Crashkurs Personalentwicklung
Crashkurs Personalentwicklung
Crashkurs Personalentwicklung
Wolfgang Weiss
Crashkurs
Personalentwicklung
Mitarbeitende fördern und binden
Crashkurs
Personalentwicklung
Mitarbeitende fördern und binden
Haufe Group
Freiburg · München · Stuttgart
In diesem Buch wird im Sinne einer geschlechtergerechten Sprache der Gender-Doppelpunkt
verwendet (»Mitarbeiter:in«). Diese Schreibweise bezieht sich ausschließlich auf Personen
oder Personengruppen. Stehende Wendungen und Komposita (»Mitarbeitergespräch«)
werden nicht gegendert.
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verweisen lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.
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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1 Grundlagen der Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.1 Definition Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.2 Selbstverständnis und Ziele der Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3 Selbstverständnis und Ziele der Personalentwickler:in . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.4 Prozessmodell der Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption –
Entwicklung von PE-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
3.1 Lernen und Wissensdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
3.2.1 Übergeordnete Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
3.2.2 Lernziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
3.2.3 Arbeitsbezogene Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
3.2.4 Zugangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
3.2.5 Didaktische Konzeption anhand ausgewählter Lerntheorien . . . . . . . . . 181
3.2.6 Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
3.3 Blended Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Bei jedem Kapitel hatten wir folgende Frage im Hinterkopf: »Was müssen Sie wissen,
damit Sie das, was Sie machen wollen, im Unternehmen umsetzen können?« Ent-
sprechend erhalten Sie in jedem Kapitel alle wichtigen Informationen mit konkreten
Anleitungen und Beispielen. Darüber hinaus zeigen wir Ihnen in vielen Fällen, woher
die Methoden, Werkzeuge und Ansätze stammen. Wir geben Hinweise zu den wissen-
schaftlichen Grundlagen der PE-Konzepte und stellen relevante Forschungsergebnis-
se vor. Denn die Details, die hinter einer methodischen Aussage stecken, helfen oft, die
Methode besser zu verstehen.
Digitale Extras
Ergänzend zum Buch haben wir zahlreiche weitere digitale Extras sowie 12 Exkurse zum
Download für Sie bereitgestellt. Gehen Sie einfach auf mybook.haufe.de und geben Sie dort
den Buchcode ein, den Sie am Buchende finden. Achten Sie auch auf unsere Hinweise auf die
ergänzenden digitalen Extras an vielen Stellen im Buch.
Wenn Sie Vorwissen haben, so werden Sie auf Stellen stoßen, an denen Sie denken
»Warum haben die Autoren nicht noch Thema X aufgenommen?« Und Sie werden
mit Ihrer Frage Recht haben: Weitere Themen wären ebenfalls spannend und einer
Darstellung würdig. Doch mussten wir beim Schreiben dieses Buches immer wieder
Entscheidungen treffen, welche Themen wir hineinnehmen und welche nicht. Ein Bei-
spiel dazu: In Kapitel 4.2, »Training/Seminare/Schulungen« haben wir einige Trainings
in Kurzbeschreibungen dargestellt, um Ihnen eine Übersicht zu verschaffen. Damit
decken wir natürlich bei weitem nicht alle Trainingsinhalte ab, die im Rahmen von PE-
Maßnahmen angeboten werden können. Welche Trainingstitel haben wir also ausge-
wählt? Diejenigen, bei denen die Chance groß ist, dass Sie oder die Menschen, für die
Sie PE machen, daran einmal teilnehmen werden.
16 | Einleitung
Methodenorientierter Werkzeugkoffer
Das Buch »Crashkurs Personalentwicklung« versteht sich als methodenorientierter
Werkzeugkoffer. Es ist kein Lehrbuch, das die Formalien oder juristischen Grundlagen
der PE aufbereitet. Gleichwohl sind Themen wie das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz oder AGG (insbesondere bei Personalauswahlprozessen, s. Kapitel 2.3 »Perso-
nenanalyse«) oder der Einbezug des Betriebs- oder Personalrats bei der Entwicklung
von PE-Maßnahmen (vor allem, wenn in deren Rahmen Mitarbeiterdaten erhoben
werden oder psychometrische Fragebogen eingesetzt werden) natürlich auch in der
Personalentwicklungsarbeit von zentraler Bedeutung. Für sehr gute Hinweise zu den
eher formaljuristischen Aspekten im Zusammenhang mit dem Thema Personal möch-
ten wir auf das Haufe-Buch »Crashkurs Personalarbeit« verweisen.
Zudem stellen wir Ihnen im ersten Kapitel das zentrale Prozessmodell der PE vor, das
in 4 Schritten aufgebaut ist und auch die Grundstruktur des Buches bildet:
y Schritt 1: Analyse des PE-Bedarfs
y Schritt 2: PE-Konzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
y Schritt 3: Instrumente der PE
y Schritt 4: Transfer und Evaluation von PE-Maßnahmen
Das Prozessmodell dient zugleich als Inhaltsverzeichnis und roter Faden dieses Bu-
ches, d. h. Sie werden in den folgenden Kapiteln zu jedem der vier Schritte Hintergrün-
de und Praxistipps kennenlernen.
views und Assessment-Centern. Wir gehen auch deshalb so intensiv auf das Thema
»Analyse des PE-Bedarfs« ein, weil Sie, wenn Sie eine solche Analyse durchführen,
eigentlich schon eine Veränderung, eine »Intervention« bei den Leistungsnehmer:in-
nen der PE durchführen. In den in diesem Kapitel abgebildeten Checklisten und
weiteren digitalen Extras finden Sie Beispiele für Assessment-Center-Ablaufpläne,
Aufgabeninstruktionen bis hin zu Beispiel-Rückmeldungen für Teilnehmer:innen.
In Kapitel 4 (Schritt 3) geht es um das »Tun«, den Einsatz der Instrumente der Perso-
nalentwicklung. Hier finden Sie viele Ansätze zur Umsetzung von Maßnahmen, und
das in einer breit gefächerten Übersicht, angefangen mit feedbackbezogenen Ver-
fahren über klassische Trainingsformen, Maßnahmen mit prozessbegleitendem Cha-
rakter (wie Teamentwicklungen), Coaching, On-the-Job-Maßnahmen wie Jobrotation
oder Mentoring, führungsbezogene PE-Instrumente wie Mitarbeiterbeurteilungen
und -gespräche bis hin zum Beispiel eines modular aufgebauten PE-Programms in Ge-
stalt eines Pools für den Führungskräftenachwuchs. Auch in diesem Kapitel finden Sie
zu allen Themen zahlreiche Praxisbeispiele, Muster und Checklisten sowie ergänzen-
de digitale Extras auf mybook.haufe.de.
Und schließlich bringen wir Ihnen in Kapitel 5 das Thema Transfer und Evaluation
von Personalentwicklungsmaßnahmen nahe. In diesem 4. Schritt des Prozessmo-
dells geht es zugleich auch wieder um die Verknüpfung zu Schritt 1, der die Analyse
des PE-Bedarfs abbildet. Die zentrale Frage lautet: »Wie wirksam war das, was wir als
PE-Maßnahme durchgeführt haben?« Und das Ziel ist, einem wichtigen, aber gerne
vernachlässigten Thema der Personalentwicklung Raum zu geben, dies aber in hand-
habbarer Form. Zum Thema »Evaluation« gibt es ganze Fachbücher und das schreckt
viele Praktiker ab. Wir wollen Ihnen aber eine Brücke schlagen, wie praktikable Ansät-
ze von Wirksamkeitsanalysen aussehen können.
In Kapitel 6 beschäftigen wir uns mit einer sehr aktuellen Entwicklung, die immer
mehr an Bedeutung für die HR-Arbeit gewinnt: »Evidenzbasierte Personal- und Orga-
nisationsentwicklung«. Es geht dabei um die zielgerichtete und mehrwertstiftende
Nutzung von Big Data sowohl für die Unternehmensentwicklung als auch die Mitar-
beiter:innen im Unternehmen, die sich aus harten und weichen Faktoren zusammen-
setzen. Dabei werden die meistens unverbundenen Daten aus dem Unternehmen,
seien es Kunden- oder Mitarbeiterbefragungen, Zielerreichungsgrade, Zufrieden-
18 | Einleitung
Doch lassen Sie uns am Anfang beginnen, und zwar mit der Frage: »Was ist PE über-
haupt und welche Rolle nimmt man als »PE-Vertreter:in« im eigenen Unternehmen
ein?«
19
1 Grundlagen der Personalentwicklung
1.1 Definition Personalentwicklung
Wie definiert man eigentlich Personalentwicklung (PE) und wo lässt sich das Anwen-
dungsfeld der PE verorten?
Ob bei der Sichtung der einschlägigen Literatur oder im Zuge von Beobachtungen in
der praktischen Umsetzung: Der Begriff der Personalentwicklung verfügt weder über
ein einheitliches theoretisches Modell noch eine systematisierte Prozesslandschaft.
Schon bei der Definition klafft das Verständnis hinsichtlich des Umfangs und des In-
halts weit auseinander:
oder:
Letztlich bleibt es in der Entscheidung der jeweiligen Organisation den für sie rele-
vanten Ansatz von PE eigenverantwortlich zu definieren. Die Spannbreite möglicher
Anwendungsfelder ist dabei mehr oder weniger breit (s. Abb. 1).
20 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
Auf Basis des beschriebenen Sachverhaltes fokussieren wir im Folgenden weniger auf
den akademischen Diskurs über die Begrifflichkeit und die Inhalte von PE. Uns geht es
vielmehr um eine klare Definition unseres übergeordneten und spezifischen Selbst-
verständnisses von PE und die inhaltliche Ausrichtung in Form eines pragmatischen
Prozessmodells (s. Kapitel 1.4 »Prozessmodell der PE«).
Dabei gehen wir zunächst einmal davon aus, dass sich das unternehmensspezifische
Selbstverständnis von PE aus der Unternehmenskultur – vor allem dem vorherrschen-
den Mitarbeiterbild (Menschenbild) – ableitet.
Ein Menschenbild basiert auf ererbten und erlebten Erfahrungen und repräsentiert
eine spezifische Wertehaltung. Unser humanistisches Menschenbild ist von der
Überzeugung geprägt, dass dem Menschen neben seinem Grundbedürfnis nach
Bindung auch ein Grundbedürfnis nach Selbstwertbestätigung, Selbstwirksamkeit
(Grawe, 2004) innewohnt. Wir sind der festen Überzeugung, dass Menschen einen
intrinsisch motivierten Gestaltungswillen besitzen und sich selbstwirksam spüren
wollen.
1.2 Selbstverständnis und Ziele der Personalentwicklung | 21
Dabei möchten wir die Augen vor der durchaus wahrnehmbaren »dunklen Seite« der
menschlichen Psyche gar nicht verschließen. Für uns handelt es sich hier aber um eine
Frage der Gewichtung. Ginge man generell von einem defizitären Menschenbild im
Sinne eines Hobbesʼschen »Der Mensch ist des Menschen Wolf« aus, spräche einiges
dafür, dass es diesen Planeten schon längst nicht mehr gäbe – zumindest aber wäre
es fraglich, wie Unternehmen überhaupt irgendwelche definierten Ziele erreichen
könnten. Auch die Anzahl ausgewiesener Sozio- und Psychopathen sowie Narzissten
ist durchaus überschaubar. Ob man nun allein den »instinktiven Überlebenswillen«
der menschlichen Rasse dafür verantwortlich macht, dass es so etwas wie Zivilisa-
tion gibt, oder aber diesen Umstand einem positiven Gestaltungswillen zuschreibt,
bleibt eine Frage der philosophischen Grundüberzeugung, also des Glaubens. Weder
ein positives noch ein negatives Menschenbild lassen sich final empirisch belegen. Im
Diskurs der jeweils anderen Überzeugung ideologische Verblendung vorzuwerfen, ist
in »Glaubensfragen« allerdings wenig konstruktiv.
»Liegt dem Qualifizierungskonzept für die Mitarbeiter:innen eher das Ideal der allgemei-
nen Erwachsenenbildung, also eine humanistische Perspektive zugrunde? Überwiegt
ein aufklärender, emanzipatorischer Anspruch? Fördert der Entwicklungsgedanke die
Selbstreflexion der Mitarbeiter:innen und repräsentiert somit die Grundvoraussetzung
für eine Ausformung der Persönlichkeit, die über die reinen betriebswirtschaftlichen In-
teressen des Unternehmens hinausgeht?«
oder:
Oswald Neuberger hat diese Gegenüberstellung der Extrempole 1990 mit seinem Apho-
rismus »Der Mensch ist Mittelpunkt. Der Mensch ist Mittel. Punkt.« perfekt pointiert.
