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Sprachen, Völker und Phantome

2018, Sprachen, Völker und Phantome

Sprachen, Völker und Phantome Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten Herausgegeben vom Münchner Zentrum für Antike Welten (MZAW) Band 3 Sprachen, Völker und Phantome Sprach- und kulturwissenschaftliche Studien zur Ethnizität Herausgegeben von Peter-Arnold Mumm unter Mitarbeit von Walther Sallaberger ISBN 978-3-11-060125-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060126-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-060127-5 ISSN 2198-9664 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International Licence. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Names: Mumm, Peter-Arnold, 1959- editor | Mumm, Peter-Arnold, 1959- Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität. Title: Sprachen, Völker und Phantome : sprach- und kulturwissenschaftliche Studien zur Ethnizität / herausgegeben von Peter-Arnold Mumm. Description: Berlin ; Boston : Walter de Gruyter GmbH, [2018] | Series: Münchner Vorlesungen zu antiken Welten ; Band 3 | German and English. | Includes bibliographical references and index. Identifiers: LCCN 2018031252 (print) | LCCN 2018040188 (ebook) | ISBN 9783110601268 (electronic Portable Document Format (pdf) | ISBN 9783110601251 (print : alk. paper) | ISBN 9783110601275 (e-book epub) | ISBN 9783110601268 (e-book pdf) Subjects: LCSH: Sociolinguistics. | Ethnicity--Social aspects. | Group identity. Classification: LCC P40.5.S57 (ebook) | LCC P40.5.S57 S67 2018 (print) | DDC 306.44089--dc23 LC record available at https://lccn.loc.gov/2018031252 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Vorwort Dieser Band enthält die Akten eines Symposiums zum Thema „Völker und Sprachen“, das im November 2015 gemeinsam vom Zentrum historische Sprachwissenschaften (ZhS) und dem Münchner Zentrum für Antike Welten (MZAW) an der Ludwig-Maximilians-Universität München ausgerichtet wurde. Teilgenommen haben Fachvertreter aus Ägyptologie, Allgemeiner Sprachwissenschaft, Arabistik, Archäologie, germanisch-romanischer Onomastik, Hethitologie, Indogermanistik, Japanologie, mittel- und neulateinischer Philologie, Turkologie und anderer Fächer. Ziel war, die übergreifenden Fragen und die Vielzahl der im Thema steckenden facts and fallacies auszuloten und die je eigenen Probleme und Lösungen vorzustellen. Der vorliegende Band präsentiert acht Beiträge aus diesem Symposium sowie einen einleitenden Artikel, der einen theoretischen Rahmen entwirft und die Schlüsselbegriffe Identität, Sprachgemeinschaft und Ethnizität untersucht. Sehr herzlich möchte ich Friedhelm Hartenstein und Martin Hose danken, die unseren Band in die Reihe Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten aufgenommen haben; Walther Sallaberger, von dem die Idee für das Symposium ausging und ohne dessen Rat und Hilfe der Band nicht zustandegekommen wäre; und schließlich den Autoren der Beiträge, die eine gewaltige Arbeit geleistet und viel Mühe und Geduld bei der langwierigen Herstellung dieses Buchs auf sich genommen haben. München, im April 2018 Peter-Arnold Mumm Open Access. © 2018 publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110601268-202 Inhalt Vorwort V Peter-Arnold Mumm Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 1 Patrizia Cordin Germanic place names spread throughout Trentino 97 Christian Göhlert Einige Anmerkungen zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung 119 der japanischen Volkskunde Essam Hammam Echnaton, seine Leute und die Sprache 147 Fabian Heil Zypern in der Spätbronzezeit: Ein „kulturelles Konglomerat“? Nevra Ünver-Lischewski Planning the Languages of Turkey Mechthild Pörnbacher Latein als „Vatersprache“ 201 245 265 Wolfgang Schulze Caucasian Albanian and the Question of Language and Ethnicity 275 Zsolt Simon Die Griechen und das Phönizische im späthethitischen Staat Hiyawa: 313 die zyprische Verbindung Autoren 339 Sachregister 341 Peter-Arnold Mumm Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität Abstract: The article analyses the key concepts language community, ethnicity, identity. Language communities come into being and are uphold by communicative conventionalization processes. These processes are real, multi-layered and constantly evolving. Ethnicity, on the other hand, is a construction, however based on practised socio-political distinctions between “us” and “others”. So an essential trait of ethnicity, but not of language community, is boundary against others. In language communities there are boundaries, too, but they are graded, and they are not defining traits. The social mechanisms behind language community and ethnicity are totally different. Language community often is felt to be an essential criterion of ethnicity. In this case, the concept of identity plays a central role. The article shows that identity, originally a purely logical concept, has acquired logically inconsistent, misleading and momentous meanings in social psychology. The article tries to disentangle these elusive and much debated concepts. 1 Das Thema – ein Thema und viele Themen Von „Völkern“ und „ihren“ Sprachen und Kulturen redet die Wissenschaft längst nicht mehr. Aber immer noch gelten Sprachen und Kulturen als Zeugen quasiethnischer Gemeinschaft und „Identität“. Was sind die Grundlagen? Welche Phantome sind im Spiel? Anmerkung: Großen Dank schulde ich Catharina Busjan, Andreas Hölzl, Hans-Jörg Schmid, Johannes Schneider, Wolfgang Schulze, Anke Werani und Robert Zydenbos für viele wichtige Korrekturen und weiterführende Hinweise. Dankbar bin ich auch Shaghayegh Amidinejad, Johanna Holzer, Erica Miao und Irina Sawelyewa für gründliche Lektüre und weiterführende Anregungen. – Folgende Tagungsbeiträge wurden bzw. werden an anderer Stelle publiziert: Andreas Kaplony, „Arabisch als Reichssprache“, siehe Kaplony (2018). Thomas Krefeld, „Römisch-romanische Kontinuität in den nördlichen Alpen und im Alpenvorland: linguistische und archäologische Befunde in der Synopse“, siehe Krefeld (2016). Marianne Pade, „Neo-Latin and the Formation of Italian National Identity“, siehe Pade (2012) und Pade (2016). Mein eigener Tagungsbeitrag über die Arier im Rigveda hat zur Neuedition einer maßgeblichen Monographie zu diesem Thema geführt (Palihawadana 2017) sowie zu einer Studie über die Bedeutung von yóga- im Rigveda (Mumm 2018). Open Access. © 2018 Peter-Arnold Mumm, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110601268-001 2 Peter-Arnold Mumm Sprachwissenschaft, Archäologie, Philologie, Ethnologie und Anthropologie erschließen sich unterschiedliche und scheinbar inkommensurable Aspekte menschlicher Gemeinschaft. Archäologische Funde reden nicht, rekonstruierte Wortformen liegen nicht in der Erde, Sprachgemeinschaften sind nicht automatisch politische Gemeinschaften. Politische Gemeinschaften sind oft mehrsprachig, und die Genealogien, die sie sich geben, sind in der Regel fiktiv. Wir – wer immer das ist – sind nicht unbedingt das, was wir zu sein glauben; Identitätsbewusstsein fällt keineswegs mit Identität zusammen. Die Wissenschaft ist also skeptischer geworden. Sie setzt mit guten Gründen Sprachgemeinschaften schon lange nicht mehr mit „Völkern“ gleich, sprachliche und kulturelle Verschiebungen nicht automatisch mit „Wanderungen“ und ruft auf, das Verhältnis von „Pots and People“ differenzierter zu sehen. Haben Sprachgemeinschaften überhaupt etwas mit „Völkern“ zu tun? Was meint man eigentlich, wenn man von „Völkern“ oder von „Ethnizität“ spricht? Welche soziale Realität steckt in „Sprachgemeinschaften“? Welche Rückschlüsse auf dahinterliegende Lebenswirklichkeiten erlauben kulturelle Hinterlassenschaften? Die Skepsis gegen kurzschlüssige Gleichsetzungen von Sprachen, Kulturen und Völkern war heilsam. Sie ist die Grundlage dieses Artikels. Aber Skepsis allein genügt nicht. Wenn die allgemeine Dekonstruktion der Begriffe nur dazu führt, dass alles in Anführungszeichen gesetzt wird, ist dem Erkenntnisfortschritt nicht gedient.1 In diesem Band sollen gängige Begriffe und Ansichten neu durchdacht und auf empirische Füße gestellt werden – auch dort, wo die Empirie nur Fragmente bietet. Das Thema führt in entlegene Zeiten und Räume und hochspezialisierte Detailfragen. Gleichzeitig ist es von brennender Aktualität. Viele Stimmen reden mit- und durcheinander. Aber es gibt übergreifende Argumentationsmuster. Diese in ihrem Zusammenhang herauszuarbeiten ist das Ziel dieses Buchs. Die Beiträge im Band sind Fallstudien zu bestimmten Aspekten, Epochen und Arealen. Patrizia Cordin untersucht deutsche Ortsnamen im Trentino, die sich etymologisch auf topographische Eigenschaften beziehen (Geo-Toponyme). Sie zeigt, dass diese nicht ausschließlich direkt aus südbairischer/tirolerischer Besiedlung stammen – sprachlich noch im Zimbrischen und Mòcheno greifbar –, 1 Vgl. Brubaker (2004) 3: „Yet by virtue of its very success, the constructivist idiom has grown »weary, stale, flat, and unprofitable«. Once an insurgent undertaking, a bracing challenge to entrenched ways of seeing, constructivism has become the epitome of academic respectability, even orthodoxy.“ Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 3 sondern auch indirekt: aus deutschstämmigen Wörtern, die in Trentiner Dialekte und darüber auch in Areale außerhalb deutscher Besiedlungsräume Eingang gefunden haben. Christian Göhlert widmet sich der in ihrer frühen Zeit international wenig wahrgenommenen japanischen Volkskunde und ihrer Sicht auf die Sprache. Die ländlichen Dialekte wurden hier als Ausdruck eines tieferen ethnischen Kerns angesehen, der von verfremdenden überregionalen und modern-zivilisatorischen Einflüssen bedroht und durch die Volkskunde zu dokumentieren sei. So entwickelten sich eine Dialektologie, aber auch Methoden, die programmatisch auf Einfühlung abzielten und über den wissenschaftlichen Beschreibungsrahmen hinausgingen. Essam Hammam legt eine detaillierte Untersuchung des Mittelägyptischen zur Zeit Echnatons vor. Lange schon war die Tatsache bemerkt worden, dass hier in einem relativ kurzen Zeitfenster auffällig viele neuägyptische Formen erscheinen, nicht nur in der privaten Korrespondenz, sondern auch in öffentlichen Inschriften. In der Zeit nach Echnaton wurde der neuägyptische Einschlag in den Inschriften wieder stark zurückgedrängt. Gegen frühere geistesgeschichtliche Erklärungen, die diesen Sprachwandel mit einem Wechsel der ägyptischen Weltsicht zu erklären suchten, kann Hammam nachweisen, dass der Hintergrund höchstwahrscheinlich politischer Natur ist und auf Dialektunterschiede zwischen dem Militär und der königstreuen Beamtenschaft einerseits und der konservativen Priesterschaft andererseits zurückgeht. Fabian Heil stellt aus archäologischer Sicht die Frage, warum das bronzezeitliche Zypern ein „kulturelles Konglomerat“ genannt wird und welche Implikate das Konzept einer „hybriden Kultur“ hat. Angesichts der generellen Assimilations- und Wandlungsfähigkeit von Kultur ist das Prädikat „hybrid“ in der Tat auffällig. Heil kommt zu der Vermutung, dass hier möglicherweise doch noch eine alte ethnizistische Denkweise Pate steht, die auf Zypern ein „Völkergemisch“, aber kein „Volk“ sieht und daher auch keine autochthone Kultur erkennen kann. Nevra Ünver-Lischewski stellt die Brüche, Fiktionen und Gewaltmaßnahmen dar, die mit der türkischen Sprachreform unter Atatürk verbunden waren. Diese Sprachreform, Teil der umfassenden kemalistischen Staatsreform, war stark an der Idee einer wahren türkischen Ethnizität orientiert und wurde eisern gegen die aus dem Osmanischen Reich überkommene ethnische und sprachliche Vielfalt durchgesetzt und sogar auch gegen die überregionale türkische Verkehrssprache, die sich neben der osmanischen Kanzleisprache bereits weitgehend durchgesetzt hatte. Mechthild Pörnbacher beleuchtet in ihrem Beitrag den Status des mittelalterlichen Lateins zwischen schriftlicher Bildungs- und mündlicher Verkehrs- 4 Peter-Arnold Mumm sprache – nicht Mutter-, aber „Vatersprache“ – und führt Berichte und Selbstzeugnisse zu unterschiedlichen Formen von Mehrsprachigkeit an.2 Wolfgang Schulze bietet eine umfassende skeptische Pilotstudie zu der Frage, wie und ob überhaupt eine trümmer- und schattenhaft überlieferte Sprache wie das Kaukasisch-Albanische mit einer dahinterstehenden Ethnie oder Kultur verbunden werden kann. Die diachrone Verbindung mit der soziokulturellen ‚Welt‘ der Uden heute hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit, ist aber nicht zu beweisen. Zsolt Simon zeigt, dass das im späthethitischen Hiyawa neben dem Luwischen geschriebene Phönizische von Griechen aus Zypern mitgebracht und für monumentale und administrative Zwecke genutzt wurde. Dieser einleitende Artikel untersucht die Phantomspiegelungen und Täuschungen, die in verbreiteten Auffassungsweisen von Identität, Sprachgemeinschaft und Ethnizität stecken. Hauptlinien der Argumentation sind: – Identität und Ethnizität sind problematische Begriffe. Ein sozialpsychologischer Identitätsbegriff, der Identität nicht von Identitätsbewusstsein unterscheidet und mit Identität de facto nur „Identitätsbewusstsein“ meint, aber keine etische Seite von Identität kennt, ist irreführend. Ebenso ist Ethnizität zwar eine „imagined community“, hat ihre Grundlage aber in einer etisch fassbaren, lebensweltlich praktizierten Abgrenzung zwischen „Uns“ und „Denen“. – Sprachgemeinschaft stellt sich über den Prozess der Kommunikation her. Sprachgemeinschaft bedeutet nicht zwingend tiefere Wesensgemeinschaft der Sprecher. – Sprachgemeinschaft, Ethnizität und benachbarte Begriffe wie Kultur und Gesellschaft bezeichnen unterschiedliche Formen von Vergesellschaftung oder Gemeinschaftsbildung, die nur durch Ausblendung wesentlicher Eigenschaften miteinander identifiziert werden können. Weil der einleitende Artikel ein großes Thema anpackt, kann er keine detaillierten Beweise führen. Die Argumentation ist gedrängt und oft nur angedeutet. Originalzitate sollen helfen, die Grundlagen der Argumentation präsent zu machen und in ihrem Kontext zu verankern. Trotz seines expositorischen Charakters ist der Artikel aber nicht „argumentativ neutral“, sondern wendet sich gegen verbreitete Irrtümer. Vielleicht lässt sich das Gesamtbild so am besten skizzieren. 2 Vgl. Hellgardt (1996); Bloemendal (2015); Ó Flaithearta (2018). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 5 2 Sprachgemeinschaft, Ethnizität und die Idee einer tiefen Gemeinschaft Die Idee, dass eine Sprachgemeinschaft zugleich eine Volksgemeinschaft ist und Volksgemeinschaften als Sprachgemeinschaften erkennbar sind, ist ein alter Topos. Besondere Konjunktur hatte er in der Romantik. Sprecher einer Sprache „verstehen sich“, so die romantische Idee, und die offensichtliche Tatsache, dass sie unleugbar schon viele Generationen lang miteinander gesprochen und eine gemeinsame geistige Welt entwickelt haben, offenbare eine tiefsitzende Bindung unter ihnen. Streit, Missverständnisse, Harthörigkeiten, Schmähungen, Gewalt untereinander seien nur Oberflächenphänomene. Im Grunde seien die Sprecher einer Sprache eines Sinnes. Analysiert man diesen Gedanken näher, stößt man auf einen Dreischritt: 1. Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, 2. haben ungeachtet ihrer artikulierten Differenzen einen tiefsitzenden Konsens, 3. der in einer noch tiefersitzenden Wesensverwandtschaft wurzelt. Der Wesensverwandtschaft hat man viele Namen gegeben: Volksgeist, Volksseele, Art, Rasse, Mentalität, Kultur, Identität, Ethnizität u. a. An jedes dieser Wörter knüpft sich eine Welt von Theorien und Assoziationen, und meist werden sie, mit diesen oder jenen Definitionen, sorgfältig auseinandergehalten. Doch vielfach stehen sie für dasselbe, und oft sind die moderneren Begriffsprägungen ein neues Gewand für eine alte Idee, deren altes Gewand, insbesondere die Rasse, hässlich geworden ist.3 3 Barth (1969) 11; Jenkins (2008) 10 f. Wie austauschbar diese Begriffe sein können, zeigt Ruth Römers Gegenüberstellung sukzessiver Auflagen von Adolf Bachs Geschichte der deutschen Sprache: Dort heißt es, in Römers Synopse (1989) 144: „1943 [steht] in § 8: »In der Sprache offenbart sich also stets der Geist einer Gemeinschaft in seiner historischen Entfaltung. Da der Geist jedoch auf einer Auseinandersetzung ihrer blutsmäßigen (rassischen) Grundlagen mit der Umwelt beruht …« An der entsprechenden Stelle steht in der 9. Auflage von 1970: »Da ihr [der Sprachgemeinschaft] Geist jedoch auf einer Auseinandersetzung ihrer Erbmasse mit der Umwelt beruht …« […] 1943 § 10: »Bei dieser Auffassung kommt die unbestrittene Abhängigkeit der Sprache vom Volksgeist und damit von der Rassengeistigkeit keineswegs kurz …« 1970 § 10: »Hierbei kommt die Abhängigkeit der Sprache vom Volksgeist keineswegs zu kurz.« 1943 § 9: »völkische Wesensart«, 1970 § 9: »gemeinsame Wesensart«.“ Usw. Hier ändern sich eher die Etiketten als die Gedanken. – Zur „Identität“ im Sinne völkischer Zusammengehörigkeit vgl. Malešević (2006) 7: »I argue that ‘identity’ has filled the vacuum created by the demise of three other master concepts – ‘race’ (after the collapse of Nazi project), the ‘national character’, and ‘social consciousness’ (with the end of the Cold War).« – Der Rasse-Begriff in Bezug auf menschliche Gemeinschaften ist bekanntlich sowohl pseudo-biologisch (Vermischung von 6 Peter-Arnold Mumm Aus der alltäglichen sprachlichen wie lebenspraktischen Erfahrung stammt die Idee dieser tieferen Wesensverwandtschaft nicht – auch wenn sie immer wieder gefühlt und mit Pathos ausgesprochen wird. In einer älteren deutschen Tradition hat sich die Überzeugung, in der Sprache liege eine tiefe Identität der Sprecher, etwa so artikuliert: Sprachvolk ist unausweichlich und notwendigerweise Einheit des gleichen Mittels der Weltschau, Einheit gleicher Eingenommenheiten, gleichen Wesenswillens. Es ist selbst wenn sich seine Glieder politisch aufs härteste bekriegen mit Sicherheit und Notwendigkeit Wesensgemeinschaft, Gruppenpersönlichkeit von Sonderprägung.4 Fishman (1997) 331 f. zitiert ähnliche, ins Religiöse und Existenzielle reichende Hymnen auf die eigene Sprache für das Weißrussische, Filipino, Hebräische, Japanische, Afrikaans, Irische, Quebecfranzösische, Maya Kaqchikel, Mazedonische, Manyjilyjarra und Baskische; mit verwandtschaftlichen Noten – Sprache stammt von den Vätern und Vorvätern, ist Heimat, ist Mutters Wiegenlied etc. – für das Tamil, Uzbekische, Nynorsk, Yaqui, Swahili, Hausa, Navajo, Bengali u. a. Offensichtlich sind tiefe Gefühle für die eigene Sprache als Sitz der eigenen Identität überall auf der Welt verbreitet. Dass solche Identitätsgefühle verbreitet sind und tief sitzen, schließt allerdings nicht aus, dass sie das Ergebnis von Identitätskonstruktionen sind und Wunschdenken die Triebfeder ist. Albert Debrunner bemerkt zu Schmidt-Rohr: Ich glaube, man kann die Vergewaltigung der Wirklichkeit durch eine Theorie nicht weiter treiben; mit einem sprachlichen Kniff – der perfid wäre, wenn er nicht nationalistischtheoretischer Verbohrtheit entspränge – wird menschlicher Gemeinschaftswille abschätzig einer naturphilosophischen Wesensdeterminiertheit gegenübergesteilt, die Willensgemeinschaft der Wesensgemeinschaft.5 Mit der Gegenüberstellung von Wesens- und Willensgemeinschaft deutet Debrunner einen entscheidenden Zug ethnischen Wunschdenkens an: Die ethnische Identität wird als eine unwillkürliche Gemeinschaft postuliert, die allem gesellschaftlichen und sprachlichen Handeln vorausgeht und dieses berührt Geno- und Phänotyp; vgl. Yudell et al. (2016)) als auch pseudo-sozial (zum Sozialdarwinismus vgl. Clavien (2015)). Diese doppelte Haltlosigkeit, verbunden mit seiner Anschaulichkeit, hat zu seiner Beliebtheit beigetragen. Vgl. Bös (2005) 299–301. 4 Schmidt-Rohr (1932, 258). Ein Klassiker dieses Standpunkts ist Gustave LeBon, s. Keupp (2016, 28). Die von Humboldt, Steinthal, Lazarus und Wundt vertretene Idee der Völkerpsychologie hatte sich, wie Keupp (2016, 26–29) treffend hervorhebt, noch nicht bis zu dieser letzten Konsequenz „ein (Sprach-)Volk – eine Seele“ vorgearbeitet. 5 Debrunner (1958) 3. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 7 und prägt, aber ihrerseits davon unberührt bleibt und in ihrer Existenz nicht gefährdet ist. Welche Sprengkraft dieses ethnische Wunschdenken in all seiner Haltlosigkeit hatte und immer noch hat, offenbart sich, wenn die in der Tiefe gewitterte Wesensverwandtschaft als Forderung an die Oberfläche gerichtet wird und der Einzelne sich an dem, was in Sprachgeist, Volksart und Identität hineinprojiziert wird, messen lassen muss. Dann kommt es vor, dass er mit seiner „Identität“ gar nicht identisch ist. Die Konflikte und Scheußlichkeiten, die hier lauern, gehen, wie wir wissen, über das alltägliche homo homini lupus weit hinaus. Ein Beispiel bietet die türkische Sprachreform unter Kemal Atatürk (s. Ünver-Lischewski in diesem Band). Die 1928 kurz nach Einleitung der Reform ausgegebene Parole „Mitbürger, sprich Türkisch!“ hatte das Ziel, die Einheit des neugegründeten türkischen Staats durch eine einheitliche türkische Ethnizität und Sprache der Bevölkerung zu befestigen – ja mehr: durch die in die Tat umgesetzte Behauptung zu befestigen, ein Bürger des türkischen Staats habe als solcher automatisch auch eine ethnische, kulturelle und sprachliche türkische Identität. Was nicht gleich war, wurde gleich gemacht – weil es im Grunde, so die Idee, schon gleich war. Wer sich der oktroyierten Identität widersetzte, wurde gewaltsam darüber belehrt, wer er eigentlich war. Identität war die Forderung, das zu werden, was man aufgrund der kemalistischen Ideologie im Grunde schon war. Und sie war das Angebot, etwas als sein innerstes Wesen anzuerkennen, das man bis vor kurzem noch gar nicht kannte. Wörter wie Rasse sind heute verpönt. Identität gilt vielen als hohes Gut. Wie hat die Rede von der Identität den Weg von einem logischen Grundsatz in die öffentliche Welt ethnischer Gefühle und Forderungen genommen? Wie kann aus einem Prinzip, das sagt, dass A = A ist, ein Maßstab werden, der an A angelegt wird und zur Forderung führt, dass A B werden soll? In unserem Zusammenhang ist Identität ein Schlüsselbegriff. Ein Verständnis seiner Struktur und seiner schillernden Anwendungen im Bereich der Sozialpsychologie hilft, auch die Begriffe Sprachgemeinschaft und Ethnizität und die sich darum rankenden Ideologien besser zu verstehen. Der folgende Punkt soll die dafür nötigen – logischen wie missbräuchlichen – Schritte in idealtypischer Weise nachzeichnen. Dabei werden zwangsläufig Themen mehrerer Fachdisziplinen berührt, mit selektiver Literaturauswahl. Anders lässt sich die Entwicklung der paradoxen Natur von „Identität“ nicht verstehen. 8 Peter-Arnold Mumm 3 „Identität“ – ein logischer Begriff und sein leidenschaftlicher Missbrauch Das Wort Identität ist ursprünglich eine Kunstschöpfung für philosophischtheologische Zwecke. Gaius Marius Victorinus Afer – „ein vergessener praeceptor Europae“ 6 – prägte im 4. Jh. lateinisch identitas zusammen mit dem Oppositum alteritas als termini technici im Rahmen des philosophisch-theologischen Streits um die christliche Trinitätslehre.7 Die Wörter sind Lehnübersetzungen von gr. ταὐτότης ‚Selbigkeit‘ bzw. ἑτερότης ‚Andersheit‘. Das Wort Identität verdankt seine Geburt also dem Doppelcharakter der Trinität, die sowohl die Selbigkeit wie die Verschiedenheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist umfasst.8 Im Folgenden sollen die Verwendungen des Begriffs Identität in idealtypischer Abfolge dargestellt werden, aufsteigend vom Einfachen zum Komplexen. Wir beginnen, ähnlich wie John Locke (1975 [1700]) § 27, mit der einfachen logischen Relation und enden bei der Frage der Identität des menschlichen Individuums. Dabei wird sich zeigen, dass auch der sozialpsychologische Begriff der Identität und der multiplen Identitäten des modernen Menschen noch etwas vom ursprünglichen Gedanken der Identität, die vollkommene Gleichheit mit sich selbst, in sich trägt, und zwar mit einschneidenden Folgen. Oft ist nämlich gemeint, dass das Individuum nicht nur einfach eine Rolle spielt, sondern in seiner Identität – oder in seinen Identitäten – ganz und gar aufgehen will oder soll.9 Diese Idee werden wir herausarbeiten und mit der „tiefsitzenden Wesens- 6 Albrecht (2012) 1396. 7 Hofmann (1934); Bruce (1946); ThLL s. v. identitas; Gloy in TRE. – Victorinus nutzt die Darstellungsform des Briefwechsels mit einem – wohl fingierten – Korrespondenten namens Candidus, der dieselbe Sprache und literarische Technik wie Victorinus verwendet, s. Albrecht (2012) 1391. Victorinus ist der Urheber zahlreicher Neologismen: Albrecht (2012) 1392 f.; ausführlich Bruce (1946) 141 f. 8 Deswegen hat das Wort Identität sein trinitarisches Erbe aber nicht zeit seines Lebens mit sich herumgetragen. Brandt (2006) 39 weist überzeugend darauf hin, dass John Lockes Konzept der personal identity „schlechthin gar nichts“ mit den Problemen der Heiligen Dreieinigkeit zu tun hat: „die drei Personen Gottes (Vater, Sohn und Heiliger Geist), die eine substantielle Einheit bilden, haben keine Bewußtseinssorgen, und umgekehrt ist die menschliche Person weder trinitarisch aufgespalten noch argwöhnt sie, nur ein Drittel einer höheren, heiligen Einheit zu sein. Die Philosophiegeschichte deckt sich hier nicht mit der Wortgeschichte.“ 9 Ähnlich wie Locke von manchen Späteren vorgehalten worden ist, er gebrauche den Begriff von Identität äquivok – s. Balibar (2013) Glossar s. v. Identity –, mag auch mancher Leser dieser Zeilen den sozialpsychologischen Begriff der Identität nicht mit den Maßstäben des logischen Begriffs Identität messen wollen. Da der sozialpsychologische Begriff aber tatsächlich noch Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 9 verwandtschaft“ (s. o. § 2) in Beziehung setzen, die man für Sprachgemeinschaft und Ethnizität postuliert hat. 3.1 Tautologie (A ist A) Die Identitätsrelation in ihrer einfachen logischen Form besteht in einer Aussageform, die das Subjekt an Prädikatstelle wiederholt. Eine Rose ist eine Rose. Diese Aussageform ist, funktional gesehen, in sich widersprüchlich. Der Form des Aussagesatzes eröffnet mit der Prädikatstelle einen Ort für neue oder relevante Information, aber an die Stelle des Prädikats tritt nur wieder das Subjekt. Der Form nach wird eine Aussage gemacht, dem Inhalt nach nicht. Auf der ontologischen Ebene entspricht der tautologischen Aussageform der Grundsatz, dass eine Entität mit sich selbst identisch ist. Für sich genommen ist das ein schwer verständlicher Grundsatz. Denn wenn kein Anlass gegeben ist, daran zu zweifeln, dass etwas es selbst ist, ist die Versicherung, dass es so ist, irritierend zusammenhanglos. Der Grundsatz entfaltet seinen Sinn erst in der Reflexion: Wenn in oder an dieser Entität Veränderungen und Unterschiede auftauchen, wird man sich beim Nachdenken über die Entität genötigt sehen, sie als Ausgangs- und Orientierungspunkt festzuhalten. Rhetorisch kann die Widersprüchlichkeit der tautologischen Aussageform, eine Aussage zu machen und doch nicht zu machen, unterschiedlich genutzt werden: – als dichterisches Mittel: a rose is a rose is a rose;10 – als kognitive Emphase: Erkenntnis, dass A ein selbständiger Gegenstand ist;11 Spuren des logischen Begriffs in sich trägt, würde es die Erkenntnis abschneiden, sich mit der Konstatierung von Äquivokation zu begnügen. S.u. §§ 3.6.2, 3.6.3 und 3.10. 10 „Do we suppose that a rose is a rose. Do we suppose that all she knows is that a rose is a rose is a rose is a rose.“ Gertrude Stein, „Objects lie on a table“, in Stein (2002) 321. 11 „Ich war wie vom Donnerschlag gerührt, als mir eines Tages jemand, der nicht in unserer Kultur aufgewachsen war, aufgeregt mitteilte, er habe eine »Entdeckung« gemacht: die Entdeckung »Ich bin Ich«. Er hatte den Song »I am I« von Bob Marley gehört. Anfangs begriff ich nicht, was er meinte. Schließlich erklärte er mir, dass er bis zum Moment seiner Entdeckung das Ich niemals als etwas Losgelöstes aufgefasst hatte, das unabhängig von seiner familiären oder geschichtlichen Umgebung funktionieren könnte. Bisher war für ihn ein Ich ohne Kontext undenkbar gewesen.“ Eppink (2013) 1; Übersetzung PAM. (Tatsächlich handelt es sich, wie Eppink mir, die Anekdote kommentierend, mitteilt, um den Song Positive Vibrations, in dem die Phrase I and I bzw. I’n’I vorkommt. Der Gewährsmann hat sich also verhört. Für die Pointe dieser Anekdote ist das aber unerheblich.) – Das bairische mia san mia drückt dagegen keine überraschte Selbsterkenntnis aus, vgl. unten Anm. 13. 10 – Peter-Arnold Mumm als pragmatische Emphase: – autoritatives Signal an den Hörer, nicht weiter zu fragen;12 – Appell an den Hörer, von A nichts anderes zu erwarten als das, was zu den als bekannt präsupponierten Eigenschaften von A gehört: Was liegt, das liegt (bekanntes Argument beim Kartenspiel), Kinder sind (eben) Kinder, mia san mia ‚wir sind wir‘.13 In jedem Fall zielt die Tautologie – wenn sie rhetorisch genutzt wird und nicht auf reiner Gedankenlosigkeit beruht – darauf, festzuhalten, dass die in Rede stehende Entität nicht nach Belieben zu beurteilen ist, sondern gemäß ihrer Beschaffenheit; dass, wenn jemand A sagt oder über A redet, er sozusagen immer wieder auf A zurückkommen muss – für die einen ein elementarer logischer Grundsatz, für Anhänger der différance (s. u. Anm. 85) ein veraltetes Denkmodell. 3.2 Identifikation (A ist B [und B ist A] ) Informativ ist die Identitätsrelation dann, wenn im Einklang mit der Form des Aussagesatzes an Subjekt- und Prädikatstelle verschiedene Ausdrücke stehen. Diese Ausdrücke müssen natürlich, wenn es eine Identitätsrelation sein soll, denselben Umfang haben / sich auf dieselbe Entität beziehen (weshalb diese Aussageform im Gegensatz zu subsumtiven Aussagen [s. u. § 3.3] auch umkehrbar ist). Aber die Ausdrücke sind verschieden, und in der Regel ist damit eine unterschiedliche kognitive Zugangsweise zum Denotat / eine unterschiedliche Gegebenheitsweise des Denotats verbunden. Darin liegt der Erkenntnisgewinn solcher identifizierender Aussagen. 12 Falls die theologischen Übersetzungs- und Auslegungsversuche des Gottesnamens YHWH als ich bin der ich bin / ich werde sein, der ich sein werde zutreffen; vgl. TRE s. v. Jahwe, van Oorschot (1987), Gertz (2010) 122. Gegen die Zurückführung von YHWH auf das Verb für ‚(da)sein, werden‘ argumentiert Tropper (2017). Wie immer die Etymologie letztlich sein mag, die Deutung des Namens im Sinne einer aussagekräftigen Tautologie hat alte Tradition, beginnend vielleicht schon in Ex 3,13, fortgesetzt / umgedeutet in LXX. Hartenstein (2012) beschreibt den Namen YHWH mit „Undurchsichtigkeit“ und „beharrliche Markierung des Fürsichseins“. – Weinrich (1979) 642 vergleicht hiermit die spanische Formel soy quien soy: „Ehrenmänner und Damen von Ehre sagen »Soy quien soy«, wenn sie sich in einer Situation des dramatischen Wertkonfliktes entschlossen unter das Gesetz der Ehre stellen.“ 13 Vgl. Hundt (2006) und zum Motto des FC Bayern mia san mia den SZ-Artikel „San mia mia?“ von Hans Kratzer, Freitag, 9. August 2013 mit der von Marcus Rosenmüller gegebenen Erläuterung „… dieses Mia-san-mia-Schreien […] Das ist doch eh klar. I bin i, wer sonst?“. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 11 Auf der ontologischen Ebene entspräche dem die Idee einer Identifikation zweier verschiedener Dinge. Das wäre paradox. Denn die Dinge sind ja, so der Ausgangspunkt, verschieden, und Verschiedenes kann nicht dasselbe sein.14 Das Paradox löst sich, wenn man die beiden „Dinge“ nicht als für sich bestehende Dinge, sondern als Gegebenheitsweisen/Erscheinungsformen desselben „dahinter stehenden“ Dings, derselben Wesenheit, derselben Substanz erkennt. Z. B.: – Der Morgenstern ist der Abendstern. – Lösung: Die beiden sprechenden Eigennamen bezeichnen verschiedene Erscheinungsformen (A, B) desselben Planeten.15 Die Identifikation erfolgt auf Grundlage astronomischer Beobachtungen. – Pascal Mercier ist Peter Bieri. – Lösung: Künstlername vs. bürgerlicher Name. Den beiden Namen entsprechen unterschiedliche Gegebenheitsweisen. Wer die eine kennt, muss nicht zwingend auch die andere kennen. Durch die Identifikation werden beide Kenntnishorizonte zusammengeführt. – Der Mörder ist der Gärtner. – Lösung: Die beiden definiten Kennzeichnungen (definite descriptions) bezeichnen eine inferierte unbekannte Person (A) (Inferenz: es muss jemanden geben, der den Mord verübt hat) und eine bekannte Person (B). A wird, nachdem entsprechende Ermittlungen stattgefunden haben, mit B identifiziert. Der Mörder stellt sich sozusagen als Erscheinungsform des Gärtners heraus. – L’état c’est moi (geflügeltes Wort, Ludwig XIV. zugeschrieben). Das kongolesische Volk und ich sind ein und dieselbe Person (Mobutu).16 – Lösung: Niemand soll glauben, es gebe im Staat irgendeine Entscheidung bzw. im Volkskollektiv irgendeine Willensregung, die nicht direkter Ausdruck des Herrscherwillens wäre. – Der Ort, von dem aus Amerika ursprünglich besiedelt wurde, ist Sibirien. – Lösung: Eine definite Kennzeichnung, die sich auf einen inferierten, noch 14 „Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.“ Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus 5.5303. – Wittgenstein knüpft hier, ob absichtlich oder unabsichtlich, an den Ursprung des Identitätsbegriffs an: In der Trinitätslehre ging es tatsächlich darum, auszudrücken, dass zwei – bzw. drei – verschiedene Entitäten dieselbe Entität sind. S. o. Anm. 7. 15 Das Beispiel stammt bekanntlich von Gottlob Frege. Hier geht es nur um dieses Beispiel, nicht um Freges semantische Theorie, derzufolge solche „Arten des Gegebenseins“ einer Sache den sprachlichen Sinn eines Zeichens ausmachen, s. Frege (1892) 27; 32. – Ein appellativisches Gegenstück, in dem Gattungsnamen unterschiedliche Gegebenheitsweisen einer Sache ausdrücken, wäre Löwenzahn ∼ Pusteblume: „Von Pusteblumensalat hat noch niemand gesprochen, Löwenzahnsalat ist dagegen ein alter Frühlingsklassiker.“ Kriegel & Opitz (2004) 50. 16 Van Reybrouck (2013) 405. 12 – Peter-Arnold Mumm unbekannten Ort (A) bezieht (Inferenz: es muss einen Ort geben, von dem aus Amerika besiedelt worden ist), wird, nachdem entsprechende Ermittlungen stattgefunden haben, mit einem bekannten Ort (B) identifizert. Die Ermittlungen laufen hier über genetische Studien, die diese Identifikation nahelegen.17 Eine Identifikation kann auch spielerischer Natur sein, wie in Du bist der Bandit und ich bin der Detektiv.18 Die Lösung liegt hier einfach in der Vereinbarung, dass das temporär so sein soll. Über temporäre Identitäten, die mit gesellschaftlichem Ernst betrieben werden, s. u. (§ 3.6.3.b).19 Die Identität ist zunächst nicht offenkundig. Ist sie einmal festgestellt bzw. festgesetzt, haben die identifizierten Größen nicht mehr den Status verschiedener Dinge, sondern verschiedener Erscheinungsformen oder Teile einer einzigen komplexen Entität. Die Erkenntnis hat sich wie ein Faden durch sie gezogen und hält sie zusammen. Nicht-tautologische Identitätsaussagen setzen immer einen solchen Erkenntnisprozess voraus. Dieser mag trivial oder nicht-trivial sein, abgeschlossen oder noch unfertig. Wenn noch unfertig, ist die Identitätsaussage problematisch oder fraglich.20 Ist der Erkenntnisprozess abgeschlossen, bezieht sich die Identitätsaussage A ist B auf einen in seinem Aspektreichtum erschlossenen, mit und in seinen Erscheinungen kohärenten Gegenstand. 3.3 Subsumtion, auch „Identifikation“ genannt Auch Subsumtionen enthalten ein Moment der Identifikation, sind aber an sich keine Identifikationen. Ein ausgegrabenes Gebäude als Vorratsspeicher, Palast, 17 „Genetic studies of contemporary native populations from throughout the Americas […] do consistently identify Siberia as the likely source of origin.“ Waguespack (2015) 472; Hervorh. PAM. 18 Im Spanischen wird spielerische Identität von strikter Identität unterschieden und durch das „ludische Imperfekt“ ausgedrückt: Tú eras el bandido y yo era el detective. Cartagena (1984) 79. 19 Kognitiv-linguistisch gesehen bildet die strikte Identität, um die es hier geht, nur einen Punkt in einem semantischen Feld neben temporärer Identität, Ähnlichkeit, Nähe, annähernder Bewegung u. a. Schulze (2017) stellt eine kleine Typologie entsprechende Metaphorisierungsprozesse auf. Zur Typologie äquativer Vergleiche vgl. weiter Henkelmann (2006). 20 So die lange bezweifelte Identität von heth. Wilusa und gr. (W)ilios (= Troja) (vgl. Oettinger (2007), Crespo (2017)) oder die Gleichsetzung von heth. Aḫhi̮ jawa und gr. Akhaioi. Vgl. Beckman & Bryce & Cline (2011); Beckman (2016); zu Aḫhi̮ jawa und Ḫ iyawa s. Simon in diesem Band. