From Gold to Lithium
Three generations of extraordinary
Chilean architects show projects
and explain their approaches.
Chile, Quo Vadis ?
Felipe De Ferrari, Alejandra Celedón,
Francisco Díaz and Tomás Villalón
speculate about the future
of architecture.
Pushing the Boundaries
Diving into the intellectual worlds
of Pezo von Ellrichshausen, Smiljan Radić
and Alfredo Thiermann
Contemplation vs. Productivity
Different approaches towards landscape
by Teresa Møller, Germán del Sol
and Umwelt
Social Dilemma
Young architects operating within
the cracks of the neoliberal system
Chile
SEP –NOV 3.2019
CHF 28.– | EUR 24.–
Die Natur entdecken, um sich selber finden
Die chilenische Landschaftsarchitektin Teresa Møller möchte
mit ihren Arbeiten dem Leben neue Bedeutung geben.
Die in Santiago ansässige Gestalterin versteht ihre Arbeit nicht als ästhetisches Handwerk. Sie möchte
Alternativen zur von ihr als problematisch empfundenen urbanen Leistungsgesellschaft anbieten. Der Essay
stellt mehrere ihrer herausragenden Arbeiten vor, erklärt die zugrunde liegenden Konzepte und beleuchtet
an ihnen die Haltung der Landschaftsarchitektin. Møller möchte, dass die Menschen in ihren Landschaftsgestaltungen unmittelbare Naturerfahrungen und damit auch Erkenntnisse sammeln können – über ihre
Umwelt, aber auch über sich selbst.
Autor: Jørg Himmelreich
«Ich verspüre starke Emotionen, wenn ich mich in der Natur
befinde. Mich beeindruckt ihre unerklärliche Schönheit,
Grosszügigkeit, Weisheit, Kraft und Unermesslichkeit. Sie ist mir
Lehrerin und Gefährtin, überrascht und verwundert mich.
Die Natur gibt mir Energie und nährt mich.»
Teresa Møller1
Herausragend
Kraft des Unsichtbaren
Casa Poli, kauernd auf den Klippen über dem tosenden
Meer, Radić’ Casa Prisma + Habitación Terraza im mystisch
nebligen Wald von Coinguillio oder Germán del Sols Tierra
Patagonia Hotel thronend am türkisen See vor der Silhouette
der Torres del Paine – diese und viele weitere chilenische Bauwerke wären auch unabhängig von ihrer malerischen Lage
architektonische Meisterwerke. Doch erst ihre pittoreske Einbettung in die Natur hat dafür gesorgt, dass sich ihre Abbilder
in den Medien viral verbreitet haben und international zu kollektiven Sehnsuchtsorten geworden sind. Ein Heft über herausragende Architektur in Chile wäre also unvollständig, würden nicht auch zeitgenössische Landschaftsgestaltungen
thematisiert. Wer nun spontan einwendet, dass doch bei den
meisten berühmten Bauwerken aus dem Andenstaat gerade
die Absenz von Freiraumgestaltungen den eigentlichen Reiz
ausmache, ist eingeladen, noch einmal genauer hinzusehen
und mit auf eine Entdeckungsreise zu gehen. Tatsächlich
wurde die Umgebung oftmals nur minimal angepasst, um
Zufahrten und Wege anzulegen. Oder es wurden dezente Übergangsflächen zwischen den Innen- und Aussenräumen etabliert oder zurückhaltend Aufenthaltsorte in den umliegenden
Freiräumen gestaltet. Ab und an wurden aber auch Orte so
subtil «neu erfunden», dass die Landschaftsgestaltung schon
fast natürlicher wirkt als die überformte Wildnis.
Als die Redaktion zur Vorbereitung des Heftes im März
2019 durch Chile reiste, fragten wir unsere Gastgeberinnen
und Begleiter: «Wo finden wir die besten zeitgenössischen
Freiraumgestaltungen?» Beinahe einstimmig wurde uns geraten, Punta Pite aufzusuchen – eine Abfolge von Plattformen,
Wegen und Treppen an der felsigen Pazifikküste nahe Papudo.
An diesem Projekt – gestaltet von der Landschaftsarchitektin
Teresa Møller – liesse sich besonders gut die sensible Balance
ablesen, die chilenische Architektinnen und Landschaftsgestalter zwischen Gebäuden und Natur, zwischen Überformen
und Unberührt-Lassen, zwischen Präsenz und Sich-Zurücknehmen etabliert hätten. Wir verabredeten uns also mit Teresa
Møller, um das Projekt kennenzulernen. Von Punta Pite verzaubert suchten wir einige Tage später auch das Tierra Atacama in San Pedro auf. Für dieses Hotel hat Møller die grossen
Aussenanlagen gestaltet – als Hybrid aus Garten und Park. Die
Hotelgäste können dort en passant viel Wissenswertes über
die landwirtschaftliche Nutzung(sgeschichte) der Oase von
San Pedro lernen.
