Volker R. Remmert
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen
Wissensreiches
Visuelle Strategien zur Konstruktion und Konstituierung von Wissensräumen gehörten in der Frühen Neuzeit zum selbstverständlichen Instrumentarium all jener,
die sich mit Formen des Wissens befaßten und an ihnen arbeiteten. Eine zentrale
Rolle spielte dabei die Übernahme visueller Legitimierungsstrategien aus dem politischen Bereich, denn Geltungs- und Machtansprüche visuell anzumelden, gehörte
in der frühneuzeitlichen politischen Kultur zur Tagesordnung.1 Im 16. und 17. Jahrhundert durchliefen die Formen des Wissens, ihr Bezug aufeinander und die Hierarchie der Wissensbereiche einen fundamentalen Veränderungsprozeß, zu dessen
vielen Facetten die sog. Wissenschaftliche Revolution ebenso wie der Wissensimport aus außereuropäischen Kulturen zählen. In diesem generationenübergreifenden
Prozeß lassen sich viele individuelle, lokale oder disziplingebundene Strategien zur
Legitimierung von Wissen und zur Erweiterung seiner jeweiligen Zuständigkeitsbereiche identifizieren. Darüber hinaus gibt es allgemeinere Strategien zur (Re-)
Strukturierung von Wissensbeständen, zur Neuordnung der Wissenshierarchien und
zur Konstituierung umfassender Wissensräume.
Für den Jesuitenorden sind Wissen und seine Verbreitung konstitutive Elemen2
te. Er stellte in der Frühen Neuzeit die größte globale intellektuelle Elite dar, die
stark durch das offizielle Bestreben nach „Einheit und Einheitlichkeit der Lehre“
(unitas et uniformitas doctrinae) gekennzeichnet war.3 Das weltumspannende Netz
der jesuitischen Mission und das dichte Geflecht von Jesuitenkollegien und
-universitäten in Europa und darüber hinaus waren als „corporate structure“ von
einer strukturellen Dynamik gekennzeichnet, die ihresgleichen nicht hatte.4 Im Jesu-
1
Dazu s. Remmert, Volker R.: Tycho Brahes Nase, oder: Atlas und Herkules und die visuelle
Legitimierung der neuen Astronomie im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte
66 (2003), 177-206.
2 S. etwa O’Malley, John: Introduction: The Pastoral, Social, Ecclesiastcal, Civic, and Cultural
Mission of the Society of Jesus, in: ders./Bailey, Gauvin Alexander/Harris, Steven
J./Kennedy, T. Frank (Hg.): The Jesuits II: Cultures, Sciences, and the Arts 1540-1773, Toronto/Buffalo/London 2006, xxiii-xxxvi.
3 S. z. B. Baldini, Ugo: The Academy of Mathematics of the Collegio Romano from 1553 to
1612, in: Feingold, Mordechai (Hg.): Jesuit Science and the Republic of Letters, Cambridge
2003, 47-98, hier 64 und 69.
4 S. Harris, Steven J.: Mapping Jesuit Science: The Role of Travel in the Geography of Knowledge, in: O’Malley, John W./Bailey, Gauvin Alexander/Harris, Steven J./Kennedy, T. Frank
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itenorden war daher die Problematik der Konturierung eines inhaltlich wie geographisch globalen Wissensraumes von großer Bedeutung.
Zur Verbreitung von Wissen und des Glaubens wurden in der Gesellschaft Jesu
gezielt visuelle Strategien entwickelt, gelehrt, geübt und eingesetzt. Dabei steht das
Interesse im Vordergrund, innerhalb des Ordens die Einheit des Wissens, bzw. die
Vereinbarkeit von Glaube und Wissen, und nach außen die Homogenität des dynamischen jesuitischen Wissensraumes – oder treffender: eines jesuitischen Wissensreiches und der mit ihm verbundenen Macht- und Geltungsansprüche – ins Bild zu
setzen. Dabei hat der Begriff eines “jesuitischen Wissensreiches” eine doppelte
Bedeutung. Einerseits ist darunter das reale geographische Reich in seiner Ausdehnung von Europa bis nach Amerika und Asien zu verstehen, in dem Jesuiten als
globale intellektuelle Elite lebten und handelten, und andererseits ein imaginiertes
intellektuelles Reich, das sich mit Ausnahme der Jurisprudenz und der Medizin
über fast alle Bereiche des Wissens erstreckte. Im folgenden werde ich in vier
Schritten – (1) das Wissensreich, (2) die Einheit des Wissens, (3) die Leichtigkeit
der Wissensproduktion und (4) die göttliche Inspiration – einen ersten Einblick in
Formen und Funktionen der visuellen Strategien zur Konturierung eines inhaltlich
wie geographisch globalen Wissensreiches durch die Gesellschaft Jesu geben.
Die Rolle der Druckgraphik
Als große Kunstbenutzer der Frühen Neuzeit, in deren Bilderwelten sich Stilelemente wie Intentionen gelegentlich nach Belieben mischten, verstanden es die Jesuiten ausgezeichnet, sich das Medium des gedruckten Bildes für ihre Ziele nutzbar zu
machen.5 Auch die Konturierung und Herausbildung eines jesuitischen Wissensreiches ist ohne die ausgeprägte Kultur der Druckgraphik nicht zu verstehen. Aber
nicht allein diese technische Basis ist dafür Voraussetzung, sondern mehr noch die
systematische Erziehung zur Visualisierung in den Jesuitenkollegien6 und das hohe
Niveau der Reflektion über die Natur von Bildern wie etwa bei Louis Richeôme.7
Im Verständnis der Jesuiten, so formuliert es Ralph Dekoninck in seiner Studie Ad
imaginem, wird das „Bild nicht mehr gelesen, sondern es springt buchstäblich in die
(Hg.): The Jesuits: Cultures, Sciences, and the Arts 1540-1773, Toronto/Buffalo/London
2000, 212-240.
5 Dazu s. z. B. die Beiträge von Ralph Dekoninck und Kristina Müller in diesem Band.
6 Dazu sehr klar Porteman, Karel: Emblematic Exhibitions (affixiones) at the Brussels Jesuit
College (1630-1685). A Study of the Commemorative Manuscripts (Royal Library, Brussels),
Turnhout 1996.
7 S. den Beitrag von Carolin Behrmann in diesem Band.
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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Augen und prägt sich dem Geist und dem Herzen tief ein“.8 Die eingehende Beschäftigung mit Bildern und die Überzeugung von ihrer intellektuellen wie emotionalen Unmittelbarkeit führte im Jesuitenorden zu einer reichen Kultur der Druckgraphik (Illustrationen und Titelgraphik), die nicht allein diejenigen erfaßte, deren
primäres Ziel die Verbreitung und Festigung des Glaubens war, sondern auch die
Mathematiker und Astronomen des Ordens. Christoph Scheiner war der erste unter
ihnen, der mit raffinierten Frontispizen diese visuelle Kultur erkundete und sie sich
und seinen wissenschaftlichen Ideen dienstbar machte. Ihm folgten in der Mitte des
17. Jahrhunderts Mario Bettini, Athanasius Kircher und Kaspar Schott mit zahlreichen Titelbildern und Illustrationen.9 Scheiner veröffentliche 1631 ein kleines, seinem römischen Förderer Paolo Savelli (gest. 1632) gewidmetes Buch, Pantographice seu ars delineandi, in dem er die Funktionsweise eines von ihm erfundenen Zeichengeräts zum maßstabgerechten Vergrößern oder Verkleinern einer
vorgegebenen Figur beschrieb, dem er den Namen Pantograph gab.10 Im Widmungsbrief erörterte Scheiner die Bedeutung von Bildern, insbesondere von Frontispizen, und verdichtete dabei Myriaden theoretischer Reflektionen in dem Ausspruch, daß „ein kleines Bild lehrt, was viele Schriften nicht vermögen“ (Docet
parva pictura, quod multae scripturae non dicunt).11 In der Tat trugen viele kleine
Bilder entscheidend dazu bei, die Konturen eines jesuitischen Wissensreiches zu
zeichnen.