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 13 Wohnhaus, Tempel, als einer bestimmten Zeit zugehörig usw. zu identifizieren21 heißt, es unter diese bekannten Kategorien zu bringen. Was hier mit diesen Kategorien identifiziert wird, ist genaugenommen aber nicht das Gebäude selbst, sondern seine Bauweise, sein Alter oder sonst eine Eigenschaft. Über die Gleichsetzung der am Gebäude vorgefundenen mit bekannten Eigenschaften wird das Gebäude in eine Kategorie eingeordnet. Es wird nicht selber identifiziert, denn eine Subsumtion lässt sich ja nicht rückwärts lesen. (Die Probe macht es anschaulich: Ein Satz der Form Ein Tempel wird als dieses Gebäude identifiziert ergibt keinen Sinn). Um Identifikation im eigentlichen Sinn würde es nur dann gehen, wenn z. B. ein Teil des Gebäudes verlorengeht, später wieder auftaucht und dann als dieser Teil wiedererkannt wird. Wenn der untersuchte Gegenstand allerdings ausschließlich als Vertreter einer Kategorie interessiert, ist seine Einordnung in diese Kategorie tatsächlich eine Art von Identifikation: Seine kategorientypischen Eigenschaften werden mit den Eigenschaften gleichgesetzt, über die die Kategorie definiert wird. Wenn es z. B. in der Ökologie um die Existenz und Verbreitung einer Art in einem Habitat 22 oder in der Paläontologie um die Zuordnung eines Knochens zu einer Art 23 geht, interessieren die beobachteten Individuen bzw. Knochen nur als Vertreter ihrer Art. Bei ihrer Beobachtung und Klassifizierung wird insofern eine „species identification“ vorgenommen.24 In solchen Fällen wird die Subsumtion auch Identifikation genannt, weil das Individuum nur als Träger kategorienbestimmender oder sonstwie wichti- 21 „In level 12 most of the buildings appear to be secular rather than ecclesiastical in character, although we may be tempted to identify one of them as a temple.“ Mallowan (1970) 382; Hervorh. PAM. 22 Southwood & Henderson (2000) 14. Vgl. den Bericht in der ZEIT, 13. 02. 1998, Nr. 8: „Der hielt das Tier für einen herkömmlichen Pazifikwaran, doch die eingehenden Untersuchungen der Bonner Biologen identifizierten die Echse als ein der Fachwelt bisher unbekanntes Wesen.“ DWDS-Kernkorpus (1900–1999), Stand 26. 11. 2017; Hervorh. PAM. 23 „Die Form der Zähne lässt Rückschlüsse auf die Ernährungsweise zu. Man kann herbivore, folivore und insektivore Gebisse identifizieren.“ Westheide & Rieger (2015) 354; Hervorh. PAM. 24 In einer strengen Terminologie würde man also vielleicht zwischen Bestimmung (Subsumtion) und Identifikation unterscheiden: „Unter Identifizierung wird in der Biologie die Wiedererkennung eines individuellen Lebewesens verstanden. Sie ist von der Bestimmung zu unterscheiden, der Zuordnung eines bislang unbekannten Individuums zu einer Art oder höheren taxonomischen Einheit. In Anlehnung zum Gebrauch in der englischen Sprache wird „Identifizierung“ (identification) mitunter aber auch gleichbedeutend mit „Bestimmung“ verwendet.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Identifizierung_(Biologie), Stand 26. 11. 2017). In der Praxis findet sich, soweit ich sehe, meist die laxere Terminologie. – In unserem Zusammenhang geht es nur um den Sprachgebrauch des Wortes Identifikation vor dem Hintergrund seiner ursprünglichen logischen Bedeutung. 14 Peter-Arnold Mumm ger Eigenschaften interessant ist – Eigenschaften, nach denen gefragt ist und die einen entscheidenden Aufschluss nicht über das Individuum, sondern über weitere Zusammenhänge geben sollen. Im Labor identifizierte man die Flecke als Blut 25: Hier wird nur die Materie identifiziert, nicht der Fleck selbst. Der Fleck selbst ist nämlich unwichtig, nur die Materie interessiert – so wie das ausgegrabene Gebäude nicht als Ansammlung von Steinen, sondern als kulturelles Denkmal interessiert, der ausgegrabene Knochen als Zeuge einer Spezies und das beobachtete Tier als Vertreter seiner Art.26 Sprachlich mag zur Verwischung der Grenze zwischen Subsumtion und Identifikation eine in vielen Sprachen zu beobachtende Ähnlichkeit der Aussageform beitragen: Sowohl in der Identifikation Das ist der Waran (den ich gestern gesehen habe) wie in der Subsumtion Das ist ein Waran steht eine singularische Nominalphrase an Prädikatstelle. Der Unterschied liegt natürlich in der definiten vs. indefiniten Nominalphrase. Üblicherweise interpretiert man in der Linguistik eine solche Verwendung einer indefiniten Nominalphrase an Prädikatstelle so, dass diese Phrase sich gar nicht auf einen Gegenstand bezieht, sondern nur eine Ausdrucksform für Subsumtion ist. Das erklärt aber nicht die sprachliche Ausdrucksform. Diese lässt sich eigentlich nur so analysieren, dass die indefinite Nominalphrase hier auf einen konstruierten Vertreter der Kategorie ‚Waran‘ referiert. Die Aussage Das ist ein Waran setzt das beurteilte Tier mit diesem konstruierten Vertreter gleich. Subsumtionen erfolgen so in Form von Identifikationen mit konstruierten Kategorienvertretern.27 Diese konstruierten Kategorienvertreter sind natürlich nur Pseudo-Entitäten, die in sich keine anderen Eigenschaften oder Merkmale als die der Kategorie tragen. Die Form der Identifikation steht damit nicht in Widerspruch zur tatsächlich vorgenommenen Subsumtion. Für ein Individuum heißt Subsumtion immer partielle Identität oder sogar weniger.28 Identifiziert wird eine prominente Eigenschaft des Individuums mit 25 dwds s. v. identifizieren (https://www.dwds.de/wb/identifizieren, Stand 26.11. 2017) 26 Für synthetisch gewonnene Stoffe, bei denen nur die Beschaffenheit, nicht aber die Herkunft interessiert, ist der vorsichtige Termins naturidentisch geprägt worden: „Ein naturidentisches Aroma ist eine Komposition aus chemisch definierten Aromastoffen, die die gleiche molekulare Gestalt wie natürlich vorkommende Aromastoffe haben – also chemisch identisch sind –, aber nicht (oder nur teilweise) aus natürlich vorkommenden Stoffen gewonnen werden.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Naturidentisches_Aroma, Stand 26. 11. 2017). Das Wort naturidentisch will sagen „einerseits, nämlich im Hinblick auf Stoff und Funktion, identisch, andererseits, nämlich im Hinblick auf die Herkunft, nicht“. 27 Näheres s. Mumm (1995a) 461 f. mit Anm. 102. 28 „Um eine Teilidentität im Unterschied zur vollständigen handelt es sich bei der begrifflichen (Beispiel: Hund und Pferd sind identisch als Tier), die Aristoteles (Metaphysik 1054a 32 ff.; 1018a 5 ff.) neben numerischer Identität (Du bist mit dir identisch) […] nennt und bei der Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 15 einem interessierenden Gesichtspunkt. Das Individuum selbst als Träger dieser Eigenschaft ist weder mit dieser Eigenschaft noch mit dem interessierenden Gesichtspunkt identisch, wird aber sozusagen mitverhaftet. Üblicherweise geht man freilich nicht so weit, allein aufgrund einer solchen subsumierenden Identifikation zu behaupten: „Die Identität des Individuums A liegt in seiner Eigenschaft xy.“ Dazu bedarf es weiterer Schritte. 3.4 Identität zeitgebundener Dinge Bei zeitgebundenen Dingen enthalten nicht-tautologische Identitätsaussagen neben einem Erkenntnis- auch einen Entscheidungsprozess: Ab und bis wann ist eine Entität sie selbst? Was kann unbeschadet ihrer Identität verlorengehen, was nicht? Eine zerbrochene Tasse ist vom Stoff her noch sie selbst, von Form und Funktion her nicht. Das Schiff des Theseus wurde von den Athenern so vollständig durchrestauriert, dass zwar seine Form erhalten blieb, aber von seiner ursprünglichen Substanz nichts mehr da war.29 Nach Heraklit steigen wir nicht zweimal in denselben Fluss: die Form ist dieselbe, aber nicht der Stoff.30 Der Zug Genf-Paris, Abfahrt täglich 20:45, ist heute derselbe wie morgen, auch wenn er materiell nicht derselbe ist: seine Funktion im System ist dieselbe.31 Zwischen Apfelblüte, Apfel und Kompott oder Kompost verändern sich Form, Substanz und Funktion kontinuierlich. Immer, wenn sich etwas verändert, steht eine Entscheidung über die zeitlichen Grenzen der Entität an. Identitätsaussagen über veränderliche Dinge können sich daher vervielfältigen und an Bedingungen geknüpft sein: A ist B, aber nur mit Hinblick auf die die Identitätsbeziehung durch Subsumption oder Subordination zweier Instanzen unter einen gemeinsamen Oberbegriff (Art und Gattung) zustandekommt.“ Gloy (TRE 16) 26. – Wenn die Subsumtion eines Individuums unter eine Kategorie nach dem Muster der Familienähnlichkeit erfolgt, liegt noch nicht einmal partielle Identität eines Merkmals oder Oberbegriffs vor, sondern die Zuordnung ist eher ganzheitlich-gestalthaft gerechtfertigt. 29 Plutarch, Theseus XXIII. S. auch Windelband (1910) 19 f. – Abrams & Dorst (2015) widmen sich dem Thema vielgestaltiger flüchtiger Identität auf literarische Weise. Danke an Catharina Busjan für den Hinweis. 30 Heraklit Fragment 12 Diels-Kranz (vgl. Gemelli Marciano (2007) 318 f.): „In dieselben Flüsse steigen sie – andere und andere Wasser fließen daher.“ Vgl. weiter B 49a, B 91 Diels-Kranz. Zur Interpretation – bleibt der Fluss trotz fließenden Wassers derselbe oder ändert er sich? Bleiben die Hineinsteigenden dieselben oder ändern sie sich? – vgl. Barnes (1982) 49–52, Gemelli Marciano (2007) 343, Graham (2013). 31 Saussure (1995 [1916]) 151; 414. Man mag „den Zug Genf-Paris, Abfahrt täglich 20:45“ für eine Klasse von Zügen halten. Aber er hat üblicherweise eine einzige Nummer und wird im Singular bezeichnet. 16 Peter-Arnold Mumm Substanz, sonst nicht / nur mit Hinblick auf die Form, sonst nicht usw. Apfelsaft ist der Substanz nach Apfel, auch wenn er der Form nach kein Apfel mehr ist. Ein nur noch in einigen Grundmauern erhaltener Tempel ist noch ein Tempel, wenn man von diesem Tempel nichts anderes erwartet, als ein historisches Denkmal zu sein. Eine abgebrannte Kirche ist dagegen nicht mehr unbedingt eine Kirche, sofern man unter Kirche nämlich ein Gebäude versteht, in dem man einen Gottesdienst abhalten kann. Wiederum entscheidet der von außen angelegte Gesichtspunkt: für ein kulturelles Denkmal genügen Grundmauern, für einen zu praktizierenden Kultus nur in Ausnahmefällen. 3.5 Identität individueller Lebewesen Lebewesen sorgen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – für ihre Identität selbst. Sie organisieren und reproduzieren sich in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Nach Maturana und Varela ist damit bereits die Grundstruktur des Lebens beschrieben, und es sind keine vitalistischen oder teleologischen Zusatzannahmen nötig, um zu verstehen, was Leben ist und wie es funktioniert: If one says that there is a machine M, in which there is a feedback loop through the environment so that the effects of its output affect its input, one is in fact talking about a larger machine M′ which includes the environment and the feedback loop in its defining organization. Autopoietic machines are homeostatic machines. Their peculiarity, however, does not lie in this but in the fundamental variable which they maintain constant. An autopoietic machine is a machine organized […] as a network of processes of production (transformation and destruction) of components that produces the components which: (i) through their interactions and transformations continuously regenerate and realize the network of processes (relations) that produced them; and (ii) constitute it (the machine) as a concrete unity in the space in which they (the components) exist by specifying the topological domain of its realization as such a network. It follows that an autopoietic machine continuously generates and specifies its own organization through its operation as a system of production of its own components, and does this in an endless turnover of components under conditions of continuous perturbations and compensation of perturbations. Therefore, an autopoietic machine is an homeostatic […] system which has its own organization (defining network of relations) as the fundamental variable which it maintains constant.32 32 Maturana & Varela (1980) 78 f. (Hervorh. im Original). – Die metaphorische Bezeichnung des Organismus als Maschine hat sich nicht durchgesetzt. Heute redet man meist wieder von Organismen. Über die Begriffsgeschichte von Organismus und die Maschinen-Metapher informiert ausführlich Toepfer (2011) Bd. 2, 777–842. Toepfer trägt dort (788 f.) auch knapp 40 Definitionen von Organismus zusammen. Vgl. auch das Kapitel „Autonomie“ in Penzlin (2016) 429– 458. Zur Geschichte des Begriffs Homöostase s. Toepfer (2011) Bd. 3 s. v. Regulation, insbesondere 155, 179 f., sowie Borck (2014). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 17 Wenn dies richtig ist, dann ist damit, wie Sir Stafford Beer im Vorwort zum eben zitierten Werk hochgestimmt ausruft, das „Problem der Identität gelöst“ 33 – zumindest das der biologischen Identität höher organisierter individueller Lebewesen. Diese biologische Identität liegt nicht in einem unwandelbaren innersten Kern, nicht in einer vitalen Kraft o. ä., sondern in Struktur und Funktionsweise der „autopoietischen homöostatischen Maschine“, durch die sich diese immer wieder neu regeneriert, Teile von sich absondert, neue Stoffe aufnimmt, umbaut und sich so in ihrer Individualität und Identität erhält.34 Das Prinzip der autopoietischen Identität des lebendigen Individuums hat von zwei Seiten her eine Relativierung erfahren. – Die Selbstreproduktion der Individuen ist möglicherweise nur ein Epiphänomen der Selbstreproduktion übergeordneter Einheiten – der Art oder der „egoistischen“ Gene (selfish genes). Aber auch wenn das so ist, bleibt Autopoiesis die – ggf. anderen selbstreproduktiven Mechanismen untergeordnete – Form des lebendigen Individuums.35 33 Maturana & Varela (1980) 66. 34 Der Begriff Autopoiesis, wörtl. ‚Selbstmachen, Selbstschöpfung‘, bezieht sich auf das Individuum, sobald es auf die Welt gekommen ist und bis es stirbt. Er bezieht sich auf den Prozess des Lebens. Geburt und Tod umfasst er nicht. – Ausführlich zum biologischen Begriff des Individuums Toepfer (2011) Bd. 2, 159–180. 35 Zum Dualismus bzw. Antagonismus von Selbst- und Arterhaltung vgl. Toepfer (2011) Bd. 1, 132–140. Zum selfish gene Dawkins (1996) 357: „[…] Zwiespalt […], was das fundamentale Agens, die treibende Kraft, des Lebens ist – das Gen oder der individuelle Körper. Auf der einen Seite haben wir das verlockende Bild unabhängiger DNA-Replikatoren: Wie Gemsen springen sie frei und ungehindert durch die Generationen, lediglich zeitweilig zusammen in Wegwerf-Überlebensmaschinen eingeschlossen, unsterbliche Spiralen, die sich von einer endlosen Kette von Sterblichen befreien, während sie vorwärtsdrängen und sich Bahn brechen in Richtung auf ihre separaten Ewigkeiten. Auf der anderen Seite sehen wir die einzelnen Körper, und jeder von ihnen ist offensichtlich eine kohärente, ein Ganzes darstellende, unendlich komplizierte Maschine mit deutlich erkennbarer Einheit der Absicht.“ – Zur Frage, was die eigentlichen Agentien des Lebens sind – Organisms, Natural Kinds as Homeostatic Property Clusters, Genes – vgl. Wilson (2005) 121–164 und passim. – Auch die soziobiologische Anwendung der Theorie vom Primat der Arterhaltung oder der Selbstreproduktion der Gene schließt ein und geht davon aus, dass lebendige Individuen selbstreproduzierende Systeme sind, wie auch immer das mit der Weitergabe der Gene und dem Gattungsleben verbunden ist. Vgl. van den Berghe (1981) 7 f.: „organisms are but ephemeral »survival machines« (in Dawkins’ phrase) for potentially eternal genes. An organism is but a gene’s way of replicating itself – through the organism’s reproduction […] There is now overwhelming evidence, ranging from social insects to vertebrates, that animal societies are held together in good part by nepotism […] Related animals enhance each others’ fitness by cooperating. Animals are social to the extent that they increase their fitness by staying together (e.g. to nurture their young, defend against predators, or forage and hunt more effectively). If, in addition to cooperating, they favor their kin, they 18 – Peter-Arnold Mumm Die Grenze des Organismus gegen die Umwelt ist nicht so scharf, wie sie scheint. Schon Maturana & Varela (1980), s. o., sprechen von einer „larger machine M′ which includes the environment and the feedback loop“. Organismen stehen nicht nur durch ihren Stoffwechsel in ständigem Austausch mit der Umwelt, sondern eben deshalb ist auch die Funktionsweise der Organismen nur mit Einbeziehung der Umwelt verständlich. Die so einbezogene Umwelt ist die „ökologische Nische“, in der die Organismen leben. Organismen verändern ihre ökologische Nische auch, sie „konstruieren“ sie. Und umgekehrt wirkt die Umwelt verändernd auf den Phänotyp der Organismen ein.36 Angesichts dieser Wechselwirkungen lässt sich die Autopoiesis lebendiger Organismen nicht mehr „in“ diesen verorten, sondern im ökologischen System, in dem sie leben. Die Lokalisierung der Autopoiesis ist aber ohnehin nur eine Hilfsvorstellung – man möchte gerne wissen, wo der Steuermann sitzt. Sie ist aber nicht konstitutiv für deren Funktionsweise, deren Grundgedanke es ja gerade mit sich bringt, dass es keinen vom Lebensprozess unabhängigen und diesen in Gang haltenden Steuermann gibt. Das Prinzip der Autopoiesis lebendiger Individuen bleibt also trotz dieser beiden Relativierungen im Wesentlichen unangetastet. Anders als beim Schiff des Theseus ist es bei Lebewesen somit keine Frage des Gesichtspunkts und endlosen sophistischen Streits, ob das komplett durchrestaurierte Schiff noch dasselbe sei wie das ursprüngliche. Lebewesen können ihr Zellmaterial mehrmals während ihres Lebens vollständig austauschen, und doch zweifelt die Biologie nicht daran, dass diese Lebewesen währenddessen dieselben Individuen bleiben. Lebewesen ändern auch ihre Form, in weit auseinanderliegenden Lebensetappen oft bis zur Unkenntlichkeit. Und dennoch lässt ihre autopoietische Existenzweise37 keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es sich um ein und dasselbe Individuum handelt, welche Metamorphosen auch immer es durchlaufen mag.38 further enhance their fitness by fostering not only their own direct reproduction, but also the reproduction of relatives who share a proportion of their genes.“ 36 Sultan (2015) 31–47 und passim. 37 Die Gesichtspunkte, unter denen die Frage der Identität zeitgebundener Dinge und lebendiger Wesen in §§ 3.4 und 3.5 diskutiert werden, sind die vier Aristotelischen Ursachen: Stoff, Form, Ursprung und Zweck. Arist. Met. 5,2,1013a24 ff. Diese Ursachen finden sich u. a. in den biologischen Individualitätsaspekten Abgrenzungseinheit (Horon), Funktionseinheit (Allelon) und Entwicklungs- oder Evolutionseinheit (Metamorphon) wieder, vgl. Toepfer (2011) Bd. 2, 164. 38 Das ist natürlich vereinfacht. Das Leben ist nicht an Individualität gebunden, wie Schleimpilze und andere Lebensformen zeigen. In unserem Zusammenhang genügt es aber, auf individuelles Leben einzugehen. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 19 Dem entsprechen die Instrumentarien für individuelle Wiedererkennung: „Fang-Wiederfang-Methode“ wildlebender Tiere, Identifizierung aufgrund natürlich gegebener oder künstlich angebrachter individueller Wiedererkennungsmerkmale;39 Implantation von Mikrochips bei Haustieren wie Hunden und Katzen.40 Die Identifizierung kennt hier keine Ermessensspielräume wie in § 3.4, sondern erfolgt im einfacheren Modus von § 3.2. 3.6 Soziale Subsumtionen, auch „Identitäten“ genannt. Die paradoxe Welt rein emischer Identitäten 3.6.1 Zur Erinnerung: die biologische Identität des Menschen Als soziale Wesen greifen menschliche Individuen in ihrer Autopoiesis auf eine erweiterte Umwelt aus. Sie werden in natürliche und gesellschaftliche Bedingungen hineingeboren und zugleich in eine von der Gesellschaft umgeformte Natur (bzw., ökologisch gesprochen, in eine vom Menschen konstruierte Nische). All dies zusammen macht die „larger machine M′“ aus (s. o. § 3.5), in deren Rahmen das menschliche Individuum seine Handlungsmöglichkeiten ausloten und seine Organisation und Reproduktion vornehmen kann bzw. muss. An der durchgängigen Identität des menschlichen Individuums ändert sich dadurch nichts. Auch als zoon politikon, selbst als „homo sociologicus“ (Dahrendorf) bleibt der Mensch ein Lebewesen. Lediglich ist die „larger machine M′“, in deren Rahmen der Mensch seine Reproduktion organisiert, größer als der ökologische Lebensraum anderer Lebewesen. Die biologischen Gründe für seine durchgängige Identität sind aber dieselben wie die unter § 3.5. besprochenen. So werden auf den Menschen im Prinzip auch dieselben Wiedererkennungsmethoden angewendet wie auf Tiere. Der „Fang-Wiederfangmethode“ entspricht die erkennungsdienstliche Behandlung von Straftätern oder Asylsuchenden. Lückenlos wird die Bevölkerung mit der staatlichen identity card / carte d’identité erfasst. Nicht von ungefähr bezieht sich diese neben dem Namen auf biologische Merkmale: das Geburtsdatum, ein biometrisches Foto und ggf. einen Fingerabdruck, künftig vielleicht einen genetischen Fingerabdruck 39 Vgl. Jehle (1997); Southwood & Henderson (2000) 74–12. 40 Vgl. http://www.carodog.eu/identification-and-registration/; https://www.animaldata.com/ x3/service.php?Funktion=CHIPPFLICHT; https://www.bmgf.gv.at/home/Service/FAQ_Haeufige_​ Fragen_/​Chip_Pflicht_Kennzeichnung_und_Registrierung_von_Hunden u. a. (Stand 29. 12. 2017). 20 Peter-Arnold Mumm und einen implantierten Chip. Natürlich sind das nur Identifikationsmerkmale und nicht das, was ein Individuum gerne als wesentlichen Kern seiner Identität gelten lassen würde.41 Aber auch wenn es nur äußere Identifikationsmerkmale sind, geben sie doch einen Hinweis auf die biologische Grundlage der menschlichen Identität. So ist es auch keine taugliche Strategie, einer Verhaftung mit dem Argument entgehen zu wollen, die Verhaftung sei gar nicht möglich, da man seine Identität ja ständig ändere. Verhaften möge man in Gottes Namen eine Zeitscheibe, aber bitte nicht den Rest. Biologische Identität sei ein naives Konstrukt, ob sich der postmoderne Diskurs denn nicht mittlerweile auch bis zur Polizei herumgesprochen hätte. 3.6.2 Der Wechsel auf die emische Perspektive: Identität = Identitätsbewusstsein Warum ist Identität für die gegenwärtige Sozialpsychologie dann so problematisch? Tatsächlich haben wir mit dem Übergang von § 3.5 zu § 3.6 eine neue Welt betreten. Identität hat jetzt eine emische Bedeutung. Gemeint ist nicht mehr die biologische Autopoiesis des lebendigen Individuums, sondern die Welt der Bilder, die das Individuum von sich entwirft. Das Material zu diesen Bildern schöpft das Individuum nicht autark aus sich selbst, sondern aus den reichen gesellschaftlichen Angeboten an Persönlichkeitsmerkmalen. Deren Übernahme und Formung liegt aber beim Individuum. Nur in dieser Bedeutung – ‚self-conception‘ (Goffman), ‚Selbstbild‘, ‚Identitätsbewusstsein‘ u. a. – wird Identität in der Sozialpsychologie gebraucht (bzw. nur aufgrund dieser emischen Bedeutung ist der Gebrauch dieses Worts in der Sozialpsychologie halbwegs verständlich). Fragt man nach den Gründen für diese Bedeutungsverlagerung, werden in heutigen wissenschaftshistorischen Darstellungen philosophie- und sozialhistorische Grundlagen genannt. 41 Die folgende Reflexion spielt mit der Verschränkung und Verwechslung äußerlicher Identifikations- und wesentlicher Persönlichkeitsmerkmale: „Jeder, der je schon seinen Personalausweis, seine »Identity Card« mit kritisch-nachdenklichen Augen betrachtet hat, wird zugeben, dass dies bei ihm eigentümliche Empfindungen ausgelöst hat. Da werden ein Leben, eine Biografie, eine Individualität, ein lebendiger Körper, Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen, Erinnerungen, Wertkonstellationen auf wenige Kenndaten wie Größe (gemeint ist die Länge des eigenen Körpers), Farbe der Augen (gemeint ist die Iris), Geburtsort, Name, Staatsangehörigkeit und Wohnort heruntergebrochen. Das also soll ich sein!?“ Danzer (2017) 15. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 21 Philosophiehistorisch liegt die entscheidende Weichenstellung in der cartesianischen Trennung von res extensa und res cogitans und der Verortung des eigentlich menschlichen Wesens in der res cogitans, mithin in der Binnenperspektive der Identität. Ein kurzer Blick auf den Descartes-Antipoden John Locke mag das illustrieren. In Kap. 27 seines Essay Concerning Human Understanding handelt Locke zunächst in §§ 3–5 über die Identität der Pflanzen und Tiere und kommt zu dem Schluss, diese liege – nicht in deren Stoff oder in deren Teilen oder in einer (metaphysischen) Substanz, sondern – in deren Lebendigkeit. Dasselbe gilt nach Locke (§ 6) auch vom Menschen: This also shews wherein the Identity of the same Man consists; viz. in nothing but a participation of the same continued Life, by constantly fleeting Particles of Matter, in succession vitally united to the same organized Body. Diese Identitätsdefinition gilt aber nur für den Menschen als Lebewesen. Die persönliche Identität definiert Locke anders (§ 9): to find wherein personal Identity consists, we must consider what Person stands for; which, I think, is a thinking intelligent Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self, the same thinking thing in different times and places; which it does only by that consciousness, which is inseparable from thinking […]. […] since consciousness always accompanies thinking, and ’tis that, that makes every one to be, what he calls self; and thereby distinguishes himself from all other thinking things, in this alone consists personal Identity, i.e. the sameness of a rational Being […]. Wie Locke diese beiden Identitäten miteinander zu vermitteln gedachte, ist für den mainstream der Rezeptionsgeschichte nicht wichtig geworden. Das Interesse hat sich zunehmend allein auf die persönliche Identität gerichtet – und damit auf die emische Sichtweise der menschlichen Identität.42 Der Hintergrund dieser Interessensverlagerung liegt in der Sozialgeschichte.43 Müller weist treffend darauf hin, 42 Die heutige Locke-Exegese kreist hauptsächlich um Fragen des Bewusstseins, der Persistenz der Seele und der Ein- oder Mehrdeutigkeit der von Locke verwendeten Begriffe. Nach Balibar (2013; vgl. auch Sandford 2013) ist nicht Descartes, sondern Locke der „Erfinder“ des Bewusstseins. Zu dieser These meint Brandt (2006) 43 Anm. 9: „dass die Antike das Phänomen des Gewissens und des Bewusstseins kannte, ist ein Faktum, das man nur als Narr oder Genie bezweifeln kann.“ Brandt (2006) ist einer der Wenigen, die der Frage nachgehen, wie Locke die biologische Identität mit der persönlichen Identität zusammendenkt. Im Kern arbeitet Brandt als dieses vermittelnde Moment die Sorge (concern) um sich selbst heraus, stellt aber (49 f.) zu Recht die Frage, warum Locke diese Sorge nicht auch bei den Tieren erkennt. 43 Vgl. die großen Abhandlungen von Eppink (2013) und Abels (2017). 22 Peter-Arnold Mumm dass grundsätzlich die Erfolgsgeschichte des Identitätsbegriffs nur vor dem Hintergrund des Individualisierungsprozesses in der Moderne und länger zurückreichender gesellschaftlicher Entwicklungen zu verstehen ist.44 Man mag nun sagen, dass der emische sozialpsychologische Identitätsbegriff eben ein anderer als der der Logik und der etische der Biologie sei und dass man beides nicht miteinander vergleichen solle. Es zeigt sich aber, dass der sozialpsychologische Identitätsbegriff folgenschwere Spuren des logischen Identitätsbegriffs in sich trägt. 3.6.3 Aporien sozialpsychologischer Identitätsbegriffe Betrachten wir die folgenden Überblicksdarstellungen sozialer/personaler Identität: Identität kann dabei sehr unterschiedlich verstanden werden: als (kognitives) Selbstbild, als habituelle Prägung, als soziale Rolle oder Zuschreibung, als performative Leistung, als konstruierte Erzählung usw. Dabei wird deutlich, dass Identität nicht nur etwas mit den Individuen und ihren Kompetenzen, sondern zentral auch etwas mit sozialen und kulturellen Lebenslagen zu tun hat.45 A social identity defines a person or set of persons in terms of the meanings and expectations associated with a socially constructed group or category of people, and locates a person within socially structured sets of relations. Social identities define persons as members of particular groups or sets of people and hence not others (e.g., a Jew may define herself as Jewish and as therefore different than Christians and Muslims) […] An individual may possess many social identities, but those identities will vary in their importance, centrality, or salience within different contexts, in turn affecting behavior differentially. […] A personal identity is a set of meanings and expectations specific to a given individual. Personal identity is associated with a personal name, a body and appearance (e.g., a clothing style), a biography and personal history (e.g., within a particular family network), a unique constellation of social identities, and a set of personality characteristics and traits […]. Of the three forms of identity discussed here, personal identity is considered the most enduring and essential representation of a person, although its content may be presented differently to different audiences and may be redefined over time. Whereas social and situational identities focus on people as members of categories of persons – as similar to other members – a personal identity identifies the individual as unique. No two people are likely to share the exact same set of social identities, much less the same personal history and personality. But as with other forms of identity, personal identity functions to situate individuals within socially structured worlds […]46 44 Müller (2011) 23. 45 Zirfas (2010) 9. 46 Vryan (2007) 2016 f. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 23 Die wichtigste Frage ist hier: Warum nennt man diese Relationen „Identitäten“? a. Soziale Identitäten sind nichts anderes als Subsumtionen („persons as members of particular groups or sets of people“). Zweifellos sind solche Gruppenzugehörigkeiten besonders wichtige Eigenschaften von Individuen, wichtig für die Gesellschaft und prägend für das Individuum. Aber so wichtig und prägend eine Eigenschaft für ihren Träger auch sein mag – identisch werden beide nicht. Sie könnten nur in zwei Fällen identisch gesetzt werden: – wenn die Gruppe, zu der das Individuum gehört, genau ein Element besitzt, nämlich eben dieses Individuum (s. die Beispiele oben unter § 3.2). Das ist bei einer sozialen Gruppe aber nicht der Fall. Der Gedanke der „Gruppe“ wäre sinnlos. – wenn das Individuum ganz auf die Eigenschaft reduziert wird, die es in seiner sozialen Rolle hat. Dann ist ein überaus radikaler Schritt vollzogen. Er impliziert, dass das Individuum jeweils aus nichts anderem besteht als aus seiner sozialen Rolle.47 b. Da ein Individuum in zahlreichen sozialen Verhältnissen steht, hat es demzufolge eine „multiple Identität“.48 Das ist zwar eine contradictio in adiecto. Das Individuum kann sich nun mit Richard David Precht die paradoxe Frage stellen: „Wer bin ich (– und wenn ja, wie viele)?“ Aber aus Gründen, die wir in §§ 3.8 und 3.9 streifen, scheint die Idee einer multiplen Identität großen Anklang zu finden. Aus einer solchen multiplen Identität besteht dann die persönliche Identität (personal identity) – wiederum eine Subsumtion. Das darin versammelte Eigenschaftsbündel ist zwar so spezifisch, dass nur das Individuum selbst darunter fällt: Zu einem »Individuum« im Sinn einer nicht mit anderen geteilten Einzigkeit wird der Einzelne dadurch, dass er im Schnittpunkt vieler sozialer Kreise steht. Je mehr Kreise sich 47 In seiner kurzen Schrift „Wer denkt abstrakt?“ charakterisiert G. W. F. Hegel die Reduktion eines Individuums auf seine soziale Rolle so: „Es wird also ein Mörder zur Richtstätte geführt. Dem gemeinen Volke ist er nichts weiter als ein Mörder. Damen machen vielleicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, schöner, interessanter Mann ist. Jenes Volk findet die Bemerkung entsetzlich: was, ein Mörder schön? […] Dies heißt abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm [zu] vertilgen. […] Ganz anders hörte ich einst eine gemeine alte Frau, ein Spitalweib, die Abstraktion des Mörders töten und ihn zur Ehre lebendig machen. Das abgeschlagene Haupt war aufs Schaffot gelegt, und es war Sonnenschein; wie doch so schön, sagte sie, Gottes Gnadensonne Binders Haupt beglänzt! –“ Hegel (1970 [1807]) 577–579. 48 Burke (2003); Burke & Stets (2009) 130–151; Rebillard (2012) 3–5. 24 Peter-Arnold Mumm nämlich in einer Person überschneiden, umso einzigartiger ist diese Konstellation. Simmel schreibt: »Die Gruppen, zu denen der Einzelne gehört, bilden gleichsam ein Koordinatensystem, derart, dass jede neu hinzukommende ihn genauer und unzweideutiger bestimmt. Die Zugehörigkeit zu je einer derselben lässt der Individualität noch einen weiten Spielraum; aber je mehr es werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass noch andere Personen die gleiche Gruppenkombination aufweisen werden, dass diese vielen Kreise sich noch einmal in einem Punkt schneiden.« (Simmel 1890, S. 240) So kann man denn auch unter Persönlichkeit die individuelle Kombination der Elemente der Kultur verstehen.49 Die Summe der Eigenschaften, die in einer solchen persönlichen Identität versammelt sind, mag sicher genügen, um das betreffende Individuum so ausführlich zu beschreiben – ähnlich wie in einer kombinierten Rasterfahndung –, dass es als eben dieses Individuum identifiziert werden kann. Insofern könnte man versucht sein, zu sagen, dies sei „seine Identität“. Aber das stimmt nicht. Denn was hier völlig verlorengeht, ist die Identität des Individuums mit sich selbst. Das Individuum besteht hier nur daraus, Schnittpunkt sozialer Kreise zu sein – und diese bewegen sich, so wie es selbst sich fortwährend in ihnen bewegt. Die „kombinierte Rasterfahndung“ trifft daher immer nur für einen begrenzten Zeitraum zu. Danach zielt sie ins Leere oder trifft jemand anderen, denn das Individuum hat sich und seinen Schnittpunkt verlagert. Es mag sein, dass eben das mit „personaler Identität“ gemeint ist – eine jeweilige Momentaufnahme, eine „Zeitscheibe“ (time slice) eines Individuums. Anschauungsmaterial für solche temporären personalen Identitäten bieten Kontaktanzeigen: „Junggebliebener Akademiker, sportlich, schlank, humorvoll, sucht …“.50 c. Um einen bloß schnittmengenartigen Begriff personaler Identität zu überwinden, ist der Begriff der Ich-Identität eingeführt worden. Ich-Identität bezeichnet den Ausgleich, den das Individuum immer wieder zwischen seinen Rollen und seinen Bedürfnissen stiftet: Ich-Identität stellt ein Referenz- und Ordnungsschema dar, welches einerseits eine Lösung intrapsychischer Divergenzen und Konflikte zwischen sozialer und personaler Identität anstrebt und andererseits Orientierung bezüglich Einstellungen und Handlungen gibt.51 Auch dieser vom Individuum immer wieder neu vorzunehmende Ausgleich gibt aber keine Auskunft darüber, „wer“ das Individuum „eigentlich“ ist und 49 Abels (2009) 347. 50 Ausführlich hierzu Willemsen & Engelke (2015). 51 Müller (2011) 89. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 25 was seinen über die ganze Lebensspanne hin unwandelbaren Kern ausmacht. Ich-Identität gilt typischerweise nicht als fertige Aussage, sondern als Problem, Aufgabe und unabgeschlossener Prozess nach dem Muster „Werde, der du bist!“.52 Solange dieser Imperativ aber seine Grundlage nicht aus der biologischen Identität schöpft, bleibt er eine leere Form, die immer und nie erfüllt werden kann. Dann lässt sich jede Momentaufnahme des Individuums gleichermaßen als Verwirklichung wie als Verfehlung seiner wahren Natur deuten, und die wahre Natur des Individuums lässt sich beliebig aus jeder seiner Momentaufnahmen konstruieren oder in Kontrast gegen sie stellen. Je nachdem ist die Identität dann eine bis zur Verzweiflung unlösbare Aufgabe – und das Individuum ein wesenloses Etwas ohne persönliche Substanz und Geschichte, aber mit vollem Terminkalender, atemlos von einer Identität zur nächsten eilend – oder aber stets bequem bei der Hand und sagt wie der Igel zum Hasen „Ick bün al hier!“ – Warum also nennt man all diese Relationen „Identitäten“, obwohl sie nicht die logische Struktur der Identität haben? Zwei Gründe sind denkbar: – Das Bewusstsein kann sich in augenblickliche, mittelfristige oder langfristige Rollen, Zustände oder Eigenschaften versenken. Damit ist es flexibel, temporäre Identitäten aller Art herzustellen. Zu den Motiven, die zu dieser Versenkung führen, vgl. unten §§ 3.8 und 3.9. – Aus welcher Außenperspektive auch immer das Interesse an Gleichsetzung von Individuum und Rolle stammt – es ist darauf aus – oder sieht es so –, dass das Individuum sich mit all seinen Ressourcen und seinem ungeteilten Willen für diese Rolle zur Verfügung stellt und sie ganz und gar ausfüllt; und dass es nichts anderes als diese Rolle „ist“. Grundlage dieser Sichtweise kann eine gesellschaftliche Struktur sein, in der das Individuum „soziozentrisch“ in die Familie oder einen sonstigen Verband eingefügt ist und nicht als Einzelwesen für sich sorgt.53 Grundlage kann aber auch 52 Danzer (2017) Kap. 9: „Über die allmähliche Verfertigung unseres Ichs durch das Leben“ (S. 195–213). – Abels (2017) 200: „Identität ist das Bewusstsein, ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinandersetzung mit Anderen eine Balance zwischen individuellen Ansprüchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben.“ Vgl. Anselm & Werani (2017) 70–72. – Adornos berühmter Ausspruch „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen“ (1951) 80 lebt von der zugleich aufklärerischen und elitären Idee, dass man sich sein Ich erst durch viel Reflexion verdienen müsse und ein vom Standpunkt bloßer Rollen-Identität geäußertes „Ich meine“ oder „Ich will“ genausogut auf die Nennung eines Ichs verzichten könnte. 53 Vgl. den anekdotischen Bericht oben in Anm. 11. Ein Beispiel für die soziozentrische Definition einer Verwandtschaftsrelation ist jap. senzo in der Bedeutung ‚jemand, dem Verehrung 26 Peter-Arnold Mumm eine moderne westliche Gesellschaft sein, in der dies der Fall ist. Dann ist die Gleichsetzung von Individuum und Rolle eine Forderung. Es ist, wie wenn dem Individuum gesagt würde „Du sollst erfüllen“. Wird diese Forderung in der Realität geltend gemacht, handelt es sich um oktroyierte Identität – von der Versklavung über die staatliche Schaffung eines „neuen Menschen“ bis hin zu den „Erwartungen“, die ein moderner Betrieb an seine Mitarbeiter richtet. An solchen Verhältnissen zeigt sich besonders deutlich, dass soziale Identitäten das Individuum theoretisch und praktisch auf einen Teilaspekt reduzieren. Das gilt auch für die Ich-Identität, sofern diese nicht biologisch fundiert ist. 3.6.4 Die Notwendigkeit einer sowohl emischen wie etischen Sicht auf die menschliche Identität Das Konzept der – emischen – sozialen Identitäten setzt wie das der personalen Identität nolens volens die – etische – biologische Identität voraus. Nicht dass die sozialen Relationen, die mit den Termini Gruppenzugehörigkeit, Rolle u. a. beschrieben werden, und der mit dem Begriff Ich-Identität bezeichnete Prozess des steten Ausgleichs nicht real wären. Aber ohne die Grundlage der biologischen Identität würden sie überhaupt nicht funktionieren. Die proteushaft sich aus vielfachen sozialen Identitäten und individuellen Triebkräften zusammensetzende persönliche Identität erhält ihren Spannungsreichtum und ihre Problematik überhaupt erst dadurch, dass es ein Individuum mit einer einzigen biologischen Identität ist, das sich mit all dem auseinandersetzt. Es ist eigenartig, wie wenig das reflektiert wird. Fast scheint es, als ob die biologische Identität einfach einem anderen Fach – der Biologie eben – überlassen worden wäre.54 Dabei spielt sie auch gesellschaftlich eine so zentrale Rolle, dass sie eigentlich nicht zu übersehen ist: – Vom Individuum aus als Grundlage, von der aus es seine gesellschaftliche Rollenvielfalt zu bewältigen hat. gebührt, Seele einer Person, die ausschließlich innerhalb der eigenen Familie zu verehren ist‘ (und nicht in der neutralen, blassen Bedeutung ‚Ahn, berühmter Vorfahr, Familiengründer‘). Siehe den Beitrag von Göhlert in diesem Band. 54 Das Argumentieren mit biologischen Gegebenheiten in gesellschaftlichen Zusammenhängen erscheint heute a priori anrüchig. Vielleicht spielt die biologische Identität in den Sozialwissenschaften auch deshalb kaum eine Rolle, mit einigen wenigen Ausnahmen wie z. B. Olsen (1999). Ihre Berücksichtigung würde aber nicht automatisch zu inhumanen Theorien führen. Ihre Nichtberücksichtigung führt zu einem Nest von Widersprüchen. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität – 27 Von der Gesellschaft und ihren Institutionen aus als Referenzgröße über alle Rollenvielfalt hinweg: Wann immer das Interesse, das sich auf das Individuum richtet, mehr als nur partiell ist und sich auf mehr als nur die Ausfüllung einer Rolle bezieht, rückt das Individuum mit seiner übergreifenden Identität in den Blick. Es ist notwendig, zwischen subjektiver (emischer) und objektiver (etischer) Identität zu unterscheiden und beides in die Theorie menschlicher Identität aufzunehmen. 3.7 Menschliche Identität, emisch und etisch Als Lebewesen mit einem vergleichsweise hochentwickelten Gehirn verwenden menschliche Individuen bei ihrem autopoietischen Zugriff auf die erweiterte Umwelt ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten. Wie auch immer man das anthropologisch begründen mag, ob mit dem „Mängelwesen“ Arnold Gehlens, mit der Entwicklung des Hirnvolumens oder mit der hominiden Lebensweise in sozialen Verbänden, fest steht, dass Menschen für ihre Autopoiesis alle Mittel einsetzen, die sie haben. 3.7.1 Erweiterte Autopoiesis Die „larger machine M′“ der Autopoiesis des menschlichen Individuums, das sich darin als wahrer homo faber zeigt, umfasst also die Natur, den menschlichen sozialen Verband, die Kommunikation in diesem Verband, die von diesem Verband geformte menschliche Welt, die Reflexionen und Reaktionen des Individuums auf diesen Zusammenhang und die Nutzung dieses Gefüges als Reproduktionsquelle für das Individuum. Diese Schlussfolgerung klingt merkwürdig – so als ob damit alle Humanwissenschaften zu Unterdisziplinen der Biologie erklärt würden. Grundlage dieser Schlussfolgerung sind aber lediglich zwei allgemein akzeptierte Voraussetzungen: dass der Mensch ein soziales Wesen und dass er ein Wesen mit Kognition ist. Es ist nicht nötig, deswegen die Einteilung der Wissenschaften neu zu schreiben. Die Schlussfolgerung erinnert lediglich daran, dass es einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Wissenschaften vom Menschen gibt. Sie impliziert nicht, dass die menschliche Welt nicht ihre eigenen Strukturen entwickelt hätte, die Gegenstand eigener Wissenschaften werden können. Allerdings gerät oft in Vergessenheit, dass diese Wissenschaften auch gemeinsame Bereiche haben. Dazu gehört, nicht verwunderlich, die menschliche 28 Peter-Arnold Mumm Identität. Hier geht die biologische Definition der Autopoiesis kontinuierlich in den Begriff der Kultur über (s. u. § 6). In § 3.6 haben wir, ausgehend von der biologischen Definition der Autopoiesis eines lebendigen Individuums, vom menschlichen Individuum in Termini biologischer Identität gesprochen. Das war nicht falsch, ist aber ergänzungsbedürftig – ebenso wie auch umgekehrt die soziale und die personale Identität, so wie in § 3.6 definiert, ergänzungsbedürftig sind: Die menschliche Identität hat, eben weil der Mensch ein soziales Lebewesen und ein Lebewesen mit Kognition ist, zugleich biologische, psychologische und soziologische Dimensionen. In seiner Autopoiesis regeneriert und verändert sich der Mensch in einem fort in seiner biologischen Substanz, in seiner äußeren Erscheinung, in seinen sozialen Relationen und in seiner kognitiven Organisation. Kontinuierlich tauscht die autopoietische Maschine Mensch das Material aus, aus dem sie gebaut ist, und erhält darin sich selbst. Die rätselhafte Eigenart der menschlichen Identität, einerseits zweifellos zu existieren – denn es ist ein und dieselbe autopoietische Maschine, die da am Werk ist –, andererseits aber aus keinem substantiell greifbaren Kern zu bestehen, setzt die paradoxe Struktur der rein biologischen Identität fort, nur in erweitertem Umfang und mit erweiterter Komplexität. Die sozialen Relationen, in denen das Individuum steht, die sozialen Konstruktionen, in denen es sich einhaust (Punk, Hipster, Individualist, sportlicher Akademiker, Urviech, Opernliebhaberin), und seine kognitiven Reflexionen und Wissenszustände bleiben ebensowenig wie sein Körper stabil. Nirgends verfügt das Individuum über einen greifbaren Teil oder Aspekt, der lebenslang unwandelbar vorhanden wäre und den es wie einen kostbaren Schatz als seine Identität hüten könnte. 3.7.2 Willkürliche und unwillkürliche Momente der menschlichen Autopoiesis Das Individuum stellt seine Identität immer neu her, ob es will oder nicht. Aber es „hat“ sie nicht. Es kann nicht über sie verfügen. Es kann nicht anders, als seinen Identitätsprozess zu erleben und darauf, siehe sogleich, im Rahmen seiner Möglichkeiten steuernd zuzugreifen. Die Veränderungen, die die menschliche autopoietische Maschine an sich und der Umwelt vornimmt, sind nicht beliebig. Ihre eigene Struktur entscheidet im Zusammenspiel mit der Struktur der Umwelt darüber, welche Veränderungen wo und in welchem Grade nötig oder möglich sind. Die Zustände bauen aufeinander auf und lösen einander ab. Die Veränderungen stehen in einem kontinuierlichen Zusammenhang, wie in einer Kette oder in einem Netzwerk, in schnellerem neben langsamerem Tempo. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 29 Sichtbar wird der individuelle Identitätsprozess für das Individuum dort, wo es auf Gesellschaft und Umwelt reagiert. Das ist der Grundgedanke von G. H. Meads „I“. Das Individuum findet sich von der Natur und von seinen Mitmenschen eingeordnet 55 und reagiert darauf in seiner Weise. In diesen Reaktionen offenbaren sich die unmittelbare, mit der körperlichen Existenz gegebene Identität des Individuums und alles, was sich im Zuge der Autopoiesis als „zweite Natur“ herausgebildet hat.56 Die Kognition als Mittel kontrollierter Reproduktion greift auf Vergangenheit und Zukunft aus und verleiht dem Identitätsprozess Elemente zeitlicher Stabilität. Das Individuum speichert Wissen über die Welt, über sich und über seinen Weg durch die Welt. So entsteht das praktische Alltags-Ich. Das Individuum weiß sich einzuordnen oder den Einordnungsversuchen zu widersetzen und meldet sich mit diesem Wissen zu Wort. Zur menschlichen Autopoiesis – zum menschlichen Identitätsprozess – gehören diese reflexiven und dem Willen unterworfenen Momente ebenso wie die der Willkür entzogenen Momente. Die unwillkürlichen Momente der Autopoiesis liegen in der Biologie, aber auch in der sozialen Welt mit all ihren Handlungs- und Denkformen, in die das Individuum hineingeboren wird – Husserls Lebenswelt. Die Welt, in der wir leben und in der wir uns erkennend-urteilend betätigen, aus der her alles, was Substrat möglicher Urteile wird, uns affiziert, ist uns ja immer schon vorgegeben als durchsetzt mit dem Niederschlag logischer Leistungen; sie ist uns nie anders gegeben denn als Welt, an der wir oder Andere, deren Erfahrungserwerb wir durch Mitteilung, Lernen, Tradition übernehmen, sich schon logisch urteilend, erkennend betätigt haben.57 Das Individuum ist dieser Welt ausgesetzt, noch bevor es ein Ich entwickelt, und es bleibt ihr ausgesetzt, solange sein Ich seine reflexive Tätigkeit ausübt. Das Ich reflektiert die Lebenswelt mehr oder weniger, aber kaum je vollständig. Das, was das Individuum in seinem Denken und Handeln unwillkürlich aus seiner Lebenswelt übernimmt und im Austausch mit ihr unwillkürlich weiterentwickelt, ist u. a. mit den Termini Doxa (Husserl) und Habitus (Bourdieu) 55 G. H. Meads „me“, das „verallgemeinerte Andere“; Eppinks zelfbeeld „Selbstbild“; Lindholms „soziozentrisches Selbst“, Lindholm (2007) 210 ff. 56 Mead fasst allerdings die unmittelbare Grundlage des Selbst nicht in ihrer biologischen autopoietischen Natur, sondern nur als physiologische Grundlage, die Impulse liefert und in der momentanen Aufmerksamkeit präsent ist: Mead (1972 [1934]) 135–226; 347–353. Nichtsdestoweniger denkt Mead das „I“ als Phänomenologie der unmittelbaren, unreflektierten, sich äußernden Natur des Individuums. Vgl. weiter Jenkins (2008) 60; Danzer (2017) 27–30; Anselm & Werani (2017) 72. 57 Husserl (1939) 39. 30 Peter-Arnold Mumm zusammengefasst und in der wissenschaftlichen Tradition übernommen worden. Die Doxa, in vielem dem impliziten Wissen (tacit knowledge) Polanyis ähnlich, ist kognitiv definiert: Vor dem Einsatz der Erkenntnisbewegung haben wir „vermeinte Gegenstände“, schlicht in Glaubensgewißheit vermeint; solange bis der weitere Verlauf der Erfahrung oder die kritische Tätigkeit des Erkennens diese Glaubensgewißheit erschüttert, sie in „nicht so, sondern anders“, in „vermutlich so“ usw. modifiziert, oder auch den vermeinten Gegenstand als „wirklich so seiend“ und „wahrhaft seiend“ in seiner Gewißheit bestätigt. […] Diesen Bereich passiver Vorgegebenheit setzt alle Erkenntnisbetätigung, alle erfassende Zuwendung zu einem einzelnen Gegenstande voraus; er affiziert aus seinem Felde heraus, er ist Gegenstand, Seiendes unter anderem, schon vorgegeben in einer passiven Doxa, in einem Feld, das selbst eine Einheit passiver Doxa darstellt. Wir können auch sagen, aller Erkenntnisbetätigung voran liegt als universaler Boden eine jeweilige Welt; und das besagt zunächst, ein Boden universalen passiven Seinsglaubens, | den jede einzelne Erkenntnishandlung schon voraussetzt. […] W e l t b e w u ß t s e i n i s t B e w u ß t s e i n i m M o d u s d e r G l a u b e n s g e w i ß h e i t , nicht durch einen im Lebenszusammenhang eigens auftretenden Akt der Seinssetzung, der Erfassung als daseiend oder gar des prädikativen Existenzialurteils erworben.58 Der Habitus ist zugleich kognitiv und ‚praxeologisch‘59 definiert: The habitus is a set of dispositions which incline agents to act and react in certain ways […] Dispositions are acquired through a gradual process of inculcation in which early childhood experiences are particularly important. Through a myriad of mundane processes of training and learning, such as those involved in the inculcation of table manners (‘sit up straight’, ‘don’t eat with your mouth full’, etc.), the individual acquires a set of dispositions which literally mould the body and become second nature. The dispositions produced thereby are also structured in the sense that they unavoidably reflect the social conditions within which they were acquired. […] Structured dispositions are also durable: they are ingrained in the body in such a way that they endure through the life history of the individual, operating in a way that is pre-conscious and hence not readily amenable to conscious reflection and modification. Finally, the dispositions are generative and transposable in the sense that they are capable of generating a multiplicity of practices and perceptions in fields other than those in which they were originally acquired.60 Auf der biologischen Ebene ist die menschliche Identität ein weitgehend unwillkürlich ablaufender Identitätsprozess. Auch auf der sozialen und kogniti- 58 Husserl (1939) 24 f. (Hervorh. im Original). 59 Mit ‚Praxeologie‘ ist der wissenschaftliche Blick auf menschliches Handeln auch unabhängig von dahinterstehenden Intentionen gemeint: „Statt des intendierten Handelns von Individuen rückt sie [die Praxeologie, PAM] mit den Praktiken diejenigen Verhaltensakte in den Vordergrund, die auf routinisiertem, implizitem, nicht reflektiertem und kollektiv geteiltem Wissen beruhen.“ Elias et al. (2014) 4; vgl. Dickmann et al. (2015); Schulze (2016) 190. 60 Thompson, „Editor’s Introduction“, in Bourdieu (1991) 12 f. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 31 ven Ebene ist sie zu großen Teilen ein unwillkürlich ablaufender Identitätsprozess: Die Ich-Identität, die fortwährende Reaktion des Ich auf das social me oder die Lebenswelt und der Prozess der Aushandlung zwischen persönlicher und sozialer Identität (s. o. § 3.6.3), besteht zu einem großen Teil aus besagtem Habitus und nur daneben aus sich davon abhebenden, stärker reflexiven und willkürlichen Momenten.61 Deswegen sind diese stärker reflexiven und willkürlichen Momente aber keineswegs nur Nebensache. Sie nehmen auf Lebenswelt und Habitus Bezug, produzieren aber eigene Bilder und bilden eine eigene Welt und können in Bereiche vorstoßen, die mit Lebenswelt und Habitus nicht mehr das Geringste zu tun haben. 3.8 Identitätsbewusstsein: Erkenntnisse, Konstruktionen und Phantomschmerzen Das Bewusstsein hält bekanntlich einerseits mit der Kontinuität der biologischen Identität nicht Schritt und reicht andererseits darüber hinaus. Es setzt erst einige Zeit nach der Geburt ein und kann bröckeln oder verlorengehen, noch bevor das Leben zu Ende ist. Andererseits reicht es über den unmittelbaren Lebensraum des biologischen Organismus zeitlich und räumlich hinaus und erschließt sich die Welt analytisch, kategorisierend und konstruierend. Hier kann es bekanntlich fehlgehen. Das ist auch beim Selbstbild so. Die Erinnerung an früher und der Ausblick auf die Zukunft ist von Erinnerungs- und Selbstbildern getragen, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Sobald ein Bewusstsein den Lebensfaden seiner biologischen Identität aus der Innenperspektive heraus nachzeichnet, arbeitet es mit Konstruktionen. Die Selbstbilder, die dabei entstehen, können dem in der Autopoiesis ablaufenden Identitätsprozess entsprechen. Sie können aber auch ganz und gar davon abweichen. Ein eindeutiges – aber nicht das ausschließliche – Kriterium dafür, dass das Selbstbild in die Irre geht, liegt vor, wenn jemand von sich bekennt, er 61 Eine wissenschaftliche Reaktion auf die weitgehende Unwillkürlichkeit des lebensweltlichen Lebens und der Ausprägung des Habitus kann darin bestehen, auch der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme des lebensweltlichen Lebens als Ergänzung der üblichen analytischen Methoden die Anwendung von Gefühl, Einfühlen und Miterleben zu empfehlen, bis hin zu der Überzeugung, dass ein Wissenschaftler, der nicht in dieser Lebenswelt groß geworden ist und sich nicht ihrer Sprache bedient, zu einer adäquten Bestandsaufnahme gar nicht fähig sei. Vgl. den Beitrag von Göhlert in diesem Band zur Entwicklung der Volkskunde in Japan. 32 Peter-Arnold Mumm habe „mehrere Identitäten“. Dann liegen „Identifikationen“ mit Kategorien vor, also Subsumtionen (s. o. §§ 3.3 und 3.6). Die Fragen „»Wie bin ich geworden, was ich bin?«, »Wer will ich sein?«, »Was tue ich?« und »Wie sehen mich die Anderen?«“ 62 richten sich auf den in der Autopoiesis ablaufenden Identitätsprozess und wollen ihn bewusst machen. Die Antworten ergeben das Identitätsbewusstsein.63 Dessen Inhalt kann gefühlt oder tief durchdacht sein, einseitig oder vielseitig, wahnhaft oder realistisch, unterwürfig oder trotzig, fixiert oder offen. Das Identitätsbewusstsein kann selbst wieder, sozusagen als ‚gelebtes Motto‘, Bestandteil der erlebten und praktizierten Identität und damit zur ‚gelebten‘ Identität werden, die ja als menschliche Autopoieses in sich selbst reflexive Momente trägt.64 Der Habitus prägt sich zunächst ohne Reflexion aus, ist aber für reflexive Momente wie Lifestyle und Selbststilisierung durchaus empfänglich. Er kennt ohnehin keinen starren Gegensatz zwischen ‚unbewusst‘ und ‚bewusst‘. Hier gibt es viele Abstufungen. Dennoch ist das Identitätsbewusstsein gegenüber der nur erlebten und praktizierten Identität etwas Eigenes, da es im Gegensatz zu dieser frei konstruiert werden kann. Natürlich hat 62 Abels (2017) 196. 63 Das Wort Identitätsbewusstsein soll, auch wenn das Hinterglied -bewusstsein das nahezulegen scheint, nicht präsupponieren, dass sein Inhalt real existieren muss. In manchen Verwendungen von Bewusstsein herrscht eine solche Präsupposition, wie z. B. in mit dem stolzen Bewusstsein seiner Kraft, in anderen nicht, wie in das nationale, geschichtliche Bewusstsein eines Volkes, https://www.dwds.de/wb/Bewusstsein (Stand 28. 04. 2018). Ich verwende das Wort Identitätsbewusstsein in diesem zweiten Sinn: ‚das, was jemand als seine Identität, als seinen Wesenskern ansieht, wie realitätsnah oder -fern das auch immer sein mag‘. 64 s. o. § 3.7 und unten § 5 mit Anm. 134. – Beispiele für den Ausdruck gelebte Identität bzw. Identität leben: er als echter deutscher Jüngling fromm und stark kann nicht mit Ideen Spiel und Sport treiben, er muß sie gleich leben, Götze (1943) s. v. leben; – die Gegenwart weiß keiner recht zu leben; – Sie lebten ihr hergebrachtes Dasein regelmäßig fort, Paul (1919) 228; – daß in ihm [im Kloster] allein das Christentum ohne Einschränkung gelebt werden kann, https:// www.dwds.de/wb/leben (Stand 27. 04. 2018); – damit wir unsere Identität leben und die Erwartungen der Welt verstehen können; – In der Wohngemeinschaft haben sie die Möglichkeit, ihre kulturelle Identität zu leben; – die gepflegten Häuser im typischen Alpbacher Baustil und die gelebte Identität mit lokaler Kultur und Tradition; – Unternehmenskultur ist gelebte Identität; – Gelebtes kirchliches Brauchtum und regionale Identität, drei Brauereien, viele bodenständige Gasthöfe; https://www.linguee.de/deutsch-englisch/ (Stand 28. 04. 2018); – Deutsche Identität leben, http://agdm.fuen.org/wanderausstellung/uploads/Folder_Erinnerung-an-Unterdrueckung-W​a​n​d​e​r​au​s​s​t​e​l​l​u​n​g-AGDM-s.pdf; – Sexuelle Identität leben, https://biblische-seelsorge.net/images/Konferenzen/Flyer_IfBS_Konferenz_2017_Web.pdf (Stand 28. 04. 2018). – Die transitive Konstruktion mit innerem Akkusativ drückt aus, dass das Leben nicht nur stattfindet, sondern bewusst auf ein charakteristisches Ziel hin gestaltet wird. Das Leben ist zugleich Prozess wie „effiziertes Objekt“, vgl. Blatz (1900), 324 und Winkler (2009). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 33 es seine Grundlagen in der erlebten und praktizierten Identität – und geht in sie auch wieder ein – und ist kein willkürliches Konstrukt. Aber die Psychologie weiß, dass das Identitätsbewusstsein sich, nicht selten mit äußerster Leidenschaft, seine eigenen Welten baut. Nur um anzudeuten, wovon hier die Rede ist, seien die folgenden Stichpunkte genannt: – Körperliches, auf die biologische Identität bezogenes und sozial geprägtes Identitätsbewusstsein: Geschlecht, Jugend/Alter, besondere körperliche Merkmale, Ernährungsgewohnheiten, Schönheit …; – Identitätsbewusstsein, bezogen auf materielle Ausstattung und Absicherung, Verfügungsgewalt und Reichweite der eigenen Handlungsmöglichkeiten – abhängig von der isolierten oder aber familien- bzw. gruppenintegrierten ökonomischen Stellung des Individuums;65 damit eng verbunden – Identitätsbewusstsein, bezogen auf soziale Stellung, Einfluss, Durchsetzungsfähigkeit, Ansehen („Name“, „Gesicht“, „Ruhm“); – Gefühl der Freiheit/Gefangenschaft in einer von anderen gestützten/oktroyierten Identität („Rollenidentität“). Im Hinblick auf Rollen lassen sich unterscheiden: – Dienstfertigkeit, Verantwortungsbewusstsein, stolze Pflichterfüllung und Machtbewusstsein: jemand „geht ganz in seinen Rollen auf“ (Eppinks „autoritäres Ich“). – Zurückweisung von Verantwortung: jemand tut oder sagt etwas „nur in seiner Eigenschaft als xy“. – Individualistischer/existenzialistischer Selbstentwurf: tief gefühlte und verantwortungsbewusste Ablehnung aller mit Rollen und Pflichten argumentierenden Ausreden (Eppinks „antiautoritäres Ich“). – Ablehnung der Relevanz von Rollenbindung überhaupt; Rückgang auf die Unmittelbarkeit des Menschseins (Eppinks „autonomes Ich“). – Sprachbezogenes Identitätsbewusstsein;66 65 Eppink (2013). 66 Identitätsbewusstsein in bezug auf Sprache und Ethnie: s. o. § 2 und u. § 7.1. – Prozessuales Identitätsbewusstsein beim Spracherwerb: Ros i Solé (2016) 42: „language learners may approach language learning as living life anew. And they may live it so intensively that the active states of ‘languaging’ open up unsuspected possibilities of life […] The subject, the language learner, is not tied to his/her past identities for definition (old passport credentials, historicities and sediments of the past) and does not look to the future for an ideal to aspire to (that is unhinged from the present); rather, he/she has the possibility to firmly live in the present in a flux of successive becomings, constructing new networks, new assemblages and new maps of the self.“ 34 – – – – Peter-Arnold Mumm Weltzugewandtes Identitätsbewusstsein außerhalb sozialer Rollen: Glück; Liebe; Familie, Heimat, Volksgemeinschaft (jeweils als ganzheitlicher Ort der Geborgenheit); Weltabgewandtes oder -transzendierendes Identitätsbewusstsein: religiöse und mystische Seelenvorstellungen;67 Momentane Zustände von Identitätsbewusstsein: künstlerische, virtuose, meditative, religiöse Versenkung; politisch-moralische Identifikationen („Je suis Charlie“); Heimatgefühle;68 Ekstase und Enstase; Verirrtes Identitätsbewusstsein: Persönlichkeitsstörungen aller Art. All das sind Formen individuellen Identitätsbewusstseins, nicht Erscheinungsformen individueller Identität. Die individuelle Identität liegt unwandelbar im Gesamtprozess der individuellen Autopoiesis. Dort verfügt das Individuum nirgends über einen greifbaren Teil oder Aspekt, der lebenslang unwandelbar vorhanden wäre und den es wie einen kostbaren Schatz als seine Identität hüten könnte (s. o. § 3.7.1). 3.9 Erniedrigung und Erhöhung, Unterwerfung und Ehre, Demut und Stolz In der Aufzählung in § 3.8 sind Motive angeklungen, die das entsprechende Identitätsbewusstsein attraktiv machen. Diese sind vielfältig und hier nicht Thema. Zwei Punkte sollen aber herausgehoben werden. Identitätsbewusstsein im Sinne von § 3.8 – kann dadurch zustandekommen, dass das Fehlen eines unwandelbaren Wesenskerns nach Art eines „Phantomschmerzes“ 69 vermisst wird und entsprechende Projektionen entwickelt werden; – es kann aber auch in einer Reduktion des Individuums auf einen der eben aufgezählten Teilaspekte bestehen. 67 Vgl. die berühmte Identitätsformel tat tvam asi ‚das bist du‘. Zuletzt dazu Pinchard (2014). 68 „Und dann reist man im Geiste zurück, kehrt heim, geht wieder die Weg seiner Kindheit, und es offenbart sich etwas Unerklärliches: Vertrautheit, Vertrauen, Frieden, während in der anderen, der realen Welt die Menschen sich zerfetzen, zerstören, vergewaltigen, vernichten. Dieses Gefühl der Zerrissenheit in Herkunft und Dasein, in Nicht-Ort und Ort, bleibt, solange das eigene Leben sich an den Kirchturmglockenschlag erinnern lässt. Man kann es Geborgenheit nennen. Man könnte dazu Heimat sagen.“ Schüle (2017) 12. 69 Schüle (2017). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 35 Die mit dem zweiten Fall einhergehende Verarmung ist automatisch von einer Bereicherung begleitet. Reduziert z. B. ein Individuum sein gesamtes existenzielles Selbstverständnis auf seinen Beruf, sagen wir Metallarbeiter oder Professor, oder auf seine Schönheit oder seinen religiösen Glauben, ist das eine Verarmung.70 Als Lohn winkt eine neue Welt: die Welt dieser Kategorie, die das Individuum ja nun mit seiner Identifikation verkörpert. Dann ist das Individuum „ein Metaller“ oder „Herr/Frau Professor“ oder „ein Traumbody“ oder von Gottes Gnade erhöht oder ein heimlicher Werwolf und hat Gelegenheit, stolz darauf zu sein. Jede Kategorie, die sozial oder menschlich wichtig ist, bietet die Chance einer solchen Aufwertung.71 Und je gründlicher ein Individuum seine Selbstreduktion betreibt, desto heller erstrahlt es in der Wichtigkeit seiner Rolle. Freilich findet das in erster Linie in der Phantasie statt. Es hat aber seine Konjunkturen in den von außen an das Individuum herangetragenen Identifikationsangeboten. Die gesellschaftliche Aufwertung, die mit der Reduktion auf einen Teilaspekt verbunden ist, hat sicher dazu beigetragen, dass Individuen sich gerne in dieser Weise „identifizieren“ und dass dies nicht nur als Frage des Identitätsbewusstseins gilt, sondern als wirkliche Identität. 3.10 Die Gesamtheit der Bedeutungen von „Identität“ Mit Zhao (2014) kann man das Identitätsbewusstsein auch subjektive (emische) Identität nennen, im Gegensatz zur objektiven (etischen) Identität. Etische und emische Identität, Identität und Identitätsbewusstsein werden, wie in den vergangenen Paragraphen gezeigt, notorisch vermischt. Dann heißen beide „Identität“. Das Wort Identität erhält damit eine dritte Bedeutung: neben (1) ‚Relation, die eine Entität zu sich selbst hat und die darin besteht, dass sie sie selbst ist und nichts anderes‘ und 70 „Wie wäre eine endlich gefundene Identität beschaffen? Wenn man ganz bei sich und seinesgleichen wäre, könnte man sich dann noch bewegen? Man könnte es nicht. »Identität« heißt ein Wunsch nach Beharrung, und sei es im Illusionären.“ Steinfeld (2018). 71 Max Webers „Ehre“: „In der Tat ist die Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit der eigenen und der Minderwertigkeit fremder Sitten, durch welche die »ethnische Ehre« gespeist wird, den »ständischen« Ehrbegriffen durchaus analog. »Ethnische« Ehre ist die spezifische Massenehre, weil sie jedem, der der subjektiv geglaubten Abstammungsgemeinschaft angehört, zugänglich ist. Der »poor white trash«, die besitzlosen und, bei dem Mangel an Arbeitsgelegenheit für freie Arbeit, sehr oft ein elendes Dasein fristenden, Weißen der amerikanischen Südstaaten waren in der Sklavereiepoche die eigentlichen Träger der den Pflanzern selbst ganz 36 Peter-Arnold Mumm (2) ‚Subsumtion einer Entität unter eine so wichtige Kategorie, dass die subsumierte Entität virtuell auf die Qualität der Kategorie reduziert wird und alle anderen Qualitäten ausgeblendet werden‘ nun (3) ‚Selbstbild eines Individuums (vor dem Hintergrund des Angebots sozial konstruierter Identitätskategorien oder -zuschreibungen, die ihrerseits durch Verhalten und Selbstbilder in ständiger Bewegung sind)‘. Die dritte Bedeutung bietet, wie gezeigt, Raum für Kreativität. Mit dem Schritt zum subjektiven, emischen Identitätsbewusstsein ist für das Individuum der Weg frei geworden, unabhängig von äußeren Gegebenheiten und Zwängen eine Identität im Sinne von Bedeutung (3) zu wählen oder zu finden. Das funktioniert aber nur auf Grundlage der objektiven, etischen Identität. Nennt man alles unterschiedlos „Identität“, ohne auf die Polysemie (s. o. Anm. 9) zu achten, ergibt sich die heute übliche Konfusion.72 Jetzt wird auch verständlich, wie die Identität im Sinne von Bedeutung (3) in Gegensatz zur in den mannigfachen sozialen Rollen praktizierten Identität im Sinne von Bedeutung (2) treten kann.73 Damit ist der Boden bereitet für Iden- fremden Rassenantipathie, weil gerade ihre soziale »Ehre« schlechthin an der sozialen Deklassierung der Schwarzen hing.“ Weber (1947) 221. 72 Auch die häufig zu hörende Ansicht, die innere Kohärenz von Identität, Personalität, Selbst usw. sei an sich gar nicht sicher und nur ein westliches Vorurteil, ist Ergebnis dieser Konfusion. Protoypisch in Lindholms Worten (der sich dieser Ansicht im übrigen nicht umstandslos anschließt): „It may even be possible (as many postmodern theorists have claimed) that the whole notion of a coherent self is nothing but an imposition of Western values aimed at preventing the spontaneous expression of the playful, discontinuous, and polyglot identities said to be characteristic of our present age.“ Lindholm (2007) 209. Ähnlich Clifford Geertz: „The Western conception of the person as a bounded, unique, more or less integrated motivational and cognitive universe, a dynamic center of awareness, emotion, judgment, and action organized into a distinctive whole and set contrastively both against other such wholes and against its social and natural background, is, however incorrigible it may seem to us, a rather peculiar idea within the context of the world’s cultures.“ Geertz (1974) 31 [= Geertz (1983) 59]. Dieses pointierte Diktum trifft nur zu – kann dann allerdings in seiner Wichtigkeit auch kaum genug betont werden –, wenn es auf Identität („person“) im Sinne von Identitätsbewusstsein eingeschränkt wird. – Ein ausführliches Panoptikum postmoderner Dekonstruktionen des „Subjekts“ bietet, in lesenswerter Klarheit geschrieben, Marijana Kresic (2006, 106–136). Um die Einheit des Subjekts dagegen zu retten, hält sich Kresic an Konzepte wie lebenslange Identitätsarbeit, patchwork identity, Selbstnarration u. a. Grundlegend auch für diese Konzepte ist aber, dass es da jemanden geben muss, der eine solche autopoietische Identitätsarbeit leistet. Autopoiesis ist ein reflexiver Prozess und besteht als solcher nicht nur aus seinem Ergebnis. 73 „In Ödön von Horvaths Geschichten aus dem Wienerwald (1931) beruhigt der als etwas zu roh und grob imponierende Fleischhauer seine Geliebte: »Eigentlich bin ich ganz anders – ich komme nur so selten dazu!«“ Danzer (2017) 8. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 37 titätskonflikte – zwischen widerstreitenden, aber als „Identitäten“ akzeptierten Rollenanforderungen,74 zwischen akzeptierter Rolle und gewünschtem oder gespürtem Selbstbild, zwischen widerstreitenden Selbstbildern. Im Sinne der Bedeutung (1) ist das paradoxe Ergebnis also nun: Der Morgenstern steht im Konflikt mit dem Abendstern. Gegebenenfalls muss sich einer nach dem anderen richten. An den divergierenden Bedeutungen von Identität zeigt sich in drastischer Deutlichkeit, wie präsent der cartesianische Dualismus noch heute ist. Körperliche und geistige Identität scheinen inkommensurabel. Selbst die Anwendung des Worts Identität auf die biologische Autopoiesis scheint ungewöhnlich. Postmoderne Überzeugungen von der Auflösung des Subjekts lassen sich von polizeilichen Identifizierungsmethoden nicht beeindrucken. Der heute übliche Gebrauch des Begriffs der Identität in der Sozialpsychologie ist, bei Lichte betrachtet, grundfalsch.75 Wir haben nun die oben unter § 2 gestellte Frage „Wie kann aus einem Prinzip, das sagt, dass A = A ist, ein Maßstab werden, der an A angelegt wird und zur Forderung führt, dass A B werden soll?“ beantwortet. Diese Entwicklung des Begriffs Identität ist nur zu dem Preis möglich, dass an einer entscheidenden Stelle – § 3.6 – ein gründlicher Missbrauch stattfindet. Diese Analyse hilft uns, die Struktur von Sprachgemeinschaft und ethnischer Identität besser zu verstehen. 4 Sprachgemeinschaft Welche Beziehungen gehen die Sprecher einer Sprache zueinander ein? Zwar steht fest, dass sich die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft offenkundig auch viel streiten und aneinander vorbeireden. Aber sie haben ein gemeinsames Verständigungsmittel und damit, so die Schlussweise oben unter § 2, einen gemeinsamen Grundkonsens in der Einstellung zur Welt oder der Auffassungsweise der Dinge. Um das zu prüfen, stellen wir die Frage: Wie stellen sich sprachliche Konventionen im Sprechen her? Die entscheidende Anregung zu § 4 verdanke ich Überlegungen Hans-Jörg Schmids. Schmids Modell von Entrenchment and Conventionalization sucht das, 74 Rollenkonflikte für sich genommen sind noch keine Identitätskonflikte. Das werden sie erst dadurch, dass das Individuum seine Rollen als seine Identitäten akzeptiert hat. 75 Der verwandte Begriff der Persönlichkeit hat die cartesianische Trennung nicht mitgemacht und umfasst üblicherweise auch biologische/genetische Grundlagen. Vgl. z. B. Canli (2006), Pinel & Pauli (2012) Kap. 2.5. 38 Peter-Arnold Mumm was wir als „Sprachsystem“ zu kennen meinen, aus dem Sprachgebrauch zu erklären und zu remodellieren. Aus der Perspektive eines fix etablierten Sprachsystems erscheint dessen Verhältnis zur Sprachgemeinschaft rätselhaft. Die Menschen bedienen sich der Sprache wie eines fertigen Werkzeugs und müssen dieses Werkzeug doch irgendwie geschaffen haben. Es ist aber kein Weg ersichtlich, wie. Damit ist die Tür offen für Spekulationen und Phantasien aller Art über einen heimlichen contrat social oder sonstige tiefere Wesensverwandtschaften innerhalb der Sprachgemeinschaft. Gelingt es aber, zu zeigen, wie Sprache aus Sprechen entsteht, verschwindet das Phantom. Für den Prozess der Konventionalisierung unterscheidet Schmid fünf Stufen: – „die Ko-Semiose, d. h. die gemeinsame und gegenseitige Aushandlung der Bedeutung in einer Sprachgebrauchssituation“, – die Ko-Adaption oder Akkommodation, in der der Hörer Merkmale der gehörten Äußerung aufgreift und aktiv reproduziert, – die Usualisierung, d. h. die Bereitschaft der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft, ein bestimmtes Wort oder eine lexikalische Fügung auch unabhängig von einer konkreten Gebrauchssituation, in der die Innovation entstanden sein mag, „als Mittel zur Lösung einer kommunikativen Aufgabe zu verwenden“, – die Diffusion oder die Frage der Ausbreitung eines Elements auch unabhängig von der kommunikativen Aufgabe, der es in der Usualisierung dient, – die implizite Normierung, die darin besteht, dass eine hinreichend realisierte Diffusion den Sprechern „normal“ vorkommt und damit eine Art Maßstab „richtigen“ Sprechens darstellt; und die explizite Normierung durch staatliche Autoritäten.76 Dieses Modell habe ich für § 4 übernommen und dabei den Prozess der Akkommodation (Ko-Adaption) in den Mittelpunkt gestellt. Die Stufen greifen nach meinem Verständnis ineinander: Ko-Semiose findet im unmittelbaren Dialog statt, aber auch in bezug auf fertig normierte Spracheinheiten; und Normierung bildet in gewisser Weise den Abschluss der Reifizierung der Sprache aus dem Sprechen, ist aber bereits ein Moment der unmittelbaren Dialogsituation (s. u. §§ 4.3, 4.5 und 4.6). In § 4 versuche ich zu zeigen, wie sich Sprachgemeinschaft im Sprechen formiert und um was für eine Art Gemeinschaft es sich dabei handelt. 