Geht man davon aus, dass beide Fragestellungen durchaus ihre Berechtigung haben,
agiert Personalentwicklung im Spannungsfeld zwischen dem emanzipatorischen
Ideal der allgemeinen Erwachsenenbildung (Aufklärung, Persönlichkeitsentwicklung
und Selbstverwirklichung) und den Forderungen betriebswirtschaftlicher Unterneh-
mensführung (Leistungsbereitstellung, Systemerhaltung und Gewinnmaximierung).
Unternehmensziele Mitarbeiterziele
Die Tätigkeit der Personalentwickler:in stellt keine »klassische Profession« dar – wie
z. B. Handwerksberufe mit Gesellenabschluss bzw. Meisterbrief oder akademische Be-
rufe wie Lehrer:in, Rechtsanwält:in oder Ärzt:in. Es existiert weder ein formales Curricu-
lum für die Ausbildung noch ein staatlich anerkannter Abschluss für dieses Berufsfeld.
Der oben beschriebene Sachverhalt macht deutlich, dass das Tätigkeitsfeld der Per-
sonalentwickler:in »Gefahr läuft« in einer gewissen »Beliebigkeit« zu münden. Sowohl
die unterschiedliche Grundlagen-Professionen der Anwender:innen als auch die ver-
schiedenen Rollenerwartungen der Stakeholder (Unternehmensleitung, Mitarbei-
ter:innen, Führungskräfte, Organe der Mitbestimmung usw.) bergen das Risiko, dass
PE weder strategisch manifestiert ist, noch einem unternehmensweit abgestimmten
Prozess folgt.
Wir gehen in unserem Verständnis von PE davon aus, dass die Personalentwickler:in
die professionelle Manager:in von Lern- und Veränderungsprozessen im Unterneh-
men oder einer Organisation ist.
Es gilt also zunächst einmal das eigene Rollenverständnis zu schärfen. Dabei kann es
allerdings nicht darum gehen, dass »akademisch« mögliche Gesamtspektrum von PE-
Prozessen und Maßnahmen abzubilden, sondern in einer realistischen Abschätzung
der organisationalen Strukturen und zur Verfügung gestellten Ressourcen/Kompe-
tenzen Szenarien der Umsetzung (Definition von Zielgruppen sowie Aus- und Weiter-
bildungsmaßnahmen, Methoden) zu entwickeln. Kritische Leser:innen könnten nun
anmerken, dass dies zu der im obigen Abschnitt beschriebenen »verkürzten« Form
von PE führen könnte. Das stimmt. Allerdings macht es einen großen Unterschied, ob
ich mich aus freien Stücken und im Wissen um das Gesamtbild von PE für »Beschrän-
kungen« entscheide oder ob ich dies tue, weil es in meinem Unternehmen schon im-
mer so praktiziert wurde.
Aus den erstellten PE-Szenarien und den resultierenden Rollen (z. B. Projektmana-
ger:in, Entwickler:in von Aus- und Weiterbildungskonzepten und -programmen, Chan-
gemanager:in, Personaldiagnostiker:in, Trainer:in, Coach, Berater:in, Moderator:in,
Mediator:in, Organisationsentwickler:in usw.) ergeben sich notwendige Fertigkei-
ten für meine Funktion als Personalentwickler:in und ggf. für die Mitarbeiter:innen
meiner Abteilung. In einem Soll-Ist-Abgleich sollten diese Fertigkeiten nun auf ihren
Erfüllungsgrad hin überprüft und ggf. entwickelt und/oder vertieft werden. Personal-
entwicklung beginnt also beim Personalentwickler selbst.
1.3 Selbstverständnis und Ziele der Personalentwickler:in | 25
Rollenverständnis und Rollenerwartung
Unter Zugrundelegung des eigenen Rollenverständnisses sollte nun das Mandat der
Unternehmensleitung eingeholt werden. Es geht um das »Matching« des eigenen
Rollenverständnisses und der Rollenerwartung der Geschäftsführung. Auf Basis
dieses Abgleiches und der Gesamtstrategie des Unternehmens kann nun die PE-
Strategie definiert werden. Die verantwortliche Personalentwickler:in benötigt
also Wissen um Strategieprozesse und die Fertigkeit diesen Prozess in eine für das
Unternehmen und seine Mitarbeiter:innen akzeptable und nachvollziehbare Form
zu bringen.
Leistungskontrolle
Abb. 3: Strategieprozess
Strukturen und Prozesse
Vor der eigentlichen operativen Umsetzung von PE-Maßnahmen (s. Kapitel 4 »Inst-
rumente der Personalentwicklung«) sollte sich die verantwortliche Personalentwi-
ckler:in Gedanken über Strukturen (wer macht was?) und Prozesse (wie machen wir
was?) machen.
1.3 Selbstverständnis und Ziele der Personalentwickler:in | 27
Hinsichtlich der Strukturen empfehlen wir für spezifische PE-Projekte einen Projekt-
verantwortlichen einzusetzen (dies gilt natürlich nur für den Fall, dass Sie über ent-
sprechendes Personal verfügen). Praktisch bedeutet dies, dass Mitarbeiter:innen der
Personalentwicklung für ein (oder mehrere) Projekte vollumfänglich zuständig und
verantwortlich ist (von der Administration bis zur Trainervalidierung). Mit dieser Stra-
tegie vermeiden Sie Schnittstellenprobleme und betreiben – noch viel wichtiger – ak-
tive PE on the Job bei Ihren Mitarbeiter:innen (Erleben von Selbstwirksamkeit durch
Delegation von Entscheidungsbefugnissen und Verantwortung).
Hinsichtlich der Prozesse gilt es, so viel Flexibilität und Individualität wie nötig und so
viel Standardisierung wie möglich umzusetzen.
Apropos Kunde: Erleben Sie es in Ihrer Rolle als Personalentwickler:in auch immer
wieder, dass Sie trotz Ihrer Expertise (in Bereichen wie Personalauswahlentscheidun-
gen, Zielgruppendefinition, Inhalte und Methoden von Weiterbildungsmaßnahmen
usw.) von der Unternehmensleitung und/oder den Linienmanagern übergangen bzw.
überstimmt werden?
Wenn ja, kann dies – neben all den makro- und mikropolitischen Machtstrukturen
und strukturellen und/oder prozessualen Voraussetzungen, die Sie nicht beeinflussen
können – zwei maßgebliche Ursachen haben, die Sie beeinflussen können:
y Sie genießen (noch) kein ausreichendes Vertrauen in Ihre Kompetenz.
y Es gelingt Ihnen (noch) nicht die Bedürfnisse und Interessen Ihrer Stakeholder an-
gemessen zu berücksichtigen.
28 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
Rollenprofil schärfen
Im ersten Fall sollten Sie, so wie in diesem Kapitel beschrieben, Ihr Rollenprofil schär-
fen, eine Strategie formulieren und Strukturen und Prozesse definieren. Nachdem Sie
dies alles adäquat kommuniziert haben, gilt es, den Beweis anzutreten, dass Sie Ihre
Aufgabe beherrschen. Das Vertrauen Ihrer »Kunden« werden Sie sich durch professio-
nelles und »kundenorientiertes« Handeln im Laufe der Zeit erarbeiten. Gleichzeitig soll-
ten Sie durchaus selbstbewusst Ihre Expertenposition vertreten. Warum sollte jemand
aus einem anderen Bereich eine bessere Übersicht über die ganzheitliche PE-Struktur
Ihres Unternehmens haben als Sie? Sie mischen sich ja auch nicht in die absatzfördern-
den Aktivitäten Ihres Vertriebsleiters ein.
Feldkompetenz aneignen
Im zweiten Fall sollten Sie sich die nötige Feldkompetenz aneignen. Was ist das Kern-
geschäft Ihrer »Kunden«? Welchen Problemen und Herausforderungen sind sie ausge-
setzt? Welche Ziele verfolgen sie? Fragen Sie nach, zeigen Sie Interesse und hospitieren
Sie, wenn möglich, im entsprechenden Feld. All dies wird Ihren »Kunden« zeigen, dass
Sie sich für ihre Belange interessieren und Ihre Personalentwicklungsmaßnahmen am
»echten« Bedarf ausrichten. Mittelfristig werden Sie bemerken, dass man immer mehr
Ihren fachlichen Rat suchen wird, statt Ihnen »ins Handwerk zu pfuschen«.
Dabei ist es von großer Bedeutung, dass Sie Ihr projektabhängiges Rollenverständnis
als Personalentwickler:in im Rahmen der Auftragsklärung mit aller Deutlichkeit kom-
munizieren und sich das Einverständnis aller Beteiligten einholen, ihren Teil der Ver-
antwortung für das Gelingen des Prozesses mitzutragen.
1.4 Prozessmodell der Personalentwicklung | 29
1.4 Prozessmodell der Personalentwicklung
Schritt 1: Analyse des PE-Bedarfs. Bevor ein PE-Prozess beginnt oder eine PE-Maß-
nahme eingeleitet wird, sollte man herausarbeiten, vor welchem Hintergrund, auf
welcher Basis und mit welcher Zielausrichtung dies geschieht. Wohin wollen wir mit
der PE-Maßnahme, eingebettet in die Gesamtausrichtung des Unternehmens? Wie se-
hen die Aufgaben aus, die wir mit der PE-Maßnahme berühren oder verändern wollen?
Und wie sind die Mitarbeiter:innen aufgestellt, die wir mit der PE-Maßnahme errei-
chen wollen?
Prozessmodell der Personalentwicklung
3. PE-DURCHFÜHRUNG –
notwendige Qualifikation zur Erledigung der Aufgabe, z. B. bei Einführung neu-
in Lernkultur, gemessen durch Indikatoren bzw. Kennzahlen wie Kundenzu-
Dieses Modell bietet Orientierung und schafft bei allen Verantwortlichen für die PE ein
einheitliches Verständnis des eigenen Planen, Handelns und Evaluierens.
Gleichzeitig dient dieses Modell der Überprüfung der eigenen Aktivitäten: Beginnen
wir als Personalentwickler:in tatsächlich jeden neuen Prozess mit der »Analyse des
Bedarfs«? Dabei spielt es zunächst einmal keine Rolle, wie umfangreich und mit wel-
cher Tiefe die einzelnen Prozessschritte gestaltet werden. Dies hängt nämlich von der
spezifischen Projektaufgabe und den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab.
lich, dass es keiner vertieften Analyse mehr bedarf. Ebenso kann der Prozessschritt »PE-
Konzeption« in diesem Fall kurzgefasst werden. Didaktische und methodische Konzepte
zur Entwicklung der Fremdsprachenkompetenz liegen in ausreichender Menge vor. Die
»Durchführung« der Maßnahme ist eher eine Frage der Organisation und »Transfer und
Evaluation« lassen sich hervorragend an der gewachsenen Kommunikations-Fertigkeit
der Mitarbeiter:innen in der erlernten Fremdsprache messen.
Soll allerdings im Unternehmen ein komplett neuer Prozess zur Identifikation von Po-
tenzialträger:innen für den Führungskräftenachwuchs mit einem integrierten Aus- und
Fortbildungsprogramm und konkreten Karriereschritten implementiert werden, wird die
Angelegenheit für den Personalentwickler komplexer, herausfordernder und deutlich auf-
wendiger. Hier könnten nun mangelnde Ressourcen (Personal und/oder enge Budgets)
zum »Flaschenhals« werden, obwohl man als Personalentwickler:in über ausreichende
Kenntnisse und Fertigkeiten zur Umsetzung des Projekts verfügt. In diesen Fällen gilt es,
den Blick auf das »Machbare« zu lenken, ohne dabei das Prozessmodell aus den Augen zu
verlieren. Vielleicht lässt sich die Organisationsanalyse durch 5 bis 6 gut konzipierte und
durchgeführte Experteninterviews mit repräsentativen Stakeholdern des Unternehmens
ebenso oder annähernd so gut darstellen, wie durch eine flächendeckende und aufwen-
dige Erfassung der Unternehmens-Lernkultur nach Sonntag (Sonntag, 1996).
Exkurs 1: Lernkultur
Bei den digitalen Extras auf mybook.haufe.de bieten wir Ihnen in einem Exkurs weitere Infor-
mationen zum Thema Lernkultur.
