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Lovecrafts Schriften des Grauens 15: Cthulhu Libria Neo
Lovecrafts Schriften des Grauens 15: Cthulhu Libria Neo
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eBook275 Seiten2 Stunden

Lovecrafts Schriften des Grauens 15: Cthulhu Libria Neo

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Über dieses E-Book

"Nach jahrelangem Bestehen als Geheimtipp für die Freunde dunkler Phantastik findet das CTHULHU LIBRIA NEO-Magazin mit seiner zehnten Ausgabe ein neues Zuhause im BLITZ-Verlag.
Mit seinem Schwerpunkt Die Poe-Rezeption in der deutschen phantastischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Markus K. Korb und begleitenden Beiträgen sowie Erzählungen von Uwe Voehl, Jörg Kleudgen, Christopher Müller und E. L. Brecht enthält das Magazin auch diesmal die gewohnten Rubriken Genius Loci, Der vergessene Bücherschrank und vieles mehr."
SpracheDeutsch
HerausgeberBLITZ-Verlag
Erscheinungsdatum30. Apr. 2024
ISBN9783957199256
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    Buchvorschau

    Lovecrafts Schriften des Grauens 15 - Jörg Kleudgen

    Editorial

    Cthulhu Libria, Cthulhu Libria Äon und ­schließlich Cthulhu Libria Neo … die Geschichte ­dieses Magazins ist lang und wechselhaft. Von der von Eric Hantsch herausgegebenen Bücherliste hat es sich immer wieder weiterentwickelt und neu erfunden, bis es zu seiner jetzigen Inkarnation gelangte. Wie der sperrige Name erahnen lässt, ist das CLN nicht für ein möglichst breites Publikum konzipiert. Es ist aber auch nicht so sehr auf Themen rund um das Werk H. P. ­Lovecrafts fixiert, wie sein Titel vermuten lassen könnte. Die dunkle Phantastik und ihre Randbereiche bilden das Gewässer, in dem wir nach schaurigen Geschichten, interessanten Interviews, Kritiken und Essays fischen. In der vorliegenden Ausgabe - der ersten, die unter dem Schirm des BLITZ-Verlages erscheint - heben wir einen besonderen Schatz. Den diesmaligen Schwerpunkt bildet ­Markus K. Korbs vor rund zwanzig Jahren als Studienarbeit entstandener Beitrag „Zur Poe-Rezeption in der deutschen phantastischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts", der somit endlich einer ­interessierten Leserschaft zugänglich gemacht wird. Und wie das schon in der Vergangenheit beim CLN oft der Fall war, fanden sich wie auf wunderbare Weise Begleitartikel, die das Thema vertiefen.

    Das Ergebnis ist genauso, wie wir uns das Magazin immer gewünscht haben: unterhaltsam, reichhaltig und tiefgründig.

    Wir wünschen viel Vergnügen mit der Lektüre.

    Jörg Kleudgen

    Editorial_J_rg_Kleudgen_ausgeschnitten

    Carlos Ruiz Zafón (* 25.09.1964; † 19. Juni 2020)

    Adios, Don Carlos – Der Versuch eines Nachrufs

    Gerade wenn man denkt, das Jahr 2020 kann nicht mehr wesentlich schlechter werden, reißt der Krebs einen weiteren großen Künstler aus dem Leben.

    Ich erinnere mich, als ich begann, im „Schatten des Windes" zu lesen, und ich gebe unumwunden zu, dass die ersten rund 100 bis 150 Seiten ziemlich zäh waren. Aber nachdem Zafón sein Feld bestellt, die katalanische Metropole Barcelona und die Familie Sempere ausgebreitet hatte, begann die Geschichte zu wirken. Und der Strudel, der sich daraus ergab, ließ mich die kommenden Monate nicht zur Ruhe kommen. Mit Ausnahme der Novelle „Gaudi in Manhattan" verschlang ich alles von ihm und wartete sehnsüchtig auf den Abschluss „Das Labyrinth der Lichter", das die Geschichte des Friedhofs der vergessenen Bücher zu einem würdigen Ende brachte. Kaum zu glauben, dass dieses Buch das letzte gewesen sein soll, das aus der Feder dieses so begabten Wörterschmieds stammt.

