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Variation und Typologie

2016

Dieser Beitrag befasst sich am Beispiel des deutschen am-Progressivs und der niederländischen aan het-Konstruktion mit kognitiven Aspekten der sprachlichen Kodierung von Progressivität. Zunächst wird gezeigt, dass Progressivkonstruktionen eine wesentliche Rolle in der experimentellen Untermauerung der kognitiv-linguistischen Grundhypothese spielen, dass Bedeutung als Konzeptualisierung gesehen werden kann. Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht anschließend eine experimentelle Studie zum am-Progressiv, die ein von Flecken & Gerwien (2013) zur Untersuchung der niederländischen aan het-Konstruktion angewandtes Paradigma in vereinfachter Form übernimmt und die Aufschluss darüber gibt, inwiefern der progressive Gehalt der Konstruktion die Konzeptualisierung des semantischen Gehalts des jeweiligen Verbs moduliert. In der darauffolgenden Diskussion der Ergebnisse werden auch Überlegungen darüber angestellt, inwiefern sich diese Ergebnisse mit jenen zum niederländischen Pendant vergleichen lassen.

View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by Open Access LMU Diskussionsforum Linguistik in Bayern / Bavarian Working Papers in Linguistics 5 Variation und Typologie Herausgegeben von Daniel Holl Patrizia Noel Aziz Hanna Barbara Sonnenhauser Caroline Trautmann Redaktion Daniel Klenovšak Vorwort Das „Diskussionsforum Linguistik in Bayern” gibt Doktoranden und Habilitanden sämtlicher linguistischer Richtungen Gelegenheit zur Präsentation eigener aktueller Arbeiten. Die im TandemVerfahren begutachtete Reihe „Diskussionsforum Linguistik in Bayern / Bavarian Working Papers in Linguistics” ist das Resultat dieser Veranstaltungssreihe. Im fünften Band werden unter dem Rahmenthema „Variation und Typologie“ sechs Aufsätze mit Schwerpunkten aus der angewandten, theoretischen, historischen und allgemeinen Linguistik versammelt. Für ihre Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung dieses Bandes danken wir Daniel Klenovšak, der die Redaktion übernommen hat, und Katrin Knospe für ihre Unterstützung bei der Formatierung. Wir bedanken uns auch bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Diskussionsforums für ihre Diskussionsbeiträge. Bamberg und München, 05.04.16 Daniel Holl Patrizia Noel Aziz Hanna Barbara Sonnenhauser Caroline Trautmann „Variation und Typologie“ Diskussionsforum Linguistik in Bayern / Bavarian Working Papers in Linguistics 5 Ludwig-Maximilians-Universität München Otto-Friedrich-Universität Bamberg April 2016 ISSN: 2194-2439 Download: http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/13282.html Inhaltsverzeichnis Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik Stefan Hartmann 1 Towards a new typology of questions Andreas Hölzl 17 Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen Stefanie Siebenhütter 29 Variationslinguistik und ihre Methoden: deskriptiv vs. normativ. Ein Exempel aus dem Pennsylvanischdeutschen: Ich bin es Buch am lesa. Adam Tomas 43 Die Nominalphrase im Zimbrischen von Lusérn: Erste Beobachtungen über die Stellung der Adjektive Claudia Turolla 63 Stilwirkung im WWW: Ein linguistischer Beitrag zur Erforschung der Kommunikationsqualität von Websites Sabrina Zankl 75 Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik Stefan Hartmann Dieser Beitrag befasst sich am Beispiel des deutschen am-Progressivs und der niederländischen aan het-Konstruktion mit kognitiven Aspekten der sprachlichen Kodierung von Progressivität. Zunächst wird gezeigt, dass Progressivkonstruktionen eine wesentliche Rolle in der experimentellen Untermauerung der kognitiv-linguistischen Grundhypothese spielen, dass Bedeutung als Konzeptualisierung gesehen werden kann. Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht anschließend eine experimentelle Studie zum am-Progressiv, die ein von Flecken & Gerwien (2013) zur Untersuchung der niederländischen aan het-Konstruktion angewandtes Paradigma in vereinfachter Form übernimmt und die Aufschluss darüber gibt, inwiefern der progressive Gehalt der Konstruktion die Konzeptualisierung des semantischen Gehalts des jeweiligen Verbs moduliert. In der darauffolgenden Diskussion der Ergebnisse werden auch Überlegungen darüber angestellt, inwiefern sich diese Ergebnisse mit jenen zum niederländischen Pendant vergleichen lassen. 1. Einleitung Progressivkonstruktionen wie etwa das verbale Gerundium im Englischen (I’m waiting for a train) oder der sogenannte am-Progressiv im Deutschen (ich bin am arbeiten) sind für eine kognitiv-semantisch und typologisch ausgerichtete Sprachwissenschaft aus mehreren Gründen hochinteressant. Erstens sind sie in semantischer Hinsicht aufschlussreich, da die morphologische Konstruktion (im Englischen) bzw. das syntaktische Muster (im Deutschen) die Interpretation des jeweiligen Verbs durchaus nachhaltig verändern kann: So bringen beispielsweise im Englischen, wo die Kategorie Aspekt deutlich stärker grammatikalisiert ist als im Deutschen, die beiden Sätze Peter smokes und Peter is smoking zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte zum Ausdruck. Während der erste aussagt, dass Peter gewohnheitsmäßig raucht, geht aus dem zweiten hervor, dass er jetzt gerade dabei ist, zu rauchen. Im Deutschen ist im Falle von Peter raucht sowohl die habituelle als auch die nicht-habituelle Lesart verfügbar. Um auszudrücken, dass die Handlung gerade im Gange ist, stehen mehrere Optionen zur Verfügung, etwa die Modifikation mit einem Adverb wie gerade oder einer Präpositionalphrase wie im Moment oder eben der am-Progressiv. Diese sogenannte rheinische Verlaufsform (Brons-Albert 1984) galt lange als dialektal und wird vom Duden-Band „Richtiges und gutes Deutsch“ noch vorwiegend der gesprochenen Sprache zugeordnet (Duden-Zweifelsfälle 2007: 62), hat sich jedoch inzwischen zu einem „varietätenübergreifenden, selbst standardsprachlich auftretenden Phänomen entwickelt“ (Flick & Kuhmichel 2012: 52). Folgerichtig sind Konstruktionen wie der deutsche am-Progressiv oder Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Stefan Hartmann 2 Stefan Hartmann auch sein niederländisches Pendant, die aan het-Konstruktion, zweitens auch aus historischlinguistischer Sicht aufschlussreich, da sie zum einen als noch nicht voll grammatikalisiertes (vgl. Szczepaniak 2011: 159), aber eben doch sich ausbreitendes Muster Sprachwandel im Vollzug darstellen und zum anderen durch sprachübergreifend ähnliche Grammatikalisierungspfade potentiell Einblicke in die kognitiven Grundlagen des Sprachwandels gewähren. Aufgrund der bereits angedeuteten sprachübergreifenden Gemeinsamkeiten und (Grammatikalisierungs-) Unterschiede bieten sich Progressivkonstruktionen drittens für einen sprachvergleichenden bzw. einen sprachwandelvergleichenden Ansatz im Sinne von Fleischer & Simon (2013) an. Der vorliegende Aufsatz widmet sich der Frage, welche Rückschlüsse auf kognitive Grundlagen sprachlicher Konstruktionen die Kategorie der Progressivität zulässt. Die Arbeit verortet sich dabei im theoretischen Rahmen der Kognitiven Linguistik (vgl. Geeraerts & Cuyckens 2007 sowie Dąbrowska & Divjak 2015 für einschlägige Überblicksdarstellungen), die Sprache als eng mit anderen Bereichen der Kognition verwoben ansieht. Auf die Implikationen, die diese Sicht mit sich bringt, und die Frage, wie die daraus hervorgehenden Hypothesen empirisch überprüft werden können, geht Abschnitt 2 dieses Beitrages ausführlich ein. Dabei wird zunächst die kognitiv-linguistische Grundhypothese genauer erörtert, dass Sprache in der menschlichen Erfahrung verankert ist. Anschließend wird das Paradigma der experimentellen Semantik vorgestellt, und es wird gezeigt, wie einzelne Methoden dieses Forschungszweigs in früheren Arbeiten zur Erforschung von Progressivkonstruktionen eingesetzt wurden. Daraufhin wird eine eigene experimentelle Studie vorgestellt, mit deren Hilfe Hypothesen zu den unterschiedlichen Konzeptualisierungen, die Präsens- und am-Progressiv-Formen jeweils hervorrufen, auf empirischer Basis untersucht werden können. Abschnitt 3 widmet sich dann der Diskussion der Ergebnisse, wobei insbesondere auf die Interaktion zwischen der jeweiligen Verbsemantik mit der Progressivkonstruktion eingegangen und zugleich ein Vergleich zum Niederländischen gezogen wird. 2. Bedeutung und Konzeptualisierung 2.1. Was ist Bedeutung? Perspektiven der Kognitiven Linguistik Spätestens seit den wegweisenden Arbeiten von Langacker (1987) und Lakoff (1987) hat sich die Kognitive Linguistik zu einer ernstzunehmenden Alternative zum einst in der Linguistik dominierenden Paradigma der generativen Linguistik Chomskyscher Prägung entwickelt. Wenngleich sich die Kognitive Linguistik noch immer gerne als gegen den „Mainstream“ der generativen Linguistik argumentierender „Underdog“ sieht, sich in Abgrenzung zu dieser definiert1 und teils scharf gegen diese polemisiert (so z.B. Evans 2014), ist sie mittlerweile längst selbst zu einem enorm großen Forschungszweig geworden, wovon unter anderem zahlreiche Handbücher und Einführungen (z.B. Croft & Cruse 2004), immer mehr Zeitschriften sowie die wachsende Teilnehmerzahl bei Konferenzen der International Cognitive Linguistics Association und ihrer regionalen Unterorganisationen zeugen. Die Kognitive Linguistik sieht Sprache nicht als eigenes kognitives „Modul“ an, sondern sieht sie vielmehr als eng mit anderen Bereichen der Kognition verwoben und als erfahrungsbasiert in dem Sinne, dass die Bedeutung von sprachlichen Einheiten als verkörperte Simulation verstanden wird. Die Produktion und Verarbeitung sprachlicher Signale erfolgt also nicht auf dem „Umweg“ über eine sogenannte 1 So z.B. auf der Website der Deutschen Gesellschaft der Kognitiven Linguistik: http://www.dgkl-gcla.de/ueberuns/ (zuletzt abgerufen am 26.10.2015). Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 3 language of thought im Sinne eines Systems abstrakter Symbole, wie dies etwa Fodor (z.B. 1975) annimmt. Vielmehr aktivieren sprachliche Signale unmittelbar mentale Simulationen, die auf eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen beruhen. Aus der engen Verwobenheit von Sprache und Kognition folgt das kognitiv-linguistische Interesse an grundlegenden kognitiven Fähigkeiten, die den durch Sprache evozierten Konzeptualisierungen zugrunde liegen: So wurde etwa die Aktiv-Passiv-Alternation mit der grundlegenden kognitiven Fähigkeit der Figur-Grund-Unterscheidung in Verbindung gebracht (vgl. Evans & Green 2006: 769) oder – um zum Thema dieses Aufsatzes zurückzukommen – Progressivität mit der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Perspektivensetzung: So beschreibt Langacker (1991: 209) die Funktion der englischen -ing-Konstruktion dahingehend, dass sie eine Konzeptualisierung des jeweiligen inhärent perfektiven Prozesses aus einer „internen“ Perspektive hervorrufe und das jeweilige Verb dadurch imperfektiv mache; „the position from which the situation is viewed is contained in the ongoing process itself (so that any boundaries are not ‘in view’)” (Verhagen 2007: 53). Diese Interpretation der grammatischen Aspektkategorie im Englischen ist auch mit Comries (1976: 3) Definition von Aspekt kompatibel: „Aspects are different ways of viewing the internal temporal constituency of a situation.“ Da Zeit – wie ebenfalls Studien in der Kognitiven Linguistik gezeigt haben (z.B. Boroditsky 2000) – mit Hilfe räumlicher Metaphern konzeptualisiert wird, liegt die visuelle Beschreibung der Semantik bzw. Funktion von Progressivkonstruktionen nahe. Während sich die kognitive Semantik2 lange Zeit vor allem auf introspektive Evidenz stützte, hat sich mit der experimentellen Semantik seit etwa der Jahrtausendwende ein eigener Forschungszweig herausgebildet, der sich der empirischen Überprüfung kognitiv-linguistischer Hypothesen widmet (vgl. z.B. Matlock & Winter im Ersch.). Die Methoden, die diesem Forschungsbereich zugerechnet werden können, sind vielfältig. Beispielsweise wurde auf Grundlage neurophysiologischer Evidenz gezeigt, dass das Verstehen eines Verbs die gleichen Hirnregionen aktiviert wie das Durchführen der von dem jeweiligen Verb kodierten Handlung (vgl. z.B. Pulvermüller 2001). Weitaus verbreiteter als neurolinguistische Untersuchungen sind in der experimentellen Semantik jedoch Verhaltensstudien, die sich etwa auf Reaktionszeitmessungen stützen. So wird beim Action-Sentence Compatibility Task, der erstmals von Glenberg & Kaschak (2002) angewandt wurde, untersucht, ob die Kompatibilität bzw. Inkompatibilität eines Stimulus mit bestimmten Aspekten einer im jeweiligen experimentellen Setup geforderten Reaktion der Teilnehmerin zu Reaktionszeitänderungen führt. Typischerweise greift der ActionSentence Compatibility Task das Design eines klassischen lexikalischen Entscheidungstests auf: Probandinnen3 sollen entscheiden, ob eine bestimmte Äußerung in ihrer Muttersprache grammatisch ist oder nicht. Diese Entscheidung wird per Tastendruck getroffen – dies ist die Handlung, die Action, die ausgeführt werden muss. Die Probandin wird gebeten, den Finger zunächst mittig zwischen der Ja- und Nein-Taste zu platzieren. Je nach Kondition ist die Taste, mit der die Probandin einen Satz als grammatisch korrekt identifiziert, oben oder unten, d.h. die Probandin muss entweder eine Bewegung zu sich hin machen oder eine Bewegung von sich weg. Hier kommen nun die verbalen Stimuli ins Spiel, die ebenfalls eine Bewegung vom Konzeptualisierer weg oder zu ihm hin implizieren, z.B. John is grabbing the doorknob vs. John is grabbing his ear. Glenberg & Kaschak (2002) konnten nun zeigen, dass die Reaktionszeiten signifikant höher ausfallen, wenn die im Satz implizierte Bewegung mit der von der Probandin auszuführenden Bewegung nicht kompatibel ist. 2 Mit „kognitiver Semantik“ beziehe ich mich hier auf sämtliche kognitiv-linguistische Herangehensweisen an die Semantik, nicht speziell auf die Kognitive Semantik Talmys (2000). 3 Im Folgenden verwende ich abwechselnd feminine und maskuline Formen jeweils im generischen Sinne. 4 Stefan Hartmann 2.2. Progressivität im Licht der experimentellen Semantik Da die experimentelle Semantik die oben erläuterten Grundhypothesen der kognitiven Semantik untermauern möchte, dienen die Voraussagen, die aus einer language of thoughtHypothese folgen, als Nullhypothesen: Denn wäre die Annahme korrekt, dass Sprache über die Manipulation abstrakter Symbolsysteme funktioniert, dann wären behaviorale Effekte, wie sie der Action-Sentence Compatibility Task zeigt, aus zwei Gründen nicht zu erwarten. Erstens wäre anzunehmen, dass die abstrakten Symbole, welche die language of thought ausmachen, in anderen Bereichen des Gehirns gespeichert sind als beispielsweise jenen, die für Bewegungskoordination zuständig sind. Sprachverstehen wäre folgerichtig zumindest prinzipiell ohne mentale Simulation möglich und Interferenzeffekte zwischen Sprachverstehen und Handeln somit nicht zu erwarten. Zweitens wäre davon auszugehen, dass die abstrakten Symbole kontextinvariant sind, d.h. dass zum Beispiel das Verb arbeiten in den Sätzen Ich arbeite an der Uni, Ich arbeite mit Linux und Ich bin gerade am arbeiten entweder genau die gleiche Bedeutung hat oder aber für jede Bedeutungsnuance ein eigener Eintrag im mentalen Lexikon vorliegt. Folglich wäre auch ein durch Kontextvariation induzierter Effekt in behavioralen Experimenten nicht zu erwarten. Der Action-Sentence Compatibility Effect untermauert die Gegenhypothese zu beiden Voraussagen. Wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, ist tatsächlich ein Reaktionszeiteffekt festzustellen, der zudem durch Kontextvariation induziert wird. Hat grab in John is grabbing the doorknob also eine andere Bedeutung als in John is grabbing his ear? Aus Sicht der kognitiven Semantik weist diese Frage in die falsche Richtung: Wörter „tragen“ keine feste, kontextinvariante Bedeutung, sondern steuern vielmehr den Prozess der Bedeutungskonstruktion (vgl. Fauconnier 1994: xxii). Die kontextinvariante Bedeutung, die sie gleichwohl haben – denn ohne diese könnten wir ja ein Wort wie eben arbeiten gar nicht ohne Kontext verstehen –, kommt durch Abstraktion und Generalisierung über zahlreiche Gebrauchsereignisse zustande (vgl. z.B. Langacker 2008: 525). Dies gilt freilich nicht nur für Wörter, sondern auch für Form-Bedeutungs-Paare („symbolische Einheiten“ in der Terminologie von Langackers Kognitiver Grammatik; „Konstruktionen“ im Sinne der Konstruktionsgrammatik) auf höheren Abstraktionsebenen wie beispielsweise die morphologische Konstruktion [V-ing] im Englischen: So zeigen beispielsweise Ibbotson et al. (2014) anhand von Videoaufnahmen, dass in kindgerichteter Sprache die Progressivform vorwiegend dann verwendet wird, wenn die Sprecherin die vom Verb denotierte Handlung tatsächlich gerade ausführt. Warum sich gerade die Progressivform für Studien im Bereich der experimentellen Semantik anbietet, liegt nach den bisherigen Ausführungen auf der Hand: Sie modifiziert die Verbsemantik auf subtile und doch ganz entscheidende Weise. Um erneut Langackers (z.B. 2008) Terminologie aufzugreifen, könnte man sagen, dass sie zwar nicht den konzeptuellen Gehalt des Verbs verändert, wohl aber dessen construal, d.h. die Art und Weise, wie die Verbhandlung konzeptualisiert wird. Die Bedeutungsmodulation erfolgt durch die abstrakte Semantik der Progressivkonstruktion: Somit bieten sich Progressivkonstruktionen auch zur Überprüfung der Hypothese an, dass neben lexikalischen Einheiten auch abstraktere sprachliche Konstruktionen Bedeutung tragen.4 Zu den frühesten Studien im Rahmen der experimentellen Semantik, die sich der Opposition progressiv vs. perfektiv im Englischen widmen, gehört Matlocks (2001) Untersuchung, die sich auf drei Experimente stützt: einen Satzvervollständigungstest, der zeigt, dass Probandinnen 4 Dabei wird „Bedeutung“ in einem weiten Sinn verstanden, der auch pragmatische und diskursfunktionale Aspekte umfasst (vgl. z.B. Croft 2001: 18). Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 5 den Satz When John was walking to school eher mit einer Aneinanderreihung mehrerer Handlungen vervollständigen als den Satz When John walked to school; eine Schätzaufgabe, in der die Probanden auf Grundlage des Satzes John was painting houses last summer bzw. John painted houses last summer die Frage beantworten sollten: „How many houses“, wobei die Schätzungen für den progressiv formulierten Satz signifikant höher ausfielen; sowie eine weitere Schätzaufgabe mit dem Ausgangssatz John was driving last weekend vs. John drove last weekend, bei der wiederum nach der Dauer der Fahrt (in Stunden) gefragt wurde, wobei die Schätzungen für die progressive Variante erneut höher ausfielen. Dass die Schätzung für progressiv formulierte Sätze höher ausfällt, ist mit der Funktion, die dem progressiven Aspekt in theoretischer Literatur zugeschrieben wird, kompatibel: Die imperfektive Variante hat keinen inhärenten Schlusspunkt – selbst wenn das Verb inhärent perfektiv ist.5 Bergen & Wheeler (2010) greifen den oben beschriebenen Ansatz von Glenberg & Kaschak (2002) auf, wobei sie zum einen deren Experiment unter Verwendung derselben Stimuli replizieren, zum anderen jedoch eine Kondition hinzufügen, in der die Stimulisätze nicht, wie bei Glenberg & Kaschak, mit progressivem Aspekt, sondern im simple past vorliegen: John closed the drawer statt John is closing the drawer. Während sie den Action-Sentence Compatibility Effect für die Originalstimuli aus Glenberg & Kaschak (2002) replizieren können, stellen sie bei den Sätzen im simple past keinen signifikanten Effekt fest, woraus sie den Schluss ziehen, dass die Verwendung der progressiven Form tatsächlich zu einer anderen mentalen Simulation führt als die Verwendung der Vergangenheitsform. Wenn die Progressivform verwendet wird, ist der Konzeptualisierer stärker ins konzeptualisierte Geschehen involviert, er ist ein „immersed experiencer“ (Zwaan 2004). Wird hingegen das simple past verwendet, wird das Ereignis in die Vergangenheit gerückt und damit eine größere Distanz zwischen dem Konzeptualisierer und dem konzeptualisierten Ereignis hergestellt. Matlock et al. (2012) zeigen, dass Probandinnen, die gebeten werden, ein Video zu beschreiben, das einen Autounfall zeigt, das Gesehene deutlich ausführlicher schildern, wenn die Frage lautet: What was happening? als wenn sie gefragt werden: What happened? Anderson et al. (2013) schließlich wählten ein Mausverfolgungsexperiment, um dem Einfluss des grammatischen Aspekts auf den Grund zu gehen. Die Probanden erhielten zunächst einen verbalen Stimulus (z.B. Yesterday David was walking to the University vs. Yesterday David walked to the University) und anschließend eine visuelle Darstellung auf einem Computerbildschirm. Ihre Aufgabe war es nun, ein Männchen, das die im Satz genannte Person darstellt, auf dieser (zweidimensionalen) Darstellung der Szene zu platzieren. Jedes der Bilder zeigte einen Weg (z.B. zur Universität), der auf der linken Seite auf mittlerer Höhe begann und nach rechts zur Mitte des oberen Rands der Darstellung führte. Bei der Datenerhebung wurde nicht nur der Punkt berücksichtigt, an dem das Männchen schließlich platziert wurde, sondern es wurden auch die Mausbewegungen aufgezeichnet und die Reaktionszeiten erfasst. Neben recent past-Stimuli (mit yesterday) wurden auch distant past-Stimuli (mit last year) verwendet. Unabhängig davon, ob die Verbhandlung in der unmittelbar zurückliegenden oder in der weiter zurückliegenden Vergangenheit angesiedelt war, wurde das Männchen in der Kondition mit progressiven Stimulisätzen weiter links und weiter unten platziert, d.h. weiter weg vom Ziel; bei recent past-Beschreibungen wurde es sogar noch etwas weiter unten platziert. Weiterhin war eine signifikante Interaktion zwischen Bewegungsdauer und temporaler Distanz festzustellen: 5 Matlocks (2001: 141) Kategorisierung von paint houses als telisch kann indes in Zweifel gezogen werden: Während paint a house im Sinne der Vendlerschen Aktionsartentypologie (vgl. Vendler 1957) wie auch im Sinne neuerer Ansätze (z.B. Croft 2012) recht eindeutig als perfektiv zu identifizieren ist, konterkariert im Falle von paint houses die Verwendung des Plurals eine eindeutig telische Lesart. 6 Stefan Hartmann Bei distant past-Sätzen im simple past brauchten die Probanden weniger Zeit zur Platzierung der Figur als bei distant past-Sätzen im past progressive; bei recent past-Sätzen zeigte sich das umgekehrte Muster, was auf die Kompatibilität von Aspekt und temporaler Distanz zurückgeführt werden kann: Die unmittelbar zurückliegende Vergangenheit bietet sich eher für eine detailliertere Konzeptualisierung im Sinne eines mitten im Geschehen zu verortenden Blickpunkts an, während die weiter zurückliegende Vergangenheit eher mit dem simple past vereinbar ist, das ein Geschehen eher holistisch aus der Vogelperspektive erfasst (und es damit als abgeschlossen charakterisiert). Mit der Frage, welche Auswirkungen unterschiedliche Konzeptualisierungsvarianten im Alltag haben können, befassen sich schließlich Sherrill et al. (2015), die argumentieren, dass Probanden, die gebeten werden, ein Szenario als „Mord“ oder „Totschlag“ zu bewerten, in ihrer Beurteilung von Faktoren wie Intentionalität indirekt von der Wahl der Aspektform beeinflusst werden. Während sich die bisher genannten Studien allesamt der englischen Progressivkonstruktion mit -ing widmen, nutzen Flecken & Gerwien (2013) einen experimentellen Ansatz zur Untersuchung des niederländischen aan het-Progressivs. In einem ersten Experiment wurden 10 Muttersprachlerinnen des Niederländischen gebeten, die inhärente Dauer von insgesamt 150 Verben bzw. Verbphrasen auf einer Skala von 1-5 in Relation zu einem Vergleichsereignis (z.B. „Nudeln kochen“) zu schätzen (1 = viel kürzer als Nudeln kochen, 5 = viel länger als Nudeln kochen). Weitere 10 Probandinnen bewerteten die Vorstellbarkeit des Ereignisses, und 10 andere Probandinnen ihre Vertrautheit mit dem Ereignis. Nur jene Ereignisse, die als vorstellbar und vertraut bewertet wurden, flossen in Experiment 2 ein. Hier wurden insgesamt 27 Probanden ebenfalls gebeten, zunächst ihre Vertrautheit mit den in den insgesamt 78 Stimulisätzen beschriebenen Vorgängen zu bewerten. Anschließend sollten sie die Dauer des Ereignisses mit Hilfe eines Schiebereglers schätzen. Im Gegensatz zu den Teilnehmerinnen aus Experiment 1 erhielten sie jedoch nicht das reine Verb bzw. die Verbphrase im Infinitv als Stimulus, sondern vielmehr Sätze, die entweder progressiv oder nicht-progressiv formuliert waren: Paul is de badkamer aan het poetsen vs. Paul poetst de badkamer ‚Paul putzt das Badezimmer‘. Um das eigentliche Ziel der Studie nicht preiszugeben, wurden die Probanden gelegentlich gefragt, ob sie den jeweiligen Satz zuvor schon gelesen hatten. Mit Hilfe der Ergebnisse aus Experiment 1 wurde die inhärente Dauer der jeweiligen Verben in die drei Kategorien „long“, „medium“ und „short“ eingeteilt. Die Ergebnisse des zweiten Experiments zeigten, dass die progressive Form bei kurzen Ereignissen zu längeren Schätzungen führt – ein Ergebnis, das beispielsweise mit den Ergebnissen von Matlock (2001) kompatibel ist. Für mittellange und lange Ereignisse hingegen stellen Flecken & Gerwien (2013) den gegenteiligen Effekt fest: Hier fallen die Schätzungen der Dauer bei der progressiven Form kürzer aus. Was zunächst überraschen mag, ergibt sich bei näherem Hinsehen logisch aus der oben erörterten semantischen Charakterisierung des Progressivs. Weil der Progressiv eine „close-by“-Perspektive (Verspoor 1996: 437) evoziert, wird von einem langen Ereignis (wie wandern) gleichsam ein Ausschnitt gewählt, während ein kurzes Ereignis (wie eine Flasche öffnen) sozusagen in Zeitlupe konzeptualisiert wird. Dass diese Ergebnisse anders ausfallen als jene von Matlock (2001), heißt freilich nicht, dass sich die progressive Semantik der aan hetKonstruktion von jener der englischen Aspektform grundlegend unterscheidet: Da Matlock die deutlich perfektivere Vergangenheitsform als Kontrastfolie gewählt hat, sind beide Studien nur sehr bedingt vergleichbar. Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 7 2.3. Eine Online-Studie zum deutschen am-Progressiv Während der am-Progressiv gerade in der Historischen Sprachwissenschaft, der Variationslinguistik und der Dialektologie großes Interesse gefunden hat, liegen m.W. noch keine experimentellen Studien zu dieser im standardsprachlichen Gebrauch noch recht jungen, jedoch schon zu Beginn der frühneuhochdeutschen Periode belegten (vgl. Flick & Kuhmichel 2013: 56) Konstruktion vor. Die Pilotstudie, die ich im Folgenden vorstelle, möchte zur Schließung dieser Lücke beitragen, wenngleich sie aufgrund der noch zu kleinen Zahl an Teilnehmenden und der zu wenig repräsentativen Zusammensetzung derselben sowie aufgrund des durchaus noch ausbaubaren experimentellen Designs nur einen allerersten Schritt darstellen kann. Das experimentelle Setup orientiert sich an jenem von Flecken & Gerwien (2013), vereinfacht dieses jedoch erheblich. In einem ersten Schritt wurden zehn deutsche Muttersprachlerinnen und Muttersprachler gebeten, die Dauer von insgesamt 35 Verben bzw. Verbphrasen zu schätzen. Statt der 5-Punkte-Skala bei Flecken & Gerwien wurden die Probandinnen hier direkt gebeten, die Ereignisse in die Kategorien „kurz“, „mittel“ oder „lang“ einzuordnen. Darüber hinaus wurden dieselben Probandinnen gebeten, ihre Vertrautheit mit dem jeweiligen Ereignis zu bewerten. Diejenigen Ereignisse, die mit großer Mehrheit (mind. 75%) in eine der drei Kategorien eingeordnet wurden und beim Vertrautheits-Rating einen Durchschnittswert von mindestens 3 erreichten, wurden in die eigentliche Studie mit einbezogen. Diese wurde mit Hilfe der Javascript-Programmbibliothek jsPsych 4.3 (de Leeuw 2015) erstellt. Hier wurden die Probandinnen und Probanden gebeten, die Dauer von insgesamt 33 Sätzen mit Hilfe eines Schiebereglers zu schätzen. Elf der Sätze waren im Präsens formuliert, elf im am-Progressiv, bei elf weiteren handelte es sich um Distraktoren, die vom eigentlichen Ziel der Studie ablenken sollten. Die 33 Items wurden in randomisierter Reihenfolge gezeigt. Jedem Teilnehmer wurde zufällig eines von zwei Sets an Stimuli zugewiesen: Im ersten waren jene der 22 Target-Sätze im am-Progressiv formuliert, die im zweiten im Präsens formuliert waren, und umgekehrt. Für jedes Item wurden die Probandinnen außerdem um ein Grammatikalitätsurteil auf einer Skala von 1 („inakzeptabel“) bis 5 („völlig akzeptabel“) gebeten. Abbildung 1: Die Benutzeroberfläche des Online-Experiments, illustriert an einem Beispiel. Im Anschluss an das eigentliche Experiment wurden von jedem Teilnehmer auf freiwilliger Basis zusätzlich einige Angaben zur Person erbeten. Insbesondere war hier, angesichts der bereits erwähnten dialektalen Variation, der Ort der sprachlichen Sozialisation von Interesse, der wie folgt erfragt wurde: „In welcher Region sind Sie aufgewachsen? Bei mehreren Regionen: Die Region, von der Sie denken, dass sie Sie in Ihrem Sprachgebrauch am meisten beeinflusst hat.