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung –
Strategische PE
Personalentwicklung ist kein Selbstzweck, sondern – im Idealfall – integraler Be-
standteil eines sich systematisch weiterentwickelnden Unternehmens. Man kann die
Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Personalentwicklung selbst
aus heutiger Sicht in 3 Evolutionsstufen einteilen:
y Auf einer ersten, sehr basalen Stufe versteht sich PE als Anbieter von Maßnahmen
zur Bekämpfung von Wissens- und/oder Fertigkeitslücken (Stichworte: Trainings-
anbieter, reaktive PE).
y Auf einer zweiten Stufe versteht sich PE als Institution zur systematisierten Perso-
nalentwicklung (Stichworte: Orientierung an professionellen PE-Strukturen und
Prozessen, Prozessmodell, aktive PE).
y Auf einer dritten Stufe versteht sich PE als fester Bestandteil einer systemischen
Organisation, die in ihrer Struktur und Funktionalität in ein bestimmtes Wirt-
schaftssystem eingebunden ist (Stichworte: Lernende Organisation, Lernen als
Teil von Unternehmenskultur, systemische PE, agile PE).
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 33
Auf die ersten beiden Evolutionsstufen von PE (reaktive bzw. aktive PE) sind wir in den
vorhergehenden Kapiteln bereits ausführlich eingegangen. Im Folgenden wollen wir
nun versuchen, PE aus der systemischen/agilen Perspektive zu betrachten und damit
einen Ausblick auf mögliche Tendenzen und Entwicklungen von PE zu geben.
Die Systemtheorie und auch agile Ansätze sind keine ganz neuen Konzepte. So exis-
tiert die Systemtheorie bereits seit über 60 Jahren und auch der Begriff »agil« tauchte
bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts bei dem US-amerikanischen Soziolo-
gen Talcott Parsons auf. Spätestens seit den 1990ern ist Agilität in der Organisations-
theorie eine feste Größe. Dennoch scheinen uns die relevanten Inhalte und Aussagen
dieser Theorien und Konzepte (noch) nicht im Gedankengut – geschweige denn im
Verhalten – aller Unternehmenslenker:innen angekommen zu sein. Vielmehr werden
die Modelle, die sich aus entsprechenden Theorien und Konzepten ableiten, gerne
dazu genutzt, um zu erläutern, wie Management funktionieren »müsste«, um ange-
hende Führungskräfte in (hoch dotierten) Seminaren auf ihre zukünftigen Aufgaben
vorzubereiten. Dies gelingt meist auch recht gut – vor allem im Seminarraum, im ge-
lebten Unternehmensalltag dagegen funktioniert dies oft eher schlecht als recht.
Zur Darstellung der komplexen Systemtheorie auf der organisationalen Ebene scheint
uns das St. Galler Management-Modell von 2002 (s. Abb. 5) als Anschauungsobjekt gut
geeignet zu sein. Ohne das Modell in seiner Tiefenstruktur erläutern zu wollen, zeigt
diese Darstellung doch sehr deutlich die Interdependenz der unterschiedlichen syste-
mischen Wirkfaktoren in all ihrer Komplexität und lässt erste Zweifel an den Manage-
mentphantasien von Planbarkeit, Steuerbarkeit und umfassender Kontrolle entstehen.
Gesellschaft
Umweltsphären Natur Anspruchsgruppen
Technologie
Wirtschaft
Konkurrenz Kapitalgeber
Ordnungsmomente
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tur lt Entwicklungsmodi
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Str Str
Er
Prozesse
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Op
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t
Managementprozesse
im
ng
ie
ru
Lieferanten /
n
Kund:innen
g
Partner
Geschäftsprozesse
Unterstützungsprozesse
Staat Mitarbeiter:innen
Ressourcen
Normen und Werte
Anliegen und Interessen
Öffentlichkeit Interaktionsthemen
Medien/NGOs
Im Rahmen der Unternehmensprozesse bewegt sich die PE auf der Ebene der Unter-
stützungsprozesse. Auf der »Hierarchieebene« des Modells ordnet sie sich somit den
Management- und Geschäftsprozessen unter. Die gesamte Prozesslandschaft ist den
Ordnungsmomenten des Unternehmens (Strategie, Strukturen, Kultur) unterworfen.
Das Unternehmen wiederum wird durch die Stakeholder (Anspruchsgruppen) und
durch die Umweltsphären (Wirtschaft, Technologie, Natur, Gesellschaft) permanent
beeinflusst. Je nach Erfolg oder Misserfolg der unternehmensinternen Ordnungs-
momente und/oder Prozesse wird der Entwicklungsmodus des Systems auf »Opti-
mierung« oder »Erneuerung« eingestellt, um das »Überleben« des Unternehmens im
Gesamtsystem zu gewährleisten.
Auch wenn das St. Galler Management-Modell auf seiner Prozessebene hierarchisch
organisiert erscheint, betont es in allen Veröffentlichungen immer wieder die systemi-
sche Idee der Zirkularität des sich selbst organisierenden Systems. Einfacher ausge-
drückt: Anstelle des klassischen »Ursache-Wirkung-Denkens« tritt die Überzeugung,
dass sich die einzelnen Teile eines Systems durch Rückkopplung gegenseitig beein-
flussen. Dies geschieht in sozialen Systemen über Kommunikation. Das St. Galler
Management-System formuliert ausdrücklich das Ziel, förderliche Kommunikations-
bedingungen zu schaffen.
Dabei geht es auch darum, dass sich die PE durch ihre Expertise von anderen Teilen des
Systems abgrenzt und gleichzeitig in dem Bewusstsein handelt, festes Systemelement
des Unternehmens zu sein und damit im Sinne der Unternehmensstrategie einen (mess-
baren) Mehrwert für das Gesamtsystem generiert. Umgekehrt ist es von großer Bedeu-
tung, dass PE im Unternehmen als relevanter Erfolgsfaktor angesehen wird. Die Haltung
einer solchen PE könnte man mit folgenden Worten umschreiben: »Wir als PE wissen,
wer wir sind, was wir wissen und können, und sind uns gleichzeitig bewusst, dass wir
dies alles nur im Kontext eines Systems zur Geltung bringen können, das uns die ent-
sprechende Anerkennung unserer Kompetenz und Wirksamkeit entgegenbringt.«
Zur Expertise einer solchen PE gehört die Überzeugung, dass geschlossene Systeme
(ebenso wie das Individuum) nur bedingt von außen beeinflussbar sind. Systemische
PE muss die Dynamiken der Selbstorganisation des Unternehmens verstehen und
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 35
Und was kommt jenseits der dritten Evolutionsstufe der Personalentwicklung? An dieser
Stelle scheint es uns angebracht, das sehr aktuelle Thema »Agilität« aufzugreifen und
mit unseren bisherigen Überlegungen zu verknüpfen. Bei der unüberhörbaren Klang-
weite, die dieser Begriff im Organisations- und Unternehmenskontext hat, fragen Sie
sich wahrscheinlich, warum wir dieser »lichtstarken Erscheinung« der Organisations-
und Managementwelt kein eigenes Kapitel widmen. Nun, zum einen sind wir der An-
sicht, dass wir in unserer Darstellung einer systemischen PE bereits wesentliche Aspekte
von Agilität benannt haben (Stichworte: Selbstorganisation, Personalentwickler:in als
Katalysator von Lern- und Veränderungsprozessen), zum anderen weist unser Men-
schenbild (Stichwort: Gestaltungsräume zum Erleben von Selbstwirksamkeit schaffen)
sowie unser PE-Rollenverständnis (Stichwort: von der Expert:in zur Prozessbegleiter:in)
durchaus Anschlussfähigkeit mit agilem Gedankengut auf. Es soll jetzt aber nicht der
Eindruck entstehen, wir nähmen das Thema »Agilität« nicht ernst, ganz im Gegenteil.
Die Leitsätze und Prinzipien des Agilen Manifests (Beck et al., 2001), das 2001 von einer
Gruppe von 17 bekannten Softwarenentwicklern formuliert und veröffentlicht wurde,
würden wir sofort unterschreiben. Wir sind aber der Meinung, dass die Aussagen im Ma-
nifest nicht so revolutionär neu waren, wie häufig behauptet. Sie stellen mehrheitlich
die konsequente Weiterführung von meist deutlich vorher entstandenen arbeits- und
organisationspsychologischen Modellen bzw. Managementansätzen dar, die bereits
intensiv Elemente wie Verantwortungsübergabe ins Team und flache Hierarchien, Ziel-
partizipation, kurze Entwicklungszyklen oder konsequente Ausrichtung des eigenen
Handelns am Bedarf der Kunden betonten. Und natürlich sollten auch die Behauptun-
gen zahlreicher aktueller Beiträge kritisch hinterfragt werden, dass jedwedes Unterneh-
men in unserer zugegeben stark von Veränderungen geprägten Welt nur eine einzige
Überlebenschance habe und diese eben darin bestünde, agil zu werden. Eine besonders
treffende und differenzierte »Charakterstudie« der »agil durch die Organisation galop-
pierenden apokalyptischen Reiter« findet sich bei Schillinger (Schillinger, 2019).
sowohl hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte als auch im Blick auf eine klare und
konsensfähige Definition, etwas nebulös. Erste Erwähnungen im organisationalen
Kontext finden sich bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der US-ameri-
kanische Soziologe Talcott Parsons entwickelte zunächst eine Handlungstheorie, die
er später aber auch als Modell für soziale Systeme verwendete. Dabei leitet sich der
Begriff »AGIL« hier als Akronym für die 4 existenzerhaltenden Funktionen »Adaption,
Goal Attainment, Integration, Latency« her. Inwieweit eine Verbindung zu den vielfälti-
gen Veröffentlichungen zum Thema Agilität in den 90er Jahren festzustellen ist, bleibt
aber weitgehend offen (Förster, Wendler, 2012). Auch hinsichtlich einer allgemein-
gültigen Definition von Agilität herrscht Einigkeit über Uneinigkeit. Nach Förster und
Wendler ist erkennbar, »dass die Charakterisierung der Agilität ein komplexes System
darstellt, das entsprechend von vielen Autoren als mehrdimensionaler Raum begriffen
wird«. (Förster, Wendler, 2012). Förster und Wendler führen in ihrem Beitrag für den
Zeitraum von 1982 bis 2011 allein 24 voneinander abweichende Definitionen von Agili-
tät auf, die von unterschiedlichen Autor:innen stammen. Dies hat zur Folge, dass sich
auch renommierte Autor:innen zum Thema bemüßigt sehen, ihren Veröffentlichun-
gen jeweils eine eigene Definition zur Agilität vorauszuschicken:
»Meine eigene Definition von Agilität lautet: Agilität ist die Fähigkeit von
Teams, Individuen, Organisationen, in einem unsicheren, sich verändernden
und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren.
Dabei greift Agilität auf verschiedene Methoden zurück, die es dem Menschen
einfacher machen, sich so zu verhalten.« (Hofert, 2018).
Es ist es aber nicht der Kernfokus dieses Buches, den vielen sehr guten Publikatio-
nen über Agilität eine weitere hinzuzufügen. Vielmehr ist es unser Anliegen, Aufgabe
und Rolle der Personalentwicklung vor dem Hintergrund einer sich dynamisch ver-
ändernden Organisation zu beleuchten. Dennoch gilt es, einige ganz grundsätzliche
Fragestellungen und Hypothesen zu formulieren, um uns langsam dem noch etwas
unscharfen Konstrukt der Agilität zu nähern.
Warum beschäftigen wir uns heute im Kontext von Systemen und Organisationen
eigentlich zunehmend mit Fragestellungen, die wir unter Begrifflichkeiten wie sys-
temtheoretisch, systemisch und/oder agil subsummieren? Die Antwort hängt wohl
mit dem Bedürfnis des Menschen nach Erklärbarkeit und Struktur zusammen. Wir
möchten wissen, warum die Dinge so sind, wie sie uns erscheinen, und wir möchten
diesen Phänomenen eine Ordnung geben. Das wird in einer immer komplexer werden-
den Welt zunehmend schwierig.
Ob unsere Umwelt nun wirklich komplexer geworden ist oder ob der zunehmende
Zweifel an historischen »Welterklärungsmodellen« (z. B. Religionen) unsere Wahrneh-
mung für Komplexität geschärft hat, ist sicherlich eine interessante Frage. Im Sinne
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 37
Der systemische Ansatz wiederum hat viele der Modelle und Konzepte der System-
theorie aufgegriffen und diese quasi in ein therapeutisches und beraterisches Theo-
rie- und Praxismodell »übersetzt«.
Was ist nun aber genau »agil«? Besitzt dieser Begriff ein theoretisches Fundament und
ist er wirklich trennscharf von der Systemtheorie und dem systemischen Ansatz ab-
zugrenzen?
»In diesem Kontext ist jedoch festzuhalten, dass agile Methoden primär praxis-
getrieben sind und deren Konstruktion bis dato keine umfassende theoretische
Fundierung besitzen.« […] »Eine Möglichkeit, den zuvor benannten Defiziten
agiler Methoden zu begegnen, ist die Berücksichtigung und Anwendung des in-
terdisziplinären Erkenntnismodells der Systemtheorie.« (Trepper, 2015).