Das jesuitische Wissensreich
Visuelle Strategien zur Formung jesuitischer Wissensräume sind bisher nur an einzelnen Beispielen untersucht worden. Von Seiten der Kunstgeschichte hat dazu
Gauvin A. Bailey konzise Bemerkungen am Beispiel der Fresken des Noviziats von
S. Andrea al Quirinale in Rom gemacht. Insbesondere im Krankensaal des Noviziats verband das Bildprogramm mit Szenen aus dem Leben der ersten Jesuiten, Episoden aus der Antike, allegorischen Darstellungen und Illustrationen zu medizini-
8 Dekoninck, Ralph: Ad imaginem. Statuts, fonctions et usages de l’image dans la littérature
spirituelle jésuite du XVIIe siècle, Genf 2005, 119.
9 Remmert, Volker R.: Widmung, Welterklärung und Wissenschaftslegitimierung: Titelbilder
und ihre Funktionen in der Wissenschaftlichen Revolution, Wiesbaden 2005 (= Wolfenbütteler Forschungen 110), 189-224.
10 Ebd., 196-201.
11 Scheiner, Christoph: Pantographice seu ars delineandi, Rom 1631, Seite 1 des unpaginierten
Widmungsschreibens an Paolo Savelli.
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schen Heilverfahren verschiedenste Formen des Wissens. Dabei entstand eine Bilderwelt, die gleichermaßen der Belehrung wie der religiösen Erbauung diente.12
Abb. 1: Imago Primi Saeculi, Antwerpen 1640, S. 318: Die über die gesamte Erde verbreitete Gesellschaft Jesu erfüllt die Prophezeiung Maleachis (Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel).
Das jesuitische Wissensreich aber griff weit über den Umfang solcher spezifischen
Programme hinaus und die Jesuiten verwiesen stolz darauf: am eindrucksvollsten in
der prächtigen Festschrift Imago Primi Saeculi, die zum einhundertjährigen Bestehen des Ordens 1640 in Antwerpen erschien.13 Programmatisch wurde hier zum
Beispiel „die über die gesamte Erde verbreitete Gesellschaft Jesu“ als Mittel der
Erfüllung der Prophezeiung Maleachis gefeiert: „Denn vom Aufgang der Sonne bis
zu ihrem Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern, und allerorten wird
12 S. Bailey, Gauvin Alexander: Between Renaissance and Baroque: Jesuit Art in Rome, 15651610, Toronto/Buffalo/London 2003.
13 Dazu s. Salviucci Insolera, Lydia: L’Imago primi saeculi (1640) e il significato dell’
immagine allegorica nella Compagnia di Gesù. Genesi e fortuna del libro, Rom 2004; Dekoninck 2005 (wie in Anm. 8), passim.
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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meinem Namen reine Opfergabe verbrannt“ (Maleachi 1, 11).14 Dabei wurde das
Motto des weltumspannenden Jesuitenordens durch die Nebeneinanderstellung der
Vorder- und der Rückansicht der Erde auf eine Weise ins Bild gesetzt, die am hohen Anspruch der Jesuiten keinen Zweifel ließ (Abb. 1). Auch Athanasius Kircher
bezog sich wenige Jahre später in seiner Ars magna lucis et umbrae ausdrücklich
auf Maleachi 1, 11. Anlaß dazu gab ihm die Erläuterung seines Horoscopium
Catholicum Societatis Iesu, eines am Baum des Ignatius orientierten Baumdiagramms, das es ermöglichte, die Uhrzeit an jedem beliebigen Standort der Gesellschaft Jesu festzustellen – über alle Sprach- und Zeitzonen hinweg (Abb. 2).15 Von
Ignatius und Rom ausgehend gedeiht die jesuitische Welt und verästelt sich in alle
Himmelsrichtungen. Kirchers eindrucksvolle Darstellung der geographischen
Verbreitung des Jesuitenordens, in dem die Sonne nie unterging, legt jedoch
zugleich Zeugnis vom Bestreben ab, die verschiedenen Zweige einer einheitlichen
Struktur zu unterwerfen.
Nicht nur die Jesuiten sondern auch ihre Kollegien waren „über die gesamte Erde verbreitet“ und dienten als weithin sichtbare Monumente jesuitischer Gelehrsamkeit. Ein Stich aus Alfonso Chacons Vitae et res gestae pontificum Romanorum
von 1630 würdigt Gregor XIII. als Patron der Gelehrsamkeit und Förderer der Jesuiten (Abb. 3). Der Papst ist umgeben von Jesuitenkollegien aus aller Welt – so
sind etwa in der Leiste über dem Sockel vier japanische Kollegien abgebildet. Im
Sockel ruht das Collegium Romanum als unanfechtbare intellektuelle Leitinstanz
der Jesuiten im Zentrum. Damit stehen dem Betrachter die geographische und intellektuelle Weite der jesuitischen Tätigkeit vor Augen, wenn es sich auch in diesem
Falle nicht um eine jesuitische Bildschöpfung handelt.
Von besonderer Bedeutung für die Konstituierung eines jesuitischen Wissensreiches war die Inkorporation neuer Welten und ihrer Wissensbestände.16 Dieser
Prozeß wurde im 17. Jahrhundert immer wieder in Illustrationen und Titelgraphiken
abgebildet. Eine klassische Repräsentation der Erweiterung jesuitischer Wissensräume ist das Frontispiz von Athanasius Kirchers reich bebildertem Folianten über
China von 1667 (Abb. 4).
14 Imago Primi Saeculi, Antwerpen 1640, 318: „Societatis IESV toto orbe diffusa implet prophetiam Malachiae.“
15 Kircher, Athanasius: Ars magna lucis et umbrae, Rom 1646, S. 553f; s. die Bemerkungen bei
Harris 2000 (wie Anm. 4), 219f.
16 Konzise dazu Harris 2000 (wie Anm. 4).
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Abb. 2: Athanasius Kircher: Ars magna lucis et umbrae, Rom 1646, S. 552f: Horoscopium Catholicum Societatis Iesu (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
Abb. 3: Alfonso Chacon: Vitae et res gestae pontificum Romanorum, Rom
1677, Spalten 39f: Gregor XIII. umgeben von Jesuitenkollegien (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
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Ein Mandarin, so scheint es, und ein Jesuit laden durch dieses Bild zur Erkundung
eines spezifischen, nämlich des chinesischen, Territoriums des jesuitischen Wissensreiches ein, das sie gemeinsam aufspannen. Beide, der Mandarin und der Jesuit,
empfangen vom IHS-Emblem der Gesellschaft Jesu göttliches Licht. Die astronomischen Instrumente unten rechts zu Füßen des Jesuiten weisen auf die große Bedeutung der Astronomie für die jesuitische Chinamission hin. Doch der Mandarin
entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Jesuit. Es handelt sich um den Astronomen Adam Schall (1592-1666), der sich sehr stark an die chinesische Kultur angepaßt hatte. Ein Stich in Kirchers Werk (Abb. 5) zeigt ihn im Gewand eines Mandarins mit den Insignien der Astronomie (P. Adam Schall Germanus I. Ordinis Mandarinus). Die Karte an der Wand erinnert an die globalen missionarischen und kulturellen Ansprüche der Jesuiten. In diesem Bild verschwimmen die Grenzen zwischen realen und imaginierten, lokalen und globalen Wissensräumen. Das Frontispiz und das Porträt von Schall weisen auf die Einheit des Wissens im Jesuitenorden
und die Offenheit des jesuitischen Wissensraumes hin: neues Wissen und neue
Räume werden rastlos in das jesuitische Wissensreich aufgesogen; europäisches
und chinesisches, altes und neues, religiöses und weltliches Wissen werden kombiniert; der Jesuit und der Mandarin verschmelzen.
Die Einheit des Wissens
Ein Leitmotiv im jesuitischen Zugang zu Wissen, Gelehrsamkeit und Unterricht war
das Streben nach der Einheit des Wissens (unitas et uniformitas doctrinae). Die
strikte und widerspruchsfreie Interdependenz zwischen Theologie, Metaphysik,
Physik und Mathematik war eine wesentliche Grundlage sowohl für die Politik des
Jesuitenordens als auch für die Formung einer jesuitischen intellektuellen Identität.
Dieses Streben nach der Einheit des Wissens verbunden mit der Offenheit für verschiedenste Formen neuen Wissens – mit dem Ziel, sie in die alten Wissensbestände
zu integrieren – war charakteristisch für das jesuitische Wissensreich. Die Visualisierung dieses langfristigen Prozesses steht im Mittelpunkt zahlreicher Frontispize
von Athanasius Kircher, Christoph Scheiner, Giovanni Battista Riccioli und Grégoire de St. Vincent.