“ Insgesamt nahmen (bislang) 36 Freiwillige im Alter von 19 bis 59 Jahren (Durchschnittsalter: 8 Stefan Hartmann 30,3; Median: 28; Geschlecht: 12 männl., 23 weibl., 1 k.A.) an der web-basierten Studie teil, die über diverse Internetplattformen geteilt wurde. Wie Abbildung 2 zeigt, stammen die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem süddeutschen „Kerngebiet“ des am-Progressivs, insbesondere aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland.6 Folgestudien mit Probandinnen aus anderen Teilen Deutschlands wären selbstverständlich wünschenswert und könnten möglicherweise auch Aufschluss darüber geben, ob der Grammatikalisierungsgrad des am-Progressivs zu Unterschieden in der Konzeptualisierung führt. Denkbar wäre beispielsweise, dass bei Sprecherinnen, die mit dem am-Progressiv weniger vertraut sind, auch der Unterschied zwischen der geschätzten Dauer progressiver vs. nicht-progressiver Formen weniger deutlich ausfällt als bei Sprechern, die den am-Progressiv ganz selbstverständlich benutzen. Geographische Distribution Kiel Lubeck Hamburg Bremen Bremen Hanover 1 Bielefeld Munster Dortmund Gelsenkirchen Bochum Essen Oberhausen Duisburg Krefeld Wuppertal Dusseldorf Monchengladbach NRW Cologne 6 Aachen HES Bonn 1 Frankfurt Wiesbaden RLP 6 Mannheim SAA 7 Berlin Brunswick MagdeburgBER Nieders. 2 1 Halle Leipzig Erfurt Dresden Chemnitz THÜ 1 Nuremberg Karlsruhe Stuttgart BW 9 Freiburg Augsburg Munich BAY 2 Abbildung 2: Geographische Distribution der Herkunft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (nach deren eigenen Angaben auf freiwilliger Basis). 2.3.1. Akzeptabilitäts-Ratings Werfen wir zunächst einen Blick auf die Akzeptabilitäts-Ratings, so zeigt sich erwartungsgemäß, dass die Präsensformen der Target-Sätze (die Distraktoren wurden in der Auswertung nicht mehr berücksichtigt) mit einigen wenigen Ausnahmen als voll akzeptabel (5) bewertet wurden, während die Wertungen beim am-Progressiv deutlich gemischter ausfallen (Abbildung 3). Dabei zeigt sich, dass mehrere Faktoren die Akzeptabilität beeinflussen: Erstens stoßen am-Progressive mit Objekterweiterung auf deutlich geringere Akzeptanz als solche ohne Objekterweiterung (mit Obj.: M = 2,5; SD = 1,36; ohne Obj.: M = 4,33; SD = 1,04; t(94) = -7,29, p < 0,001, r=0,40).7 Zweitens ist davon auszugehen, dass auch die inhärenten aspektuellen 6 Die Angabe zum Ort der sprachlichen Sozialisation wurde mit einem Freitextfeld erfragt, um den Probandinnen selbst die Entscheidung zu überlassen, wie genau sie die Region spezifizieren wollen, und damit die Antwortwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Da meist das Bundesland angegeben wurde, liegt dies der hier dargestellten Auswertung zugrunde, wenngleich die politischen Grenzen aus dialektologischer Sicht natürlich wenig aussagekräftig sind. 7 Grundlage der Berechnung bilden alle Akzeptabilitätsratings für progressive Formen mit oder ohne Objekterweiterung; der Sonderfall ich bin mit den Fingern am schnipsen mit PP-Erweiterung wurde hier nicht berücksichtigt. Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 9 Eigenschaften der jeweiligen Verben auf den Akzeptabilitätsgrad Einfluss nehmen. Für robuste Aussagen diesbezüglich ist die Zahl der hier gewählten Stimuli freilich zu klein, doch zeigt die Korpusstudie von Flick & Kuhmichel (2013: 63), dass der am-Progressiv sich eher mit Accomplishments und Activities im Sinne Vendlers (1957) verbindet als mit Achievements und States. Da die Objekterweiterung die aspektuellen Eigenschaften des Verbs modifiziert, ist zudem mit einer Interaktion beider Faktoren zu rechnen. Abbildung 3: Akzeptabilitätswerte für die im Präsens (links) und im Progressiv formulierten Stimulisätze. 2.3.2. Schätzung der Dauer Bei der Schätzung der Dauer, die hier im Zentrum des Interesses steht, ist in einigen „prototypischen“ Fällen tatsächlich genau derjenige Unterschied zwischen inhärent kurzen und inhärent langen Formen festzustellen, der auf Grundlage der Ergebnisse von Flecken & Gerwien (2013) zu erwarten ist. Betrachtet man exemplarisch die Schätzungen für eine Flasche öffnen und wandern, so zeigt sich, dass tatsächlich die progressive Form im Falle des kurzen Ereignisses zu einer längeren Konzeptualisierung führt, im Falle des langen Ereignisses hingegen zu einer kürzeren. 10 Stefan Hartmann Abbildung 4: Ergebnisse für ein prototypisch kurzes und ein prototypisch langes Ereignis, hier: eine Flasche öffnen und wandern. Bei genauerem Hinsehen fallen die Ergebnisse jedoch weitaus weniger eindeutig aus. Im Falle der kurzen Ereignisse bestätigt sich zwar durchgängig die Tendenz, dass der am-Progressiv zu einer längeren Konzeptualisierung führt (Abbildung 5). Bei mittellangen und langen Ereignissen fallen die Ergebnisse hingegen deutlich heterogener aus (Abbildung 6). So fällt die Schätzung der Dauer für Ich bin am laufen länger aus als für Ich laufe. Noch deutlicher wird dies z.B. bei Ich bin am warten gegenüber Ich warte und Ich bin einen Zeitungsartikel am lesen gegenüber Ich lese einen Zeitungsartikel. Dass sich die Hypothese einer kürzeren Schätzung bei inhärent langen Ereignissen nicht immer bestätigt, kann mehrere Gründe haben: Erstens können Gebrauchskonventionen eine Rolle spielen. So wird warten auch im Präsens zumeist in einem progressiven Sinn gebraucht (ich warte auf..., ich warte schon seit..., nur selten: ich warte zwei Stunden). So zeigt eine Analyse der Daten des W-Archivs des Deutschen Referenzkorpus mit Hilfe des über COSMAS II verfügbaren Tools zur Kookurrenzanalyse von Belica (1995), dass gut 99% der Belege für ich warte mit auf kollokieren. Hier stellt die Wahl der 1. Person Singular für die Beispielsätze eventuell eine Störvariable dar: Zwar wurden auch die Probanden bei Flecken & Gerwien (2013) explizit gebeten, sich in die Protagonisten der jeweiligen Sätze hineinzuversetzen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Wahl der IchForm in deutlich stärkerem Maße als im Experiment von Flecken & Gerwien die Wahl einer mitten im Geschehen zu verortenden Perspektive begünstigte. Jedoch ist davon auszugehen, dass z.B. ich kaufe ein eher in einer Situation geäußert wird, in welcher der Sprecher gerade im Einkaufen begriffen ist, während Jan kauft ein stärker das Potential hat, eine holistische, das ganze Geschehen in den Blick nehmende Perspektive zu evozieren. Zweitens, und dies steht mit den Gebrauchspräferenzen in engem Zusammenhang, spielt auch die Semantik des Verbs über die mit Hilfe der Vendler-Klassen erfassbaren Charakteristika hinaus eine Rolle. Ähnlich wie schlafen, kann warten quasi als „statische Aktivität“ angesehen werden (vgl. Croft 2012: 39 für einen Überblick über verschiedene Analysen). Da die Verbsemantik eine völlig undynamische Konzeptualisierung nahelegt, ist der Prozess intern noch homogener, als dies etwa bei wandern, einer dynamischen Aktivität, der Fall ist (zu interner Homogenität vgl. Langacker 2008: 148). Daher kann nur bedingt ein Ausschnitt aus dem Geschehen konzeptualisiert werden; eher wird man sich in den (Gefühls-)Zustand des Wartens hineinversetzen, und zwar sowohl bei der im Präsens formulierten als auch bei der progressiven Variante. Dies lässt zusammenfassend darauf schließen, dass sich für prototypische Fälle die von Flecken & Gerwien (2013) beobachtete Tendenz auch im Deutschen zeigt, dass zugleich aber die Konzeptualisierung der vom Verb Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 11 denotierten Vorgänge von einer Vielzahl an Variablen beeinflusst wird, was im Falle der (mittel) langen Ereignisse in der vorliegenden Studie zu sehr heterogenen Ergebnissen führt. Abbildung 5: Ergebnisse für Sätze, die in Exp. 1 der Kategorie inhärent kurzer Ereignisse zugeordnet wurden. Abbildung 6: Ergebnisse für mittellange und lange Ereignisse. 12 Stefan Hartmann 2.3.3. Multivariate Analyse Zur genaueren Analyse der mit Hilfe des Online-Experiments gewonnenen Daten bietet sich ein lineares gemischtes Modell an. Wenngleich diese derzeit sehr beliebte Methode noch einige Probleme bzw. offene Fragen mit sich bringt (vgl. Gries 2012: 64), erlaubt sie doch eine genauere Analyse als andere Ansätze und kann helfen, Interaktionsmuster aufzudecken, die sonst womöglich unentdeckt geblieben wären. Im hier gewählten linearen gemischten Modell wurden als unabhängige Variablen der Konstruktionstyp (Type: 0 = Präsens, 1 = Progressiv), die inhärente Dauer (Length: -1 = kurz, 0 = medium, 1 = lang), die Objekterweiterung (OBJ, NO/YES) und die Vendlersche Aspektklasse berücksichtigt. Weiterhin wurde die Interaktion Length:Type als Prädiktor gewählt. Abhängige Variable ist die geschätzte Dauer. Als zufällige Effekte wurden die Teilnehmerin (Participant) und das jeweilige Verb (Item: Ich kaufe ein und Ich bin am einkaufen sind demselben Item zugeordnet) gewählt. Die visuelle Inspektion der Daten legt nahe, dass die Annahmen der Homoskedastizität und Normalverteilung der Residuen erfüllt sind; Letzteres wird auch durch einen Shapiro-Wilk-Test bestätigt (W=0,99, p<0,01). Die Varianzinflationsfaktoren (VIF) liegen sämtlich unter dem häufig genannten Schwellenwert von 5 bzw. 10, sodass der gängigen Faustregel zufolge keine Multikollinearität anzunehmen ist (vgl. Levshina 2015: 275); jedoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass laut konservativeren Ansätzen schon ein durchschnittlicher VIF-Wert > 1 als Hinweis auf Multikollinearität gesehen werden kann (vgl. Field et al. 2013: 276). Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse des Modells für die fixed effects. Estimate Std. Error df t value Pr (>|t|) (Intercept) 630.9 67.85 29.1 9.298 3.27E-10*** OBJ_YES -184.59 26.89 359.2 -6.864 2.96E-11*** 1.00 Length_0 29.53 75.99 30.3 0.389 0.7003 3.90 Length_1 -28.27 71.5 26.7 -0.395 0.6957 4.01 Type_prog 115.01 52.2 20.4 2.203 0.0392* 3.40 -104.92 75.7 24.4 -1.386 0.1783 3.23 31.51 46.92 23.3 0.672 0.5085 1.67 Aspect_state 112.56 74.8 22.9 1.505 0.146 1.48 Length_0:Type_prog -182.16 73.17 20 -2.49 0.0217* 3.16 Length_1:Type_prog -129.71 70.23 20.1 -1.847 0.0795. 3.36 Aspect_achievement Aspect_activity VIF Tabelle 1. Ergebnisse des gemischten linearen Modells (Fixed Effects). Als einflussreichster Faktor wird hier das Vorhandensein einer Objekterweiterung identifiziert, was darauf hindeutet, dass es sich dabei um eine Störvariable handelt, die in Folgestudien vermieden werden sollte, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass die Objekterweiterung per se die Schätzung der Dauer beeinflusst. Vielmehr ist der Anteil der Stimulisätze mit Objekterweiterung bei (mittel)langen Ereignissen viel höher als bei kurzen. Erwartungsgemäß indes wird die Progressivkonstruktion als signifikanter Einflussfaktor identifiziert, wobei hier insbesondere die Interaktion zwischen der inhärenten Dauer (Length) und dem Konstruktionstyp (Type) von Interesse ist. Die Interaktion zwischen Length_0 (also: mittellang) und dem Konstruktionstyp Mittendrin statt nur dabei: Progressivität und experimentelle Semantik 13 am-Progressiv wird ebenfalls als signifikanter Einflussfaktor identifiziert, während die Interaktion zwischen Length_1 (also: lang) und dem am-Progressiv die Signifikanzschwelle nur knapp verfehlt. Bemerkenswerterweise legt das Modell für beide Interaktionen nahe, dass sie zu einem geringeren Wert der abhängigen Variable führen, d.h. dass bei mittellangen und langen Ereignissen tatsächlich eine – wenn auch nur leichte – Tendenz besteht, die Dauer kürzer einzuschätzen. Insgesamt bildet das Modell die Daten deutlich, wenn auch nicht signifikant besser ab als ein Nullmodell ohne die Interaktion Length:Type (ANOVA, χ2=5,28, p=0,07 .). Somit fällt die Gesamtbilanz gemischt aus: Einerseits gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Ausgangshypothese tatsächlich zutrifft, andererseits sind Defizite im experimentellen Design ebenso wenig zu leugnen wie die Tatsache, dass die Teilnehmerzahl des Experiments wie auch die Zahl der verwendeten Stimuli für aussagekräftige Ergebnisse zu gering sind. 3. Diskussion und Fazit Insgesamt legen die hier diskutierten Ergebnisse sowohl früherer Forschungen als auch des hier vorgestellten Experiments nahe, dass der deutsche am-Progressiv die Bedeutung des jeweiligen Verbs in ähnlicher Weise moduliert wie die niederländische aan het-Konstruktion. Für beide Konstruktionen gilt, dass sie noch recht jung sind (vgl. z.B. van Pottelberge 2004: 3f.) und dass sich an ihnen Grammatikalisierung im Vollzug beobachten lässt: Während sich der deutsche am-Progressiv regionen- und varietätenübergreifend ausbreitet, erfährt die niederländische Konstruktion, wie Flecken (2011) zeigt, eine Expansion; beispielsweise stoßen aan hetProgressive mit effiziertem Objekt (vom Typ einen Schal stricken) in ihrer Fragebogenstudie bei den jüngeren Befragten auf deutlich mehr Akzeptanz als bei den älteren. Eine ähnliche Entwicklung ist, regional gestaffelt, auch im Deutschen festzustellen (vgl. Flick & Kuhmichel 2013: 59f.). Ähnliches gilt für die Kompatibilität mit unterschiedlichen Verbtypen. So zeigt sich, dass stative Verben, mit denen sowohl die deutsche als auch die niederländische Progressivkonstruktion als inkompatibel gelten (*Jan is aan het wonen in Amsterdam, *sie ist in Berlin am wohnen, vgl. Booij 2008: 86), durchaus schon im deutschen am-Progressiv bezeugt sind, z.B. am blühen (vgl. Flick & Kuhmichel 2013: 62). Flecken (2011) greift zwar nicht auf Vendlers Aktionsartentypologie zurück, zeigt aber, dass aan het-Progressive mit inhärentem Endpunkt (Typ etwas nach Amsterdam bringen) bei jüngeren Sprecherinnen deutlich eher akzeptiert werden als bei älteren, während für Progressive ohne inhärenten Endpunkt (Typ wandern) keine signifikanten Unterschiede zwischen den Altersgruppen festzustellen sind. In funktionaler Hinsicht füllen beide Konstruktionen eine Lücke, insofern sie den Ausdruck von Progressivität im Sinne eines im Geschehen befindlichen Blickpunkts ermöglichen. Wenngleich ein Geschehen auch mit anderen Mitteln, z.B. im Deutschen mit Hilfe des Adverbs gerade oder mit Hilfe der beim V-en sein-Konstruktion, als im Verlauf befindlich konstruiert werden kann, scheint der am-Progressiv diese involvierte Perspektive doch in besonderem Maße zu evozieren. Es wäre spannend, auch den semantischen Unterschieden zwischen Sätzen wie Sie liest gerade vs. Sie ist am lesen mit Hilfe experimenteller Methoden auf den Grund zu gehen. Was die Semantik der Progressivität angeht, haben experimentelle Ansätze, wie im obigen kurzen Forschungsüberblick gezeigt wurde, in den letzten Jahren maßgebliche Erkenntnisse erzielen können, die die intuitiven Annahmen gerade kognitiv-linguistisch sowie typologisch orientierter Forschungen stützen. Insbesondere die Hypothese, dass Sprache inhärent perspektivisch ist, wird durch die experimentellen Studien zum englischen Gerundium sowie zum niederländischen aan het-Progressiv untermauert. Auch die hier vorgestellte 14 Stefan Hartmann experimentelle Untersuchung stützt diese Hypothese, zeigt jedoch zugleich, dass die Art und Weise, wie die Wahl der Progressivkonstruktion die Verbbedeutung moduliert, (trivialerweise) auch von anderen Faktoren als von der inhärenten Dauer des vom Verb denotierten Ereignisses abhängt. Ebenso gilt freilich für die nicht-progressiven Formulierungen, die im Experiment als Stimulisätze gewählt wurden: Präsens ist nicht gleich Präsens. Eine Vielzahl von (Gebrauchs-) Faktoren beeinflusst die durch eine Äußerung evozierte mentale Simulation. Diesen Faktoren näher auf den Grund zu gehen, stellt ein zentrales Desideratum für zukünftige Forschungen dar. Gerade im Kontext der Konstruktionsgrammatik (z.B. Hilpert 2014) lassen sich diesbezüglich spannende Forschungsfragen formulieren, insbesondere im Blick auf die Frage, wie Konstruktionen auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen (z.B. auf Wortebene und auf syntaktischer Ebene) interagieren. Auch für derlei Fragestellungen stellen experimentelle Ansätze eine vielversprechende Methode dar, erlauben sie es doch, Konstruktionen nicht nur auf Grundlage eines einzelnen, introspektiven Sprecherurteils zu beschreiben, sondern vielmehr das sprachliche Wissen einer Vielzahl von Sprecherinnen und Sprechern zu berücksichtigen und dabei zugleich zahlreiche verschiedene Variablen in Betracht zu ziehen, die Konstruktionen auf formaler wie auch auf Bedeutungsebene beeinflussen. Statt uns der Organisation sprachlichen Wissens ausschließlich theoretisch anzunähern, können wir es so gleichsam in freier Wildbahn erfassen – „mittendrin statt nur dabei“ eben. Bibliographie Programme und Skripts Belica, C. (1995): Statistische Kollokationsanalyse und Clustering: Korpuslinguistische Analysemethode. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache. de Leeuw, J. R. (2015): jsPsych: A JavaScript library for creating behavioral experiments in a web browser. Behavior Research Methods 47(1), 1-12. 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Introduction Questions are probably universal in the sense that every human being is normally able to ask a question and that every language, spoken or signed, has at least some specialized means of expressing them.2 But questions come in different types and it is less clear whether all of these are universal as well. Previous approaches have mostly focused on polar and content questions (e.g., Ultan 1978, Siemund 2001), but this paper argues that at least alternative, focus, and tag questions have to be added to the list of central question types in order to achieve a set that is cross-linguistically applicable. These central categories will briefly be introduced in Section 2. Apart from these possible universals, languages clearly display variation, among other aspects, in (1) marking strategies, (2) the semantic scope of marking, and (3) the interaction of functional domains such as question marking, negation, focus etc. These points will be addressed in Sections 3, 4, and 5, respectively. Section 6 presents some conclusions. Due to limitations of space, this paper will not consider the typology of interrogative words and related problems (on which see Diessel 2003, Bhat 2004, Cysouw 2007, Whaley 2011, Dixon 2012, and references therein). These are complex issues that deserve a treatment on their own and go beyond the scope of this paper. Indirect, rhetorical, and echo questions will not be considered here either, as they are located on different levels of analysis. 2. Question Types A typology of questions has to acknowledge different types of questions. Previous approaches have mostly focused on polar (PQ) and content questions (CQ) and have neglected other valid 1 This paper outlines some basic theoretical ideas of an ongoing Ph.D project funded by the German Academic Scholarship Foundation (Studienstiftung des deutschen Volkes). 2 The focus in this paper will lie on spoken languages, but see Zeshan (2004) for a typology of questions in sign languages. Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Andreas Hölzl 18 Andreas Hölzl cross-linguistic categories such as alternative questions (AQ), focus questions (FQ), and tag questions (TQ). As a first approximation to these categories, consider the following English examples corresponding to the declarative sentence I want coffee: (1) English a) Do you want coffee? (PQ) b) Do you want coffee? (FQ) c) Do you want coffee or tea? (AQ) d) You want coffee, right? (TQ) e) What do you want (to drink)? (CQ) Underlining indicates intonational focus that in English may also be replaced by a cleft construction (Is it coffee that you want?). There may be additional categories but the five types above are the most central ones from a cross-linguistic perspective. The following should be understood as rough working definitions that may be in need of future elaborations. Polar questions were recently defined by Miestamo (2011: 2) from a cross-linguistic perspective as “encompassing all interrogatives eliciting yes/no replies, regardless of whether they are neutral or biased towards a positive or negative answer, or whether they have broad sentence focus or a more narrow focus on a particular constituent.” This rather broad definition cannot be entirely accepted, however, and at least the last part has to be excluded as it refers to what is taken to be a different question type here. The category of focus questions is according to Kiefer (1980) and is not usually included into typological or descriptive work, which is why little information is available in grammar books. Focus questions, like polar questions, normally expect an answer in the positive or negative, but they share a narrow focus on one constituent with content questions. But while the focus in content questions usually lies on the interrogative (Bhat 2004) that expresses a rather schematic (or open) meaning, focus questions have what might be called a specific (or closed) propositional content like polar questions (cf. Dik 1997: 260).3 Consider the following examples from the Japonic language Yuwan. (2) Yuwan (Japonic; Niinaga 2010: 76f.) a) kurɨ =ba tu-ju-mɨ? this=acc take-ipfv-q ‘Will (you) take this?’ (PQ) tu-jur-ui? b) kurɨ=ba=du this=acc=foc take-ipfv-q ‘Will (you) take this?’ (FQ) c) nuu=ba=ga tu-jur-u? what=acc=foc take-ipfv-q ‘What will (you) take?’ (CQ) Yuwan, from a purely synchronic perspective, has special question suffixes for polar (-mɨ), focus (-ui), and content questions (-u). In addition, both focus (=du) and content questions (=ga) have a narrow sentence focus. An interrogative can only be encountered in content questions (nuu ‘what’). Content questions are usually defined in terms of whether an interrogative is present 3 The term proposition is not employed here in a logical sense. Instead, it can better be understood in the simulation semantics paradigm (e.g., Barsalou 2009). Towards a new typology of questions 19 (Siemund 2001). But there is at least one language called Wari’ from the Chapacuran family spoken in Brazil in which no interrogatives exist and their function is fulfilled by demonstratives (Everett & Klein 1997). Also see example (18) from Indonesian. Alternative questions are closely related to focus questions as they usually, but not always, share a narrow sentence focus.4 Their propositional content is closed in the sense that in principle each alternative may stand on its own, but open in the sense that there is a choice between competing and mutually exclusive alternatives. The difference between focus and alternative questions lies in the fact that in focus questions only one alternative is specified, whereas alternative questions by definition have at least two alternatives (cf. Dik 1997: 260). The unfocused part of alternative questions is identical in the two alternatives and may thus fall victim to ellipsis in one of them.5 There are few cross-linguistic approaches to alternative questions and sometimes they are even explicitly excluded from typological studies. Siemund & König (2007: 292) claim, for instance, that “alternative questions can be neglected since, at least from our current perspective, they do not seem to show any striking typological variation.” Often, they are simply subsumed under polar questions and are not treated separately (e.g., Siemund 2001). Both assumptions are untenable, as there is both cross-linguistic variation and languages which have special markings restricted to alternative questions. Mandarin Chinese, for instance, has an interrogative disjunction háishì ‘or’ that differs from the standard disjunction huòzhě ‘or’ (own knowledge). The two most prominent constructions are the use of a disjunction as in Chinese or the use of an irrealis marker in the broadest sense on each alternative as in Evenki (Mauri 2008). (3) Evenki (Nedjalkov 1997: 7) tar asatkan soŋo-d’oro-n=ngu, that girl cry-prs-3sg=q ‘Is that girl crying or laughing?’ in’ekte-d’ere-n=ngu? laugh-prs-3sg=q Some languages such as English have a combination of (polar) question marking with a disjunction (see the translation of 3). For further cross-linguistic variation, consider the following two examples from Hup and ǂĀkhoe Haiǀǀom. (4) Hup (Nadahup; Epps 2008: 791, simplified) cím’-ĩˊy=haʔ, ʔó yãʔambǒʔ=haʔ wĭh=haʔ hawk=q claw-dynam=q or dog=q ‘Did the hawk claw (it), or did the dog bite (it)?’ (5) ǂĀkhoe Haiǀǀom (Khoe; Hoymann 2010: 2733) uri ra ari-b.a tama-s ga jump prog dog-3sg.m neg-3sg.f pot ari-b.a? dog-3sg.m ‘Does the dog jump or does the dog walk?’ 4 i-o stat-if !gû walk g’ə́ç-ə́y=haʔ? bite-dynam=q ra prog Note exceptions such as Is it raining or did someone leave the sprinkler on? (Sadock & Zwicky 1985: 179). Some languages such as the Austronesian language Mantauran Rukai spoken on Taiwan do not allow ellipsis (Zeitoun 2007). In other languages there is, at least optionally, either forward or backward ellipsis of an identical part (Huang et al. 1999). 5 20 Andreas Hölzl In the first example (4) there are altogether five markers, a disjunctive ʔó ‘or’ and four enclitics, two on each of the two alternatives. The Khoisan language, on the other hand, has neither, but expresses alternative questions with a complex construction that may roughly be translated as ‘and if not’ (5). For preliminary overviews of the typological variation to be found see Mauri (2008), Dixon (2012: 396-400), and Luo Tianhua (2013: 183-204). One potential point of dispute concerns the status of the so-called A-not-A pattern. According to Miestamo (2011), A-not-A is a marking strategy for polar questions, but in Luo Tianhua’s (2013: 185) analysis they form a question category of their own (called X-neg-X questions). He claims the following: “The criterion for distinguishing positive-negative alternative questions and X-neg-X questions is whether there is a disjunction between two alternatives. If there is a disjunction, it is an alternative question; if not, it is an X-neg-X question.” (Luo Tianhua 2013: 187) But according to my analysis, A-not-A questions may be classified with negative alternative questions in general and it is unclear whether these form a category different from plain alternative questions. Hölzl (2015b) assumed a category of negative alternative questions (NAQ) because of their important status in the grammaticalization of polar question markers. The development from negation to polar question marker, for instance, usually starts from a negative alternative question construction. Whether or not a disjunction is present may be understood as a problem of question marking rather than of question type and is not applicable cross-linguistically (cf. examples 3, 4, and 5). Additionally, in Mandarin Chinese the disjunction háishì in negative alternative questions is often optional (6) and there are some cases of simple juxtaposition between alternatives in non-negative alternative questions as well (6, 7). (6) Mandarin (elicited, own knowledge)6 nĭ qù zhōngguó (háishì) bú qù zhōngguó? 2sg go China or neg go China ‘Are you going to China or are you not going to China?’ (7) Mandarin (elicited, own knowledge) zhēn.de jiă.de? true false ‘Is that true or false?’ Tag questions are likewise sometimes listed as marking strategy for polar questions (Siemund 2001). But tags are treated here as a question type of their own, given their special morphosyntactic and pragmatic properties. They are known to combine epistemic and interactive functions and usually take the form of an abbreviated (polar) question attached to a declarative sentence (Mithun 2012). And there are many languages that have special tag question markers not found in plain polar questions. Colloquial (southern) German, for instance, expresses polar questions with rising intonation and verb first word order but has several tag question markers such as ge (and variants) spoken with rising intonation that is usually attached to a declarative sentence with normal verb second word order (own knowledge). Theoretically this might be analyzed as an alternative way of marking polar questions (cf. Siemund 2001), i.e. a split type (see Section 5). However, the choice between a plain polar question and a tag question does not depend on the interaction with any functional domain, but on pragmatic factors in a very broad sense. The assumption that all five question types mentioned above are universal is potentially problematic. For the language Bardi, for example, Bowern (2012: 617) explicitly claims 6 This example may show different types and degrees of ellipsis not included here. Towards a new typology of questions 21 that no tag questions exist. One possible solution to this problem may be to assume that all human beings potentially have the category but that not all languages have specialized marking strategies for them (cf. Section 4). 