Dieser Sichtweise von Trepper schließen wir uns an. Es erscheint uns – zugebener-
maßen verkürzt dargestellt – so, als würde sowohl die Systemtheorie, der abge-
leitete systemische Ansatz, als auch Agilität Antworten auf ein und dieselbe Frage
suchen: Wie erklären und konzeptualisieren wir eine zunehmend volatile, unsichere,
komplexe und widersprüchliche/mehrdeutige Welt (VUCA), und wie interagieren wir
mit und in dieser Umgebung? Die spezifische Perspektive und der eigene Anspruch
an die »Beantwortung« dieser Fragestellungen sind in den jeweiligen »Disziplinen«
unterschiedlich. Während die systemtheoretischen Forschungen der Formulierung
von (geschlossenen, in sich schlüssigen) Theoriegebäuden dient, macht der systemi-
sche Ansatz sich diese Modelle zunutze, um für das Individuum im Allgemeinen, für
soziale Systeme (z. B. Familien) im Speziellen, angepasste Therapie- und Beratungs-
methoden zu entwickeln. Agil ist in unseren Augen dann der Transfer systemtheore-
tischer und systemischer Modelle auf den Kontext der professionellen Organisation,
mit anderen Worten: das Unternehmen. Dies geschieht natürlich nicht holzschnitt-
artig eins zu eins. Vielmehr finden in den einzelnen Schritten von der Systemtheorie
zum systemischen und schließlich zum agilen Ansatz immer wieder den spezifischen
Anforderungen des Betrachtungsgegenstandes geschuldete Modifikationen und
Weiterentwicklungen statt. Schlussendlich geht es aber bei allen theoretischen Über-
legungen im Unternehmenskontext um die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit
des Unternehmens und seiner Mitarbeiter:innen und damit die Sicherstellung des
unternehmerischen Erfolgs.
38 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
Hinter den agilen Frameworks und Methoden stecken ein Leitbild und Prinzipien (Agi-
les Manifest), und es ergibt durchaus Sinn, sich vor der Auseinandersetzung mit Fra-
meworks und Methoden diesen grundlegenden Aussagen zuzuwenden. Nun ist das
ursprüngliche Agile Manifest 2001 im Umfeld der Softwareentwicklung entstanden.
Aus diesem Grunde nutzen wir für unsere weiterführenden Überlegungen die Veröf-
fentlichung von Svenja Hofert, die in ihrem Werk zum agilen Führen (Hofert, 2018) eine
sehr gut nachvollziehbare Darstellung agiler Werte, Prinzipien und Methoden entwi-
ckelt hat, die weit über die Gesetzmäßigkeiten der reinen Softwareentwicklung hin-
ausreicht.
In Kombination mit ihrer Definition von Agilität – »Agilität ist die Fähigkeit von Teams,
Individuen, Organisationen, in einem unsicheren, sich verändernden und dynamischen
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 39
Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren.« (Hofert, 2018) – ergibt sich für
eine agile PE folgendes Zielbild:
Ist Agilität in der VUCA-Welt nun ein »Muss« für Unternehmen und deren Personalent-
wicklung? So weit würden wir nicht gehen. Allerdings gibt es wohl kaum ein Unterneh-
men, das mit Ausbruch der Corona-Pandemie und den damit verbundenen massiven
Disruptionen in den letzten Jahren nicht intensiv mit Herausforderungen in Bezug auf
die eigene Anpassungsfähigkeit und -geschwindigkeit konfrontiert wurde. Insofern
ist Agilität in unseren Augen eine von mehreren Methoden, eine Organisation weiter-
zuentwickeln – allerdings eine Methode, die durch die globalen Entwicklungen der
letzten Jahre einen deutlichen Anschub erhalten hat. Darauf gehen wir im nächsten
Abschnitt ein.
Die Corona-Krise wirkte weltweit wie ein Katalysator, teils auch wie ein »Brand-
beschleuniger« auf Fragen des Selbstverständnisses von Organisationen, auf die
Rolle von Führung, auf die Bedeutung von virtueller vs. Präsenz-Kooperation, auf
New-Work-Konzepte und damit einhergehend auch auf die zentrale Sinnfrage: »Wofür
sind wir da, was ist der Sinn und Zweck unseres Unternehmens?«
Homeoffice«, das durch die Pandemie für rund 25 bis 30 % der Erwerbstätigen über
Nacht plötzlich Realität wurde (Hans Böckler Stiftung, 2021; Demmelhuber, Englmaier,
Leiss, Möhrle, Peichl & Schröter, 2020; Alipour, Falck & Schüller, 2020), während vor
der Pandemie laut entsprechender Erhebungen nur ca. 4–5 % der Arbeitnehmer:innen
»regelmäßig oder überwiegend« von zu Hause aus gearbeitet haben (Statista, 2020).
Zugegebenermaßen handelte es sich hierbei um einen erzwungenen Umbruch, der
in diesem Umfang und in dieser Geschwindigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach so nie
vollzogen worden wäre – was sicher ebenso für die damit notwendigerweise einher-
gehende »Digitalisierung« gilt. Und sicherlich kann man sich für die Etablierung der
Arbeitsform des »Homeoffice« oder auch der »mobilen Arbeit« idealere Bedingun-
gen vorstellen als unter, zumindest zeitweise, gleichzeitig stattfindendem »Home
Schooling«.
Aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen
lässt und der »Homeoffice-Geist« aus der Flasche ist. Viele Menschen haben erlebt,
dass das geht: Man kann die Arbeit von zu Hause selbstorganisiert gestalten und
man kann digital kooperieren. Auch wenn sich beim Arbeiten von zu Hause mitt-
lweile ein gewisser »Abrieb« feststellen lässt (»Zoom Fatigue« als Stichtwort), ist
durch das besagte »Feldexperiment« dennoch klar geworden: Arbeiten im Homeof-
fice bringt für viele Menschen eine Entlastung mit sich, beispielsweise allein da-
durch, dass das ungeliebte Pendeln wegfällt und sich manches Work-Life-Thema
aufgrund eingesparter Arbeitwege leichter realisieren lässt. Mit anderen Worten:
Unternehmen und deren Personalentwickler:innen sollten mit diesen neuen Erfah-
rungen bewusst arbeiten. Ein unreflektiertes Zurück zu »100 % Büropräsenz« reprä-
sentiert wohl kaum die von vielen gemachte Lernkurve bei digitaler Kooperation
und die neu entdeckten Bedürfnisse im Zusammenhang mit der eigenen Arbeits-
tätigkeit.
Neben diesem recht greifbaren Thema des Arbeitsortes hat die Pandemie eine
weitere Fragestellung in den Fokus gerückt, die allerdings deutlich weiter gefasst
ist. In unserer Beratungspraxis haben wir den Eindruck gewonnen, dass das für
viele Menschen zuvor noch relativ abstrakte VUCA-Konzept durch die Pandemie
erstmalig direkt greifbar und spürbar wurde. Am Beispiel des Corona-Virus und
seiner Folgen lassen sich die vier Elemente von VUCA nahezu idealtypisch ab-
bilden: Wir erlebten eine schnell veränderliche, sogar disruptive (= volatile), von
vielen möglichen »Outcomes« (= unsichere) und nicht mehr nachvollziehbaren
Systemeffekten (= komplexe) geprägte und mit unterschiedlichen, teils sich wider-
sprechenden Erkenntnissen versehene (= ambige) Welt. Die erlebte Disruption hat
unserer Wahrnehmung nach neben der »Wie wollen wir arbeiten?«-Frage bei sehr
vielen Arbeitnehmer:innen noch eine weitere Sinnfrage befeuert: »Wofür wollen
wir arbeiten?«
42 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
In diesem Zusammenhang ist auch die seit 1953 regelmäßig durchgeführte Shell
Jugendstudie eine spannende Quelle. Sie beleuchtet im Zeitvergleich, wie sich
Werthaltungen bei den unterschiedlichen Generationen Jugendlicher und junger Er-
wachsener hinsichtlich Gesellschaft, Politik und Arbeit verändern (Shell, 2019; Albert,
Hurrelmann & Quenzel, 2019). Auch sie bestätigt das Bild: Die viel zitierten »Generatio-
nen Y« und »Z« bzw. »Millennials« treten selbstbewusst und mit einem neuen Selbst-
verständnis auf. Sie stellen als potenzielle Arbeitnehmer:innen vermehrt Fragen nach
dem »Sinn« ihrer Tätigkeit, auch »Purpose« genannt, bevor sie sich einem Unterneh-
men anschließen. Der bereits vor der Pandemie vorhandene Trend eines seit Jahren
immer mehr an Bedeutung gewinnenden Bewerbermarktes – im Kontrast zu einem
Arbeitgebermarkt, in dem geeignete Bewerber:innen Schlange stehen – sollte daher
mit der Corona-Krise als besagtem Katalysator noch mehr in den Fokus der Unter-
nehmen rücken.
Natürlich bleibt bei Trends immer die Frage, ob sie abflachen oder weiter an Fahrt
aufnehmen. Aber zumindest sollten Unternehmen und auch deren PE-Bereiche diese
nicht gänzlich ignorieren und stattdessen proaktiv damit umgehen. Denn es ist wohl
kaum zu erwarten, dass die angesprochene VUCA-Welt in näherer Zukunft wieder sta-
biler wird. Sicher, bisher hat jede Generation tiefgreifende Veränderungen erlebt, sei-
en es gesellschaftliche, soziale oder politische. Und sicher geht jede Generation davon
aus, dass es noch nie so viel Neues, so viele Informationen, so hohe Veränderungsge-
schwindigkeit gab wie gerade jetzt, hier und heute. Aber die Treiber-Themen unserer
heutigen Veränderungswelt wie Big Data, künstliche Intelligenz, neue Technologien
und neue Geschäftsmodelle weisen eine andere Qualität auf, was schiere Informa-
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 43
Und hier schließt sich wiederum der Kreis zu unseren obigen Fragen des agilen Unter-
nehmens und der agilen PE: Angesichts der bereits erlebten und noch anstehender
Disruptionen, den radikalen Veränderungen, den Umbrüchen in der Art zu arbeiten
und zu kooperieren, liegt das Konzept der »Agilität« als Methode, um sich in einer
VUCA-Welt erfolgreich zu bewegen, geradezu auf der Hand. Zur Bewältigung dieser
neuen Realität drängt sich eine Haltung, die Aspekte betont wie »sei schnell«, »sei fle-
xibel«, »lass dich auf Neues ein«, »lass von liebgewonnenen Erkenntnissen und Ge-
wohnheiten ab«, »erfinde dich neu«, »denke in Prototypen«, »vergiss bürokratische
Prozesse und Hierarchien, arbeite selbstorganisiert und selbstverantwortlich« als
mögliches Erfolgsrezept förmlich auf.
Folgt man der Argumentation, dass es Phänomene wie den erwähnten Arbeitnehmer-
markt, veränderliche, generationenspezifische Werte in Bezug auf Arbeit und neue,
agilere und selbstverantwortliche Formen der Aufgabenbewältigung zwar schon vor
der Pandemie gab, dass sie nun aber für deutlich mehr Unternehmen an Bedeutung
gewonnen haben, so greift die Haltung »So was gilt doch nur für ein paar Start-ups und
IT-Buden« zu kurz. Vor ein paar Jahren noch als »überkandidelt« abgetane Begriffe wie
»Employer Branding« oder »Candidate« bzw. »Employee Experience« erscheinen heute
in einem neuen, sehr relevanten Licht. Glaubt man den großen Beratungsfirmen, dann
geht damit ein notwendiger Wandel der Rolle des HR einher, vom »HR-Business-Part-
ner« (Ulrich, 1997) hin zu einem strategischen Partner auf Augenhöhe mit der Geschäfts-
führung (s. CHRO-Studie, Kienbaum, 2021; Kienbaum, 2020). In der Folge verändert sich
damit auch die Rolle der PE in Unternehmen: Es ist eine »ambidextre«, auch »ambigui-
tätstolerante« oder »hybride« PE gefragt, die es schafft, die Brücke zwischen der alten,
analogen und der neuen, digitalen Welt zu schlagen, die für »Blue Collar-« und »White
Collar-Worker« da ist, die Erhaltenswertes im Unternehmen schützt und zugleich bereit
ist, völlig neue Wege zu gehen. Und das kann nur funktionieren, wenn ein »agiles Mind-
set« im Unternehmen und natürlich auch in der PE etabliert wird.