Das Essenzielle bergen
An diesen beiden immersiven Orten verstanden wir
unmittelbar, warum Teresa Møller als eine der bedeutendsten
zeitgenössischen Landschaftsarchitektinnen der Welt gilt.2 Sie
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Into the Great Wide Open
reagiert mit ihren Arbeiten auf die unterschiedlichen Orte und
Aufgaben mit spezifischen Lösungen und hat dennoch – oder
gerade deshalb – eine unverkennbar starke Handschrift entwickelt. Teresa Møller nimmt sich Zeit, das jeweils Charismatische der Orte zu entdecken, es durch ihre Interventionen und
Gestaltungen hervorzuheben oder mitunter überhaupt erst
sichtbar zu machen. Vorgefundenes und Modifiziertes fügen
sich dabei zu einem neuen selbstverständlichen Ganzen. Und
doch ist beim aufmerksamen Hinsehen meist ablesbar, was
von den Kräften der Natur geformt und was gestaltet wurde.
Teresa Møller ist von der Kraft und Magie des Einfachen
überzeugt. Diesen Fokus beim Gestalten begründet sie ökonomisch und ökologisch: Ihre Projekte sollen möglichst geringe
Mengen an Ressourcen verbrauchen, wenig graue Energie verschleissen und günstig sein, indem – wenn immer möglich – am
Ort vorhandene Materialien und Pflanzen eingebunden werden.
Diese Wertschätzung hat Teresa Møller in ihren Studien- und
Lernjahren entwickelt. Bis 1985 hat sie an der INCACEA in Chile
Landschaftsarchitektur studiert, wo unter anderem der renommierte Landschaftsarchitekt Juan Grimm ihr Lehrer war. 1989
ging sie nach New York, um im dortigen botanischen Garten
weitere Kenntnisse zu sammeln. Noch im selben Jahr zog es
Theresa Møller wieder nach Santiago, wo sie seitdem ihr eigenes
Büro führt. Aktuell arbeiten zehn Partner und Mitarbeiter im
Studio. Sie hat zahlreiche Projekte realisieren können – vom
Seenland im Süden Chiles bis zur Atacama-Wüste im Norden.
Inspirierende Vielfalt
Teresa Møller betont immer wieder, wie wichtig die verschiedenen Landschaftsräume des 4 200 Kilometer langen
südamerikanischen Landes mit seinen unterschiedlichen Klimata, Geologien und Vegetationen für sie als Inspirationsquelle sind: Die mediterran anmutende Mitte mit ihren rollenden Hügeln und Weinfeldern; die scheinbar endlose, meist
schroffe Küste zum Pazifik mit seinem kühlen, nährstoffreichen Wasser – Richtung Patagonien sich auflösend in tausende
von Inseln und Fjorde, mit ewigem Eis, belebt von zahllosen
Fischen, Vögeln und Robben; im Osten die gewaltige Kette der
Anden mit Vulkanen und hohen Bergen, in denen Vacuñas
herumstreifen und am Himmel Kondore kreisen; die Regenwälder, Seen und heissen Quellen im Süden; und die AtacamaWüste – die trockenste Region der Welt mit ausserirdisch anmutenden Gesteinsformationen, Salzpfannen und Geysiren.
Auch Modifizierungen des Terrains und der Vegetation durch
landwirtschaftliche Nutzungen sind wichtige Bezugspunkte
für ihre Arbeit – seien dies archäologische Funde oder aktiv
genutzte Strukturen.
Spätestens seit den 1990er-Jahren sind die zahlreichen
aufsehenerregenden chilenischen Neubauten – Villen, Hotels,
Restaurants und Weingüter – aus den Architekturmedien
nicht mehr wegzudenken. Die meisten von ihnen wirken subtil und überzeugend in die Landschaftsräume integriert.3
Unweigerlich fragt sich der Betrachter: Wurden die Konzepte
dem jeweiligen Ort angepasst oder hat die Analyse des Ortes
die Architektur hervorgebracht? Bei zahlreichen Villen geht
es vor allem darum, den Bewohnern ein erhabenes Panorama
zu bieten; sie sind Plattformen, Belvedere oder Schutzbauten.
Zugleich vernetzen sie und laden ein, in die Landschaft hinaus
zu gehen, Wiesen, Felsen und Waldböden zu betreten und sich
der Witterung auszusetzen. Die Vegetation läuft unmittelbar
an den Häusern vorbei, durch sie oder unter ihnen hindurch.