3. Question Marking (Form) Many previous typologies of questions have focused on different marking strategies for polar questions. Dryer (2013) investigated polar questions in 955 languages from around the globe and found the following numbers (Table 1). Question particle Interrogative intonation only Interrogative verb morphology Mixture of particle and morphology Interrogative word order Absence of declarative morphemes No interrogative-declarative distinction Total Dryer (2013) Hölzl (2015b) 585 173 164 15 13 4 1 955 28 8 8 1 1 1 1 48 Table 1: Marking strategies for polar questions in two different global samples. The third row contains the numbers found in a global 50 language sample by Hölzl (2015b). The missing two languages were not classifiable in this typology. The Omotic language Dime (Seyoum 2008) has a complicated split type that does not fit any category (see Section 5) and the language Hup from the Nadahup family (Bowern 2012) combines the absence of a declarative morpheme with word order. But Dryer’s typology is also problematic in that his types represent a very heterogeneous class. Problematically, clitics are included in the category of particles (cf. Miestamo 2011) and the combination of question intonation with other devices such as word order in German is simply neglected. There are, furthermore, more marking strategies such as the use of interrogative auxiliaries, the most exhaustive list of which thus far can be found in Miestamo (2011). A typology of polar question marking strategies should start with the difference found between declarative and interrogative sentences (cf. Miestamo 2011). But a second differentiation should be made between marked and unmarked questions and declarative sentences (Table 2). marked declarative unmarked declarative unmarked PQ marked PQ 1 Sanuma, Zargulla 2 Yélî Dnye, Mixtec 3 Crow 4 English Table 2: Possible marking strategies in polar questions as opposed to declarative sentences. Dryer’s last two types above roughly correspond to types 1 and 2 in Table 2, respectively. However, for all other marking strategies Dryer has made no distinction between types 3 and 4. As for relative cross-linguistic frequency, the four types may probably be ranked as in (8). (8) 4>3>1>2 22 Andreas Hölzl The ranking of types 1 and 2 relies on Dryer’s (2013) data but the relative frequency of types 3 and 4 apparently has not been investigated in any detail thus far and is mostly based on intuition. Type 1 can be found in the language Sanuma, for instance, of which Borgman (1990: 66) writes: “There is no significant difference between the intonation pattern of the interrogative and that of the noninterrogative sentence. The distinctive feature common to all questions is the lack of glottal stop [-ʔ] at the end of the sentence.” For examples from the Omotic language Zargulla see Amha (2007, 2012). Yélî Dnye is one of two known languages that make no distinction between declarative and interrogative sentences and in which both remain unmarked (Type 2). Another example mentioned by Dryer (2013) is Chacaltongo Mixtec. Consider the following sentence: (9) Yélî Dnye (isolate; Levinson 2010: 2743) yi kópu dê d:uu./? that.anaph thing 3.imm.pst.pl make.pl ‘He made it./?’ The sentence can be either interrogative or declarative and there is no difference in intonation either. The following examples from Crow that illustrate Type 3 show marking in both the declarative and the interrogative. (10) Crow (Siouan; Graczyk 2007: 391) a) Johnny-sh búupchee-sh pn-det ball-det ‘Johnny is holding the ball.’ b) Johnny-sh búupchee-sh pn-det ball-det ‘Is Johnny holding the ball?’ kuleé-k. hold-decl kuleé-ʔ? hold-q An example of Type 4 is English, as shown in the translation of (10a, 10b), for instance. While declaratives are unmarked, questions usually have a special intonation contour, an auxiliary (often to do), and different word order. 4. Semantic Scope (Meaning) In his typology of polar questions Miestamo (2011: 2) focuses on those questions “that are as neutral as possible in terms of focus and the answer expected.” Clearly, this is an approach analogous to his typology of negation that focuses on so-called standard negation, exclusively, that is “the negation of declarative verbal main clauses” (Miestamo 2007: 552). But of course there are many more types of negation that need to be considered, and it has recently been shown that a given negator may differ in his scope over one or more of these types (Veselinova 2015, Hölzl 2015a). Exactly the same situation can be found with question markers. Previous approaches have usually overlooked the fact that question markers, apart from their formal properties, also have a different semantic scope (but see, e.g., Dixon 2012: 389f.). In order to show this semantic scope graphically, Hölzl (2015b) has presented a so-called conceptual space for question marking, only certain aspects of which can be given here. Towards a new typology of questions 23 Let me illustrate the basic idea with the help of an implicational universal postulated by Siemund (2001: 1019) that was recently formulated by Whaley (2011: 479) as follows: “if a language uses a particle to mark content questions, then this language will also allow the use of this particle in polar questions”. The universal implies two possible language types, one of which is said to be non-existent. In the following example, as predicted, a particle found in content questions also appears in polar questions. (11) Sinhala (Indo-European; Chandralal 2010: 263, 235) a) ambə ka-nəwa də? mango eat-ind q ‘Do they eat mango?’ etc. ʈii shəəʈ ekə kiiya də? b) arə that t shirt one how_much q ‘How much is that T-shirt?’ In the second and allegedly unattested logical possibility a language has a content question particle which cannot be employed in polar questions. There are several counterexamples such as the following in which each question type has a specific particle. (12) Gidar (Afroasiatic; Frajzyngier 2008: 349, 353) a) á-m ùlà zə́-m pùmpúm fut-1pl see body-1pl tomorrow ‘Will we see each other tomorrow?’ b) náwá-y nyí dì? who-cop.m 3m q ‘Who is he?’ sà? q The implicational universal does not specify what counts as a question particle, but the above examples were chosen on purpose from languages with sentence final particles that were not described as clitics and were written detached from a possible preceding host.7 Apart from being empirically false, the universal thus covers only those languages with particles and excludes those with other question marking strategies. As opposed to this, the conceptual space approach is much broader in nature as the question marking strategy is not taken into account and more question types may be included. For polar (PQ) and content questions (CQ), a minimal conceptual space has the following form: (13) PQ―CQ Each category represents a point on the conceptual space. Connecting lines indicate that the same marking of the two categories is possible but not necessary. The semantic scope of a given marker can be illustrated as a closed line that separates an inside (its semantic scope) from an outside (meanings not covered). In Croft’s (2003) useful terminological distinction the underlying universal is called conceptual space and stands opposed to the language or item specific semantic map shown with the closed line. The above patterns from Sinhala and Gidar can thus be illustrated as in (14) and (15), respectively. 7 In Sinhala though, there are other examples in which the particle was written attached. 24 Andreas Hölzl (14) PQ―CQ (15) PQ―CQ In the global sample of 50 languages, Hölzl (2015b) found the following numbers: 9 languages had identical marking, while 37 languages marked polar and content questions differently. 4 languages had a mixed or unclear pattern. The most frequent cross-linguistic pattern (28 out of the 37) is illustrated by Mongsen Ao data below (16). (16) Mongsen Ao (Trans-Himalayan;8 Coupe 2007: 149, 150)9 a) hŋa-tʃət-ə̀ɹ tʃaɹúʔ? listen-abil-prs q ‘Do [you] understand?’ nə wa-ə̀ɹ? b) túŋkhəla tʃə́páʔ 3pl what all go-prs ‘Where are they going?’ Content questions in Mongsen Ao are unmarked morphosyntactically but contain an interrogative while polar questions show an overt marking. The comparison with other question types is severely hampered by the fact that only polar and content questions are consistently mentioned in grammar books or even specialized descriptions of questions in a given language. But in principle this approach can be extended to include other question types as well. The reader is referred to Hölzl (2015b) for a preliminary version of the entire conceptual space that includes all central question categories as well as peripheral categories such as negation. But the following section will briefly mention the relation between polar and focus questions. 5. Interaction of Functional Domains Different question types cross-cut several different functional domains. Their combination is in part language specific and depends on the question type. The most important and best known domains for questions are question marking as such and interrogative words. But for a typology of questions additional domains such as negation and focus have to be considered. Content questions usually combine interrogatives, focus, and question marking, for instance (Bhat 2004). Two given functional domains may be related in the following ways: (17) a) grammaticalization (I) b) combination (II) c) fusion (III) d) interaction (split types) (IV) An element may shift its meaning from one domain to another (I). Take the Indonesian interrogative apa ‘what’, for instance. While it retains its meaning as interrogative in content questions (18a), it came to mark polar questions as well (18b).10 8 9 10 Following George van Driem Trans-Himalayan here replaces the older term Sino-Tibetan. Mongsen Ao possesses several other polar question particles. Interrogatives meaning ‘what’ are usually the most frequent and unmarked. Towards a new typology of questions 25 (18) Indonesian (Sneddon 1996: 311) a) dia sudah makan 3sg pfv eat ‘What has (s)he eaten?’ a) apa dia what>q 3sg ‘Has (s)he eaten?’ apa? what sudah makan? pfv eat Polar questions with apa may optionally contain the original question marker -kah, which is a sign of a rather recent grammaticalization. This is an instance of the shift of the meaning from one domain (interrogatives) to another (question marking). Further examples include the development of or concepts and negation to polar question markers. The difference between the combination of domains (II) and their fusion into portmanteau morphemes (III) may be illustrated with the help of focus and question markers in focus questions. There are some languages that have one marker that expresses both focus and questions and there are other languages that have a focus marker in addition to a question marker. This is shown in the columns of Table 3. But the Table makes an additional distinction between whether polar and focus questions are marked in the same way or differently. This might likewise be represented as a minimal conceptual space, i.e. PQ―FQ (see Section 4). PQ = FQ PQ ≠ FQ FOC = Q in FQ FOC ≠ Q in FQ 1 Evenki 2 Bardi 3 English, Ute 4 Yuwan Table 3: Possible combinations of focus and question marking in polar and focus questions with some examples. The relative frequency of these types has not been investigated but it seems that types 2 and 4 are very rare. Type 3 is probably the most frequent, cross-linguistically, followed by type 1. In other words, the combination of focus and question marking may be more common than their integration into one morpheme. We have already seen examples from Yuwan (2, type 4) and English (1, type 3) above. Now consider examples from Bardi and Evenki that illustrate types 2 and 1, respectively (19) Bardi (Nyulnyulan; Bowern 2012: 617, 619) a) nganyji mi-n-jala-gal jiy-irr ooldoobal? 11 q 2-tr-see-rec.pst 2m.poss-3.A things ‘Did you see your things?’ b) gooyarr=arda aarli mi-n-nya-gal? two=q fish 2-tr-(pst)-catch-rec.pst ‘Was it two fish you caught?’ (20) Evenki (Tungusic; Nedjalkov 1997: 136) a) si ulle-ve 2sg meat-acc ‘Have you eaten the meat?’ 11 d’ep-che-s=ku? eat-pst-2sg=q Bardi has a development from interrogative to question marker similar to Indonesian. 26 Andreas Hölzl b) si ulle-ve=gu 2sg meat-acc=q ‘Did you eat meat/the meat?’ d’ep-che-s? eat-pst-2sg Given that polar questions inquire about the whole proposition, question markers that also express focus are usually found on the verb in polar questions but on a different constituent in focus questions. This situation should not be confused with languages that have second position question markers and show additional word order change as in Ute. (21) Ute (Siouan; Givón 2011: 313, modified) ‚áapachi a) pʉ‘nikya-qha=áa see-ant=q boy.O ‘Did (she) see the boy yesterday?’ b) ‚áapachi=áa kʉ‘ʉaw boy.O=q yesterday ‘Did (she) see the boy yesterday?’ kʉ‘aw? yesterday pʉnikya-qha? see-ant In such cases the focus is expressed with the help of sentence initial position. But again the verb stands in focus in polar questions while in focus questions another constituent takes first position. The last type of interaction between different functional domains usually leads to split types (IV).12 Some of the most complicated splits can be found in the Omotic language family spoken in Ethiopia (e.g., Seyoum 2008: 162-171, Amha 2007, 2012: 493-495 and references therein). To give but one example, consider question marking in Baskeet (Treis 2014: 45-51). Polar and content questions have the same marking, but the type of marking depends on polarity, tense, aspect, mood, gender, and the clause type. Question marking strategies include intonation (e.g., with intentional verbs), a suffix -a (with non-verbal predicates, imperfective verbs, negative perfective verbs or affirmative perfect verbs) or interrogative mood. Interrogative mood comes in different paradigms and is strongly synthetic. The ending -e, for example, expresses affirmative perfective interrogative mood in the first and third person singular (masculine) and plural. The third person singular feminine (-a), and the second person singular (-i ~ -iye) and plural (-it(e)) have endings of their own. In the negative there is no paradigmatic distinction but only one ending -a that follows the negative suffix. The declarative has only two different forms in the affirmative (-ide in the plural and 3rd person singular masculine, -ade otherwise) and one in the negative (optional -e). There are additional paradigms for the jussive. In split types there are thus different question markers, the distribution of which depends on domains other than question marking itself. 6. Conclusion This paper is an attempt at widening the typology of questions to include more question categories and to recognize previously overlooked phenomena such as the existence of a semantic scope of question markers. Each of the fields mentioned could only be hinted at, but I hope to have shown that they deserve the attention of further studies that should be conducted with the help of large cross-linguistic samples. 12 As in the following split types are often intermingled with interaction of type III. Towards a new typology of questions 27 Special Abbreviations . aq CQ FQ FOC NAQ PN PQ q TQ tv old or unimportant morpheme boundary alternative question content question focus question focus negative alternative questions personal/proper/place name polar question question, question marker tag question thematic vowel References Amha, A. (2007): Questioning forms in Zargulla. In: Vogt, R. (ed.), From beyond the Mediterranean. Aachen: Shaker Verlag. 197-210. Amha, A. (2012): Omotic. In: Frajzyngier, Z. & Shay, E. (eds.), The Afroasiatic languages. Cambridge: Cambridge University Press. 423-504. Barsalou, L. W. (2009). Simulation, situated conceptualization, and prediction. Phil. Trans. R. Soc. B: Biological Sciences 364, 1281-1289. Bhat, D. N. S. (2004): Pronouns. Oxford: Oxford University Press. Borgman, D. M. (1990): Sanuma. In: Derbyshire, D. & Pullum, G. (eds.), Handbook of Amazonian languges, vol. 2. Berlin: Mouton de Gruyter. 15-248. Bowern, C. L. (2012): A grammar of Bardi. 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Sprachliche Einheiten tauchen in diesen Sprachen als generische Vorstellungen auf, die entweder gar nicht oder nur schwach kategorisiert sind, während deren syntaktischer Status durch den Diskurs spezifiziert wird. Variation auf kategorialer Ebene resultiert aus einer initialen Unterspezifizierung die mit einer analytischen und lexikalischen Strategie zusammenhängen kann, um Grammatische Relationen auszudrücken. In ostund südostasiatischen Sprachen kann eine starke Tendenz zur Herausbildung von Grammatischen Markern, die durch ihren hohen Grad an Unbestimmtheit definiert sind, beobachtet werden. Diese Marker werden häufig trotz ihrer fehlenden obligatorischen Kategorien in die aus westlicher Sicht klassischen Kategorien eingeteilt. Anhand des vietnamesischen polyfunktionalen TAM-Markers đã wird das Phänomen sowohl auf Ebene der Wortsemantik als auch auf Ebene der Satzsemantik untersucht. Unter anderem wird gezeigt, dass đã kein – wie häufig glossiert – ausschließlicher Past-Tense-Marker ist und folglich auch nicht als solcher glossiert werden sollte, sondern als polyfunktionales Element, das eine im Sinne des categorial change wichtige Rolle in der vietnamesischen Sprache einnimmt. Entgegen der gängigen Vorgehensweise wird für eine weniger westlich voreingenommene Sichtweise zur Beschreibung südostasiatischer Sprachen plädiert. Ein neues Kategorien-System für Sprachen mit isolierendem Sprachbau könnte eine mögliche Vorgehensweise sein, da die üblicherweise verwendeten Kategorien (Verb, Nomen usw.) für die Beschreibung dieser Sprachen oft problematisch sind. 1. Polyfunktionalität, Transkategorialität und linguistische Variation im Vietnamesischen Transkategorialität ist das Hauptcharakteristikum isolierender Sprachen und zeichnet sich durch eine schwache Kategorisierung bzw. Nicht-Kategorisierung sprachlicher Einheiten aus. Diese sind meist das Resultat initialer Unterspezifizierung, was einen hohen Grad an Unbestimmtheit auslöst. Die Setzung grammatischer Kategorien ist in südostasiatischen Sprachen weitgehend optional: „Weder im […] Vietnamesischen oder im kantonesischen [sic!], weder im Laotischen noch im Thailändischen oder im Khmer braucht zwischen Singular und Plural, zwischen männlich und weiblich, zwischen Indikativ und Konjunktiv unterschieden zu werden, wenn die Eindeutigkeit aus dem Kontext oder aus der Situation hervorgeht.“ (Kelz 1984: 104). In der Regel kann der Sinn aus dem Kontext erschlossen werden. Ziel der Arbeit ist es, Transkategorialität des Vietnamesischen insbesondere anhand des Elements đã zu überprüfen und den Umgang mit diesem Phänomen in der Forschung zu Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Stefanie Siebenhütter 30 Stefanie Siebenhütter beleuchten. Betrachtet werden können dabei Variationen sowohl auf Ebene der Satzsemantik als auch der Wortsemantik. Auf der Ebene der Satzsemantik können Sprechpausen eine große Wirkung im Gespräch haben. Zu Pausen schreibt Kelz (1984: 95f.): „Ein im Vietnamesischen häufig vorkommendes Mittel ist das Setzen von Pausen, durch die die Beziehung zwischen einzelnen Satzelementen zum Ausdruck gebracht werden kann. Ein einfacher Satz wie viec toi noi hat je nach Pausensetzung unterschiedliche Bedeutung“: ‚Ich spreche‘ oder ‚Die Angelegenheit, (über die) ich spreche.‘ In dieser Arbeit wird insbesondere auf die Ebene der Wortsemantik eingegangen und damit eine Besonderheit der vietnamesischen Sprache, das Phänomen der Polyfunktionalität beleuchtet. Ein Hauptcharakteristikum isolierender Sprachen in Südostasien und Afrika ist Transkategorialität (categorial change) bzw. Polyfunktionalität (Do-Hurinville 2010).1 Das Vietnamesische verfügt über polyfunktionale (transkategoriale) Marker wie là, thì, mà usw. In languages with light morphology (e.g. isolating languages), the language units appear as generic notions which are either not categorized at all or are only weakly pre-categorized; their syntactic status is specified by the discourse (these are known as ‚type-token‘ languages). Transcategoriality is then massive and ‚generic‘: it arises from an initial categorial under-specification and can be related to an analytical and lexical strategy for the expression of grammatical relations. (Robert 2003: 255f.). Bisang (2004: 109f.) beschreibt: „[T]he morphemes used to denote grammatical functions are not limited to one particular category exclusively. Depending on the context, they can express a variety of grammatical categories without covering the whole functional range of each of these categories.“ Bisang (2004: 110) beschreibt dies als areales Phänomen ost- und südostasiatischer Sprachen, das aufgrund von zwei basalen Eigenschaften besteht: „the lack of obligatory categories (indeterminateness…) and a comparatively weak correlation between the lexikon and morphosyntax“ (Bisang 2004: 110). Grammatikalische Marker sind in Ostund Festland-Südostasien charakterisiert durch einen hohen Grad an Flexibilität der Funktion (Bisang 2004: 110). In East and mainland Southeast Asian languages the emergence of a situation in which grammatical markers are frequent and homogeneous enough to become part of a coherent paradigm is systematically undermined by the high degree of indeterminateness (lack of obligatory categories) and the broad functional spectrum of markers. (Bisang 2008: 33)2 Insgesamt finden sich Partikeln, sprachliche Zeichen mit abstrakter grammatischer Funktion in südostasiatischen Sprachen äußerst zahlreich (Matisoff 1991: 387). Vorsicht geboten ist bei der Betrachtung des Vietnamesischen mittels einer ‚europäischen‘ Sichtweise von Sprache und sprachlichen Kategorien. Nicht unbedingt lassen sich die für die europäischen Sprachen eingeführten Kategorien genauso im Vietnamesischen und auch in anderen südostasiatischen Sprachen wiederfinden. So unterscheidet sich das Verb im Vietnamesischen davon, was Funktionale Partikeln des Vietnamesischen können häufig mehrere Positionen im Satz einnehmen und damit unterschiedliche Funktionen innehaben (Duffield 2011: 5). Dies gilt beispielsweise für die präverbalen Elemente sẽ, đã, đang, không, có, được, phải, dừng/cứ/hãy und là, die postverbalen Elemente ra, xong, hết, nốt, nên, phải und được sowie die rechts stehenden peripheren Elemente không, thế und được. 2 Das bedeutet, dass grammatische Marker trotz ihrer hoch generalisierten Bedeutung nicht so häufig sind wie z.B. Tempus-Marker im Englischen oder Deutschen, weil die grammatischen Marker optional sind (Bisang 2008: 33). Bisang (1996: 535) geht davon aus, dass ein hoher Grad von „indeterminateness” ein sehr wichtiges typologisches Charakteristikum vieler Sprachen des südostasiatischen Festlands (Vietnamesisch, Chinesisch, Hmong, Thai und Khmer) ist. 1 Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 31 generell unter der grammatischen Kategorie Verb, zum Beispiel im Englischen, verstanden wird (Thompson 1991: 217). In Erinnerung behalten werden muss, dass die Kategorien für das Vietnamesische noch zu hinterfragen sind.3 Im Vietnamesischen gibt es keine morphologische Markierung von tam, dafür aber temporale Adverbien und temporale Auxiliare. Auch Klein (2009) betont, man müsse sich in jedem Fall immer klar darüber sein, dass linguistische Kategorien (z.B. tam) nicht eins zu eins übertragbar sind, und die Bedeutung in der einen Sprache nicht mit der Bedeutung in einer anderen Sprache übereinstimmen muss: „Therefore, ‚achievements‘ in language A are often not like ‚achievements‘ in language B, and ‚imperfective‘ in language X is often not ‘imperfective’ in language Y” (Klein 2009: 78, vgl. Kortmann 1991: 21). 2. Das polyfunktionale Element đã 2.1. đã in temporaler Funktion Das sprachliche Element đã wird in der Forschung häufig als Past-Tense-Marker bezeichnet (z.B. Tran 2009, Duffield 1999). Dagegen gehört das Vietnamesische nach Dahl und Velupillai (2011: Chapter 66) zu den Sprachen ohne grammatische Past-/Non-Past-Unterscheidung – auch ohne periphrastische Konstruktionen.4 Diese beiden Thesen können nicht zugleich zutreffen. Anhand der folgenden Beispiele wird erläutert, warum keine der beiden Annahmen zu einer angemessenen Beschreibung des polyfunktionalen Elements đã ausreicht. Die Form đã wird zur Markierung bereits vergangener Situationen verwendet, neben PastTense wird auch die Markierung Anterior (ant) gewählt5 (vgl. Thompson 1991: 206ff.). Anterior bedeutet, dass die beschriebene Situation relevant für die Situation der Referenzzeit ist. Beispiel 1a zeigt die klassische Verwendung von đã in der Funktion eine vergangene Situation zu markieren. Tran (2009: 12) glossiert diese mit past. (1) 3 a Họ đã giúp cô ấy. they past help her dem ‚Sie halfen/haben ihr geholfen.‘ (Tran 2009: 12) b Tân đã gặp Tan asp meet i. ‚Tan traf Lan.‘ ii.‚Tan traf Lan?‘ (Tran 2009: 18) Lan. Lan Zum Thema Kategorie-Mutationen des Vietnamesischen vgl. Le et al. (2006). Vietnamesisch ist im WALS als eine von 88 erfassten Sprachen ohne Past-Tense-Markierung gelistet. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um eine areale Eigenschaft handelt. Unter den Sprachen des südost-asiatischen Festlandes und der unmittelbaren Umgebung finden sich viele Sprachen, die keine Tempus-Aspekt-Flektion generell, keine grammatische Markierung von perfektivem und imperfektivem Aspekt usw. aufweisen (Dahl und Velupillai 2011: Chapter 65). Da sich viele Sprachen im Raum Südostasiens strukturell ähnlich sind, bietet sich ein Blick auf benachbarte Sprachen und Dialekte zum Vergleich mit den vietnamesischen Sprachbeispielen an. 5 Laut Bull (1960: 13) sind anterior, past und perfect nur verschiedene Begriffe für die gleiche Sache: „in terms of a single axis of orientation, anterior, past, and perfected may all describe the same order relation to the axis” (vgl. Vater 2007: 35). In vorliegender Arbeit wird diese Auffassung nicht geteilt. Anterior wird verstanden als Situation, die vor einem Referenzzeitpunkt stattfindet und relevant für die Situation des Referenzzeitpunkts ist und das im Unterschied zu Past und Perfektiv, bei denen keine andere Situation relevant ist. 4 32 Stefanie Siebenhütter In Beispiel 1b glossiert Tran (2009: 18) đã als Aspekt, wobei durch die Verwendung von đã die Abgeschlossenheit der Situation angenommen wird (Übersetzung i.). Je nach Kontext kann mit 1b aber auch eine Ja-Nein-Entscheidungsfrage ausgedrückt werden (Übersetzung ii.). (2) Cuối cùng anh ấy đã thắng cuộc. (Duffield 2011: 15) finally 2p.sg.m dem ant win contest ‚Schließlich hat er den Wettbewerb gewonnen.‘ (3) Thôi, nghỉ đã. (Thompson 1991: 343) enough rest ant ‚[Das ist] genug, [lass uns] ausruhen, [ehe wir etwas anderes tun].‘ Duffield (2011: 15) und Thompson (1991: 343) glossieren đã in der Funktion, eine vergangene Situation zu markieren, mit anterior (Beispiele 2 und 3). Thompson (1991: 343) bezeichnet đã als ein Element, das eine Situation markiert, die als bereits beendet gesehen wird: „This word is fairly common as a descriptive complement, signalling that its head denotes a circumstance viewed as completed prior to some other circumstance (often, but not always, previously mentioned).“ In Beispiel 3 werden die vorhergehenden Umstände für Sprecher und Adressaten sicherlich aus dem Kontext oder aus dem vorhandenen geteilten Wissen klar. Um das Bild zu vervollständigen sind neben der Markierung bereits vergangener Ereignisse noch weitere Funktionsmöglichkeiten von đã zu beachten. Weitere Verwendungsmöglichkeiten von đã sind in folgenden Beispielen illustriert. Duffield & Phan (2010) sind der Meinung, dass đã kein oder zumindest nicht ausschließlich Past-Tense-Marker sein kann und glossieren folglich alle Beispiele mit đã, was der Methode von Bisang nahekommt, das Element als tamZeichen zu glossieren. Genaugenommen wird đã im ersten Fall gar nicht glossiert, sondern eins zu eins übernommen wie ein Eigennahme. Duffield & Phan deuten mit der Glossierung zwar an, dass keine einheitliche Glossierung für das Element đã gefunden werden kann und begründen dies mit den Beispielen 4-6, in denen đã in eindeutigem non-past-Kontext verwendet wird,6 aber warum sollte nicht eine eindeutige Glossierung für đã in den einzelnen Äußerungen gefunden werden? Vorgeschlagen wird für Beispiel 6 die Glossierung anterior für đã und die Glossierung perfektiver aspekt für rồi. (4) Präsens (Duffield & Phan 2010) Kìa, Mary đã đến rồi. Look Mary ĐÃ arrive already ‚Schau, Mary kommt schon an.‘ (5) Futur (Duffield & Phan 2010) Bằng giờ này ngày mai, Mary đã đến rồi. By hour dem tomorrow Mary ĐÃ arrive already ‚Mary sollte morgen um diese Zeit schon angekommen sein.‘ Die Beispiele stehen bei Duffield & Phan (2010) für die semantische Unabhängigkeit von “tense and outer aspect”. 6 Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 33 (6) Imperativ (Duffield & Phan 2010) a. Nghỉ đã rồi hãy làm. Rest ĐÃ then imp do ‚Ausruhen und dann arbeiten.‘ (Ruhe dich erst aus, dann arbeite!) b. Đỏi đã. wait ĐÃ ‚Warte!‘ Beispiel 6a und besonders deutlich Beispiel 6b zeigen die Möglichkeit đã in einem nicht direkten Past-Kontext zu verwenden. Bemerkenswert ist, dass đã in allen drei Beispielen die Vorzeitigkeit in Bezug auf eine weitere Handlung bzw. Situation bezeichnet. Die Beispiele 4 und 5 zeigen, dass mit đã Situationen im Präsens wie auch vergangene Situationen im Futur ausgedrückt werden können. Die Beispiele weisen darauf hin, dass es sich bei đã um ein polyfunktionales Element handelt, das in isolierenden Sprachen und damit auch im Vietnamesischen keine Seltenheit ist. Duffield & Phan (2010) bekräftigen weiter ihre These, dass đã kein ausschließlicher PastTense-Marker sein kann: „đã has a wide variety of semantics, and is sensitive to the aktionsart of the predicate States.”7 Ein weiteres Beispiel für eine Anwendung im Imperativ-Kontext ist Beispiel 7: (7) ăn đã rồi hẫy làm. eat ant term imp work ‚Iss erst und arbeite dann.‘ (Duffield 2011c) Die Imperativ-Markierung geschieht aber unabhängig von đã. Die Funktion von đã ist in diesem Beispiel, eine nachzeitige Situationen in der Zukunft auszudrücken: Das Essen soll vor dem Arbeiten stattfinden. 