Um die Frage der Überschrift aufzugreifen, inwiefern die globale Pandemie als Trei-
ber für ein neues, agileres Selbstverständnis von Unternehmen fungiert, lassen Sie
uns versuchen, die oben beschriebenen Trends und Phänomene in ein Gesamtbild
zu fassen, das die interagierenden Auslöser, Wirkfaktoren und mögliche Outcomes
verdeutlicht, und das final auf die Etablierung einer agileren PE abzielt (s. Abb. 6; wir
sprechen hier von »HR« (Human Resources) als übergeordnete Funktion, da sich die
beschriebenen Entwicklungen natürlich immer auf den gesamten Bereich »Personal«
eines Unternehmens beziehen, der in der Regel ja auch die PE umfasst).
NEUES UNTERNEHMENS-MODELL →
UMWELT EMPLOYER BRANDING NEUES HR-MODELL
• ORGANISATION ALS BESTANDTEIL EINES ÖKO- • VOM »HR-BUSINESS-PARTNER« ZUM STRATEGISCHEN
SYSTEMS / ERFÜLLT EINEN »ZWECK« FÜR DIE PARTNER AUF AUGENHÖHE MIT GF
TREIBER GESELLSCHAFT → SINNSTIFTEND, MIT SPASS UND
REDUZIERTEM ÖKOLOGISCHEM FUSSABDRUCK • GESTALTET IDENTITÄT, ZIELE, WERTE,
• NEUE TECHNOLOGIEN / EXPONENTIELLES WACHSTUM / KULTUR DES UNTERNEHMENS
DISRUPTIONEN / NEUE GESCHÄFTSMODELLE • AGIL, FLACH, BEWEGLICH
• »THE GREAT RESIGNATION« – TREND ODER NEUE SINN- • AGILE METHODEN: KANBAN, LEAN WISSEN« HIN ZU »ALLES LERNEN« → LERNKULTUR
FRAGE? START-UP, SCRUM, SHOPFLOOR- • AUFGABEN: SINNSTIFTEND, IM KONTEXT, MIT SPASS
• ERWARTUNGEN AN UNTERNEHMEN ÄNDERN SICH → MANAGEMENT
• SELBSTORGANISIERTE TEAMS, FLACHE HIERARCHIEN,
WAS HABT IHR ZU BIETEN? → HYBRIDES ARBEITEN, SELBSTVERANTWORTUNG
NEUES ARBEITSMODELL / »NEW
DIGITALE KOOPERATION, SINNSTIFTENDE AUFGABEN, • NEUE OE- UND PE-FORMEN: SOZIALE
WORK«
ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN… LERNNETZWERKE, PEER COACHING, MASS
• KONTAKTPUNKTE ZUM UNTERNEHMEN: REALISTIC JOB • NEUE ARBEITSPLATZFORMEN: HYBRID, PERSONALIZED CHANGE, »NUDGING«…
PREVIEW, Z.B. UNTERNEHMENSVIDEOS, VIRTUELLER HOME OFFICE / MOBILES ARBEITEN,
PRAXISCHECK, KULTUR-MATCHING-TOOLS… LERNRÄUME
• BEWERBUNGSPROZESS ALS »CANDIDATE JOURNEY« → • DIGITALE KOOPERATION
Z.B. RÜCKMELDUNGSZEITEN, »MEET THE TEAM«, NEUE HR-PROZESSE
ONBOARDING… • DIGITALISIERTE HR-PROZESSE: HR-DASHBOARD
DIREKTES UMFELD • HR-ANALYTICS / BIG DATA-BASIERTES HR-MANAGEMENT
• NICHT MEHR »WETTBEWERB«, SONDERN
• DIGITALISIERTES RECRUITMENT, S. LINKS
»ÖKOSYSTEM-PARTNER«
• »GIG ECONOMY« → ZUSAMMENARBEIT MIT
VIELEN, AUCH KLEINEN PARTNERN
Abb. 6: Neues, agileres Selbstverständnis von Organisationen: mögliche Treiber, Faktoren, Zusammen-
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 45
Wenn wir auf der Ebene außerhalb der Organisation starten, stellen wir fest: Die Ver-
änderungsgeschwindigkeit und -menge in der Unternehmensumwelt entwickelt sich
exponenziell, die Makro-Treiber, die diese Veränderungen bei Unternehmen auslösen,
sind hinlänglich bekannt. Themen wie Digitalisierung, Big Data, Künstliche Intelligenz
oder neue Technologien und Geschäftsmodelle gab es schon vor Corona, die Pande-
mie wirkt hier aber zusätzlich wie ein Katalysator oder Beschleuniger.
Den Bewerbermarkt hatten wir schon erwähnt: Der Spielraum für Selbstselektion ist
hoch, für Fremdselektion (durch das Unternehmen) niedrig. Daraus folgt: Die Not-
wendigkeit zu Employer Branding ist so hoch wie noch nie zuvor, um die richtigen
Talente für das Unternehmen zu interessieren und zu gewinnen. Dadurch, dass Be-
werber:innen nicht mehr suchen, sondern im Zweifelsfall finden, müssen die Schwel-
le, das Unternehmen zu finden, möglichst niedrig und die Kontaktpunkte möglichst
interessant gestaltet sein. Dazu gehören Aspekte wie die Vereinfachung des Bewer-
bungsprozesses, z. B. durch »One-Klick-Bewerbungen« oder »CV Parsing«, Realistic
Job Preview, z. B. Unternehmensvideos, virtueller Praxischeck, Kultur-Matching-Tools
oder »gamified assessment«. Der Bewerbungsprozess sollte bewusst als »Candidate
Journey« gestaltet werden, von den ersten Kontaktpunkten bis hin zur Reaktion und
den Rückmeldungszeiten nach dem Bewerbungseingang, und weiteren Aspekten wie
»Meet The Team« im Bewerbungsprozess sowie einem differenziert gestalteten Onbo-
arding als »Kaufgrund« für die Talente.
Das bringt uns von der Umwelt zur Organisation selbst, und vor allem zu deren neuen
Selbstverständnis. Hier spielt die zitierte Diskussion des Purpose, des Sinns eines Unter-
nehmens mit hinein: Auch dass die Organisation einen Zweck, sogar eine gesellschaft-
liche Verantwortung erfüllt und nicht nur rein monetäre Zwecke, stellt einen weiteren
»Kaufgrund« für Talente auf der Suche nach Sinn dar und ist somit zentraler Aspekt des
Employer Brandings. Das Unternehmen versteht sich heute als Bestandteil eines Ge-
samt-Öko-Systems und grenzt sich nicht mehr strikt gegen den Wettbewerb oder gar
die Konkurrenz ab, sondern arbeitet mit Systempartnern zusammen. Hier können zahl-
reiche Interaktionen mit dem direkten Umfeld (s. entsprechendes Kästchen) entstehen:
So interagieren nicht nur Großindustrie-Leviathane mit anderen Leviathanen, sondern
auch ein lokales Start-up kann eine wertvolle Dienstleistung für einen weltweit operie-
renden Großkonzern erbringen. Kleine Partner haben aufgrund des eigenen, in der Re-
gel agilen Geschäftsmodells, ganz punktuell und auf sehr spezifische Themen bezogen,
etwas Interessantes zu bieten, egal wie groß der potenzielle Kunde ist (»Gig economy«).
Die Grenze zur Umwelt des Unternehmens wird durchlässiger, fließender, die Abgren-
zung zwischen »Das sind wir und das seid ihr« wird weniger scharf (»Blurry boundaries«).
Damit geht konsequenterweise auch ein neues Führungsmodell einher, das ebenfalls
agiler, hierarchisch flacher, mit mehr Betonung auf Selbstverantwortung im Team
ausgestattet ist.
46 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
Und natürlich lassen sich hiermit wiederum Gedanken zu New Work und neuen
Arbeitsmodellen wie Homeoffice, mobiles Arbeiten oder digitale Kooperation ver-
knüpfen, die für potenzielle Bewerber:innen interessant sind – ebenso wie für die im
Unternehmen bereits tätigen Talente, die durch die Pandemie damit Erfahrungen
sammeln durften, die sie wahrscheinlich nicht mehr missen möchten.
Hält man sich all diese Herausforderungen und Aufgaben vor Augen, so wird schnell
deutlich, dass deren erfolgreiche Umsetzung eine veränderte, weiter entwickelte Rolle
des HR und damit der PE als Bestandteil des HR erfordert. HR und PE gestalten mit an
den Zielen, der Identität, den Werten und der Kultur des Unternehmens, ebenso wie
sie die Kontakte zu den Partnern und den Talenten gestalten. Zusammen mit den Füh-
rungskräften der Organisation sind HR und PE also die Architekt:innen nicht nur der
»Candidate«, sondern auch der »Employee Experience«: Sie gestalten das Zusammen-
spiel zwischen Mitarbeiter:innen und Unternehmen vor dem Hintergrund der beschrie-
benen veränderten Erwartungen an den Purpose und das »Wie« der Arbeit.
Dabei setzt PE ebenfalls neue, agile Methoden der Organisations- und Personalent-
wicklung wie soziale Lernnetzwerke, Peer Coaching oder Mass personalized Change
(s. Kapitel 4.3.3) ein.
Und nicht zuletzt sollten auch die HR-Prozesse selbst die Notwendigkeit widerspie-
geln, auf disruptive, exponentielle Veränderungen schnell und erfolgreich reagieren
zu können oder diese sogar zu antizipieren und dabei mit einer Fülle an Daten so um-
zugehen, dass sich auch kurzfristig die richtigen PE-Hebel identifizieren lassen. Die Di-
gitalisierung von HR-Prozessen und der Einsatz von Instrumenten wie HR-Dashboards
oder HR-Analytics (auf Letzteres gehen wir in Kapitel 6 »HR-Analytics: Evidenzbasierte
Personal- und Organisationsentwicklung« detailliert ein) ist ein weiterer logisch-kon-
sequenter Schritt auf dem Weg zur agilen PE.
Die dargestellte Abbildung 6 stellt natürlich ein allumfassendes Idealbild einer neu auf-
gestellten, agileren HR- und PE-Welt dar. Uns ist vollkommen klar, dass dieses Bild für
viele Leser:innen lähmend oder gar frustrierend wirken kann – sicherlich kommt bei
manchen die Frage auf: »Wie sollen wir das alles in unserem Unternehmen umsetzen?«
Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie an das Thema »agile PE« nicht mit einem eher klassi-
schen, detaillierten und perfekt ausgearbeiteten Projektplan herangehen, sondern die
Umsetzung – ganz im Sinne des agilen Mindsets – Schritt für Schritt, sozusagen iterativ
gestalten. Es ist vollkommen legitim, agile Ansätze in »Salami-Scheiben« zu implemen-
tieren: setzen Sie z. B. zunächst einen Dashboard-Prototypen ein oder beginnen Sie erst
einmal mit der Überarbeitung des ersten Kontaktpunktes für potenzielle Bewerber:in-
nen; nutzen Sie diese Überarbeitung Ihrer Unternehmensseite als Startpunkt der Candi-
date Experience, aus der dann hoffentlich im Weiteren eine Employee Experience wird …
1.5 Evolutionsstufen von Personalentwicklung – Strategische PE | 47
In Bezug auf Agilität geht es also zunächst einmal darum, zu verstehen, wann, wie
und wo agile Methoden, wirksamer als bisher verwendete Methoden, einsetzbar sind.
Dazu ist ein grundlegendes Verständnis von Agilität unabdingbar. Was steckt hinter
diesem Begriff und in welchen Wissenschaftskanon ist er einzuordnen? Auf Basis einer
systematischen und fundierten Diagnose der eigenen Organisation kann anschlie-
ßend überprüft werden, ob im System die strukturellen Bedingungen und das adäqua-
te Mindset für die Implementierung agiler Methoden vorhanden sind und sie einen
echten Mehrwert für das Unternehmen und das Individuum bringen. Es macht wenig
Sinn, agile Denk- und Arbeitsweisen in einem Unternehmen etablieren zu wollen, in
dem noch nicht einmal die einfachsten Regeln der Partizipation Einzug gehalten ha-
ben. Auch die Umstellung eines hochstandardisierten und optimierten Produktions-
prozesses, der sich rentabel und auch schnell sich ändernden Marktanforderungen
anpassen kann, sollte nur nach reichlicher Überlegung auf agile Prinzipien umgestellt
werden. Dennoch erscheint uns wichtig, dass jede Personalentwickler:in eine Vor-
stellung generiert, wohin sie sich mit ihrem Verantwortungsbereich im System ent-
wickeln möchte. Das heißt, auch wenn ich mich als Personalentwickler:in noch auf
der Evolutionsstufe der »reaktiven PE« befinde, ist es sinnvoll, darüber nachzudenken,
wie ich zur nächsten Evolutionsstufe der »systematisierten, aktiven PE« gelange. Al-
les andere würde die Organisation wahrscheinlich überfordern. Evolution verläuft in
Stufen und das Überspringen von evolutionären Stufen hat selten funktioniert, zumal
jede »niedrigere« Stufe in der nächsthöheren repräsentiert ist.