Bei den Aussenraumgestaltungen geht es meist ebenfalls um
ein Vermitteln, ein Hineinführen – sei dies in Nutzgärten oder
in die «Wildnis».4 Teresa Møller hat dieses Bild einer innigen
Synthese von Bauen und urwüchsiger Landschaft in Chile mitgeprägt – sei es durch eigene Projekte oder im Rahmen von
Kollaborationen mit führenden Architektinnen wie Mathias
Klotz, Cecilia Puga und Alejandro Aravena.5
1
Teresa Møller, Notizen zu ihren Arbeiten und ihrer Haltung,
verfasst für archithese, Mai 2019, unveröffentlicht.
2 Einen guten Überblick über Teresa Møllers Arbeiten gibt das
üppig bebilderte Buch von Claudia Pertuzé (Hg.), Teresa Moller.
Unveiling the Landscape, Ostfildern / Santiago de Chile 2014.
3 Aus westeuropäischer Sicht würde man den Boom von Wochenendhäusern in Chile als Zersiedelung verurteilen. Doch hat
der Versuch, die dünn besiedelten Regionen zu bevölkern oder
zumindest die Abwanderung zu stoppen, dort eine mehr als
150 Jahre lange Tradition. Da die dünn besiedelten Regionen
häufig Gegenstand von Kriegen mit den Nachbarstaaten waren,
hofft man, dass eine Besiedelung die territorialen Ansprüche zu
untermauern hilft. Da zudem wie fast überall immer mehr
Menschen in die Städte – allen voran Santiago – abwandern,
kann der Tourismus und das Zweithaus-Business zumindest ein
gewisses Mass an Arbeitsplätzen in den dünn besiedelten
Gebieten erhalten oder schaffen.
4 Die angesprochenen Villen und viele als robuste Lodges inszenierte
Hotels in den Nationalparks tragen eine Faszination und Demut
vor der Wildnis und den Kräften der Natur zur Schau, die den
Betrachter fasziniert. Sie wirken harmlos, liebe- und respektvoll.
Doch muss man sich auch der politischen Subkontexte und deren
Tragweite bewusst sein. Weil sie sich als Pionierobjekte in einer
menschenleeren, unkultivierten Wildnis darstellen, wird indirekt
behauptet, dass es dort keine menschliche Kultur gäbe oder
gegeben habe, bis die meist europäisch-stämmigen Wochenendler sie zu kultivieren begonnen haben. Dies ist problematisch, da
der gesamte Raum westlich der Anden besiedelt war, als die
Spanier die Region ab dem 16. Jahrhundert peu à peu aufzurollen
begannen und in einen Teil der Kolonie Peru verwandelten. Von
der Atacama im Norden bis Feuerland im Süden, wenn an manchen
Orten auch nur dünn, lebten dort verschiedene indigene Ethnien.
Vielerorts wurden sie von den Eroberern bekämpft, verfolgt,
systematisch vertrieben und ermordet. Die Mapuche beispielsweise, die derzeit vor allem südlich des Bio-Bio-Flusses leben,
kämpfen bis heute vergeblich für einen unabhängigen Staat.
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Teresa Møller & Asociados
in Zusammenarbeit mit
Gerardo Ariztía / Aymara Zéger,
Punta Pite, Papudo, 2005
( Fotos: Jørg Himmelreich )
Verwoben
Bei vielen Landschaftsgestaltungen in Chile aus den
letzten drei Jahrzehnten wurden Bauwerke, Terrassen, Wege,
Stützmauern, Infrastrukturen und Kunst häufig so ineinander
verschmolzen, dass sie wie Gesamtkunstwerke im Geist der
Landart in Erscheinung treten; ein iberischer Einfluss ist dabei
ebenfalls unverkennbar. Die Stossrichtungen dieser Synthese
sind indes verschieden: Es gibt Architekten, die sich vom
Bauen her der Landschaft und der Skulptur angenähert haben.