Für die Zurschaustellung der jesuitischen Offenheit in Wissensfragen gab es
keinen besseren Ort als Athanasius Kirchers Museum am Collegio Romano. In diesem Warenhaus des Wissens, das in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf keiner grand
tour durch Europa ausgelassen werden durfte, zeugten Exponate aus den Bereichen
der Astronomie und der Naturgeschichte, der Mechanik und der Optik, ebenso wie
mirabilia und Devotionalien aus aller Welt sichtbar von der Breite des von den
Jesuiten gesammelten und kultivierten Wissens und vom Streben nach Einheit
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
Abb. 4: Athanasius Kircher: China illustrata, Amsterdam 1667, Frontispiz (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
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Abb. 5: Athanasius Kircher: China illustrata, Amsterdam 1667, Stich: Adam
Schall als Mandarin (Herzog August
Bibliothek Wolfenbüttel)
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im jesuitischen Wissensreich. Im Frontispiz
des 1678 erschienen Prachtbandes über das
Museum, Musaeum celeberrimum, ist dieser
Tempel jesuitischer Gelehrsamkeit als riesiger offener Raum dargestellt, der andauernd
bereit scheint, neue Dinge aufzunehmen
(Abb. 6). Hier präsentiert sich der Jesuitenorden bewußt als weltoffen, gelehrt und
grenzenlos.
Doch auch an weniger repräsentativen
Orten bricht sich das Bestreben Bahn, die
Einheit verschiedener, von der Nachwelt
häufig als konkurrierend empfundener Wissensformen innerhalb des Jesuitenordens
visuell darzustellen. So finden wir z. B. im
Bereich der Astronomie oft Titelbilder, die
in exemplarischer und eleganter Weise die
Harmonie der verschiedenen Wissenszweige
illustrieren, die den jesuitischen Zugang zur
Welt und zur Wissensvermittlung kennzeichneten: Astronomie und Theologie, Text
und Bild, Himmel und Erde waren in ihrer
Sicht nicht voneinander getrennt zu verstehen und zu verwenden, sondern als Einheit.17
Das läßt sich anhand zweier Beispiele erläuScheiner und dem Almagestum novum von
tern, der Rosa ursina von Christoph
Giovanni Battista Riccioli.
Im Frontispiz seiner Rosa ursina von 1630 läßt Christoph Scheiner (1573-1650)
keinen Zweifel an seiner geozentrischen Grundhaltung, denn in Form der Wappenrose der Orsini ist die gefleckte Sonne als Zeichen dafür, daß sie nicht im Mittelpunkt des Weltsystems steht, inmitten des Bildes auf dem Zodiakkreis abgebildet,
der die Erdkugel umgibt (Abb. 7). In der Rosa ursina, einem gewaltigen Folianten,
ging es um die Theorie der Sonnenflecken, die Scheiner seit 1611 beobachtet hatte.
Zwischen Scheiner und Galilei tobte ein heftiger Streit über ihre Erklärung und
darüber, wem der beiden die Ehre ihrer Entdeckung gebührte.18
17 Dazu s. Remmert, Volker R.: Die Einheit von Theologie und Astronomie: zur visuellen Auseinandersetzung mit dem kopernikanischen System bei jesuitischen Autoren in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Archivum Historicum Societatis Iesu 72 (2003), 247-295.
18 Dazu s. Bredekamp, Horst: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand, Berlin
2007.
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
Abb. 6: Kircher, Athanasius: Musaeum celeberrimum, Amsterdam 1678,
Frontispiz (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
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Abb. 7: Christoph Scheiner: Rosa ursina, Bracciano 1630, Frontispiz (Herzog
August Bibliothek Wolfenbüttel)
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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Scheiner erläuterte in der Rosa ursina seine Sicht der Dinge eingehend. Doch schon
im Frontispiz stellte er seine eigenen epistemologischen Grundsätze klar: ohne die
Autorität der Heiligen Schrift und ohne göttliche Inspiration, die oben links zu sehende Auctoritas sacra, war es unmöglich, wahre Naturphilosophie zu betreiben.
Und ohne göttliche Inspiration, das zeigt er oben rechts, wäre der menschliche
Verstand nicht in der Lage, das Phänomen der Sonnenflecken zu verstehen. Die
Zielscheibe dieser Erklärung war Galilei, der, in den Augen Scheiners, nicht nur bei
der Interpretation der Sonnenflecken irrte, sondern auch – und dies war schwerwiegender – in seiner heliozentrischen Überzeugung. Bei allen Differenzen in der Sache ist aber hervorzuheben, daß bereits im Frontispiz das Neue, nämlich die Sonnenflecken, in die Einheit astronomischen und theologischen Wissens eingefügt
wird.
Eine ähnliche Botschaft verkündet das Frontispiz des 1651 in Bologna erschienenen Almagestum novum des jesuitischen Astronomen und Theologen Giovanni
Battista Riccioli (1598-1671) (Abb. 8). Ricciolis gigantische astronomische Enzyklopädie war der literarische und visuelle Höhepunkt der jesuitischen Propaganda
gegen alle heliozentrischen Bestrebungen. Riccioli gab eine detaillierte Übersicht
der verschiedenen Weltsysteme und schlug sogar ein eigenes, semi-tychonisches,
Weltbild vor. Er ergänzte seine astronomische Kritik am heliozentrischen Weltbild
durch eine Widerlegung auf Basis der Bibel, die sich auf den jesuitischen Konsens
in der Bibelexegese berufen konnte. Auf dieses dichte astronomische und exegetische Argumentationsnetz bezog er sich im Frontispiz.19
Mit dem Hinweis auf Psalm 19, aus dem oben zwischen den Putti zitiert wird, wird
die Sonnenbewegung unterstrichen und mit Psalm 104, 5 (Der die Erde auf ihre
Pfeiler gegründet, daß sie sich nicht neigen wird in Ewigkeit), der auf der rechten
Seite Astraea in den Mund gelegt ist, wird der Erdstillstand hervorgehoben. Ganz
oben, aus der Mitte des Himmels, weist die Hand Gottes mit all ihren Assoziationen
des Ordnens, Wägens und Disziplinierens (Weisheit Salomos 11, Daniel 5). Während die antikopernikanische Botschaft im Vordergrund steht – schließlich wird das
heliozentrische System gewogen und für zu leicht befunden (Daniel 5, 27) –, zeigt
das Frontispiz zugleich eine enge Verbindung zwischen Astronomie und Theologie
und zwischen Himmel und Erde. So strukturiert Riccioli in diesem Bild ein einheitliches Wissensreich, in das aber bei aller Kritik am Kopernikanismus das Neue in
Form der oben rechts abgebildeten Entdeckungen Galileis aus den Jahren 1609/10
integriert wird: der Mond mit der von Galilei beobachteten unebenen Oberfläche,
Jupiter mit seinen vier Monden und Saturn in der Dreigestalt, die erst später durch
die Ringe erklärt wurde.
19 Für Details s. Remmert 2003 (wie in Anm. 17); zum Kontext s. Remmert, Volker R.: Im
Zeichen des Konsenses: Bibelexegese und mathematische Wissenschaften in der Gesellschaft
Jesu um 1600, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), 33-64.
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Abb. 8: Giovanni Battista Riccioli: Almagestum novum, Bologna 1651,
Frontispiz (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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Eine feinsinnige und prägnante bildliche Darstellung der charakteristischen Offenheit des jesuitischen Wissensreiches findet sich im Frontispiz des Opus geometricum quadraturae circuli et sectionum coni, das der angesehene Jesuitenmathematiker Grégoire de St. Vincent (1584-1667) 1647 in Antwerpen veröffentlichte (Abb.
9).20 In diesem umfangreichen Folianten über die Theorie der Kegelschnitte präsentierte der stolze Autor auch vier Methoden, um den Kreis mit Zirkel und Lineal in
ein flächengleiches Quadrat zu verwandeln. Dieser Fehltritt brachte ihm Hohn und
Spott seiner mathematischen Zeitgenossen ein, die seinen mathematischen Scharfsinn gleichwohl zu schätzen wußten. St. Vincent war so stolz auf sein spektakuläres
Ergebnis, daß er es großspurig auf dem Frontispiz präsentierte, das zugleich eine
Widmungshymne an das Haus Habsburg war.