2.2. Die Grammatikalisierung von đã Lehmann (1995: 29) weist darauf hin, dass „past tenses often start out as perfects or perfective aspects; the past meaning actually results from a further grammaticalization“. Für das Vietnamesische đã ist eine solche Entwicklung durchaus denkbar. Auch Nguyễn (1997) glossiert đã mit anterior und nicht mit past, was sinnvoll ist, weil đã – wie bereits erläutert – nicht wie ähnliche Formen im Englischen eine ausschließliche Past-Tense-Funktion aufweist (vgl. Duffield 2011c). Mit đã wird zwei Situationen eine zeitliche Ordnung auferlegt (wobei eine davon implizit sein kann), in der Weise, dass die Situation, die durch đã markiert wird, als, im Verhältnis zur anderen Situation, vorher begonnen gekennzeichnet wird (Duffield 2011c). Dabei gibt es zwei wichtige Punkte zu beachten: (1) Die durch đã markierte Situation muss nicht abgeschlossen sein; dies bedeutet, dass durch đã allein keine Perfektivität angezeigt wird. Duffield (2007: 776) betont, dass die temporalen Elemente des Vietnamesischen nicht exakt die gleichen Werte haben wie die englischen Äquivalente: “In particular, the morpheme đã,which is usually glossed as ‚past tense‘, appears to denote a more aspectual relationship between Topic Time and a preceding situation time, either of which may be independent of the utterance time.“ 7 34 Stefanie Siebenhütter (2) Im Gegensatz zu englischen Tempus-Markern markiert đã nicht typischerweise die Relation einer Situation zur Äußerungszeit: „As a consequence, đã can appear in all sorts of ‚non-past‘ contexts“ einschließlich Pluperfekt, Futurperfekt, Kontrafaktual, Imperativ sowie generische und erweiterte temporale Kontexte (Duffield 2011c). Die Beispiele zeigen, dass đã unabhängig von der Zeitlinie ist, was TU (Time of Utterance), Realis und andere Referenzpunkte mit einschließt. Im Grunde ist đã völlig unabhängig von jeglicher Beziehung zur Äußerungszeit: „Indeed, it is perhaps because the relationship of utterance time to topic time is hardly ever relevant that Vietnamese is considered to have no tense“ (Duffield 2011c). Damit sollte eindeutig sein, dass đã nicht bzw. nur unter bestimmten Umständen als Past-Tense-Marker glossiert werden kann. Warum wird đã dennoch so häufig falsch interpretiert? Duffield (2011c) erklärt dies damit, dass Äußerungen mit đã häufig mit der Analyse von đã als Perfektiv-Marker kompatibel sind, weil die Äußerungen das Ende einer vorangehenden Situation anzeigen. Aber die Tatsache, dass đã auch zusammen mit stativen Prädikaten stehen kann und kompatibel mit den Progressiv-Formen đang und dương ist, zeigt, dass đã nicht notwendigerweise Vollendung markieren muss (Duffield 2011c). Demnach kann đã, wie bereits weiter oben angemerkt, als polyfunktionales Element verstanden werden, das die Möglichkeit bietet, Tempus oder Aspekt zu markieren, daneben aber noch weitere Funktionen erfüllen kann. Die Beispiele 8–11 zeigen đã in aspektueller Funktion und werden hier nach Duffield & Phan (2010) mit đã glossiert. (8) Inchoativity Tôi đã khỏe 1p.sg ĐÃ well ‚Ich bin bereits erholt.‘ rồi. already (Duffield & Phan 2010) Achievements (9) Completion (Duffield & Phan 2010) Cuối cùng anh ấy đã thắng cuộc. finally 2p.sg.m dem ĐÃ win contest ‚Schließlich gewann er den Wettbewerb.‘ Accomplishments (10) Inception (Duffield & Phan 2010) Hôm qua nó đã viết bài nhưng vẫn chưa xong. Yesterday 3p.sg ĐÃ write paper but still neg finish ‚Er schrieb das Paper gestern, aber er hat es noch nicht beendet.‘ Activities (11) Inception a. Tàu đã chạy rồi. Train ĐÃ run already ‚Der Zug ist abgefahren.‘ b. Lúc tôi đến, cả bọn đã When 1p.sg arrive all group ĐÃ ‚Als ich ankam, haben sie alle gegessen.‘ (Duffield & Phan 2010) đang prog đánh chén eat rồi. already. Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 35 Duffield & Phan (2010) weisen darauf hin, dass die Aspekt-Form đã nicht in negativem Kontext gebraucht werden kann: „[a]spectual đã is excluded from negative declarative contexts“ (siehe Beispiel 12 hier in Originalübersetzug). Es ist nur eine Präteritum-Leseweise möglich: (12) a. b. Nó đã không đọc sách. 3p.sg ant neg read book *‚He has not read books.‘ Aber: ‚He did not read books.‘ (Duffield & Phan 2010) Nó sẽ không đọc 3p.sg fut neg read ‚He will not read books.‘ (Duffield & Phan 2010) sách. book Auch im Kantonesischen ist Aspekt in negativen Kontexten nicht möglich. Zum Vergleich führen Duffield & Phan (2010) Beispiele (13a) und (13b) aus dem Kantonesischen an, wobei ebenfalls Aspekt in negativen Kontexten nicht möglich ist: „Similar interaction is shown in Cantonese: (Aspectual is blocked in negative contexts)“. (13) Kantonesisch a. Ngóh ló-jó chín 1p.sg get-pfv money ‚Ich habe Geld bekommen.‘ b. (Duffield & Phan 2010) Ngóh móuh ló chín 1p.sg not-have get money ‚Ich habe kein Geld bekommen.‘ (Duffield & Phan 2010, Yip & Matthews 1994: 205) Das Perfektiv-Suffix jó taucht in negativen Sätzen nicht auf, stattdessen wird der negative Existential-Marker móuh verwendet (Duffield & Phan 2010). Weitere Verwendungsmöglichkeiten von đã in Nicht-Past-Kontext finden sich in Konstruktionen8 mit đã, die eine feststehende lexikalische Bedeutung ausdrücken: So steht z.B. đã – còn nua für ‚nicht nur…, sondern auch‘ (Vũ 1983: 85). (14) a. b. Em ấy đã giỏi còn chăm nữa. 3p.sg dem not.only good but hard also ‚Er ist nicht nur begabt, sondern auch noch fleißig.‘ Trời đã mưa còn lạnh nữa. sky not.only rain but cold also ‚Es ist nicht nur regnerisch, sondern auch noch kalt.‘ (Vũ 1983: 85) Gregerson (1991: 81f.) weist darauf hin, dass das vietnamesische đã Ähnlichkeiten mit sudah ‚already‘ aus dem Bahasa Indonesischen aufweist. Beiden ist die präverbale Stellung 8 Konstruktion wird hier verstanden im Sinne der Konstruktionsgrammatik (z. B. Goldberg 1995, 2006; Fillmore 1988). 36 Stefanie Siebenhütter gemeinsam (siehe Beispiel 15a und b) und laut Gregerson signalisieren beide den perfektiven Aspekt (Gregerson 1991: 82), darüber hinaus lässt sich eine lautliche Ähnlichkeit feststellen. Hier fände sich eine Erklärung für das Problem, wie đã korrekt kategorisiert werden kann: Mit Hengevelds These, dass sich Aspekt-Marker häufig zu Tempus-Markern entwickeln. Diese generelle Entwicklung kann von Resultativ zu Anterior zu Past beschrieben werden: Resultativ – Anterior – Past (Hengeveld 2011: 589).9 Denkbar wäre also eine Entwicklung des Markers đã als Resultativ (ähnlich dem Bahasa Indonesischen) zum Anterior-Marker und – in neuerer Zeit und daher noch eher selten – zum Past-Marker. Um diese These überprüfen zu können, wären aber noch einige ausführliche Studien nötig, die die Verwendung der Form đã durch Muttersprachler dokumentieren und auswerten. Aktuell lässt sich zumindest an den oben aufgeführten Beispielen ablesen, dass die Verwendung von đã in der Funktion eines PastMarkers seltener ist als die Verwendung als Anterior-Marker. Im Vietnamesischen kann weiter beobachtet werden, dass das Satzfinale rồi die kompletive (vollendende) Bedeutung von đã redundant verstärkt. „This form is perhaps the ‚true‘ Austroasiatic marker (cf. Rengao10 (..) hədroi ‚before‘) into whose territory đã has intruded“ (Gregerson 1991: 82). Auch hier lässt sich wie bei đã und sudah eine lautliche Nähe feststellen: rồi und hədroi. (15) a. b. Vietnamesisch Tôi đã mua 1p.sg already buy ‚Ich habe schon ein Auto gekauft.‘ (beide Gregerson 1991: 81f.) xe rồi. car already Bahasa Indonesisch La sudah pergi. 3p.sg already go ‚Er war schon gegangen.‘ Die Form đã ist als polyfunktionales Element zur Markierung von Tempus und Aspekt und zur Markierung weiterer Funktionen zu sehen. Die unterschiedlichen Funktionen von đã lassen sich schematisch wie im Schema 1 darstellen: Schema 1: Funktionsmöglichkeiten des polyfunktionalen Elements đã 9   Li & Shirai (2000: 13) beschreiben eine universale Tendenz „for resultative and completive markers to grammaticize into perfect markers, which in turn become perfective or simple past markers“. 10 Rengao ist eine austroasiatische Sprache mit den Dialekten Western Rengao, Sedang-Rengao und Bah-narRengao und wird im Südwesten Vietnams von etwa 16.000 (Stand 2002) Sprechern gesprochen (Lewis 2009). Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 37 Die wenigen Sprachbeispiele in der vorliegenden Arbeit weisen darauf hin, dass đã am häufigsten zum Ausdruck von Anteriorität eingesetzt wird, gefolgt von der Markierung des perfektiven Aspekts. Für weitere Klarheit wäre im Anschluss eine Studie wünschenswert, um die Häufigkeit der jeweiligen Funktionen von đã vergleichen zu können.11 Rồi und đã werden in der mündlichen Sprache häufig als Alternativen benutzt, um Fragen zum Abschluss einer Situation zu stellen und diese zu beantworten. Während mit rồi die Konzentration auf dem resultierenden Zustand einer Situation liegt, wird mit đã der Abschluss einer Situation betont (Do-Hurinville 2009: 305). Do-Hurinville (2009: 306) geht davon aus, dass der chinesische Marker -le und der vietnamesische Marker đã, die verbal fast die gleiche Bedeutung haben, den Aspekt der Vollendung markieren. Dennoch gibt es keine Parallelität zwischen den beiden Auxiliaren. Das Element -le ist in ungebundenen Situationen ungeeignet und kann nur für gebundene Situationen, die einen Endpunkt oder ein Ergebnis ausdrücken, verwendet werden, sonst ist die Aussage ungrammatisch (Sun 2006: 66f.).12 Im Vietnamesischen kann đã auch in nicht gebundenen Situationen ohne resultative Komponente angewendet werden, wie in Beispiel 10 Inception weiter oben gezeigt wurde. 2.3. đã in perfektiver Funktion Das sprachliche Zeichen đã ist ein polyfunktionales Element mit unterschiedlichen Funktionen. Ob das Element đã im Vietnamesischen neben Anterior auch den perfektiven Aspekt markieren kann, wird in der Literatur diskutiert. Wie bereits erwähnt, gibt es laut Dahl & Velupillai (2011: Chapter 65) im Vietnamesischen keine grammatische Markierung von perfektivem13 und imperfektivem Aspekt, und damit ist sowohl die morphologische wie auch jegliche periphrastische Konstruktion gemeint.14 Dies steht im Gegensatz zu der von Tran (2009: 27) vorgeschlagenen Möglichkeit, dass mit đã der perfektive Aspekt bezeichnet werden kann. Eine mit đã markierte Situation muss nicht abgeschlossen sein; dies bedeutet, dass durch đã allein keine Perfektivität angezeigt wird. Das zeigt sich dadurch, dass đã sowohl mit dem Progressiv-Aspektmarker đang als auch mit stativen Verben und Adjektiven kombinierbar ist (Duffield 2011c). Phan (2010) vertritt ebenfalls den Standpunkt, dass đã kein perfektiver Aspekt-Marker sein kann und baut dabei auf die Untersuchungen von Vendler (1957) und Klein (1994) auf: we argue (...) that đã is not perfective, though it is clearly aspectual: developing Klein`s (1994) relational analysis of Aspect, we propose instead that đã underlying is a perfect marker anchoring Anhand einer Tabelle können die Ergebnisse aus einer Korpusanalyse gegenübergestellt und die Häufigkeit der einzelnen Funktionen von đã überprüft und verglichen werden. Da diese Untersuchung eine aufwändige Korpusanalyse erfordert, wäre sie eine eigene umfangreiche Studie und kann in vorliegender Arbeit nicht durchgeführt werden. 12 In einigen Kontexten der Vergangenheit ist ein Austausch zwischen -le und -gou möglich, ebenso zwischen đã und đã từng (Do-Hurinville 2009: 306). 13 Perfekt und Perfektiv (perfektiver und perfektivischer Aspekt) sind zwei völlig unterschiedliche Kategorien und dürfen nicht gleichgesetzt werden (Dahl 1985: 138-139, Kortmann 1991: 16f.). Normalerweise haben Sätze, die einen Perfektiv-Marker enthalten, einen initialen und einen finalen Endpunkt; deshalb kann auch der chinesische Perfektiv-Aspektmarker -le nicht zur Beschreibung von Situationen verwendet werden, die keinen Endpunkt erlauben (Sun 2006: 67). 14 Viele Sprachen Südostasiens weisen keine „grammatische Markierung“ von perfektivem und imperfektivem Aspekt auf (Dahl & Velupillai 2011: Chapter 65). 11 38 Stefanie Siebenhütter the initial – rather than final – subinterval of the Situation Time before the Topic Time (which is also the Utterance Time in the default case). (Phan 2012: private Kommunikation) Hier wird zunächst davon ausgegangen, dass das Auxiliar đã bedingt als perfektiver AspektMarker funktionieren kann. In 16a beginnt das Verheiratetsein von Hoa vor der Sprechzeit und dauert auch zur Sprechzeit noch an, daher ist ii. als mögliche Übersetzung nicht möglich (Tran 2009: 27). In Beispiel 16b ist die Situation des Treffens aber abgeschlossen, daher ist đã als anterior zu glossieren. (16) a. b. Hoa đã có chồng. (Tran 2009: 27) Hoa pfv have husband i. ‚Hoa war verheiratet (und ist es immer noch).‘ ii. *‚Hoa war verheiratet.‘ (und ist es nicht mehr) Tân đã gặp May. (Tran 2009: 25) Tan ant meet May ‚Tan traf May.‘ (und die Situation des Treffens ist abgeschlossen) Tran (2009: 27) gibt als mögliche Erklärung für die perfektive Leseweise von đã in Beispiel 16a im Gegensatz zur Abwesenheit dieser Möglichkeit für 16b an, dass die Beispiele sich nach telisch und atelisch unterscheiden lassen. Das Verb gặp ‚treffen‘ ist ein telisches Prädikat, bezeichnet also eine Situation mit natürlichem Endpunkt und ‚verheiratet sein‘ ist in diesem Fall atelisch, also ohne ‚inneren‘, natürlichen Endpunkt. Tran (2009: 27) geht also davon aus, dass die Telizität der Verben ausschlaggebend dafür ist, ob đã als perfektiver Aspekt oder als Anterior gelesen werden muss. Demnach wäre đã in Äußerungen mit atelischen Verben als perfektiver Aspekt zu bezeichnen und mit telischen Verben als Anterior. Eine weitere Möglichkeit, die korrekte Kategorisierung von đã zu klären, wäre es, Kortmanns (1991) Vorschlag anzuwenden, die Triade tam in eine Tetrade aufzulösen. Dabei stehen sich Anterior und Posterior gegenüber, die „bisher häufig unter der Bezeichnung ‚perfektiver‘ / ‚retrospektiver‘ bzw. ‚prospektiver Aspekt‘ behandelt wurden“ (Kortmann 1991: 175). Mit den beiden Kategorien werden, wie mit Tempus, Situationen auf einer Zeitlinie relativ zu einem Referenzpunkt beschreiben und sind damit im Gegensatz zum Aspekt deiktisch (Kortmann 1991: 175). Die Kategorien Tempus und Anterior bilden dabei ein Kontinuum (Kortmann 1991: 20f., 175). Die Lösung des Problems wäre unter Beachtung von Kortmanns Theorie, dass đã sowohl als Anterior wie auch als perfektiver Aspekt glossiert werden kann, weil Kortmann zufolge Anterior eine andere Bezeichnung für den perfektiven Aspekt ist. Wesentlich sinnvoller erscheint hier Folgendes: Die Form đã kann sowohl den perfektiven Aspekt wie auch Anterior bezeichnen. Im ersten Fall spielt die mit perfektivem Aspekt bezeichnete Situation keine Rolle für die Referenzzeit und modifiziert zumeist atelische Verben. Mit Anterior ist đã zu glossieren, wenn die Form zusammen mit telischen Verben steht und darüber hinaus die bezeichnete Situation für die Referenzzeit von Relevanz ist. Einsichtig erscheint auch die Darstellung von Bybee et al. (1994: 104f.), wonach sich Anterior aus einem lexikalischen Verb mit der Semantik ‚come‘, aus einem Resultativ oder aus einem Kompletiv entwickelt und weiter zu Perfektiv oder Simple Past. Bybee et al. (1994: 105) bezeichnen dies als „universal paths of development“. Damit ließe sich die Glossierungsfrage für das Element đã erklären, indem es im Sprachgebrauch die Entwicklung vom Anterior zum Perfektiv nicht abgeschlossen hat und aktuell in beiden Funktionen zu finden ist. Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 39 Auch das Element rồi wird bisweilen als perfektiver Aspekt (Terminativ) glossiert wie in Beispiel 17: (17) Em bé uống sữa baby drink milk ‚Das Baby trank Milch.‘ rồi. (Tran & Dee 2003: 4) pfv 2.4. Tempus-Markierung ist nicht obligatorisch Grundsätzlich ist die vietnamesische Tempus-Markierung nicht obligatorisch; sie kann im Fall eines eindeutigen Kontexts weggelassen werden. Zur Betonung oder um präzisere Angaben zu machen, können temporale Auxiliare und temporale Adverbien – also nur periphrastische Konstruktionen – einzeln oder kombiniert zur Versprachlichung zeitlicher Vorstellungen eingesetzt werden. Bei fast allen temporalen Auxiliaren handelt es sich um polyfunktionale Elemente. Diese Feststellung passt zur These der Multifunktionalität von Duffield (2011), Do-Hurinville (2010) und Robert (2003) u.a., nämlich, dass isolierende Sprachen eine starke Tendenz zur Polyfunktionalität aufweisen. Daher lassen sich die Kategorien des vietnamesischen TempusSystems nicht immer eindeutig von den Kategorien Modus und Aspekt trennen. Vor allem der Aspekt – lexikalisch und grammatikalisch – ‚überlappt‘ häufig mit der Kategorie Tempus. Insofern ist Bisangs (1991, 1992) Ansatz, die Elemente mit tam-Zeichen zu glossieren, zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Zufriedenstellender sind jedoch die Ansätze von Trương (1970) und Thompson (1991), wonach in der Regel eine Form nicht zwei Funktionen zugleich hat. So muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine Form eine Aspekt- oder TempusFunktion einnimmt. Erklären lässt sich dieses Phänomen eventuell durch Grammatikalisierung. In der vietnamesischen Sprache werden zeitliche Vorstellungen orientiert an einer gedachten Zeitlinie ausgedrückt. Im Gegensatz zu vielen indoeuropäischen Sprachen blickt der vietnamesische Sprecher in die Vergangenheit und die Zukunft liegt in seinem Rücken. Es wurde festgestellt, dass Tempus-Markierung im Vietnamesischen nicht obligatorisch ist und dass temporalen Auxiliare in der Regel polyfunktional sind. Dennoch wird hier dafür plädiert, dass eine eindeutige Glossierung möglich ist. Die Kategorien des vietnamesischen Tempus-Systems lassen sich nicht immer eindeutig von den Kategorien Modus und Aspekt trennen. Vor allem der Aspekt – lexikalisch und grammatikalisch – ‚überlappt‘ häufig mit der Kategorie Tempus. Insofern ist Bisangs (1991, 1992) Ansatz, die Elemente mit tam-Zeichen zu glossieren, zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Zufriedenstellender sind jedoch die Ansätze von Trương (1970) und Thompson (1991), wonach in der Regel eine Form nicht zwei Funktionen zugleich hat. So muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine Form eine Aspekt- oder Tempus-Funktion einnimmt. Erklären lässt sich dieses Phänomen eventuell durch Grammatikalisierung. 3. Abschließende Bemerkungen Bei der Kategorisierung von Elementen isolierender Sprachen sind möglicherweise folgende Aspekte in größerem Umfang zu beachten: (1) Sprechpausen können große Wirkung im Gespräch 40 Stefanie Siebenhütter haben. Kelz (1984: 95f.) erkennt: „Ein im Vietnamesischen häufig vorkommendes Mittel ist das Setzen von Pausen, durch die die Beziehung zwischen einzelnen Satzelementen zum Ausdruck gebracht werden kann. Ein einfacher Satz wie viec toi noi hat je nach Pausensetzung unterschiedliche Bedeutung“: ‚Ich spreche‘ oder ‚Die Angelegenheit, (über die) ich spreche.‘. (2) Der gesamte Diskurs bzw. die Sprechsituation, in der eine Äußerung stattfindet, spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis einer Aussage. (3) Erfahrung und Erwartung von Sprecher und Hörer sind für das Verständnis aus dem Kontext notwendig. Semantische und pragmatische Mittel aus dem Kontext tragen wesentlich zur Dekodierung von Äußerungen bei. Der Hintergrund elaborierter Systeme, das heißt, Weltwissen, Erfahrungswissen usw. sind im Vietnamesischen essentiell. Entscheidend für das Verständnis einer Aussage ist dabei, welche Rollen Lexeme bezüglich ihrer Grammatischen Relationen (zum Beispiel S, A und O) überhaupt einnehmen können. Zunächst ist die Polyfunktionalität der meisten vietnamesischen Elemente zu nennen. Der Wechsel von Kategorien ist typisch für Sprachen mit isolierendem Sprachbau, zu denen das Vietnamesische zählt. Das vietnamesische tam-System besteht nahezu ausschließlich aus polyfunktionalen Elementen. Ganz entscheidend ist, dass sich Tempus und Aspekt sehr oft überschneiden und sich sehr nahe sind, Modalität und Modus hingegen überwiegend unabhängig von Tempus und Aspekt ausgedrückt werden können. In anderen Worten: Aspektund Tempus-Formen ‘überlappen’ häufig semantisch, Modalitäts-Formen ‘überlappen’ zumeist untereinander. Wesentlich seltener haben auch Modalitäts- und Aspekt-Formen das gleiche sprachliche Zeichen. Damit scheint es im Vietnamesischen eine wesentlich engere Verbindung von Tempus und Aspekt zu geben, als dies zwischen den Kategorien Modus und Tempus oder Modus und Aspekt der Fall ist. Bisang hatte, wie zu Beginn erwähnt, alle Tempus, Aspekt oder Modus bezeichnenden Elemente schlicht mit tam-Zeichen glossiert. Sofern eine vereinfachte Bezeichnung angestrebt wird, wäre zumindest in ta-Zeichen und m-Zeichen zu unterscheiden. Offensichtlich ist ja, dass sich die Tempus-Formen mit den Aspekt-Formen häufig überschneiden; eine Form wie đã oder đang kann im Vietnamesischen sowohl in der Funktion von Aspekt wie auch in der Funktion von Tempus eingesetzt werden, zusätzlich dazu oft noch in der Vollverb-Bedeutung. Die Modus-Formen werden jedoch nicht als Tempus- und nur in geringem Umfang als AspektMarker verwendet, auch wenn die Modus-Formen wie die Tempus- und Aspekt-Marker fast immer polyfunktional sind. Mit den polyfunktionalen modalen Formen können in der Regel mehrere modale Funktionen bezeichnet werden. Dabei ist es nicht so, dass eine tam-Form mehrere Funktionen gleichzeitig anzeigt. Immer sind Funktion und Semantik der tam-Formen eindeutig bestimmbar. Damit konnten ausreichend Argumente gefunden werden, die eine Glossierung als tamZeichen (vgl. Bisang z. B. 1992) oder die Vermeidung einer Glossierung (vgl. Duffield & Phan 2010) nicht mehr haltbar machen. Die Polyfunktionalität der einzelnen tam-Formen ist kein Widerspruch zu einer klaren Trennbarkeit der einzelnen Funktionen. Im Laufe der Diskussion der vietnamesischen Tempus-Formen zeigte sich, dass die einzelnen sprachlichen Zeichen sehr viel klarer voneinander unterschieden und glossiert werden können als bisher zum Teil angenommen. Dies gilt für die Tempus-Aspekt-Unterscheidung und noch viel stärker für die Unterscheidung der Modus-Formen von den Tempus- und Aspekt-Formen. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Satzposition der tam-Marker. An deren Positionierung in einem Satz lässt sich erkennen, dass Tempus- und Aspekt-Marker nahezu immer in präverbaler Position zu finden sind, während die Modus-Marker auch eine postverbale Position einnehmen können oder an ganz anderen Stellen in der Peripherie stehen. Die präpositionale Position der Transkategoriale Variationen im Vietnamesischen 41 Tempus- und Aspekt-Formen deutet, wie bereits erwähnt, auf eine Entwicklung aus Vollverben hin. Einige der Tempus- und Aspekt-Formen können auch noch mit der vollen semantischen Bedeutung als lexikalisches Verb eingesetzt werden.15 Festgestellt wurde, dass Veränderung der Stellung sowohl eine Veränderung semantischer, als auch funktionaler Eigenschaften der sprachlichen Zeichen bewirkt. Modus-Formen stehen zumeist präverbal bzw. in der linken Peripherie, Tempus-Formen präverbal und Aspekt-Formen überwiegend in postverbaler Position. Wenn man die präpositionalen und postpositionalen Elemente des Vietnamesischen tamSystems betrachtet, fällt weiter auf, dass die präpositionalen Auxiliare – die ursprünglich Vollverbfunktion hatten und teilweise auch noch als Vollverb verwendet werden können – zur tam-Markierung in der Anzahl deutlich überwiegen.16 So bestimmt die Satzposition über Funktion und Semantik der Elemente. Die vorgeschlagene Reihung der vietnamesischen Elemente stellte sich damit als relativ flexibel heraus. Die Position der einzelnen Elemente ist durchaus variabel, da die Stellung im Satz auch die Funktion und/oder die Semantik des Zeichens anzeigt. Wortstellung spielt damit eine wichtige Rolle im Vietnamesischen. Wird von der basalen Wortstellung abgewichen, hat dies häufig eine Bedeutungsänderung zur Folge (s. Rehbein & Sayaseng 2004: 36ff.). Es wurde aufgezeigt, dass đã kein ausschließlicher Past-Tense-Marker ist und folglich auch nicht so glossiert werden sollte, sondern ein polyfunktionales Element, das eine wichtige Rolle in der vietnamesischen Sprache einnimmt. Das sprachliche Zeichen đã kann aber in einigen Fällen problemlos mit past-tense glossiert werden; dies wäre durch Grammatikalisierung bzw. die oben genannte diachrone Entwicklung erklärbar. Ebenso sind die sprachlichen Zeichen đang und sẽ nicht auf eine Kategorie beschränkbar, und auch hier würde die Grammatikalisierung erklären, dass überwiegend eine Glossierung als korrekt anzusehen ist, aber in Einzelfällen auch weitere – oben genannte – Kategorien möglich sind. Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich klassische westliche Kategorien suboptimal für Sprachen mit analytischem Sprachbau erweisen. Weiter bedeutet nicht in üblicher Weise Vorhandenes nicht automatisch das Fehlen dieses Phänomens, sondern möglicherweise lediglich eine andere Ausprägung. Die Kategorien können von Fall zu Fall vergeben werden, wobei der Kontext des gesamten Diskurses, Pausen sowie die semantischen und pragmatischen Funktionen stärker beachtet werden müssen. Bibliographie Bisang, W. (1991): Verb Serialization, Grammaticalization and Attractor Positions in Chinese, Hmong, Vietnamese, Thai and Khmer. Das sprachliche Erfassen von Sachverhalten. In: H. Seiler & W. Premper (Hg): Partizipation. Tübingen: Narr. 509–562. Bisang, W. (1992): Das Verb im Chinesischen, Hmong, Vietnamesischen, Thai und Khmer. Vergleichende Grammatik im Rahmen der Verbserialisierung, der Grammatikalisierung und der Attraktorpositionen. Tübingen: Narr. Bisang, W. (1996): Areal Typology and Grammaticalization: Processes of Grammaticalization Based on Nouns and Verbs in East and Mainland South East Asian Languages. Studies in Language 20(3), 519–597. Befragt man Muttersprachler nach der Bedeutung von Tempus-Markern, bekommt man häufig zur Antwort, dass diese keine Bedeutung hätten. Dies deutet darauf hin, dass für den Muttersprachler die funktionale Ebene der Tempus-Formen im Vordergrund steht und die eventuell ursprünglich vorhandene Verbbedeutung nicht mehr ohne Weiteres benannt werden kann. 16 Präpositionen sind eher verboid! Postpositionen dagegen eher nominal (Schulze 2012a). Aspekt-Formen können sich in zwei Entwicklungsstufen aus Vollverben – mit Zwischenstufe Hilfsverben und/oder Modalverben oder serielle Verben – entwickeln (Lehmann 2006: 37). 15 42 Stefanie Siebenhütter Comrie, B. (1985): Tense. Cambridge textbooks in linguistics. Cambridge u.a: Cambridge Univ. Press. Comrie, B. (1976): Aspect. An introduction to the study of verbal aspect and related problems. Cambridge: Cambridge Univ. Press. Do-Hurinville, D. T. (2010): A study of the Vietnamese marker Là. Conference Paper SEALS 20, 2010. 10.-11. Juni 2010. Duffield, N. (2001): On Certain Head-Final Effects in Vietnamese. In: K. Megerdoomian & L. A. Barel (Hg.): Proceedings of the 20th West Coast Conference on Formal Linguistics. Somerville, MA: Cascadilla. 101–114. Duffield, N. (2007): Aspects of Vietnamese Clausal Structure: Separating Tense from Assertion. Linguistics 45(4), 765–814. Enfield, N. (2003): Linguistics epidemiology. Semantics and grammar of language contact in mainland Southeast Asia. London: RoutledgeCurzon. Enfield, N. (2007): A grammar of Lao. Berlin: de Gruyter. Kelz, H. P. (1984): Typologische Verschiedenheit der Sprachen und daraus resultierende Lernschwierigkeiten: Dargestellt am Beispiel der sprachlichen Integration von Flüchtlingen aus Südostasien. In: E. Oksaar (Hg.): Spracherwerb – Sprachkontakt – Sprachkonflikt. Berlin: De Gruyter. 92–106. Klein, W. (1994): Für eine rein zeitliche Deutung von Tempus und Aspekt. In: R. Baum, K. Böckle, F. J. Hausmann & F. Lebsanft (Hg.): Lingua et traditio. Geschichte der Sprachwissenschaft und der neueren Philologien. Festschrift für Hans Helmut Christmann zum 65. Geburtstag. Tübingen: Narr. 409–422. Klein, W. (2009). How time is encoded. In: W. Klein & P. Li (Hg.): The expression of time: The expression of cognitive categories. Berlin [u. a.]: Mouton de Gruyter. 39–81 Le, H. P., Nguyen, T. M. H., Romary, L. & Roussanaly, A. (2006): A Lexicalized Tree-Adjoining Grammar for Vietnamese. Hanoi, Nancy: Hanoi University of Science. Online: http://hal.inria.fr/docs/00/10/61/59/PDF/ LeNguyen-685.pdf (Zugriff: 27.10.2015). Robert, S. (2003): Vers une typologie de la transcatégorialité. Polysémie, transcatégorialité et échelles syntaxiques. In: S. Robert (Hg.): Perspectives synchroniques sur la grammaticalisation. Polysémie, transcatégorialité et échelles syntaxiques. Louvain [u. a.]: Peeters. 255–270. Tran, T. (2009): Wh-Quantification in Vietnamese. Dissertation. Online: http://gradworks.umi.com/3344072.pdf (Zugriff: 25.10.2015). Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ. Ein Exempel aus dem Pennsylvanischdeutschen: Ich bin es Buch am lesa. Adam Tomas Das Interesse am Substandard, dem sprechsprachlichen Gesamtbereich unterhalb der normierten Sprache, spiegelt sich in unzähligen, immer populäreren variationslinguistischen Studien wider. Die Varietätenlinguistik im Allgemeinen ist eine junge Wissenschaft (seit ca. 1870, vgl. Lenz 2003: 32). Hinzu kommt noch, dass die morpho-syntaktischen Merkmale der Variationslinguistik oft völlig den phonetischen Untersuchungen gewichen sind und somit der Grammatikwandel, der in den Dialekten nachweislich vorhanden ist und permanent auf die Standardsprache reflektiert, oft nur ungenügend berücksichtigt wurde. Meine angestrebte Untersuchung nähert sich aus einer empirischen Perspektive dem morpho-syntaktischen Phänomen der Herausbildung von Aspektmarkern. Mein Augenmerk gilt dabei vor allem dem am-Progressiv (Ich bin das Buch am lesen). Es sollen Wortstellungsvarianten empirisch untersucht werden, besonders innerhalb der von mir angenommenen sich bildenden ProgressivVerbklammer im Pennsylvanischdeutschen (PeD), der Sprache einer deutschstämmigen und deutschsprachigen Minderheit in den USA. Die Daten aus dem PeD wurden im Juli 2014 in den USA bei meiner Feldforschung unter den Amischen erhoben. Eine wichtige Perspektive für die Varietätenlinguistik ist der permanente Kontakt von neuen, modifizierten sprachlichen Formen (Modifikationen) und standardisierten Formen, bzw. mit der Sprachnorm. Dies scheint meines Erachtens bei der Erforschung des am-Progressivs im PeD nachweisbar zu sein. Durch unterschiedliche Untersuchungen (reimann 1996, rödel 2004, louden 2015) konnte einerseits aufgezeigt werden, dass der am-Progressiv keineswegs mehr eine dialektale oder regionale grammatikalische Erscheinung ist, sondern eher ein Phänomen, welches eine ständige Ausweitung des Akzeptanzradius erlebt. Im Gegensatz zum Standarddeutschen (StD) erfolgt diese Ausweitung des Gebrauchs im PeD bereits und durch eine Koexistenz haben unterschiedliche Modifikationen zuletzt auch eine Erweiterung vom Verwendungsradius des am-Progressivs bewirkt. 