Zu nennen wären etwa Germán del Sol (vergleiche hierzu etwa
die Termas Geométricas in Pucón, 2009, und die Termas de
Puritima in Guatin, 2000, und dazu auch den Essay: Germán
del Sol, «Seeing with new Eyes», S. 84–92), Teodoro Fernández
Arquitectos und Smiljan Radić. Letztgenannter exponiert
grosse Findlinge in und neben seinen Bauwerken wie Skulpturen, lässt sie aber mitunter auch zu Teilen der Tragstruktur
werden oder fügt sie zu abstrakten, megalithischen Kompositionen. Für die Viña Vik in Las Condes (2014) hat er beispielsweise einen breiten stilisierten Fluss angelegt, um eine repräsentative und überraschende Geste für ankommende Besucher
zu schaffen; er temperiert auch die darunterliegenden Weinkeller (vergleiche zu den Arbeiten von Radić: Philip Ursprung,
«Das Gewicht der Welt», S. 30–43). Dabei wird Natur (Findlinge)
zur Architektur und zugleich Architektur zu einer artifiziellen
Naturanalogie. Juan Grimm wiederum muss als einer der
wichtigsten Vertreter genannt werden, die sich von der Landschaft Richtung Skulptur und Architektur vorgearbeitet
haben. Dass Grimm Teresa Møllers Lehrer war, wurde bereits
erwähnt. Dass es sowohl einige Schnittstellen in den Haltungen als auch im Formenvokabular der beiden gibt, verwundert
daher kaum. All diesen Gestaltern geht es darum, Landschaften nicht zu überformen oder zu besetzen, sondern ihnen eine
eigene, starke Identität zu geben. Oder anders gesagt: ihren
Charakter herauszuschälen, indem sie das Essenzielle suchen
und mitunter gar das Unsichtbare erst sichtbar machen.6
diversen negativen Begleiterscheinungen wie Stau, Smog und
wuchernden gesichtslosen Aussenquartieren. Wer es sich leisten kann, flieht am Wochenende in private Landhäuser. Besonders deutlich zeichnet sich dieses Phänomen an den Abschnitten der Pazifikküste ab, die mit dem Auto in etwa zwei Stunden
von der Hauptstadt erreicht werden können. Zwischen Valparaíso und Papudo beispielsweise entstehen unzählige Häuser
der ökonomischen und politischen Elite. Wer liquide genug ist,
kauft sich ein grosses Grundstück unmittelbar an der Küste
oder an einem Hang mit Fernblick aufs Meer und leistet sich
einen guten Architekten für einen Neubau. Für weniger zahlungskräftige Kunden werden etwas weiter landeinwärts dichtere und architektonisch generischere Wochenendhauscluster
errichtet.
Diese Defizite, Bedürfnisse und Sehnsüchte der Grossstadtbevölkerung sind wichtige Triebkräfte, die auch für
Teresa Møller einen Grossteil ihrer Aufträge generieren. Doch
sie hat neben zahlreichen Umgebungsgestaltungen von Häusern, Villenkolonien und Hotels auch landwirtschaftliche
Güter und öffentliche Parkanlagen gestalten dürfen.
Gratwanderung
Punta Pite ist wie bereits erwähnt die bekannteste Arbeit
von Teresa Møller. Sie ist Teil einer gated community bei Papudo,
einer Entwicklung von 29 (Wochenend-) Häusern nahe dem
Ozean unter Führung der chilenischen Versicherungsgesellschaft Consorcio Nacional de Seguro. Møllers Arbeit umfasst
den 1,5 Kilometer langen Küstenstreifen unterhalb der Villenkolonie. In Chile sind zwar viele Grundstücke am Meer in Privatbesitz. Doch per Gesetz muss überall ein Streifen der Küsten
öffentlich begehbar bleiben. Die Gemeinde Zapallar machte
die einfache Zugänglichkeit des Küstenabschnittes bei Punta
Pite zur Bedingung für die Bewilligung der Entwicklung. Sie
hatte bereits auf ähnliche Weise an anderen Stellen zwanzig
Kilometer der Küste für Fussgänger erschlossen.
Zurück in die Natur !
Als Rückzugsorte in einer (scheinbar) einsamen und
unberührten Natur7 reagieren viele bekannte chilenische Neubauprojekte der letzten drei Jahrzehnte zugleich auf Defizite
eines grösseren kulturellen Kontextes: Sie bedienen Sehnsüchte der Städter nach Entschleunigung und mehr Nähe zur
Natur.8 (Weil dies ein globaler Gegentrend ist, hat archithese
ihm die Ausgabe 2.2019 Rückzug gewidmet.) Doch warum?
Chile ist mit durchschnittlich 24 Personen pro Quadratkilometer nur sehr dünn besiedelt. Selbst in den Städten scheint die
Natur fast immer greifbar. In Santiago beispielsweise sind die
Anden von vielen Orten aus sichtbar und ihre Ausläufer durchziehen in Form grosser Hügel die Stadt. Doch das kräftige
Wirtschaftswachstum des neoliberalen Chiles lässt vor allem
die Hauptstadt fortwährend zur Metropole anschwellen; mit
5 Teresa Møller, A Moment of Silence, Vortrag an der HarvardUniversität, Cambridge / Massachusetts, 5. Oktober 2017,
online auf: youtube.com.
6 Ebd.
7 Man muss in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der
Architekturfotografie hinweisen. Sie hat eine Wahrnehmung der
chilenischen Landschaft als erhabene, edle Wildnis etabliert.
Oftmals haben die Fotografinnen bauliche oder infrastrukturelle
Kontexte konsequent ausgeblendet.