Die Quadratur des Kreises wird zweifach thematisiert. Einerseits sehen wir vorne links einen Gelehrten, der unter dem linken Arm ein Buch trägt. Mit der rechten
Hand zeichnet er mit Hilfe eines Zeigestocks eine geometrische Figur in den Sand.
Es handelt sich um Archimedes, der seinen berühmten Satz präsentiert, daß sich
jeder Kreis in ein flächengleiches rechtwinkliges Dreieck verwandeln läßt. Andererseits wird das Sonnenlicht von oben links durch ein Quadrat nach unten rechts
geleitet und trifft als Kreis auf den Erdboden. Dieses bekannte Phänomen der Sonnentaler, das etwa Kepler in seiner Optik beschreibt, ist mit dem Zusatz „Mutat
quadrata rotundis“ (rundet, was viereckig war) versehen, der auf Horaz zurückgeht
(Epistulae I, I, 100). Deutlicher könnte die bildliche Botschaft, daß der Autor die
Quadratur des Kreises in der Tradition des Archimedes vollbracht hätte, kaum ausfallen. Die durch den himmlischen Lichtstrahl repräsentierte göttliche Inspiration,
ermöglicht es, das im Mittelpunkt stehende Motto der Habsburger Plus ultra umzusetzen, nämlich die Grenzen des tradierten Wissens hinter sich zu lassen und die bis
dahin unmöglich geglaubte Quadratur des Kreises zu bewerkstelligen. Daher findet
die Quadratur bewußt jenseits der Säulen des Herkules statt; denn die durch sie
symbolisierten Grenzen menschlichen Verstehens sind überwunden und die der
realen Welt in ungeahnte Regionen ausgedehnt. Der dargestellte Wissensraum wird
auf diese Weise vereinheitlicht und das neue Wissen fügt sich in das existierende
Wissensreich ein, dessen Offenheit Raum und Zeit zu überwinden scheint.
20 Dazu s. Remmert, Volker R.: Die Quadratur des Kreises ins Bild gesetzt: Das Frontispiz des
Opus geometricum des Grégoire de St. Vincent, in: Mathematische Semesterberichte 54
(2007), 131-134.
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Abb. 9: Grégoire de St. Vincent: Opus geometricum quadraturae circuli et
sectionum coni, Antwerpen 1647, Frontispiz (Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel)
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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Die Leichtigkeit der Wissensproduktion
Es ist charakteristisch für die Wissenschaften der Frühen Neuzeit, daß die Welt des
Wissens nicht länger eine geschlossene Welt bleibt, sondern zum unendlichen Universum wird.21 In dieser eingängigen Formel steckt neben der kosmologischen auch
eine methodologische Bedeutung; denn Wissen ist nicht länger auf bestimmte, oft
geronnene und leblose Kommentartraditionen beschränkt, sondern jenseits einer
geschlossenen und endlichen Welt des Wissens kann neues Wissen gesucht und
erzeugt werden, etwa mit Hilfe von Experimenten oder in neuen Welten, sei es in
Amerika oder am Himmel. Im 17. Jahrhundert waren viele Jesuiten Teil dieses Prozesses der Produktion oder der Analyse neuen Wissens: Christoph Scheiner mit
seinen Beobachtungen der Sonnenflecken, Giovanni Battista Ferrari in der Welt der
Botanik, Grégoire de St. Vincent in der Mathematik, und viele andere.22 In der visuellen Darstellung ihrer neuen Ergebnisse betonten sie alle, gelegentlich auch im
Widerspruch zur Realität, die Leichtigkeit der Wissensproduktion. In den Vordergrund traten dabei weder die mühselige Unterwerfung der Natur noch die rohen
Kräfte oder ausgefeilten Listen, mit denen ihr ihre Geheimnisse entlockt wurden,
sondern eine polierte und ästhetische Oberfläche voll Leichtigkeit und Anmut. Sehr
deutlich wird dies am Beispiel der Diskussion um die Vakuumexperimente, die
Otto von Guericke (1602-1686) in Magdeburg seit den 1640er Jahren durchgeführt
hatte.23 Allgemeines Aufsehen hatten die Experimente mit den sog. Magdeburger
Halbkugeln erregt, die Guericke in den Jahren 1653/54 während des Reichstags in
Regensburg vorgeführt hatte, an dem er als Gesandter der Stadt Magdeburg teilnahm. Besonders von ihnen angetan war Johann Philipp von Schönborn, der Guericke bat, ihm die Luftpumpen und Geräte anfertigen zu lassen, die für die Versuche
nötig waren. Da sich die Anfertigung in der kurzen Zeit als undurchführbar erwies,
verkaufte Guericke dem Kurfürsten schließlich seine eigenen Geräte, die in die
Residenz nach Würzburg geschafft wurden, wo sie dann dem Jesuiten Kaspar
Schott (1608-1666) zur Verfügung standen.
Schotts 1657 in Würzburg publizierte Schrift Mechanica hydraulico-pneumatica
enthielt den ersten Bericht über diese Versuche – unter voller Anerkennung der
Urheberschaft von Guerickes, dessen eigene Beschreibung erst 1672 als Experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica erschien.24 Sowohl in der Mechanica hydrauli21 Koyré, Alexandre: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt
1969; die amerikanische Ausgabe erschien 1957.
22 Zu Ferrari s. den Beitrag von Elisabeth Oy-Marra in diesem Band.
23 Zu von Guerickes Experimenten s. Krafft, Fritz: Otto von Guericke, Darmstadt 1978, bes.
104-106; Puhle, Matthias (Hg.): Die Welt im leeren Raum – Otto von Guericke 1602-1686,
Ausstellungskatalog Magdeburg, München/Berlin 2002, 321f.
24 Dazu s. Remmert 2005 (wie in Anm. 9), 210-214.
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co-pneumatica als auch später in Schotts Technica curiosa von 1664 waren die
Experimente mit den Pumpen abgebildet (Abb. 10). Die Pumpen wurden in beiden
Fällen mit betonter und spielerischer Leichtigkeit von zarten Putti in einem Garten
vor einer höfischen Gesellschaft bedient. Die Illustrationen, die von Guericke 1672
veröffentlichte, stehen dazu in krassem Gegensatz (Abb. 11): es bedarf der sichtbaren Anstrengungen zweier starker Männer, um die Pumpe zu bedienen, deren Um-
Abb. 10: Kaspar Schott: Technica curiosa,
Würzburg 1664, S.9: Leichtigkeit der Wissensproduktion: Vakuumexperimente (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
Abb. 11: Otto von Guericke: Experimenta
nova (ut vocantur) Magdeburgica, 1672,
S. 74: Körperliche Arbeit am Vakuumexperiment (Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel)
feld eher kärglich ist.25 In diesen beiden Bildern stehen sich, um es überspitzt zu
formulieren, die Leichtigkeit der Wissenschaft im Garten und die Schwerfälligkeit
der Wissenschaft in der Wildnis gegenüber: göttliche Inspiration auf der katholischen Seite übertrumpft Anstrengung und Mühsal auf der protestantischen Seite.
25 Auf die beiden Bilder wurde ich aufmerksam durch Hellyer, Marcus: Catholic Physics: Jesuit
Natural Philosophy in Early Modern Germany, Notre Dame 2005, 145 und 147.
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
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Solch sichtbare Leichtigkeit jesuitischer Wissensproduktion fügt sich auf natürliche
Weise in das durch Einheit und Offenheit charakterisierte jesuitische Wissensreich.
Neues Wissen braucht nicht gewaltsam errungen und in den Wissensbestand eingefügt zu werden, denn es tritt mühelos zu Tage und findet reibungslos seinen angestammten Platz. Zentral dafür ist allerdings die göttliche Inspiration: sie hält das
jesuitische Wissensreich zusammen.
