vorsätzliche Killen, verstanden
als eine Form der legitimen Rache für das einem selbst angetane Übel, in etwas
Erstrebenswertes umgedeutet, wobei gerade der Aspekt des Sich-für-etwas-Rächens – oder sogar: des Gerechtigkeit-Übens – eine besondere Erfahrungsqualität versprach.30
So ermöglicht gerade die Wahl zwischen Töten und Nicht-Töten die ErVFKDIIXQJ VSH]LÀVFKHU %HGHXWXQJVJHZHEH XQG 1DUUDWLYH GLH LKUHUVHLWV VR]LDOH
Spannungen schärfen und die Erfahrungsqualitäten des Vergnügens am Killen
verändern können.
Ausblick
Die hier angestellten Überlegungen sind keinesfalls erschöpfend, sondern greifen
einige Aspekte des Vergnügens am Killen heraus. Sie sollen vor allem zeigen, dass
dieses Vergnügen YHUVFKLHGHQH und VSH]LÀ]LHUEDUH Erfahrungsqualitäten beinhalten
kann, und sie sollen einen Hinweis geben auf die mögliche Erkenntniskraft teilnehmender Beobachtung. Zwar kann teilnehmende Beobachtung nicht das ‚tatsächlich Erlebte‘ erfassen, sie kann aber zahlreiche Verweise auf dieses Erlebte in
GHQGLHVSH]LÀVFKHQ(UIDKUXQJHQXPJHEHQGHQ3UDNWLNHQ5HJHOQ%HGHXWXQJHQ
8PJDQJVZHLVHQ$UWLNXODWLRQHQXQG1DUUDWLYHQÀQGHQXQGVLH]XU$XVGLIIHUHQ]LHUXQJ GHV MHZHLOV LQ GHQ %OLFN JHQRPPHQHQ 9HUJQJHQV QXW]HQ ,QGHP HWKnographische Forschung diese Elemente weniger zur Be- als zur Umschreibung
30
Jürgen Grimm hat im Zusammenhang mit Filmwirkungsstudien für eine solche „Rache in
moralischem Gewand“ den Begriff „Robespierre-Affekt“ geprägt. Jürgen Grimm: Der RoEHVSLHUUH$IIHNW 1LFKWLPLWDWLYH :HJH ÀOPLVFKHU $JJUHVVLRQVYHUPLWWOXQJ ,Q WY GLVNXUV
+6KLHU61XUDP5DQGHVHLHUZlKQWGDVVHLQHUPHLQHU&ODQPLWVSLHler einmal durch Zufall dazu kam, mit einem unserer Feinde in deren Sprachkanal zu sprechen und dann etwas verwundert feststellte, der sei eigentlich ganz nett. Bei uns im Sprachkanal herrschte auf diesen Kommentar hin verlegenes Schweigen.
(WKQRJUDSKLHYRQ(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQ
VSH]LÀVFKHU(UIDKUXQJVTXDOLWlWHQHLQVHW]WNDQQVLH DXFKLQEHUHLWVYRQDQGHUHQ
Disziplinen bearbeiteten Feldern) produktive Perspektiven eröffnen.
Andererseits reicht teilnehmende Beobachtung sicher nicht aus, um die Erfahrungsqualitäten eines Vergnügens vollständig zu erschließen. Dass das Killen
beispielsweise auch mit einer sexuellen Lust verbunden sein könnte, deutet sich
nur hin und wieder in punktuellen Artikulationen der Akteure an. Auch unter
‚Killerspielern‘ gibt es Tabus, die verhindern, dass entsprechende Erfahrungen
deutlich hör- oder sichtbar werden.
Darüber hinaus ist das Killen möglicherweise, auch wenn es dem Vergnügen dient, mit Erfahrungen der Ohnmacht, der Unterdrückung oder einer (als
QHJDWLYHUOHEWHQ $QJVWYHUEXQGHQJDQ]]XVFKZHLJHQYRQGHQ.RQÁLNWHQGLH
eine Präferenz für dieses Vergnügen im „real life“ (wie es die Spieler nennen)
herbeiführen kann. Seien es Albträume von Spielinhalten oder die verständnislosbesorgten Blicke einiger Freunde und Verwandter in Bezug auf das Vergnügen
am Killen – während mir selbst solche Erfahrungen nicht fremd blieben, schwieJHQVLFKPHLQH0LWVSLHOHUEHUGLHVH$VSHNWHDXV,QGHQ9HUJQJXQJVNXOWXUHQ
der Online-Spiele scheint kein Platz zu sein für nicht-vergnügliche Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Killen. Letztere bleiben als „Geheimnisse der
Feldforschung“31 dem ethnographischen Blick verborgen. Die Kunst der Ethnographie besteht – wie von Utz Jeggle eindrücklich beschrieben – dann auch hier
darin, diese Geheimnisse nicht unbedingt entschlüsseln zu wollen, sondern sie als
integralen Bestandteil der jeweiligen Kultur zu begreifen.
8W]-HJJOH*HKHLPQLVVHGHU)HOGIRUVFKXQJ,Q5HLQKDUG-RKOHU%HUQKDUG7VFKRIHQ +J
Empirische Kulturwissenschaft. Eine Tübinger Enzyklopädie . Der Reader des Ludwig-UhODQG,QVWLWXWV7ELQJHQ6
31