8 Darauf, dass damit jedoch nur die Lebenswelt einer kleinen, aber
finanzstarken Oberschicht gemeint ist, wurde bereits im Talk
auf den Seiten 16–29 und im Aufsatz von Rachel Théodore auf
den Seiten 8–15 hingewiesen.
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Teresa Møller, Casablanca II, 2007
( Fotos: Chloe Humphreys )
Dieses Gut liegt in einer Weinanbauregion
westlich von Santiago. Møller gestaltete
es um – mit Olivenhainen, Wein- und Lavendelfeldern
sowie einem neuen Wasserreservoir.
Matías González / Rodrigo
Searle / Teresa Møller
(Landschaftsgestaltung),
Hotel Tierra Atacama,
San Pedro, 2008
( Fotos: Jørg Himmelreich )
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Møllers Projekt besteht aus Wegen, Plattformen und
Treppen, die eine fragmentierte Promenade durch die zerklüftete Felslandschaft bilden. «Es ist eine Stelle, an der sich Ozean
und Land berühren; ein schöner, aber aggressiver Ort.»9 Die
Elemente wurden nur dort situiert, wo es nötig war. «Wenn der
Felsen will, dass man auf ihm läuft, haben wir nichts hinzugefügt», erklärt Møller.10 Sie schlägt den Besuchern einen Pfad
vor, lässt ihnen zugleich aber offen, sich eine eigene Passage
zu suchen und lädt förmlich ein, Umwege und Entdeckungen
zu machen. Das Diskontinuierliche fordert auf, die Landschaft
als Abfolge von vielfältigen Räumen und Oberflächen zu lesen.
Teresa Møller sieht dies als Metapher des Lebens: «Mal wird
man geführt; mal muss man selber suchen und entscheiden.»11
Lineare und rechtwinklige Elemente treten in einen spannungsvollen Dialog mit den komplexen Figuren der vom
Wasser gerundeten Felsen. Die Wege und Treppen wurden
mit einer gewissen Varianz und formalen Vielfalt gestaltet,
sind aber nie zu vordergründig, um von der eigentlichen
Attraktion – den Felsen, den Einschnitten, dem geischenden
Wasser, den in Spalten spriessenden Calandrina und anderen
robusten Pflanzen und den Flechten – abzulenken.
Punta Pite wurde bis 2005 während zwei Jahren in situ
gebaut. Møller nennt den Prozess einen «Dialog mit den Steinen».12 Erst nachträglich wurde ein Plan gezeichnet. Møller
markierte die Positionen der Plattformen und Treppen zuerst
mit Bambusstäben, in einem zweiten Schritt mit Stahlstäben
und Seilen. Für bestimmte Elemente arbeitete sie mit dem
Bildhauer Gerardo Ariztía zusammen. Der gelernte Steinmetzmeister führte mit vier Gruppen aus jeweils zehn Arbeitern
das Projekt aus. An verschiedenen Stellen hat er zudem Steine
mit der Säge geteilt, die Schnittflächen poliert und sie horizontal wie Tische ausgerichtet.
9
10
11
12
Teresa Møller, A Moment of Silence, wie Fussnote 5.
Ebd.
Teresa Møller, Notizen, wie Fussnote 1.
Teresa Moller, Unveiling Landscape, wie Fussnote 2, S. 33.
Etwas oberhalb der Küste wurde ausserdem ein kleiner
Park angelegt. Ursprünglich sollte auch dieses Grundstück
verkauft und bebaut werden. Doch Møller überzeugte die Entwickler, es frei zu lassen. Der Parque de la Punta bietet einen
grossartigen Blick über den Ozean und kann von den Bewohnern der Siedlung als Gemeinschaftsfläche bespielt werden.
Im Schatten alter Zypressen, die von Wind gebeugt sind, wachsen Orchideen und andere ortstypische Pflanzen. Die Eingriffe
in die Landschaft wurden gering gehalten. Lediglich zwei sich
kreuzende steinerne Linien mit jeweils einer Rinne in der
Mitte strukturieren ihn. Vom Park führt ein versteckter Weg
hinunter zum Strand. Møller sagt: «Für mich ist die Linie eine
der besten Formen, wie der Mensch mit der Natur in einen
Dialog treten kann – sei sie eine Bewässerungsrinne, ein Weg
und Ähnliches.»
« Wahre Begegnungen » ermöglichen
Teresa Møller sieht den global sich verbreitenden westlichen Lebensstil kritisch und klagt, dass sich die Menschen in
Chile in den dreissig Jahren ihrer Tätigkeit immer weiter von
der Natur entfernt hätten: «Wir sollten jedoch wieder begreifen, dass wir nicht nur mit ihr in Bezug stehen, sondern ein
Teil von ihr sind.» Mit ihren Projekten möchte die Landschaftsarchitektin der Entfremdung entgegenwirken: «Die Menschen
haben in ihren Ambitionen vergessen, wie bescheiden und
doch zugleich grosszügig die Erde ist. Die Bedeutung des
Lebens ist damit verloren gegangen.»