76 Schmid (2018) § 4. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 39 4.1 Die Benennung der Sprache Menschen können miteinander sprechen, ohne ein Bewusstsein davon zu haben, dass sie eine bestimmte Sprache als gemeinsames Kommunikationsmittel verwenden. Dann bilden sie eine Sprechgemeinschaft. Bevor von einer Sprachgemeinschaft die Rede sein kann, muss die Sprache einen Namen haben. Das ist nicht selbstverständlich. Das Zazaki, eine in der Türkei zwischen Sivas und dem Van-See gesprochene neuiranische Sprache, hat mehrere Namen: Dimli, Gini, Kurmandji, Zazaki. Politische Gründe haben dafür gesorgt, dass das Zazaki lange Zeit weder von außen noch von innen als eine eigenständige Sprache anerkannt wurde. Bei einer Volkszählung 1965 in der mehrheitlich zazasprachigen Provinz Tunceli wurden sieben Zaza-Muttersprachler festgestellt.77 Angst vor politischer Verfolgung, aber auch die gefühlte Überzeugung, dass das Zazaki nur eine Art zu reden, keine Sprache sei, und schließlich das damals noch wenig entwickelte ethnische Selbstbewusstsein78 dürften zu diesem in einer Hinsicht grotesk falschen, in anderer Hinsicht bezeichnenden Ergebnis geführt haben. Die Benennung einer Sprache ist der erste Schritt auf dem Weg zu ihrer Anerkennung als eigenständiger Wesenheit, der man angehören kann. Naming a language makes it ready for reification and totemization, that is, it can be made into an object and given iconic status. Reification usually involves some body of doctrine (grammars, lexicon, a literature), totemization the adoption of a language as one of the defining social properties of a group.79 4.2 Die Ideologie vom Muttersprachler/native speaker, ihre Geburt und Beerdigung Hat eine Sprache dann einen Namen – und damit einen elementaren Status als Wesenheit eigener Art –, können Sprecher sich zu ihr bekennen.80 Die 77 Tasci (2006) 93. 78 „Nach wie vor fühlen sich […] viele sunnitische und eine geringere Zahl alevitischer Zaza (letztere v. a. aus der Region Dersim) kulturell wie politisch der »kurdischen Sache« verbunden und erheben keinen Anspruch darauf, ein eigenes Volk oder gar Nation zu sein.“ Paul (1998) xiii. Ähnlich Arakelova (1999–2000). 79 Tabouret-Keller (1997) 318. Vgl. Schulze (2016) 190: „It may well be the case that members of a speech community are aware of their linguistic practices even though the underlying collective knowledge system does not represent a ‘language’ of its own […] an endonymic language name […] in a community [given] by the community itself is not always present.“ 80 Zur Entstehung und Zurückdrängung der Ideologie vom Muttersprachler s. Hackert (2012) 2; 31 f.; 63–88 und passim. – Über Genese und Karriere des deutschen Pendants Muttersprachler bzw. Muttersprache informiert umfassend Stukenbrock (2005) passim. 40 Peter-Arnold Mumm Sprachgemeinschaft scheint dann über die Bekenntnisse der Sprecher zu ihrer Sprache fassbar. Ein sicherer Ort, an dem Sprache, Sprachgemeinschaft und Sprecher zusammenlaufen, scheint also der native speaker zu sein. Debrunner stellt mit einem gewissen Recht fest: Normalerweise weiß jedermann, welches seine Muttersprache ist, also welcher Sprachgemeinschaft er angehört. Wohl gibt es Grenzfälle: wenn der eine Elternteil deutschsprachig, der andere französischsprachig ist und die Kinder mit dem einen deutsch, mit dem andern französisch zu sprechen pflegen […]. Aber auf das Ganze gesehen, sind solche Fälle von voller Zweisprachigkeit Ausnahmen, wenn sie auch in einzelnen Gegenden, wie etwa in Biel oder Luxemburg, häufig sein mögen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß »Sprachgemeinschaft« ein eindeutiger Begriff ist.81 Der Umfang einer Sprachgemeinschaft wäre so durch die Summe aller intuitiven Urteile abgesteckt, Muttersprachler/native speaker einer Sprache zu sein. Allerdings gilt das eben nur für Sprachen, die offizielle Geltung haben oder zumindest durch einen eigenen Namen bekannt und anerkannt sind (s. o. § 4.1). Doch selbst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist durch das Zugehörigkeitsbekenntnis von Muttersprachlern noch nichts über die innere Beschaffenheit und Funktionsweise der Sprachgemeinschaft gesagt. Eine Sprachgemeinschaft besteht ja nicht aus einem bloßen Zugehörigkeitsbekenntnis, sondern aus Interaktion. Nimmt man diese in den Blick, bemerkt man, dass die, die sich da einer Sprache zugehörig fühlen, nicht alle genau dieselbe Sprache sprechen. Je nach Herkunft sprechen sie verschiedene Dialekte, je nach gesellschaftlicher Gruppenzugehörigkeit unterschiedliche Soziolekte, je nach Situation ziehen sie höfliche, familiäre, formelhafte, vulgäre, archaische, jugendliche, schalkhafte, religiös bedingte82 und noch andere Register. Kein native speaker kann die „Gesamtsprache“, d. h. alle Varietäten beherrschen.83 Die meisten bewegen sich nur in wenigen. So ergibt sich ein Widerspruch zwischen der unzweifelhaften Tatsache, dass Sprecher sich, etwa bei einer Volkszählung, zu ein und derselben Muttersprache bekennen, und der ebenso unzweifelhaften Tatsache, dass dieselben Sprecher, näher betrachtet, verschiedenen Varietäten angehören und zwischen diesen Varietäten, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt hin und her wechseln 81 Debrunner (1957) 170 f. 82 Vgl. Versteegh (2017). 83 Zum Begriff Gesamtsprache vgl. Berruto (2004) 190. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 41 können.84 Sie sprechen dieselbe Sprache, aber doch auch nicht dieselbe Sprache. Daher ist auch der Begriff native speaker mit gutem Grund „dekonstruiert“ worden.85 Der native speaker setzt einen sprachlichen – oder dialektalen – Standard voraus, der dem Miteinander-Sprechen nicht automatisch innewohnt, sondern durch eine normierende Instanz gesetzt ist. Der native speaker repräsentiert diesen Standard und nicht das spontane Sprechen – sofern das überhaupt repräsentierbar ist. Sobald ein Sprecher sich nach einer solchen Norm richtet, entsteht eine „Sprachideologie“, zu der im Kern die Illusion gehört, dass es eine abstrakte, idealisierte, homogene, „richtige“ Sprache gebe.86 It should be obvious that the native speaker, the scientific paradigm that employs him and the grammatical descriptions that grow out of his testimony are a product of politics predicated on linguistic nationalism, ‘we–they’ distinctions and the need for drawing 84 Aus diesem Grund, vertieft durch die Suche nach der wahren, nicht durch fremde und modernistische Elemente überformten Sprache, wird immer wieder der ländliche Dialektsprecher als der eigentliche Repräsentant einer Sprache angesehen. „Many of the perceived virtues of the beloved language are associated with rural and traditional verities. Korean […] recognizes that part of its problem is that »the whole country is changing to an urban industrial society,« just as Norwegian Nynorsk […] agrees that »to the farmer belongs the honor of being the deliverer of the language,« and just as Swahili […] admits that »the only sanctuary … which is still truly African is our mother tongue in its traditional use.« Thus there is a tension between the uniqueness of the pre-modern past out of which the language has evolved and the power potentials of the modern arena to which its adherents aspire […] the claims of pre-modern ethnocultural authenticity are rarely fully set aside and they return to seek some of their due satisfaction in connection with corpus planning options, precisely because a »traditionally colored« modernity remains a viable and frequent compromise solution between the opposing goals of modernists and traditionalists.“ Fishman (1997) 334 f. – Hackert (2012) 143–151 hebt hervor, dass die Verlagerung des Interesses auf den ländlichen native speaker nur eine Verlagerung der „Ideologie der Standardsprache“ ist: „a crucial element of the standard ideology, i.e., the belief that every language must exist in some authoritative, invariant form, may also have underlain the emergent interest in NORM speakers in early dialectology.“ (l. c. 145) – Göhlert (in diesem Band) zeigt, dass diese „tension“ ein Grundmotiv in der Entwicklung der japanischen Volkskunde war. Als eigentlicher native speaker des Japanischen wurde nicht der Sprecher der Hochsprache, sondern der Dialektsprecher angesehen – auch und gerade wenn er Repräsentant nicht für den einzelnen Dialekt, sondern für die japanische Sprache (und das japanische „Wesen“) insgesamt sein sollte. 85 Hackert (2012) passim; Bonfiglio (2010) 8–20. „Dekonstruktion“ meint hier das Aufdecken einer problematischen Voraussetzung, nicht, wie bei Derrida, das Auflösen einer vermeintlichen Wortbedeutung in ein unendliches Verschieben von Bedeutung („différance“); zu letzterem vgl. z. B. Sommer (2011) 173 und Böhl & Reinhard & Walter (2013) 134–136. 86 Vgl. ausführlich Schulze (2016) 191 mit weiteren Literaturhinweisen. Der Begriff Sprachideologie umfasst darüber hinaus ein ganzes Bündel von Überzeugungen zum Verhältnis von Sprache und Ethnizität, Nation, Geschlecht, und nicht zuletzt die in diesem Beitrag § 2 geschil- 42 Peter-Arnold Mumm community boundaries. Equally clear is that a unitary notion of native speaker and the linguistic theory based on it will have problems with stylistic variation, code-switching, code mixing, diglossia, bilingualism, semilingualism, language attrition, language shift, nativized varieties of colonial languages, fluid mother-tongue affiliations and other language-contact phenomena that form the mainstay of sociolinguistic interest. They all have in common that they call for a notion of identity more sophisticated than ‘p = p, and for ever so’, attesting as they do to the great difficulty of distinguishing in a non-arbitrary fashion native from native-like, non-native and other gradations of competence in a language and the consequent difficulty of defining a speech community in objective terms. If, indeed, language expresses identity, individual and collective, then, given the elusiveness of a language and its native speaker, identity, too, must be a rather murky notion.87 Eine treffende Zusammenfassung der historischen Prozesse, die einem solchen muttersprachlichen Bekenntnis vorausgehen, bietet Étienne Balibar: Die antiken Reiche und die Gesellschaften des Ancien Régime beruhten noch auf dem Nebeneinander von sprachlich getrennten Bevölkerungen, auf der Überlagerung von »Sprachen«, die für die Herrschenden und die Beherrschten, die sakrale und die profane Sphäre unvereinbar waren und zwischen denen es ein ganzes System von Übersetzungen geben mußte. In den modernen nationalen Formationen sprechen die Übersetzer, Schriftsteller, Journalisten, Politiker, Schauspieler die Sprache des »Volkes«; und diese erscheint umso natürlicher, je gewählter sie sich ausdrücken. Die Übersetzung ist vor allem eine innere Übersetzung, eine zwischen »Sprachebenen« geworden. Die sozialen Unterschiede werden relativiert und äußern sich als verschiedene Weisen, mit der nationalen Sprache umzugehen, wobei diese einen gemeinsamen Code und sogar eine gemeinsame Norm voraussetzen. Die Nationalsprache wird den Menschen durch den allgemeinen Schulbesuch eingeübt, dessen primäre Aufgabe gerade darin besteht.88 Die Nationalsprache, zu der sich der Muttersprachler bekennt, ist historisch als übergeordnete Norm eingeführt worden. Wie das im Fall des Türkeitürkischen vor sich ging, stellt Ünver-Lischewski in diesem Band dar. Für das Französische beschreiben Koch & Oesterreicher den Prozess der Durchsetzung des Französischen unter dem Stichwort „Reorganisation des Nähebereichs“: Die Französische Revolution war nicht in der Lage gewesen, die „rückständigen Dialekte“ zugunsten des Standard-Französischen zurückzudrängen. Das gelang erst mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht.89 derte Idee von der Sprache als einem Zeugnis tiefer Gemeinschaft. Vgl. Schieffelin & Woolard & Kroskrity (1998). 87 Coulmas (2013) 191. 88 Balibar (2014 [1990]) 120. 89 Koch & Oesterreicher (2011) 149–153. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 43 4.3 Die Entstehung der Sprachnorm aus dem Sprachgebrauch Das spannungsreiche Verhältnis von Norm und Gebrauch kommt aber nicht erst durch die Intervention staatlich gegründeter Akademien zustande. Es herrscht in jedem Sprachgebrauch, innerhalb jeder Varietät und quer durch alle Varietäten.90 Normierende Faktoren wohnen, wie in diesem Paragraphen gezeigt werden soll, dem Sprechen selbst inne. In §§ 4.4 und 4.5 werden dann außersprachliche gesellschaftliche Verhältnisse in den Blick genommen, die auf die sprachliche Normierung Einfluss nehmen. Es ist bekannt, dass die großen staatlichen Institutionen die Normen ihrer Grammatiken und Wörterbücher nicht einfach erfunden, sondern sich am Sprachgebrauch als vorbildlich ausgewählter Autoren, dem Sprachstil herausgehobener Textgattungen und an Diskussionen von Sprachkritikern und Sprachgesellschaften orientiert haben.91 Normatives Gedankengut gab es längst, bevor nationalsprachliche Normen aufgestellt wurden. Die Umgangssprache kann auch zielbewusst zur Norm gegen die bislang gültige Hochsprache erhoben werden, wie Hammam in diesem Band zeigt (s. dort § 2.1 und passim). Der Ursprung sprachnormierenden Denkens liegt in der Rhetorik – in der aus der Antike tradierten rhetorischen Kunstfertigkeit und Reflexion von Rednern und Rhetoriklehrern (§§ 4.3.1, 4.3.4), aber auch, sich täglich erneuernd, in der Alltagsrhetorik (§§ 4.3.2–4.3.4). 4.3.1 Die Lehre vom richtigen Sprachgebrauch in der antiken Rhetorik und Sprachwissenschaft Seit es Reflexionen über die Bedingungen ansprechender und überzeugender Rede gibt, gibt es die Unterscheidung von angemessenem und weniger angemessenem, richtigem und weniger richtigem Sprachgebrauch (aptum, puritas). Quintilian (I,6,1) führt die folgenden Kriterien für Sprachrichtigkeit an: – ratio ‚grammatisch-morphologische Regelhaftigkeit/Analogie‘.92 – vetustas ‚hohes Alter, Althergebrachtheit‘: „Das Alter der Ausdrucksmittel empfiehlt sich durch seine besondere Würde und seine, ich möchte sagen, religiöse Weihe“ (I,6,1); 90 Einen prägnanten Überblick zur Vielfalt sprachlicher Variation gibt Christian Lehmann auf seinem Portal http://www.christianlehmann.eu/ling/elements/varietaeten.php (Stand 5. 11. 2017). 91 Vgl. Hackert (2012) 91–112. 92 Z. B. „Der analogische Vergleich erfasst bei den Nomina das Genus und die Deklinationsform, das Genus mit der Folge, dass, wenn unsicher ist, ob funis (= Tau) maskulin oder feminin 44 – – Peter-Arnold Mumm auctoritas ‚Sprachgebrauch anerkannter Geschichtsschreiber, Redner und Dichter‘: „selbst ein Fehler [in bezug auf den geläufigen Sprachgebrauch] kann einem Ehre machen, wenn man darin bedeutenden Vorgängern folgt“ (I,6,1);93 consuetudo ‚der gegenwärtige, geläufige Sprachgebrauch‘: Für Quintilian das wichtigste Kriterium, noch wichtiger als die ratio. Allerdings schränkt es Quintilian auf den ‚Konsens der Gebildeten‘ (consensus eruditorum) ein. Mit dem Insistieren auf dem Sprachgebrauch als dem obersten Kriterium der Sprachrichtigkeit stellt sich Quintilian auf die Seite der Anomalisten, der antiken Vorläufer einer gebrauchsbasierten Theorie der Sprache, gegen das Lager der Analogisten, der Anhänger einer regelbasierten Sprachtheorie. Quintilian verwirft die Argumente der Analogisten zwar nicht ganz, er widmet sich ihnen auch ausführlich (I,6,4–27). Aber im Zweifelsfall, so Quintilian, ist der Gebrauch ein besserer Leitfaden als die Regel: Denn die Analogie kam ja nicht sofort, als die Menschen erschaffen wurden, vom Himmel herab, um die Sprachform vorzugeben, sondern man fand sie erst, nachdem man schon sprach, und man beobachtete beim Sprechen, welches Wort auf welche Endung ausging. Daher stützt sich die Analogie nicht auf die Theorie, sondern auf das Beispiel, und sie ist auch kein Sprachgesetz, sondern beruht auf Sprachbeobachtung, so dass nichts anderes als der Sprachgebrauch die Analogie selbst hervorgebracht hat. (I,6,16)94 Der Gebrauch ist im Zweifelsfall auch der Althergebrachtheit vorzuziehen: „denn es wäre ja fast lächerlich, die Redeweise, wie die Menschen (früher) gesprochen haben, der Redeweise, wie man jetzt spricht, vorzuziehen“ (I,6,43).95 ist, dieses Nomen dem Nomen panis (= Brot) [m.] ähnlich ist, die Deklinationsform mit der Folge, dass, wenn man in Zweifel gerät, ob man hac domu oder hac domo (= durch dieses Haus) sagen soll und domuum oder domorum (= der Häuser), die Nomina domus, anus (= alte Frau) und manus (= Hand) ähnlich sind.“ (I,6,5) Übersetzung von Ax (2011) 63. Ausführlich zu Quintilians Beispielen für Analogie Ax (2011) 233–272. 93 Übersetzungen von Ueding & Steinbrink (2011) 226 f. 94 Übersetzung von Ax (2011) 67. Zu dieser Stelle vgl. Jellinek (1913–14) § 78; Colson (1919) 30 f. Allgemein zum Streit der Analogisten und Anomalisten Steinthal (1890) 357–374; (1891) 71–161 und passim; Jellinek (1913–14) §§ 128–136; Colson (1919); Stolz & Debrunner & Schmid (1966) 15 f.; Taylor (1987); Formigari (2004) 31 f.; Brandenburg (2005) 36 f.; de Moura Neves (2007). – Taylor (1987) 1–16, Formigari (l. c.) und Brandenburg (l. c.) legen Wert auf die Feststellung, dass der Streit der Analogisten und Anomalisten kein Streit zweier „Lager“ war, sondern dass die meisten Autoren eine Synthese beider Standpunkte vertraten. 95 Übersetzung von Ueding & Steinbrink (2011) 227. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 45 Diese Überlegungen Quintilians zeigen zugleich, dass die rhetorische Suche nach dem richtigen und passenden Ausdruck unmittelbar zu der Frage führt, wo die Maßstäbe der Sprachrichtigkeit liegen: in der Sprache selbst und ihrem Regelsystem oder im Gebrauch? Mit dieser Frage sind zugleich Kernfragen der Sprachwissenschaft gestellt: Wie funktioniert Sprache, wie kommt sie zustande, wodurch ändert sie sich? Die Gebrauchstheorie gibt die paradoxe und scheinbar zirkuläre Antwort: Sprache kommt durch den Gebrauch von Sprache zustande. Tatsächlich lässt sich durch eine Analyse des Konventionalisierungsprozesses zeigen, dass Sprachrichtigkeitsüberlegungen ein wichtiger Motor in der alltäglichen (Re-)Produktion von Sprache sind. Sie werden nicht nur von professionellen Rednern und Grammatikern angestellt, sondern es sind die Sprecher, die in ihrem täglichen Gebrauch unablässig Normen aufstellen. 4.3.2 Rhetorik in der alltäglichen Rede Auch alltägliche Sprecher orientieren sich am Sprachgebrauch prominenter Persönlichkeiten oder bekannter Publikationsorgane; an der Sprache von Dichtern oder von Ständen, die für ihren gepflegten Sprachgebrauch bekannt sind; an der „guten alten“ Sprache oder an den neuesten Sprachmoden; an Fachund Sondersprachen oder am Sprachgebrauch des jedem „Fachchinesisch“ abholden „einfachen Mannes“; an den Sprachregelungen mächtiger Institutionen oder ihrer Kritiker oder am Vorbild einzelner ‚language sages‘. In all diesen Verhältnissen und in allen Größendimensionen der Gesellschaft findet in der alltäglichen Rede dieses Wechselspiel zwischen Norm und Gebrauch statt. Der „ungesteuerte“ Sprachgebrauch wird normalerweise von den Sprechern selber mit Hinblick auf die Angemessenheit ihrer Rede aufmerksam gesteuert. Insofern gibt es im täglichen Sprachgebrauch nicht nur einfache Rede und Wechselrede, sondern stets auch den Gedanken an eine „Richtigkeit“ – oder „Falschheit“ – des Sprechens. Das hat seine Ursache darin, dass im Sprechen, wie in der Gesellschaft überhaupt, die Grundkräfte Kooperation, Konkurrenz und Abgrenzung am Werk sind. Kooperation führt zur Anerkennung des Sprachgebrauchs anderer und zur einvernehmlichen Aushandlung einer gemeinsamen Sprache, Konkurrenz zum Versuch, den eigenen Sprachgebrauch gegen andere geltend zu machen, und Abgrenzung zum interaktiven Stillstand. 46 Peter-Arnold Mumm 4.3.3 Das normative Moment im Konventionalisierungsprozess Kooperation, Konkurrenz und Abgrenzung zeigen sich bereits im kommunikativen Mikrokosmos des Zweiergesprächs. Ständig findet dort Ko-Semiose statt, lokales Verstehen. Oder die gegenseitige Aushandlung der Bedeutung in einer Sprachgebrauchssituation unterbleibt, weil wenigstens einer der Gesprächspartner keinen Grund zur Kooperation sieht. Ständig findet auch Akkommodation (Ko-Adaption) zwischen den Gesprächspartnern statt: Aufgreifen der Aussprachegewohnheiten, des Dialekts, der Satzmelodie, der Wortwahl, der Formulierungen des Gegenübers, Übernehmen, Ändern, Weiterspinnen. Oder Nicht-Akkommodation: Ablehnen, Ignorieren. Ständig wird eine gemeinsame Sprache ausgehandelt, und ständig entdeckt ein Gesprächspartner auch die Grenzen dessen, was er sprachlich vom anderen übernehmen will.96 Die Aushandlung findet nicht nur explizit dialogisch statt (Was meinst du?, Wovon redest du?, So würde ich es nicht sagen, Prima formuliert und ich würde sogar noch hinzufügen usw.), sondern auch auf der Ebene der Präsuppositionen: Mit nominaler und verbaler Definitheit, mit Abtönungspartikeln wie dt. ja, eben, offenbar und erläuternden Phrasen machen Sprecher ihre Äußerungen polyphon und artikulieren neben dem, was sie sagen wollen, zugleich ihre Annahmen darüber, was davon dem Hörer wohl zugänglich, geläufig oder selbstverständlich ist (taken for granted) und was nicht.97 Da es oft nicht nur um neutralen Informationsaustausch geht, sondern um Verschiedenheit der Ansichten, rechnen Sprecher auch mit Widerstand. Auch hierfür gibt es sprachliche Mittel, wie etwa die deutsche Abtönungspartikel doch. Detges 96 Lewis (1979) stellt das „Sprachspiel“ dem Baseballspiel gegenüber und arbeitet als Unterschied heraus, dass im Sprachspiel die Regeln permanent neu ausgehandelt werden. Die Akkommodation ist dort ständig im Fluss. – Eine klassische Formulierung des Prozesses der (Nicht-)Akkommodation bieten Giles & Coupland & Coupland (1991) 7 f.: „»Convergence« has been defined as a strategy whereby individuals adapt to each other’s communicative behaviors in terms of a wide range of linguistic-prosodic-nonverbal features including speech rate, pausal phenomena and utterance length, phonological variants, smiling, gaze, and so on […] »Divergence« was the term used to refer to the way in which speakers accentuate speech and nonverbal differences between themselves and others.“ – Ros i Solé (2016) 24 arbeitet diesen Gesichtspunkt für den Zweitspracherwerb aus: „Language learners become creative agents in the language learning process not only by reproducing and borrowing intercultural understandings that do not belong to them, but also by engaging in dialogic imagination […] and by inhabiting and embodying the Other. In such a view, language learners become not only performers and »actors« of languaculture scripts, but they infuse it with new meanings and new voices […], and so they become »interpreters« and »authors«.“ Über „Common Ground in Intercultural Interactions“ vgl. auch Kecskés (2014) 166–175. 97 Zur verbalen Definitheit s. Mumm (1995b), Mumm (2011), Wirsching (2017). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 47 (2013) arbeitet für das Französische heraus, dass puisque, annähernd synonym mit étant donné (que), im Unterschied zum nur auf Verständniskohärenz zielenden étant donné (que) dann gebraucht wird, wenn der Sprecher damit rechnet, dass der Hörer die Aussage nicht ohne weiteres akzeptiert und eine gewisse Überredung und freundliche Suggestion braucht. So wird Konsens hergestellt und Dissens, Vertrautheit und Fremdheit. Die Dialoggemeinschaft strebt nach einer gemeinsamen Sprache und zugleich nach Sprachspaltung. Sprachspaltung – zunächst auf der lokalen Ebene der Dialoggemeinschaft – findet in dem Maß statt, wie ein Sprecher den Sprachgebrauch eines anderen Sprechers in einer bestimmten Situation ablehnt und nicht als gemeinsame Sprache akzeptiert.98 Ähnlich steht es mit größeren sozialen Gruppen und ihrem jeweiligen Sprachgebrauch. Wo immer einzelne Sprecher oder Autoren oder ganze Gruppen, Stände und Institutionen gesellschaftlich besonders prominent sind, tendiert ihre Sprache dazu, zur „Norm“ für den Rest der Gesellschaft oder aber für eine Teilgruppe im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft zu werden. Man eifert dieser Norm dann bewusst oder unbewusst nach oder gibt ihr Contra, oder die, die die Norm befolgen, geben dem Rest der Gesellschaft Contra. Näheres s. u. (§ 4.4).99 4.3.4 Das Wort als Münze Die Konventionalität des Wortgebrauchs ist oft mit der Prägung und Weitergabe einer Münze verglichen worden.100 Dieser Vergleich ist eigentlich falsch. Denn die Münzprägung ist seit ihrer Entstehung in der griechischen Antike Stadt- oder Staatsmonopol.101 Sie ist damit eine explizite Normierung, keine 98 Die Sprecher halten es damit ein Stück weit mit Karl Kraus: Ich bin nur einer von den Epigonen, / die in dem alten Haus der Sprache wohnen. / Doch hab’ ich drin mein eigenes Erleben, / ich breche aus und ich zerstöre Theben. („Bekenntnis“. In: Kraus (1920) 40.) Nur wenige gehen jedoch so weit wie Kraus, wenn er sich in die Rolle eines Sprachhüters begibt und fortfährt: Komm’ ich auch nach den alten Meistern, später, / so räch’ ich blutig das Geschick der Väter. / Von Rache sprech’ ich, will die Sprache rächen / an allen jenen, die die Sprache sprechen. Da spricht ein Identitätsbewusstsein (s. o. § 3.8) eigener Art. Die Grundlage dieses Heroentums allerdings, die Ehrfurcht vor der eigenen Sprache, ist verbreitet. S. o. § 2. 99 Die tragende Rolle der Akkommodation für den Sprachwandel betonen Auer & Hinskens & Kerswill (2005) 335–357. 100 Weinrich (1976) bietet im Kapitel „Münze und Wort“ eine reiche Sammlung von Belegen. 101 Howgego (1995) 3; den Übergang zu privater Münzprägung sieht Howgego geradezu als definierend für den Übergang von der Antike zum Mittelalter an (l. c. 34). Vgl. weiter Zarlenga 48 Peter-Arnold Mumm implizite (s. o. § 4). Als Beispiel für eine implizite Normierung würde sich eher die Entstehung des Geldes aus dem Warenhandel eignen, aber eben nicht das gemünzte Geld. Der Vergleich von Wort und Münze würde, wenn explizite Normierung die Vergleichsbasis wäre, suggerieren, das Wort bestehe aus einem Lautkörper und einer von einer staatlichen Autorität verbindlich geprägten Bedeutung, und beides zusammen werde in der Kommunikation einfach weitergegeben. Das ist nun gerade nicht die Art und Weise, wie Wörter entstehen und zirkulieren. Ebendeswegen ist die beliebte Metapher vom Prägen der Wörter aber instruktiv. Sie zielt auf die Frage, wo und wie sprachliche Konventionen entstehen, und gibt die Antwort: Es sind die Sprecher selber, die im Wechselspiel von Kooperation, Konkurrenz und Abgrenzung die sprachlichen Normen und die stets begrenzte Reichweite ihrer Gültigkeit aushandeln. 4.4 Gruppensprachen und Schibboleths Wo Sprachspaltung stattgefunden hat, kann das andere Idiom zum Symbol der Andersheit werden. Vor knapp hundert Jahren schrieb Karl Vossler: Vor nicht langer Zeit hat ein Vorkämpfer der katalanischen Autonomie in Barcelona eine Ansprache an die Studentenschaft gehalten, in der er sagte: »Wie oft sind wir unter den heutigen Umständen in Katalonien gezwungen, ein Idiom zu gebrauchen, das nicht das unsere ist! Den schlechten Katalanen erkennt man daran, daß er dabei weder Schmerz noch Scham empfindet. Es gibt aber eine Art das Kastilische zu sprechen, die uns erlösen kann. Sie besteht darin, daß man ihm ein Glöckchen anhängt, das die Professoren hören müssen. Wenn Ihr es so macht, können Euch die Textbücher, die Kolleghefte, die Vorlesungen mit ihrem Spanisch nichts anhaben.« — Was ist dieses Glöckchen? Offenbar ein gewolltes Zeichen dafür, daß das Spanische in jenen Hörsälen eine auferlegte, keine erlebte, eine fremde und gehaßte Sprache ist: daher man es mit absichtlich katalanischem Akzent und mit Katalanismen versieht, wie man der Katze eine Schelle anhängt, wenn man Maus ist. […] Der spanische Fremdling soll in katalanische Nationaltracht gesteckt und die majestätische Staats- und Fachsprache in der gemütlichen Zipfelhaube einer Mundart verlacht werden.102 Berühmt geworden ist William Labovs Untersuchung zum Dialekt der Insel Martha’s Vineyard / Massachusetts. Ein lautliches Charakteristikum dieses Dialekts, die Zentralisation der Diphthonge [ay] und [aw], geht auf einen Teildia- (1999) 29, 41; Rostovtzeff (1957) 181; Pauly & Wissowa (1933) 461 s. v. „Münzwesen (archaisch)“). 102 Vossler (1924) 3; 17. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 49 lekt dieser Insel (um Chilmark herum) zurück, der zum Wahrzeichen der Bewohner von Martha’s Vineyard geworden ist: lt is apparent that the immediate meaning of this phonetic feature is ‘Vineyarder.’ When a man says [rɐɪt] or [hɐʊs], he is inconsciously establishing the fact that he belongs to the island.103 Die Zentralisierung dieser Diphthonge ist so zum Schibboleth104 der Vineyarder geworden. Ein Sommerfrischler auf Martha’s Vineyard würde sich, wie Ilona Schulze treffend bemerkt, „vermutlich keine Sympathien bei der einheimischen Bevölkerung erwerben, wenn er deren Sprechweise annehmen würde.“ 105 Er würde nach dem Motto handeln „Immer mehr von diesen Minderheiten kommen da herein und behaupten frech, sie wären wir.“ 106 So gleicht man sich dialektal an, sondert sich aber auch ab, ist stolz auf den eigenen Dialekt und lächelt oder spottet über den merkwürdigen Dialekt der anderen. Ältere Verkehrsteilnehmer üben sich in Jugendsprache, mit zweifelhaftem Erfolg. Ungeübte versuchen sich an Amtssprache und Fremdwörtern und zeigen, dass sie „keine Koniferen auf diesem Gebiet sind“.107 Überall, in der gesamten Gesellschaft, in Teilgruppen, in vorübergehenden Sprecherkonstellationen und, wie es die wechselseitige Perspektive der unterschiedlichen Varietäten aufeinander zeigt, auch quer durch alle Gruppengrenzen werden unablässig Normen aufgestellt, mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger verbindlich, und unablässig wird das Übernehmen, Ablehnen, Ignorieren, Ändern, Weiterspinnen dieser Normen ausgehandelt. 4.5 Normbefolgung und -verletzung, Registerwahl und Tabu, Hierarchie und Rederecht Die soziolinguistischen Grundfragen Wer spricht aus welcher sozialen Position heraus mit oder zu wem? In welchem Rahmen, unter welchen Umständen? Mit 103 Labov (1963) 304 [= Labov (1972) 36]. 104 „Und die Gileaditer nahmen ein die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun die Flüchtigen Ephraims sprachen: Laß mich hinübergehen! so sprachen die Männer von Gilead zu Ihm: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein! hießen sie ihn sprechen: Schiboleth; so sprach er Siboleth und konnte es nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn und schlugen ihn an den Furten des Jordans, daß zu der Zeit von Ephraim fielen zweiundvierzigtausend.“ (Ri 12,5–6) 105 Schulze (2014) 73. 106 Gerhard Polt, „1705“, 5:43–5:51. 107 Vgl. z. B. https://www.korrekturen.de/beliebte_fehler/konifere_koryphaee.shtml (Stand 20. 04. 2018). 50 Peter-Arnold Mumm welchem Zweck? In welchem Medium? offenbaren eben nicht nur, dass viele sprachliche Varietäten nach Art von Konfektionsware bereitstehen, um den mannigfachen Kommunikationskanälen, -situationen und -bedürfnissen jeweils als passendes Kommunikationsmittel zu dienen. Sie offenbaren auch, dass es hier sehr viele Möglichkeiten gibt, sich in den Augen des Einen oder Anderen „unpassend zu äußern“. In und zwischen diesen Varietäten herrscht überall ein Verhältnis zwischen Norm und Gebrauch. Man kann viel „falsch“ machen, von kleinen Schnitzern bis hin zu unverzeihlichen Fehlern und Tabubrüchen. Dann ist die Akkommodation entweder misslungen, oder jemand hat sie gezielt verletzt. Überall werden dabei Hierarchien aufgebaut: – Zwischen den rechtmäßigen Inhabern einer Sprachnorm und unrechtmäßigen „Eindringlingen“; – zwischen den beschränkten Inhabern einer Norm und den weitsichtigeren Außenstehenden; – zwischen denen, die meinen, „die Sprache richtig gebrauchen“ zu können, und denen, die angeblich „die Wörter und die Grammatik nicht kennen“; – zwischen denjenigen, die wissen, wie man in einer bestimmten Situation redet, und denjenigen, die sich ungeschickt anstellen und ins Fettnäpfchen treten; – zwischen denen, die sich konformistisch verhalten, und denen, die eine individuelle Note einbringen; usw. Die Fragen Wer spricht aus welcher sozialen Position heraus usw. offenbaren damit drittens, dass es keineswegs selbstverständlich und eher die Ausnahme ist, dass alle das gleiche Rederecht haben. A performative utterance is destined to fail each time that it is not pronounced by a person who has the ‘power’ to pronounce it, or, more generally, each time that the ‘particular persons and circumstances in a given case’ are not ‘appropriate for the invocation of the particular procedure invoked’ … 108 108 Bourdieu (1991) 111. Vgl. auch Thompson, „Editor’s Introduction“ in Bourdieu (1991) 7 f.: „actual speakers have a practical competence, a ‘practical sense’ […] by virtue of which they are able to produce utterances that are appropriate in the circumstances; and this practical competence cannot be derived from or reduced to the competence of Chomsky’s ideal speaker. Thus actual speakers are able to embed sentences or expressions in practical strategies which have numerous functions and which are tacitly adjusted to the relations of power between speakers and hearers. Their practical competence involves not only the capacity to produce grammatical utterances, but also the capacity to make oneself heard, believed, obeyed, and so on. Those who speak must ensure that they are entitled to speak in the circumstances, and those who listen must reckon that those who speak are worthy of attention. The recognition Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 51 Wenn das Rederecht ungleich verteilt ist, ähnelt die „gemeinsame Sprache“ besonders wenig einer spontanen Empfindungsgemeinschaft – es sei denn, Untergebene fühlen sich in einem solchen Machtgefälle heimisch. Das sei im folgenden Paragraphen im Bereich von Wortwahl und Bedeutungsprägung näher betrachtet. 4.6 Faktoren der Akkommodation 4.6.1 Rederechte und ihr Einfluss auf Wortwahl und Bedeutungsprägung Einer der Beteiligten mag sich selbst – z. B. weil er ein berühmter Politiker oder Professor ist – als mächtig und hochstehend und sein Gegenüber als unwichtig einstufen. Dann kommt es vor, dass er vom anderen beflissenes Zuhören erwartet und sich selber das Zuhören abgewöhnt. Bei ihm zumindest findet dann kaum Akkommodation statt. Oder die Autoritäten und Rederechte sind in einer Situation ungleich verteilt, etwa in einem betrieblichen Meeting. Dann findet das Kommunizieren überwiegend in einer Richtung statt und wird transitiv. Der unterlegenen Seite bleibt das Recht, zu schweigen, allerdings selbst das nicht immer. Wird sie aufgefordert, „Rede und Antwort zu stehen“, muss sie sorgfältig formulieren. Mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist auch das Rederecht ungleich verteilt. Und mit dem Rederecht die Gelegenheit, Sprache zu prägen. Wer ein privilegiertes Recht hat, das Wort zu führen, hat auch eine privilegierte Gelegenheit, einen sprachlichen Formulierungsvorschlag für seinen Standpunkt in Umlauf zu bringen. 4.6.2 Das Ringen um die Artikulationshoheit. Die Verallgemeinerung partikularer Sichtweisen in der politischen Sprache und anderswo Für die politische Sprache ist das schon lange festgestellt worden. Die Sprache der Politik ist voll von Regeln, wie man Benennungen anwendet und zu verstehen hat. Und sie ist voll von Kämpfen um diese Regeln. of the right to speak, and the associated forms of power and authority which are implicit in all communicative situations, are generally ignored by the linguist, who treats the linguistic exchange as an intellectual operation consisting of the encoding and decoding of grammatically well formed messages.