Die göttliche Inspiration
Jesuitische Autoren verwenden häufig die Symbolik des göttlichen Lichtes, um die
Bedeutung der göttlichen Inspiration im jesuitischen Wissensreich zu betonen. In
den Frontispizen von Ricciolis Almagestum novum (Abb. 8) und St. Vincents Opus
geometricum (Abb. 9) ist der Erkenntnisprozeß ohne das göttliche Licht nicht möglich und in den Frontispizen von Kirchers China illustrata (Abb. 4) und Scheiners
Rosa ursina (Abb. 7), dessen Lichtsymbolik später als Vorlage für das Frontispiz
von Kirchers Ars magna lucis et umbrae diente, strahlt das unabdingbare göttliche
Licht sogar vom IHS-Emblem des Jesuitenordens aus. Durch diese visuellen Strategien entsteht das Gesamtbild eines durch das Privileg göttlicher Inspiration begünstigten, wenn nicht sogar konstituierten jesuitischen Wissensreiches.
Daß Christoph Scheiner im Frontispiz seiner Rosa ursina intensiv mit der Lichtsymbolik spielte, war besonders angemessen, da er Phänomene behandelte, die eng
mit der Sonne und ihrem Licht verbunden waren. Es läßt sich zeigen, daß der Aufbau des Bildes in engem Zusammenhang mit den drei abschließenden Gesängen der
Göttlichen Komödie steht.26 Dante Alighieri hatte am Schluß der Göttlichen Komödie, die voll von Sonnen- und Lichtsymbolik ist, vom Paradies aus die Himmelsrose
sehen dürfen, das Empyreum, den Ort der Apotheose Mariens. Diese abschließenden drei Gesänge ließen sich zugleich sehr eng auf Scheiners Sonnenbeobachtungen
und die im Frontispiz skizzierte Erkenntnishierarchie beziehen. So lesen sich folgende Verse im Dreißigsten Gesang wie eine Anspielung auf die Gefahren, die mit
der Beobachtung der Sonnenflecken für die Augen verbunden waren:
Ein neues Sehen lichtete sich mir,
so daß kein noch so heller Glanz mir mehr
gefährlich für die Augen werden konnte.27
26 Dazu s. ausführlich Remmert 2005 (wie in Anm. 9), 78-84.
27 Zit. n. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übertragen aus dem Italienischen und eingeleitet von Karl Vossler. München/Zürich 1986, 507, Dreißigster Gesang.
Volker R. Remmert
20
Die enge Verbindung zwischen der „Ratio“ in ihrem mathematischen Gewand und
der augenöffnenden „Auctoritas sancta“, die für Scheiner Grundlage aller Naturerklärung war, findet sich auch im wohlbekannten Abschluß von Dantes Dichtung,
der sich ebenfalls auf die Rosa ursina münzen ließ:
Dem Rechner gleich, der seine Kräfte sammelt,
um einen Kreis zu messen, und’s nicht findet,
und auf den Lehrsatz sinnt, der nötig wäre,
so wollt ich an dem neuen Bild begreifen,
wie hier zum Kreis das Menschenangesicht
sich einigte und wo’s zusammenhängt.
Doch dazu reichten eigne Flügel nicht –
bis plötzlich mir der Geist getroffen wurde
von einem Blitzstrahl, der dem Sehnen half.
Der hohe Flug des Schauens brach; schon aber
war jeder Wunsch und Wille mir ergriffen
von Liebesgewalt, die still und einig
im Kreis die Sonne führte und alle Sterne.28
Erst die göttliche Inspiration gestattete die Beobachtung, aber vor allem auch das
theoretische Verständnis der Sonnenflecken. Dazwischen aber lag ein entscheidender Schritt, nämlich die Schaffung von ebenfalls durch göttliche Inspiration vermittelten Bildern. In diesem besonderen Fall handelte es sich um Bilder der Beobachtungen von Sonnenflecken, auf deren Basis Scheiner ihre Theorie entwickelte.
Horst Bredekamp hat ausgeführt, daß Scheiners großer Konkurrent bei der Behandlung von Sonnenflecken, Galilei, eine Zeichentechnik verwendete, die der Theorie
über Sonnenflecken, die Scheiner verfocht, diametral entgegenlief, und daß den
unterschiedlichen Denkstilen der beiden unterschiedliche Darstellungsmodi entsprachen.29 Ohne diesen Unterschied, die verschiedenen Stilformen manuellen
Denkens, erkennen zu können, war Scheiner sich gleichwohl der großen Bedeutung
bewußt, die dem Prozeß des Abbildens der Sonnenflecken zukam. Doch versteht er
seine Hand nicht als denkend, sondern als von der göttlichen Inspiration geführt –
daher fühlt er sich Galilei überlegen.
Diese von göttlicher Inspiration geführte Hand findet sich auch auf dem Frontispiz seiner ein Jahr nach der Rosa ursina erschienenen, Paolo Savelli gewidmeten
Schrift Pantographice seu ars delineandi (Rom 1631) (Abb. 12). Die Beschreibung
des von Scheiner erfundenen Pantographen als wissenschaftliches und künstleri-
28 Ebd., 525, Dreiunddreißigster Gesang; Hervorhebung von mir.
29 Bredekamp 2007 (wie in Anm. 18).
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
Abb. 12: Christoph Scheiner: Pantographice seu ars delineandi, Rom 1631, Frontispiz (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
21
22
Volker R. Remmert
sches Instrument sprach den Kunstverstand des römischen Aristokraten und kaiserlichen Botschafters an. Zudem glänzte Scheiner im Frontispiz in der Kunst visueller
Panegyrik. Das Bild vereint die praktische Vorführung von Scheiners Instrument
mit der Glorifizierung der Savelli. Scheiners Galerie von Päpsten, Bischöfen und
Heiligen reicht bis in die Antike zurück und ist eng mit der fiktiven Genealogie der
Savelli verknüpft, die die Romanità der Familie bekräftigen sollte.30
Das Detail aber, worauf es hier ankommt, ist der wolkenähnliche Torso vor der
Staffelei, der an Form nur ein Auge und einen rechten Arm an einer linken Schulter
aufweist (Abb. 13, rechts). Die Rechte überträgt mit Hilfe eines Pantographen rein
mechanisch eine räumliche Figur, den Hl. Gaius, auf die Leinwand. Rechts daneben
kopiert ein Putto an einem kleinen Tischchen eine Zeichnung. Unter der Staffelei
liegt ein Spruchband, das die Unkompliziertheit dieser Kopistentätigkeiten beschreibt: „schaue hin und mache eine Kopie“ („Inspice et fac secundum exemplar“,
2. Mose 25, 40).
Doch dem Exodus-Zitat ist eine tiefere Bedeutung beizumessen, spielt es doch
auf die Begegnung von Moses mit Gott an, die auf dem Berg Sinai inmitten der
Wolken stattfand, die die Herrlichkeit Gottes umhüllten, deren Anblick für die
Menschen den sicheren Tod bedeuten würde. Die Wolken schützen die Menschen
vor Überhelle des Lichtes, sei es das Christi oder das Gottes oder das der Sonne im
Frontispiz der Rosa ursina, und paßten, so hatte der Jesuitenexeget Cornelius a Lapide es z. B. in seinem Ezechiel-Kommentar interpretiert, es dem menschlichen
Seh- und Erkenntnisvermögen an.31 Auf diese Weise sind Wolken, in den Worten
Victor Stoichitas, „Werkzeuge der Offenbarung”, die zugleich “zeigen und verbergen”.32 Unter einem solchen Blickwinkel dient der wolkenumhangene Torso gewissermaßen der Vermittlung gefilterter göttlicher Erkenntnis. Die Funktionsweise des
Pantographen ist durch göttliche Inspiration vermittelt, wie Scheiner im ersten Kapitel des Buches mehrfach betont („Deo auctori inventio tribuenda“)33. Aber um den
Pantographen zu verwenden bedurfte es weder dieser Inspiration noch einer künstlerischen Begabung – die Hand wird anders als im Falle der Sonnenflecken nur
mittelbar von der göttlichen Inspiration geführt. Das Frontispiz der Pantographice
enthält einen weiteren Hinweis auf die tragende Rolle der göttlichen Inspiration,
denn das Arrangement des Torsos vor der Staffelei spielt auf die Legende vom
Evangelisten Lukas an, der die Madonna malt. Sie diente in der Frühen Neuzeit
30 Ausführlich dazu s. Remmert 2005 (wie in Anm. 9), 196-201.
31 Dazu s. Imorde, Joseph: Affektübertragung, Berlin 2004, 185 u. 197.
32 Stoichita, Victor I.: Das mystische Auge. Vision und Malerei im Spanien des Goldenen Zeitalters, München 1997, 87f.
33 Scheiner 1631 (wie Anm. 11), 5.
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen Wissensreiches
23
Abb. 13: Details aus Abb. 7 und 12
nicht nur als Gründungsmythos der Künste, sondern wies gleichzeitig, wie Christiane Kruse hervorgehoben hat, auf „den göttlichen Anteil des Bildprozesses“ hin.34
Gott war im übrigen nach der Bildtheorie Louis Richeômes selbst ein Maler.35 So
implizierte Scheiners visuelle Konstellation zweierlei: (1) es bedurfte keines künstlerischen Talentes, um den Pantographen zu bedienen, und, als Botschaft im jesuitischen Wissensreich vielleicht noch wichtiger, (2) dieses neue Instrument und sein
Gebrauch wurzelten in göttlicher Inspiration.