Møller nimmt mit ihrem Weltbild Bezug auf die Werke
des chinesischen Schriftstellers Lin Yutang. Er schrieb in seinem Beststeller Weisheit des lächelnden Lebens (1960), dass alle
Menschen von «Mutter Natur» geboren werden und «der Aufenthalt im menschlichen Körper nur ein vorübergehender
Zustand sei» – ein mythologische Vorstellung, die auch viele
indigene Volksgruppe in Südamerika teilen. Zudem war
Yutang ein früher Urbanisierungskritiker. Er mahnte, dass ein
Leben zwischen «grauen Wände und Asphaltböden» die
Fähigkeiten sinnlicher Wahrnehmung abtöten werde.13 Møller
steht der Stadt ebenfalls kritisch gegenüber, findet sie zu laut
und bemängelt, dass zu viele Gestaltungen und die Medien in
einem schädlichen Wettbewerb die Aufmerksamkeit der Menschen auf Unsinniges lenkten.14 Sie hat eine klare Idee, was die
Alternative sein sollte: «Das Erleben der Natur kann neuen
Sinn stiften.» Zudem hat sie den Anspruch, dass ihre Landschaftsgestaltungen den Nutzern den Wert von Nachhaltigkeit
vermitteln: «Wenn die menschliche Spezies überleben will,
müssen wir unseren Konsum reduzieren und wieder zu Harmonie und einer Balance im Umgang mit den Ressourcen finden.» Dazu will sie «wahre Begegnungen» mit der Natur
ermöglichen und die Menschen anregen, still zu sein, innezuhalten und zuzuhören. Es geht ihr um Räume, die ein immersives Erleben der Natur ermöglichen.15 Bei der sorgfältigen
Beobachtung und Aufmerksamkeit gegenüber der Landschaft
geht es Møller um mehr als eine Suche nach Ästhetik und
Erhabenheit. Sie ist überzeugt, dass dies der Schlüssel sei, um
soziokulturell relevante Arbeiten zu entwickeln. Sie möchte
Zusammenhänge im Ökosystem aufzeigen, ohne Erläuterungstafeln, sondern durch den direkten Kontakt. Die Leute
sollen «alles anfassen» können. Sie möchte zwar Vorhandenes
bewahren, Spuren der Geschichte aufgreifen und herausstreichen, aber nicht musealisieren.16
Zeit abbilden
Møller und viele andere Gestalter in Chile akzeptieren
Architektur im Besonderen und die Kulturlandschaft allgemein als temporäre, vergängliche Zustände. Mitunter antizipieren sie gar, dass diese zu Ruinen werden (müssen), beziehungsweise durch die Kräfte der Erosion irgendwann wieder
mit der Landschaft zu einer Einheit verschmelzen. (Siehe zum
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Teresa Møller, Parque
Periurbano, Calama, 2016
Geschichte herausarbeiten, Geschichten erzählen
Themenkreis der Ruine auch archithese 4.2017.) Die Casa Poli
von Pezo von Ellrichhausen in Tome (2005) beispielsweise
wirkt wie ein Rohbau ohne Fenster – ein Totenschädel oder
Felsen, ausgehöhlt von Wind und Wasser. Cazú Zegers Tierra
Patagonia Hotel nahe Torres del Paine (2011) gibt sich als grosses Stück Treibholz, angeschwemmt am Sarmiento-See. Ähnliche Haltungen repräsentieren einige von Møllers Arbeiten,
bei denen die Materialien vom Ort stammen. Die Plattformen
und Treppen in Punta Pite beispielsweise wurden aus Steinen
gebaut, die an der Küste herumlagen. Sie können künftig vom
Meer wieder zu Geröll und später zu Sand verrieben werden.
Und beim Hotel Tierra Atacama sind die meisten Mauern aus
Lehm und die Pavillons aus Holz, sodass sie irgendwann wieder zu Erde werden könnten.