“ 52 Peter-Arnold Mumm Wir kommunizieren nie unschuldig. Die politische Sprache ist ein Kampf mit Wörtern um Wörter. So lässt sich Deutungshoheit über Sachverhalte gewinnen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die drei bekanntesten und gängigsten Methoden sind dabei: benennen, besetzen und beschönigen.109 Beispiele aus der politischen Sprache sind Legion.110 Sie zeigen, dass Inhaber politischer und medialer Macht ihr prominentes Rederecht nicht nur nutzen, um für ihren Standpunkt zu werben, sondern auch, um Sprache in ihrem Sinne zu prägen, in Umlauf zu bringen, idealerweise zur tatsächlich von allen geteilten gemeinsamen Sprache zu machen und damit ihren Standpunkt gleichsam subkutan zu verabreichen. Da es nun viele gegensätzliche Parteien gibt, die ihr Rederecht und die Gelegenheit nutzen, prägend auf den Sprachgebrauch zu wirken, ist die Sprache in steter Bewegung. Und es gibt immer Gewinner und Verlierer. Vollständig gewonnen hat ein Formulierungsvorschlag dann, wenn die Sprachgemeinschaft ihn als alternativlose und damit neutral erscheinende Bezeichnung annimmt und verwendet. In den 90er Jahren wurde das Wort Globalisierung geprägt, um die Idee eines irgendwie von selbst ablaufenden Sachzwangs zu benennen. Die Maßnahmen der Politik konnten so als bloße Reaktionen auf diesen Sachzwang erscheinen.111 Heute hat sich das Wort Globalisierung etabliert, und mit seinem selbstverständlichen Gebrauch erscheint auch der Gedanke selbstverständlich, dass es den suggerierten selbsttätigen Sachzwang tatsächlich gibt. Auf dieser weithin geteilten Grundannahme baut der Streit um Bewertung und Beeinflussbarkeit der als Tatsache akzeptierten Globalisierung auf. Dieser Mechanismus ist nicht auf die politische Sprache und nicht auf bewusste Sprachregelungen beschränkt. Oft handelt es sich einfach um die gemeinsamen Sichtweisen und Wertungen dominanter Gruppen, die sich in sprachlichen, dann für selbstverständlich genommenen Wertungen niederschlagen. Das kann quer über die Sprachgrenzen ähnlich verlaufen. – In vielen Sprachen hat z. B. die Bezeichnung des Bauern eine abwertende Karriere erfahren: gr. ἀγροῖκος / ἄγροικος (αγρός, οἰκέω) ‚auf dem Lande lebend, ländlich‘ > ‚bäurisch, grob, plump, ungesittet, unschicklich, roh, ungebildet, unwissend‘;112 frz. vilain ‚gemeiner verächtlicher Mensch; hässlich‘; aus lat. vīllānus ‚Bauer‘; dt. Tölpel umgebildet aus mhd. dörpel, 109 Bazil (2010) 3. 110 Vgl. z. B. Bazil (2010), Biermann & Haase (2013), Klein (2010), Panagl (1998), Zimmer (1986). 111 Klein (2010) 8. 112 Passow (1841) s. v. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität – – 53 dörper, entlehnt aus mnl. dorpere, Lehnübersetzung zu vilain; russ. mužik ‚Bauer‘ (eigtl. ‚kleiner Mann‘, Diminutiv zu muž ‚Ehegatte, Mann‘)113 > ‚grober, plumper, unmanierlicher Mensch‘; das Bäuerchen schließlich setzt den Pejorisierungen eine niedliche Krone auf. Debrunner schließt daraus: „diese Bedeutungsverschlechterung stammt aus dem städtischen Überlegenheitsgefühl, und der Einfluß der Stadtkultur hat die abwertende Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen können. Natürlich sind diese ursprünglichen Bedeutungen längst aus dem Bewußtsein der Sprachgemeinschaften verschwunden.“ 114 Ähnlich steht es mit der in vielen Sprachen beobachtbaren Tendenz, dass Bezeichnungen für Frauen eine pejorative Bedeutungskarriere erfahren. Mhd. junc-herre ‚junger Herr, Edelknabe‘ und junc-vrouwe ‚junge Herrin, Edelfräulein‘ haben sich gegensätzlich entwickelt: Junker bezeichnet heute einen Adligen, allenfalls einen selbstherrlichen Adligen, Jungfer dagegen bezieht sich abwertend auf die sexuelle Unberührtheit einer Frau.115 Ähnliche Pejorisierungen haben Weib, Magd, Dirne durchgemacht. Der Grund ist, wie Nübling (l. c.) überzeugend zeigt, nicht die überbordende Höflichkeit der Männer, die in ihrer Wortwahl stets ein Register zu hoch gegriffen und damit zur allmählichen Inflationierung und Absenkung des Wortprestiges beigetragen hätten. Der Grund ist viel einfacher: Die Männer haben nicht etwa, wenn sie mit niedrig angesehenen Frauen oder über sie geredet haben, dabei so oft höfliche Bezeichnungen verwendet, dass sich durch diesen speziellen Sprachgebrauch – rätselhafterweise – die allgemeine Bedeutung dieser höflichen Bezeichnungen pejorisiert hätte. Sondern sie waren in der Regel gar nicht höflich und haben Frauen, in welchem Zusammenhang auch immer, oft und gerne sexualisierend und pejorisierend bezeichnet. Da die deutsche Sprache über viele Jahrhunderte im Wesentlichen von Männern geprägt wurde, hat ihr dominanter Sprachgebrauch den Sprachgebrauch insgesamt verändert. Käufer und Verkäufer werden sich zwar immer wieder einig, sind es aber grundsätzlich nicht. Dornseiff überlegt, warum billig, ursprünglich ‚angemessen, gerecht, richtig‘, die Bedeutung ‚preisgünstig‘ angenommen hat und kommt zu dem Ergebnis: „Bei jedem Kaufhandel wurden die höchsten Grundsätze der »Billigkeit« angerufen; den Erfolg, daß der »gerechte« Preis der niedrige wurde, hat sichtlich der Käufer davongetragen.“ 116 113 „Die Bedeutung erklärt sich daraus, daß rechtlich Unmündige als Knaben bezeichnet wurden“ Vasmer (1953–1958) s. v. 114 Debrunner (1958) 6. 115 Nübling (2011). 116 Dornseiff (1959) 44. 54 Peter-Arnold Mumm Eine wichtige Grundlage solcher Umdeutungen und -wertungen haben Perelman & Olbrechts-Tyteca herausgearbeitet: Es sind rhetorische Strategien, die die Sprecher, wie bewusst auch immer, einsetzen, wenn sie davon ausgehen, dass sie einen Meinungsgegensatz überwinden und für sich entscheiden müssen. Sie beschönigen und präzisieren das Wort, das sie für ihre Sache einsetzen wollen, und beladen Worte, die sie dem gegnerischen Lager zuschreiben, mit unklarem und unlauterem Beigeschmack. Als z. B. die Assoziationspsychologie außer Mode kam, wurde es unter Psychologen Mode, sich gegenseitig als „Assoziationisten“ zu kritisieren, auch wenn das sachlich vielleicht gar nicht zutraf.117 Der abwertende Beigeschmack hat, wie das Wort selbst, nicht lange überdauert. Die Technik ist omnipräsent. Zu dieser Technik gehört das ganze Arsenal der Rhetorik. Es wird ja um die in Wortbedeutungen geronnene selbstverständliche Sichtweise der Dinge gerungen. Kämpfe um die selbstverständlich richtige Sichtweise sind von ganz anderer Natur als Kämpfe um die richtige Sichtweise. Wo man um die richtige Sichtweise streitet, führt man Argumente ins Feld. Den Kampf um die selbstverständlich richtige Sichtweise führt man als Feldzug zur Eroberung der Artikulationshoheit, mit dem kompletten Arsenal rhetorischer Waffen, offen und subkutan, mit Machtposition und Rederecht und mit allen Hebeln sprachlicher Richtigkeit und Angemessenheit.118 Die wenigen angeführten Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, was gezeigt werden sollte: In einer Welt von sozialen und von Meinungsgegensätzen ringen die Sprecher um die Artikulationshoheit und damit um Verbindlichkeit und Abgrenzung in ihrem Sinne. Alle haben das Ziel, ihre Deutung oder Wertung einer Sache dem Kommunikationsmittel Sprache einzuimpfen und damit idealerweise ihren Gegnern wie auch allen Unbeteiligten als die natürliche Ausdrucksweise der Sache unterzuschieben – und andere Ausdrucksweisen zu stigmatisieren. Das Ringen um Artikulationshoheit ist das Ringen um Deutungshoheit. 117 Perelman & Olbrechts-Tyteca (1958/1969/2004) §§ 35; 38. 118 Diejenigen, die den Kampf um die selbstverständliche Sichtweise einer Sache führen, stehen ihrerseits auf einem Boden von – für sie – selbstverständlichen Sichtweisen. Deren Gesamtstruktur und -dynamik suchen Jäger & Jäger (2007) 7–11 und 103 f. mit Foucault unter dem Begriff Dispositiv zu fassen: sozusagen die „Ursuppe“ des Meinens, Empfindens, Wahrnehmens und Handelns. In unserem Zusammenhang geht es nur um das Moment der strategischen Herstellung von Selbstverständlichkeiten in und aus einem argumentativen Diskurs. Dieses Moment lässt sich in der politischen Sprache gut verfolgen, s. z. B. Jäger & Jäger (2007) 73–93 über Strategien der Bild-Zeitung. Unter anderem auf solche Weise werden sprachliche Münzen geprägt (s. o. § 4.3.4). Über die grundlegende Rolle rhetorischer Strategien bei der Herstellung von Sprache vgl. Schulze (2016) 188 f. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 55 Dies ist das Moment der Konkurrenz im Konventionalisierungsprozess. Ich habe ihn hier hervorgehoben, weil er weniger beachtet wird als der grundlegendere Prozess der Kooperation, dessen elementare Bedeutung für die Kommunikation Grice herausgearbeitet hat. Nur erwähnt sei drittens der in seiner realen Bedeutung ebenfalls unterschätzte Prozess der Abgrenzung und einfachen Nicht-Kooperation, der den sprachlichen Konventionalisierungsprozess mit einer bedeutenden Unwucht anreichert.119 4.6.3 Anführungszeichen – die distanzierte (Nicht-)Akkommodation Eine Reaktion auf sprachliche Konkurrenz sind Anführungszeichen.120 Geschriebene Worte werden in Anführungszeichen gesetzt, gesprochene mit erhobenen Händen und gebogenen Zeige- und Mittelfingern markiert. So gebraucht man ein Wort und distanziert sich gleichzeitig von ihm, genauer: von der Idee, dass es einen präsupponierten Konsens um dieses Wort gebe. Man signalisiert, man sei nicht einverstanden mit dem, was normale Sprecher bei diesem Wort denken, und hält ausdrücklich in der Schwebe, wie man es denn nun anders denken soll. Wird dieses Signal akzeptiert, stellt sich ein Konsens her – darüber, dass man keinen Konsens hat, aber sich auch so ganz gut verständigen kann. 4.7 Vertraute Töne, polyphone Resonanzen Selbst in einer Welt von Anführungszeichen kann man sich also heimisch fühlen. Werfen wir einen Blick zurück auf die in den vorangehenden Paragraphen erwähnten Momente der Akkommodation: in Dialog, Gruppensprache, Muttersprache; im Klangbild des Dialekts, in der Wortwahl, in der Bedeutungsprägung. Auf all diesen Ebenen wird Akkommodation ausgehandelt. Aber die 119 „Zweckfrei pure Kommunikationslust, nicht enden wollender Redefluss, Redundanzen, Abundanzen, kommunikativer Überfluss, Schwatzhaftigkeit, Geschwätzigkeit, Dummheit, Bescheuertheit, versehentlich, absichtlich oder systematisch verunglückende Gespräche, Verweigerung und Unterminierung von Kooperation bis hin zu aggressivem Schweigen – alles kommt vor, und zwar nicht als seltene, besonders markierte Ausnahmen vom alltäglichen Normalfall gelingender Verständigung, sondern als durchaus gewöhnlicher Alltag. In vielen Fällen geschehen derlei kommunikative Turbulenzen sogar, ohne dass ihre Urheber geächtet würden.“ Schmitz (2008) § 6. Schmitz zeigt in seiner Diskussion des Grice’schen Modells insgesamt, dass Kooperation nur partiell Grundlage der Konversation ist. 120 Dusini & Edlinger (2012) widmen diesen Anführungszeichen ein ganzes Buch. 56 Peter-Arnold Mumm Kommunikation besteht nicht allein im Aushandeln der Akkommodation. Ein Großteil der gemeinsam verwendeten Sprache ist – wenigstens vorläufig – als ausgehandelt präsupponiert. Dieser präsupponierte Teil geht in die Kommunikation als – einstweilige – Grundlage ihrer Verständlichkeit ein. „Verständlichkeit“ ist dabei nicht nur im Sinne der Absicherung des Informationsaustauschs gemeint. Man „versteht sich“ auch in dem Sinne, dass in jedem Kommunikationsfragment gemeinsame Hintergründe anklingen. Die Laute des geteilten Dialekts sind vertraut, die Wortwahl der geteilten Gruppensprache, geflügelte Worte und Wortwitze, Kollokationen und Bedeutungsprägungen des geteilten Diskursuniversums. Mit jedem Akt von Kommunikation werden diese Ebenen, wenn vorhanden, aktiviert. Dann ist es, wie wenn ein ganzes Orchester die vergleichsweise dünne Stimme der ins Rampenlicht gestellten Aussage polyphon begleitet.121 In der konventionalisierten Kommunikation wird so das Entrenchment angesprochen und gibt der Kognition Resonanz. Dies ist die Grundlage des Selbstzeugnisses bi- oder multilingualer Sprecher, in jeder Sprache eine andere Identität oder ein anderes Herz zu haben.122 Dieses Zusammentreffen eines gemeinsamen sprachlichen Habitus ist die Grundlage für die doppelte Bedeutung von einander verstehen. Mit der Phrase sich gut verstehen kann eine gute akustische Verbindung oder ein gelungener Informationsaustausch gemeint sein. In einem tieferen Sinne meint man damit die Resonanz geteilter Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten – eine Art Heimat. 4.8 Sprache und Identität; sprachliche Heimat und sprachliches Weltbild Mit Rückbezug auf § 3.7 lässt sich also sagen: Individuen nehmen die sprachliche Lebenswelt in ihren Habitus auf. Je größer die Menge der von zwei Indivi- 121 Bachtins Idee literarischer Polyphonie wird in der Linguistik im Interesse besserer Fassbarkeit vorzugsweise auf Syntax und Grammatik beschränkt und bezeichnet dann wiedergegebene, indirekte und präsupponierte Rede sowie Formen von Modalität; vgl. Gévaudan (2008), Atayan & Detges & Gévaudan (2013), Detges (2013). Die musikalische Metapher bietet sich aber auch in genereller Hinsicht an: Akkommodation heißt Einbeziehung anderer Stimmen in die eigene Rede, Usualisierung das Zusammenführen vieler Stimmen in einem sprachlichen Ausdruck. Ausführlich zur Polyphonie-Metaphorik Previšić (2014). 122 Ennius hatte als Sprecher des Griechischen, Oskischen und Lateinischen „drei Herzen“. Scopacasa (2017) 114. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 57 duen geteilten Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten ist, desto größer ist die Resonanz, die bei jedem Kommunikationsakt entsteht, desto mehr „verstehen sich“ die Individuen. Ungeachtet dessen und auf dieser Grundlage findet immer auch aktuelle Akkommodation, Aushandlung des gemeinsamen Sprachguts statt. Kommunikation besteht aus beiden Momenten: aus der aktuellen Akkommodation und dem inkorporierten Universum vergangener Akkommodationen. Das Sprechen einer gemeinsamen Sprache ist kein passives und friedliches Eintauchen in ein für alle von irgendeiner außergesellschaftlichen Instanz passend vorgeformtes geistiges Medium, sondern ein aktiver Prozess der (Nicht-)Akkommodation auf Basis vergangener (Nicht-)Akkommodationen. Die Sprecher einer Sprachgemeinschaft arbeiten unaufhörlich an ihrem Verständigungsmittel Sprache, um es zu einem Gemeinschaftswerk zu machen, aber auch, um sich individuell oder in Gruppen von anderen Individuen oder Gruppen abzugrenzen. 4.8.1 „Sprachliche Heimat“ Die bleibenderen sprachlichen Ausprägungen, in Form von Lebenswelt vorgefunden, in den eigenen sprachlichen Habitus aufgenommen und in der Kommunikation mit ähnlich geprägten Individuen mitschwingend, können als „sprachliche Heimat“ empfunden werden. An sich sind sie das schon automatisch – das kognitive und kommunikative Universum, in dem das Individuum „zu Hause“ ist. Die Empfindung als „sprachliche Heimat“ entsteht dann, wenn das Individuum sein Bewusstsein darauf richtet und zu einem Identitätsbewusstsein ausbaut. In sich kohärent, wie etwa ein Mythos oder ein theologisches Gebäude, ist diese Heimat/Identität zwar nicht. Sie besteht ja aus einer zufälligen und heterogenen, nur eben in dieser (Gruppen-)Sprache so zusammentreffenden Mischung aus phonetischen, phonologischen, lexikalischen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen Elementen. Dennoch hat sie etwas vom Charakter einer gemeinsamen Grundstimmung. Phonetik und Lexikon sind dabei besonders empfänglich für gruppenspezifische Prägungen und entsprechende Gruppengefühle. Hier scheint der Prozess der Akkommodation leichtgängig zu sein. Ist er dann durchlaufen, erscheint die gewandelte Sprache als nicht mehr befragte, gleichsam neutrale, selbstverständliche Ausdrucksweise.123 123 Vgl. Bourdieu (1991) 131; 167. 58 Peter-Arnold Mumm Die Frage, ob eine Sprachgemeinschaft tiefer miteinander verbunden ist als nur durch die „Benutzung“ eines gemeinsamen Kommunikationsmittels, ist grundsätzlich also mit „Ja“ zu beantworten. Sprachliches Kommunizieren schließt immer auch das Anzitieren und Teilen vergangener, mittlerweile fraglos akzeptierter Akkommodationen mit ein. Das ist aber in zwei Hinsichten zu relativieren. – Je nach sprachlicher Nähe oder Entfernung ist das geteilte Sprachgut umfassender oder weniger umfassend. Die Gemeinsamkeiten innerhalb eines Familienslangs oder einer Gruppensprache sind wahrscheinlich intensiver als die Gemeinsamkeiten innerhalb eines Dialekts oder der alles übergreifenden Muttersprache. – Alles ist in Bewegung. Auch das fix präsupponierte Sprachgut kann wieder Gegenstand der Aushandlung werden. Man darf auch nicht vergessen, worin das gemeinsame Sprachgut besteht: in einer heterogenen Konstellation aus allen Ebenen der Sprache, von der Phonologie bis zur Semantik. Das kann zu einer gemeinsamen Grundstimmung führen – in schwäbelndem Ambiente mag der Schwabe sich schwäbisch fühlen –, aber kaum zu einer gemeinsamen „Weltsicht“ oder einem gemeinsamen „Weltbild“. 4.8.2 „Sprachliches Weltbild“ Worin könnte ein „sprachliches Weltbild“ bestehen? Wenn mit „Weltbild“ eine Grundeinstellung gemeint ist, die sich, mit Douglas Adams zu reden, auf „das Leben, das Universum und den ganzen Rest“ bezieht – nach Art etwa von weltanschaulichen Einstellungen wie Pessimismus, Kreationismus, Materialismus, Prinzip Hoffnung, oder nach Art von besonderen Begabungen/Defiziten wie hervorstechende (Un-)Musikalität, besonders (un-)präzises Farbgedächtnis o. ä. –, müsste ein „sprachliches Weltbild“ eine durch die Sprache hervorgerufene derartige Grundeinstellung bzw. erlernte (Nicht-)Begabung sein, die sich wie eine Brille oder ein optischer Filter – um das naheliegende Bild von Deutscher (2011) zu übernehmen – in die Wahrnehmung und ihre Verarbeitung schiebt. Ursächlich käme dafür wohl allenfalls der semantische Teil der Sprache in Frage. Sprache ist nun gerade auf dem Gebiet der Semantik kein – von wem geschaffenes? – neutrales Gefäß zum Gedankenaustausch, sondern, wie in §§ 4.3 und 4.6 beschrieben, Resultat vergangener Aushandlungen und wird von den Sprechern fortwährend per Anerkennung und Ablehnung weiter geformt. Von Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 59 allen Seiten angestoßen – von mächtigeren mit mächtigerem Impuls, insgesamt in unterschiedlichen Richtungen –, erfahren die Wortbedeutungen und die grammatischen Kategorien flüchtigere wie bleibendere Ausprägungen. Die Dimensionen, in denen diese Ausprägungen erfolgen, sind nun heterogen. Räumliche Verhältnisse und Orientierung im Raum, Zeitvorstellungen, Farbwörter, Genussysteme sind typische Kandidaten in der Grammatik.124 Im Wortschatz gibt es eine Vielzahl je für sich gelagerter Kandidaten. Es scheint also tatsächlich so etwas wie eine „sprachliche Weltsicht“ zu geben – nicht als feststehende gemeinsame Überzeugung, die ihre Wurzeln in einer noch tiefersitzenden Identität hätte, sondern als jeweilige Momentaufnahme eines vergangenen und aktuellen steten innergesellschaftlichen Ringens um Artikulationshoheit und Sprachprägung sowie einer fortgesetzten Verständigung darauf, was man grundsätzlich ausdrücken muss, was man vernachlässigen kann und was man gerne in einer handlich abgekürzten Form ausdrücken möchte. Die Intuition, die Humboldt mit seinem Begriff der „inneren Form einer Sprache“ hatte und die Steinthal, Lazarus und Wundt zur Konzeption einer „Völkerpsychologie“ führte, war also nicht ganz ohne sachliche Grundlage. Nur hat der Wunsch, eine in sich einheitliche und kohärente Volksseele zu finden, zu oft grotesken Kurzschlüssen geführt.125 Kritiker der Völkerpsychologie wie Hermann Paul haben zu Recht darauf beharrt, dass man den Sprachwandel nicht aus einer „Volksseele“ erklären kann, von der man sonst nichts weiß, 124 Vgl. Everett (2013). 125 So will Wundt (1922) 445 etwa im agglutinativen Sprachbau ein „synthetisches Denken“ erkennen, bei dem „ganz die Einheit der Gesamtvorstellung“ überwiege, im isolierenden Sprachbau dagegen „analytisches Denken“, in dem „die einzelnen Vorstellungsinhalte schärfer voneinander“ geschieden seien, was aber auch Ausdruck „fragmentarischen Denkens“ sein könne usw. – Über vergleichbare Kurzschlüsse im lexikalischen Bereich findet Dornseiff (1959) 59 launige Worte: Zur Idee, dass die große Anzahl von Redensarten und Bildern zum Gebiet des Trinkens im Deutschen bezeuge, wie sehr diese Neigung den Deutschen in Fleisch und Blut übergegangen sei, bemerkt er: „Die Tatsache selbst mag stimmen oder nicht. Aber die Begründung ist unmöglich. Denn mit derselben Methode muß man den Schluß ziehen, daß die Deutschen gern sterben oder gern arm sind. Betrunken sein ist ein mit Affekten beladener Begriff, einerseits der Inbegriff des Wohlbefindens, andererseits gesellschaftlich etwas verfänglich. Das führt dazu, daß dieser Begriff sowohl von unten wie von oben bezeichnet wird: man greift zu einer Menge teils feuchtfroh verständnisinniger, teils euphemistisch zurückhaltender Umschreibungen. Die letzteren beweisen, daß man sich vom Betrunkenen distanziert.“ – Auf diese Weise kann man den gesamten Wortschatz durchgehen. Aus der Tatsache, dass es kein englisches Äquivalent für deutsch Kabelsalat gibt, lassen sich allenfalls krause Ideen über die englische und die deutsche Volksseele entwickeln. Usw. 60 Peter-Arnold Mumm sondern im Prinzip auf die „Wechselwirkung der Individuen“ angewiesen ist.126 4.9 Die Sprachgemeinschaft. Fazit Was also ist eine Sprachgemeinschaft, und was ist sie nicht? Sehen wir zu, was vom oben unter § 2 skizzierten Dreischritt übriggeblieben ist. 1. „Menschen, die dieselbe Sprache sprechen“: Dieselbe Sprache zu sprechen heißt mehr, als einfach dieselbe Sprache zu sprechen. Man bewegt sich in unterschiedlichen Varietäten und handelt, auf Basis vergangener Konventionalisierungen und unterschiedlicher Rederechte entsprechend den gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die gemeinsame Sprache immer wieder neu aus. Dabei wird auch immer wieder neu bestimmt, wer sich sprachprägend durchsetzt und wer wo welche Grenzen setzt. Dieselbe Sprache zu sprechen heißt also fortwährende Einigung auf eine gemeinsame Sprache, aber auch fortwährende Sprachspaltung. 2. „haben ungeachtet ihrer artikulierten Differenzen einen tiefsitzenden Konsens“: Aktuell wird ein solcher Konsens immer ausgehandelt. Soweit Sprachspaltung entsteht, handelt es sich um Dissens. Grundlage aller Aushandlungen ist eine jeweils vorgefundene gemeinsame sprachliche Lebenswelt, die zu einer Art gemeinsamer Grundstimmung – „man versteht sich“ – führen kann, nicht jedoch zu einer irgendwie in sich kohärenten Weltsicht und auch nicht zu einer Einmütigkeit, in der die zugrundeliegenden gesellschaftlichen und auch im Konventionalisierungsprozess wirksamen Gegensätze neutralisiert wären. 3. „der in einer noch tiefersitzenden Wesensverwandtschaft wurzelt.“ Das bleibt soweit ein Glaubenssatz. Werfen wir, um den Glaubenssatz von einer anderen Seite zu beleuchten, einen Blick auf Diskussionen um die Begriffe Ethnizität (§ 5) und Kultur (§ 6). 126 Paul (1920) vf. und 13 f. Anm. 1. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 61 5 Ethnizität »Ich bin kein Araber, Momo, ich bin Moslem.« – »Warum sagt man dann, dass Sie der Araber in der Straße sind, wenn Sie gar kein Araber sind?« – »Araber, Momo, das bedeutet in unserer Branche: Von acht bis vierundzwanzig Uhr geöffnet, auch am Sonntag.«127 Mit §§ 3 und 4 sind die wesentlichen Grundlagen gelegt, um zu verstehen, in welches Verhältnis reale Sprachgemeinschaft und imaginierte Identität gesetzt werden können. An sich hat beides wenig miteinander zu tun. „Identität“, beliebter terminologischer Kristallisationspunkt für alle Formen von Selbstimagination, ist potentiell auf alle menschliche Existenzbereiche anwendbar (s. o. § 3.8). Sprachgemeinschaft vollzieht und konventionalisiert sich im realen Kommunikationsprozess (s. o. § 4). Dies bringt Momente geteilter Gewohnheit mit sich, die Anknüpfungspunkte für imaginierte Identifikationen werden können, aber nicht müssen. Verstärkend und aktivierend können dabei Ideen gemeinsamer Ethnizität wirken. 5.1 Imaginierte Gemeinschaft Ethnizität bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch üblicherweise nicht eine reale Form menschlicher Gemeinschaft, sondern ein Konstrukt. Der locus classicus findet sich bei Max Weber: Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Aehnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen, derart, daß dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht »Sippen« darstellen, »ethnische« Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht. Von der »Sippengemeinschaft« scheidet sich die »ethnische« Gemeinsamkeit dadurch, daß sie eben an sich nur (geglaubte) »Gemeinsamkeit«, nicht aber »Gemeinschaft« ist, wie die Sippe, zu deren Wesen ein reales Gemeinschaftshandeln gehört. […] Andererseits pflegt überall in erster Linie die politische Gemeinschaft, auch in ihren noch so künstlichen Gliederungen, ethnischen Gemeinsamkeitsglauben zu wecken und auch nach ihrem Zerfall zu hinterlassen, es sei denn, daß dem drastische Unterschiede der Sitte und des Habitus oder, und namentlich, der Sprache im Wege stehen. Diese „künstliche“ Art der Entstehung eines ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens entspricht ganz dem uns bekannten Schema der Umdeutung von rationalen Vergesellschaftungen in persönliche Gemeinschaftsbeziehungen. […] Noch dem Hellenen 127 Schmitt (2005) 17. 62 Peter-Arnold Mumm wurde jede noch so willkürlich vollzogene Gliederung der Polis zu einem persönlichen Verband mindestens mit Kultgemeinschaft, oft mit künstlichem Ahn.128 Und Max Weber wird nicht müde, zu betonen, dass Ethnizität eine nachträgliche Selbstdeutung und ihr Identitätsprinzip Abstammungsgemeinschaft nicht real ist.129 In diesem Sinn grenzt sich auch Fredrik Barth explizit von essentialistischen Auffassungen von Ethnizität ab: The term ethnic group is generally understood in anthropological literature […] to designate a population which: 1. is largely biologically self-perpetuating 2. shares fundamental cultural values, realized in overt unity in cultural forms 3. makes up a field of communication and interaction 4. has a membership which identifies itself, and is identified by others, as constituting a category distinguishable from other categories of the same order.130 Mit dieser Paraphrase löst Barth einen Begriff von Volk oder Ethnie auf, der bis in die Mitte des 20. Jh. in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften in Ansehen stand und etwa so zu paraphrasieren ist: Menschenverband, der sich als erweiterte Familie in biologischer Autopoiesis reproduziert und seine eigene Kultur und Sprache und ein deutliches „Wir“-Bewusstsein entwickelt hat. Barths heute allgemein akzeptierte Dekonstruktion besteht darin, gezeigt zu haben, dass die Voraussetzung, von der dieser Begriff lebt, falsch ist: Ethnien, die in dieser Weise voneinander abgegrenzt wären und dauerhaft blieben, gibt es in Wirklichkeit nicht (oder allenfalls als seltene Ausnahme). Der Regelfall zeigt soziale Kontinuen und eine unaufhörliche Dynamik von ethnischen Neuund Umformungsprozessen. Dazu kommt, dass sich die Wissenschaft nie hat darauf einigen können, auf welchen realen Grundlagen Ethnizität letztlich beruhen soll. Keine der von Max Weber und Fredrik Barth genannten Grundlagen ist zwingend notwendig, keine ist hinreichend. Eher handelt es sich um prototypische, selber nicht scharf definierte Kristallisationskerne. Gemeinsame Abstammung kann mit Rasse ineins gesetzt oder von ihr getrennt werden, kann sich von mythischen Ureltern herleiten oder etwas verschwommener von einer mythischen Urheimat. 128 Weber (1947 [= 1925]) 219. 129 Weber (1947 [= 1925]) 216–226. 130 Barth (1969) 10 f. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 63 Gemeinsame Religion kann allgemeiner oder spezieller verstanden werden (katholisch vs. protestantisch in Irland, christlich vs. islamisch in globalisiertem Maßstab). Gemeinsame Kultur lässt beliebige Grenzziehungen zu (s. u. § 6). Sprachgemeinschaft scheint bis weit ins Mittelalter hinein überhaupt kein oder nur ein gelegentliches Ethnizitätskriterium gewesen zu sein und ist es auch heute noch nicht ausnahmslos (s. u. § 7.1). Gemeinsames Territorium passt nicht auf Diaspora-Situationen. Einheitliche Kleidung, Haartracht, Bewaffnung passt allenfalls auf kleine ethnische Gruppen.131 Einheitliche Wirtschaftsweise, ggf. arbeitsteilig innerhalb einer größeren Gesellschaft, kann unter besonderen historischen Bedingungen ein Ethnizitätsmerkmal sein, gehört aber sonst eher nicht zu den Kriterien von Ethnizität.132 Die Liste ist offen.133 Das ethnische Bewusstsein kann zwar selbst wieder, nach dem oben (§ 3.8) angedeuteten Muster ‚gelebter Identität‘, real werden und in die ‚gelebte Ethnizität‘ eingehen.134 Dennoch hat es immer den Charakter einer Konstruktion. Es 131 Pohl (1998b) 64. 132 Eriksen (2010) 99. 133 Zu den Hauptkristallisationspunkten bzw. -merkmalen ethnischen Bewusstseins vgl. Smith (1988) 12, 15; Rahman (1997); Jenkins (2008) 10 f.; Anson (2010) 5; Schulze (in diesem Band). – Die indische jāti, üblicherweise mit ‚Kaste‘ übersetzt, ist hinsichtlich ihrer realen Grundlagen ähnlich wandelbar wie Stamm oder Volk. Ursprünglich ‚Geburt‘ – darin parallel zu natio – , bezeichnete jāti zunächst ‚Abstammung, Familie‘, später „an endogamous kinship group, ranked in a list of specialized occupations and service relationships reflecting an increase in social stratification“, Thapar (1978) 43. Durch die Kombination aus realer, nicht nur mythischer Abstammungsgemeinschaft einerseits und Berufs-, Sitten- und Kulturgemeinschaft andererseits „erinnert [jāti] an eine funktional und hierarchisch hoch verdichtete multiethnische Gesellschaft […], in der ethnische Siedlungsgrenzen keine, aber die Grenzen der Berufs-, Heirats- und Rechtsgruppen eine umfassende Bedeutung haben.“ Jürgenmeyer & Rösel (1998) 26. Reich (2018) 144 bestätigt die hohe genetische Diversität in Indien: „Around a third of Indian groups experienced population bottlenecks as strong or stronger than the ones that occurred among Finns or Ashkenazi Jews.“ Allerdings wird auch in Indien die Abstammungsgemeinschaft nicht immer wörtlich genommen. Wie Zydenbos (1997) 529 berichtet, wird auch die Religionsgemeinschaft der Vīraśaivas als jāti bezeichnet, obwohl die Vīraśaivas sich gerade in Opposition zum traditionellen Kastenwesen mit der Idee der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen formiert hatten. Ebenso gelten auch Christen, Muslime, Ausländer mitunter als jāti. Definierend scheint für jāti einzig die „gemeinsame (Sub-)Kultur“ zu sein (Zydenbos l. c.), kombiniert mit fiktiver Abstammungsgemeinschaft und wechselseitigen Berührungsängsten. 134 „One of my Peruvian informants […] generally dressed in Western clothes in his village, but whenever he was coming to the mestizo-dominated city of Cuzco (usually to deal with some government official, lawyer or other high-status mestizo) he always dressed in full, traditional, homespun clothing […] when I asked him why he always dressed as an Indian when he came to town, he responded by saying that he got more respectful attention in government offices that way. He was thus deliberately playing »noble savage« to a reformist mestizo government that extolled the merits of Indian culture.“ Van den Berghe (1981) 254 f. – Ähnlich 64 Peter-Arnold Mumm gibt keine „reale“ Ethnizität im Sinne einer realen Abstammungsgemeinschaft, die zugleich als kulturelle, sprachliche und – um Barths Liste zu ergänzen – politische Gemeinschaft aufträte. In dieser Hinsicht spielt die Biologie bei der ethnischen Identität, anders als bei der Identität des menschlichen Individuums, keine direkte Rolle.135 5.2 Reale Gemeinschaft Andererseits kann es nicht sein, dass Ethnizität nur Ethnizitätsbewusstsein, gedachte und konstruierte Ethnizität und damit nur eine emische Größe ist.136 Ethnizität ist eine wirkmächtige Größe. In ihrem Namen finden gewaltige gesellschaftliche Veränderungen statt. Auch wird das Etikett der Ethnizität nicht beliebig vergeben.137 Es müssen reale Bedingungen für die Ausbildung von Ethnizitätsbewusstsein vorhanden sein. Eriksen (2010) 77 f. – Nicht nur solche Selbstinszenierungen nach dem Motto Kleider machen Leute gehören zur ‚bewusst gelebten Ethnizität‘. Auch wer nur den üblichen äußeren Habitus mitmacht – Kleidung, Haartracht, Schmuck usw. – und damit vielleicht nur ‚normal‘ sein will, kann darin zugleich, auch wenn das nicht sein Motiv ist, seine Ethnizität unterstreichen und nach außen hin ein klares Ethnizitätsmerkmal zeigen. „The importance of clothes, appearance, and language as ethnic markers has recently been highlighted during the ethnic violence in Karachi, Pakistan. A recent article in the Economist (August 27–September 2, 2011), describing struggles between Mohajirs, Pushtuns, and Balochs, notes that, in Karachi: »Language, clothes and even haircuts betray a person’s ethnicity to the killing squads.«“ Wonder (2014) 525 Anm. 2. 135 Es wird zwar vermutet, dass die letzte Wurzel sozialen Zusammenhalts in genetischer Affinität liegt (s. u. Anm. 138). Auch wenn das so ist – sie ist nicht die einzige Wurzel. Paläogenetische Untersuchungen stellen bemerkenswerte Kongruenzen zwischen sprachlicher, ethnischer und genetischer Zusammengehörigkeit fest, s. z. B. Gat & Yakobson (2013) 37 f. Weil diese Kongruenzen aber nicht hundertprozentig sind, zeigen sie, dass Sprachgemeinschaften und Gesellschaften sich von der Abstammungsgemeinschaft trennen und ihre eigene Dynamik entfalten können. Über die Gründe, warum Gemeinschaftsbildung oder Abgrenzung erfolgt, offenbaren sie nichts. Zur alten Idee von Sprachen und Völkern als Naturorganismen (s. o. § 2 und u. Anm. 143) führt kein Weg zurück. 136 Zur Anwendung der emisch-etisch-Unterscheidung auf Ethnizität vgl. Woudhuizen (2006) 15; Eriksen (2010) 16; Scopacasa (2017) 106. – Das Wort Ethnizitätsbewusstsein ist analog zu Identitätsbewusstsein zu verstehen: es soll nicht präsupponieren, dass seinem Inhalt reale ethnische Strukturen entsprechen; s. o. Anm. 63. 137 Nicht jede beliebige Zusammenfassung und Etikettierung von Menschengruppen resultiert in Ethnizität. Maurer, Behinderte, Urlauber, Radfahrer bilden, zumindest in westlichen Gesellschaften, normalerweise keine Ethnie, ebensowenig die Einwohner von Somerset oder die Mitglieder in einem Science-Fiction-Club, vgl. Eriksen (2010) 40. Dass die American Deaf Community als ethnische Minderheit beschrieben worden ist, s. Deumert (2004) 356, scheint daher Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 65 Die Suche nach Grundlagen im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben oder gar in der biologischen Verfasstheit des Menschen läuft andererseits Gefahr, gegen die zweifelsfrei feststehende Konstruiertheit des Ethnizitätsbewusstsein doch wieder objektive Gründe für Ethnizität zu postulieren.138 Hier liegt einer der Hauptunruheherde in der Diskussion um Ethnizität. Dennoch: Ethnizität kann nicht allein eine Frage der Imagination sein. Denn Imagination ist für sich genommen beliebig. Woher kommen die Anstöße? 5.3 Eine Frage der Wahrnehmung? Im Hin und Her zwischen unwahrer Beliebigkeit und unwahrer Objektivität von Ethnizität hat man einen Zwischenweg versucht: Ethnizität sei letztlich eine Frage der Wahrnehmung (perception) und insofern nicht ganz subjektiv, aber auch nicht ganz objektiv. So sei für das Ethnizitätsbewusstsein der alten Griechen schon früh, spätestens im 5. Jh. v. Chr., die Wahrnehmung der gemeinsamen Sprache, gefördert durch wandernde Aöden und Rhapsoden, ungeachtet aller altgriechischen Dialektvielfalt ein so hervorstechendes Merkmal gewesen, dass sich hierauf ein Sonderfall. In solchen Fällen spielt wohl auch die Berechnung auf einen Minderheitenstatus eine Rolle. Vgl. Eriksen (2010) 98 über das Aufkommen abstrakter „indianischer“ Identität in Kanada, sobald damit Sonderrechte beansprucht werden konnten. 138 Vgl. oben Anm. 54. Van den Berghe (1981) 18 f. fasst seine soziobiologische Theorie knapp wie folgt zusammen: „My basic argument is quite simple: ethnic and racial sentiments are extension of kinship sentiments. Ethnocentrism and racism are thus extended forms of nepotism – the propensity to favor kin over nonkin. There exists a general behavioral predisposition, in our species as in many others, to react favorably toward other organisms to the extent that these organisms are biologically related to the actor. The closer the relationship is, the stronger the preferential behavior.“ Dies wird gelegentlich als verkappter Rassismus missverstanden. Van den Berghe geht es aber nicht darum, den ethnischen Gedanken der Abstammungsgemeinschaft zu rechtfertigen, sondern zu erklären, warum dieser Gedanke in allen Gesellschaftsformen beliebt ist und auch in modernen Gesellschaften nicht ausstirbt, ja sogar aufblüht: (1981) xif. In dieselbe Richtung argumentieren, sehr bedenkenswert, Gat & Yakobson (2013). Van den Berghe selbst sieht seine „primordialistische“ Theorie nicht im Gegensatz zu Barths „instrumentalistischer“ Theorie und meint im übrigen, dass der terminologische Gegensatz primordialistisch vs. instrumentalistisch höchstens als Vorlage für studentische Examensarbeiten geeignet ist, (1981) 18. – Wie weit man gehen muss, wenn man jede biologische Grundlage aus dem Gedanken der Abstammungsgemeinschaft verbannen will, zeigt Sahlins (2013) ix: „kinship takes its place in the same ontological regime as magic, gift exchange, sorcery, and witchcraft […] kinship categories are not representations or metaphorical extensions of birth relations; if anything, birth is a metaphor of kinship relations.