Scheiner hatte im Frontispiz der Rosa ursina eine ähnliche Bildidee verwendet
(Abb. 13, links). Dort zeichnen, durch Wolken vom überhellen Sonnenlicht und der
gleißenden göttlichen Erkenntnis geschützt, ein rechter Arm und ein Auge – vermutlich Scheiners Arm und Auge – Sonnenflecken. Wie gesehen kam auch hier der
göttlichen Komponente im Prozeß des Abbildens zentrale Bedeutung zu, denn
ebendies fehlte in Scheiners Augen bei Galileis Behandlung der Sonnenflecken: die
göttliche Inspiration, die – diese Überzeugung ist in beiden Bildern verankert – die
Grundfeste des jesuitischen Wissensreiches war.
34 Kruse, Christiane: Wozu Menschen malen. Historische Begründungen eines Bildmediums,
München 2003, 225.
35 S. den Beitrag von Carolin Behrmann in diesem Band.
24
Volker R. Remmert
Schlußbemerkungen
Das jesuitische Wissensreich, das ich in vier Schritten skizziert habe, legt Zeugnis
davon ab, daß der Umgang mit Wissen ein definierender Charakterzug des Jesuitenordens war. Das persuasive visuelle Netz des jesuitischen Wissensreiches, einer
durch Bilder, wenn nicht erzeugten, dann doch zumindest flankierten Heterotopie,36
war wesentlich, um innerhalb und außerhalb des Ordens die Identität der Jesuiten
als einer intellektuellen Elite zu konstituieren, aufrechtzuerhalten und zu verstärken.
Die für das Verständnis der jesuitischen Identität charakteristische Dualität von
Einheit und Offenheit, die uns heute oft problematisch erscheint, war tief in einer
Kultur intellektuellen Konsenses verwurzelt und eng mit der Praxis der Akkomodation verbunden, für deren extreme Ausprägung Missionare wie Matteo Ricci und
Adam Schall in China standen. Diese Dualität wurde erfolgreich verwendet, um
große geographische und intellektuelle Territorien für den jesuitischen Einflußbereich zu reklamieren. Gleichzeitig ließ sich die grundlegende, komplexe Mischung
von Einheit und Offenheit mühelos in Bilder verdichten, wie die Beispiele Scheiners, Kirchers, Ricciolis und vieler anderer Jesuiten belegen. Auch die bildlichen
Darstellungen der Leichtigkeit der Wissensproduktion und vor allem der Rolle der
göttlichen Inspiration sprangen unmittelbar ins Auge, ohne daß es großer konzeptioneller Anstrengungen bedurfte, während sie in Worten viel schwerer zu vermitteln
waren. Scheiners Bemerkung, „ein kleines Bild lehre, was viele Schriften nicht
vermöchten“, traf um so mehr zu, wenn Gott selbst die Hand des Künstlers führte.
Aus der Summe solch kleiner Bilder entstanden die Konturen eines vielschichtigen
jesuitischen Wissensreiches, in dem die jesuitische Identität im Zeichen der Dualität
von Einheit und Offenheit, aber immer in der Gewißheit, unmittelbar zur göttlichen
Inspiration zu stehen, stets neu verhandelt wurde.
36 Zur Konstituierung von Heterotopien in Richeômes Bildtheorie s. ebd.
Le monde est une peinture
Jesuitische Identität und die Rolle der Bilder
Elisabeth Oy-Marra und Volker R. Remmert (Hg.)
Beiträge zu den
Historischen Kulturwissenschaften Bd. 7
Herausgegeben im Auftrag des
Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums Mainz-Trier
von Mechthild Dreyer, Claudine Moulin und Jörg Rogge
Le monde est une peinture
Jesuitische Identität und die Rolle der Bilder
Herausgegeben von
Elisabeth Oy-Marra und Volker R. Remmert
unter Mitarbeit
von Kristina Müller-Bongard
Akademie Verlag
Die Tagung, auf die dieser Band zurückgeht, wurde finanziell durch die Thyssen-Stiftung ermöglicht.
Der Druck des vorliegenden Bandes wurde durch das Historisch-Kulturwissenschaftliche
Forschungszentrum Mainz-Trier finanziert.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de
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ISBN 978-3-05-004636-5
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011
Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe.
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– reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
Redaktion: Kristina Müller-Bongard
Satz: Steffen Treske
Druck: MB Medienhaus Berlin
Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Elisabeth Oy-Marra und Volker Remmert
Einleitung
9
Carolin Behrmann
„Le monde est une peinture“
Zu Louis Richeômes Bildtheorie im Kontext globaler Mission
15
Antonella Romano
Multiple identities, conflicting duties and fragmented
pictures: the case of the Jesuits
45
Ralph Dekoninck
On the Threshold of a Spiritual Journey
The Appealing Function of the Jesuit Frontispiece
(Antwerp, 1593-1640)
71
Volker R. Remmert
Visuelle Strategien zur Konturierung eines jesuitischen
Wissensreiches
85
Joseph Imorde
Visualising the Eucharist
Theoretical Problems
109
Evonne Levy
Jesuit Identity, Identifiable Jesuits?
Jesuit dress in theory and in image
127
8
Inhaltsverzeichnis
Kristina Müller-Bongard
Konzepte zur Konsolidierung einer jesuitischen Identität
Die Märtyrerzyklen der jesuitischen Kollegien in Rom
153
Eckhard Leuschner
Propagating St. Michael in Munich:
the new Jesuit church and its early representations in the
light of international visual communications
177
Elisabeth Oy-Marra
Die Natur als Künstlerin: Giovanni Battista Ferraris
Beschreibungen technischer Verfahren zur Herstellung
von Blumenbildern
203
Literaturverzeichnis
231
Elisabeth Oy-Marra und Volker Remmert
Einleitung
Dass die Rolle der Bilder bei der Konstitution und für die Erfolgsgeschichte des
Jesuitenordens eine gewichtige war, ist in der Forschung kaum je in Frage gestellt
worden. Jesuitische Bildprogramme zeichnen sich in der Regel bereits seit Ende des
16. Jahrhunderts durch eine klare Bildprogrammatik aus. So wurde bekanntlich die
Heiligsprechung des wichtigsten Ordensheiligen, Ignatius von Loyola, durch eine
breitgefächerte Bildpropaganda vorbereitet,1 sein Wirken in der nach seinem Namen benannten Kirche in den Fresken von Andrea Pozzo in Rom und Wien aufs
engste mit der Bedeutungsstiftung des Ordens für die weltweite Mission und die
wahre Erkenntnis und Nachfolge Christi in eindrücklichen Bildern unmissverständlich vor Augen gestellt.2 Mit der im 19. Jahrhundert wurzelnden Wahrnehmung des
Ordens als konspirative Gemeinschaft gerieten die von den Jesuiten in Auftrag gegebenen und häufig auch von ordenseigenen Malern wie Andrea Pozzo gemalten
Bilder schließlich in den Verdacht des vorsätzlich Instrumentellen. Die Wahrnehmung des Ordens als konspirative Gemeinschaft und damit auch als ein in sich geschlossener Akteur manifestierte sich nicht zuletzt in der von Jacob Burckhardt
maßgeblich geprägten Vorstellung eines sogenannten „Jesuitenstils“, der die Auffassung von der Bildproduktion des Ordens als Ausdruck seiner Geschlossenheit für
lange Zeit festschreiben sollte. Evonne Levy ist der Begriffsgeschichte in ihrem
vielbeachteten Buch Propaganda and the Jesuit Baroque (2004) sehr genau nachgegangen und hat erstmals zeigen können, dass dieses, für das (Miss-)Verständnis
des Ordens äußerst einflussreiche Konstrukt sich in der Kunstgeschichte bis Ende
der 1960er Jahre hielt und erst durch den von Rudolf Wittkower und Irma Jaffé
herausgegeben Sammelband Baroque Art: The Jesuit Contribution (1969) endgültig
zerstreut werden konnte. 3
Dieses Bild einer geschlossenen Ordensfront ist in den letzten Jahren vor allem
auch von Seiten der Geschichte der Naturwissenschaften mehr und mehr in Frage
gestellt worden. Hatte der Orden in der Vergangenheit das zweifelhafte Renommee
1
König-Nordhoff, Ursula: Ignatius von Loyola. Studien zur Entwicklung einer neuen Heiligen-Ikonographie im Rahmen einer Kanonisationskampagne um 1600, Berlin 1982.