Diese Gelassenheit gegenüber den zerstörerischen und
umformenden Kräften der Natur hat wohl mit den Erfahrungen der Menschen in Chile zu tun: Erdbeben und Tsunamis, die
immer wieder ganze Städte ausradieren, sowie Vulkanausbrüche sind Teil eines kollektiven Gedächtnisses, das Vergänglichkeit und Zerstörung als Konstante akzeptiert.17 Ein weiteres plakatives Beispiel dazu ist Radić’ Casa Prisma, von deren
Holzplattform man auf einen Fluss erstarrter Lava blickt, die
vom letzten Ausbruch des Llaima-Vulkans im Jahr 2009
stammt und deutlich macht, dass die Behausung schon in
wenigen Jahren vielleicht verbannt und weggedrückt werden
könnte.18
Møller verweist in diesem Zusammenhang auf Leonard
Korens Buch Wabi Sabi für Künstler, Architekten und Designer,
das ihre Wahrnehmung von der Vergänglichkeit aller Dinge
beeinflusst habe: Er schrieb, dass «alles im Universum im ständigen Fluss sei – aus dem Nichts kommend oder ins Nichts
zurückgehend» und «dass Wahrheit nur in der Beobachtung
der Natur gefunden werden könne».19
Teresa Møller versucht, in die Landschaft eingeschriebene Spuren der Geschichte zu erhalten, herauszuarbeiten
oder weiterzudichten. Vor allem dann, wenn sie an Orten
arbeitet, die eine prägende landwirtschaftliche Historie haben.
Sie sieht das als Gegenposition zum häufigen Drang vieler
Landschaftsgestalter, «permanent etwas Neues zu importieren». Stattdessen will sie die lokale Kultur stärken, indem sie
die bestehende Kulturlandschaft in den Vordergrund hebt.20
Dieser Ansatz lässt sich besonders gut am Tierra Atacama
Hotel in San Pedro aufzeigen. Für diese von den Architekten
13 Lin Yutang, Weisheit des lächelnden Lebens, Reinbek bei
Hamburg 1960.
14 Teresa Møller, A Moment of Silence, wie Fussnote 5.
15 Teresa Møller, Notizen, wie Fussnote 1.
16 Und doch agiert Møller mitunter auch anachronistisch. In den Hof
eines Gebäudes in Schanghai von Elemental (2011) pflanzte sie
Metasequoia glyptostroboides. Dieser Urweltmammutbaum
wuchs bereits vor 150 Millionen Jahren und war auf der gesamten
Nordhalbkugel stark verbreitet, galt aber lange als ausgestorben.
1942 wurden in der Bergregion Sichuan lebende Exemplare entdeckt und aus den Samen neue Pflanzen gezogen. Indem Teresa
Møller sie in Schanghai anpflanzen lässt, greift sie in die natürlichen Evolutions- und Selektionsprozesse der Natur aus sentimentaler Motivation ein.
17 Ähnliche Vorstellungen sind in Chile bereits seit präkolumbianischer Zeit verankert – etwa in den Mythen der Mapuche. Sie
glauben, dass in einer grossen Flut die Welt zerstört und wiedererschaffen wurde. Zudem sehen sie Kai Kai (die zerstörerische
Kraft des Wassers) und Tren Tren (die Kraft der Sonne und der
trockenen Erde) als dauerhaft widerstreitende Kräfte an.
18 El Croquis 199, 2/2019, Smiljan Radić 2013–2019, S. 347.
19 Leonard Koren, Wabi Sabi für Künstler, Architekten und Designer.
Japans Philosophie der Bescheidenheit, Tübingen 1995.
20 Teresa Møller, Notizen, wie Fussnote 1.
Matías González und Rodrigo Searle im Jahr 2008 fertiggestellte Anlage hat Møller die umfassenden Aussenanlagen
gestaltet. Weil das auf 2 500 Höhenmetern gelegene Oasendorf
als Reisedestination immer beliebter wird, werden vermehrt
alte Nutzgärten von Tourismusinfrastrukturen vereinnahmt.
Das führt zum Verlust wertvollen Nutzlandes und damit auch
der kulturellen Identität der Oase. Mit dem Tierra Atacama
wurde versucht, eine Alternative zu erarbeiten. Das Hotel liegt
südlich im Yaye Ayllu. Statt eine klassische Hotelaussenanlage
mit Terrasse und Pool zu gestalten, haben die Architekten das
Hotel als eine lose Komposition von Pavillons in einem grossen
Nutzgarten konzipiert.
Das Areal wird vom Verlauf zweier Strassen definiert, die
eine dreieckige Figur aufspannen. Ein mit einer hohen Mauer
umfangener Hof, durch den man sich als Gast dem Hotel
nähert, war früher eine Raststation für Rinder, die von Bolivien
zum Meer getrieben wurden. Weil das Gelände dreissig Jahre
lang brach lag, musste der Boden zuerst restauriert werden.
Dazu spannte man mit Guillermo Gallardo von der Landwirtschaftsschule Likan-Antai zusammen. Wenige Bäume und
Büsche, die nicht viel Wasser benötigen, waren noch vorhanden. Sie wurden erhalten und in die neue Bepflanzung eingebunden. Ein kleiner Fluss speist die gesamte Oase. Über Rinnen
kann Wasser auf die Felder geleitet werden. Diese Landwirtschaftstechnik der Atacameños stammt bereits aus präkolumbianischer Zeit. Heute werden auf dem Gelände des Hotels
wieder Quinoa, Mais und andere Nutzpflanzen angebaut, die
vor der spanischen Eroberung typisch für die Region waren.