    Ich will mich hier nicht über die Bücher selbst auslassen. Es wird in der nahen Zukunft die Gelegenheit geben, das eine oder andere Buch von ihm zu besprechen und damit das Vermächtnis Zafóns dem einen oder anderen nahezubringen.

    Für mich persönlich war „Marina" eine sprichwörtliche Offenbarung. Es führte mir vor Augen was alles möglich ist, wenn man das Handwerk des Erzählens zu einer wahren Meisterschaft vorantreibt. Zafóns Schreibstil verwischt die Grenzen der Literaturgenres. ­Historischer Roman, magischer Realismus, Familiendrama, Liebesroman, Kriegsdrama … wortgewaltig, mit der richtigen Mischung aus kalten ­Szenarien und ­warmen Klangfarben, tiefen Charakteren und einem Händchen dafür, die nähere Geschichte ­Spaniens als Hintergrund zu nutzen, stellt uns Zafón sein Barcelona vor. Irgendwo zwischen der Historie und der Moderne.

    Seine Coming-of-Age-Romane lassen seine Leser wieder zurückfinden in eine Zeit, in der man schmerzhaft lernen musste, dass man kein Kind mehr ist, aber auch lange noch nicht verstanden hat, dass man noch nicht erwachsen ist.

    Als ich am Freitag den 19. Juni lesen musste, dass Carlos Ruiz Zafón verstorben ist, saß ich einige Minuten wortlos vor meinem Computer. Der Wind war verweht und nur sein Schatten geblieben.

    Im spanischen Sprachgebrauch steht Don für einen besonderen, verdienten Mann. Es ist eine Ehrbezeichnung die man Lehrern, Bürgermeistern, Firmenchefs oder Familienoberhäuptern entgegenbringt. Zafóns Werk hat meine Art zu schreiben beeinflusst und neben dem Wunsch, so schreiben zu können wie er, auch das lange begrabene Bedürfnis wiedererweckt, Spanisch zu lernen. Er und seine Erzählstimme werden in der Welt der Literatur fehlen, ja, eine vielleicht nicht zu schließende Lücke hinterlassen.

    Seine Bücher allerdings werden nicht vergessen werden. Man wird sie nicht suchen müssen, in einer geheimen Biblio­thek, versteckt in einer der Seitenstraßen von Barcelona ...

    Adios Don Carlos, descansa en paz.

    [KR]

    Carlos_Ruiz_Zaf_n_ausgeschnittenZur_Poe-Rezeption_in_der_deutschen_phantastischen_Literatur_zu_Beginn_des_20._Jahrhunderts

    Zur Poe-Rezeption in der deutschen phantastischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts

    von Markus K. Korb

    1. Einleitung

    „Glauben Sie an Gespenster?" -

    „Nein, aber ich habe Angst vor ihnen."

    Dieses Bonmot beinhaltet in treffender Weise die rezeptionsästhetische Komponente der phantastischen Literatur und könnte auch als deren Quintessenz bezeichnet werden. Der Ausspruch der Madame Deffand kennzeichnet aber auch die Grundhaltung vieler Autoren des Phantastischen, einer Literatur, die seit der Aufklärung starke Verbreitung gefunden hat.

    Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts tauchte eine Vielzahl von Werken auf der literarischen Bühne auf, die unter den Begriffen „Seltsame Geschichten, „Merkwürdige Geschichten oder „Absonderliche Geschichten publiziert wurden. Erst später erschien der Begriff „Phantastische Novellen als Untertitel der Veröffentlichungen.

    Als derjenige Autor, der die Renaissance der Phantastik gegen Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts einleitete, darf Oscar Adolf Hermann Schmitz (1873-1931) gelten. Sein spektakulärer Band „Haschisch" (in der Zeit von 1897 bis 1900 entstanden und 1902 zum ersten Mal erschienen) hat mit seinen Schilderungen von Drogen­experimenten und dem Bruch von religiösen Tabus nicht nur in literarischen Kreisen für Aufsehen gesorgt.

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    E. T. A. Hoffmann

    Der phantastischen Literatur war in Deutschland seit der Romantik mit dem als „Gespenster­hoffmann geschmähten E.T.A. Hoffmann keine durchgehend literarisch geachtete Tradition beschieden. Gespenstergeschichten wurden vom Bürgertum als „Dienstboten­literatur abgewertet, da sie nicht die Ideale der Aufklärung und des Klassizismus predigten, sondern im Gegenteil die Welt als undurchschaubar darstellten, die kreatürliche Angst ohne eine Möglichkeit zur Überwindung zeigten, und so die „Erhabenheit" des klassischen Ideals negierten.