1. Einleitung Meine angestrebte Untersuchung nähert sich aus einer empirischen Perspektive dem morpho-syntaktischen Phänomen einer Herausbildung von Aspektmarkern (Dahl 2000) im Deutschen, vor allem dem am-Progressiv (Ich bin das Buch am lesen / I bin es Buch am lesa). Einerseits sollen Wortstellungsvarianten empirisch untersucht werden, besonders innerhalb Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Adam Tomas 44 Adam Tomas der von mir angenommenen sich bildenden Progressiv-Verbklammer (vgl. Rödel 2004) im Standarddeutschen (StD) und im Pennsylvanischdeutschen (PeD). Andererseits sollten aber auch die empirisch erhoben Daten kritisch durchleuchtet werden. Oft werden an zwei verwandte Sprachvarietäten, wie StD und PeD zu sein scheinen (van Pottelberge 2004: 2), unberechtigt gewisse Äquivalenzansprüche gestellt, nämlich dass in ähnlichen Sprachvarietäten ähnliche grammatische Strukturen vorherrschen müssten. Es gilt zu klären, inwiefern sich die zwei verwandten Entitäten voneinander separat entwickelt haben und ob es trotz differenter Entwicklung mittels gezielter empirischer Datenerhebung gelingen kann, gemeinsame morphosyntaktische Merkmale der am-Progressivform in beiden Sprachen aufzuweisen und deren Entwicklung zu untersuchen. Als Beispiele dienen Sätze aus dem StD und aus dem PeD der Amischen in den USA, welche durch eine Datenerhebung von mir im Juli 2014 gewonnen wurden. Anhand von ausgewählten Variationsphänomenen wurden morpho-syntaktische Merkmale des PeD extrahiert. Diese Variationstypisierungen wurden anhand verschiedener Charakteristika festgelegt, wie z.B. objektive linguistische Kriterien (morpho-syntaktische Regeln), statistische Kriterien (areale und idiolektale Frequenz), oder auch subjektive Kriterien wie Wahrnehmung, Akzeptanz von Auffälligkeiten und der eigene Gebrauch dieser Auffälligkeiten. Durch diese messbaren Komponenten des Sprachwandels wird auch die Gradualität der Normierungsprozesse sichtbar, da es einen kommunikativen Akzeptanzradius von neuen grammatischen Formen gibt, der größer als der Verwendungsradius ist, zumal neu auftretende sprachliche Formen normalerweise zuerst gehört und verstanden werden und erst später im eigenen Idiolekt gebraucht werden (Berend & Mattheier 1994: 33). Dies ermöglicht meiner Ansicht nach die graduelle Ausdehnung von Modifikationen, also Parallelformen, woraus ein akzeptierter Substandard entstehen kann. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hat sich im polyzentrischen deutschsprachigen Gebiet eine einheitlich gültige oder bindende Sprachnorm nicht spontan etablieren können, so dass im 20. Jh. diese Plurizentrik einer präskriptiven Norm der Sprache weichen musste (dazu Busch 2003: 16). Dadurch sind auch viele bislang parallel existierende grammatische Formen verdrängt worden. Einigen von diesen Formen ist dieser Artikel gewidmet. 2. Theoretische Grundlage zur Progressivforschung im Deutschen Die Verwirrung in der Fachterminologie der Aspektforschung ist mehr als auffällig und wurde schon in Comries Standardwerk zu Aspektforschung hervorgehoben: As already indicated, in discussions of aspect, as opposed to many other areas of linguistics, there is no generally accepted terminology. (Comrie 1976: 11) Auch Leiss formuliert es ähnlich: Solange nicht klar ist, wo die Grenze zwischen Aspekt und Aktionsart gesetzt werden muss, ist auch nicht möglich, dem deutschen Verbalsystem die Kategorie des Aspekts abzusprechen …[…]. (Leiss 1992: 22) Aspektualität ist eine kognitive Domäne oder Funktion, welche die zeitliche Kodierung von Verbsituationen perspektiviert (nach Glück 2000: 67; Leiss 1992: 45; Comrie 1976: 3). Viele Untersuchungen bestätigen, dass es eine Tendenz zur Progressivbildung im Deutschen gibt und Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 45 teilen die Auffassung, dass eine gewisse Aspektualität in jeder Sprache verankert sein könnte (Comrie 1976: 2). Weiterhin ist Aspektualität als eine Perspektivierungsfunktion wahrzunehmen, durch die eine zeitliche Strukturierung der Verbalhandlung möglich ist. Zu der grundlegenden Distinktion in der Aspektforschung zählt die Opposition perfektiv vs. imperfektiv, was aber in unterschiedlichen Sprachen variieren kann. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, eine interne Strukturierung der Prädikation mit festen grammatikalisierten Mitteln auszudrücken, die bei einer und derselben Verbalsituation eine abgeschlossene Sichtweise – Blickpunkt des Sprechers außerhalb des Geschehens – oder unabgeschlossene Sichtweise – Blickpunkt des Sprechers innerhalb des Geschehens – erlaubt (Leiss 1992: 39). Für das StD und das PeD sind diese obigen Kriterien zwar nicht zweifelsfrei erfüllt, die am-Progressiv-Konstruktion (Ich bin ein Buch am lesen) erfüllt jedoch sicherlich ein grundlegendes Merkmal von Aspektmarkern, nämlich die Perspektivierung einer unabgeschlossenen Verbalsituation. Da es weder im StD noch im PeD einen Entscheidungszwang gibt, der eine solche Progressivform fordern würde, spricht man im Allgemeinen von Aspektualität statt von (Verbal)Aspekt. Dieser Annahme schließe ich mich an. Die deutsche Progressiv-Konstruktion vom Typus seinfinitum+am+Vinf ist jedoch noch stark auf gewisse Verben beschränkt, die Ereignisse (activities oder accomplishments, nach Vendler 1957) ausdrücken. Man kann aber dennoch den am-Progressiv als einen Sonderfall des Imperfektivs ansehen. Diese Formen gelten im Deutschen weitgehend als untypisch und markiert, im PeD dagegen wird der am-Progressiv als normal und unmarkiert eingesetzt, was ich durch unterschiedliche Beispiele in diesem Artikel belegen möchte. 2.1. Die Bestandteile des am-Progressivs Im Folgenden werden die einzelnen Komponenten des am-Progressivs1 – bestehend aus seinfinitum+am+Vinf – erläutert und ihr Status präziser ermittelt, mit dem Ziel, einen Blick auf den Fortschritt der Grammatikalisierung der Verlaufsform zu ermöglichen. Über die Bestandteile des am-Progressivs und über ihren Status herrscht keine Einigkeit in der deutschen Aspektforschung. Der Verlaufsinfinitiv ist innerhalb dieser Konstruktion wohl von allen Komponenten die problematischste. Dabei reichen die Meinungsunterschiede von der primären Form des Infinitivs, über die nicht konsequent durchgeführte Rechtschreibung (Groß- oder Kleinschreibung) bis hin zu den syntaktischen Kombinationsmöglichkeiten. Der Ursprung und vielmehr die Bedeutung der präpositionalen Fügung am sind ebenfalls nicht konsensfähig wie auch die Gründe der Verschmelzung mit dem bestimmten Artikel im Dativ (an+dem). Die größte Übereinstimmung erzielt das finite Verb sein und seine Funktion in dem am-Progressiv; es wird nämlich als Auxiliar beschrieben und dient zur Bildung einer analytischen verbalen Ausdrucksform, ähnlich wie beim Perfekt oder Passiv (vgl. Hentschel & Weydt 1994: 38). 2.2. Der Verlaufsinfinitiv Im Folgenden wird kurz auf die Formdefinition des Verlaufsinfinitivs eingegangen. Es bildeten sich hierzu zwei konsensfähige Meinungen. Einerseits nennen z.B. Ebert (2000) und Lass (1987) den Infinitiv in der Verlaufsform des Progressivs „Verbalsubstantiv“, was auf eine nominale 1 Oft auch als „rheinische Verlaufsform“, die Progressiv-Phrase oder der am-Progressiv bekannt. 46 Adam Tomas Lesart und auch substantivische Eigenschaften schließen lässt. Duden (1998), Reimann (1996) und van Pottelberge (2004) sprechen von einem „substantivierten Infinitiv“ mit typischen nominalen Eigenschaften. Hierzu einige Beispiele: (1) (2) (3) Er ist am Schreiben eines Buches/einer Geschichte. [gen-Attribut]. Sie sind am Umziehen in eine neue Wohnung. [präp-Erweiterung] Er ist am Romanschreiben. [Kompositum] Dem entgegnen Henschel & Weydt (1994: 38) wie auch Rödel (2004), indem sie den Verlaufsforminfinitiv als „Infinitiv eines Auxiliars“ zum Ausdruck einer morphologischen Bildung eines anderen (früher regional bedingten) Aspektunterschiedes einordnen und rücken somit den Kern des am-Progressivs näher zu der Verbalkategorie und bezeichnen den Infinitiv als semantische Ergänzung eines anderen Verbs. Um eindeutige und überprüfbare Definitionen des Verlaufsforminfinitivs zu erzielen, ist es am zielführendsten, den Verlaufsinfinitiv einigen Kombinationstests zu unterziehen. Das würde heißen, man müsse überprüfen, wie sich der Infinitiv in einer „substantivischen“ oder in einer „verbalen“ Umgebung verhalten wird. Als substantiviert gilt ein Infinitiv, wenn er typische Eigenschaften eines Substantivs nachweist, also mit einem Artikel oder Adjektiv verbunden ist, mit einer Präposition verknüpft ist oder durch ein Genitivattribut ergänzt werden kann. So ist beispielweise eine für Nomina typische Attribuierung durch Adjektive nicht möglich: (4) (4a) * Er war am lauten Lesen. (attributive Erweiterung ) Er war am Lesen eines Buches. (Erweiterung mit gen-Attribut ) ? Bei anderen substantivierten Infinitiven sind Erweiterungen dieser Art generell möglich: (5) (6) (7) Kartoffelschälen sieht langweilig aus. (adverbiale Erweiterung) Sein lautes Singen fiel allen auf. (attributive Erweiterung ) Sein Pfeifen war amüsant. (prädikative Erweiterung) Auch den verbalen Charakter des Infinitivs kann man ermitteln. So bleibt die dem Verb zugrundeliegende Valenz des Verlaufsinfinitivs in der am-Progressiv-Konstruktion erhalten, sowohl im StD wie auch im PeD: (8) Er ist ein Buch /einen Roman/eine Geschichte am schreiben. (akk-obj) (9) Anne ist die Brötchen am backen. (akk-obj) (10) PeD: Sie is d Schteeg am butza. (akk-obj) [Sie ist den Steg am putzen.] Eine adverbiale Erweiterung ist im am-Progressiv ebenfalls problemlos möglich: (11) Er war laut/lange am singen. (adverbiale Erweiterung ) (12) PeD: Es is schtarik am reara d gonza Dog. (adverbiale Erweiterung ) [Es ist stark am regnen den ganzen Tag.] Aufgrund meiner erhobenen Daten aus dem PeD lässt sich festhalten, dass mehr Beispiele für eine verbale Lesart unter den Pennsylvanischdeutsch-Sprechern gefunden werden können, Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 47 was auch die weiter unten stehenden Beispiele belegen. Eine präliminäre Schlussfolgerung würde bedeuten, dass sich der am-Progressiv in einem „Zwischenstadium“ (Reimann 1996: 90) befindet, da es mindestens jeweils eine eindeutige Situation gibt, in der sich der Infinitiv als verbal oder als nominal deuten lässt. Die noch folgenden Beispiele sollten jedoch die Meinung des Autors andeuten, dass diese Transition, in der sich der am-Progressiv befindet, tendenziell mehr verbale Eigenschaften aufweist und daher eine mögliche „neue“ Verbklammer im StD bilden könnte, eine progressive Verbklammer (seinfinitum+am+Vinf).2 2.3. Die Korrelation zwischen Präposition an/am und dem Die Präposition an ist formal auf die gotische bzw. germanische Präposition *ana zurückzuführen; ahd. an[a] und mhd. an[e] und ist sprachhistorisch mit der englischen Präposition on verwandt (vgl. Kluge & Seebold 1989: 68). Präpositionen dienen, oft als desemantisierte oder inhaltsleere Funktionswörter, zu einer grammatischen Markierung von Kasus (Rektionsverhältnis) und stellen eine syntagmatische Beziehung zwischen zwei Elementen her (Hentschel & Weydt 1994: 285). Sicherlich führen manche Präpositionen noch einige typische Merkmale, die ihre ursprüngliche Bedeutung oder Herkunft zeigen, diese wird jedoch immer weniger wahrgenommen, da Präpositionen beim Sprecher/Hörer keine semantische Beziehung mehr aufbauen, sondern zur Herstellung von grammatischen Relationen innerhalb eines Syntagmas dienen. Daher ist die ursprüngliche Bedeutung oder der Pfad der Desemantisierung heute nicht immer zweifelsfrei nachzuweisen. Der sprachlich-pragmatische Vorteil darin ist jedoch, dass oft eine einzelne Präposition unterschiedliche Funktionen bzw. Relationen aufbauen kann (in der Badewanne – lokal; in der Mittagspause – temporal; In Not geraten musste er sogar lügen. – kausal etc.). Auch bei der Präposition an sind solche multiplen Relationen möglich (an der Wand – lokal; an dem 25.05. – temporal; an die Frau Bundeskanzelerin – referenziell /modal etc.). Zu der Semantik von der Verlaufspräposition am, die eigentlich mit dem bestimmten Artikel verschmolzen ist, kann man heute sowohl für das StD wie auch für das PeD sicherlich sagen, dass sich eine solche singuläre Eigenbedeutung nicht mehr isolieren lässt und sie daher keine konkrete Bedeutung impliziert (dazu siehe auch Reimann 1996: 92). Es ergibt sich weder eine determinierende noch eine hervorhebende Funktion des Artikels oder der Präposition: (13) PeD: Elly is am schaffa / *an dem/*an einem schaffa. [Elly ist am schaffen.] Es ist auch keine rein lokale Implikation mehr zu isolieren: (14) Egon ist am arbeiten. (Wo ist „normalerweise“ der Ort des Arbeitens?) sondern (Was macht X gerade?) (15) Emma ist am heulen. (Nicht: Wo ist X? sondern Was macht X?) Hinzu kommt noch ein sehr offensichtliches formales Merkmal, woraus man schließen kann, dass es sich bei der Verlaufspräposition am um keine echte Präposition handelt. Sie kann nämlich nicht analytisch verwendet werden, wie in der Funktion einer echten Präposition (vgl. Duden-Grammatik 1998: 324, §567 (3)). 2 Dies ist zu vergleichen mit der Präposition zu, welche nach einer lexikalischen und grammatischen Reanalyse zu einer Infinitivpartikel geworden ist: zu+VInf (vgl. Gallmann 2010). 48 Adam Tomas (16) Emilia ist *an dem Basteln. aber (17) Am nächsten Morgen kamen alle. oder An dem nächsten Morgen kamen alle. Durch die Analyse der oben angeführten Beispiele lässt sich schnell die Frage beantworten, ob es sich bei dem aus einer Präposition und einem klitisierten Artikel entstandenen am überhaupt noch um eine präpositionale Fügung bzw. Präpositionalphrase handelt (Zifonun et. al. 1997: 1878; van Pottelberge 2004: 314; insbesondere aber Bhatt & Schmidt 1993: 79). Dies lässt den Schluss zu, dass am auf dem Weg ist, eine idiosynkratrische Fügung bzw. grammatische Partikel zu werden, welche einen Infinitiv einleitet, zumal die aspektuelle Lesart von am-Progressiven schon seit dem Mhd. belegbar ist (van Pottelberge 2004:231). 3. Die Wahrnehmung der Norm 3.1. Der Zweck der Norm Bei der Etablierung einer sprachlichen Norm geht es meistens um eine Abgrenzung zwischen mehreren parallel existierenden Varietäten und deren Einstufung auf einer Akzeptanzskala. Daher ist gerade der unmittelbare Kontakt der unterschiedlichen modifizierten sprachlichen Formen (von mir Modifikationen genannt) mit den standardisierten Formen bzw. mit der Sprachnorm von essentieller Bedeutung. Dies scheint meines Erachtens bei der Erforschung des am-Progressivs sowohl im PeD wie auch teilweise im StD nachweisbar zu sein. Der unmittelbare Kontakt von Substandards oder Varietäten einer Sprache dient als eine Art Katalysator in diesen Dynamikprozessen der graduellen Grammatikalisierung (Lenz 2003: 34). Betrachtet man die Entwicklung des am-Progressivs, wird deutlich, dass zwei auf den ersten Blick gleichbedeutende sprachliche Mittel parallel gebraucht werden können, um eine grammatische Funktion, hier der Verlauf einer Verbalsituation, auszudrücken: (18a) Ich esse/gerade/eben/jetzt/momentan. (18b) Ich bin am essen. und Zweifelsohne ist die standardisierte Stellung des einfachen Präsens mit Temporaladverbien der praktischen Tatsache geschuldet, dass diese Form geografisch ohne missverständliche Bedeutung überall verstanden werden kann und dadurch generell leichter diatopisch und diastratisch als akzeptabel angesehen wird, was wiederum den Einstieg in die Norm zur Folge hat. Durch die unterschiedlichen Untersuchungen von z.B. Reimann (1996: 193-194), Krause (2002: 318) und van Pottelberge (2004) konnte einerseits aufgezeigt werden, dass der am-Progressiv keineswegs mehr eine dialektale oder regionale Erscheinung ist, sondern eher ein Phänomen, welches eine ständige Ausweitung des Akzeptanzradius erlebt. Diese Ausweitung bewirkt durch ihre Koexistenz mit der Norm nicht zuletzt auch eine Erweiterung des Verwendungsradius des am-Progressivs. Bereits Mattheier bemerkt bezüglich der Varietätenkonvergenz und den Kontaktsituationen von Varietäten, dass die gegenseitige Beeinflussung trotz des oft stabilen Distanzverhaltens existiert: Nicht die Sprecherkompetenz wandelt sich, wohl aber die Hörerkompetenz. Sie weitet sich erheblich aus, so daß wir sowohl eine Verständlichkeits- als auch eine Akzeptabilitätserweiterung vor uns haben. (Mattheier 1996: 33) Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 49 Durch den erweiterten Verwendungsradius des am-Progressivs wird auch die Gradualität der Normierungsprozesse bzw. der allmähliche „Werdegang“ einer grammatischen Form sichtbar. Gleichbedeutende Formen oder Ausdrücke welche oft nebeneinander existieren, werden von der Sprechergemeinde zunächst toleriert, später im eigenen Sprachgebrauch auch eingesetzt und verwendet, was eine allmähliche graduelle Usualisierung bewirkt, sodass aus einer Modifikation allmählich ein akzeptierter Standard werden kann (Schrodt 1996: 72 und Wanzeck 2010: 43). Meiner Ansicht nach sind die Berührungspunkte zwischen PeD und dem Englischen oder dem StD und dem Englischen jedoch nicht maßgeblich für die präsente graduelle Grammatikalisierung von Progressiv-Formen verantwortlich weder im StD und noch minder im PeD. Der Einfluss des Englischen in den Gebieten in Deutschland, in denen sich der amProgressiv anfänglich ausbreitete, ist zu keinem Zeitpunkt, weder diachron noch synchron betrachtet, signifikant größer gewesen als in den Gebieten, in denen der am-Progressiv etwa verzögert vorkommt oder sich seine diatopische Ausbreitung verhaltener bemerkbar macht.3 Daher bin ich der Meinung, dass der Grammatikalisierungsprozess der von mir anvisierten Progressiv-Konstruktionen im StD in den letzten 300 Jahren in keiner signifikanten Weise enge Zusammenhänge mit dem Sprachkontakt zum Englischen zeigt. Auch im PeD gibt es diese Zusammenhänge nicht, die zweifelsfrei belegen könnten, dass es sich bei dem am-Progressiv um eine aus dem Englischen abgeleitete grammatische Form handelt. Die zu Forschungszwecken herangezogenen Belege, die weitaus über drei Jahrhunderte alte Beispiele des Gebrauchs von am-Progressiv dokumentieren, erweisen eindeutig, dass der am-Progressiv von den Gründungsvätern der mennonitisch-amischen Gemeinschaften in die USA mitgebracht wurde und in den jeweiligen Regionen der Einwanderer unter den normalen, gängigen Sprachusus fiel (vgl. Costello 1984 oder Elspass 2005a). Hierfür spricht auch die völlig differente Bauweise des Progressivs im Englischen (to be+ Ving), welche nicht als Vorlage für die am-Progressive dienlich war. Der Kontakt zu einer Sprache, in der es eigenständige Progressiv-Konstruktionen zum Ausdruck der verbalen Verlaufsform gibt, die auch zum Zeitpunkt des Sprachkontakts bereits grammatikalisiert waren, könnte diese Grammatikalisierungsprozesse im PeD zwar gefördert und unterstützt, aber sicherlich nicht initialisiert haben. 3.2. Kurze Entstehungsgeschichte des Standarddeutschen Nur in kurzen Zügen sollen hier ein paar wesentliche Fakten präsentiert werden, die dazu dienen, einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des StD (i.S.v. „Menge aller Standardvarietäten einer Sprache“ nach Ammon 1995) zu ermöglichen. Die Idee einer einheitlichen deutschen Sprache zwecks leichterer Kommunikation und effizienterem Handel reicht weit zurück ins Frühneuhochdeutsche mit dem Ziel, eine überregionale Geltung zu erzielen. Eine maßgebliche Richtlinie zu einer Vereinheitlichung der Sprache waren unter anderem die Sprachkanzleien und die Sprachpflegegesellschaften,4 die um einen Ausgleich bemüht waren, teils aus wirtschaftlichen Interessen, teils aus kulturellen Gründen und nicht zuletzt aus politischem Prestige. In der Kurze[n] Lehrschrift von der Hochteutschen Sprachkunst aus 1691 von Kaspar von Stieler (1632-1707) liest sich: Diese hochteutsche Sprache/ welche das Teutsche Reich auf Reichstägen/ in Kanzeleyen und Gerichten/ so wol die Geistlichkeit in der Kirche auf öffentlichen Kanzeln und im Beichtstuhl/ 3 4 Siehe dazu Elspass (2005b: 82). Dazu siehe von Polenz (1978: 98). 50 Adam Tomas wie nicht weniger Gelehrte in Schriften […] gebrauchen […] nicht als eine teutsche Mundart/ sondern als eine durchgehende ReichsHauptsprache/ vorstellen. (Stieler 1691: 1; Hervorhebungen von A.T.) Auch Johann Boediker (1641-1695) notiert in den Grundsätze[n] der deutschen Sprache: Die Hochteutsche Sprache ist keine Mundart eines einigen Volcks oder Nation der Deutschen/ sondern auß allen durch Fleiß der Gelehrten zu solcher Zierde erwachsen…[…]./ (Boediker 1746: 351; Hervorhebungen von A.T.) Der damalige Leitcode für Kommunikation in der Gesellschaft und somit die potenzielle Sprachnorm war die Mündlichlichkeit, die von Gelehrten artifiziell allmählich zu einer neuen Schriftlichkeit umgewandelt werden sollte (vgl. Zeman 2010: 21). Es wurde immer wichtiger, eine einheitliche Kodierung für die Kommunikation zu finden und dies geschah in Form von neuen orthographischen Regeln und normativen Grammatiken. Die Bemühungen um eine nicht-dialektal geprägte Kommunikationssprache verstärken sich im 18. Jh. mit der Idee eines Nationalstaates. Hinzu kommt auch das sich im 18. Jh. etablierende Bildungsbürgertum, das Bildung per se schon als Prestige und Norm wertete. Bücher und die Industrialisierung von Bildung in Form von verpflichtenden Schulen verstärkten letztendlich die Notwendigkeit von einer einheitlichen Sprachnorm (vgl. Lenz 2003: 30). Es vollzog sich also ein Paradigmawechsel von Monoglossie [im Dialekt] zu Diglossie [Dialekt mit einem regionalen Ausgleich-Standard], gefolgt von Entdiglossierung [Vertreibung von Dialekt] bis hin zu einer neuen Monoglossie, die als dialektfreie Norm gilt (vgl. Bellmann 1983: 106; Reichmann 2000; Elspass 2005a). Es fand eine weitere paradigmatische Verschiebung im Schriftverkehr statt, nämlich vom privaten hin zum öffentlichen Gebrauch, vom dialektalen zum unifizierten. Die Existenz einer reinen dialektfreien Norm und deren Nutzen sind heute allerdings stark umstritten. Ein Beispiel hierzu wäre die virale Kommunikation über das Internet und E-Mails, die sehr stark sowohl Elemente der geschriebenen wie auch der gesprochenen Sprache aufweist, also hybride Schriftstrukturen5 zeigt, aber immer mehr Akzeptanz findet. Daraus ergibt sich folgender Paradigmawechsel: Dialekt [Monoglossie] > Diglossie [Dialekt & neuer Standard] > Entdiglossierung [Vertreibung von Dialekt] > Norm [Monoglossie] Schema 1: Paradigmawechsel Problematisch erwies sich auch eine gewisse Diskrepanz zwischen der Perspektivierung von Hochdeutsch und Niederdeutsch, zunächst geografisch und diatopisch auf die Nord-Süd-Linie (Bennrather Linie6) weisend, die das Hochdeutsche vom Niederdeutschen abgrenzen sollte. Seit den 70-er Jahren des 20. Jhs. wird in der Literatur allerdings der Begriff Standarddeutsch bevorzugt, um hochdeutsche und niederdeutsche Dialekte nicht auszugrenzen oder ungewollt kontrastiv zu werten. Die Zweckmäßigkeit von Standardsprache als Norm ist erreicht, wenn das größte Maß an Überregionalität erreicht wird und eine diastratische und diaphasische Unifizierung stattfindet, um gesprochene Sprache zu verschriftlichen, ohne die propositionalen Inhalte zu verlieren. Die Existenz einer solchen einheitlichen präskriptiven Norm als Messinstrument ist allerdings stark umstritten.7 5 6 7 Schlobinski (2005: 140). König (2001: 135) oder Glück (2000: 104). Löffler (2005: 7). Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 51 3.3. Das Spektrum der Norm Wie bereits erwähnt, geht es bei der Etablierung einer sprachlichen Norm um eine Abgrenzung zwischen mehreren parallel existierenden Varianten und deren Einstufung auf einer Akzeptanzskala. Eine Abstufungsskala sollte darstellen können, wie weit „falsch“ und „richtig“ auseinander liegen. Eine solche Skala zu erstellen und diese Gradualität zwischen den Stufen zu eruieren, ist nicht unumstritten. Diese Formen, welche aber zwischen „Fehler“ und „Norm“ liegen, dürfen auch nicht länger ignoriert werden. In Anlehnung an Clyne (1984), Bellmann (2000) und Ammon et.al. (2004) möchte ich eine Zusammenstellung der von mir erbrachten Nivellierungen darstellen, ohne die Absicht zu haben, bestehende Parameter der Variationslinguistik zu missachten. Wohl wissend, dass die Definierung von Standard - Varietät - Dialekt in der Wissenschaft mehr als uneinheitlich geschieht, möchte ich dieser terminologischen Heterogenität keineswegs beitragen oder sie bewerten.8 Dies ist lediglich ein Versuch, eine Skala zu eruieren, um die von mir untersuchten grammatischen Neuerungen in diese einzugliedern. Dies könnte folgendermaßen dargestellt werden: • Fehler (Konstruktionen oder Wortgebrauch, mithilfe derer Kommunikation nicht möglich ist, • regionale Varianten (Dialekte, die sich stark durch spezifische Eigenmerkmale unterschei- • • • unterbrochene Illokution.) den, welche die regionale Herkunft betonen, wie z.B. Isoglossen oder auch subnationale Varianten. Der Gebrauch dieser Formen kann aber außerhalb der bekannten Gebrauchszone auch zum Kommunikationsabbruch führen. machen-makken; Apfel-Appel; Karfiol (österr.) - (dt.) Blumenkohl; ohne mir[dat] etc.) Varietäten (transnationale Variablen mit der Gesamtheit überregional geltender sprachlicher Merkmale, enthalten auch das Spektrum der Umgangssprache und den sprechsprachlichen Gebrauch unterhalb der normierten schriftlichen Ausführungen; die Differenzen sind durch soziolinguistische Faktoren begründet, jedoch akzeptiert und bekannt, z.B. Rahm-Töpfen; Möhre-Karotte; Nachtessen-Abendessen-Abendbrot; ich habe gefacebookt/gechillt/gegoogelt etc.) Sub-Standard (parallel zu einem anderen Standard geltende Regeln, z.B. Perfektbildung mit sein oder haben in Ich bin /habe im Regen gestanden; Genus der/das Bonbon, die/das EMail, Präpositionen auf /in Urlaub fahren etc.) standardisierte plurizentrische Norm (allgemeingültige, allgemeinverständliche und schriftlich anwendbare Form der Sprache, muss aber nicht tatsächlich in jeder Ausprägung verwendet werden.) Nach meinen Betrachtungen des StD und den letzten Untersuchungen des PeD bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass hier eventuell eine zusätzliche Stufe in der Skala ergänzt werden müsste, um die vielen parallel existierenden Sprachphänomene zu inkludieren. Daher würde ich folgende Zwischenstufe vorschlagen: • Modifikation (lexikalische Formen und grammatische Regeln, mit deren Hilfe Kommunikation möglich ist und deren Gebrauch (noch) keinen Eingang in die Standardgrammatik gefunden hat, sowie Formen, die abweichend von bekannten Ausprägungen sind, oft auch regional benutzt werden, die aber eine überregionale Akzeptanz und Bekanntheit aufweisen und daher Kommunikation ermöglichen. Das wäre z.B. die sich neu etablierende Weil-Satzstellung in 8 Ammon (1995: 283). 52 Adam Tomas Weil er ist nicht daheim. Diese Form ist in einer breiten Sprechgemeinde akzeptiert und kann von der Norm nicht weiterhin ignoriert werden. Ähnlich ist es mit dem am-Progressiv im Satz Ich bin ein Buch am lesen. Auch diese Form ist überregional verbreitet. Nicht jeder Sprecher würde diese Form zwar in sein persönliches Repertoire einfügen, sie ist aber nahezu jedem Muttersprachler, insbesondere vielen Ausländern, als mögliche Alternative bekannt und vor allem verständlich.) Welchen Stellenwert haben die Modifikationen Ich bin ein Buch am lesen oder die neuartige Satzstellung Weil er ist nicht daheim in den deutschen Varietäten? Bislang wurde stark angenommen, dass diese Fehlformen durch defizitäres Regelwissen entstehen. Wenn sie jedoch unter gewissen Umständen zur Kommunikation befähigen und produktiv sind, sollten sie dann noch als Fehler sanktioniert werden? Im PeD werden diese Modifikationen in den Sprachgebrauch integriert. Warum ist dies so? (M)Eine mögliche Antwort liegt in dem bislang noch nicht strikt normativen Pennsylvanischdeutschen. Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass diese Skala eine Arbeitsskala für meine derzeitige Forschung ist, da ich bei der Auswertung meiner Daten oft Formen vorfinde, welche die bestehende normative Grammatik nicht immer eindeutig klassifiziert, die man aber linguistisch nicht länger ignorieren sollte. Durch die erwartbare Komponente des Sprachwandels wird auch die Gradualität der Normierungsprozesse ermöglicht, da es einen kommunikativen Akzeptanzradius gibt, der oft parallel funktionierende Formen beinhaltet, obwohl diese von den Sprechern selbst nicht regelmäßig verwendet werden. Dies ermöglicht die graduelle Ausdehnung einer sprachlichen Variante und dadurch wird aus einer Modifikation allmählich ein Substandard. Die von mir ergänzte Skala würde daher wie folgend aussehen: Fehler > Modifikationen > Regionale Varianten > Varietäten > Sub-Standard > Norm Schema 2: Modifikationen in der Sprache Neue Forschungsprojekte zielen genau darauf ab, diese notwendigen Parameter zu definieren, damit man den Forschungsgegenstand der Variationslinguistik etablieren kann und damit die Ergebnisse nicht als Anomalien des hochsprachlichen Standards abgewertet werden, sondern als gleichberechtigte Variationen einer plurizentrisch geprägten Sprachkonstante. Werden die oben dargestellten Parameter kurz auf das PeD projiziert, könnte man folgende Merkmale festhalten. So wird schnell deutlich, dass das PeD eher als Non-Standardsprache fungiert, d.h. als Sprache im Gegensatz zu einer einheitlichen Standardsprache stehend, wie z.B. das Althochdeutsche, welches keine Standardvarietät hatte (vgl. Ammon 2011: 21). Das PeD ist bislang nicht kodifiziert, es gibt auch kaum Sprachkodizes im Sinne autoritativer Nachschlagewerke. Diese existieren wenn überhaupt eher zum usuellen Nachschlagen bei lexikalischen Zweifelsfällen. Weiterhin werden diese Regeln bzw. Anwendungsprinzipien nicht förmlich gelehrt und haben in den USA auch keinen Amtssprachenstatus. Schlussendlich wird das Einhalten dieser Prinzipien auch nicht von Sprachnormautoritäten kontrolliert. Daher können sich starre Gebrauchsregeln nicht etablieren und eine Legitimität gewinnen, weil die Begründung oder Entlohnung (Prestige, Nationalität etc.) gänzlich fehlen. Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 53 4. Das Pennsylvanischdeutsche und der am-Progressiv 4.1. Die Datenerhebung Die in 3.2. beschriebenen Normierungstendenzen und Entwicklungsstufen haben sich im PeD nicht oder nur vereinzelt vollzogen, was dazu beigetragen hat, die Normierungsprozesse abzumildern. Dies ist auch durch die Analyse der Briefe von Auswanderen in die USA ersichtlich (vgl. Costello 1984; Elspass 2005a: 110) und durch die mir zugänglichen Textquellen in PeD (Anthologien, Zeitschriften). Letztendlich ergab sich mir dieses Bild einer nicht prestigeorientierter Sprache auch durch die persönliche Kontaktaufnahme mit den Sprechern des Pennsylvanischdeutschen im Juli 2014 bei meiner Feldforschung. Ich habe in zehn Countys in Pennsylvanien und Ohio 40 Sprecher interviewen können. Abbildung1: Countys in den USA Jedes Informantengespräch wurde mit einem kurzen Vorstellungsgespräch eingeleitet, in dem den Probanden die Studie und der Zweck, nicht jedoch die einzelnen, zu untersuchenden grammatischen Inhalte erklärt wurden. Die Probanden erhielten eine Aufklärung über den Verbleib und den Umgang mit den Daten bzw. sie konnten der Auswertung von diesen Daten zu wissenschaftlichen Zwecken zuzustimmen unter meiner Zusicherung, dass ihre persönlichen Daten anonym bleiben. In der Befragung wurden auch unterschiedliche Altersgruppen und der gesellschaftliche Status bzw. die Zugehörigkeit berücksichtigt, da diese soziolinguistischen Parameter bei der Auswertung oft ins Gewicht fallen können und gewisse Performanzunterschiede darauf zurückzuführen sind. Die Daten wurden in zwei Quellgruppen eingeteilt, die religiösen Gruppen (auch secatarians oder plain-people genannt), die andere Gruppe wurde von mir die Deitschen genannt, weil sie sich selbst als „deitschstämmmig“ bezeichnen. Muttersprache relig.Gruppen m w männlich weiblich Muttersprache Deitsch 20 5 16 Muttersprache Englisch 8 5 Beides 1 1 Insgesamt 29 11 3 Deitsche m w 3 3 1 8 4 1 1 21 19 Tabelle 1: Einteilung nach Muttersprache und religiöser Zugehörigkeit [relig. Gruppen: Old-Order-Amish, Old-Order-Mennoniten, New-Order-Mennoniten] 54 Adam Tomas Im PeD lässt sich beobachten, dass sich die jüngeren Sprecher von der Englisch sprechenden Gemeinde beeinflussen lassen, während die älteren Sprecher eine gewisse Resistenz zu lexikalischen oder grammatischen Neuerungen in der Sprache zeigen. Auch wurde aufgrund der vorherigen Datenerhebungen von Linguisten angenommen, dass religiöse Gruppen eher zu einem lexikalischen Konservatismus neigen, wohingegen die liberalen und moderaten Strömungen unter den Pennsylvanischdeutschen auch Neuerungen in die Sprache aufnehmen. Die von mir bezüglich des am-Progressivs erhobenen Daten zeigen aber, dass diese Konstruktionen unabhängig von Alter und religiösem Status von allen Befragten benutzt werden. Die unten dargestellte Boxplots-Grafik zeigt, dass der Gesamtgebrauch von am-Progressiven mit der religiösen Zugehörigkeit der Befragten tendenziell ansteigt, der Median liegt aber in allen Gruppen bei über 20, d.h. bei über 50% der Befragten. Status Median OOA 28,5 OOM 28 NOM 22,5 DTS 23 Abbildung 3: Gesamtgebrauch von am-Progressiv-Konstruktionen nach religiöser Zugehörigkeit Der von mir konzipierte Fragebogen besteht aus 43 Fragen, die grammatisch enkodiert sind. Jede Frage bzw. jede Situation, in die der Sprecher versetzt wird, ist der Träger einer grammatischen Information, welche im Fokus meiner Varietätenlinguistik steht. Es wird zunächst versucht eine spontane, alltägliche Situation aufzubauen, welche die Probanden dann ins PeD transferieren müssen. Die Ausgangspache ist Englisch, teils um die Probanden nicht in die präsupponierten Konstruktionen zu führen, teils auch deswegen, weil die Mehrheit der Amischen kein Hochdeutsch im Alltag verwendet. Die mündlichen Antworten wurden mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet, alle Beispiele im Artikel sind also Transkriptionen.9 4.2. Auswertung der Daten Die ganze Studie ergab ein Korpus von über 1720 Sätzen, welche die Grundlage meiner empirischen Forschung sind. In diesem Artikel möchte ich drei Teilbereiche kurz hervorheben, 9 Bei allen Sätzen im PeD in dieser Arbeit handelt es sich um Sätze, die vom Audio-Recorder transkribiert wurden und nach dem Prinzip der deutschen Orthografie aufgeschrieben wurden, damit es alle Leser des Deutschen verstehen können. Es sind keine Beispiele für das geschriebene Pennsylvanischdeutsch, weil ich die Orthografie des Pennsylvanischdeutschen nicht beherrsche. Beispiele aus meinem Korpus werden mit „PeD“ gekennzeichnet. Fremdbelege werden immer mit Autor oder Quelle gekennzeichnet. Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 55 um die Grammatikalisierung der am-Konstruktionen im PeD aufzuzeigen. Es handelt sich um die Verbalkategorien Tempus, Modus und Genus verbi. 4.2.1. am-Progressiv und das Tempusparadigma Anhand meiner Daten ist es leicht zu zeigen, dass der am-Progressiv problemlos durch das ganze Tempusparadigma dargestellt werden kann:  Präsens (19) PeD: Die Ann is am Äppl schäla. [Die Anne ist am Äpfel schälen.] (20) PeD: Es is wenich drieb draußa un ´s is d ganza Daag am reahra. [Es ist wenig trüb draußen und es ist den ganzen Tag am regnen.] (21) PeD: Ebba is am froga, wo d Petrus is. Der is net daheem, eah is am schaffa uf m Feld. [Jemand ist am fragen, wo der Peter ist. Der ist nicht Zuhause, er ist am schaffen/ arbeiten auf dem Feld.]  Präteritum (22) PeD: Ich hab die Ann gshena und sie woah Äppl am schäla. [Ich habe die Anna gesehen und sie war Äpfel am schälen.] (23) PeD: Es woahr am reahra d gonza Daag. [Es war am regnen den ganzen Tag.] (24) PeD: D Petrus woah net daheem, er woah am schaffa im Feld. [Der Peter war nicht zu Zuhause, er war am schaffen/arbeiten im Feld.]  Perfekt (25) PeD: Die Ann is am Äppl schäla gwen. [Die Anna ist am Äpfel schälen gewesen.] (26) PeD: Es is am reahra gwen d gonza Daag. [Es ist am regnen gewesen den ganzen Tag.] (27) PeD: D Peter is net hiem na, er is am schaffa gwen ins Feld. [Der Peter ist nicht zu Zuhause jetzt, er ist am schaffen/arbeiten ins Feld.]  Plusquamperfekt (28) Der eldescht Bruder waar noch draus im Feld. Er waar der ganze Daag am Frucht schneide gwesst.10 [Der älteste Bruder war noch draußen im Feld. Er war den ganzen Tag am Frucht (Ernte) schneiden gewesen.] 10 Beispiel aus der Zeitung Hiwwe wie Driwwe, http://issuu.com/hiwwewiedriwwe/docs/hwd_2.11.pdf_e-paper_ (15. Dez. 2015 noch abrufbar). 56 Adam Tomas Diese Belege lassen den Schluss zu, dass der am-Progressiv im PeD, wie auch partiell im StD, ein weitgehend voll funktionsfähiges Tempusparadigma gebildet hat. Sogar Erweiterung durch Modalverben im Präsens sind weitgehend unproblematisch und oft zu belegen, wie auch der epistemische oder inferentielle Gebrauch von Modalverben im Präteritum: (29) PeD: Du musst am schaffa sei, wenn d Pap heem kummt! [Du musst am schaffen/arbeiten sein, wenn der Papa nach Hause kommt!] (30) Sie misste am Quilts mache sei! (aus Burridge 1992: 214) [Sie müsste am Quilts (Stickerei) machen sein!] So kann festgestellt werden, dass der eigentliche Unterschied in der Distribution des kompletten Tempusparadigmas nur darin besteht, dass der Gebrauch im StD (noch) nicht als normkonform eingestuft wurde.11 Es bestehen aber keine morpho-syntaktischen Hindernisse, welche eine solche Distribution rechtfertigen würden. Im PeD ist dieser Gebrauch im gesamten TempusSpektrum weitgehend präsent. 4.2.2. Modus Der Modus ist eine grammatische Kategorie des Verbs, mit der man die morphologisch kodierte Haltung des Sprechers zur Realität oder zu den Realisierungsmöglichkeiten des Sachverhaltes ausdrücken kann. Das Deutsche unterscheidet drei morphologisch distinguierte Modi: den Indikativ (er singt), den Konjunktiv (er singe, er sänge) und den Imperativ (sing(e)!). Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die Verbalkategorie Modus und am-Progressive im Konjunktiv und Imperativ korrelieren. Die von mir vorläufig ausgewerteten Daten zeigen, dass sich im PeD im Vergleich zum StD evidente Unterschiede im Distributionsradius ergeben. Sätze wie Sei am arbeiten! bilden im StD eher die Ausnahme, werden stark sanktioniert und haben eine stark regionale Verbreitung.12 Im PeD dagegen haben sie einerseits eine sehr hohe Verbreitung und andererseits kann man den Gebrauchsradius problemlos erweitern: (31) PeD: Sei am schtudya, wenn ich zrick kumm! [am-Progressiv als Imperativ] [Sei am studieren, wenn ich zurückkomme!] (32) PeD: Seid di Fence am painta, wann d Doody heem kummt! [am-Progressiv als Imperativ] [Seid den Zaun am streichen, wenn der Vater zurück kommt!] (33) PeD: Dihr sollat am lerna sei, wonn ich zrick kumm! [am-Progressiv mit MV] [Ihr sollt am lernen sein, wenn ich zurückkomme!] In manchen Situationen wurde sogar vereinzelt mit Konjunktiv II geantwortet, wie etwa in (34) PeD: Dihr besser wärt am lerna, wenn ich zrick kumm! [Ihr besser wäret am lernen, wenn ich zurückkomme!] (35) PeD: Dihr besser wärt am schaffa, wann d Dad heem kummt! [Ihr besser wäret am schaffen, wenn der Vater zurückkommt!] 11 12 Die sehr restriktiven Beispiele lassen sich durch eine COSMAS-Recherche leicht überprüfen. Vgl. dazu Reimann (1996: 147). Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 57 was wiederum davon zeugt, dass am-Progressive mit Konjunktiv II grundsätzlich möglich sind. Durch die etwas spezifischen Anwendungsbereiche von Konjunktiv II (Wünsche, irreale oder konditionale Relationen, Vergleiche etc.) ist auch die niedrige Zahl der Belege zu erklären. Dennoch ist auch hier deutlich geworden, dass der Restriktionsradius im PeD deutlich geringer ist und die von mir bislang nur teilweise ausgewerteten Sätze belegen, dass in der Verbalkategorie Modus das PeD im Vergleich zum StD doch wesentliche Vorteile in der Grammatikalisierung erlangt hat. 4.2.3. Genus verbi Aus meiner präliminären Auswertung sind die Ergebnisse aus dem der Bereich Genus verbi sicherlich am auffälligsten. Bislang galt die Vermutung, eine Eingliederung des amProgressivs in diese Verbalkategorie sei selten bis so gut wie noch nicht evident und aufgrund der strukturellen Beschaffenheit von Passiv-Konstruktionen nicht produktiv, weder in den Dialekten, noch in den Sprachinselvarietäten und gänzlich nicht im StD (Costello 1984; Reimann 1996; Krause 2002). Einerseits setzen Passiv-Konstruktionen generell einen Perspektivenwechsel bzw. eine Agens-Patiens-Korrelation voraus. Allein die Frage nach dem Zweck von Passivsätzen ist noch immer nicht eindeutig geklärt. Andererseits wird für ein Passivparadigma auch ein komplexes morpho-syntaktisches Inventar benötigt und der Aufbau der nötigen Konstituenten für eine Passivstruktur vollzieht sich generell langsam. Dies führt zu der Annahme, dass Passiv eine relativ „späte Entwicklungsphase“ in der Sprachevolution darstellt (siehe Leiss 1992: 73; Kotin 1998: 43 und Baugh & Cable 2002). Neben dem Standardinventar seinfinitum+am+Vinf wird noch ein Partizip perfekt (pii) benötigt, um eine vollwertige passivfähige am-Progressiv-Konstruktion zu erschließen. Im StD (und fast allen Dialekten) wäre der Satz ?Viele Häuser sind am gebaut werden eher als eine Seltenheit aus dem Idiolekt eines Einzelnen einzustufen. Es stellen sich hier Fragen wie: Welche Beziehung herrscht zwischen dem PII und Verlaufsinfinitiv? oder Ist das PII mit dem Verlaufsinfinitiv als Verbalkompositum anzusehen? und nicht zuletzt Ist das Konstrukt dann groß oder klein zu schreiben? Partizipialkonversionen von PII mit Infinitiven sind im StD nicht unmöglich, sind aber eher nicht alltäglich, wie z.B. im folgenden Satz Das Wiedergewähltwerden ist der Wunsch eines jeden Politikers. Aufgrund eines Determinators liegt hier eine nominale Lesart vor, daher erfolgt auch Großschreibung. Dagegen sind Verbindungen von PII und Infinitiven im StD als grammatische Struktur schon aus dem Passiv bekannt und stellen daher fest etablierte grammatische Einheiten dar, wie beispielweise Der Tunnel wird bis August repariert werden oder Abgeholt werden können die Bestätigungen im Büro in der Schellingstraße 10. Da es sich bei dieser Kombination von PII und Infinitiv um feste verbale Komponenten von Passivkonstruktionen handelt, die mithilfe des Auxiliars werden ein Prädikat ausdrücken, ist der Verbindung von PII und Infinitiv generell eine verbale Lesart zuzuordnen. Diese verbale Lesart ist meines Erachtens auch bei der sich neu etablierenden progressiven Verbalklammer zu erkennen, die mit dem Auxiliar sein nun eine neuartige Passivkonstruktion erschließt (seinfinitum+am+PII+werdeninf). Diese Schlussfolgerungen stütze ich auf die von mir erhobenen Daten über die am-Progressivklammer. In meinem Fragebogen sollte unter anderem abgefragt werden, wie spontan man im PeD einen Passivsatz mit am-Progressiv bauen kann. Von 40 Teilnehmern wurden die Passiv-Situationen durchschnittlich von 19 Personen (48%) mit einer am-Passiv-Konstruktion beantwortet, was folgende Variationen zeigen: 58 Adam Tomas (36) PeD: Do sind etliche Haisa am gebaut warra. [Da sind etliche Häuser am gebaut werden.] (37) PeD: A few Haisa sind am gbaut warra dorum. [Ein paar Häuser sind am gebaut werden hier.] (38) PeD: Fiel Haisa sind am ufgeduhn warra do in d letscht Zeet. [Viele Häuser sind am aufgebaut werden hier in der letzten Zeit.] (39) PeD: Es letschde mol, ass ich eich gsehne hab, woahr eiha Haas am gbaut werra. [Das letzte Mal, als ich euch gesehen habe, war euer Haus am gebaut werden.] (40) PeD: Hello, dei Pois sind am eingwrappt werra now, please hab an Sitz. [Hallo, Deine Kuchen sind am eingewickelt werden jetzt, bitte nimm Platz.] Auch andere Linguisten können hin und wieder die spärlichen Passiv-Sätze belegen, wie etwa (41) Des Dach is an gfixt wadde, so gschwind as ich ´s afforda kann. [Dieses Dach wird repariert (werden), sobald ich ´s mir leisten kann.] (Bsp. und Übers. aus Louden 2005: 257) (42) Blaume sin am verkaaft waerra beim Kahl am Eck. [Plums are being sold by the chap at the corner.] (Bsp. und Übers. aus Burridge 1992: 221) Auch van Pottelberge (2004: 235) hat bereits konstatiert, dass es eine spürbare Trendwende in dem Sprachbewusstsein der PeD-Sprecher gab, was in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. zu einer Neuerungswelle in dem Sprachgebrauch geführt hat. Manche Informanten konnten jedoch nicht auf Anhieb einen passivisierbaren am-Progressiv hervorbringen und verfielen ins Codeswitching, da die englische Passiv-Bauweise vertrauter war: (43) PeD: De letzscht Zeit ich hab dich gsehna, du woascht...dei Haus was being gebaut. [Die letzte Zeit ich habe dich gesehen, du warst …dein Haus was being gebaut.] Hier wird aber sofort deutlich, dass der am-Progressiv keine Lehnübersetzung aus dem Englischen sein kann (being+PII), weil das morphologische Forminventar different ist. Schlussfolgernd möchte ich daher festhalten, dass es im PeD einige Neuerung zu beobachten gibt. Die schon über Jahrhunderte präsente am-Progressiv-Konstruktion ist in der Sprache der Pennsylvanischdeutschen weiterhin produktiv und erschließt meinen vorläufigen Ergebnissen zufolge neue Wege, grammatische Ausdrucksmittel zu produzieren. Im Gegensatz zum StD zeichnet sich im PeD eine klare und überprüfbare Tendenz ab, eine passivisierbare am-Progressiv Konstruktion zu etablieren. Dies könnte unter anderem primär durch zwei Faktoren begünstigt worden sein. Lexikalisch und morphologisch gesehen ist die permanente Koexistenz von zwei oder mehreren modifizierten Konkurrenzformen als Ausdrucksmittel eben die Notwendigkeit, welche diese noch nicht normkonformen Modifikationen zum Substandard werden lässt. So können sich unterschiedliche funktionale Ausdrucksmittel ungehindert parallel entwickeln. Eine Selektion oder Begünstigung einer dieser Formen passiert erst viel später. Sozio-linguistisch betrachtet hat das PeD als Sprachentität bislang keinen prestigeorientierten Zugzwang Variationslinguistik und ihre Methoden: Deskriptiv vs. Normativ 59 gezeigt oder eine präskriptive Normierung hervorgebracht. Somit sind keine eliminativen präskriptiven Normierungsprozesse zustande gekommen sondern eher deskriptive Formen, die primär der Kommunikation dienen, nicht aber einen elitären Charakter des Sprechers oder eine Bewertung des Gesprochenen wiedergeben. Eben diese zwei benannten Faktoren dürften den Grammatikalisierungsprozess von am-Progressiv im PeD im Vergleich zum StD erheblich beschleunigt haben. 5. Summary I firmly hope my exposition and the presented data could underline two facts. Firstly, the am-progressive construction is neither only a regional dialect-expression nor an expression of grammar anomalism. It is rather a very simple – and historically spoken – an old-known periphrastic verb form, with some kind of aspectual markedness. The usage of am-progressive is drastically increasing in both varieties on the whole diastratic spectrum. Secondly, I would make a note of this point, that Pennsylvania German (PaG) has an undeniable and considerable lead in the grammaticalization race of the progressive constructions. This might originate from two other facts. PaG-speakers use the am-progressive forms far more frequently than any other speakers of Standard-German (StG) or related dialects in German. Further, PaG has no prestige markedness as does StG, and has therefore only a few restrictions of usage of the am-progressive. By applying certain non-standard phrases or by using some particular words, one is recognized as a user of dialect. The usage of words or even whole phrases form regional dialect in StG has not always been viewed as an appropriate and accepted style. Even in schools it was not desirable to speak or use dialects (von Polenz 1978: 12). In PaG these factors of prestige and re-evaluating or classifying the speakers according to the frequency of dialect words in their speech is not evident. The lack of this prescriptive or normative standard in PaG and the frequent coexistence of modifications (Ich bin es Buch am lese./ Ich les graad es Buch) are accelerating the grammaticalization of those forms. Bibliographie Abraham, W. & Janssen, T. (Hg.) (1989): Tempus-Aspekt-Modus. Linguistische Arbeiten Bd. 237. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. Ammon, U. (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin [u.a.]: Gruyter. Ammon, U. (2011): Sprache – Varietät/Standardvarietät – Dialekt. Applied & Interdisciplinary Papers. 2nd ed. with divergent page numbering, 2011, Bd 147, 1-33. Ammon, U. (Hg.) (2004): Variantenwörterbuch des Deutschen: Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. 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Einleitung Das Zimbrische ist eine bairisch-basierte Minderheitensprache, die bis vor einigen Jahrzehnten in einem weiten Gebiet an der Grenze zwischen Veneto und Trentino, in Nordostitalien, verbreitet war. Gegenwärtig wird Zimbrisch nur in der oben erwähnten Gemeinde Lusérn aktiv gesprochen, während es in den venetischen 7. und 13. Gemeinden als „Erinnerungssprache“ (Bidese 2011: 11) zu betrachten ist. Aus diesem Grund wird hier nur die Varietät von Lusérn untersucht, da in diesem Dorf die Anzahl der fließenden Sprecher noch relativ hoch ist.1 Laut der traditionellen historischen Hypothese wurde das heutige zimbrische Sprachgebiet im 11. Jahrhundert von Bauern und Waldarbeitern aus Bayern und Tirol besiedelt (vgl. Bidese 2004). In den darauffolgenden Jahrhunderten hatte die Bevölkerung nur indirekte Kontakte mit dem Heimatland, sodass ihre Mundart von den anderen bairischen Inlandsdialekten getrennt wurde. Diese Isolation hat einerseits die konservative Erhaltung mittelhochdeutscher * Eine erste Version dieses Beitrags wurde in Oktober 2015 bei dem 5. Diskussionsforum Linguistik in Bayern in München vorgestellt. Ich möchte mich bei den Organisatoren und Herausgebern dieses Bandes Daniel Holl, Caroline Trautmann, Patrizia Noel und Barbara Sonnenhauser für die freundliche Aufnahme und beim Publikum, insbesondere bei Theo Vennemann, Susanne Oberholzer, Mateusz Maselko und Elena Skribnik für die kritische Anmerkungen bedanken. Darüber hinaus bedanke ich mich bei A. G., V. N. C., L. N. C., G. N., E. N. P. und A. Z. für die Teilnahme an den Sprachinterviews, sowie bei Ermenegildo Bidese, Andrea Padovan, Cecilia Poletto, Petra Strasser und Andreas Hölzl für die fruchtbare Diskussionen über das Thema und für die sprachliche Revision des Textes. Ich bin für die verbleibenden Ungenauigkeiten verantwortlich. Die Arbeit ist im Rahmen des Promotionsprogramms Le Forme del Testo (Jahrgang 2014-2015) an der Universität Trient entstanden. 1 Laut der von der Abteilung für Statistik der Provinz Trento im Jahr 2014 durchgeführten Erhebung über die Konsistenz und die geographische Verteilung der ladinisch-, zimbrisch- und fersentalerischsprachigen Bevölkerung wird Zimbrisch von 238 von 279 Einwohnern in Lusérn gesprochen. Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Claudia Turolla 64 Claudia Turolla morpho-phonologischer Elemente (vgl. Kranzmeyer [1923] 1981), anderseits die Entwicklung syntaktischer Eigenheiten, die in keiner anderen binnendeutschen Varietät zu finden sind,2 ermöglicht. Im Gegenteil dazu scheinen diese hochspezifischen Aspekte mit denen in anderen germanischen Minderheitensprachen in Italien vergleichbar, wie z.B. dem Fersentalerischen (vgl. Cognola 2012). Die zimbrischen Mundarten stellen ein interessantes Forschungsobjekt seit den Anfängen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprachen dar: Einer der Väter der modernen Germanistik, Johannes Schmeller, hat sich intensiv der Erforschung dieser Sprache gewidmet; auch die Vertreter der sogenannten Wiener Schule der Mundartforschung (Anton Pfalz, Eberhard Kranzmeyer und Maria Hornung) haben sich eingehend damit beschäftigt. In den letzten Jahren gab es ein wachsendes Interesse an der zimbrischen Syntax, insbesondere im Rahmen der Generativen Grammatik unter der Perspektive der Mikrovariation (u.a. Bidese 2008, Bidese et al. 2012, Grewendorf & Poletto 2009, 2011). Schwerpunkte der Untersuchungen sind hauptsächlich die Position des flektierten Verbs im Hauptsatz, die Struktur der Nebensätze mit einleitender Konjunktion und die Erweiterung der Hauptsatzordnung auf Nebensätze gewesen. Ein bisher kaum erforschter Bereich ist die Syntax der Nominalphrase. Tatsächlich ist ihre Struktur für weitere Vertiefungen in der Frage des syntaktischen Wandels bestens geeignet, da sich germanische und romanische Varietäten in Hinblick auf die Eigenschaften der Nominalphrase typologisch klar unterscheiden (vgl. Longobardi 2001). Darüber hinaus zeigt das Zimbrische viele eigenartige Phänomene, die aber typisch für Minderheitensprachen sind (z.B. vgl. Guardiano & Stavrou 2014 über Grico und Bovese, zwei griechisch-basierte, in Süditalien gesprochene Mundarten, Dal Negro 2011 über die Walser). Unter diese Phänomene fällt auch die adjektivische Modifikation, auf die mein Beitrag sich hier beschränkt. 2. Syntax der Adjektive: Der theoretische Rahmen Bevor das zimbrische Adjektivsystem präsentiert wird, ist an diesem Punkt von Vorteil, einen kurzen theoretischen Überblick über adjektivische Modifikationen zu geben.3 Im Rahmen der Generativen Grammatik haben eine ganze Reihe von Studien zunächst gezeigt, dass es eine Hierarchie in der Reihenfolge der Adjektive gibt, sodass man bezüglich der bedeutenderen semantischen Kategorien folgende implikationale Reihenfolge annehmen darf: Quantität > Qualität > Größe > Farbe > Nationalität / Herkunft. Diese Rangordnung ist im folgenden englischen Beispiel aus Guardiano & Stavrou (2014: 124) deutlich sichtbar: three beautiful big grey Persian cats. Eine solche Ordnung wäre ungrammatisch auf Italienisch: *tre bei grandi grigi persiani gatti. Wenn man jedoch ein ‚rollup phrasal movement‘4 (Cinque 2010: 91) postuliert, und zwar eine Bewegung der gesamten Nominalphrase über die vorgesehenen adjektivischen Projektionen, wird eine wohlgeformte italienische Nominalphrase erzielt: tre bei grandi gatti persiani grigi, wobei die Anordnung der postnominalen Adjektive das Spiegelbild der Reihenfolge der gleichen, pränominalen 2 Während der zimbrische Wortschatz eine massive Entlehnung romanischer Elemente aufzeigt (vgl. Gamillscheg 1912), ist es noch zu klären, welche Rolle der Sprachkontakt mit den umliegenden romanischen Varietäten und mit dem Standarditalienischen zur Entwicklung bestimmter syntaktischer Phänomene hatte (vgl. für zwei abweichende Positionen: Bidese et al. 2014 und Kolmer 2012). 3 Vgl. Alexiadou et al. (2007) für umfassende Literatur. 4 In diesem Beitrag wird das theoretische Modell der adjektivischen Modifikation von Cinque (2010, 1994) nur in seinen Grundzügen wiedergegeben. Für eine vollständige Beschreibung siehe die Arbeiten des Autors. Die Nominalphrase im Zimbrischen von Lusérn 65 Modifikatoren in dem englischen Satz ist. Die universale Rangordnung bleibt für die westgermanischen Sprachen intakt, die in der Tat keine NP-Bewegung aufzeigen (vgl. Crisma 1993). Wie man weiter unten genauer sehen wird, zeigt das Zimbrische eine eigenartige Bewegung: Die Nominalphrase kann sich über einige Projektionen bewegen und somit einige Adjektive einverleiben. 3. Adjektive im Zimbrischen: Theoretischer Überblick Die Frage der zimbrischen Adjektivstellung wird in Poletto (2013: 90) kurz erwähnt: Another indication that Cimbrian is rather a language like English in the sense that the lexical head does not move comes from the syntax of the Noun Phrase, where adjectives are constantly prenominal like in English and never postnominal like in Italian (which has both orders depending on the class of adjectives and in some cases on the interpretation): a. A naüga arbat b. A arbat naüga?? Im Gegensatz dazu stellen Alber et al. (2012) fest, dass Adjektive in der zimbrischen Varietät der in Veneto liegenden Ortschaft Giazza oft postnominal erscheinen: Disa is an korpete diese ist einen pullover ‚Das ist ein roter Pullover‘ roat (Alber et al. 2012: 15) rot.Ø Die Grammatik des Zimbrischen von Bruno Schweizer ([1951-1952] 2008) berichtet davon, dass einige Adjektive nachgestellt werden können, obwohl es eine Widersprüchlichkeit in Bezug auf die morphologische Form nachgestellter Adjektive gibt:5 „Adjektiv […] steht gewöhnlich vor dem Substantiv, auf das es sich bezieht“ (p. 673); „Die Stellung nach dem Substantiv soll dem attributiven Adj. eine gewisse Betonung geben. […] Oft wird diese Stellung, die wir als undeutsch empfinden, von unflektierten Adjektiven eingenommen“ (p. 673); „Wenn das Adj. dem Subst. nachgestellt wird, was in Roana oft der Fall ist, kongruiert es gewöhnlich mit dem Subst. wenigstens in Genus und Numerus“ (p. 390): an groza un baita ramana kella eine groß.nom.f.sg und breit.nom.f.sg messing.nom.f.sg kelle ‚eine große breite Messigkelle mit vielen Löchlein‘ (Schweizer [1951-1952] 2008: 673) hat galumet proat trukanz hat mitgenommen broat trocken.Ø ‚hat trockenes Brot mitgenommen‘ (Schweizer [1951-1952] 2008: 673) 5 „Was das attributive Adjektiv anbelangt, gibt es im Zimbrischen zwei Flexionsmuster: ein schwaches und ein starkes“ (Panieri et al. 2006: 125). Dieses System scheint dabei zu sein, sich stark zu reduzieren: Schon viele Endungsmorpheme sind Nullmorpheme geworden. In prädikativer Position ist der Modifikator ohne Flexion, sowohl im Standarddeutschen als auch in den meisten deutschen Mundarten (aber vgl. Fleischer 2007 für flektierte prädikative Adjektive im Höchstalemannischen). 66 Claudia Turolla met aitel stöpferlen gelen mit lauter Tupfer. gelb.dat.m.pl ‚mit lauter gelben Tupfer‘ (Schweizer [1951-1952] 2008: 390) Angesichts der Inkongruenzen und des Mangels an empirischen Daten in diesem Bereich ist es notwendig, die bisher noch offenen Forschungsfragen durch neue Daten aus dem Zimbrischen von Lusérn anzugehen. Die durchgeführten Feldforschungen belegen, dass sich die syntaktische Stellung adnominaler Adjektive im Zimbrischen tatsächlich von der in den germanischen Varietäten unterscheidet. 