“ 66 Peter-Arnold Mumm das hellenische Gemeinsamkeitsbewusstsein gegründet habe.139 Aber welchen kausalen Stellenwert soll die Wahrnehmung dabei gehabt haben? Wenn gesagt sein soll, dass die durch Aöden und Rhapsoden beförderte Unübersehbarkeit der allgegenwärtigen gemeinsamen Sprache, ihre zwangsläufige Wahrnehmbarkeit auch über dialektale Unterschiede hinweg das Bewusstsein gemeinsamer Ethnizität erzeugt habe, finden sich sofort Gegenbeispiele (s. u. § 7.1). Wenn gesagt sein soll, dass die Wahrnehmung der Gemeinsprache als Gemeinsamkeit stiftendes Merkmal die Ursache gemeinhellenischen Selbstbewusstseins gewesen sei, ist die Frage nur verschoben: Warum wurde denn die Gemeinsprache als dieses entscheidende Gemeinsamkeitsmerkmal wahrgenommen? Warum gab in der Wahrnehmung der Griechen die Tätigkeit der Aöden und Rhapsoden den Ausschlag gegen alle partikularisierenden Kräfte? Folgt man Ansons (2010) lehrreicher Zusammenstellung, waren die altgriechischen Dialekte im Großen und Ganzen, aber nicht ausnahmslos wechselseitig verständlich; politisch gab es die einheitsstiftenden Mythen des Trojanischen und des Persischen Kriegs, dennoch viel innergriechische Konkurrenz; Abstammungsmythen führten mit Pelops, Kadmos und Aigyptos auf Nichtgriechen zurück, und griechische Kolonisten nahmen sich Frauen aus den kolonisierten Ländern; es gab gemeingriechische, aber auch exklusiv ionische und exklusiv dorische Tempel und Rituale.140 All das war in seiner Widersprüchlichkeit wahrnehmbar und wurde auch gelebt: Neben der gemeinhellenischen wurden eine athenische und eine spartanische, eine ionische und eine dorische usw. Identität/Ethnizität gepflegt. Warum hat aber die Wahrnehmung den dominanten Akzent letztlich auf die hellenische Einheit gesetzt? Wenn die Wahrnehmung der letzte Grund der Ethnizität sein soll, bleibt als Antwort nur die Tautologie, dass die Wahrnehmung eben so war, wie sie war. Zweifellos spielt die Wahrnehmung eine Rolle. Ethnisches Denken ist nicht mathematisch-abstrakt, sondern operiert mit Wahrnehmungen. Definitionen wie die von Jones gegebene sind sicher vertretbar: Ethnic identity: that aspect of a person’s self-conceptualization which results from identification with a broader group in opposition to others on the basis of perceived cultural differentiation and/or common descent. Ethnic group: any group of people who set themselves apart and/or are set apart by others with whom they interact or co-exist on the basis of their perceptions of cultural differentiation and/or common descent.141 139 Anson (2010) 5; 8; passim. Vgl. aber auch Hall (1997) 180 f. und passim. 140 Anson (2010) 6–22. 141 Jones (1997) xiii. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 67 Entscheidend ist aber der kausale Stellenwert der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung bildet Grundlage und Material ethnischer Differenzierung, löst diese aber nicht aus. Der Versuch, Ethnizitätsbewusstsein über die Wahrnehmung identitätsstiftender Merkmale zu erklären, funktioniert nicht. Die Frage stellt sich also neu: Wie passen die offensichtliche Konstruiertheit von Ethnizität und ihre offensichtliche Nicht-Beliebigkeit zusammen? 5.4 „Wir“ gegenüber „Denen“ Ethnizität wird üblicherweise – und zu Recht – nicht als Eigenschaft einer Gruppe, sondern als Relation zwischen einer „in-group“ und einer „out-group“ definiert.142 Die Zusammenfassung von Menschengruppen zu ethnischen Gruppen hat so nicht die Beobachtung oder Wahrnehmung bestimmter Eigenschaften der kontrastierten Gruppen zum Ausgangspunkt, sondern die Feststellung eines Kontrasts unabhängig von allen Eigenschaften. Was wird kontrastiert, wenn keine Eigenschaften? 5.4.1 Vertrauens- und Misstrauensvorschuss zwischen imaginierten Reproduktionsgemeinschaften Es handelt sich um den Kontrast zweier von einem Ich ausgehender Perspektiven. In der „Wir-Perspektive“ sieht sich das Ich als Teil einer Gruppe, in der „Die-Perspektive“ nicht. In der „Die-Perspektive“ begegnet das Ich fremden Menschengruppen mit einer gewissen Reserve und dem Anfangsverdacht einer mit ihm nicht im Einklang stehenden Willensgestimmtheit. In der „Wir-Perspektive“ bringt es der eigenen, gewohnten und vertrauten Gruppe ein ebenso unbegründetes Grundvertrauen entgegen. Die Wir-Die-Logik kann sich im kleinen wie im großen Maßstab abspielen, in Nachbarschaftsstreitigkeiten, unter Fanclubs oder zwischen Nationen. „Ethnisch“ ist sie dort, wo sie mit der Idee einer als Lebensgemeinschaft funktionierenden und sich selbst reproduzierenden Gesellschaft verknüpft ist. Dann wer- 142 „Ethnicity is an aspect of social relationship between persons who consider themselves as essentially distinctive from members of other groups of whom they are aware and with whom they enter into relationships.“ Eriksen (2010) 16 f. – „The first fact of ethnicity is the application of systematic distinctions between insiders and outsiders; between Us and Them.“ Eriksen (2010) 23. – „Ethnicity – the production, reproduction and transformation of the ‘group-ness’ of culturally differentiated collectivities – is a two-way process that takes place across the boundary between ‘us’ and ‘them’.“ Jenkins (2008) 55. 68 Peter-Arnold Mumm den „Wir“ und „Die“ als potentiell andersartige Lebens-, Reproduktions- und Willensgemeinschaften kontrastiert, die jeweils nach Art eines für sich selbst sorgenden Gesamt-Individuums funktionieren.143 Der andersartige Wille muss noch nicht wahrnehmbar oder manifest geworden sein. Es genügt die Potentialität. Mit der ethnischen Kontrastierung zwischen „Uns“ und „Denen“ ist jedenfalls die Sichtweise eröffnet, dass eine eigene, verlässliche, und eine fremde, nicht völlig berechenbare Lebens- und Reproduktionsgemeinschaft einander gegenüberstehen. Die Wir-Die-Kontrastierung kann sich auf etablierte politische Gemeinwesen beziehen, aber auch auf nur vom Hörensagen bekannte oder flüchtig wahrgenommene Teile der Menschheit. Diese müssen dann erst im Sinne der Ethnizität aufbereitet werden.144 Ein erster Schritt der Reifizierung ist, wie im Fall 143 Im 19. Jahrhundert war es üblich, Völker und Nationen in dieser Weise als Individuen anzusehen. Meinecke (1922) 9 nannte die Nation in Anlehnung an Novalis „Makroanthropos und potenziertes Individuum“. Dann war automatisch mitgedacht, dass (a) solche Makro-Individuen auf ihre eigene Reproduktion aus sind und (b) die Menschen darin gut aufgehoben sind. Natürlich wurde gesehen, dass jeder ernsthafte Versuch, die Identität eines Volks oder einer Nation über die Zeit festzuhalten, vor unüberwindlichen Schwierigkeiten steht. Ethnizität ist proteushaft (s. u. Anm. 149). Aber das ist der Organismus ja auch (s. o. § 3.5). Windelband (1910) 20 zieht die Analogie ausdrücklich: Beim Organismus „ist die Identität, den Eindrücken nach, die uns zu ihrer Annahme veranlassen, von der Gleichheit völlig abgelöst und scheint ganz auf die kontinuierliche Allmählichkeit der Wandlungen angewiesen zu sein. Und ist es denn anders mit der Identität eines Volks? Nach etwa 100 Jahren ist jedesmal die Masse der Individuen, aus denen es besteht, völlig ausgetauscht, im Laufe seiner Geschichte schnürt es Stämme von sich ab und assimiliert sich neue; im Wandel der Generationen wechselt es vielleicht sein Land, jedenfalls seine äußeren Lebensformen, seine staatliche, verfassungshafte Gestaltung, seine Interessen und Tätigkeiten; ja selbst sein Eigenstes, seine Sprache, ist vermöge ihrer inneren Lebendigkeit und ehenso ihrer äußeren Geschicke in stetiger Umbildung begriffen: wo ist das Identische in seiner historischen Erscheinung, um dessen willen es durch die Jahrtausende hin »dasselbe Volk« genannt werden darf?“ – Tatsächlich fehlt bei der „Identität eines Volks“ aber die biologische Grundlage. Soweit Völker Reproduktionsgemeinschaften sind – in verwandtschaftlicher, ökonomischer, sozialer, sprachlicher und kultureller Hinsicht –, beziehen sie dafür in aller Regel andere Völker mit ein, definieren sich darüber also gerade nicht als wechselseitig exklusive Individuen. Das tun sie nur als politische Einheiten. Sozialökonomisch scharf gegeneinander abgegrenzt haben sich allenfalls archaische Jäger- und Sammlergemeinschaften, s. Gat & Yakobson (2013) 27–37. 144 So beruht die europäische Etikettierung der Romvölker als „Zigeuner“ auf „Grunderfahrungen einer ständischen und bodenständigen Bevölkerung […], die aus der Auseinandersetzung mit den als fremd und bedrohlich empfundenen Lebensweisen herrührt. Mit diesen Erfahrungen befinden wir uns allerdings in einem Raum der Unaufmerksamkeit, der ungenauen Beobachtung und der nachlässigen Beschreibung, in dem die Fremden »erzeugt« werden, statt dass von ihnen Zeugnis abgelegt wird.“ Bogdal (2011) 13. In seiner Studie dokumentiert Bogdal umfassend die ethnischen Stereotypisierungen, die die Romvölker, anfangs „Pilger aus Ägypten“, später „Magier“, „Waldmenschen“, „Lumpengesindel“, „Triebmenschen“, „Diebe“, „ver- Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 69 der Sprache (s. o. § 4.1), die Benennung. Wenn Laien, Reisende, externe Beobachter und Historiker Eigennamen für Stämme/Völker/Gentes/Ethnien verwenden, unterstreichen sie, dass sie die fremde Ethnie nach Art einer individuellen Reproduktionsgemeinschaft einordnen.145 Das mag von der Realität nicht getragen sein. Es mag auf Missverständnissen, Gutgläubigkeit, bösem Willen, Gerüchten und blühender Phantasie (Fabelwesen) oder Ehrerbietung beruhen. Für die Etablierung der ethnischen Sichtweise ist das aber unerheblich. Denn diese hebt, ganz im Sinne der „Praxeologie“ (s. o. Anm. 59), vortheoretisch an, noch bevor eine genauere Wahrnehmung und eine Analyse einsetzen. Grob und unreflektiert, wie sie ist, hat die aus der Außenperspektive vorgenommene Subsumtion von Menschen unter einen Volksnamen in der Wissenschaft einen schlechten Ruf. Zu Recht wird eingewendet, dass äußerliche ethnische Etikettierung (a) nichts über die innere Beschaffenheit dieser Menschengruppe sagt, aber (b) von vornherein und ohne jeden Blick auf die Realität eine Struktur nach Art des von Barth kritisierten Idealtypus (s. o. § 5.1) suggeriert. Zu Recht ist die selbstverständliche Übernahme ethnischer Etikettierungen heute in der Wissenschaft verpönt. Dennoch ist die grob subsumierende Außenperspektive von entscheidender Wichtigkeit für den Begriff Ethnizität. Denn sie weist darauf hin, dass Ethnizität eine praxeologische Kategorienbildung ist. Ethnizität hat reale Grundlagen. Diese liegen aber nicht in einer objektiv feststellbaren Abstammungs- oder Traditionsgemeinschaft, sondern vielmehr in einer vorausliegenden praktizierten Othering-Perspektive. Max Weber selbst erinnert an politische Grundlagen. Er vertritt gar nicht die rein emische Auffassungsweise der Ethnizität. Er hebt sie nur hervor. 5.4.2 Zwischen realer und imaginierter Gemeinschaft: der unaufhörliche Prozess des „Othering“ Diese praktizierten realen Grundlagen der Ethnizität sind von den nachträglichen Begründungen für Ethnizität (gemeinsame Abstammung, Kultur, Religion, wilderte Nation“ usw. in Europa erfahren haben. Da es wenig historische Selbstzeugnisse der Romvölker gibt (Bogdal 16), kann man diese Stereotypisierungen nicht einfach damit konfrontierten, „wie es eigentlich gewesen“. Die erzeugten Fremdbilder geben aber deutliche Auskunft – nicht über die Menschen, auf die sie angewendet wurden, sondern über die, die sie erfunden haben. 145 Smith (1988) 22–24; Pohl (1998a) 2–4; 38 f.; Woudhuizen (2006) 17 f.; Díaz-Andreu (2015) 104; Scopacasa (2017) 107 f. 70 Peter-Arnold Mumm Rasse, Sprache) ebenso strikt zu unterscheiden wie von den sozialen, ökonomischen und politischen Gründen der Herausbildung von Gemeinschaften und Gesellschaften aller Art. Wie diese zustandekommen, ist eine eigene Frage. Der Zusammenhalt innerhalb einer Ethnie und ihr potentieller oder aktueller gemeinsamer Wille nach außen mag freiwillig oder von einer Elite erzwungen, in demokratischer oder tyrannischer Form zustandegekommen sein; auf Traditionen des Gemeinwesens beruhen oder durch An- oder Übergriffe von außen erst ausgelöst werden; ökonomisch bedingt oder gegen ökonomische Bedingungen durchgesetzt sein; auf individuell geteilte Intentionen oder auf ausgestreute und geglaubte Ideologien gestützt sein; schließlich mag er ganz und gar inexistent sein und nur im Auge des Betrachters vorhanden scheinen. Für die ethnische Kategorisierung entscheidend ist nur, dass überhaupt die OtheringPerspektive eingenommen wird. Diese liegt wie ein abstrakter Flaschenhals zwischen der Welt der sozialen, ökonomischen und politischen Gründe für die Herausbildung von Gemeinschaften und Gesellschaften einerseits und der Welt der nachträglichen Begründungen für Ethnizität andererseits. Beide Welten sind vollkommen unabhängig voneinander. Sie sind nur zusammengehalten durch die eine abstrakte Vorannahme eines ethnischen Willens zur Selbstreproduktion. Die Welt der Konstruktionen ethnischen Bewusstseins kann Anleihen aus der sozialen, ökonomischen und politischen Natur des Gemeinwesens enthalten, folgt aber einer eigenen Logik. Die von Debrunner zu Recht kritisierte Verfabelung einer Willensgemeinschaft in eine Wesensgemeinschaft (s. o. § 2) ist der Leitfaden der Entwicklung ethnischen Bewusstseins. In § 5.3 wurde die Frage gestellt: Wie passen die offensichtliche Konstruiertheit von Ethnizität und ihre offensichtliche Nicht-Beliebigkeit zusammen? Wir haben jetzt eine Antwort. Ethnizitätsbewusstsein kann sich mit seinen vertiefenden Begründungen der gemeinsamen Abstammung, Kultur usw. nur dort entfalten, wo im praktischen Leben bereits vortheoretisch, mit entsprechendem Vertrauens- bzw. Misstrauensvorschuss, eine Unterscheidung zwischen „Uns“ und „Denen“ getroffen worden ist. 5.4.3 Ungreifbarkeit und Resilienz ethnischen Denkens Diese Unterscheidung steht nie still. Barth schlägt zu Recht vor, nicht nach idealtypischen „Völkern“ und ihren Kontakten zu suchen, sondern „that we rather ask ourselves what is needed to make ethnic distinctions emerge in an area.“ 146 Daran hat man oft angeknüpft und gefordert, Ethnizität nicht als defi146 Barth (1969) 17. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 71 nierbaren Zustand, sondern als fließend und veränderlich, als steten Prozess zu verstehen.147 Historische Untersuchungen, die sich der Herausbildung von Ethnizität widmen, haben einen Reichtum von Formen und Wegen dieser Herausbildung offengelegt.148 Weil ständig im Fluss, scheint Ethnizität schwer greifbar, volatil und proteushaft.149 Aber undefinierbar ist sie deswegen nicht. Man muss nur das Konstante im Veränderlichen finden. § 5.4.2. bietet eine Antwort: Ethnizität ist im Kern die stets lebendige Neueinteilung der Lebenswelt in „Uns“ und „Die“, mit entsprechender Verteilung von Vertrauen und Vorbehalt. Diese Unterscheidung wird lebensweltlich vorgenommen. Sie beruht nicht auf Überlegung, sondern auf Gefühl (sentiment). Dieses Gefühl reagiert auf das, was in den realen Dimensionen menschlicher Gemeinschaft geschieht und sich in den sozialen Identitäten der Individuen niederschlägt, kulturell, sozial, ökonomisch, politisch. Die sozialen Identitäten sind aber vielfältig. Welche Wege sich das abstrakteste aller Gruppenzugehörigkeitsgefühle, das ethnische Gefühl von „Uns“ und „den Anderen“, in dieser Vielfalt bahnt, ist von den Konjunkturen der Realität und von kurrenten ethnischen Ideen abhängig. Oft folgt es der Eingebung des Augenblicks. Widersprüchliche Zugehörigkeitsbekenntnisse mögen nebeneinander stehen. Keineswegs immer führt es zu echter Ethnizität. Es kann in Fanclubs oder Nachbarschaftsstreitigkeiten münden. Echte Ethnizität enthält die Idee einer als Lebensgemeinschaft funktionierenden und sich selbst reproduzierenden Gesellschaft. Im übrigen ist das Ethnizitätsbewusstsein inhaltlich ganz und gar variabel. Sein Motor aber, das abstrakte Othering, ist stabil und resilient.150 In der modernen Großform von Ethnizität, dem Nationalismus, sind der politische Ausgangspunkt und die Konstruiertheit der das Nationalbewusstsein 147 Pohl (1998a) 8; Brubaker (2004) 11 und passim; Jenkins (2008) 15; Cooperson (2015) 367; Díaz-Andreu (2015) 102. 148 Z. B. Wenskus (1961); Ureland (1985); Pohl & Reimitz (1998); Pohl & Gantner & Payne (2012). – Mitthoff (2012) zeigt, wie die römischen Provinzen im 3. und 4. Jh. allmählich als Ethnien angesehen wurden und auch durch das Wort ethnos bezeichnet werden konnten. 149 Stellvertretend für viele sei Haugen (1988) 667 zitiert: „Ethnicity is indeed a protean thing, compounded out of various loyalties, traditions of a common religion, a language, a nation, or just a genealogy. It may even be the result of a personal decision, a desire to belong or not to belong, and it may reflect rejection by the dominant group.“ – Ein anderes Bild für Ethnizität ist das Quecksilber, vgl. Sommer (2011) 171 („mercurial“). 150 Smith (1988) 2 nennt dies die „curiously simultaneous solidity and insubstantiality of ethnic communities and nations“. 72 Peter-Arnold Mumm füllenden Begründungen besonders deutlich.151 Eine Vorform stellt das ethnische Othering dar.152 Damit zeichnet sich auch für den Nationalismus, ähnlich wie im Fall der Ethnizität, eine Erklärung zwischen Konstruktivismus und naivem Realismus ab. Gegen den unumstößlichen Nachweis, dass kulturelle, ethnische und sprachliche Begründungen der Nationalität konstruiert sind, haben Historiker, Soziologen und Anthropologen, wiederum zu Recht, eingewandt, dass diese Konstruktionen ja nicht aus dem Nichts kommen können, und auf weit zurückliegende historische Ursprünge der Nationalitätsidee verwiesen.153 Diese Ursprünge liegen erstens in früheren Staatsformen. Auch vormodernen Staaten war Ethnizität nicht fremd; das Etikett „Territorialstaaten“ blendet diese nur oberflächlich aus.154 Zweitens aber, und das ist hier entscheidend, sind Nationalitätsideen nicht zwingend von der Existenz zugrundeliegender Staaten abhängig. Sie erhalten durch sie zwar Konjunktur. Aber sie können auch ohne sie entstehen. Nationalitätsideen sind im Kern und in ihrer Herkunft ethnische Ideen. In ihrer Begründung und Ausgestaltung sind sie, wie für die Ethnizität gezeigt, frei. Konstant ist nur die Idee der Lebens- und Reproduktionsgemeinschaft, kombiniert mit dem Othering-Prinzip.155 6 Kultur Ungeachtet der 164 oder über 300 gezählten Definitionen des Begriffs Kultur156 seien hier zur Abrundung der Argumentation einige Züge dieses Begriffs aus151 „Our national identity or »national character« may be easier to perceive than our ethnicity. Nationalism and the construction of national identity are, after all, explicit projects of the state. If nothing else, we have passports.“ Jenkins (2008) 15. 152 „Ethnic identities are always constructed in close association with political systems. It is politics that define ethnicity, not vice versa.“ Derks & Roymans (2009) 1. – „nationalism and ethnicity are closely associated; by and large, nationalism is one particular form of a broader phenomenon, that of political ethnicity; and ethnicity has always been highly political, ever.“ Gat & Yakobson (2013) 3. – Vgl. Fishman (1985) 4 f.; Pohl (1985); Scopacasa (2017). 153 Hirschi (2002) 355–362 sieht Ursprünge nationalen Denkens in der frühen Neuzeit. Rexheuser (1995) und Ehlers (1995) gehen dafür aufs Mittelalter zurück. Für Gat & Yakboson (2013) 85–89 ist das Alte Ägypten der erste Nationalstaat. 154 Gat & Yakobson (2013) 4, 83 u.ö. 155 Zu Anfängen nationalen Denkens bei Petrarca s. u. §§ 6.2 und 7.3.1. – natio ‚Geburt‘ bezeichnet nach Kahl (1978) in Spätantike und Mittelalter die Abstammung, aber auch die räumliche Herkunft oder die rechtliche Situation, in die man hineingeboren wurde. Über die vielfältigen Wege der semantischen Entwicklung von natio vgl. Kahl (1978), Ehlers (1995), Hirschi (2002) 368. 156 Vgl. Vester (2009) 38 und den Beitrag von Heil in diesem Band. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 73 schnitthaft herausgearbeitet, die in der Einleitung verwendet wurden und den Begriff in unseren Zusammenhang einordnen. Wenn das Wort Kultur nicht ganz pauschal mit Ethnizität, Mentalität, Gesellschaft u. a. gleichgesetzt wird, sind damit meist – und waren in §§ 1–4 dieser Einleitung – die folgenden Besonderheiten gemeint: 6.1 Kultur und Gesellschaft Gegenüber dem Begriff Gesellschaft, der ausschließlich die Beziehungen der Individuen untereinander umfasst, ist der Begriff Kultur weiter: Er umfasst nicht nur die Beziehungen der Individuen untereinander, sondern auch ihre Beziehungen zu den „Dingen“. Dazu gehören alle umformenden Aneignungen der Natur, die dabei angewendeten Verfahrensweisen, die damit verbundenen sozialen Beziehungen, die entstehenden Bereiche von Artefakten, die gesamte selbstgeschaffene menschliche Welt, die symbolischen Systeme dieser selbstgeschaffenen Welt. Kultur ist so einerseits nichts anderes als die menschliche Autopoiesis selbst, aufgefächert in ihre unwillkürlich lebensweltlichen, bewusst gestalteten, prozessualen, relationalen und dinglichen Momente.157 Dazu kommt aber ein normatives Element: Kultur ist nämlich auch enger als Gesellschaft. Kultur umfasst nur die Beziehungen der Individuen untereinander, insofern sie von den autopoietischen Beziehungen zu den „Dingen“ hervorgerufen und getragen sind. Kultur enthält gegenüber der Gesellschaft immer das Moment der gemeinsamen „Pflege“ der gesellschaftlichen und praktischen Beziehungen und ist daher auch „Bindemittel der sozialen Einheiten oder Kitt der Sozialorganisation“ genannt worden.158 Und da Pflege etwas ist, das man richtig oder falsch, besser oder schlechter machen kann, enthält Kultur auch ein normatives Moment, überhöht gesprochen: ein Moment der geistig-moralischen Vervollkommnung des Menschen. Deswegen ist Kultur auch in einem zweiten Sinn enger als Gesellschaft. Noch im 18. Jh. hatten Adel und Klerus Kultur, das ‚Volk‘ dagegen – zu dem Adel und Klerus nicht gehörten – nicht.159 Erst die Romantik hat auch dem 157 „Man, as a mere animal, […] employs his bodily organs in life-sustaining behavior. But as a human being man employs the extrasomatic tradition that we call culture in order to sustain and perpetuate his existence and give it full expression. We may think of culture, then, as an extrasomatic mechanism employed by a particular animal species in order to make its life secure and continuous.“ White (2007 [1959]) 8. 158 Vester (2009) 38. 159 Sökefeld (2007) 39. 74 Peter-Arnold Mumm Volk Kultur zuerkannt. Kultur ist insofern auch ein elitärer Ausgrenzungsbegriff und „unmittelbar mit Macht verknüpft“.160 6.2 Kultur und Ethnie Die Ausgrenzung kann, wie eben beschrieben, innerhalb einer Gesellschaft erfolgen, aber auch zwischen Gesellschaften, die sich ethnisch definieren und sich entweder in kulturellem Gegensatz sehen oder der anderen Gesellschaft vorwerfen, sie hätte gar keine Kultur und sei zu so etwas wie Kultur entweder gar nicht oder bestenfalls in einem mühevollen Entwicklungsprozess fähig. Dann kann Kultur sogar zu einem Synonym für Rasse werden.161 Kultur als aufgefächerte Welt menschlicher Autopoiesis ist an sich aber nicht an eine bestimmte Gesellschaft oder Ethnie gebunden.162 Mit der Ausdifferenzierung von Gesellschaften nach übergreifenden Mustern (z. B. Stadt vs. Land) können übergreifend ähnliche Kulturen entstehen. In roheren Zeiten sind die Individuen eines Stammes so einheitlich und einander so gleich als möglich; dagegen stehen die Stämme als Ganze einander fremd und feindlich gegenüber: je enger die Synthese innerhalb des eigenen Stammes, desto strenger die Antithese gegenüber dem fremden; mit fortschreitender Kultur wächst die Differenzierung unter den Individuen und steigt die Annäherung an den fremden Stamm. Dem entspricht es durchaus, daß die breiten ungebildeten Massen eines Kulturvolkes unter sich homogener, dagegen von denen eines andern Volkes durch schärfere Charakteristiken geschieden sind, als Beides unter den Gebildeten beider Völker statthat.163 Kultur ist daher auch nicht gleichumfänglich mit Ethnizität. Dies ist sie, folgt man Simmel, nur dann, wenn die Ethnie in sich wenig differenziert und nach außen weitgehend isoliert ist. Sobald, „mit fortschreitender Kultur“, innere Differenzierung und äußerer Kontakt eintritt, überschreitet die Kultur die Grenzen des „Stamms“ und kann, wie in modernen Gesellschaften, sogar völlig „vaterlandslos“ werden oder trägt, an sich schon in vielen Gesellschaften beheima- 160 Sökefeld (2007) 40. 161 Sökefeld (2007) 45. – In Kolonialverwaltungen gab es das Argument, die einheimische Bevölkerung müsse sich erst kulturell entwickeln, bevor man sie an der politischen Macht beteiligen könne. Vgl. Van Reybrouck (2013) 246. Auch heute dient „Kultur“ als Argument für privilegierte Machtansprüche, etwa in dem Topos, Deutschland sei eine Kulturnation – mit der stillschweigenden Implikatur, andere Nationen seien das erstens nicht und zweitens deshalb nicht ganz so wertvoll. 162 Vgl. Scopacasa (2017) 111 f. 163 Simmel (1890) 48. Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 75 tet, nur noch folkloristische – und ggf. stark instrumentalisierte – Spuren von Ethnizität. Insofern Kultur nicht nur praktizierte gemeinsame Autopoiesis ist, sondern auch Ideen einer gemeinschaftlichen Pflege der menschlichen Welt entwickelt, kann sie wiederum aus sich heraus Träume, Visionen, Idealbilder eines Gemeinwesens erzeugen, die nur von ferne an die real gelebte Welt erinnern und sich frei aus Elementen von Ethnizität, Kultur, Religion und Geschichte zusammensetzen können: Gelehrtenrepublik, „Alle Menschen werden Brüder“, Vervollkommnung der Menschheit oder einer bestimmten dazu ausersehenen Ethnie, Wiederherstellung eines Goldenen Zeitalters usw. Als Beispiel mag Petrarca dienen. Italien war im 14. Jahrhundert von einer politischen, kulturellen oder sprachlichen Einheit denkbar weit entfernt. Die Missstände liefen für Petrarca darin zusammen, dass Rom seine alte Macht und Strahlkraft in dreierlei Hinsicht verloren hatte: Das römische Reich war nach Norden verlagert (translatio imperii), das Bildungszentrum nach Paris (translatio studii), die Kurie nach Avignon (translatio ecclesiae). Diesen Zustand fasste Petrarca als das zu seinem Leidwesen noch andauernde „finstere Mittelalter“ zusammen, das durch eine Rückführung von Macht, Wissenschaft und Kirche nach Rom (renovatio) überwunden werden müsse.164 Zweifellos trifft Regn den Kern, wenn er schreibt: Petrarcas Konzept des finsteren Zeitalters, das Resultat der dreifachen translatio ist, erweist sich somit als ein zutiefst politisches Konzept, das der Kritik und Korrektur der zeitgenössischen Verhältnisse dienstbar sein soll.165 Petrarca knüpfte an die politische Lage an und hatte eine politische Vision – allerdings nur eine „zutiefst“ politische. Im Kern war sie kulturell. Es dürfte schwer zu entwirren sein, ob Petrarca seine diplomatischen, rhetorischen und poetischen Fähigkeiten für ein politisch und kulturell neu zu errichtendes Rom oder für eine in einem erstarkten Rom neu anzustoßende Kultur einsetzen wollte. Sicher ist nur, dass Petrarca seine speziellen politischen Ambitionen und Solidaritäten leichter revidieren konnte als seine kulturellen.166 Seine generelle politische Vision aber ist von seiner kulturellen Vision kaum zu unterscheiden, denn unwandelbar ist es einzig Rom, oder größer gedacht Italien, wo die kulturelle renovatio/Renaissance für Petrarca stattfinden konnte. Insofern ist Petrarca ein Vorbote der neuzeitlichen Ethnisierung und Nationalisierung von Kultur – aber nur ein Vorbote. Die Grenzen Italiens sind noch 164 Mommsen (1942) 237. 165 Regn (2004) 34. 166 Vgl. Regn (2004) 42–44 und 59 f. 76 Peter-Arnold Mumm unscharf, und die Ethnisierung der Kultur167 ist nicht Petrarcas Anliegen; sie ist nur ein Nebenprodukt einer Festlegung auf Rom. – Über die Rolle der Sprache in Petrarcas Vision s. u. § 7.3. 6.3 Materielle Kultur Kulturelle Phänomene, Prozesse oder Fragmente können zu einer oder mehreren Ethnien oder einer oder mehreren Sprachgemeinschaften gehören, können aber auch ganz ohne Zusammenhang damit sein. Das gilt auch für die Kulturfragmente, die in der Archäologie gefunden werden. Der Beitrag von Heil in diesem Band wirft anhand der Deutung bronzezeitlicher Funde auf Zypern Licht auf Aspekte des Kulturbegriffs in der Archäologie. Zu Kossinnas Zeiten und noch bis in die Mitte der 20. Jh. war es üblich, archäologische Kulturen auf Rassen zu beziehen. Vor- und Frühgeschichtler wie Gordon Childe haben das energisch bekämpft und an die Stelle der Rassen sozial definierte „Völker“ („peoples“) gesetzt. Auch das hat sich als grundsätzlich fiktiv herausgestellt, und statt von „peoples“ hat Childe später lieber von „archeological social units“ gesprochen.168 Heutige material culture studies bewegen sich zwischen verschiedenen Polen. Erwähnt seien: die äußerste Skepsis hinsichtlich der Zuordnung archäologischer Kulturen zu sozialen Einheiten; die Erkenntnis, dass archäologische Fundstücke, soweit ihr Verwendungskontext rekonstruierbar ist, Aufschlüsse über ihre Funktionen geben können und damit über die Zwecke, die die Menschen mit ihnen verfolgt haben; die Neubesinnung auf den Herstellungsprozess von Artefakten und die dabei auftretenden Erfahrungs- und Selbsterfahrungsmomente.169 Ein Schlüsselargument sucht die nicht-sprachliche Natur archäologischer Funde in eine Stärke zu verwandeln: Ohne Vorformung durch sprachliche Traditionen ließen sich aus der Perspektive der materiellen Kultur heraus vielleicht Begriffe wie Kultur oder Ethnizität neu fassen.170 Wie weit dies 167 Vgl. Pade (2016) 38–41. 168 Brosius (2008) 30; Tringham (1983) 97. 169 Curta (2014); Ingold (2013); Samida & Eggert & Hahn (2014). Sommer (2011) 174–176 bietet eine Übersicht über die Schwierigkeiten, Ethnizität aus archäologischen Daten zu erschließen, kommt 176–189 in einer umsichtigen Fallstudie zur sogenannten Hinkelsteinkultur der Linearbandkeramik aber dennoch zu dem Ergebnis, dass sich hier eine neue ethnische Gruppe aus den Populationen der Linearbandkeramik abgespalten habe. – Grundsätzlich skeptisch zur Erschließbarkeit von Ethnizität aus archäologische Daten MacSweeney (2009). 170 Antonaccio (2009) und (2010). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 77 zur Begriffsklärung beiträgt und welche Phänomene der materiellen Kultur wie in die revidierte Begrifflichkeit eingehen sollen, bleibt abzuwarten. Welche Schlüsse auf die soziale Realität sind möglich, wenn nur Fragmente erhalten sind? Folgt man der älteren ethnizistischen Denkweise der Archäologie, enttäuschend wenig. Denn die als entscheidend angesehene Frage, welches Volk denn nun hinter den ausgegrabenen Kulturfragmenten stehe, bleibt meist im Dunkeln. Entwertet man aber die ethnizistische Frage, treten Aspekte in den Vordergrund, die näher mit den Eigenschaften der Fundstücke in Verbindung stehen. Man kann kleinteiliger, wirklichkeitsnäher und freier schließen. Siehe den Beitrag von Heil in diesem Band. 7 Ethnizität, Kultur und Sprachgemeinschaft 7.1 Ethnizität und Sprachgemeinschaft Ethnizität hat, wie wir gesehen haben, einen anderen Ursprung und folgt einer anderen Logik als Sprachgemeinschaft. Nach außen gerichtete Willenskonkurrenz, und sei es nur vermutete oder imaginierte, spielt in der Sprachgemeinschaft keine Rolle. Und die Kommunikations- und Konventionalisierungsprozesse, die die Sprachgemeinschaft ausmachen, führen nicht von sich aus zu einer – und sei es nur imaginierten – Willenseinheit, die sich nach außen hin absetzt. Sprachgemeinschaft kann eine wichtige Grundlage für die Entfaltung der Idee der Ethnizität sein; nämlich dann, wenn im Zuge der Konstruktion ethnischen Bewusstseins nach Formen der Gemeinsamkeit gesucht wird (s. o. § 2). Sprachgemeinschaft führt aber nicht zwingend zu ethnischem Bewusstsein und wird von diesem auch nicht zwingend vorausgesetzt. Sprachgemeinschaft ist weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für ethnisches Bewusstsein. Nicht hinreichend: An Sprachen sind nicht automatisch ethnische Ideen geknüpft. Der gemeinsame kognitive und kommunikative Habitus, der die Sprecher einer Sprachgemeinschaft eint, beruht auf gemeinsamer kommunikativer Herkunft und hat mit dem Mythos gemeinsamer historischer oder verwandtschaftlicher Herkunft nichts zu tun. Die sprachliche Gemeinschaft […] bewirkt die unmittelbare Naturalisierung des Erworbenen. […] Der Einwanderer der »zweiten Generation« […] geht mit der Nationalsprache (und durch sie mit der Nation selbst) ebenso spontan, ebenso »ererbt«, ebenso zwingend 78 Peter-Arnold Mumm für das Gefühlsleben und die Phantasie um wie der Sohn der »Alteingesessenen« (von denen die meisten die Nationalsprache noch vor kurzem nicht täglich gesprochen haben). […] Die sprachliche Gemeinschaft ist eine aktuelle Gemeinschaft, die das Gefühl vermittelt, daß sie immer existiert hat, die für die aufeinanderfolgenden Generationen jedoch nicht schicksalsbestimmend ist. Ideell assimiliert sie »jeden«, hält sie niemanden zurück.171 Sprachgemeinschaft ist an sich vaterlandslos, auch wenn es Kräfte gibt, sie ans Vaterland zu binden. Und ethnischer Wille kann Grenzen innerhalb einer Sprachgemeinschaft ziehen.172 Überhaupt scheint Sprachgemeinschaft als Ethnizitätskriterium eine relativ moderne Kreation zu sein.173 Nicht notwendig: Von Seiten der Ethnizität spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Und Ethnizitätsbewusstsein kommt auch ganz ohne Rekurs auf Sprache aus (vgl. wiederum Schulze in diesem Band). Eine exemplarische Studie zur Nichtkongruenz sprachlicher und ethnischer Identität bietet Tandaschwili: Sprecher des in Georgien gesprochenen Batsbi (Nachisch, Nordostkaukasisch) sehen sich ethnisch als Georgier; sie würden es sogar als Beleidigung ansehen, als Nachen angesehen zu werden. Sprecher des Lakischen, Bezhtinischen und Avarischen identifizieren sich als Dagestaner („Bergvolk“), nicht über ihre Sprache.174 7.2 Kultur und Sprachgemeinschaft Sprache schließlich ist ein wesentlicher Teil der menschlichen Autopoiesis, mithin gilt: 171 Balibar & Wallerstein (2014 [1990]) 121 f. Die Nichtkongruenz von Sprachgemeinschaft und Ethnizität wird auch so formuliert, dass Sprachen sich in ihrer „ethnolinguistischen Vitalität“ unterscheiden: Deumert (2004) 356 f. Der Ausdruck „ethnolinguistische Vitalität“ ist allerdings mehr als unglücklich. Er suggeriert, dass Sprachen in „gesundem Zustand“ („Vitalität“) Quelle ethnischer Ideen seien und nur unter nicht-normalen Verhältnissen nicht. Es gibt aber gar keinen intrinsischen Kausalnexus zwischen Sprachgemeinschaft und Ethnizität, s. o. § 4 – insbesondere § 4.8 – und § 5. Empirische Untersuchungen zu Spracheinstellungen bestimmter multilingualer Gruppen zeigen denn auch eine große Bandbreite. Die zweite Generation deutscher Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion zeigt nach Dück (2014) teils entschiedenes, teils unentschiedenes Ethnizitätsbewusstsein und teils eine Verbindung von Sprach- und Ethnizitätsbewusstsein, teils nicht. Etwa die Hälfte der Befragten war des Deutschen kaum oder gar nicht mächtig und fühlte sich dennoch deutsch. Dück (2014) 265. 172 Engländer vs. Amerikaner, Deutsche vs. Österreicher, Serben vs. Kroaten, protestantische vs. katholische Iren. – Woodhuizen (2006) 16; Jenkins (2008) 94–110; Eriksen (2010) 16. 173 Vgl. etwa Pohl (1985) sowie den Beitrag von Schulze in diesem Band. 174 Tandaschwili (2018); Tandaschwili (briefl.). Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 1. 2. 3. 79 Sprache ist Teil der Kultur. Sprache bildet zweitens kulturelle und gesellschaftliche Gewohnheiten ab (s. o. §§ 4.4–4.9) und ist insofern, in Fishmans Terminologie, auch Index von Kultur und Gesellschaft.175 Drittens schließlich, wiederum nach Fishmans Gliederung (l. c.), kann Sprache Symbol von Kultur sein, ein „Markenzeichen“ des Habitus der Sprechergemeinschaft. Der Symbolcharakter kann noch weitergehen, und Sprache kann zum Symbol von Ethnizität werden (s. o. §§ 3.8, 4.4, 5.2 und 5.3). Das ist aber nicht zwingend, denn Sprache als Teil der Kultur, die ihrerseits gern „vaterlandslos“ wird, ist selbst eines der gewaltigsten und beweglichsten Mittel, die Grenzen von Ethnizität zu übersteigen und kann auch dafür ein „Markenzeichen“ sein. 7.3 Über Versuche, Kultur, Ethnizität und Sprachgemeinschaft zusammenzuzwingen Wenn Kultur, Ethnizität und Sprachgemeinschaft auf eine Linie gebracht werden, dann typischerweise in Richtung auf Ethnizität. Sprachgemeinschaft und Kultur dienen dann der Füllung und Ausgestaltung des Ethnizitätsbewusstseins. 7.3.1 Vorboten Vorboten dieser Entwicklung treten in Renaissance und Humanismus auf. Die „Völker“ sind noch nicht nationalstaatlich auf Linie gebracht, und „Nationen“ sind eher unscharfe Ideen. Sie zeichnen sich aber ab. Pade (2012 und 2016) zeigt überzeugend, dass Petrarcas zunehmende Hinwendung zu einem an Cicero orientierten Latein nicht dem Ziel diente, im Sinne Jakob Burckhardts ein nationenübergreifendes neues Zeitalter der Renaissance gegen das „finstere Mittelalter“ einzuführen, sondern einem, so weit man das in dieser Zeit schon sagen kann, „national“ gebundenen Ziel: [Petrarca] turns the Latin literature of Antiquity, and the appropriation of the language it was expressed in, into a national, Italian concern, using it to construct an Italian cultural identity, based on Italy’s Roman heritage.176 175 „Languages reveal the ways of thinking or of organizing experience that are common in the ethnocultures“ Fishman (1985) xi. 176 Pade (2012) 6. 