    Ein anderer Autor der Phantastik lebte, litt und schrieb von 1809 bis 1849 in Amerika. Er hieß Edgar Allan Poe, war Amerikaner englischer Abstammung und sollte der Leitstern für eine ganze Generation von französischen Schriftstellern, den Symbolisten, werden. In Amerika war dem Poeten zu Lebzeiten und auch in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod kein großer Erfolg vergönnt. Erst nach seinem Tod lernte Charles Baudelaire ihn kennen und lieben. Er übersetzte sein Werk ins Französische und leitete damit eine Poe-Rezeption ein, die sich von Frankreich aus über den Mittler des ­Symbolismus bis nach Deutschland erstreckte. Die Vertreter des Fin de Siècle, allen voran Stefan George, erkannten in ihm einen geistigen Vorreiter.

    Doch die nächste Schriftstellergeneration hatte ihn bereits in ihrer Jugendzeit gelesen, und sie rezipierte ihn auf eine andere Art und Weise. Es ist diese Generation von Autoren, deren Werk eng mit dem des Amerikaners Edgar Allan Poe verwandt ist, die ihm viele Einflüsse verdankt, und die sich auch nicht scheuten, dies öffentlich zu bekunden.

    Den fatalen historischen Jahren von 1933 bis 1945 ist der Zustand zuzuschreiben, daß nahezu alle Autoren des untersuchten Zeitraums der Vergessenheit anheimgefallen sind. Entweder wurden ihre Schriften durch die National­sozialisten verbannt und niemals wieder aufgelegt, oder die Autoren hatten sich an die neuen Macht­haber angebiedert und wurden so den Vertretern der Nachkriegs­literatur verdächtig, was ebenfalls zur Folge hatte, daß sie nicht mehr gedruckt wurden. Zugegebenermaßen ist nicht alles Gold, was in den ersten dreißig Jahren des Jahrhunderts publiziert wurde. Manches mutet doch sehr „völkisch an und kann die Patina des „Deutschtums nicht verleugnen. Andererseits wurden dem Leser nach 1945 Autoren vorenthalten, welche die deutsche Phantastik um einige interessante Nuancen bereichert haben. Seien es nun kleine oder große Veränderungen, die sie geleistet haben, mögen auch die Qualitäten unterschiedlich sein, wichtig ist die Feststellung: Eine polychrome Auffächerung der phantastischen Werke deutet auf eine lebendige und überaus bunte ­Literaturszene hin. Die Vielfalt der deutschen phantastischen Literatur unseres Jahrhunderts kann nur gezeigt werden, wenn man seinen Blick auch auf das erste Viertel des 20. Jahrhunderts lenkt, als sich eine zweite Blüte der Phantastik in Deutschland ankündigte, von deren Beliebtheit die großen Auflagenzahlen ihrer einzelnen Vertreter Zeugnis geben können. Die Autoren Hanns Heinz Ewers, Karl Hans Strobl und ­Alexander Moritz Frey repräsentieren einen willkürlichen, synchronen Querschnitt durch die Menge an Schriftstellern des untersuchten Zeitraums, deren Werk durch zahlreiche Einflüsse den Erzählungen und theoretischen Schriften von Edgar Allan Poe verpflichtet ist.

    Es soll in dieser Arbeit untersucht werden, wie die einzelnen Autoren Edgar Allan Poe rezipierten, und wie dessen Einfluß auf ihre eigene Art zu schreiben in ihren jeweiligen Werken nachgewiesen werden kann. Andererseits sollen auch die Differenzen und Besonderheiten der einzelnen Autoren betont werden, in denen sie sich vom Werk Edgar Allan Poes abheben. Dabei muß dem Umstand Rechnung getragen werden, daß sich Edgar Allan Poe sowohl als Autor von Erzählungen, wie auch von theoretischen Schriften, die sich mit dem Verfassen von Literatur auseinandersetzen, hervorgetan hat. ­Deshalb muß das Analyseinstrument der vorliegenden Arbeit beide Bereiche in den Werken der zu untersuchenden Autoren erfassen und durchdringen. Das Raster, das diese Ausarbeitung erst ermöglicht, soll deshalb eine Untersuchung der Motivkomplexe sein, die mit einer gesonderten Analyse von Sprache und Komposition der jeweiligen Autoren gekoppelt wird, wobei beides im Vergleich zu Poe stehen muß, um Parallelen und Kontraste abbilden zu können.