2 Wilberg-Vignau, Peter: Andrea Pozzos Deckenfresko in S. Ignazio, München 1970; BurdaStengel, Felix: Andrea Pozzo und die Videokunst. Neue Überlegungen zum barocken Illusionismus. Mit einem Vorwort von Hans Belting, Berlin 2001.
3 Levy, Evonne: The ‘Jesuit Style’, in: dies.: Propaganda and the Jesuit Baroque, Berkeley/Los
Angeles/London 2004, 15-41; Wittkower, Rudolf/Jaffe, Irma B. (Hrsg.): Baroque Art. The
Jesuit Contribution, New York 1972.
10
Elisabeth Oy-Marra und Volker Remmert
einer, neuen Erkenntnissen gegenüber grundsätzlich rückwärtsgewandten Gemeinschaft genossen, rückte er nun in den Mittelpunkt frühneuzeitlicher Wissenschaftsgeschichte.4 So wurde die römische Niederlassung des Ordens von Antonella Romano als ‚Laboratorium’ gekennzeichnet, Rom selbst gilt heute als einer der vielleicht bedeutendsten Umschlagplätze wissenschaftlicher Erkenntnisse im frühneuzeitlichen Europa.5 Antonella Romano hat daher auch von einer ‚politique de la
science’ gesprochen, die der Orden von Rom aus betrieb, von dem aus neues Wissen in eine zum Teil weltüberspannende Zirkulation gebracht wurde.6
Dass wissenschaftliche Publikationen jesuitischer Autoren eng mit einer breitgefächerten Bildproduktion einhergingen, ist in jüngerer Zeit in verschiedenen Einzelstudien dargelegt worden.7 Sie scheinen das besondere Verhältnis des Ordens zu
den Bildern als strategisch einsetzbare Medien der Vermittlung zu bestätigen. Es
wäre jedoch zu kurz gegriffen von den Bildern und ihrem Gebrauch auf eine geschlossene Identität schließen zu wollen. In ihrem Beitrag für diesen Band hat Antonella Romano daher zu Recht vor einem vorgefassten Bild eines Ordens gewarnt,
der gleichsam als ein mit sich identischer Akteur seine Bildproduktion aus sich
heraus schaffe und diese von oben kontrolliere. Stattdessen plädiert sie dafür, gerade die Bildproduktion als eine Art Mediation verschiedener lokaler Akteure, die
Ordensidentität also als das Produkt eines Prozesses der Aushandlung unterschiedlicher Interessen, zu verstehen.8 In der Tat würde die Annahme eines geschlossen
agierenden Ordens Gefahr laufen, den ‚Jesuitenstil’ wieder durch die Hintertüre
einzuführen.
Ausgangspunkt für diesen Sammelband war daher die Beobachtung, dass der Jesuitenorden vor allem im 17. Jahrhundert nicht nur einen strategischen Einsatz von
Bildern pflegte, sondern dieser offenbar durch bildtheoretische Überlegungen in
einem besonderen Maße vertieft worden war. Verglichen mit dem Bewusstsein von
der Wirkmacht der Bilder im religionspolitischen Bereich zeigt ein Blick auf die
4 Den Anstoß gab Steven J. Harris (Jesuit Ideology and Jesuit Science: Scientific Activity in the
Society of Jesus, 1540-1773, unveröffentlichte Dissertation, Madison (University of Wisconsin) 1988).
5 Fabre, Pierre-Antoine/Romano, Antonella: Les jésuites dans le monde moderne. Nouvelles
approches historiographiques, 1999, 247; Romano, Antonella (Hrsg.): Rome et la science
moderne entre Renaissance et Lumières, Rom 2008, hier vor allem 19- 31.
6 Vgl. hierzu: Fabre/Romano 1999 (wie in Anm. 5); Romano, Antonella: La contre-réforme
mathématique: Constitution et diffusion d’une culture mathématique Jésuite à la Renaissance
(1540-1640), Rom 1999.
7 Vgl. hierzu: O’Malley, John/Bailey, Gauvin A. (Hrsg.): The Jesuits and the Arts 1540-1773,
Philadelphia 2005; Remmert, Volker: Widmung, Welterklärung und Wissenschaftslegitimierung: Titelbilder und ihre Funktionen in der Wissenschaftlichen Revolution, Wiesbaden 2005
[Wolfenbütteler Forschungen 110]; s. a. Godwin, Joscelyn: Athanasius Kircher's Theatre of
the World. The Life and Work of the Last Man to Search for Universal Knowledge, London 2009.
8 Vgl. den Beitrag von Antonella Romano in diesem Band 43.
Einleitung
11
Bildproduktion der wissenschaftlichen Literatur des Ordens, dass hier zwar andere
Strategien vorherrschen, die Bedeutung des Bildes innerhalb der Publikationen jedoch einen ebenso hohen Stellenwert einnimmt. Gerade der vielfältige und im Detail höchst unterschiedliche Umgang mit Bildern, der die Bereiche der Religion,
ebenso wie die der (Natur-) Wissenschaft umfasst, ist schon ein sicheres Zeichen
dafür, dass es nicht darum gehen kann, eine monolithische Identität des Ordens zu
postulieren. Vielmehr zeigt sich gerade hier die Integrationsfähigkeit des Jesuitenordens, die seinen Erfolg bestimmt haben dürfte. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der neueren Forschung im Hinblick auf die Bildung kollektiver Identitäten in
der frühen Neuzeit scheint gerade diese Fähigkeit des Ordens ein Zeichen für eine
funktionierende Gemeinschaft im Sinne einer Identitätsbildung zu sein. Paolo Prodi
hat hervorgehoben, dass kollektive Identitäten nur im Spannungsfeld zwischen
Macht und Konsens entstehen und ihre Ausbildung in der frühen Neuzeit vor dem
Hintergrund der Zugehörigkeit zu ganz verschiedenen, durchaus miteinander konkurrierenden Wertesystemen zu denken ist, die, Prodi zufolge, die Bildung des modernen Staates überhaupt erst notwendig gemacht haben.9 Mit der von uns im Titel
thematisierten Identität des Ordens wird also nicht versucht, eine Einheit im Sinne
eines mit sich identischen Akteurs zu postulieren. Der Orden wird vielmehr als eine
identifizierbare Gruppe mit erklärten Zielen angesehen, die nicht zuletzt überregional verfolgt wurden.