80 Peter-Arnold Mumm Dieses Ziel hat Petrarca vor allem in Abhebung von Frankreich verfolgt.177 Italien sei der wahre Ort antiker römischer Größe und Kultur, und diese könne nur in Italien wiederbelebt werden. Theorien über eine speziell lateinisch-italienische Sprachkontinuität, im Gegensatz zu einer lateinisch-französischen, entwickelt Petrarca aber nicht. 7.3.2 Neuzeit Moderne Beispiele sind Legion. Mit der Gründung von Nationalstaaten wird Ethnizität zum politischen und kulturellen Programm. Erinnert sei nur an den französischen Gallier- und den deutschen Germanenkult des 19. und 20. Jahrhundert. Die sprachliche Kontinuität zwischen „nos ancêtres les gaulois“ und dem modernen Frankreich war zwar weniger gut zu zeigen als die zwischen Germanen und Deutschen. Ethnizität, wenn einmal auf den Plan gesetzt, macht sich aber von ihren typischen Merkmalen bei Bedarf auch unabhängig, s. o. § 5.178 Erinnert sei weiter an die flächendeckende Einführung des Ethnizitätsprinzips durch die Ethnographie des 19. Jh. und weit in das 20. Jh. hinein. „Stämme“ mit den dazugehörigen Dialekten, Trachten, Gebräuchen und Territorialgrenzen wurden auch in Gegenden festgeschrieben, wo Stämme, wenn auch existent, keineswegs das alles beherrschende soziale Gliederungsprinzip waren. Hier standen ganz offensichtlich die Denkweise und das administrative Interesse der Kolonialmächte Pate. Dabei wurden nicht nur neuartige Grenzen auf Landkarten gezeichnet, sondern neuartige ethnische Grenzen geschaffen.179 177 Pade (2016) 38–41; Ramminger (2016) 2. – Im 15./16. Jh. wurde der humanistische Nationalismus dann auch für die deutsche Perspektive umgeprägt: Hirschi (2002). 178 So hat sich zwar die Behauptung, dass auch die einheimischen Schulkinder in den französischen Kolonien Afrikas „nos ancêtres les gaulois“ zu lernen hatten, als Legende herausgestellt, s. Bouche (1968). Dennoch gab es Stimmen, dass das nicht einmal ganz unangebracht gewesen wäre, bräuchten Kinder doch, um Heimatliebe entwickeln zu können, einen gewissen Stolz auf ihre Ahnen, und seien es mythische; s. Binet (1967). – Danke an Dzidula Samla für diesen Hinweis. 179 Anderson (2006) 164–178 berichtet über das zunehmend ethnisch orientierte Klassifikationsprinzip des kolonialen Zensus und der zugehörigen Landkartenerstellung. – Van Reybrouck (2013) 137–144, 170, 277, 299 f., 416 f. schildert die von der europäischen Ethnographie Anfang des 20. Jh. angestoßene Durchsetzung des Tribalismus im Kongo und dessen spätere Verschiebung auf den Gesamtstaat Zaire unter Mobutu. – Gat & Yakobson (2013) 22 geben zwar zu bedenken, dass die Kolonialherren einheimische Stammesidentitäten nicht einfach „erfinden“ hätten können, sondern sie nur „bewusst gemacht“ hätten („did not »invent« these Sprachgemeinschaft, Ethnizität, Identität 81 Auch im größeren nationalen Maßstab, im Selbstfindungsprozess von Nationen, spielt ethnisches Denken eine zentrale Rolle. Über das Programm Atatürks, eine neue türkische Ethnizität auch per Sprachreform staatlich zwangszuverordnen, handelt Ünver-Lischewski im vorliegenden Band. Eine sanftere Variante der Identifikation von Volk und Sprachgemeinschaft, in gewissem Sinn gegenläufig zur Denkweise Atatürks, schildert Göhlert im vorliegenden Band: In der japanischen Volkskunde vom Anfang des 20. Jh. galt nicht die überdialektale japanische Standardsprache, sondern die Vielfalt der Dialekte und der nicht-sprachlichen Traditionen als Grundlage des Nationalgefühls. So wurde die Standardsprache dann auch nicht mit einer so starken ethnizitätsbildenden Funktion befrachtet wie in der Türkei. 7.4 Identität und Ethnizität Ein Passepartout, der auf alles passt und alles verunklärt, ist der Begriff der Identität bzw. des Identitätsbewusstseins (s. o. §§ 3.6–3.10). Ein Mensch kann sein Identitätsbewusstsein in beliebige Aspekte der Kultur, der Sprache oder der Ethnizität legen. Und da es sich um das Bewusstsein von Identität handelt, können diese Aspekte ohne weiteres vermischt und ineins gesetzt werden. Identität ist ursprünglich ein logisches Kunstwort mit klarer Definition (s. o. § 3 mit Anm. 7). Identität bezieht sich auf vorhandene oder gesetzte Entitäten und ist im Ausgangspunkt eine ganz und gar etische Kategorie, die erst, wie erinnerlich, in der Sozialpsychologie ihre emische Umdeutung erfährt. Ethnizität ist, wie sich herausgestellt hat, ähnlich strukturiert. Im Kern ist Ethnizität eine etische Größe. Diese ist nicht in den realen, vielfältigen Formen von Gemeinschaftsbildung zu suchen, sondern im überall beobachtbaren Prozess, dass Gruppen sich gegeneinander unter dem Gesichtspunkt der Vertrauensfrage abgrenzen. Dies geschieht im kleinen wie im großen gesellschaftlichen Maßstab. Echte Ethnizität enthält die Idee einer als Lebensgemeinschaft funktionierenden und sich selbst reproduzierenden Gesellschaft. Darin liegt der Übergang zur emischen Seite der Ethnizität. Emisch ist die Art und Weise, wie die Entscheidung in der an die Lebensgemeinschaft gestellten Vertrauens- ethnicities, but rather made them conscious“). Es gibt aber bei Identität und Ethnizität keine einfache Dichotomie zwischen „unbewusst“ und „bewusst“ (s. o. §§ 3.8 und 5.1). Das „Bewusstmachen“ generalisiert auch und schreibt fest. Es geht in die Lebenspraxis ein und verändert sie. Wenn ethnische Merkmale dann noch zur Grundlage staatlicher Grenzen und Rechte gemacht werden, tritt ein wirkmächtiger Zirkel in Kraft: Die ethnischen Merkmale begründen die Grenzen und Rechte, diese drücken dem praktischen Leben ihren Stempel auf und formen die ethnische Besonderheit aus, die dann als natürliche Grundlage des Staats erscheint, q. e. d. 82 Peter-Arnold Mumm frage begründet und illustriert wird. Aus den Formen der realen Gemeinschaftsbildung entstehen dabei Umformungen, Typisierungen, Konstruktionen, bis hin zu ethnischen Merkmalen, die auf Gerüchten und Phantasie (Fabelwesen) oder auf falschen wissenschaftlichen Theorien (Schädelformen, Vererbung des Bluts) beruhen. Nicht zufällig wird Ethnizität daher auch ethnische Identität genannt, und nicht zufällig werden Ethnizität und Ethnizitätsbewusstsein ebenso fatal vermischt wie Identität und Identitätsbewusstsein. 8 Entflechtung der Begriffe Wie wir gesehen haben, sind Sprachgemeinschaft, Ethnizität(sbewusstsein) und Kultur von ihren Wurzeln her unterschiedliche Begriffsbildungen: – Sprachgemeinschaft: Konventionalisierung in der Kommunikation; – Ethnizität: „Unsere“ Reproduktionsgemeinschaft gegenüber der von „Denen“; – Kultur: erweiterte menschliche Autopoiesis. In allen drei Dimensionen beziehen sich Menschen aufeinander. Aber Gründe und Ziele, Ausbreitungsprozess und Umfang sowie die imaginierten Ausstaffierungen dieser Dimensionen sind unterschiedlich. Von „Sprachgemeinschaft“ wie von „Kultur“ kann man auch dann reden, wenn keine ethnischen Grenzen definierend im Spiel sind, von „Kultur“ auch ohne sprachliche und ethnische Grundlagen. Allerdings gibt es viele Berührungspunkte. Entflochten, verunklären sich die Begriffe nicht gegenseitig und eröffnen die Chance auf solide Analysen. Der vorliegende Band widmet sich der Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit menschlicher Gemeinschaftsbildungen. Literaturverzeichnis Abels, Heinz (2009): Einführung in die Soziologie. Band 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. Abels, Heinz (2017): Identität. Über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und Kompetenzen, Identität in einer riskanten Moderne zu finden und zu wahren. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden: Springer VS. Abrams, Jeffrey & Dorst, Doug (2015): S. – Das Schiff des Theseus. Übersetzt von Tobias Schnettler und Bert Schröder. 1. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Adorno, Theodor W. (1951): Minima moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Berlin, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 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Nowadays, two German varieties (Cimbrian and Mòcheno) are spoken in a few villages and numerous Germanic place names are attested in the areas close to these municipalities. While much attention has been paid to these toponyms, Germanic place names attested in other areas of Trentino have not been inquired. This paper aims to present the findings of a research investigating the latter category of Germanic place names. The inquiry was conducted with the help of the online DTT (Dizionario Toponomastico Trentino) database focusing on a specific domain, i.e. some Germanic loanwords that are used in the Trentino dialect and refer to ground morphology. The results show that several hundreds of place names with a Germanic origin are spread in the whole province. These toponyms entered Trentino dialects from German and Tyrolean varieties during different periods, and propagated in the area especially during the XIX century under the Hapsburg government. 1 Introduction Romance and Germanic languages have co-existed in Trentino for centuries. Several linguistic varieties are traditionally spoken in the province: (i) so-called ‘Trentino’, which is the shorthand for many varieties used in the area and belonging to Lombard-Venetian dialects, (ii) Ladin, a Romance minority language spoken in Fassa Valley near the Dolomites; (iii, iv) Cimbrian and Mòcheno (Fersentalerisch), two German minority languages spoken in two different areas of Trentino since the Middle Age (ca. 12th Century), when Southern Bavarian groups moved to this territory and settled down in the area between LavaOpen Access. © 2018 Patrizia Cordin, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110601268-002 98 Patrizia Cordin rone and Asiago and in Fersental.1 Nowadays, the two German varieties are spoken only in few villages (Cimbrian in Luserna/Lusérn, Mòcheno in Palai en Bersntol/Palù del Fersina, Garait/Frassilongo, Vlarotz/Fierozzo), but numerous linguistic traces of the ancient German settlements are attested in some wider areas close to these municipalities. The most evident signals of the presence of ancient groups of inhabitants are place names. Many of these toponyms are illustrated in different studies published over the last eighty years. In this article, though, I inquire whether Germanic place names exist in Trentino territories other than those shown in figure 1, where German populations settled during the Middle Age. The description of my research and its findings is articulated in three parts. In the first section I show a map of Trentino territories that were inhabited by German communities in the Middle Age. Then I provide some examples of the most frequent German place names attested in those areas. In the second section I present the Dizionario Toponomastico Trentino – DTT (Trentino Toponymy Dictionary) and, in particular, its online database,2 which represents a powerful tool for all researches on Trentino place names. The online DTT also constituted a significant support for the specific inquiry that I present in the third and last section. In § 3, after introducing the criteria that I adopted for my search, I present the main results achieved using a given set of Germanic loanwords that refer to ground morphology and that were commonly used (at least until fifty years ago) in Trentino dialects. Notably, such words have been also used as toponyms and are attested in many areas of the province. The results suggest that toponyms with a Germanic origin attested in areas other than Cimbrian and Mòcheno ones do not come directly from German. Rather, they are formed with words that entered the Trentino dialect from German and Tyrolean during different periods and that spread out in the dialects spoken in the province especially during the XIX century under the Hapsburg government. 2 Previous studies on Germanic place names in Trentino So far, studies regarding German toponyms in Trentino have focused on those areas where German settlements were situated in the past. A 1988 work by 1 See Pellegrini (1977); Bidese (2010); Rowley (1986). 2 http://www.trentinocultura.net/portal/server.pt/community/dizionario_toponomastico_tren​ tino Germanic place names spread throughout Trentino 99 Giulia Mastrelli Anzilotti illustrates the distribution of these toponyms within the Trentino province. The author highlights the scarcity of Germanic toponyms in Western Trentino, where only a few traces remain in the upper part of Non Valley, in the area of Andalo near Trento and, finally, in the municipality of Garniga at the bottom of Mount Bondone.3 In the first case, toponyms with Germanic origin can be explained by the proximity with German-speaking or multilingual areas in Alto Adige; in the second case, by the existence of an ancient (14th-century) German settlement; in the third case, by the presence of miners and farmers who came from Bavaria in the 13th century according to the will of the bishop of Trento. On the contrary, traces of old German settlements are widely attested in place names of Eastern Trentino, where two groups of population coming from Germany settled in the past: the Cimbrian one, to be found on the tablelands between the Adige and the Brenta, precisely in Folgaria,4 Noriglio, Ronchi di Ala, Terragnolo, Trambileno, Vallarsa,5 Lavarone6 and Luserna; and the Mòcheno one, situated in the area of Pergine,7 in Vignola, above Caldonazzo lake,8 in Castagné, and in mountain houses scattered around the mount of Roncegno9 as well as in the area of Piné.10 An overview of German settlements in Trentino is provided on the map in figure 1. A great deal of toponyms in Western Trentino has Tyrolean origin and refers to some properties of the land and to its use (Bis Germ. Wiese, Tyr. wise ‘meadow’, Bìsele ‘little meadow’, Greut Germ. geraut, Tyr. gereut ‘ploughed terrain’, Làite Tyr. laite ‘slopes’, Firòsta Tyr. fihrast ‘pasture’, Stonàcher Tyr. stoanache ‘stone space’, Grossém Tyr. groas eme ‘large flat ground’).11 Other toponyms referring to mountain houses maintain the owners’ Germanic surnames (Reiter, Clamer, Nèser, Puller, Pèrgher).12 In Garniga, a village not far from Trento, some names attest the ancient presence of miners (Val dei Séchi Germ. Zeche ‘mine valley’).13 3 Battisti (1971); Mastrelli Anzilotti (1979); Bonatti (1982). 4 Melchiori (1997–98). 5 Flöss (2009). 6 Paternoster (1996–97); Zambelli (1996–97); Battisti (1972). 7 Lorenzi (1930). 8 Brida & Mastrelli Anzilotti (1981); Flöss (2002). 9 Mastrelli Anzilotti (1998). 10 Gerola (1932); Flöss (2014). 11 All toponyms mentioned in this section and in § 3 are transcribed according to DTT norms. Tyrolean terms quoted in this section are reported from Schatz (1993). 12 Mastrelli Anzilotti (1988). 13 In 1242 the Beseno family called some people from Bavaria to work in the mine that the family owned; Mastrelli Anzilotti (1988) 32. 100 Patrizia Cordin Parco Nazionale dello Stelvio Canazei Val di Fassa Pejo Dolomiti Val di Sole Val di Non Passo Tonale Val di Fiemme Madonna di Campiglio Dolomiti di Brenta Val Rendena Trento, Monte Valsugana Valsuga a Va Bondone, Valle dell’Adige LLevico Le evvico Terme errme me Valli Giudicarie Terme di Trento no n o Comano Altopiano pi i ano an Alto Garda di Folgari ri Valle di Ledro Valle dei Laghi Riva del Garda Vallagarina Va all lla ag i San Martino di Castrozza Valli del Primiero Lago di Garda Fig. 1: ○ isolated German settlements □ Cimbrian settlements 夽 Mòcheno settlements. In Eastern Trentino both Cimbrian and Mòcheno toponyms are numerous. Among them, it is possible to identify some semantic groups that present more occurrences than others, namely: – names that refer to the shape or territorial characteristics of the land, such as Laita/Làita Tyr. lait ‘slope’, Gronlait ‘wide slope’, Pèrch Germ. Berg ‘mountain’, Bìlbom Germ. Wildboden ‘wild land’, Eck/Éch Germ. Eck, ‘bump’, Pléz Germ. Platz ‘flat land’, Lóca Germ. Loch ‘hole’; – names that refer to the use of the land, such as: Bis Germ. Wiese ‘meadow’, Ròsta Germ. Rast, Tyr. rost ‘pasture’, Raut/Ràut Germ. geraut ‘ploughed terrain’, Valt Germ. Wald ‘wood’; – names that refer to mountain houses (often named after the surname of the owners): Pinter, Plancher, Marter, Stàuderi, Tonézzeri, Sàdleri, Pàcheri, Paldàufi; – names that refer to activities: Bàlneri Germ. Waldner ‘woodsmen’, Canèp Germ. Knapp ‘miner’, Chéserle Germ. Käser ‘dairyman’; – names that refer to plants: Poeche Germ. Büche ‘beech’, Oachlait Germ. Eiche ‘oaks’ slope, Érla Germ. Erle ‘alder’, Piràcher Germ. Birn(baum)acker Germanic place names spread throughout Trentino 101 ‘pear tree meadow’, Fórelait Germ. Föhrelait ‘spruces’ slope’, Lérch Germ. Lärche ‘larch’. Tyrolean place names from Non Valley as well as of Andalo – in Western Trentino –, the Mòcheno place names of Frassilongo/Garait, Palù/Palai en Bersntol, Fierozzo/Vlarotz, Baselga di Piné, Bedollo, Caldonazzo, Roncegno, and the Cimbrian place names of Lavarone, Terragnolo, Vallarsa – in Eastern Trentino – are all recorded in the online DTT. Thanks to this database it is possible not only to verify their location, distribution, and forms, but also to extend the search to the whole province. In this way, one can determine the presence of a given set of toponyms outside the areas that were traditionally research object of studies on toponymy with German origin. 3 Dizionario Toponomastico Trentino With the province law 16/1987 – Disciplina della toponomastica – the Province of Trento formally started the project of the Trentino Toponymy Dictionary (Dizionario Toponomastico Trentino – DTT), thereby acknowledging toponyms as immaterial cultural goods that have to be protected and valorized.14 The management of the project was entrusted to the Cultural Heritage Superintendence, and precisely to the service named Servizio beni librari e archivistici della Provincia di Trento (Archival and Book Heritage Office and Provincial Archive). The office was supported by a commission for toponymy, an advisory agency that expresses opinions about any issues in the field. The conception of the project actually began in 1982, when a wide toponymy research program, articulated in three complementary and distinct phases, was conceived. The first phase consisted in a field research (called ‘geographic’) to the purpose of collecting the names of all Trentino municipalities in a very detailed manner thanks to researchers and local informers. The second phase should comprise a so-called ‘historical’ research, based on systematic 14 By acknowledging toponyms as cultural heritage that has to be safeguarded insofar as toponyms are elements of memory preservation and tools for completing the culture of a certain area, the Province of Trento anticipated the 2nd article of the Convention pour la sauvegarde du patrimoine culturel immatériel (Paris, 17 October 2003) which sounds “Ce patrimoine culturel immatériel, transmis de génération en génération, est recréé en permanence par le communautés et groupes en fonction de leur milieu, de leur interaction avec la nature et de leur histoire, et leur procure un sentiment d’identité et de continuité, contribuant ainsi à promouvoir le respect de la diversité culturelle et la créativité humaine”. 102 Patrizia Cordin scrutiny of archival documents in order to trace back the different forms taken up by place names over time. In the third phase, finally, the ‘etymological’ research concerning Trentino toponyms should take place, building upon the massive corpus created via field research and archival work. The order of the three phases (geographical, historical, etymological) was strongly motivated by the urgency of collecting oral data, which is only possible thanks to the presence of people who know the territory and remember its names. The geographical research began in 1987 and ended in 2007. During those two decades, in the 223 municipalities of the Province of Trento15 180 researchers collected a total of 205.687 toponyms referring to 158.472 places16. Only 20 % of those names were actually present in the cartography, while the remaining 80 % were retrieved from oral tradition. The data collection was completed with audio-recordings of all place names as pronounced by local speakers and with the cataloguing of all toponyms according to established criteria. The data sheet where each place name is registered is organized with several fields, which had to be filled in by the researcher. First, the transcription of the name in its dialectal form is shown according to a double transcription system (simplified and phonetic);17 the cartographic writing also appears on the data sheet if the toponym is recorded on a map. Moreover, the data sheet presents: a geographical indicator that refers to the collected toponym (i.e. a term that synthetically expresses the main geographical characteristic of the place – meadow, rill, path, creek, bridge, orchard, mountain top, pass, soil cavity, ruins, and so forth); a brief description of the place, indicating the altitude, extension, vegetation, relevant properties of the soil and possible references to other toponyms; geographical coordinates for positioning the toponym on the General Topographic Trentino Map (Carta Topografica Generale del Trentino – CTG); other cartographic references,18 when available; possible 15 This was the number of Trentino municipalities when the toponym search was carried out. Currently (September 2016) Trentino municipalities are 178. 16 The numerical difference between toponyms and places derives from the fact that several names have one or more variations. 17 To spare the average reader difficulties in reading, phonetic transcription norms within the data sheets of DTT do not coincide with those of IPA transcription. The rules on which the phonetic transcription used in the DTT is based are described at the beginning of each published volume in the series and on the DTT’s website. 18 For cartographical references the following sources were used: the General Topographic Map of the Autonomous Province of Trento (Carta Topografica Generale della Provincia Autonoma di Trento – CTG; scale 1 : 10.000), the maps of the Military Geographical Institute (Istituto Geografico Militare – IGM; scale 1 : 25.000), Kompass tourist maps (scale 1 : 50.000), cadastral maps of the territory, the royal registers of the Estate book and maps of the economic forestal and pastoral plan. Germanic place names spread throughout Trentino 103 variations of the toponym; the initials of the informers’ names. Optional notes, namely relevant observations that were either collected by the informers or by the researcher themselves or inserted while revising the material and bibliographical references complete the data sheet. The majority of the toponyms is also recorded in an online database which is accessible for public consultation and is constantly updated.19 In the electronic database it is possible to carry out searches focused on one or more municipalities or on one or more toponyms. It is also possible to differently combine the search items for advanced search.20 A minor, yet relevant part of the catalogue of indexed place names has been published in the book series Ricerca geografica – DTT (Geographical research – DTT). Sixteen publications have been issued so far (September 2016). They regard 56 Trentino municipalities, for a total of more than 40.000 toponyms. Each volume is illustrated with several photos and completed by cartography (namely the CTG indicating the places to which the names presented in the volume refer). In 2005 the second phase of the DTT project started. This historical phase, which should culminate in the Ancient Toponymy Dictionary (Dizionario Toponomastico Antico – DTA), consists in researching place names in written sources from the 13th until the 19th century. The wide range of documents to be researched includes real estate registries, registers, valuations, urbari, notary deeds, parchments.21 Since only some of these documents are printed, several competences are required for the researchers to record historical toponymy data: besides linguistic skills and knowledge about the local territory, historical and paleo-graphical competences are needed. 19 On the 30th of September 2016 data sheets related to 153.000 places (more than 200.000 toponyms) were available online. 20 From the online data sheet, one can select the elements to be searched, namely: the municipality to which the toponym/toponyms belongs/belong; the toponym/toponyms; the geographical indicator, that is the name referring to the main geographical characteristic of the place (meadow, forest, field, etc.); the cartographic sources from which the toponym comes. Each item can be combined with the others. As far as the information collected during field investigations is concerned, the online search cannot be used to explore it. Therefore it is not possible to initiate an online search in the field named ‘notes’. In the electronic version of the dictionary this field is absent both as search field and as field visualized within each data sheet. 21 The Teresian cadastre (Catasto teresiano) deserves special attention due to its development over time and its systematic coverage of the territory in the Trentino province; see Bonazza (2004). 104 Patrizia Cordin So far (September 2016), investigations have led to the recovery of historical toponyms in documents from different areas and different ages.22 In the first research decade almost 60.000 toponymy forms have been recorded. They amount to around 35.000 historical forms, out of which slightly less than the half corresponds to the modern forms indexed in the DTT.23 The historical places to which the names refer are around 20.000 (out of which more than 6.000 are coupled with toponymy data sheets in the DTT).24 The results of the DTA are not accessible for public consultation yet, but the project envisages putting the collected data online. The last phase of the project, devoted to the etymological research of Trentino toponyms, will begin only when a significant collection of historical data from written sources will be available besides the enormous amount of data synchronously collected on the field. Data from historical written sources should show the evolution of a certain name throughout the centuries, so that the etymological analysis will be based on sound testimonies concerning the transformation of names over time and space. 4 A new research in the DTT database As already mentioned in § 2, multiple researches regarding place names in Trentino can be carried out by means of the online database of DTT. The purpose of the inquiry that I present in this chapter is to identify toponyms with Germanic origin outside those areas that are still inhabited or had been inhabited for centuries in the past by German speaking communities. The research was motivated by four main questions: – Are there toponyms with Germanic origin that are spread in the whole province (Trentino)? – How many are they? 22 Several documents from the archives of Trento, Val di Sole, Alto Garda, Ledro, Primiero, lower Non Valley, Valsugana, Cembra Valley and the Giudicarie have already been investigated. 23 In the DTA data sheet, the oldest form is recorded for each name. Additionally, all found variations are indicated. The document where the word was found is also indicated (according to the coding of the Historical Trentino Archive – Archivio Storico Trentino) as well as the year of the document, its language, the geographical indicator to which the name refers, and, possibly, any reference to a modern toponym. 24 The data on DTA are reported from the presentation carried out by Lydia Flöss at the Provincial Archive of Trento (Archivio provinciale di Trento) on the 23rd of April 2015. Germanic place names spread throughout Trentino 105 Ricerca avanzata Comune Toponimo nella scrittura semplificata Indicatore geografico Fonti cartografiche Presenza foto Tutti Invia Si No Reimposta Fig. 2: DTT fields for advanced researches. – – In which areas can they be found? Do particularly productive semantic groups emerge? On the basis of the work done so far, I was able to answer the first question, but I could only find partial answers to the following three. As a matter of fact, this is still a preliminary inquiry focusing on a limited group of toponyms, which were chosen according to precise criteria. In figure 2 it is possible to see how searches are set up in the DTT database. In my inquiry, all municipalities included in the database as of the 30th of August 2016 were selected. No geographical indicator was included nor cartographic sources were indicated. In the field named ‘toponimo nella scrittura semplificata’ (‘toponym in simplified writing’) ten different forms were put in (see table 1). The hypothesis that guided the selection of such forms is that words of other languages more easily become part of the toponymy of the whole territory if they are already assimilated in the dialectal lexicon. Therefore, in order to choose the toponym sample to be searched, I first obtained a list of words attested as loans from German in the ALTR (2005), the electronic archive gathering five Trentino lexicons.25 The search result indicated 322 items. Among them, I selected terms pertaining to a semantic domain that is particularly relevant to toponymy, namely names used to describe the shape and the 25 Aneggi (1984); Groff (1955); Prati (1960); Quaresima (1964); Tissot (1976). 106 Patrizia Cordin characteristics of the land.26 I compared this list of words with the lists of Trentino dialectal terms having a Germanic origin – Langobardic, Bavarian or Tyrolese – that are published in the main studies on the topic.27 The overview of the results is shown in table 1.28 The first column lists the different forms inserted in the DTT field ‘toponym in simplified writing’. They are written without any accents and are marked with an asterisk at the end,29 that makes it easy to find all occurrences of a certain form in toponyms containing it, no matter what accent or word ending (singular or plural suffix, masculine or feminine suffix, derivational or altered suffix, or compounding with another word).30 The second column reports the total number of occurrences attested in all municipalities, including the German-speaking ones. The third column refers to the figures that illustrate the distribution of different 26 Dialectal loans from German and Tyrolean pertaining to other semantic groups could represent an interesting object for future research. Relevant to toponymy, for instance, are the domain of zoonyms and that of ethnic epithets. Among zoonyms, the following loans from German are listed in the ALTR: bòc ≲ Bock ‘billy goat’, càuzza ≲ Kauz ‘owl’, crosnòbol ≲ Kraizschnabel ‘crossbill’; cròt ≲ Kröte ‘toad’; finch ≲ Fink ‘chaffinch’; ròz ≲ Ross ‘nag’; tòla ≲ Dohle ‘crow’; pàit ≲ Paita ‘turkey’ (for the latter term Quaresima 1964 suggests a Langobardic origin). Among ethnic names, the following words are recorded as loans from German in the ALTR: bòlder ‘German (neg.)’; mòchen ‘from Val dei Mòcheni, from mountain houses’; tóderlo ‘Tyrolean’; tòic ‘German’; zigàiner ‘gypsy’. A third domain that could deserve further attention is represented by German family names, widespread on the whole province, as names of places. 27 Del Murero (1890); Schmid & Vigolo (1998); Valduga (2000–01). See Morlicchio (1989) and Zolli (1986) for a comparison with German loanwords attested in Italian. 28 Two names, scòfa and sgrèben, that are reported in ALTR (2005) as German loanwords, have not been inserted in table 1, because of their uncertain origin. Scòfa is reported by Tissot (1976) with the meaning of ‘prato ripido, dal ted. Schupfen’ (“steep meadow from German Schupfen”). In DTT one finds 48 toponyms originated from this form, mostly in Primiero area. Groff (1955) attests Sgrèben with the meaning of ‘stony, sterile field’; Quaresima (1964) provides the meaning of ‘dry terrain’ and derives the word from the Slovenian grebben ‘roccia (nel mare)’ ‘rock (in the sea)’. Del Murero (1890) proposes a different origin: he connects the word sgreben to the German verb graben ‘scavare’. 11 toponyms containing sgrèben are attested in the DTT. 29 The inflected words stol/stoi and tom/tomo/tomi were inserted for the search in the online DTT, being the uninflected forms stol* and tom* the initial sequences for a very large number of place names. 30 The inserted form is also recognized as a part of a noun phrase. When the searched form was also found in toponyms that do not have German origin because of the overlapping of the searched phonetic sequence with a same sequence that is present in other words, all irrelevant occurrences were not taken into account. Germanic place names spread throughout Trentino 107 Tab. 1: German forms for geo-toponyms spread in the whole province. forms used for the research in DTT occurrences areas31 geographic indicators sources lait* 315 see fig. 3 path, slope loc* 19932 see fig. 4 hole raut*/raot* 215 / 22 field rost* 155 see fig. 5a/5b see fig. 6 stol/stoi 88 / 54 see fig. 7a/7b tunnel/ tunnels tom/tomo/tomi 18 / 9 / 8 see fig. bank 8a/8b/8c laita Aneggi: costa dirupata ‘slope’; Tissot: sentiero ‘path’ loca Groff, Tissot, Aneggi: fango, pozzanghera ‘mud, puddle’; Tissot, Aneggi: pozza ‘puddle’; locia Quaresima: fango ‘mud’ raut Quaresima: novale ‘new field’ ròsta Quaresima: rosta, argine; briglia ‘bank’ Groff: argine ‘bank’ stól Tissot: cunicolo di miniera ‘mine tunnel’ tòm Quaresima: argine ‘bank’ tòmo Groff: terrapieno, argine ‘bank’ bank toponyms in the areas of Trentino. The fourth column presents the geographical category that identifies the named place. Finally, the last column indicates the lexicographical sources under which words containing the searched form are recorded. Their meaning in Italian and English is also provided. The first form, lait (< Middle High German lîte ‘bergabhang, halde’ [Lexer]), has the greatest number of occurrences in the entire group. The toponym that contains it appears with singular, plural, masculine and feminine inflections and with altered suffixes; it is mainly used to name meadows and woods that grow on sloping parts of land. I provide here some examples and indicate the 31 All the maps shown in figures (3)–(8) are taken from the online DTT. 32 The total number of occurrences for loc* is 208, but I don’t consider nine records, where Loc is the first part of the following place names: Locanda, Locatóri, Locale (twice), Locomotiva, Locréte, Locòvi, Sintéri de la Pró Lòco, Tornante del Lòchmann. 108 Patrizia Cordin municipality each of them belongs to:33 Laitòla at Valfloriana, Laite del Gianmaria at Mezzolombardo, Laite del Tistòla at Carano, Laite del Töfa at Carano, Laiti at Segonzano, Laita at Daiano, Laita at Sover, Laita dei Rampini at Mezzocorona, Laite at Civezzano, Laite at Capriana, Laite dei Pini at Carano, Laite dei Cansòcoi at Predazzo, Laiton at Castello-Molina di Fiemme, Laiton at Segonzano, Maso Laita at Capriana, Menador de le Laite at Albiano, Pineta dei Laiti at Mezzocorona, Sbàrbol del Laiton34 at Castello-Molina di Fiemme, Sintér de la Laita at Lona Lases. The distribution of this toponym within the province is illustrated in figure (3): the name is mainly present in the Mòcheno area and in the Cimbrian area including the neighbouring territories (the areas of Pergine, Pinè and Rovereto). Beyond these areas, the toponym can mainly be found in Western Trentino, precisely around Trento, in Non Valley, in Cembra Valley and in Fiemme Valley. The second form, loc (< Middle High German Lôch ‘gebüsch’ [Lexer], cf. German Loh ‘Hain’), has nearly 200 occurrences. Toponyms that contain it refer to meadows, fields, vineyards, fruit gardens, grazing lands. They present different pronunciations, inflections and combinations, as the following examples show: Cap del Lòch at Valdaone, Buse da la lòca at Carano, Loc’ at Predaia and at Ton, Löc’ da l’aqua at Strembo, Lòca at Sover, Löch at Borgo Chiese, Storo, Trento, Pinzolo, Ledro, Giovo, Carisolo, Lóch at Comano Terme, Segonzano, Pieve di Bono, Lóch del Gioanin at Treville, Loce at Mazzin, Lòch at Trento, Lòch de la cèsa at Lavis, Lòche at Castello-Molina di Fiemme, Dimaro, Castelnuovo, Segonzano, Lòchera at Trento, Lochinèl at Mori, Lóchi at Dimaro, Lòchje at Malé, Locia at Mazzin, Lòcia at Predaia, Locia de Ciamp at Pozza di Fassa, Locia de baranchie at Campitello, Sora la locia at Canazei, Val de le lòche at Segonzano and Lona Lases. Figure (4) shows that the name is well attested in the Mòcheno area and in the Cimbrian area including the neighbouring territories (the areas of Pergine, Pinè and Rovereto). Beyond these areas, the toponym is recorded both in Eastern Trentino (around Trento, in Cembra Valley, in Fiemme Valley, in Fassa Valley and in Valsugana) and in Western Trentino (in the Giudicarie and in Val del Chiese). 