4. Methodologie Die Daten wurden durch Feldforschungen gesammelt, an denen sechs zimbrische, in Lusérn gebürtige Muttersprachlerinnen teilgenommen haben.6 Die Informantinnen unterschieden sich in Alter (von 26 bis 67 Jahre) und Bildungsniveau. Im ersten, aus 60 Items bestehenden Fragebogen mussten die Probanden italienische Sätze ins Zimbrische übersetzen. Die Sätze enthielten ein oder mehrere Adjektive, sowohl in attributiver als auch in prädikativer Position. Aus den 60 getesteten Items waren 25 fillers und bezogen sich nicht auf die Adjektivstellung. Die Übersetzungsaufgabe wirft zunächst die methodologisch relevante Frage auf, ob PrimingEffekte verunreinigen können. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass in den romanischen Sprachen nur bestimmte semantische Klassen von Adjektiven die pränominale Position besetzen dürfen, während die postnominale allen Klassen zugänglich ist.7 Im Fall italienischer Sätze mit postnominalen Adjektiven zeigten die Informantinnen immer noch die starke Tendenz, die Modifikatoren vor das Substantiv zu stellen, wie es für das Zimbrische zu erwarten ist (1a ist der Input auf Italienisch, 1b die Übersetzung ins Zimbrische): (1) a. Il Gianni ha fatto una passeggiata davvero lunga. b. Dar Gianni hatt gemacht a gåntz långa khear. ,Gianni hat einen sehr langen Spaziergang gemacht‘ Um die Störungseffekte des Primings italienischer Sätze maximal zu reduzieren, wurde der zweite Fragebogen mit einer Ergänzungsaufgabe zimbrischer Sätze erweitert. Für Items wie in (2) wurden die Teilnehmerinnen gebeten, das unflektierte Adjektiv in Klammern entweder vor das Substantiv zu setzen oder danach: (2) 6 (pumblat) Dar nono hatt an …………….. mustàtz …………….. ‚(rund) Der Opa hat ein …………….. Gesicht ……………..‘ Es ist wichtig anzumerken, dass alle Informantinnen bilingual sind und Zimbrisch und Standarditalienisch sprechen. Einige beherrschen als dritte Sprache die örtliche trentinische Mundart. 7 Vgl. Crisma (1995), Laenzinger (2005). Die Nominalphrase im Zimbrischen von Lusérn 67 5. Daten In den folgenden Abschnitten werden die Daten präsentiert. Dabei unterscheide ich zwischen AP mit nur einem (vgl. 5.1) Element und AP mit zwei oder mehr Elementen (vgl. 5.2). 5.1. Einzelnes Adjektiv In Bezug auf die Position eines einzigen Adjektivs setzen die Informantinnen den Modifikator fast übereinstimmend vor das Substantiv; dabei weist das Adjektiv eine overte Kongruenzmarkierung auf (3a-f): (3) a. Di Maria lebet in a khlummaz die maria lebt in a klein.acc.n.sg dar Tetsch den Tezze ‚Maria lebt in einem kleinen Haus bei den Tezze‘ haus haus b. Di guatn khindar gian hèrta ka die gut.nom.n.pl kinder gehen immer zu ‚Die guten Kinder gehen immer zur Schule‘ schual schule c. I hån ågelekk in sbartz ich habe angezogen den schwarz.acc.m.sg ‚Ich habe den schwarzen Mantel angezogen‘ måntel mantel d. A kalmegez mentsch pazzt guat ein ruhig.nom.m.sg mensch passt gut arbat arbeit ‚Ein ruhiger Mensch passt gut zu dieser Arbeit‘ vor für e. Biar trinkhan hèrta österraichar wir trinken immer österreichisch.acc.m.sg ‚Wir trinken immer österreichischen Wein‘ boi wein f. I izz nèt kehlbraz ich esse nicht kalb.acc.n.sg ‚Ich esse kein Kalbfleisch‘ ka bei disar diese vlaisch fleisch Obwohl der Großteil der Adjektive in pränominaler Stellung realisiert wird und diese Position von den Informantinnen als die ‚korrekte‘ Position empfunden wird, haben sie in einigen Fällen8 die Adjektive nach dem Substantiv gestellt, an die Stelle nämlich, an der der Modifikator obligatorisch keine morphologische Kongruenz aufweist (4a-c): 8 Es wäre in zukünftigen Untersuchungen zu klären, ob die semantische Klasse irgendeine Rolle hinsichtlich bestimmter Adjektive spielt. Z. B. deuten die Daten darauf hin, dass Adjektive, die sich auf Stoff beziehen, u.a. kehlbra ‚aus Kalb‘, hülzra ‚ aus Holz‘, bolla ‚aus Wolle‘, nie nachgestellt werden dürfen. 68 Claudia Turolla (4) a. Gestarn moi sbestar iz gånt zo gestern meine schwester ist gegangen zu di khindar krånkh die kinder krank.Ø ‚Gestern ging meine Schwester die kranken Kinder besuchen‘ b. Sa håmmar geschenkt an sie haben.mir geschenkt ein ‚Sie haben mir ein rotes Auto geschenkt‘ c. A mentsch höachar mèkkat in khöpf in a mensch groß/comp-comp.Ø stieße den kopf in disa khåmmar aso ledrå diesem zimmer so niedrig.Ø ‚Ein größerer Mensch stieße sich den Kopf in diesem niedrigen Zimmer‘ auto auto venna finden roat rot.Ø 5.2. Mehrere Adjektive Eine noch ausgeprägte Differenzierung bezüglich der Stellung der Adjektive tritt auf, wenn zwei oder mehr Modifikatoren vorhanden sind. In diesem Fall ist eine beachtliche Variation unter den Informantinnen zu bemerken. Außer der erwarteten pränominalen Position (5a, b), können die Adjektive gemeinsam nach dem Substantiv (6a, b), in der Regel von der Konjunktion un ‚und‘ verbunden, oder eines vor und eines nach dem Substantiv erscheinen (7a, b). Nachgestellte Adjektive sind – wie bereits gesehen – obligatorisch unflektiert: (5) (6) a. Dar roat taütsch der rot.nom.m.sg deutsch.nom.n.sg ‚Das rote deutsche Auto ist schnell‘ auto auto b. Di måmma mischt di supp pitnan die mutter umrührt die suppe mit.dem hülzran lången dünnen löffl aus.holz.dat.m.sg lang.dat.m.sg dünn.dat.m.sg kochlöffel ‚Die Mutter rührt die Suppe mit dem langen dünnen Kochlöffel aus Holz‘ a. Di Maria lebet in a haus khlumma die maria lebt in einem haus klein.Ø ka dar Tetsch bei den tezze ‚Maria lebt in einem kleinen roten Haus bei den Tezze‘ b. Dar auto plabe un taütsch der auto blau.Ø und deutsch.Ø ‚Das blaue deutsche Auto ist neu‘ iz ist iz ist naüge neu.Ø bahemme schnell un und roat rot.Ø Die Nominalphrase im Zimbrischen von Lusérn (7) 69 a. I pétt àu pitt näugen lailechar ich bett auf mit neu.dat.f.pl Bettüchern ‚Ich mache das Bett mit neuen weißen Betttüchern‘ b. Dar taütsch auto der deutsch.nom.m.sg auto ‚Das blaue deutsche Auto ist neu‘ plabe iz blau.Ø ist baiz weiß.Ø naüge neu.Ø 6. Diskussion Die Möglichkeit, unterschiedliche Ordnungen attributiver Adjektive zu haben, wirft die Frage auf, ob der Grund für die postnominale Stellung nicht im Kontakt mit den umliegenden ostromanischen Varietäten liegt (vgl. Alber et al. 2012). Man darf nicht vergessen, dass nachgestellte Modifikatoren im Zimbrischen immer unflektiert sind,9 anders als die postnominalen Adjektive in den trentinischen und venetischen Mundarten, die immer mit den dazugehörenden Substantiven kongruieren. Es scheint daher wenig naheliegend, das Phänomen als ‚strukturale Entlehnung‘ zu interpretieren: Denn dann würde man auch deren morphologische Kongruenz mit dem Substantiv erwarten. Eine teilweise andere Perspektive, die vielleicht besser die Entwicklung des Adjektivsystems im Zimbrischen erfasst, wird in Guardiano (2014) erwähnt. In dieser Studie, wo Kontaktphänomene zwischen Grico und den umliegenden süditalienischen Dialekten in der Theorie der mikroparametrischen Variation (vgl. Guardiano & Longobardi 2009) erforscht werden, ist der Kontakt als parametrisches resetting betrachtet: Solch ein „riorganizzazione strutturale“, wie es in Savoia (2008: 15) bezeichnet ist, und zwar eine Reorganisation der Struktur, könnte vom Kontakt zwischen unterschiedlichen Varietäten bewegt werden.10 Zusammenfassend kann man behaupten‚ dass die hier vorgestellten Daten zunächst gegen die Interpretation von ‚Sprachkontakt‘ als strukturaler Reduplikation einer Sprache auf eine andere zu sprechen scheinen: Eine solche Adjektivverteilung wie man sie hier vorhat, ist in Wirklichkeit unter dieser Perspektive nur schwer zu erklären, da die zimbrische Stellung keiner Struktur weder in den verwandten Sprachen, noch in den romanischen Dialekten entspricht, sondern etwas Neues aufweist. Der Sprachkontakt scheint vielmehr einen Beschleunigungseffekt in Hinblick auf die Entwicklung von Phänomenen zu haben, die in einer bestimmten Sprache bereits zur Verfügung stehen (vgl. Abraham 2013). 7. Hinweise aus der Diachronie Es ist nie einfach, über die grammatikalischen Aspekte im Zimbrischen diachronisch zu berichten, weil der Mangel an schriftlichen Dokumenten, mit Ausnahme des Katechismus (vgl. Meid 1985), die diachronische Erforschung der untersuchten Phänomene erschwert. Bezüglich 9 Es bleibt noch zu beweisen, ob nachgestellte Adjektive als reduzierte Relativsätze zu analysieren sind (vgl. Cinque 2010). 10 Betreffend einer theoretischen Erklärung des Sprachwandels in Bezug auf die Beseitigung oder Hinzufügung von uninterpretable features an den funktionalen syntaktischen Köpfen, scheint der Sprachkontakt für die Einführung solcher features verantwortlich zu sein, wie es in Panagiotidis (2008: 447, Fußnote 2) angenommen wird. 70 Claudia Turolla des hier betrachteten Themas gibt es nur wenige diachronische Belege zur Rangordnung der Adjektive im Zimbrischen: Die bereits erwähnte Grammatik von Bruno Schweizer berichtet in Bezug auf die in Giazza gesprochene zimbrische Varietät, dass „die Nachsetzung des Adjektivs nicht üblich ist“ ([1951-52] 2008: 700). Sie stellt also eine Variation dar, die wohl nur selten eintritt. Diese Beschreibung trifft also auch für die hier besprochenen Daten zu. Was die Diachronie des Zimbrischen angeht, lohnt es sich, einen Blick in den ältesten bekannten zimbrischen Text zu werfen. Das älteste Sprachdenkmal des Zimbrischen ist ein Katechismus aus dem Jahr 1602; es handelt sich um die Übersetzung ins Zimbrische der 7. Gemeinde der einigen Jahre zuvor erschienenen italienischen Dottrina Christiana Breve des Kardinals Bellarmino. Eine erste Durchsicht des Texts hat ergeben, dass alle vorhandenen einzelnen Adjektive pränominal erscheinen, auch wenn sie in der italienischen Vorlage postnominal sind, wie in den Beispielen (8a-n) zu sehen ist: (8) a. di gruoben menser – le persone idiote (Kat1602: 10) *le idiote persone ‚die ungebildeten Menschen‘ b. den slekten mennesern – alle persone semplici (Kat1602: 116) *alle semplici persone ‚den einfachen Menschen‘ c. di Hummilike scankonghe – i doni celesti (Kat1602: 131) i celesti doni ‚die himmlischen Geschenke‘ d. Gottlike natura – natura divina (Kat1602: 186) divina natura ‚Göttliche Natur‘ e. da *la ‚die f. den passarten ubel – al male passato (Kat1602: 382-383) ?al passato male ‚dem vergangenen Bösen‘ g. in den ghaistiliken libern – nei libri spirituali (Kat1602: 410) *in i spirituali libri ‚in den geistlichen Büchern‘ h. di vorpotan vilge – le vigilie comandate (Kat1602: 565) ?le comandate vigilie ‚die gebotenen Festtage‘ rekte hant – la mano destra (Kat1602: 206) destra mano rechte Hand‘ Die Nominalphrase im Zimbrischen von Lusérn 71 Die Kookkurrenz von mehr als einem Adjektiv ist dagegen in dem Katechismus sehr selten und hierunter ist eines fast immer ein Possessivadjektiv, welches im Zimbrischen in pränominaler Position erscheint. Ein ähnliches Ergebnis lässt sich anhand der Novena alla Vergine Maria, einem Predigttext aus dem späten 18. Jahrhundert, erzielen: Auch hier sind die Adjektive pränominal; dabei weisen die Nominalphrasen mit mehreren Adjektiven immer ein Possessivadjektiv zusammen mit dem attributiven auf, wie aus den Beispielen (9a-d) hervorgeht: (9) a. vun dar eûrn groccen fede - dalla vostra grande fede ‚von eurem großen Glauben‘ b. vun dar groccen iarn11 fede - dalla grande vostra fede von eurem großen Glauben‘ c. vum’ aorme halgen sune - dal vostro santo figlio ‚von eurem heiligen Sohn‘ d. in d’aor materna pietà - nella vostra materna pietà ‚in eurer mütterlichen Frömmigkeit‘ Der stark kontrollierte Stil eines religiösen Texts erlaubt leider nicht, über die Struktur der DP in der zu jenen Zeiten gesprochenen zimbrischen Sprache zu spekulieren. Es ist daher nicht möglich, festzustellen, ob die Typologie der heutigen pränominal stehenden Adjektive im Zimbrischen schon immer die gleiche war. Anderseits gibt es auch keine Möglichkeit, anhand der heute schriftlich verfügbaren Dokumente zu überprüfen, ob das Zimbrische eine Phase mit einer Wortstellung hatte, wie sie im heutigen Deutsch zu finden ist (vgl. Bosco Coletsos 1988, Klein et al. 2009). Es könnte sein, dass auch die zimbrische DP immer eine gewisse Variation zugelassen hat, so dass auch einige Adjektivklassen immer postnominal erscheinen durften. Bibliographie Abraham, W. (2013): Philologische Dialektologie und moderne Mikrovarietätsforschung: Zum Begriff des Erklärstatus in Syn- und Diachronie. In: Abraham, W. & Leiss, E. (Hg.), Dialektologie in neuem Gewand: Zu Mikro-/Varietätenlinguistik, Sprachenvergleich und Universalgrammatik. Hamburg: Buske. 9-27. Alber, B., Rabanus, S. & Tomaselli, A. (2012): Contatto linguistico nell’area alpina centromeridionale. In: Colombo, L. et al. (Hg.), La sensibilità della ragione: Studi in omaggio a Franco Piva. Verona: Edizioni Fiorini. 1-19. 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Dieses Phänomen wird hier nur festgestellt und für zukünftige Entwicklungen der Arbeit offen gelassen. 72 Claudia Turolla Bidese, E. & Tomaselli, A. (2007): Diachronic Development in Isolation: The Loss of V2 Phenomena in Cimbrian. Linguistische Berichte 210, 209-228. Bidese, E., Cognola, F. & Padovan, A. (2012): Zu einer neuen Verb-Zweit-Typologie in den germanischen Sprachen: der Fall des Zimbrischen und des Fersentalerischen. In: Anreiter, P., Hajnal, I. & Kienpointner, M. (Hg.), In simplicitate complexitas. Festgabe für Barbara Stefan zum 70. Geburtstag. Wien: Praesens. 69-86. Bidese, E., Padovan, A. & Tomaselli, A. (2014): The syntax of subordination in Cimbrian and the rationale behind language contact. Language Typology and Universals 67, 489-510. Bosco Coletsos, S. (1988): Storia della lingua tedesca. Milano: Garzanti. Cinque, G. (1994): On the evidence for partial N-movement in the romance DP. In: Cinque, G., Koster, J., Pollock, J. Y., Rizzi, L. & Zanuttini, R. 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Vergleichende Darstellung der zimbrischen Dialekte. Stuttgart: Steiner Verlag. Stilwirkung im WWW: Ein linguistischer Beitrag zur Erforschung der Kommunikationsqualität von Websites Sabrina Zankl Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Wahrnehmung und Interpretation von Websites als dynamisch-integrative Vermittlungsinstanzen im Kommunikationsprozess zwischen Textproduzent und -rezipient und schlägt vor, die konkrete Art und Weise ihrer Performanz als ‚Stil‘ zu begreifen, der vor dem Hintergrund der Normvorstellungen und Erwartungen eine sekundäre semiotische Wirkung auf die Textrezipienten ausübt. In Verbindung mit einem Normbegriff, der sowohl den situativ-funktionalen Kontext der Kommunikation als auch die sich in den neuen Medien dynamisch entwickelnden Texttraditionen berücksichtigt, bietet die pragmatisch-kommunikative Stilistik einen vielversprechenden theoretischen Rahmen für die Untersuchung der tatsächlichen Kommunikationsqualität von Texten im WWW und kann somit einen wichtigen Beitrag für die tägliche Praxis der Website-Gestaltung leisten. 1. Einleitung Die Website (engl. site: ‚Standort‘, ‚Schauplatz‘) im Medium World Wide Web (WWW) ist seit mittlerweile vielen Jahren ein unverzichtbares multifunktionales Mittel der Massenkommunikation und gerade als Plattform zur virtuellen Präsentation von Unternehmen, öffentlichen und privaten Einrichtungen oder Interessensverbänden ein fester Bestandteil der modernen Informationskultur geworden. Aufgrund ihrer hohen Bedeutung für den Kommunikationsalltag sind Websites immer mehr auch in den Fokus linguistischer Forschungsinteressen gerückt. Gerade die neue Qualität der Textperformanz, die auf die technischen Möglichkeiten des Mediums WWW in den Bereichen Hypertextualität, Interaktivität und Multimodalität zurückzuführen ist und sich mit seiner massenhaften, zunehmend gewohnheitsmäßigen Nutzung in den letzten 15-20 Jahren dynamisch entwickelt hat, stellt einen vielversprechenden Untersuchungsgegenstand dar. Während Aspekte der Textproduktion wie ebendiese qualitativen Besonderheiten von Websites, ihre Textualität oder die Herausbildung neuer, medienspezifischer Textmuster seit inzwischen vielen Jahren intensiv diskutiert werden (z.B. Kuhlen 1991; Storrer 2004; Campagna et al. 2012), ist die Textrezeption, insbesondere die individuelle Wirkung der Website-Performanz auf die Rezipienten, in der Linguistik bislang kaum thematisiert worden. Studien zur Perzeption und Rezeption von Texten in den neuen Medien kommen vor allem aus dem Bereich der UsabilityForschung, die sich mit technischen und neurobiologischen Aspekten der Wahrnehmung und Interaktion in der neuartigen medialen Kommunikationssituation auseinandersetzt, und aus Bavarian Working Papers in Linguistics 5 http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/subjects/1407.html © Sabrina Zankl 76 Sabrina Zankl den relativ jungen Medienwissenschaften, die sich u.a. mit massenmedialer Kommunikation in verschiedenen semiotischen Modi und Kodes beschäftigen (z.B. Roth & Spitzmüller 2007). Hier wird die Auffassung vertreten, dass gerade die in diesen Ansätzen kaum beachteten Erwartungen und Normvorstellungen der Rezipienten, die sich am weiter gefassten pragmatisch-kommunikativen Kontext einerseits und an ähnlichen Texttraditionen in anderen Medien andererseits orientieren, einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und Interpretation der Website-Performanz haben. Um diese außer- und intertextuellen Faktoren bei der Untersuchung der Website-Performanz und ihrer Wirkung berücksichtigen zu können, schlägt der vorliegende Beitrag einen pragmastilistischen Zugang vor: Die konkrete Art und Weise der strukturell, direktional und modal komplexen Website-Performanz wird als ‚Stil‘ begriffen, der vor dem Hintergrund der erfahrungsbedingten, situativ-funktional und texttraditionell geprägten Erwartungen und Normvorstellungen der Rezipienten eine sekundäre semiotische Wirkung auf die Textrezipienten ausübt. Dieser Ansatz stellt damit nicht in erster Linie auf das technische Funktionieren, sondern auf das semiotisch ganzheitliche, häufig branchen- oder kulturspezifisch zu bewertende Gelingen der Kommunikation durch Websites ab, das bis auf wenige Ansätze bislang weitestgehend unbeachtet blieb (vgl. Jakobs & Lehnen 2005: 173), für die Evaluierung der tatsächlichen Kommunikationsqualität von Websites aber ein wichtiges Kriterium darstellt.1 Nach einem kurzen Überblick über die wesentlichen qualitativen Neuerungen der Textperformanz im WWW wird zunächst ein Textbegriff vorgeschlagen, der diesen Besonderheiten gerecht wird und zugleich erlaubt, anhand bestimmter Merkmale medienspezifische Konventionen bzw. Normen zu beschreiben, vor deren Hintergrund die konkrete Website-Performanz eine Wirkung auf die Rezipienten erzeugt. 2. Websites als neuartige Texte: Innovation, Textualität, Konvention2 2.1. Innovative Qualitäten der Textperformanz im WWW Das neue Medium WWW stellt der Textgestaltung technische Möglichkeiten bereit, durch deren zunehmende Nutzung „der Übergang vom gedruckten Textdesign zum computerverwalteten Hypertext nicht nur ein medialer Wechsel, sondern ein qualitativer Sprung“ (Storrer 2004: 212) ist. Diese neuartige Qualität von Websites ist im Wesentlichen auf eng miteinander verknüpfte und sich gegenseitig bedingende Eigenschaften in den Bereichen Hypertextualität, Interaktivität und Multimodalität zurückzuführen. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Websites gegenüber ‚klassischen‘ Printtexten ist ihre hypertextuelle Organisation. Die Inhalte sind typischerweise modularisiert, d.h. in viele, in sich abgeschlossene Textbausteine aufgeteilt, die zwar in einer hierarchischen Grundstruktur 1 Die Forschung zu Stil im WWW ist bislang mehrheitlich im Bereich der eher normativ geprägten HypertextRhetorik angesiedelt und beschäftigt sich hier vor allem mit der kritischen Analyse gängiger Stilpraxis unter Berücksichtigung der Besonderheiten nichtlinearer Rezeptionswege in Hypertexten (z.B. Storrer 2001; Küpper 2008). Vereinzelt dient die Stilistik als theoretischer Rahmen für die textproduktionsorientierte Untersuchung von Websites bzw. Texten im WWW im Allgemeinen (z.B. Zhao 2008; Schröder 2013), wobei das Verständnis von Stil häufig eher vage und intuitiv bleibt. Die grundsätzliche Aktualität und Relevanz des Forschungsbereichs ‚Stil im WWW‘ zeigt sich an einschlägigen Veranstaltungen wie z.B. der Konferenz ‚Interaktion von Internet und Stilistik, Internet und Stil‘ an der Karl-Franzens-Universität Graz im April 2015. 2 Die folgenden Ausführungen zu den neuen Qualitäten der Textperformanz im WWW und einem Websiteadäquaten Text- und Normbegriff finden sich ausführlicher bei Zankl (in Vorbereitung). Stilwirkung im WWW 77 angelegt, aber durch Hyperlinks in komplexer Weise miteinander verknüpft werden (vgl. Storrer 2004: 211f; Jakobs & Lehnen 2005: 160ff). So ergibt sich eine nichtlineare, mehrdimensionale Informationsarchitektur, die im Rahmen ihrer elektronischen Verwaltung fortlaufend aktualisiert und erweitert werden kann (vgl. Storrer 2008: 325f). Entsprechend ist auch die Rezeption der Website-Inhalte nicht linear oder vorgegeben: Jeder User entscheidet selbst nach individuellem Interesse und Vorwissen, d.h. „themen-, aufgaben- oder rollenspezifisch“ (Jakobs & Lehnen 2005: 168), in welcher Reihenfolge er welche Teiltexte abruft, und konstituiert so seinen eigenen ‚Text‘ (vgl. ‚Quaestio‘ bei Von Stutterheim 1994). Diese proaktive Form der Textrezeption steht in engem Zusammenhang mit der neuen Dimension der Interaktivität im computerbasierten Medium WWW, die häufig mit dem Schlagwort ‚Web 2.0‘ charakterisiert wird: Während die freien Rezeptionspfade, aber auch spezielle technische Funktionen wie Filter, Sprachwahl oder responsives Webdesign einen selektiven, „auf individuelle Nutzerbedürfnisse hin zugeschnittenen Zugriff auf die Daten“ (Storrer 2004: 213) und damit die Interaktion zwischen Rezipient und Text ermöglichen, bieten bestimmte Bereiche wie Foren oder Kommentarfelder darüber hinaus den Rahmen für eine unmittelbar bidirektionale Kommunikation bzw. KoAutorenschaft zwischen Rezipient und Produzent oder Rezipienten untereinander (vgl. Jakobs & Lehnen 2005: 171f). Eine weitere charakteristische Eigenschaft von Websites ist ihre Multimodalität und vor allem das große Gewicht para- und nonverbaler Performanzmerkmale. Die digitale Textverwaltung bietet ideale Bedingungen für die individuelle Gestaltung verbaler Texte (Schriftdesign, Layout) und den komplementären Einsatz anderer, d.h. nonverbaler Zeichenmodi (Bilder, Animationen, Videos, Ton). Erst das simultane Zusammenwirken aller semiotischen Elemente zu einem bildschirmgerechten Ensemble macht die besondere Performanzqualität des Textes ‚Website‘ aus (vgl. Schmitz 2006: 203). Dabei lässt sich tendenziell eine Arbeitsteilung der verschiedenen Zeichenarten beobachten, die man sich auch in Printmedien, gerade im Bereich der Werbung, zunutze macht: Während sachliche, komplexe Informationen sprachlich, d.h. durch verbale Texte vermittelt werden, portiert die para- und nonverbale Gestaltung von Websites vor allem Gefühlsqualitäten und evoziert eine emotionale Wirkung (vgl. Hahn 2015: 28). Obwohl diese Eigenschaften in mehr oder weniger ausgeprägter Form auch Texten in anderen Medien zu eigen sind, ist ihre Ausgeprägtheit und ihr funktionales Zusammenspiel, das zu einem großen Teil auf die computerbasierte Umsetzung zurückzuführen ist, derzeit ein Alleinstellungsmerkmal von Texten im WWW. Insbesondere aufgrund der inzwischen immer mehr genutzten Möglichkeiten im Bereich Interaktivität entsprechen Websites nicht einem ‚klassischem‘ Verständnis von Texten als abgeschlossenen Produkten sprachlicher Handlungen (vgl. ‚Tätigkeitsprodukt‘ bei Hartung 1977), sondern stellen vielmehr dynamisch-integrative Vermittlungsinstanzen im Kommunikationsprozess zwischen Textproduzent und -rezipient dar (vgl. poststrukturalistische Texttheorie, z.B. Kristeva 1972), die deren Beziehung wesentlich prägen und damit wichtige strategische Funktionen übernehmen: Das Medium WWW ist nicht (mehr) nur Textträger zur monodirektionalen Bereitstellung von Inhalten, sondern eine innovative Kommunikationsplattform, die durch die Interaktion zwischen User und Text bzw. Usern untereinander und die multimodale Ansprache verschiedener Sinneskanäle nicht nur ein Rezipieren von Inhalten, sondern ein (pro-)aktives Erleben von Kommunikation ermöglicht. Auch aufgrund der Tatsache, dass Websites für gewöhnlich – ähnlich wie andere massenmediale Texte, gerade im Bereich der Werbung – zu einer positiven Einstellung gegenüber dem Rezipierten bewegen sollen, wird ihnen im Allgemeinen eine „Textfunktion zwischen Information und Appellation“ (Schirnhofer 2010) zugeschrieben. Da traditionelle Textbegriffe sich häufig auf ‚klassische‘ Printtexte beziehen und diese neuen Charakteristika 78 Sabrina Zankl von Websites zu wenig oder nur isoliert voneinander berücksichtigen, wird im Folgenden ein flexibles Textverständnis vorgeschlagen, das auch Texten in den neuen Medien gerecht wird. 2.2. Website als ‚Text‘? Die sprachliche Entität ‚Text‘ ist mit der pragmatischen Wende in der Linguistik ab den späten 1960er Jahren in den Fokus der Forschungsinteressen geraten und wird bis heute kontrovers diskutiert. Pragmatisch-kommunikativen Definitionen zufolge ist ein Text eine sprachliche Handlung, die im Rahmen eines außersprachlichen Kontexts eine kommunikative Intention verfolgt. Diese Sichtweise auf Texte als Kommunikationsmittel schafft die Grundlage für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem Zeichensystem ‚Sprache‘ und ihrer situativfunktional bedingten Anwendung: Es geht nicht mehr, wie in früheren strukturalistischen Ansätzen, um von der außersprachlichen Wirklichkeit isolierte Systemelemente und ihre syntagmatische Verbindung, sondern um das originäre Textganze als komplexen Sprechakt, der sich nach Searle (1969) in die simultanen Teilakte Lokution (Äußerung), Proposition (Inhalt), Illokution (Handlungszweck) und Perlokution (Folgewirkung) aufspalten lässt, und seine pragmatische Funktion und Wirkung in einem größeren Handlungszusammenhang. Damit rückt der Text als ganzheitliches Zeichen und seine Zweckmäßigkeit für den kommunikativen Alltag ins Zentrum des Interesses und wird zum Vermittlungsglied zwischen Sprache und Wirklichkeit (vgl. Hartung 2000; Fix et al. 2003: 14f). Vor diesem Hintergrund schlagen De Beaugrande & Dressler (1981) sieben pragmatischkommunikativ orientierte ‚Textualitätskriterien‘ vor: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. Obwohl das oben beschriebene allgemeine Verständnis von ‚Text‘ als intentionale sprachliche bzw. semiotische Handlung auch auf Websites zutrifft, ist ihre Textualität im engeren Sinne dieser vielzitierten Kriterien strittig. Gerade aufgrund ihrer charakteristischen, qualitativ neuartigen Eigenschaften wie der Modularisiertheit der Inhalte einerseits und der unscharfen Grenzen des Textes ‚Website’ im WWW nach außen andererseits, dem großen Gewicht para- und nonverbaler Gestaltungselemente, das das Zeichensystem ‚Sprache‘ an vielen Stellen in den Hintergrund treten lässt, sowie der interaktiven Dynamik der Textperformanz ist beispielsweise grammatischsyntaktische Kohäsion für den Gesamttext ‚Website‘ nicht gegeben.3 Eine Alternative zu einem solchen Ausschlussprinzip stellen prototypentheoretische Ansätze der kognitiven Linguistik dar, welche sich – aufbauend auf einem pragmatisch-kommunikativen Textverständnis – u.a. mit der Rolle von mentalen Konzepten für die Strukturierung und Aktualisierung von Wissen und Erfahrungen bei Textproduktion und -rezeption beschäftigt (vgl. Figge 2000: 96f). Indem er ‚Text‘ als prototypische Kategorie mit bestimmten zentralen und peripheren Merkmalen begreift, die nicht alle notwendigerweise realisiert werden müssen, ermöglicht der Prototypenansatz ein Textverständnis, das nicht auf Abgrenzung, sondern Schwerpunktsetzung beruht (z.B. Sandig 2000). Dieses arbeitet zwar ebenfalls mit bestimmten Textualitätsmerkmalen, lässt bei der Beurteilung von Texten anhand dieser Merkmale aber Grauzonen zu: Auch Texte, die nicht alle definierten prototypischen Merkmale erfüllen, können als – ggf. weniger typische bzw. repräsentative – Vertreter der Kategorie ‚Text‘ gesehen werden.4 Darüber hinaus ist 3 De Beaugrande & Dresslers (1981) Anspruch, anhand bestimmter Kriterien eine scharfe Grenze zwischen Texten und Nicht-Texten ziehen zu können, wird allerdings auch unabhängig von ihrer Anwendbarkeit auf Texte in den neuen Medien immer wieder kritisiert (z.B. Sandig 2000: 93ff; Vater 2001: 52ff). 4 Inwieweit beispielsweise die von Sandig (2006: 310) definierten prototypischen Textmerkmale auf Hypertexte zutreffen, diskutiert Storrer (2008: 324-328). Stilwirkung im WWW 79 das prototypische Merkmalsbündel ‚Text‘ im Ganzen nicht statisch, sondern lässt sich diachron weiterentwickeln und so durch veränderte Merkmale oder Gewichtungen an neue Performanzgewohnheiten, z.B. im Bereich Multimodalität, anpassen.5 Die Flexibilität des Prototypenkonzepts ist gerade auch in Anbetracht der Bedeutung, die dem außersprachlichen Kontext für Textproduktion und -rezeption im Rahmen eines pragmatisch-kommunikativen Textverständnisses zukommt, ein großer Vorteil: Aufgrund der Annahme vertikaler Kategorienhierarchien (vgl. Rehbock 2005: 519) kann ‚Text‘ als Oberkategorie begriffen werden, innerhalb derer sich situativ-funktional bedingt verschiedene ‚Basiskategorien‘ (z.B. Textsorten) mit entsprechend spezifischen Performanzeigenschaften unterscheiden lassen (vgl. Sandig 2000: 101f). Ein prototypisches Verständnis von ‚Text‘ im Sinne eines gradierten Merkmalsbündels mit ganzheitlich intentional semiotischem Handlungscharakter bietet damit einen geeigneten Rahmen für die Beschreibung von Websites: Dieser Ansatz ist offen genug, um nicht nur auf sprachliche, sondern auch strukturell, modal und direktional komplexe Texte angewendet werden zu können, und erlaubt gleichzeitig, ihre o.g. medial und allgemein situativ-funktional bedingt spezifischen Eigenschaften im Rahmen einer eigenen Basiskategorie konkret zu definieren. So kann die prototypische Vorstellung von ‚Website‘ anhand bestimmter Merkmale greif- und vergleichbar gemacht werden, die zwar nicht immer alle zwingend realisiert werden müssen, aber einen idealtypischen und damit für Textproduktion und -rezeption implizit handlungsorientierenden Charakter haben. Gerade dieser letzte Aspekt erinnert an Konzepte, die sich im Rahmen von Begriffen wie ‚Norm‘, ‚Muster‘ oder ‚Tradition‘ mit Konventionen auf Text- oder Textsortenebene beschäftigen. Da dieser Beitrag vorschlägt, die Wirkung der konkreten Website-Performanz vor dem Hintergrund der situativ-funktional und texttraditionell geprägten Erwartungen und Normvorstellungen zu untersuchen, wird der Begriff der Norm, der in diesem Sinne mit dem des Prototypen zusammenfällt, im Folgenden mit Blick auf den außersprachlichen Kontext einerseits und die Gewohnheiten aus vergleichbaren Texten in anderen Medien andererseits näher beleuchtet. 