Im vorliegenden Band dient die Thematisierung der jesuitischen Identität insofern als Leitmotiv zur Erkundung der Bildwelten des Jesuitenordens, als Wegweiser
zur Thematik der Visualisierung einer corporate identity, als ein Ideal des Ordens,
das über alle ordensinternen Heterogenitäten abzubilden und zu vermitteln versucht
wurde. Charakteristisch für die Jesuiten war eine Kultur des Wandels in einer sich
wandelnden Welt, einer permanenten individuellen Akkommodation und Neuerfindung, die mit einer Vielzahl von Identitäten verbunden war. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen visuelle Strategien als formgebende Prozesse, die sowohl in den
Orden hinein als auch über ihn hinaus wirken sollten. Die hohe Mobilität der Ordensmitglieder im Raum und in ihren Aufgaben und Handlungen ging mit Spannungen einher, die eine Neu- oder Umordnung tradierter Wissens- und Wissenschaftshierarchien erforderlich machten. Um den Ordensmitgliedern in dieser Welt
permanenten Wandels und dauerhafter Spannungen identitätsstiftende Angebote zu
machen, spielten Bildmedien eine zentrale Rolle. So lässt sich Louis Richeômes
Bildtheorie, wie am Beispiel des von ihm beschriebenen römischen Noviziats deutlich wurde, als Beschreibung einer Heterotopie auffassen, als Entwerfen einer jesuitischen Welt als einem großen einheitlichen Bild. Insgesamt erweist sich die Identitätsstiftung als unablässiger Prozess im Jenseits der Bilder, des Wissens und des
9
Prodi, Paolo/Reinhard, Wolfgang (Hrsg.): Identità collettive tra Medioevo e Età moderna,
Bologna 2002, 11-23.
12
Elisabeth Oy-Marra und Volker Remmert
Glaubens. Wenn wir uns in diesem Band mit der Frage nach dem Zusammenhang
von Bildproduktion und der Identität des Ordens beschäftigen, so also gerade nicht
aufgrund der Annahme einer geschlossenen Ordensidentität. Gleichwohl haben
zahlreiche Studien gezeigt, dass der Jesuitenorden sich der strategischen Bedeutung
der Bilder in vieler Hinsicht bewusst war, und sie hervorragend zu nutzen verstand,
ganz gleich ob es sich hierbei um die besondere Hervorhebung der eigenen Heiligen
im Spannungsfeld der Konkurrenz der neuen Orden handelte, oder aber um eine
nachhaltige Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.10 Hervorzuheben
sind weiter die bildtheoretischen Überlegungen, die der Orden wie keine andere
Institution jener Zeit in einer Fülle hinterlassen hat, die die besondere Wertschätzung der Bilder bezeugt und die nicht selten von einer Remystifikation der Bilder
gekennzeichnet ist. Kennzeichnend hierfür ist ihre starke Verankerung in der Emblematik, eine Kunst, die zur Ausbildung jesuitischer Novizen gehörte und deren
analoges Denken schulen sollte.11
In den folgenden Beiträgen werden die genannten Aspekte im Wesentlichen anhand druckgraphischer Bilder untersucht. Carolin Behrmann erkundet Richeômes
Peinture spirituelle vor dem Hintergrund des jesuitischen Selbstverständnisses unter dem Ordensgeneral Aquaviva als Ausdruck eines strategischen Einsatzes von
Bildern im Dienst einer strukturellen Einheit des Ordens. Dagegen thematisiert
Antonella Romano das „image“ des Ordens selbst, das in der Forschung nur zu
gerne auf die Identitätskonstruktion des Ordens bezogen wurde. Die Autorin hinterfragt stattdessen diese Implikationen. Ausgehend von der intellektuellen und kulturellen Praxis der Jesuiten kann sie zeigen, wie sehr diese uns einen Einblick in das
„self-fashioning“ des Ordens geben, mit der die Bildproduktion eng verbunden war.
Dies wird besonders deutlich im Beitrag von Volker Remmert, der zeigen kann,
dass die visuellen Strategien jesuitischer Titelblätter den Zweck verfolgen, den Jesuitenorden als einen gelehrten Orden darzustellen. Ralph Dekoninck fragt nach den
Funktionen und der Bedeutung des Titelblattes insbesondere jesuitischer Publikationen. Er führt aus, dass die traditionellen Funktionen, die das Titelblatt einerseits
im Sinne eines Entrées, eines Portals, durch das der Leser ins Innere eines Buches
10 König-Nordhoff 1982 (wie in Anm. 1); Gotor, Miguel: I beati del papa: santità, inquisizione e
obbedienza in età moderna, Firenze 2002; Remmert 2005 (wie in Anm. 7).
11 Fumaroli, Marc: Baroque et Classicisme: L’Imago Primi Saeculi Societatis Jesu (1640) et ses
adversaires, in: Questionnement du Baroque 1986, S. 75-111; Porteman, Karel: Emblematic
Exhibitions (affixiones) at the Brussels Jesuit College (1630-1685). A Study of the Commemorative Manuscripts (Royal Library, Brussels), Turnhout 1996; Dekoninck, Ralph: Ad imaginem: statuts, fonctions et usages de l'image dans la littérature spirituelle jésuite du XVIIe
siècle, Genf 2005; Dobler, Ralph-Miklas: Urban VIII. und die Jesuiten. Die Dekoration des
Cortile del Collegio Romano im Jahr 1640 und ein Impresenbuch für den Papst, in: I Barberini e la cultura europea del Seicento, hrsg. v. Mochi Onori, Lorenza/Schütze, Sebastian/Solinas, Francesco, Rom 2007, 195-204.
Einleitung
13
gelangt und andererseits durch die synthetische Ankündigung seiner Inhalte ausübt,
in den jesuitischen Publikation ergänzt wird, indem die Titelbilder ihre Leser auch
emotional ansprechen sollen. Hierzu werden imagines agentes bemüht, wie Dekoninck anhand von Nadals Adnotationes et Meditationes in Evangelia aus dem Jahr
1607 und anderen Titelblättern nachweist.
Joseph Imorde fokussiert in seinem Beitrag das Bedürfnis nach Visualisierung
des Glaubens an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie durch die Feier des vierzigstündigen Gebets, der „Quarantore“, wie sie vom Konzil von Trient propagiert
worden war. Er kann zeigen, dass sich die Jesuiten für eine Allegorisierung der
Realpräsenz Christi im Bild einsetzten und diese auch theoretisch zu untermauern
versuchten. Evonne Levy greift ebenfalls eine grundsätzliche Thematik auf. Sie
fragt nach der jesuitischen Form als Versuch, sich eine Art corporate identity zu
geben. Sie hebt dabei hervor, dass die Formgebung nicht allein als eine Gestaltgebung von Materialien, sondern zu allererst als eine Formgebung der eigenen Seele
durch die Imitatio Christi und insofern als eine Art der Mimesis zu verstehen sei.
Am Beispiel der jesuitischen Kleidung, die je nach Bedarf auch große Unterschiede
aufweisen konnte, zeigt sich, dass es dem Orden im 16. und 17. Jahrhundert zwar
sehr wohl darauf ankam, als Orden erkannt zu werden, dass dies aber nicht durch
starre Formen erreicht werden sollte, sondern durch ein Modell, das immer wieder
neu auf die Bedingungen einzelner Gruppen innerhalb des Ordens abgestimmt werden konnte. Am konkreten Beispiel der durch Martyrien gekennzeichneten Bildzyklen der jesuitischen Kollegiumskirchen in Rom macht Kristina Müller-Bongard
deutlich, dass die Fresken der deutschen und englischen Kollegiumskirchen von
Santo Stefano und San Tommaso de Canterbury in Rom dazu dienten, die Kollegiaten auf ihr eigenes Schicksal vorzubereiten, indem sie die Imitatio der Märtyrerheiligen nahelegten.
Demgegenüber beschäftigt sich der Aufsatz von Eckhard Leuschner mit der Michaelskirche in München und ihrem Bildvokabular, die nur vor dem Hintergrund
der internen Kommunikation des Ordens mit den Gegebenheiten in München verstanden werden kann. Elisabeth Oy-Marra greift ein Beispiel aus dem Bereich der
Botanik auf und kann am Beispiel des von dem Jesuiten Giovan Battista Ferrari
verfassten Traktates De Florum cultura darstellen, dass Ferrari bildnerische Verfahren propagiert, die die Natur als Künstlerin feiern und das bildhafte Wirken der
Natur über das künstlerische Bild stellen.
Der Band vereint mit wenigen Ausnahmen die Beiträge einer von der FritzThyssen-Stiftung finanzierten Tagung zum gleichen Thema, die im Januar 2008 im
Institut für Europäische Geschichte in Mainz stattgefunden hat. Unser Dank gilt
Carolin Behrmann für das Einverständnis, ihren Titel Le monde est une peinture als
Bandtitel verwenden zu dürfen, Müller-Bongard für die Redaktion der Beiträge,
dem Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Mainz-Trier für den
großzügigen Druckkostenzuschuss und Steffen Treske für das Layout.