    Dabei beschränkt sich die Textauswahl auf Erzählungen, in denen entweder der Einfluß Poes oder die Differenzen zu ihm besonders deutlich herausgearbeitet werden kann.

    Die Erzählungen Poes werden im fortlaufenden Text nach der Virginia Edition zitiert und tauchen in den Fußnoten dementsprechend unter dem Kürzel „VaEd" mit nachfolgender Bandzählung und Seitenzahl auf.

    Die Quellenbände der untersuchten Autoren, aus denen die einzelnen Erzählungen entnommen wurden, werden nur bei der ersten Nennung im Fußnotentext erwähnt. Gleiches gilt für die Sekundärliteratur.

    2. Begriffsbestimmung „Phantastik"

    2.1 Forschungsstand

    Die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema „Phantastik hat in den letzten drei Jahrzehnten zu einer Fülle von Theorieansätzen geführt, wie denn nun der Begriff „Phantastik zu definieren sei.

    Louis Vax legt seine Begriffsbestimmung im ersten Kapitel seines Buches „L’Art et la litterature fantastiques" folgendermaßen dar:

    Die phantastische Erzählung liebt es dagegen, uns Menschen, wie wir es sind, vor Augen zu führen, die sich in unserer Alltagswelt bewegen und auf einmal mit dem Unerklärlichen konfrontiert werden. Während das Märchenhafte eine Welt aufbaut, die sich außerhalb der Wirklichkeit befindet und in der das Unmögliche, der Skandal, also nicht existieren kann, findet das Phantastische gerade seinen Ursprung in den Konflikten zwischen dem Realen und dem Möglichen.

    Vax pendelt an dieser Stelle zwischen drei Begriffen „das Unmögliche, „der Skandal und „das Mögliche", was seiner Theorie zu keiner klaren Linie verhilft und seine These verwischt. Trotzdem wurde sie zur Grundlage weiterer Definitionsversuche.

    Roger Caillois greift die These auf und formuliert seine Behauptung wesentlich klarer:

    Das Phantastische dagegen offenbart ein Ärgernis, einen Riß, einen befremdenden, fast unerträglichen Einbruch in die wirkliche Welt.

    Und weiterhin sei das Phantastische „[...] das Unmögliche, das unerwartet in einer Welt auftaucht, aus der das Unmögliche per definitionem verbannt worden ist." ­Caillois sieht das Phantastische in unmittelbarer Nähe zum Märchen, wenn er sagt:

    Es ist notwendig, die Eigenheiten des Phantastischen aus einer Konfrontation mit denen des Märchens zu bestimmen.

    Hans Richard Brittnacher greift diese These an, indem er die Nähe des Phantastischen zum Märchen negiert und an dessen Stelle die Sage setzt:

    [...] das Beängstigende und Entsetzliche der Phantastik hat eher in der Sage seinen Platz.[...] Das Märchen hat als stoffliche Quelle für die Phantastik nicht einmal sekundäre Bedeutung [...] Auch in formanalytischer Hinsicht sowie im Hinblick auf Erzählebene, Wahrheitsanspruch, Handlungsverlauf, im Ausgang des Geschehens, in der Zeichnung des Protagonisten und der Atmosphäre ist die phantastische Literatur eher der Sage als dem Märchen verwandt.

    Dem ist zuzustimmen, denn Brittnacher weist zurecht auf Besonderheiten hin, die für die phantastische Literatur evident und mit den Ausdrucksformen der Sage weitgehend deckungsgleich sind.

    Die weiteren Schlußfolgerungen Caillois’ sind ebenfalls kritisch zu beleuchten, wenn er behauptet:

    [...] daß die Phantastik das Märchen abgelöst hat und die Science Fiction allmählich die Phantastik in der Art des letzten Jahrhunderts ablöst.