Mauern aus Lehm strukturieren den Garten. Leicht erhöhte
und parallel geführte Holzstege erlauben den Gästen, sich
Teresa Møller, Catch the Landscape, Installation
auf der 15. Architekturbiennale in Venedig, 2016
bequem durch den Garten zu bewegen und dabei einen Überblick über die Pflanzen zu erhalten. Und weil die Feldfrüchte
als Zutaten für die Menüs im Restaurant verwendet werden,
kann man sie auch gleich geschmacklich «kennenlernen».
Die Hotelzimmer bestehen aus zwei langen Reihen stählerner Pavillons. Dazwischen wurde ein Hortus conclusus angelegt, der als Hybrid aus Zier- und Nutzgarten bepflanzt wurde
und vom Oasental Quebrada de Jerez in Toconao inspiriert ist,
das 38 Kilometer entfernt von San Pedro liegt. Blumen wie Malven und Tagetes sowie diverse Kräuter verströmen das ganze
Jahr über ihren Duft und leuchten in verschiedensten Farben.
Sie werden überragt von Granatapfel- und Feigenbäumen. Südöstlich der Zimmer liegt ein weiterer grosser Bereich des Gartens: Dort stehen Mandel-, Aprikosen-, Apfel- und Birnbäume
aufgereiht und es werden Melonen und Kürbisse gezogen.
Energielandschaften oder Landschaftsruinen?
Wie gehen Architekten und Landschaftsgestalter mit
den Herausforderungen der jüngeren Zeit um, fragte sich die
Redaktion auf ihrer Reise durch Chile: Die Ausbeutung von
Rohstoffen wie Kupfer und Lithium ist in vollem Gange und
wird künftig noch zunehmen. Flüsse werden zur Stromerzeugung aufgestaut, Windkraftanlagen installiert und Solarparks
im grösseren Stil könnten im sonnigen Norden bald folgen. Als
Nebeneffekt sind trostlose Arbeiterstädte entstanden, wie das
über 130 000 Einwohner zählende Calama. Am nördlichen
Stadtrand durfte Teresa Møller 2016 einen 28 Hektar grossen
Stadtpark anlegen. «Mit dem Parque Periurbano wollten wir
der Stadt in der Wüste eine Lunge geben, einen Ort, an dem
man Schatten findet», sagt Møller über dieses junge Projekt.
Das ist zuerst einmal löblich, denn die Arbeiterstadt hatte bisher nur wenige attraktive öffentlichen Räume. Der Park dient
zudem als Filter, der dafür sorgt, dass weniger Staub von der
Wüste in die Stadt hineingetragen wird. Doch hat dieser in
seiner Gestalt eher klassisch geratene Park wenig mit Møllers
bisher beschriebenen Ansätzen zu tun, da er an dieser Stelle
eine komplett insertierte, ökologisch fremde Struktur darstellt, und überzeugt daher nur wenig. Diese Arbeit von Møller
wirkt eher unsicher und klischeehaft.
In dieser Hinsicht lohnt aber noch der Blick auf ein letztes Projekt, genannt Catch the Landscape, das Møller 2016 für
die Biennale in Venedig entwickelt hat. Hierfür hat sie einen
gerade einmal zehn Jahre alten Marmorsteinbruch in der Atacama-Wüste aufgesucht. Dort lagen zahlreiche zerbrochene
Blöcke herum, die für den Verkauf als ungeeignet eingestuft
worden waren. Møller liess sie in kleinere Quader teilen, nach
Venedig verschiffen und im Arsenale als Sitzgelegenheiten
aufstellen. Damit hat sie zum ersten Mal auch die «unschöne»
Natur beziehungsweise die Wunden thematisiert, welche
durch die industrielle Nutzung der Landschaft in Chile entstanden sind. Zugleich hat sie es aber geschafft, auch diesem
Thema einen poetischen Aspekt abzugewinnen und zeigt
damit auf, dass es ihr um eine Balance geht zwischen einem
romantisch-traumhaften Umgang zu den mitunter knallharten oder gar dystopischen Realitäten verschiedener Orte. Die
Fotos von ihrem Besuch des Steinbruches sind daher mindestens ein genauso wichtiger Bestandteil dieser Arbeit, wie die
in Venedig gezeigten Steinquader. Die Arbeit ist ein erstes
Anzeichen dafür, dass Teresa Møller nicht vorhat, diese
Debatte komplett den jüngeren Gestaltern zu überlassen und
sich künftig auch in die Debatte um die chilenische Energieund Rohstofflandschaft einbringen wird. Wir wünschen es
uns zumindest. ▪