Inwieweit sich die Personalentwicklung in einer zu Ende gedachten und final auch
umgesetzten agilen Organisation überflüssig macht, weil sich ihre bisherigen Stake-
48 | 1 Grundlagen der Personalentwicklung
Für uns stellt sich jedoch die Frage: Warum muss ein Paradigma wie »Agilität« mit
einem »finalen Touch« einhergehen? Warum muss agiles Handeln in Organisationen
zwangsläufig zu einer finalen Auflösung der Personalentwicklung führen? Im Verlau-
fe der Jahrzehnte sind schon sehr viele PE- und OE-Paradigmen entstanden, die für
sich in Anspruch nahmen, der heilsbringende Ansatz zu sein, der – nach Implemen-
tierung – dazu führen würde, dass sich Organisationen komplett neu aufstellen und
quasi nicht mehr wiederzuerkennen sein werden. Aber wie viele Unternehmen stehen
heute wirklich an der Schwelle, auf allen Ebenen holokratisch, selbstorganisiert, agil,
lernend und proaktiv Veränderungen vorantreibend auf einer »finalen Entwicklungs-
stufe« anzukommen?
Muss es denn wirklich eine »abschließende Stufe« geben? Was spricht eigentlich da-
gegen, für ein Paradigma wie »Agilität« dasselbe anzunehmen, was wir im Hinblick auf
die Entwicklung von Menschen ganz selbstverständlich annehmen: dass diese näm-
lich Teil eines Prozesses ist, der lebenslang verläuft und somit niemals zum Abschluss
kommt, niemals »final wird«? Vielleicht ist »Agilität« ganz einfach ein weiterer – wich-
tiger – Baustein einer ganzen Kette von Bausteinen, die dazu beigetragen haben, dass
Personalentwicklung »an sich arbeitet«, sich hinterfragt, sich optimiert, kurz: sich
eben weiterentwickelt – und damit steht dieses neuere Paradigma in einer Reihe mit
anderen wertvollen Treibern in der Evolutionsgeschichte der Personalentwicklung,
wie Management by Objectives, Empowerment, lernende Organisation, Diversity.
49
2 Schritt 1: Analyse
des Personalentwicklungsbedarfs
In diesem Kapitel setzen wir uns mit dem ersten Baustein unseres Personalentwick-
lungszyklus auseinander: der Analyse des Personalentwicklungsbedarfs (PE-Bedarf).
Wir bezeichnen die Analyse des PE-Bedarfs hier auch als »Anforderungsanalyse« und
fassen letzteren Begriff damit relativ weit. Viele Autor:innen beschreiben mit einer
Anforderungsanalyse nur die Erfassung der kriterienbezogenen Anforderungen einer
Aufgabe, einer Position oder einer Stelle (s. hierzu auch Kapitel 2.2.4 »Anforderungs-
oder Kompetenzprofil«).
Die erste Frage, die sich im Zusammenhang mit der PE-Bedarfsanalyse für viele Per-
sonalentwickler:innen stellt, ist: Brauchen wir das wirklich? Eines der zentralen Para-
digmen aus der PE lautet »Keine Maßnahme ohne Diagnose«. Abgesehen davon, dass
die klinisch anmutende Formulierung dieses Paradigmas wenig anregend klingt, lässt
sich über diese Aussage natürlich auch inhaltlich streiten. Viele Personalentwickler:in-
nen schreckt die große Menge an möglichen Analyseverfahren im Vorfeld einer ge-
planten Maßnahme ab (s. u.), zudem kosten sie in der Regel Zeit und Geld.
Vielleicht fragen Sie sich also auch »Eigentlich wollte ich doch nur ein 2-Tages-Kom-
munikationstraining für unsere Mitarbeiter:innen organisieren, muss ich da wirklich
im Vorfeld eine Analyse des PE-Bedarfs machen?« Grundsätzlich ist das eine absolut
berechtigte Frage: Es spricht nichts dagegen, PE-Maßnahmen für Mitarbeiter:innen im
Sinne eines »Kataloges« anzubieten und jede Mitarbeiter:in kann sich – meist vor dem
Hintergrund eines turnusmäßigen »Pro-Kopf-PE-Budgets« – aussuchen, welche Wei-
terbildungsmaßnahmen sie ansprechen. Ähnlich wie beim »Neigungsmanagement«
(dem Einsatz von Mitarbeiter:innen entlang ihrer Fähigkeiten, weniger ausgerichtet an
den Unternehmensanforderungen) kann der oder die Einzelne dann wählen, wozu er
oder sie dieses Jahr »Lust hat«. Holling & Liepmann (2004) beschreiben dieses Vor-
gehen auch im Sinne eines Bestandteils der Analyse des PE-Bedarfs und bezeichnen
dieses als »Analyse individueller Qualifizierungsziele«. Hiervon versprechen sie sich,
abhängig vom Erfülltheitsgrad individueller Qualifizierungsziele und Aufstiegswün-
sche, eine erhöhte Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation.
Im Sinne einer allgemeinen Motivation durch Lernen an sich (vergleiche auch den Be-
griff der Lernkultur nach Sonntag, Stegmaier, Schaper & Friebe (2004), hier vor allem
die erste Dimension »Lernkultur als Teil der Unternehmensphilosophie«) kann auch
(oder gerade?) eine nicht anforderungsbezogene Schulung für die Teilnehmer:innen
eine sehr gute Erfahrung darstellen. Die Möglichkeit, »etwas dazu zu lernen«, und das
in einer offenen, lernförderlichen Atmosphäre off the Job, also weg von der meist en-
50 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
gen zeitlichen Taktung am Arbeitsplatz und der damit oft einhergehenden Messbar-
machung der eigenen Leistung, ist für viele Menschen ein echter Motivator.
Insofern ergibt es wenig Sinn, einen »nicht anforderungsbezogenen« Ansatz von vor-
neherein zu verdammen. Aber sicherlich muss man als Personalentwickler:in prüfen,
was man mit einer Maßnahme erreichen will und welche Vor- und Nachteile mit einem
anforderungsanalysebasiertem vs. einem nicht-anforderungsanalysebasiertem Vor-
gehen verbunden sind. Denn aus Sicht vieler Teilnehmer:innen ist gerade die eigene
enge Zeittaktung auch ein klares Argument für ein anforderungsanalytisch fundiertes
Verfahren. In den letzten Jahren hören wir von Teilnehmer:innen in Seminaren oder
PE-Programmen immer öfters »Ich muss wissen, was mir das hier für meine tägliche
Arbeit bringt, denn sonst kann ich meine Zeit am Arbeitsplatz besser nutzen!«
Weiterhin gilt: nur wenn man sich im Vorfeld einer PE-Maßnahme Gedanken macht, was
diese bewirken soll und dies mittels einer Anforderungsanalyse im Sinne einer Ausgangs-
messung erfasst, kann man hinterher überprüfen, ob die Maßnahme den erwünschten
Erfolg erzielt hat. Anders ausgedrückt: Maßnahmen, die sich nur an den individuellen
Qualifizierungswünschen der Mitarbeiter:innen orientieren oder aus anderen Gründen
ohne Anforderungsanalyse implementiert werden, können in der Regel nicht hinsicht-
lich konkreter Effekte, z. B. auf ein definiertes, neu zu erlernendes Verhaltensspektrum,
die Verbesserung von Unternehmenskennzahlen o. Ä. überprüft werden. Sicherlich
besteht auch ohne Anforderungsanalyse die Möglichkeit, generische Konstrukte wie
»Arbeitszufriedenheit« zu erfassen, aber die Messung und Evaluation eines konkreten
Lerntransfers ist vor diesem Hintergrund sicher nicht möglich. Hier gilt das Zitat des Ma-
nagementgurus Peter Drucker, »If you can’t measure it – you can’t manage it«.
Weiterhin bietet eine Anforderungsanalyse die Chance, diejenigen aktiv in die Maß-
nahmenentwicklung miteinzubeziehen, für deren Entwicklungsschritte sie später als
Grundlage dient. Uns begegnet immer wieder, dass es zukünftige Teilnehmer:innen,
selbst bei »einfachen Zweitagestrainings«, schätzen, wenn man sich im Vorfeld einer
Maßnahme mit ihnen auseinandersetzt: »Mich freut es, dass sich jemand für das, was
ich tue, interessiert« hört man bei Vorabbefragungen regelmäßig. Eine Anforderungs-
analyse kann so auch ein wichtiger Bestandteil zur Akzeptanzförderungen der später
daraus abgeleiteten Maßnahmen sein.
2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs | 51
Zudem liefert eine »saubere« Analyse des PE-Bedarfs Ihrem Unternehmen alle Daten
für die Entwicklung eines neuen Anforderungsprofils – oder zumindest für den Fein-
schliff von bereits vorhandenen Unternehmenskriterien. Durch die Analyse lassen sich
zum einen erfolgskritische Verhaltensweisen in einer gegebenen Position identifizie-
ren (s. u., »Critical Incidents Technique« nach Flanagan, 1954), die wiederum, wie oben
beschrieben, für Trainingsübungen genutzt werden oder in das Anforderungsprofil in
Form von Kompetenzen und Kriterienbeschreibungen übersetzt werden können. Die
Ergebnisse einer solchen Anforderungsanalyse liefern somit auch eine gemeinsame
Sprache in der Maßnahme und bilden die Basis für später zu definierende Entwick-
lungsschritte.
In der folgenden Tabelle haben wir die Vor- und Nachteile von Anforderungsanalysen
nochmals gegenübergestellt.
Vorteile Nachteile
Im folgenden Abschnitt möchten wir Ihnen daher eine Orientierung geben, welche
Möglichkeiten Ihnen für eine systematische Anforderungsanalyse zur Verfügung ste-
hen, um das Thema greifbar zu machen. Grundsätzlich gilt: Egal, für welche Form der
Analyse des PE-Bedarfs Sie sich entscheiden, Sie tragen damit etwas zur Wertschöp-
fungskette des PE-Prozesses bei, denn die Maßnahme wird dadurch in jedem Fall et-
was passgenauer als sie es ohne diese Analyse geworden wäre.
Natürlich ist nicht jedes Analyseverfahren für jede Situation geeignet. Wenn es da-
rum geht, dass Mitarbeiter:innen in einer neuen Arbeitstechnik geschult werden
sollen, macht sicherlich eine Arbeitsplatzbeobachtung mehr Sinn als ein psychome-
trisches Testverfahren zur Analyse der Persönlichkeit. Wenn Sie das Potenzial einer
Zielgruppe für höherwertige Aufgaben erkennen wollen, kann dies fast nur vor dem
Hintergrund eines vorhandenen (oder dann noch zu erstellenden) Kompetenzprofils
stattfinden – insofern sollte man sich hier im Vorfeld also mit den notwendigen Ver-
haltensausprägungen für die Zielposition auseinandersetzen und diese im unterneh-
mensspezifischen Anforderungsprofil abbilden und braucht daher weniger Zeit auf
eine Untersuchung des Teamklimas zu verwenden. Ihre Fragestellung bestimmt die
Wahl der Analysemethode.
Im Zweifel fahren Sie bei der Planung Ihrer Anforderungsanalyse besser, wenn Sie
dem Sinnspruch »weniger ist mehr« folgen, als wenn Sie die Analyse im Vorfeld so
überfrachten, dass sie mehr Zeit in Anspruch nimmt als die eigentliche Umsetzungs-
maßnahme.
Fähigkeiten und Einstellungen. Hier ist die zentrale Leitfrage »Wie sieht eine Auf-
gabe (oder ein Aufgabenprofil) genau aus und welche PE-Maßnahmen brauchen
die Mitarbeiter:innen, um diese (noch besser) zu erfüllen?«
3. Die dritte und letzte Ebene der Anforderungsanalyse bezieht nun endlich dieje-
nigen ein, um die es in Entwicklungsmaßnahmen – hoffentlich! – geht: die Men-
schen. Als Mitarbeiter:in eines Unternehmens bewegen Sie sich im Rahmen der
übergeordneten Zielvorgaben (s. Organisationsanalyse) in Ihrem spezifischen
Aufgabenfeld (s. Aufgabenanalyse) auf eine bestimmte Art und Weise: vielleicht
sind Sie neu in Ihrer Position, so dass Ihnen noch Expertise und Erfahrung fehlt,
was Sie mit Ihrer hohen Motivation wieder wettmachen; oder Sie sind schon »ein
alter Hase« und werden von vielen weniger Erfahrenen im Unternehmen mittler-
weile als »Coach« genutzt. So oder so kommt auf dieser Ebene die Leitfrage zum
Tragen »Wie erfüllt eineMitarbeiter:in ihre jetzige Aufgabe?« oder auch »Wie gut
ist die Mitarbeiter:in für die Aufgaben in einer zukünftigen Zielposition geeignet?«
Dies zu erfassen ist die Aufgabe der sog. Personenanalyse. Diese dient also dazu,
die individuellen Leistungs- und Verhaltensspektren und Entwicklungspotenziale
von Mitarbeiter:innen zu ermitteln.