    Für diese These ist von Caillois kein empirischer Beweis vorgelegt worden und erweist sich daher als Spekulation. Ein Blick in die Bestsellerlisten oder Verlagskataloge ist Gegenbeweis genug. Offensichtlich ist das Interesse an der Phantastik, auch von seiten der Autoren, ungebrochen. Die obige Feststellung widerlegt auch die Behauptung Todorovs, der als Schlußfolgerung seiner Ausführungen über die Psychoanalyse festschreiben will:

    [...] die Psychoanalyse hat die phantastische Literatur ersetzt und damit überflüssig gemacht. Man hat es heutzutage nicht mehr nötig, auf den Teufel zurückzugreifen, um über eine exzessive sexuelle Begierde sprechen zu können.

    Stanislav Lem hat in seiner teilweise überspitzten Gegendarstellung zu Todorov folgendermaßen erwidert:

    [...] ad extremum geführt, bedeutet Todorovs These, daß das Phantastische eigentlich von der Zensur erschaffen wurde, denn es stellt ein Umgehungsmanöver ihrer Schranken dar.

    Anhand von de Sades „Juliette zeigt Lern die Koexistenz von Phantastischem und Obszönem auf, was ja nach der Todorovschen Definition undenkbar wäre. Die weitere Forschung kommt in einem Punkt zu einer Übereinkunft, so z.B. wenn Tzvetan Todorov im zweiten Kapitel seiner Monographie „Einführung in die fantastische Literaturdie Definition des Fantastischen vornimmt:

    In einer Welt, die durchaus die unsere ist, die, die wir kennen, eine Welt ohne Teufel, Sylphiden oder Vampire, geschieht ein Ereignis, das sich aus den Gesetzen eben dieser vertrauten Welt nicht erklären läßt.

    Ähnlich liest sich die These Georges Jacquemins’, wenn er das Phantastische als den Ort klassifiziert, „[...] an dem sich Ereignisse vollziehen, die von der Ratio nicht analysiert werden können [...]".

    Dieter Penning faßt diesen Konsens folgendermaßen zusammen und ordnet so die verschiedenen Auffassungen unter eine Definition von Phantastik ein:

    Die Zentralthese lautet bei den meisten [...], daß das Phantastische der Konflikt zweier vom Standpunkt der Rationalität aus unvereinbarer Ordnungen bzw. Logiken ist, nämlich einer empirischen und einer spirituellen [...]

    Über die Art jedoch, wie sich das Phantastische manifestiert, gehen die Meinungen auseinander. War es bei Caillois noch ein „Riß, so vollzieht sich die Manifestation bei Dieter Penzoldt „[...] Schritt für Schritt [...]. Das Phantastische ist für Penzoldt eine Klimax, wobei „[...] der Autor ihn [den Leser, MK] aus seiner Alltagswelt in das Gebiet der reinen Phantasie [...]"führt. In ähnlicher Weise äußert sich Thomas Owen in einem Interview:

    Beim Phantastischen gibt es eine Korrosion des Alltäglichen. Nicht so sehr der Riß ist phantastisch, sondern vielmehr dieses allmähliche Zerfallen, diese Korrumpierung, die sich langsam ausbreitet [...]

    Der Grundkonsens der Forschung über zwei divergierende Darstellungsebenen bleibt jedoch bestehen. Als weiteres Konstituens der phantastischen Literatur legt Todorov die „Unschlüssigkeit" fest:

    Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat.

    Die Unschlüssigkeit wird noch genauer definiert, wenn Todorov weiter ausführt:

    Zuerst einmal muß der Text den Leser zwingen, die Welt der handelnden Personen wie eine Welt lebender Personen zu betrachten, und ihn unschlüssig werden lassen angesichts der Frage, ob die evozierten Ereignisse einer natürlichen oder übernatürlichen Erklärung bedürfen. Des weiteren kann diese Unschlüssigkeit dann gleichfalls von einer handelnden Person empfunden werden; so wird die Rolle des Lesers sozusagen einer handelnden Person anvertraut und zur gleichen Zeit findet die Unschlüssigkeit ihre Darstellung, sie wird zu einem der Themen des Werks; im Falle einer naiven Lektüre identifiziert sich der reale Leser mit der handelnden Person.

    Weiter legt Todorov die Unschlüssigkeit als Funktion des Textes fest, die einem implizierten Leser zugeschrieben wird, der im Verlauf seiner Thesen jedoch immer mehr dem realen Leser ähnelt, bis er sogar Funktionen übernimmt, die nur ein realer Leser zu leisten imstande ist.

    Todorov siedelt die Phantastik

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