33 To illustrate toponyms deriving from the forms presented in table 1, throughout the text I provide examples that are attested in areas of the province without any (past) stable German settlement. 34 Also Sbàrbol, a name attested in 10 toponyms of Valfloriana and Castello-Molina di Fiemme, seems to derive from Germ. Schwarzwald ‘black wood’. Germanic place names spread throughout Trentino Canazei Malè Cles Cavalese Primiero TRENTO Tione Pergine Borgo Riva del Garda Rovereto Fig. 3: Toponyms formed with lait. Canazei Malè Cavalese Cles Primiero TRENTO Tione Pergine Riva del Garda Rovereto Fig. 4: Toponyms formed with loc. Borgo 109 110 Patrizia Cordin Also the forms raut/raot (< Middle High German geraut ‘stück land, das durch riuten urbar ist gemacht worden’ [Lexer]) can be found in more than 200 toponyms that mainly serve to name fields, vineyards, meadows and wild lands. In the toponyms, often occurring as noun phrases, one finds especially the masculine form (singular and plural), sometimes with a diminutive or an augmentative suffix. Some examples follow: Bugn dei Ràuti at Commezzadura, Capitèl dei Ràuti at Mezzocorona, Mas dei Rauti at Predaia, Bosch del Raut at Soraga, Palù del Ràut at Pellizzano, Pònt del Ràot at Vermiglio, Prè del Raut at Moena, Ràoti at Ossana, Peio, San Michele all’Adige, Raut/Ràut at Canazei, Pozza di Fassa, Vigo di Fassa, Soraga, Castello-Molina di Fiemme, Lavis, Nave San Rocco, Mezzolombardo, Cles, Ville d’Anaunia, Predaia, Mezzana, Pellizzano, Malé, Peio, Raut de l’Àngeli at Mezzocorona, Ràut dei Clementèi at Zambana, Rautèl/Rautel at Commezzadura, Mezzocorona, Ton, Ville d’Anaunia, Rauti/Ràuti at Lavis, Zambana, Giovo, Valfloriana, Fai, Faedo, Cavedago, Cavizzana, Mezzocorona, Mezzolombardo, Roveré della Luna, Predaia, Rabbi, Rauton at Valfloriana, Ràoten at Madruzzo and Cavalese. As figure (5a) shows, toponyms formed with raut* are concentrated in the Southern areas of Trentino, which were once Cimbrian, and in the area of Pergine. Beyond these territories, this root for place names is mainly attested in Non Valley, Fassa Valley and Fiemme Valley. Figure (5b) shows more sporadic occurrences of names formed with raot*: in contrast with forms with raut*, these toponyms are absent in Southern Trentino and are only partially present in Non Valley. 155 toponyms derive from Rost (< Langobardic *hrausta, ‘shelter made of leaves and branches’; also ‘barrier’ [Gamillscheg 1934–36], Germ. Rost ‘grid’). Rosta is an Italian term,35 which is mainly used in the Venetan and in the Lombard area. In the Trentino dialect it is attested with the meaning of ‘argine’ ‘(river) bank’. Several toponyms that are formed with this root refer to canals, millraces, streams, banks and barriers. However, some mountain crests and sloping meadows are also named Rost, Rosti. In these cases the origin of the toponyms should be different: following Mastrelli Anzilotti 1988, it is supposed to be the Tyrolean dialect rost ‘rest’, referred to cattle, namely (fih)rost ‘pasture’. The form Rost ‘grid’, mainly inflected as feminine (singular and plural), can also be found in altered and in phrasal toponyms, as the following examples illustrate: Bóca da ròsta at Tesero and Ziano, Canai de le ròste at Valdaone, Prai da Ròsta at Castelnuovo, Ri de la Ròsta at Cles, Ròst at Comano, Carisolo, 35 Nocentini (2010). Germanic place names spread throughout Trentino Canazei Malè Cles Cavalese Primiero TRENTO Tione Pergine Borgo Riva del Garda Rovereto Fig. 5a: Toponyms formed with raut. Canazei Malè Cavalese Cles Primiero TRENTO Tione Pergine Riva del Garda Rovereto Fig. 5b: Toponyms formed with raot. Borgo 111 112 Patrizia Cordin Canazei Malè Cles Cavalese Primiero TRENTO Tione Pergine Borgo Riva del Garda Rovereto Fig. 6: Toponyms formed with rost. Castel Ivano, Mezzana, Ròsta at Civezzano, Trento, Isera, Madruzzo, Pinzolo, Spiazzo, Strembo, Panchià, Commezzadura, Predaia, Vermiglio, Castelnuovo, Cinte Tesino, Primiero San Martino di Castrozza, Scurelle, Ròsta de l’Àdes at Trento, Ròsta dei Mulinèri at Grigno, Ròsta dei schirati at Ziano, Ròsta fréda at Borgo Valsugana, Ròste (or Róste or Roste) at Lavis, Mezzocorona, Mezzolombardo, Arco, Nogaredo, Caldes, Dimaro Folgarida, Cembra Lisignago, Grigno, Canal San Bovo, Moena, Rostèla at Lavis. Figure (6) shows that toponyms with rost* are spread all over the province. The toponyms Stol/Stoi (< Middle High Geman stolle ‘stütze, gestell, pfosten, fuss’ [Lexer], cf. German Stollen) indicate caves, galleries, clefts, shelters under a rock and trenches. In the singular form, which is the most widespread, one finds, among others: Stol/Stòl/Stól at Trento, Levico Valsugana, Nomi, Villalagarina, Vallelaghi, Ziano, Panchià, Tesero, Moena, Stól de la Minéra at Canal San Bovo, Stól de le pégore and Stól de le bombe at Mori, Stól de le zinque bóche at Rovereto, Stól del morét at Ronzo Chienis, Stól de la vècia at Primiero San Martino di Castrozza. In the plural form, one finds, among others: Trè Stói at Cinte Tesino and Trento, Dó Stói at Trento, Stoi/Stói at Trento, Besenello, Isera, Nogaredo, Pieve Tesino, Telve, Vermiglio and Pozza di Fassa. The maps represented in figures (7a) and (7b) show that the distribution of these toponyms is limited to Eastern Trentino (also externally to Cimbrian Germanic place names spread throughout Trentino Canazei Malè Cles Cavalese Primiero TRENTO Tione Pergine Borgo Riva del Garda Rovereto Fig. 7a: Toponyms formed with stol. Canazei Malè Cavalese Cles Primiero TRENTO Tione Pergine Riva del Garda Rovereto Fig. 7b: Toponyms formed with stoi. Borgo 113 114 Patrizia Cordin and Mòcheno areas), with a single exception in Non Valley. The plural form is only sporadicly recorded both in the East and in the West of the Northern part of the province, with greater concentration between Trento and Rovereto, in Valsugana and in Tesino. The forms Tom/Tomo/Tomi (< Middle High German tam ‘damm, deich’ [Lexer], cf. German Damm) indicate banks, stonewalls, embankments. The singular form ending with consonant is the most widespread. One finds: Tòm at Trento, Mezzano, Peio, Primiero San Martino di Castrozza, Busa del Tòm at Brentonico, Tòm de la ròsta at Giustino, Tòm de l’Àdes at Nave San Rocco and Lavis, Tòm del Nós at Nave San Rocco, Vècio tòm at Mezzolombardo. The singular form ending with vowel (Tòmo) is present in Non Valley, at Ala and at Comano Terme. The plural Tòmi appears at Trento, Nomi, Pomarolo, Vallelaghi, Villalagarina; Tòmi de l’Àdes at Mezzocorona. The maps represented in figures (8 a, b, c) show the occurrences of the three forms that, although rare, are attested in several areas of Trentino. They are not recorded in the South-Western part of Trentino, in Fassa Valley and in areas with Cimbrian and Mòcheno influence. Canazei Malè Cavalese Cles Primiero TRENTO Tione Pergine Riva del Garda Rovereto Fig. 8a: Toponyms formed with tom. Borgo Germanic place names spread throughout Trentino Canazei Malè Cles Cavalese Primiero TRENTO Tione Pergine Borgo Riva del Garda Rovereto Fig. 8b: Toponyms formed with tomo. Canazei Malè Cavalese Cles Primiero TRENTO Tione Pergine Riva del Garda Rovereto Fig. 8c: Toponyms formed with tomi. Borgo 115 116 Patrizia Cordin 5 Concluding remarks This inquiry has focused on a specific group of Germanic toponyms, namely place names that refer to some features of the land (geo-toponyms). The specific group was selected among the Germanic loanwords adopted by Trentino dialects that are used to indicate some characteristics of the territory and that are recorded in the ALTR. A following analysis was carried out in the DTT for each selected loanword, in order to find out whether the selected toponyms are present in the province, and, if so, where and in which form(s). The DTT database provides evidence of the presence of several Germanic toponyms in Trentino in several places outside Cimbrian and Mòcheno areas. These toponyms derive from Langobardic, Bavarian and Tyrolese words that entered in local Romance dialects during different periods. They are attested especially where the contact with a Germanic variety was favoured by the proximity to the border of South Tyrol or to important roads connecting Germanic settlements to other valleys. Another important source for Germanic loanwords referring to the territory, and for toponyms derived from them, is the relevant engineering activity conducted in Trentino under the Hapsburg government during the XIX century for the construction of roads, bridges and tunnels, and for channelling rivers. This is attested by the spread in the whole province of toponyms formed with rost-, stol, stoi, tom-, tomo, tomi. Thanks to the DTT database, in future works it will be possible to extend the search conducted on geo-toponyms to other loanwords belonging to different domains that are relevant for toponymy. References ALTR – Archivio lessicale dei dialetti trentini (2005): Cordin P. (ed.). Trento: Dipartimento di Scienze filologiche e storiche. Aneggi, Aldo (1984): Dizionario cembrano (triangolo Sover – Montesover – Piscine): parole e cose – frasi – modi di dire – proverbi del dialetto della valle di Cembra. San Michele all’Adige: Museo degli usi e costumi della gente trentina. 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Christian Göhlert Einige Anmerkungen zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde Abstract: This paper explores the role of language in the works of Japanese Native Ethnology (minzokugaku) pioneer Yanagita Kunio (1875–1962) and its ramifications for the discipline he founded. In Yanagita’s model, a set of shared emotions and experiences makes up the inner core of a given group’s culture. Language serves as a means to communicate and negotiate this inner core. But since the emotions and experiences shift and evolve constantly, group members must engage in ‘language-making’, an ongoing subconscious process of collective creativity that necessarily lags behind this development. Attempts undertaken by the central government to enforce common linguistic standards in order to promote national unity at the expense of local linguistic autonomy are, according to Yanagita, inherently counterproductive, for it is the rural dialects and the non-verbal traditional habits where ethnic identity has its proper and authentic place. Therefore, the ethnologist’s task is more to develop empathy with the inner core of the studied culture than to analyze and to sketch theories. This paper argues that Yanagita’s idea that the inner workings of the culture of a given group – in this case the members of rural village communities – could not be fully described verbally and therefore were not entirely accessible to outsiders – including researchers educated in urban centres like Tokyo – may have contributed to the discipline’s tendency to prefer collecting and cataloguing data over critical analysis and theorization. The unreflected accumulation of folk terms in particular might have hampered the development of clear definitions and a scientific meta-language, thus limiting the discipline’s ability to engage in interdisciplinary, let alone intercultural dialogue.  Einleitung Die japanische Sprache und ihre Eigenheiten spielen seit jeher eine prominente Rolle in innerjapanischen Debatten über die einzigartigen Charakteristika der japanischen Kultur. Eine Schlüsselstellung nehmen sie vor allem auch im nihonjinron (日本人論) ein, dem die wissenschaftliche, populärwissenschaftliche, journalistische und popkulturelle Auseinandersetzung mit der eigenen Open Access. © 2018 Christian Göhlert, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110601268-003 120 Christian Göhlert Kultur überspannenden, vor allem durch Teleologie und Pseudowissenschaft geprägten ‚Diskurs über die japanische Identität‘1. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die japanische Volkskunde, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte und seither die Erlangung und Sicherung der Deutungshoheit in Fragen japanischer Kultur und Identität angesichts sich beschleunigender Modernisierungsprozesse und wachsender kultureller Einflüsse von außen als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet, von Anfang an auch mit der Sprache beschäftigte. Der vorliegende Aufsatz versucht nun, sich der Rolle der Sprache in der japanischen Volkskunde über ihr fachgeschichtliches Fundament zu nähern, nämlich über das Beispiel der Sprachtheorie von Yanagita Kunio (柳田国男),2 dem Begründer des Faches. Seine Ansätze zur Rolle der japanischen Sprache in der Modernisierung seit Ende des 19. Jahrhunderts sollten die Fragestellungen, die Herangehensweisen und die weitere Entwicklung des Faches bis weit über seinen Tod hinaus prägen. Dazu wird zunächst eine grobe historische Einführung in die Entstehung der japanischen Volkskunde, ihre Vorgeschichte und das Leben und Wirken Yanagitas selbst zu geben sein. Wie er mit der japanischen Sprache umging und welche Rolle er ihr in seiner Konzeption von japanischer Kultur zudachte, soll danach an einem Überblick über seinen Beitrag zur japanischen Dialektforschung, eine Einführung in sein Kulturmodell und seine Vorstellungen von der Natur des Gegenstands seiner Volkskunde und schließlich an seiner Interpretation des Zusammenhangs von japanischem Geist und der Fortentwicklung der japanischen Sprache gezeigt werden. Während die japanische Volkskunde sich sehr intensiv mit ihrer Fachgeschichte auseinandergesetzt und diese auch in verschiedenen Publikationen in großer Breite aufgearbeitet hat, ist die westlichsprachige Forschung dazu eher lückenhaft. Die Auseinandersetzung mit dem Fach beschränkt sich mitunter auf die Kritik an seinen Herangehensweisen. Deren bekannteste haben Hashimoto und Schnell (2003) in den Asian Folklore Studies formuliert, sie warfen dem Fach Solipsismus und theoretisch-methodologische Rückständigkeit vor.3  Wird mitunter auch mit ‚Debatten über das Japanertum‘, ‚Japanischer Exzeptionalismus‘ etc. übersetzt. Für eine kritische Bestandsaufnahme dieser Debatten siehe beispielsweise Dale (1988), Mouer & Sugimoto (1986) und für die Rolle der japanischen Sprache dabei insbesondere Miller (1986).  Dieser Artikel folgt der japanischen Konvention und nennt den Familiennamen vor dem Vornamen. Yanagita ist in diesem Fall der Familien-, Kunio der Vorname. 国男 ist die gegenwärtig geläufige Schreibweise des Vornamens, in älteren Texten wird er 國男 geschrieben. Mitunter findet sich auch die falsche Romanisierung Yanagida, laut der Normdatenbank der Parlamentsbibliothek in Tokio ist Yanagita die primäre Schreibweise.  Hashimoto & Schnell (2003). Zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde 121 Ähnlich sieht es mit ihren Pionieren aus, deren Arbeit in der Regel wenig bekannt ist. Yanagita Kunio bildet hier eine Ausnahme, zu ihm liegt inzwischen eine beachtliche Zahl von Arbeiten in westlichen Sprachen vor.4 Tatsächlich findet eine Auseinandersetzung mit der japanischen Volkskunde als Fach außerhalb Japans vornehmlich über einen Umweg über die Person Yanagitas statt. Das gilt zumindest teilweise für Alan S. Christys A Discipline on Foot: Inventing Japanese Native Ethnography, 1910–1945, in der Yanagitas Beitrag eine herausragende Stellung einnimmt, und umso mehr für Kawada Minorus Origin of Ethnography in Japan: Yanagita Kunio and His Times, eine der wenigen umfangreicheren japanischen Arbeiten zu dem Thema, die in westlichen Sprachen vorliegen.5 Die Zahl der Arbeiten, die die Person und das Wirken Yanagitas zum Hauptgegenstand haben, ist ungleich größer. Dieser vergleichsweise gute Stand der Forschung ist nicht zuletzt Ronald A. Morse zu verdanken, der nicht nur Yanagitas bekanntestes Werk, das Tōno monogatari (遠野物語, Erzählungen aus Tōno), ins Englische übersetzt (Yanagita 2008), sondern mit seiner Dissertation Yanagita Kunio and the Folklore Movement – The Search for Japan’s National Character and Distinctiveness (Morse 1990) eine der ersten wichtigen Monographien zu diesem Thema vorgelegt hat.6 Neben Ōiwa Keibōs kurzem Aufsatz An Approach to Yanagita’s View of Language stammt der wichtigste und umfangreichste Beitrag zum Thema Sprache bei Yanagita von Melek Ortabasi, die sich in The Undiscovered Country – Text, Translation, and Modernity in the Work of Yanagita Kunio ausführlich mit seinem Sprachverständnis und seiner damit verbundenen Kritik am japanischen Schulsystem beschäftigt hat.7  Die japanische Sprache in der japanischen Volkskunde Einen ersten Überblick über den Umgang der japanischen Volkskunde mit dem Japanischen gibt das zentrale Nachschlagewerk der Disziplin, das Nihon minzo Eine Bibliographie geben Morse & Göhlert (2012).  Kawada (1993).  Zusammen mit Akasaka Norio gab er unter dem Titel Sekai no naka no Yanagita Kunio – Yanagita Kunio Studies Around the World auch eine Sammlung westlichsprachiger Beiträge zu Yanagita in japanischer Übersetzung heraus (Morse & Akasaka (Hgg.) 2012). Die Ausgangstexte dazu fanden wiederum Eingang in den englischsprachigen, als e-Book erschienenen Band Yanagita Kunio and Japanese Folklore Studies in the 21st Century. Morse (2012).  Ōiwa (1985); Ortabasi (2014). 122 Christian Göhlert ku daijiten (日本民俗大辞典, ‚Großwörterbuch des Japanischen Volkstums‘). Hierbei fällt zunächst auf, dass der Begriff ‚Sprache‘ (言語, gengo; 言葉, kotoba etc.) kein eigenes Lemma erhalten hat. Unter dem Lemma ‚Japanische Sprache‘ (日本語, nihongo)8 wird das Thema nur in der allgemeinsten Form abgehandelt, Verweise auf die innerfachliche Auseinandersetzung fehlen dabei völlig. Diese findet offensichtlich unter anderen Begriffen statt. Gleich mehrere Einträge sind verschiedenen Aspekten der Dialektforschung und Theorien zur geographischen Ausbreitung von Kulturelementen gewidmet, wozu hier auch Elemente der Sprache gezählt werden.9 Ebenso zeigt sich, welch großen Einfluss Yanagita Kunio auf diese Debatten nahm. Sowohl seine Theorie zur konzentrischen Ausbreitung von Dialekten als auch sein Kagyūkō (蝸牛考, ‚Gedanken über die Schnecke‘), in dem er sie propagierte, haben eigene Einträge.10 Beide gehören zum Komplex der Dialektforschung, der in den fachinternen Debatten zum Thema Sprache offenbar eine zentrale Stellung einnimmt. Aber noch ein weiterer wichtiger Begriff mit Sprachbezug, der ein eigenes Lemma erhalten hat, geht direkt auf Yanagitas volkskundliche Kulturtheorie zurück, nämlich die ‚Sprach-Kunst‘ (言語芸術, gengo geijutsu).11 Dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache innerhalb der japanischen Volkskunde aber tatsächlich stattfindet und dabei keineswegs ausschließlich auf die Konzepte Yanagitas beschränkt sein muss, zeigt der von Seki Katsutoshi (関一敏) herausgegebene Band Minzoku no kotoba (民俗のことば, ‚Die Sprache des Volksbrauchtums‘12), dessen Beiträge das Thema von einer Vielzahl von Blickwinkeln aus beleuchten, so etwa Sprache und Körper am Beispiel des rakugo,13 Sprache in der Praxis der Kategorisierung von Volkserzählungen, Probleme der Erstellung von volkskundlichen Glossaren und Dialektforschung. Um nun aber den Beitrag Yanagitas zu diesen Debatten bewerten zu können, ist zunächst ein kurzer Überblick über die Entstehung des Faches und ihre Vorgeschichte sowie über das Leben und Werk Yanagitas selbst nötig.  Inoue (2000c).  Shirai (2000); Inoue (2000a); Inoue (2000b); Nakayama (2000); Inoue (1999b); Sano (2000).  Sano (1999); Inoue (1999a).  Taniguchi (1999).  Seki (1998). Das japanische minzoku (民俗) hat keine direkte Entsprechung im Deutschen. Matthias Eder übersetzt es 1944 mit ‚Volkssitten‘ (vgl. Yanagita 1944). Oft finden sich auch Übersetzungen wie Volkskultur, Volkstum, oder einfach Volk. Im Japanischen wird es auch oft verwendet, um einzelne Kulturelemente oder -güter zu bezeichnen. Minzoku ist der Gegenstand der minzokugaku (民俗学), der ‚Lehre vom minzoku‘, also der Volkskunde.  落語. Form teilritualisierter humoristischer Vortragskunst, in der der Künstler sprachliche Stilmittel und Körpersprache kombiniert, um einen komischen Effekt zu erzielen. Zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde 123  Entstehungsbedingungen der japanischen Volkskunde Wie auch viele der verschiedenen europäischen Volkskunden entstand die japanische Ausprägung des Faches in einer Zeit sprunghafter technischer und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, die zum einen die Angst vor dem Verschwinden als traditionell empfundener Kultur schürten und den Wunsch danach weckten, diese Kultur zu bewahren oder zumindest zu dokumentieren, ehe sie der Vergessenheit anheimfallen konnten. Zum anderen entstanden Volkskunden oft auf der Suche nach Identitätsstiftendem in Zeiten kultureller Zersplitterung oder nach Eigenem in Zeiten dominanter fremder Kulturelemente.14 Im Fall der japanischen Volkskunde gehen diese Prozesse auf die MeijiRestauration im Jahr 1868 zurück.15 Im frühen 17. Jahrhundert hatten die Shogune – Herrscher aus der Kriegerklasse – die bis dahin in zahlreiche, sich bekriegende Fürstentümer gespaltenen japanischen Inseln geeint. Sie regierten von ihrer Hauptstadt in Edo, dem heutigen Tokio, aus, während das Kaiserhaus in Kyoto in der politischen Bedeutungslosigkeit versank. Die nach Hauptstadt und Herrscherhaus Edo- oder Tokugawa-Zeit genannte Periode war von kultureller Introspektion geprägt. Der Kontakt mit dem Ausland war stark eingeschränkt und unterlag der strengen Kontrolle durch das Shogunat. Die Samurai, denen die Verwaltung der Provinzen des Reichs oblag, wandelten sich von Kriegern zu konfuzianischen Verwaltungsbeamten, wurden vom Shogunat aber argwöhnisch beobachtet und wirtschaftlich kurz gehalten, um zu verhindern, dass sie zu einer Gefahr für die Zentralregierung werden konnten. Gleichzeitig gelangten Händler aus dem Bürgertum in den urbanen Zentren Edo und Osaka zu immer mehr Wohlstand und Einfluss. Handel und Kulturkontakt zwischen den ehemals verfeindeten Provinzen florierten, reisende Händler und Gelehrte wie der Naturgeschichtler Sugae Masumi (菅江真澄), die in ihren Aufzeichnungen von örtlichen Bräuchen in den Provinzen berichteten und bereits damit begannen, Dialekt-Glossare zu schreiben, wurden zu den Vorläufern der japanischen Volkskunde.16  Vgl. Kramer (2013) 34–38.  Der historische Abriss der Entwicklungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts muss hier auf das zum Verständnis der Entstehung der Volkskunde Notwendige beschränkt bleiben. Einen umfassenden Überblick über diese Zeit geben die Bände 5 und 6 der Cambridge History of Japan: Jansen (1996); Duus (1997).  Fukuta (2009b) 9–25. 124 Christian Göhlert Im 19. Jahrhundert geriet das Shogunat immer tiefer in die Krise. Hungersnöte, Katastrophen und Misswirtschaft führten zu einem schrittweisen Verlust an Legitimation und Macht. Die durch die westlichen Kolonialmächte erzwungene Öffnung des Landes 1854 tat ein Übriges. Schließlich wagten Lokalfürsten insbesondere aus Südjapan, die noch seit der Reichseinigung Rechnungen mit den Tokugawa offen hatten, den Aufstand. Eine Symbolfigur fand man nach dem Tod des Kaisers Kōmei im Jahr 1867 in Gestalt des jungen Thronfolgers Mutsuhito in Kyoto. Der Shogun wurde ab-, der Kaiser wieder als Staatsoberhaupt eingesetzt. Den Kaiserhof verlegte man von Kyoto nach Edo, das man bei dieser Gelegenheit in Tokio (東京, ‚östliche Hauptstadt‘) umbenannte. Nach der Regierungsdevise Meiji (明治, ‚aufgeklärte Regierung‘), unter die der neue Kaiser seine Herrschaft stellte, ging der ganze Vorgang als Meiji-Restauration, die folgende Periode als Meiji-Zeit (1868–1912) in die Geschichte ein. Damit begann eine Zeit beispielloser Umwälzungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Gesandtschaften und Studenten wurden in alle Welt geschickt, westliche Experten für alle möglichen Fachgebiete ins Land geholt. Binnen weniger Jahrzehnte schloss Japan technologisch zu den westlichen Kolonialmächten auf. Die Abschaffung der konfuzianisch inspirierten Ständeordnung der Edo-Zeit eröffnete völlig neue Möglichkeiten. Händler agierten jetzt losgelöst von den Beschränkungen, die ihnen das Shogunat auferlegt hatte, und die jetzt arbeitslos gewordenen Samurai verloren zwar ihre Standesprivilegien, konnten sich nun aber in einer Weise politisch, wirtschaftlich und intellektuell entfalten, die ihnen bis dahin versagt gewesen war. Auch im Geistesleben hielt eine ungekannte Dynamik Einzug. Intellektuelle begannen Fremdsprachen zu lernen und sich mit ausländischer Wissenschaft, Literatur, Philosophie und Kultur zu beschäftigen. Kaum dass die Bedrohung durch Kolonialisierung abgewendet war, betätigte sich Japan nun selbst als Kolonialmacht. Militärische Erfolge gegen Korea, China und Russland befeuerten das Selbstbewusstsein der jungen Nation und ihrer Bürger, die bald nach mehr Demokratie und Bürgerrechten verlangten, diese aber trotz kleinerer Erfolge nicht dauerhaft in der Verfassung verankern konnten. Man sah sich als technologischer und geistiger Vorreiter in Asien. Der anfängliche panasiatische Optimismus schlug aber zunehmend in aggressiven Chauvinismus um. Der japanische Vormarsch in Asien stieß in der Folge des ersten Weltkriegs, in dem sich Japan auf die Seite der Entente geschlagen und die deutschen Besitzungen in Ostasien übernommen hatte, auf immer stärkeren Widerstand der etablierten Kolonialmächte. Die zunehmenden Spannungen mündeten 1937 zunächst in den zweiten Sino-Japanischen Krieg, 1941 dann in den Angriff auf die USA, den größten westlichen Konkurrenten in Asien. Nach der Niederlage 1945 wurde Japan zum ersten Mal in seiner Geschichte Zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde 125 von einer fremden Macht besetzt, einmal mehr begann eine Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit ausländischen Kulturelementen.  Die Entstehung der japanischen Volkskunde Damit ist die Zeit grob umrissen, in der die Grundlagen der japanischen Volkskunde gelegt wurden. Die Entwicklungen dieser Periode spiegeln sich in ihrem Umgang mit der japanischen Sprache wider. In der Edo-Zeit war es neben den oben bereits erwähnten Reisenden, deren Aufzeichnungen zu Brauchtum und insbesondere auch Dialekten die ersten ‚proto-volkskundlichen‘ Arbeiten darstellten, insbesondere die philosophische Schulrichtung der kokugaku (国学, ‚nationale Schule‘), die einen bleibenden Einfluss auf die Volkskunde ausüben sollte. Es handelte sich dabei um eine edo-zeitliche ad fontes-Bewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den ihrer Meinung nach unter mehreren Schichten ausländischen, vornehmlich buddhistischen und konfuzianischen Denkens verschütteten wahren japanischen Geist zu suchen und zu neuer Blüte zu führen (vgl. Blocker & Starling 2001, 103–110). Das Projekt war nicht zuletzt auch ein linguistisch-philologisches, denn diesen wahren japanischen Geist hoffte man über die alte japanische Sprache erschließen zu können, die in klassischen Texten wie der Reichschronik Kojiki (古事記, ‚Aufzeichnungen alter Begebenheiten‘, Anfang 8. Jhd. n. Chr.) oder der Poesiesammlung Man’yōshū (万葉集, ‚Sammlung der zehntausend Blätter‘, Mitte 8. Jhd. n. Chr.) zu finden war. Diese Sprache aber musste von den Gelehrten der kokugaku erst mühsam und unter großem philologischen Aufwand rekonstruiert werden. Während spätere Chroniken ebenso wie auch die buddhistischen Schriften auf Chinesisch verfasst waren, das sich als lingua franca der ostasiatischen Gelehrsamkeit auch in Japan durchgesetzt hatte, waren die frühen Formen des Japanischen zu diesem Zeitpunkt weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Rekonstruktion der alten Texte war dabei kein Selbstzweck, sondern diente, wie Harootunian bemerkt, dem Zugang zur gesprochenen Sprache des japanischen Altertums. Es ging letztlich um die Überwindung des geschriebenen und die Privilegierung des gesprochenen Wortes.17 Der später für die japanische Volkskunde prägende Gedanke von der engen Verbindung zwischen japanischer Sprache und japanischem Geist ist in der kokugaku jedenfalls bereits ebenso angelegt (vgl. Antoni 2012, 414–426) wie ein gewisses religiöses Element, das sich später auch im Denken Yanagitas zeigen wird. So versuchten Gelehrte der  Harootunian (1988) 44. 126 Christian Göhlert kokugaku wie etwa Hirata Atsutane (平田篤胤), Figuren der ursprünglichen japanischen Religion, die man aus Überbleibseln im Volksglauben rekonstruieren und ebenfalls unter buddhistischen und anderen fremdländischen Einflüssen freilegen wollte, auf Gestalten in den alten japanischen Texten zurückzuführen.18 Und so waren es auch Anhänger der kokugaku, die zu einer der treibenden geistigen Kräfte hinter der Meiji-Restauration wurden, von der sie sich nicht nur Abwehrkräfte gegen die immer stärker von außen hereindrängenden, diesmal westlichen statt chinesischen Kulturelemente erhofften, sondern ebenso eine Bereinigung der japanischen Religion von den Einflüssen des Buddhismus, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt scheinbar untrennbar verschmolzen war. Dieser Gedanke spielt bei der Wiederherstellung der Kaiserherrschaft eine wichtige Rolle, und in der Tat sind manche der heute mit dem Kaiserhaus assoziierten und auf jahrtausendealte Tradition zurückgeführten Vorstellungen eher das Resultat einer bewussten Instrumentalisierung des Kaisers als Integrationsfigur und damit im engeren Sinne eigentlich Neuentwicklungen der Meiji-Zeit.19 Die Öffnung des Landes, Modernisierung, Urbanisierung und die überaus dynamische Auseinandersetzung mit Elementen westlicher Kultur machen die Restaurationszeit auch linguistisch zu einer hochinteressanten Periode. Fremdund Lehnworte aus westlichen Sprachen fanden Eingang in das Japanische. Gleichzeitig suchte man die klassische chinesische Schriftsprache nach Zeichen-Komposita ab, mit denen sich neue Konzepte beschreiben ließen.20 So tiefgreifend waren die Veränderungen, dass gegen Anfang der Meiji-Zeit verfasste Texte schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur noch mit Mühe lesbar waren. Während manch einer hier schon den Verfall der japanischen Sprache und damit des japanischen Geistes befürchtete, gingen die Entwicklungen einigen Radikalen nicht weit genug. Für sie waren die Eigenheiten des Japanischen ein Modernisierungshemmnis und überhaupt der Grund für die Rückständigkeit des Landes. Am liebsten hätten sie das komplizierte  Beispielsweise versuchte er, die im volkstümlichen Glauben überaus beliebte Toilettengottheit mit Haniyasu und Mizuhanome in Verbindung zu bringen, zwei Gottheiten, die aus dem Kot und dem Urin der Izanami entstanden waren, nachdem diese die Feuergottheit Kagutsuchi geboren hatte. Zu dieser Herleitung siehe Hirata (1977) 471–472. Die betreffende Stelle des Mythos findet sich in Antoni (2012) 23–24.  Vgl. bspw. Hardacre (1991) 31–33; Antoni (1991).  Miller (1967) 260–261. Miller beschreibt auch, wie diese Neuschöpfungen im klassischen Gewand über chinesische Studenten in Japan den Weg zurück in das moderne Chinesisch fanden. Zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde 127 Schriftsystem, wenn nicht gar gleich die japanische Sprache an sich abgeschafft.21 Die Einführung der Schulpflicht und der Anstieg der Alphabetisierungsrate machten jedenfalls nicht nur schriftlich niedergelegte Texte immer weiteren Kreisen zugänglich, sie erlaubten es auch, die mündlichen Überlieferungen abgelegener ländlicher Regionen schriftlich festzuhalten, womit eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer wissenschaftlichen Volkskunde erfüllt war.  Yanagita Kunio und seine volkskundliche Schule Als Begründer der modernen japanischen Volkskunde als Fach gilt Yanagita Kunio. 1875 geboren, prägten die Umwälzungen der Meiji-Zeit seine gesamte Kindheit und Jugend. Schon früh hatte sich der hochbegabte Kunio für klassische japanische und chinesische Literatur begeistert, und auch die Klassiker der kokugaku gehörten zu seiner Lektüre.22 Dank seiner außergewöhnlichen Sprachbegabung fand er auch früh zu westlichsprachigen Schriften.23 Als junger Mann verkehrte er in Tokioter Literatenkreisen, und auch für ihn selbst, dem einflussreiche Autoren großes Talent bescheinigt hatten, schien zunächst eine glänzende Dichterkarriere vorgezeichnet.24 Anstatt aber diesen Weg einzuschlagen, wandte er sich nach dem Tod der Mutter von der Literatur ab und trat in den Staatsdienst. Als Beamter des Landwirtschaftsministeriums bereiste er im Zuge der Modernisierungsbemühungen der Regierung das ländliche Japan, das den sprunghaften technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des städtischen Raums bedenklich hinterherhinkte. In diese Zeit fällt auch seine Begegnung mit dem ebenfalls literarisch interessierten Sasaki Kizen, der aus dem Norden stammte. Dessen Berichte über die Sagen und Legenden seiner Heimat weckten Yanagitas Interesse. Er reiste  Als bekanntester Vertreter dieser Forderung gilt Mori Arinori (森有礼), der 1872 in einem Brief an den Yale-Professor William D. Whitney die Einführung einer vereinfachten und von Unregelmäßigkeiten bereinigten Version des Englischen anstelle des Japanischen vorgeschlagen hatte; vgl. Twine (1991) 82. Dass man seinen Brief aber nicht unbedingt als einseitige Forderung nach der Abschaffung des Japanischen lesen muss und dass er tatsächlich viel differenzierter argumentierte, hat Lee Yeounsuk gezeigt: Lee (1996) 7–11.  Vgl. Lutum (2005) 214.  Mori (1980) 84.  Vgl. Morikawa (2008) 51–53. 128 Christian Göhlert selbst dort hin und zeichnete Sasakis Erzählungen auf. 1910 erschien seine Sammlung unter dem Titel Tōno monogatari – Erzählungen aus Tōno – im Selbstverlag. Das Buch bestand aus Legenden und skizzenhaften Erzählungen. Es war noch keine wissenschaftliche Märchensammlung; zu diesem Zeitpunkt überwog noch Yanagitas literarisches Interesse. Es dauerte einige Zeit, bis dem Buch der große Durchbruch beschieden war, letztlich sollte es aber zu einem Klassiker der modernen japanischen Literatur und zur Initialzündung der japanischen Volkskunde werden. Yanagita zog sich 1919 aus dem Staatsdienst zurück, um als Journalist für die Zeitung Asahi Shinbun zu schreiben, wurde aber 1921 nach Genf geschickt, wo er Japan in der Mandatskommission des Völkerbunds vertrat, die mit der Verwaltung ehemaliger Kolonien nach dem ersten Weltkrieg betraut war.25 Diesen Auslandsaufenthalt nutzte er auch dazu, sein Interesse für westliche Literatur weiterzuentwickeln, wobei nun insbesondere volks- und völkerkundliche Schriften im Mittelpunkt standen,26 die in dieser für die Anthropologie ungeheuer fruchtbaren Zeit entstanden waren und die auch bei Yanagita einen bleibenden Eindruck hinterließen.27 Mitte der 30er Jahre veröffentlichte er zwei Arbeiten, in denen er die theoretischen und methodischen Grundlagen seiner Volkskunde festhielt und sie von ihren Nachbardisziplinen abzugrenzen suchte: 1934 Minkan denshō-ron (民間伝承論, (‚Theorien über die volkstümlichen mündlichen Überlieferungen‘)28 und 1935 Kyōdō seikatsu no kenkyū hō (郷土生活の研究法, ‚Eine Methode zur Erforschung des Volkslebens‘).29 Das Fundament war gelegt, aber dennoch wurde die Volkskunde noch einige Zeit lang vornehmlich von Privatgelehrten außerhalb der etablierten Universitäten betrieben. Bis zur Einrichtung echter volkskundlicher Studiengänge sollte es bis in die 50er Jahre dauern. Yanagita war freilich nicht der einzige Pionier seines Faches. Sein ehemaliger Schüler Orikuchi Shinobu (折口信夫) begründete eine Richtung, in der die klassische japanische Literatur eine wesentlich größere Rolle spielte als bei Yanagita.30 Minakata Kumagusu (南​方​熊​ 楠) leistete mit seinem phänomenalen Gedächtnis einen wichtigen Beitrag zur interkulturell vergleichenden Volkskunde, war aber zu sehr eigenbrötlerischer       Oguma (2015) 242. Zu Yanagitas Zeit in Genf vgl. Burkman (2012), insbesondere S. 45–46. Kabayama (2008) 162–163. Yanagita (1964). Yanagita (1998). Fukuta (2009b) 63–72. Zur Rolle der Sprache in der frühen Entwicklung der japanischen Volkskunde 129 Exzentriker, um eine bleibende Schule zu etablieren.31 Shibusawa Keizō (渋沢敬三) gilt als Mitbegründer, vor allem aber auch als Mäzen der volkskundlichen Sachkulturforschung.32 Unter den verschiedenen volkskundlichen Gruppen der Zeit war die um Yanagita aber die wichtigste und die einflussreichste. In Anlehnung an die Vordenker der Edo-Zeit, mit deren Schriften er sich intensiv auseinandergesetzt hatte, überschreibt Yanagita das letzte, programmatische Kapitel seines theoretischen Kyōdo seikatsu no kenkyūhō mit „Arata naru kokugaku“ (新​た​な​る​国​ 学, „eine neue kokugaku“).33 Später verwendet er den Namen shin-kokugaku (新国学, ‚neue nationale Schule‘) für die von ihm begründete Richtung.34 Von der klassischen kokugaku unterschied sich sein Ansatz allerdings in der Gewichtung der Sprache. Hatten deren Anhänger den Zugang zum japanischen Geist noch über die Schriften des Altertums gesucht, in der sich die „reine [Ess