In diesem Kapitel gehen wir nun noch detaillierter auf die drei Ebenen ein und begin-
nen natürlich »ganz oben«: mit der Organisationsanalyse.
2.1 Organisationsanalyse
Wie erwähnt, lautet die Leitfrage der Organisationsanalyse »Wohin wollen wir als
Unternehmen und was heißt das für unsere PE-Maßnahmen?« Diese übergeordnete
Fragestellung kann man etwas detaillierter abbilden, indem man zum einen auf die
Ist-Situation fokussiert:
y Was sind unsere zentralen Prozesse/Aufgaben? Womit stellen wir unsere Kunden
zufrieden? Welchen Nutzen stiften wir?
y Worin sind wir besonders gut? Was sind unsere Stärken?
y Wo müssen wir uns noch verbessern? Was sind die Ursachen für unsere Schwächen?
Zum anderen sollte man auch durchaus einen Blick in die Zukunft wagen, um zu ver-
meiden, dass man die Anforderungen an das eigene Unternehmen nur reaktiv erfasst
(Motto: »Das läuft bei uns gerade schlecht – was müssen wir jetzt schnell machen, damit
das wieder besser wird?«). Entsprechende proaktiv ausgerichtete Fragen lauten z. B.
y Welche Anforderungen ergeben sich in Zukunft an uns (technische Entwicklungen,
Veränderungen im Unternehmensumfeld, rechtliche Auflagen, Kundenwünsche,
Wettbewerb) und wie stellen wir uns darauf ein?
y Was müssen wir bald können? Welche Kompetenzen müssen wir deshalb zentral
ausbauen?
54 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Um diese Fragen anzugehen, bieten sich zahlreiche Methoden an. Der einfachste Weg
ist sicherlich ein offener Austausch zu diesen Themen zwischen Unternehmensfüh-
rung und den entsprechenden Stabsstellen, in diesem Fall vornehmlich der PE-Ab-
teilung, ggf. aber auch dem Strategiebereich, dem Marketing, der Forschungs- und
Entwicklungsabteilung usw. Diesen Austausch sollten Sie aber in jedem Fall auf einer
sicheren Basis führen, damit man nicht nur Meinungen und Vermutungen bespricht.
Es macht also Sinn, konkrete Unternehmens-Daten hinzuzuziehen, um das Bespro-
chene zu fundieren. Hier seien nur einige Quellen für Zahlen genannt, die bei einer
Analyse der Organisation eine Rolle spielen können:
y Performance-Kennzahlen (KPIs), z. B. Entwicklung des Umsatzes, verkaufte Stück-
zahlen, Deckungsbeiträge, Produktions-Output, Qualitätskennzahlen u. Ä.
y Marktdaten, Entwicklungstrends mit Auswirkungen auf die eigene Branche
y Makro-Entwicklungen und Megatrends, politische Rahmenbedingungen
y Kundenbefragungen, Zufriedenheitsindizes, Customer-Relationship-Indizes (CRI)
y Mitarbeiterbefragungen, 360°-Feedbacks, Unternehmensklima-Befragungen,
Stimmungsbarometer
y Erfahrungswerte aus dem »Feld«, z. B. aus dem Vertrieb oder dem Service
y Wettbewerbsanalysen (im Sinne eines Benchmarkings / Best Practice)
Um sich eine Orientierung zu verschaffen, mit welcher Fragenstruktur man an die The-
menkreise herangehen kann, bietet sich natürlich die Nutzung entsprechender Strate-
gieinstrumente im Rahmen eines Workshops an. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen,
dass die oben genannten Orientierungsfragen mit ihrer Unterteilung in »Ist-Situation«
und »Zukunft« deutliche Parallelen zu einem der bekanntesten Strategieinstrumente
aufweisen: der SWOT-Analyse. Diese lässt sich im Rahmen der Organisationsanalyse her-
vorragend einsetzen, daher wollen wir im folgenden Abschnitt näher darauf eingehen.
2.1.1 SWOT-Analyse
tegische Ausrichtung einbeziehen. So besteht die Chance, das auf allen Ebenen des
Unternehmens vorhandene Know-how für strukturierte Problemlösungen und Ent-
scheidungen mittels dieser Methode zu nutzen.
Stärken Schwächen
z.B. hohe Qualität der Produkte, z.B. nicht genügend Marktpositionierun
treue Kunden in zukunftsträchtigen Märkten
Leitfragen: Leitfragen:
• Was können wir besser als • Was können wir nicht so gut
unsere Mitwettbewerber? wie unsere Mitwettbewerber?
• Wieso bestehen wir derzeit • Wo fehlen uns Fähigkeiten, Wissen
Chancen
z.B. wichtiger Arbeitgeber in der Stadt – z.B. Pricing – nicht konkurrenzfähig mit
Verlagerung von Produktion kann Billiganbietern
imageschädigend sein
Leitfragen:
Leitfragen: • Was haben unsere Mitwettbewerber,
• Welche gesellschaftlichen Entwick- aber wir nicht?
lungen / Trends können wir nutzen? • Wo können andere leicht in unseren
Risiken
Stärken
Stärken sind Eigenschaften eines Unternehmens (einer Geschäftseinheit, Abteilung
usw.), die sich in Form einer besonderen Marktstellung, hoher Umsätze oder anderer
Kriterien auswirken.
56 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Beispiele wären ein hoher Cash-Flow, gut eingeführte Markennamen oder Patent-
rechte. Stärken sind jedoch auch interne Faktoren, die nicht direkt zu aktuell beob-
achtbaren Tatbeständen führen, das Unternehmen aber von den Marktbegleitern
unterscheidet, z. B. besondere Qualifikationen der Mitarbeiter:innen, hohe Anzahl an
Spezialist:innen, hohe Qualitätsstandards usw.
Schwächen
Schwächen sind Faktoren im Unternehmen, die zu negativen Entwicklungen führen.
Auch hier kann es sich um Sachverhalte im Unternehmen handeln, die sich derzeit
noch nicht direkt negativ auswirken.
Ein Beispiel wäre die Abhängigkeit von einigen wenigen Großabnehmern, die derzeit
eventuell sogar noch zu hohen Umsätzen beiträgt und daher nicht auf den ersten Blick
als Gefahr eingestuft wird.
Chancen
Chancen sind Faktoren außerhalb des Unternehmens, die als Basis für zukünftigen Er-
folg dienen können. Der Begriff beinhaltet aber auch die Problematik, dass das Unter-
nehmen diese Chancen nutzen muss, um sie in reale Stärken umzuwandeln. Hier ist es
somit nötig, geeignete Wege zu finden, damit diese Entwicklungen sich für das Unter-
nehmen in Form von wirtschaftlichem Erfolg auszahlen.
Beispiel hierfür wäre der Wegfall von Zollbeschränkungen oder die Entwicklung neuer
Grundlagentechnologien, die eine adäquate Reaktion erfordern bzw. erst ermöglichen.
Risiken
Risiken oder Bedrohungen sind gleichfalls externe Faktoren, die aber ggf. den Erfolg
des Unternehmens beeinträchtigen. Auch hier muss in der Zukunft gehandelt werden,
indem alternative Szenarien durchgespielt und Entscheidungen getroffen werden, um
diesen Bedrohungen entgegenzuwirken.
Beispiel hierfür wären Trends in der Gesellschaft, die den Umsatz in derzeitigen Ge-
schäftsfeldern beeinträchtigen können.
Allen diesen Instrumenten ist aber gemeinsam, dass sie »expertenbasiert« sind,
d. h. dass eine ausgewählte Gruppe von Menschen – meist »Entscheider:innen«,
58 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Ein warnender Hinweis vorneweg: Viele der in diesem Kapitel genannten Methoden
der Organisationsanalyse sind aufwendig. Warum ist das so? Sobald Sie Ihre Mitarbei-
ter:innen im Rahmen einer »Organisationsdiagnose« mittels einer Befragung einbe-
ziehen, treten Sie eigentlich schon den ersten Schritt eines Umsetzungsprozesses los.
Es gilt die Regel: Jede Diagnose ist gleichzeitig auch eine Intervention. Etwas weniger
»klinisch« ausgedrückt bedeutet das, dass allein die Tatsache, dass man als Mitarbei-
ter:in gefragt wird, etwas in einem »auslöst« (z. B. Emotionen wie Verärgerung, dass
man »mit so einem Quatsch belämmert wird«, Ängste, dass man »das Falsche sagt«
und dafür »dran ist« oder auch Freude, dass man überhaupt mal die Möglichkeit hat,
etwas zu sagen oder Stolz, das man etwas zur Unternehmensentwicklung beitragen
kann) – und das ist dann schon der erste Veränderungsschritt, eben eine »Interven-
tion«. Darüber hinaus »riskieren« Sie mit Fragen zu Zufriedenheit, Führung, Commit-
ment, Klima u. Ä. natürlich, auch negative Antworten zu erhalten. Und diese kann man
kaum i. S. eines Gut-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben stehen lassen; sie ziehen in
aller Regel die Notwendigkeit von Umsetzungsmaßnahmen nach sich und stellen so-
mit eine gegenseitige Verpflichtung zur Nachhaltigkeit dar.
Jeder, der bereits an einer Mitarbeiterbefragung mitgewirkt hat, weiß wie komplex
und zeitaufwendig die Implementierung und wie intensiv neben der eigentlichen
Diagnose die gesamte Umsetzungsphase danach ist. Die Kategorien von Mitarbei-
terbefragungen zielen sowohl auf Organisationsanalysethemen ab (z. B. Arbeits-
zufriedenheit, Führungskräfteverhalten, Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten,
Verbundenheit/Loyalität/Commitment) als auch auf Themen der Aufgabenanalyse
(z. B. Handlungsspielraum, Informationswege, Verantwortungsbereiche, Zusam-
menarbeit im Team).
Wir können an dieser Stelle nicht auf alle Aspekte des Instrumentes der Mitarbeiter-
befragung eingehen, aber in Kapitel 6 »HR-Analytics: Evidenzbasierte Personal- und
Organisationsentwicklung«, kommen wir intensiv auf das Thema zurück, denn Mit-
arbeiterbefragungsdaten bilden die zentrale Datenquelle für diese Methode. Hier wol-
len wir aber zumindest den Suchscheinwerfer auf eine besonders hervorstechende
2.1 Organisationsanalyse | 59
Exkurs 2: Unternehmenskultur
Bei den digitalen Extras auf mybook.haufe.de bieten wir Ihnen in einem Exkurs weitere Infor-
mationen zum Thema Unternehmenskultur.
2.1.2.1 Klimafragebogen
Ein wesentlicher Faktor für das Wohlbefinden von Menschen in Organisationen ist
die »Stimmung«, das »Klima«, das man dort als Mitarbeiter:in täglich erlebt. Aspekte
wie der wahrgenommene soziale Zusammenhalt, eine positive Grundhaltung der Kol-
leg:innen, der Führungsstil des direkten Vorgesetzen und das Empfinden, dass sich
die Führungskraft für die eigenen Mitarbeiter:innen interessiert, stellen belegbar gro-
ße Hebel für Variablen wie Verbundenheit mit dem Arbeitgeber, Leistungsmotivation,
quantitativer und qualitativer Output, niedriger Krankenstand, niedrige Fluktuation
sowie initiatives Verhalten und Verhalten »über die Stellenbeschreibung hinaus«, das
sog. Organizational Citizenship Behaviour, dar.
Um Ihnen ein Bild zu geben, wie ein Instrument zur Erfassung des Teamklimas ausse-
hen kann, möchten wir Ihnen zwei validierte und wissenschaftlich fundierte Fragebo-
gen vorstellen, die auf zwei »Klima-Ebenen« ansetzen: in einem Fall bei der gesamten
Organisation, im anderen Fall fokussiert auf Teams.