2.3. ‚Norm‘ im WWW6 Wie oben bereits erwähnt begreifen pragmatisch-kommunikative, handlungsorientierte Auffassungen ‚Text‘ als elementare kommunikative Einheit, die auf die Erfüllung einer bestimmten Intention ausgerichtet ist, und stellen dadurch einen Zusammenhang her zwischen den außersprachlichen Rahmenbedingungen der Kommunikation und der adäquaten Gestaltung von Texten. Vorschläge, Konventionen in der Textperformanz entsprechend situativ-funktional zu begründen, liefern vor allem die Soziolinguistik und – darauf aufbauend – pragmatischkommunikative Textsortenkonzepte. Gerade im Hinblick auf die dynamischen Wandlungs- und Anpassungsprozesse im neuen Medium WWW bietet außerdem die literaturwissenschaftliche Gattungsforschung, die sich mit der diachronen Entwicklung von Texttraditionen beschäftigt, eine gewinnbringende komplementäre Perspektive. 5 Eine solche grundsätzliche Weiterentwicklung fordert u.a. Fix (2001) in Richtung eines umfassenderen, d.h. nicht auf das Zeichensystem ‚Sprache‘ beschränkten Textbegriffs angesichts der zunehmenden semiotischen Komplexität vieler Texte gerade in den neuen Medien. 6 Das Thema ‚Norm‘ war seit den 1980er Jahren aus dem Fokus der Linguistik geraten, ist aber mittlerweile wieder aktiver Forschungsgegenstand (vgl. z.B. Arbeitskreis ‚Normalität in der Sprache‘ auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft im März 2015) und gerade mit Blick auf die dynamischen Entwicklungen in den neuen Medien hochaktuell und relevant. 80 Sabrina Zankl Soziolinguistische Normbegriffe knüpfen an das funktionale Normverständnis der Prager Schule (z.B. Havránek 1983 [1932]) einerseits sowie Coserius (1970: 207ff) Vorstellung von der Norm als einem selektiven System traditioneller Realisierungen zwischen ‚langue‘ und ‚parole‘ andererseits an und nehmen daher häufig eine zwischen synchron und diachron ausgerichteten Ansätzen vermittelnde bzw. beide Perspektiven verbindende Position ein. Vor dem Hintergrund eines explizit handlungstheoretisch ausgerichteten Kommunikationsbegriffs betonen sie dabei aber grundsätzlich die Zweckmäßigkeit semiotischer Konventionen für das Funktionieren von Kommunikation: Sie begreifen Normen als kollektiv verinnerlichte Orientierungshilfen, die aufgrund von Erfahrungen im Rahmen bestimmter usueller Situationen und Kontexte entstehen und zu entsprechenden Erwartungshaltungen führen (z.B. Fix 1987; vgl. Dittmar 1997: 163ff; Gloy 2004: 394ff).7 Auf diesen und anderen, vor allem sprechakttheoretischen Ansätzen aufbauend gehen gerade neuere, anwendungsorientierte pragmatisch-kommunikative Textsortenkonzepte davon aus, dass die außersprachlichen Rahmenbedingungen großen Einfluss auf die Textperformanz haben. Da sie Texte überwiegend nach textexternen Kriterien im Bereich Kommunikationsintention und -kontext zu Textsorten klassifizieren und sich (erst) auf dieser Ebene mit Gestaltungskonventionen auseinandersetzen, begreifen sie ‚Norm‘ textsortenspezifisch und damit – den Klassifizierungskriterien entsprechend – situativ-funktional bedingt. So bezeichnet beispielsweise Brinker (2001: 129) Textsorten vor dem Hintergrund eines handlungstheoretischen Textverständnisses als „komplexe Muster sprachlicher Kommunikation […], die innerhalb der Sprachgemeinschaft im Laufe der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung aufgrund kommunikativer Bedürfnisse entstanden sind“, und die typische Art und Weise ihrer Performanz als ‚Textstrategie‘ im Sinne eines Selektionsprinzips zur materiellen Umsetzung der Textfunktion (vgl. Brinker 2001: 100ff). Erfahrung und Erwartung situations- und funktionsadäquater Muster und Strukturen sind wiederum die Grundlage dafür, dass sich textsortenspezifische Normvorstellungen im Bewusstsein der Sprecher konstituieren, festigen und implizit ihre Reproduktion einfordern: Die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft nehmen Textsorten in erster Linie als Texte wahr, die unter ähnlichen Bedingungen ähnliche Merkmale aufweisen, und haben entsprechende prototypische Vorstellungen und Erwartungen, an denen sie auch ihre eigene Textproduktion orientieren. Gerade unter Berücksichtigung der Rückkoppelung von Textproduktion und -rezeption kann textsortenspezifischen Performanzmustern daher ein implizit handlungsleitender Charakter zugesprochen werden, der an soziolinguistische Normbegriffe, insbesondere an Hartungs (1977) prototypenähnliches Konzept, erinnert.8 Vergleichbar mit prototypischen Basiskategorien von Prototypen bieten pragmatisch-kommunikativ definierte Textsorten damit einen flexiblen, anwendungsorientierten Rahmen für die Beschäftigung mit Performanzkonventionen, der sich auch auf Websites anwenden lässt: Die situativ-funktional begründete Textsortenklassifizierung ermöglicht einerseits die Untersuchung von Normen vor dem Hintergrund des spezifischen 7 Die Einstellungen der Kommunikationsteilnehmer, d.h. im Wesentlichen die Intentionen der Textproduzenten und die Erwartungen der Textrezipienten, werden hier in einem pauschalen, stereotyp bzw. konventionell erwartund unterstellbaren Sinn verstanden. Von der Berücksichtigung subjektiver Voraussetzungen und Empfindungen der einzelnen Individuen, die realiter sicherlich eine Rolle spielen (vgl. Fix 1987: 68ff), ist aus Gründen der Vereinfachung abzusehen. 8 Hartungs (1977: 33) Auffassung von ‚Norm‘ als „Vermittlungsglied zwischen allgemeinen Bedingungen der sprachlich-kommunikativen Tätigkeit und ihrer subjektiven (zeit-, klassen- und gruppenbedingten) ‚Brechung‘“ weist bereits deutliche Züge eines soziolinguistischen, kommunikativ-integrativen Normverständnisses auf. Sein Vorschlag, ‚Norm‘ als Bündel kollektiv akzeptierter, regelmäßig auftretender und daher auch erwarteter Beschaffenheitsmerkmale mit handlungsregulierender Funktion greifbar zu machen (Hartung 1977: 14), zeigt außerdem deutliche Parallelen zur späteren Prototypentheorie der kognitiven Linguistik. Stilwirkung im WWW 81 pragmatischen Kontexts und andererseits eine konkrete Beschreibung dieser Normen anhand kollektiv akzeptierter und erfahrungsbedingt erwarteter Merkmale. Die Tatsache, dass – wie oben argumentiert wurde –gerade eine prototypische Konzeptualisierung von ‚Text‘ den Besonderheiten strukturell, modal und direktional komplexer Texte im WWW gerecht werden kann (vgl. Jakobs & Lehnen 2005: 164ff), spricht zusätzlich für die Anwendung dieses textsortenspezifischen Normbegriffs auf Websites. Im Gegensatz zu pragmatisch-kommunikativ orientierten Ansätzen, die sich mit dem Einfluss der außersprachlichen Rahmenbedingungen auf die Textperformanz beschäftigen und konventionelle Texthandlungsmuster bzw. -strategien so implizit erklären, fokussiert die literaturwissenschaftliche Gattungsforschung die historisch gewachsene „Traditionalität der menschlichen Rede“ (Wilhelm 2008: 467) und spricht dieser mit Coseriu a priori – d.h. unabhängig von einer etwaigen Funktionalität – Normcharakter zu. Während Coseriu (1970: 209f) in seinem Normbegriff jedoch vor allem die Kulturgebundenheit der Tradition betont, indem er sie auf der ‚historischen Ebene‘ der verschiedenen Sprachen ansiedelt, schlägt Wilhelm (2008: 468) in Anlehnung an Koch (1997) und Oesterreicher (1997) vor, zwischen einzelsprachlichen Traditionen und mitunter sprach- und kulturübergreifenden ‚Diskurstraditionen‘ (synonym auch: ‚Texttraditionen‘) zu unterscheiden. Letztere macht er auf der Ebene der ‚Diskursgattungen‘ (synonym auch: ‚Textgattungen‘) greifbar, die er – vergleichbar mit Brinker (2010) und anderen pragmatisch-kommunikativen Textsortenkonzepten – aus außersprachlichen Kommunikationsbereichen (‚Diskursuniversen‘) ableitet und den Begriff der Diskursgattung hauptsächlich dadurch von dem der Textsorte abgrenzt, dass nicht der synchron-klassifizierende, sondern der diachron-beschreibende Aspekt der Diskurstradition im Vordergrund steht (Wilhelm 2008: 468ff).9 Wie Textsortenmuster bzw. -strategien sind Diskurstraditionen demnach gattungsspezifisch verinnerlichte Performanzmuster (‚Gattungsvorstellungen‘), an denen sich Sprecher bei Textproduktion und -rezeption orientieren. Der Mehrwert des Konzepts für die Untersuchung von Norm und Individualität im WWW liegt darin, dass es diese Muster hinsichtlich ihrer sprach- und kulturübergreifenden Entwicklung betrachtet und dabei vor allem die diachronen Interferenzen verschiedener Gattungen fokussiert: Gerade der kommunikativ-integrative Charakter der Diskurstraditionen ermöglicht und bedingt ihre Entwicklungs- und Konvergierungsfähigkeit als dynamisch wandelbare Regelkomplexe „im Spannungsfeld von Konvention und Innovation“ (Koch 1997: 61). Die Folgerung, dass „kein Text oder Diskurs ‚außerhalb‘ einer etablierten Diskurstradition produziert und rezipiert werden kann“ (Wilhelm 2008: 470) erinnert an den poststrukturalistischen Begriff der Intertextualität (z.B. Kristeva 1972), den auch De Beaugrande & Dressler (1981) in ihren Textualitätskriterien berücksichtigen, und bietet einen Erklärungsansatz für die diachrone Anpassungsfähigkeit der Textperformanz an neue Funktionen, Situationen oder Medien, die sich in der Herausbildung neuer Diskurstraditionen äußert. Damit das grundsätzliche Gelingen der Kommunikation auch in Wandlungs- bzw. Übergangsphasen gewährleistet bleibt, muss eine bestimmte Kontinuität gewährleistet sein, d.h. es müssen „in den neuen Traditionen […] gewisse Konstitutiva der zurückliegenden Traditionen eine Zeitlang erhalten [bleiben], auch wenn sie im Hinblick auf den kommunikativen Zweck eigentlich dysfunktional sind“ (Koch 1997: 64; vgl. Wilhelm 2008: 470). Ebendiese Entwicklungen sind im Fall von Websites zu beobachten: Während sie anfangs vor allem Gestaltungsmerkmale vergleichbarer Texte und Textsorten anderer, vor allem Printmedien übernahmen (vgl. Storrer 2004: 208; Hahn 2015: 166), bildeten sich nach und nach eigene Performanzkonventionen heraus, die die Möglichkeiten des neuen Mediums in 9 Die beiden Begriffe ‚Textsorte‘ und ‚Diskursgattung‘ sind hier daher letztlich als Synonyme zu verstehen, die sich lediglich in ihrer Perspektive auf denselben Gegenstand unterscheiden. 82 Sabrina Zankl den Bereichen Hypertextualität, Interaktivität und Multimodalität effektiv nutzen und daher als sprach- und kulturübergreifende, WWW-spezifische Texttraditionen betrachtet werden können (vgl. Wenz 2012: 153). Mit diesen diachronen Konventionalisierungsprozessen haben sich auch die Rezipienten an bestimmte Performanzmuster gewöhnt und erwarten erfahrungsgemäß ihre Einhaltung. Das Konzept der Diskurs- bzw. Texttradition spielt somit vor allem für die Untersuchung der intertextuellen Einbettung von Textsortenkonventionen und entsprechenden wechselseitigen Annahmen und Erwartungen der Textproduzenten und -rezipienten eine wichtige Rolle und „erweist sich geradezu als das geeignete Bindeglied, das es uns erlaubt, den sprachlichen Wandel in realistischer Weise auf den (im weitesten Sinne) sozialen Wandel zu beziehen“ (Wilhelm 2008: 474; vgl. Koch 1997: 57f). Vor diesem Hintergrund wird ‚Norm‘ in Bezug auf Websites hier gefasst als synchron konventionelles, handlungsorientierendes und erfahrungsgemäß erwartbares Performanzmuster auf Textsorten- bzw. Diskursgattungsebene, das gleichermaßen eine situativ-funktionale Strategie zur Erreichung einer pragmatisch-kommunikativen Intention „zwischen Information und Appellation“ (Schirnhofer 2010) als auch eine sprach- und kulturübergreifend entwickelte, medienspezifisch angepasste bzw. ‚optimierte‘ Tradition widerspiegelt und sich als prototypisches Merkmalsbündel greifbar machen lässt.10 Für die Untersuchung der konkreten Website-Performanz und ihrer Wirkung auf die Rezipienten wird im Folgenden ein stilistischer Zugang vorgeschlagen. 3. Stil als wirkungsvolle Textqualität-in-Relation Ausgehend von einem Text- und Normbegriff, der den Besonderheiten der qualitativ neuartigen Texte im WWW gerecht wird und ermöglicht, diese synchron anhand konkreter Merkmale greifbar zu machen, lenkt die Frage nach der Website-Wirkung nun den Blick auf die konkrete Textperformanz. Als theoretischer Rahmen hierfür bietet sich die Stilistik an, die sich traditionell mit der Art und Weise des Ausdrucks als ganzheitliches Zeichen im Kommunikationsprozess zwischen Textproduzent und -rezipient befasst (vgl. Pankow 1998: 1608; Fix et al. 2003: 26). Insbesondere die pragmatisch-kommunikative, handlungstheoretisch und kognitionswissenschaftlich fundierte Textstilistik nach Sandig (2006), die Stil als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung definiert, welche in Relation zu den kontextspezifischen Erwartungen der Rezipienten eine Bedeutung (‚Stilsinn‘) erhält und eine Wirkung (‚Stilwirkung‘) erzeugt, bietet einen guten Ausgangspunkt für die Untersuchung der situativ-funktional und texttraditionell bedingten Wirkung der Website-Performanz. 10 Gerade die ‚Filterfunktion‘ des Prototypen, der das grundsätzlich Mögliche auf bestimmte situativ-funktionale bzw. traditionelle Merkmale eingrenzt, die dann – je nach konkreter Textstrategie des Produzenten – realisiert werden, erinnert an Coserius (1970) Auffassung der Norm als einer Zwischenstufe traditioneller Realisierungen zwischen ‚langue‘ und ‚parole‘. Aufgrund der fortwährenden Entwicklungs- und Anpassungsprozesse lebendiger, gleichzeitig funktionaler wie traditioneller Zeichensysteme an sich verändernde pragmatisch-kommunikative Rahmenbedingungen und medienspezifische Möglichkeiten kann die Beschreibung einer Norm keinen Anspruch auf zeitlose Gültigkeit erheben, sondern immer lediglich die Beschreibung eines synchronen Ist-Zustandes sein (vgl. Coseriu 1970: 211; Wilhelm 2008: 472f). Stilwirkung im WWW 83 3.1. Zwischen Konvention und Individualität: Arten stilistischen Handelns Sandig (2006: 2) begreift ‚Stilherstellen‘ als „bedeutsames Gestalten von Kommuniziertem vor dem Hintergrund von Konventionen und situativen Aspekten der Kommunikation“ mit dem Ziel, die Kommunikationsintention des Textproduzenten möglichst gut zu umzusetzen. In seiner Handlungsorientierung knüpft dieser Ansatz unmittelbar an Searles (1969) Sprechakttheorie an (vgl. Fix et al. 2003: 35), fokussiert aber die Funktionalität sprachlicher bzw. semiotischer Variation angesichts alternativer Performanzmöglichkeiten, die erst durch ihre Wahrnehmung und Interpretation bei der Textrezeption wirksam wird. Obwohl der Textproduzent bewusst oder unbewusst versuchen kann, einen bestimmten Stilsinn (z.B. eine positive Selbstdarstellung) zu vermitteln und dadurch eine bestimmte Stilwirkung (z.B. das Interesse der Rezipienten) zu generieren, hängt das tatsächliche Gelingen, d.h. die entsprechende Deutung der konkreten Textperformanz, entscheidend von den Textrezipienten und ihren wissens- und erfahrungsbedingten Erwartungen bezüglich adäquater Kommunikationsmuster ab (Sandig 2006: 9f, 29ff).11 Die pragmatisch-kommunikative Stilistik betont so die Bedeutung des gesamten Kommunikationsprozesses und -kontextes für die Entstehung von Stil und überwindet die Einseitigkeit rein selektions- oder deviationsorientierter Ansätze zugunsten einer kommunikativ-integrativen, dynamischen Stiltheorie, die u.a. schon Spillner (1979) fordert (vgl. Sandig 2006: 43f). Gerade mit Blick auf die Bezugsgröße ‚konventionell erwartbares Performanzmuster‘ (s. 2.3.)12 und die funktionalen Gestaltungalternativen eines konkreten Textes unterscheidet Sandig (2006: 18ff) grundsätzlich zwei Arten stilistischen Handelns: 1. 2. das typisierende Durchführen, das eine prototypische Textperformanz zur Folge hat, die die Erwartungen der Rezipienten bestätigt, und das individuierende Durchführen, das eine mehr oder weniger stark von den Erwartungen der Rezipienten abweichende Textperformanz zur Folge hat und dadurch für Überraschungseffekte sorgen kann. Im Rahmen des hier vertretenen Verständnisses von ‚Norm‘ als Bündel prototypischer, erwartbarer Merkmale lässt sich der Grad stilistischer Variation eines Textes anhand seiner konkreten Performanzmerkmale greifbar machen. Wie aber im Zusammenhang mit ‚Norm im WWW‘ bereits deutlich wurde, sind die Erwartungen und Normvorstellungen im Fall von Websites besonders vielschichtig: Einerseits handelt es sich um strukturell, direktional und modal komplexe Texte, die in der Regel viele verschiedene Teilbereiche und -texte mit unterschiedlichen Themen und Funktionen vereinen, andererseits entwickeln sich Gestaltungskonventionen im relativ jungen Medium WWW nach wie vor vergleichsweise dynamisch. Die derzeitige ‚Reifephase‘ der Textperformanz im WWW ist geprägt durch eine 11 Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Stil demnach auch unbewusst vom Produzenten hergestellt werden kann und letztlich von der Rezeption abhängt, kann jedes sprachliche oder nichtsprachliche Performanzmerkmal eines Textes Stilsinn tragen und Stilwirkung auslösen (s. 3.2.). 12 In Anlehnung an die Alltagssprache bezeichnet Sandig (2006) individuelle Textperformanz als ‚Stil‘ und situativ-funktionale oder traditionelle Textmuster als typisierte ‚Stile‘ (z.B. ‚Verhandlungsstil‘, ‚literarischer Stil‘ usw.; vgl. Funktionalstilistik oder auch ‚Kulturstile‘ bei Zhao 2008). Um die Trennung zwischen konkreter Textperformanz und prototypischem Muster eindeutig zu kennzeichnen, wird Letzteres hier mit den Begriffen ‚Norm‘ im Sinne einer Zwischenstufe zwischen ‚langue‘ und ‚parole‘ benannt (s. 2.3.). Der Begriff ‚Stil‘ bleibt so für die Art und Weise der konkreten Textperformanz reserviert, unabhängig davon, ob diese normgemäß oder normabweichend ausfällt. In diesem Sinne ist auch ‚Stilkompetenz‘ (Sandig 2006: 10) hier als ‚Musterkompetenz‘ bzw. ‚Normwissen‘ zu verstehen. 84 Sabrina Zankl fortschreitende Normierung funktionaler Bereiche im Sinne medienspezifischer Texttraditionen einerseits und tendenziell individuelle Textstrategien im Bereich der multimodalen Gestaltung andererseits (vgl. Hahn 2015: 345ff). Vor allem im Fall sehr funktionaler Bereiche (z.B. Navigation, Funktionsfelder, Formulare), deren intuitive Bedienung und reibungsloses Funktionieren im Sinne der Benutzerfreundlichkeit unmissverständlich, effizient und daher möglichst konventionell geregelt sein sollte, haben sich prototypische Gestaltungsmerkmale etabliert, deren handlungsorientierender, tendenziell auch verbindlicher Charakter sich nicht zuletzt in der schriftlichen Fixierung von Empfehlungen in zahlreichen Ratgebern zum Thema ‚Usability‘ zeigt. Auch die Website-Rezipienten haben sich an im Laufe der Zeit etablierte zentrale prototypische Performanzmerkmale gerade in den Bereichen Hypertextualität und Intertextualität gewöhnt und erwarten inzwischen zunehmend ihre Einhaltung, Abweichungen werden als irritierend oder sogar dysfunktional empfunden und erschweren im Zweifelsfall die Kommunikation. Während Normierung im WWW im Hinblick auf Funktionalität längst stattfindet und weiterhin erwartbar ist, sind strenge Konventionen im Bereich Multimodalität kaum vorstellbar. Obwohl auch hier einerseits teilweise Muster zu beobachten sind, die sich häufig auf ‚geerbte‘ branchen- oder kulturspezifische Texttraditionen in anderen Medien zurückführen lassen (z.B. verbale Beziehungsgestaltung, Text-Bild-Verhältnis, Farbgebung), spricht die appellative Prägung der Textfunktion andererseits dafür, dass Website-Produzenten grundsätzlich individuell und originell mit multimodalen Gestaltungsmerkmalen und ihrem emotionalen Wirkungspotential umgehen, um sich von anderen positiv abzuheben (vgl. Hahn 2015: 99ff).13 Aus dieser Perspektive wird der Umgang mit situativ-funktional und diskurstraditionell geprägten Gestaltungskonventionen im WWW, die je nach Funktionalitätsgrad mehr oder weniger stark erwartet werden, zum bedeutsamen kommunikativen Handeln, das einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Textintention leistet und daher für die Kommunikationsqualität von Websites hochrelevant ist. So nennt auch Hahn (2015: 189) nicht unbedingt die Einhaltung von Normen, sondern funktionale Adäquatheit als letztlich entscheidendes Kriterium guter Webgestaltung: „Richtig oder falsch gibt es hier selten, eher passender oder weniger passend, nämlich passend […] zur gewünschten Wirkung“. In Anlehnung an Tolcsvai Nagy (1998) geht Sandigs pragmatisch-kommunikative Stiltheorie davon aus, dass nicht nur die Wahrnehmung von Stil, sondern auch seine Interpretation und Bewertung von den Erwartungen der Rezipienten abhängt. Bedeutung und Wirkung stilistischer Variation werden daher abschließend aus zeichentheoretischer Perspektive näher beleuchtet. 3.2. Stil als sekundäres Zeichen Sandig (2006) zufolge ist stilistische Variation nicht in erster Linie ‚Schmuck der Rede‘, wie die antike Rhetorik annahm, vielmehr erhält sie „in Relation zum per Konvention Erwartbaren einen Sinn“ (Sandig 2006: 19), welcher eine Wirkung auf die Rezipienten ausübt. Vor allem aufgrund der Annahme eines Zusammenhangs zwischen Stil und der außersprachlichen Wirklichkeit im Begriff der ‚Stilwirkung‘ spricht Sandigs (2006) pragmatisch-kommunikatives Konzept Stil implizit semiotischen Charakter zu: Stilsinn stellt eine semiotische Qualität 13 Wie verbindlich Gestaltungskonventionen derzeit gerade im Bereich Multimodalität im WWW tatsächlich sind, d.h. wie stark diese von den Rezipienten erwartet werden und Abweichung interpretiert wird, ist schwer einzuschätzen und lässt sich nur im Rahmen empirischer Studien zur Rezeption von Vertretern verschiedener Website-Sorten feststellen. Einen ersten Beitrag zu diesem Forschungsfeld soll meine Dissertation leisten, die die Wirkung russischer Hochschulwebsites vergleichend untersucht. Stilwirkung im WWW 85 dar, die – zusätzlich zum eigentlichen Aussagegehalt eines Sprechaktes – pragmatische Sekundärinformationen beispielsweise bezüglich der Selbstdarstellung des Textproduzenten, seiner Beziehung zum Textrezipienten oder der Kommunikationssituation portiert (vgl. Fix et al. 2003: 35). Der Stil eines Textes kann somit als ganzheitliches sekundäres Zeichen gefasst werden, das das Primärzeichen ‚Text‘ überlagert und die kommunikative Handlung dadurch funktional wirksam modifiziert: Der generelle Zweck dieses Anreicherns eines abstrakten Handlungstyps mit stilistischem Sinn ist folgender: die Handlung auf die konkreten Intentionen zuzuschneiden und dabei auf die konkreten Gegebenheiten zu beziehen. Dadurch soll sie möglichst wirksam gestaltet werden, so dass sie möglichst im Sinn der handelnden Person wirken kann (Sandig 2006: 24). Diese Vorstellung von Stil als sekundärem Zeichen, das in Relation zu den Normvorstellungen und Erwartungen der Rezipienten entsteht und wirkt, indem es etwas über die außersprachliche Welt mitteilt, erinnert an Figur-Grund-Konzepte der Prager Schule und insbesondere die Semiotik der Schule von Moskau und Tartu.14 Implizit ausgehend von einem grundsätzlich strukturalistischen, aber in Ansätzen pragmatisch-kommunikativ geöffneten Zeichenbegriff (vgl. Sonnenhauser 2012: 73) beschäftigt sich Letztere vor allem mit ‚sekundär modellierenden Zeichensystemen‘, die auf Basis der natürlichen Sprache oder analog zu ihr semiotische Superstrukturen bilden (z.B. Lotman et al. 1986 [1973]), welche „funktional auf die Verarbeitung, Weitergabe und Erzeugung von immer neuen Informationen bzw. Erkenntnissen im Rahmen übergeordneter gesellschaftlicher bzw. kultureller Zusammenhänge angelegt“ (Eimermacher 1981: 33) sind und in ihrer Gesamtheit ganzheitliche Zeichen, Texte, konstruieren. Wie die pragmatische Linguistik begreift schon die Schule von Moskau und Tartu Texte als originäre, in sich geschlossene Kommunikationseinheiten und betont ihre ganzheitliche Funktionalität als „Kondensatoren und Speicher von Information über die Außenwelt“ (Lekomcev 1967, zitiert nach Fleischer 1989: 110) sowie – mehr noch: – Modelle der Welt, die sie von Nicht-Texten abhebt (vgl. Lucid 1977: 13; Nöth 2000: 98). Ein Text, der von einem sekundär modellierenden Zeichensystem erzeugt wurde, ist nach Lotman et al. (1986 [1973]: 91) „nicht diskret und zerfällt nicht in Zeichen. Er stellt ein Ganzes dar und gliedert sich nicht in einzelne Zeichen, sondern in Differenzmerkmale“, anhand derer die spezifische Struktur eines solchen Textes und das durch ihn vermittelte Weltmodell, d.h. pragmatische Sekundärinformationen, beschrieben und im Rahmen von binären Oppositionen verglichen werden können (vgl. Sonnenhauser 2012: 71). Dabei geht u.a. Lekomcev (1967: 122f) von einer entscheidenden Bedeutung der Rezeption für den Semiose- bzw. Kommunikationsprozesses aus. Dem folgend kann stilistische Variation als sekundär modellierendes Zeichensystem bezeichnet werden, das den Rezipienten ein über die unmittelbare eigentliche Textbedeutung hinausgehendes Sinnangebot macht. Ob die Rezipienten dieses Sinnangebot erkennen bzw. annehmen, ist abhängig von ihren Normvorstellungen und Erwartungen. Der Ansatz, die konkrete Art und Weise der Website-Gestaltung als Stil im Sinne eines sekundären Zeichens zu fassen, zielt damit nicht auf das technische ‚Funktionieren‘ der Kommunikation ab, mit der sich vor allem die Usability-Forschung beschäftigt, sondern auf ihr ‚Gelingen‘, das entscheidend von ihrer Wirkung auf die Rezipienten abhängt: Je nach den situativ-funktional und texttraditionell bedingten Normvorstellungen und Erwartungen der Textrezipienten kann eine konventionelle oder (gradweise) abweichende Textperformanz als adäquat oder unpassend, originell oder unseriös, ansprechend oder eintönig empfunden werden und damit mehr oder weniger im Sinne 14 Eine ausführlichere Darstellung und Diskussion verschiedener Zeichentheorien, insbesondere der Annahmen der Schule von Moskau und Tartu, mit Blick auf Stil im WWW finden sich bei Zankl (2014). 86 Sabrina Zankl des Textproduzenten ‚geglückt‘ sein (vgl. Sandig 2006: 29f). Gerade mit Blick auf die komplexe Textperformanz im WWW ist dabei das funktionale Zusammenwirken aller Merkmale zu einem „durch alle Zeichen gemeinsam hergestellte[n] Sinnangebot“ (Fix 2001: 114) zu betonen: Nicht nur die Art und Weise der sprachlichen, sondern vor allem auch der para- und nonverbalen Gestaltung vermittelt pragmatische Sekundärinformationen, die die Textrezeption im Sinne einer ‚visuellen Rhetorik‘ (Antos 2001: 64) erheblich beeinflussen können (vgl. Antos 2009). So sind es – gerade mit Blick auf die Herausbildung von Konventionen im WWW (s. 3.1.) – insbesondere Performanzmerkmale im Bereich Multimodalität, die beispielsweise branchenund kulturspezifisch stark variieren können und den „Gesamteindruck, die Wirkung des Designs“ (Hahn 2015: 108) und dadurch letztlich auch die Kommunikationsqualität bzw. den (kommunikativen) Erfolg von Websites beeinflussen. 4. Resümee, Ausblick Aufgrund der hohen Bedeutung des Kommunikationsmittels ‚Website‘ für den modernen Kommunikationsalltag in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen stellt die Erforschung der situativ-funktional und texttraditionell bedingten Stilwirkung ein für die Praxis hochrelevantes Aufgabenfeld der angewandten Linguistik dar, das bislang allerdings noch weitgehend unbeachtet blieb. Eine mögliche Erklärung dafür nennt Sandig (2006: 30): „Wirkungen von Stil methodisch nachzuweisen, ist ein besonderes Problem.“ Ihr pragmatischkommunikatives Stilverständnis bietet eine geeignete Basis, um die strukturell, direktional und modal komplexe Website-Performanz in Relation zu den erfahrungsbedingten, situativfunktional und texttraditionell geprägten Normvorstellungen Erwartungen zu untersuchen. Ein Verständnis von ‚Norm‘ als prototypisches, ganzheitlich intentionales Merkmalsbündel wird dabei den neuen Qualitäten der Textperformanz im WWW gerecht und erlaubt gleichzeitig, diese anhand bestimmter Merkmale greifbar und ihre Wirkung kategoriengeleitet bewertbar zu machen. Die Ausarbeitung eines Forschungsdesigns für entsprechende Probandentests stellt sich daher als lohnende Herausforderung dar. Bibliographie Antos, G. (2001): Sprachdesign als Stil? Lifting oder: Sie werden die Welt mit anderen Augen sehen. In: Jakobs, E.-M. & Rothkegel, A. (Hg.): Perspektiven auf Stil (= Reihe Germanistische Linguistik 226). Tübingen: Niemeyer. 55-76. Antos, G. (2009): Semiotik der Text-Performanz. Symptome und Indizien als Mittel der Bedeutungskonstitution. In: Linke, A. & Feilke, H. (Hg.): Oberfläche und Performanz. Untersuchungen zur Sprache als dynamischer Gestalt (= Reihe Germanistische Linguistik 283). Tübingen: Niemeyer. 407-428. Brinker, K. (2001): Linguistische Textanalyse. 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