Der FEO von Daumenlang, Müskens & Harder (2004) basiert auf dem Zweifaktorenmo-
dell der Führung von Blake & Mouton (1964), die zwischen einer aufgabenorientierten
60 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Die 12 Dimensionen decken viele Facetten einer Mitarbeiterbefragung ab, der Frage-
bogen bleibt aber bei einer Gesamtbearbeitungsdauer von ca. 25 Minuten noch recht
»userfreundlich«, zumal auch einzelne Dimensionen herausgenommen und für sich
abgefragt werden können.
2.1.2.1.2 Teamklima-Inventar (TKI)
Das TKI von Brodbeck, Anderson & West (2000) erfasst das Klima für Innovation und
Leistung in Teams oder Arbeitsgruppen. Die aus der Forschung bekannten, messbare
Zusammenhänge zwischen Klimafaktoren und Outputvariablen systematisiert West
(1990) in seiner 4-Faktorentheorie, in der er Teamarbeit als wesentlichen Treiber für
Innovation und Leistung in Unternehmen zugrunde legt.
Die vier Faktoren und die zugehörigen Skalen des Fragebogens sind:
1. Vision – übergeordnete, geteilte und gewollte Ziele, die Orientierung geben und
motivierend wirken
(1) Klarheit
(2) Wertschätzung
(3) Einigkeit
(4) Erreichbarkeit
2.1 Organisationsanalyse | 61
Das TKI besteht aus 13 Subskalen mit 38 Fragen zu den 4 zentralen Dimensionen und
kann noch ergänzt werden um 6 Fragen zur sozialen Erwünschtheit, die 2 weitere Sub-
skalen repräsentieren. Die Bearbeitungsdauer liegt bei ca. 15 Minuten.
Im Vergleich zum FEO, der in seinen Dimensionen breiter aufgestellt und näher an einer
Mitarbeiterbefragung im Hinblick auf das Klima im Gesamtunternehmen ist, fokussiert
das TKI auf die Einheit »Team« sozusagen als »Saat« für Innovation und Klima, welches
sich beides wiederum positiv in die gesamte Organisation fortpflanzen kann.
Beide Instrumente liefern Ihnen einen unterschiedlichen Blickwinkel, um sich mit dem
Thema Klima im Rahmen einer Organisationsanalyse auseinanderzusetzen. Natürlich fin-
den sich am Markt noch zahlreiche weitere Instrumente wie der »Fragebogen zur Arbeit im
Team (FAT)« von Kauffeld (2004) oder auch verhaltensbeobachtungsbasierte Instrumente
wie das SYMLOG (System for the Multiple Level Observation of Groups) von Bales (1982, s.
hierzu auch die Tätigkeitsanalyse-Instrumente / den Fragebogen in Kapitel 2.2 »Aufgaben-
analyse«). Für eine umfassende Übersicht über weitere diagnostische Instrumente (aus dem
Bereich Organisationsklima, aber auch aus zahlreichen anderen Themenfeldern) lohnt ein
Blick in das Standardwerk »Management-Diagnostik«, das Sarges (2013) herausgegeben hat.
2.1.2.1.4 Teamperformance-Fragebogen
In der Praxisanwendung zeigt sich, dass der Fragebogen bei gezielten Team-Inter-
ventionen (z. B. im Hinblick auf die Verbesserung der Zusammenarbeit) genau an den
Stellen Veränderungen erfasst, an denen tatsächlich gearbeitet wurde. Andere As-
pekte bleiben in ihrer Ausprägungsstärke dabei unverändert. Dieses Feedback ist für
Führungskräfte und Teams insofern wichtig und motivierend, weil der Vorher-Nach-
her-Abgleich der Fragebogenwerte belegt, dass sie etwas in ihrem Zusammenspiel
positiv verändern können. Darüber hinaus verdeutlichen solche Ergebnisse, dass
Interventionen in Teams an sich nützlich sind, da sich vieles eben nicht einfach von
selbst verbessert.
Das CPM ist ein Befragungsinstrument, das online und/oder als Paper/Pencil-Umfrage
zur Verfügung gestellt wird. Grundlage für den Fragebogen ist ein von uns entwickeltes
Modell für Transformationsprozesse (s. Abb. 8). Das Modell basiert auf verhaltenswis-
senschaftlichen Forschungsergebnissen und fasst die zentralen Aspekte zusammen,
die beachtet werden müssen, um eine hohe Akzeptanz der Veränderung und damit
eine nachhaltige Umsetzung sicherzustellen.
Eigene Berücksichtigung
Befähigung eigener Interessen
Partizipation
Unterstützung Vorbilder
Akzeptanz
Veränderung Überzeugung von Erfolg
Generelle als Mitverantwortung
Erwartungen Herausforderung
Positive Einstellung zum
Veränderungsverlauf
Zufriedenheit mit Verlauf
Sinnhaftigkeit Transparenz
der Veränderung der Ziele
Information
Vertrauen
Glaubwürdigkeit
in Vorgehen
53 Fragen bilden die 16 verschiedenen Themen des Modells ab. Es ist so möglich,
Querbeziehungen und die Bedeutung der einzelnen Aspekte im Rahmen des Trans-
formationsprozesses eines Unternehmens zu ermitteln. Aktuelle Stärken und Knack-
punkte werden deutlich. Eine gezielte Maßnahmenplanung für das weitere Vorgehen
lässt sich ableiten. Zum Beispiel ließe sich feststellen, ob die Sinnhaftigkeit oder die
Ziele des Transformationsprozesses für die Führungskräfte und Mitarbeiter:innen klar
ist oder nicht. Je nach Ergebnis würden entsprechende interne Kommunikationsmaß-
nahmen oder andere Interventionen abgeleitet.
Die Fragen sind klar formuliert und können durch Ankreuzen beantwortet werden.
64 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Beispielfragen
y »Ich kenne die Ziele des Transformationsprozesses.«
y »Die Ziele des Transformationsprozesses sind aus meiner Sicht sinnvoll.«
y »Ich fühle mich über den Transformationsprozess ausreichend informiert.«
y »Ich denke, dass ich wahrheitsgetreu informiert werde.«
y »Ich denke, dass mir die Transformation Chancen eröffnet.«
Zusätzlich haben die Befragten die Möglichkeit, in einer offenen Frage zu beschreiben,
wie sie den aktuellen Veränderungsprozess erleben. Er liefert damit verlässliche und
aussagekräftige Ergebnisse über den Transformationsprozess.
Da die Befragung nicht nur der exakten Erfassung der aktuellen Situation, sondern
auch der Einbeziehung der Betroffenen dient, empfehlen wir grundsätzlich, alle Füh-
rungskräfte und alle Mitarbeiter:innen zu befragen.
Die Bearbeitung des Fragebogens dauert in der Regel ca. 10 Minuten und die Auswer-
tung erfolgt selbstverständlich anonym. Die Befragung sollte mindestens zweimal in
einem Transformationsprozess durchgeführt werden: einmal zu Beginn des Transfor-
mationsprozesses und dann wieder im Abstand von einem Jahr, wenn bereits erste
Maßnahmen umgesetzt wurden.
Die erste Befragung dient dazu, die Ausgangssituation exakt zu erfassen und daraus
systematisch Kommunikations- und Umsetzungsmaßnahmen in das Transforma-
tionsvorgehen zu integrieren. Die Folgebefragung dient der Überprüfung der bereits
erzielten Fortschritte und ggf. der Anpassung der bereits durchgeführten oder ange-
dachten Transformationsschritte und Interventionen.
Wesentlicher Nebeneffekt der Befragung ist, dass allein durch den Einsatz des In
strumentes alle betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter:innen von Anfang an am
Prozess beteiligt werden, und dies in Abhängigkeit von ihrer Eingebundenheit in den
Transformationsprozess. Hoffnungen, Ängste und Befürchtungen können frühzeitig
adressiert werden. Die Betroffenen erfahren durch die Partizipation, dass ihre Mei-
nung wichtig ist und nicht »über ihren Kopf hinweg« entschieden wird. Den in vielen
Transformationsprozessen üblichen Widerständen, resignativen Verhaltensweisen
und Kündigungen von Leistungsträgern sowie dem Entstehen dysfunktionaler Ge-
rüchte kann damit frühzeitig entgegengewirkt werden.
2.1.2.2 Dokumentenanalysen
In diesem Abschnitt möchten wir Ihnen ein weiteres Verfahren der Organisationsana-
lyse näherbringen, das nochmals einen etwas anderen methodischen Blickwinkel ab-
bildet: die Dokumentenanalyse. Diese ist darauf ausgelegt, bei der Betrachtung des
Unternehmens objektivierbare Daten zu integrieren. Die grundlegende Idee der Do-
kumentenanalyse besteht darin, im Unternehmen vorhandene Medien zu sichten und
daraus eine Art »Organisationsprofil« abzuleiten, d. h. eine Beschreibung des Stils, der
Ausrichtung, der Anforderungskriterien, der Unternehmenswerte usw. zu generieren.
Dokumentenanalysen sind somit eng mit dem Thema Unternehmenskultur verknüpft.
Quellen von Dokumentenanalysen sind z. B.:
y Interne Kommunikationsmittel wie Mitarbeiterzeitschriften
y Kundenzeitschriften
y Marketing- und Werbemittel, Flyer, Produktbroschüren
y Unternehmensfilme
y Interviews
y Schriftlich festgehaltene Unternehmensleitbilder/Führungsleitsätze/Compliance-
Richtlinien
y Unternehmensbezogene Anforderungsprofile
y Strategiepapiere
y Intra- und Internetauftritte
y Blogs/Chats
y Schriftliche geschäftliche Kommunikation, Emails
y Geschäftsberichte
y Presseberichte
y Schulungsunterlagen usw.
Eine Dokumentenanalyse besteht nun nicht darin, dass man in all diesen möglichen
Quellen »drauf los liest« und schaut, was man »so findet«. Es empfiehlt sich, mit einer
konkreten Überschrift zu arbeiten und ausgewählte Dokumente dahingehend zu ana-
lysieren. Konzentriert man sich z. B. auf die Erstellung eines neuen oder die Überarbei-
tung eines vorhandenen Anforderungsprofils (s. folgendes Kapitel, insbesondere Kapitel
2.2.4), so sollte man den »Suchscheinwerfer« der Dokumentenanalyse darauf ausrich-
ten, erfolgskritische Verhaltensweisen für eine gegebene Zielposition herauszuarbeiten.
Wenn es z. B. darum geht, ein neues Leitbild herauszuarbeiten, könnte die »Analyse-
kette« beispielweise so aussehen: Wie treten wir gegenüber unseren Kunden auf? Wie
platzieren wir unser Unternehmen gegenüber den Medien? Wie sprechen wir unsere
Mitarbeiter:innen nach innen an (z. B. mittels der Mitarbeiterzeitschrift, aber auch bei
Aushängen am schwarzen Brett)? Welche Werte und Normen lassen sich daraus ab-
leiten, was ist uns als Unternehmen wichtig? Wie wirken wir daher als Unternehmen
nach innen und nach außen, wie werden wir gesehen? Wie wollen wir gesehen wer-
den, was heißt das für unser neues Leitbild?
Ein mögliches Vorgehen bei der Auswertung der Dokumente ist die sogenannte In-
haltsanalyse nach Mayring (2015), s. Exkurs 3 zum Thema »Inhaltsanalyse« bei den
digitalen Extras auf mybook.haufe.de.
Ein letzter Aspekt der Dokumentenanalyse sei erwähnt: dadurch, dass sie – mit Aus-
nahme von zukunftsgerichteten Unterlagen wie Strategiepapieren und Leitbildern –
in erster Linie auf aktuelle, beschreibende Medien fokussiert, ist sie vornehmlich ein
Verfahren, das zur Ist-Analyse der Unternehmenssituation geeignet ist. Wie wir aber
bereits im Abschnitt zur SWOT-Analyse gesehen haben, ist eine »saubere« Ist-Analyse
die wesentliche Plattform und Voraussetzung für die Ableitung einer zukunftsorien-
tierten Ausrichtung.
Exkurs 3: Inhaltsanalyse
Bei den digitalen Extras auf mybook.haufe.de bieten wir Ihnen in einem Exkurs praktische
Informationen zum Thema Inhaltsanalyse.
2.1 Organisationsanalyse | 67
Bevor wir entsprechende Beispiele darstellen, sollten wir jedoch einige Prämissen im
Hinblick darauf klären, was wir unter agilen Methoden verstehen und worin für uns
die Unterschiede zu schon bekannten, ggf. als »nicht explizit agil« wahrgenommenen
Ansätzen bestehen.
Ein wesentlicher Vorteil agiler Konzepte sei gleich vorangestellt: Gegenüber groß an-
gelegten Restrukturierungen und Transformationsprozessen, die in der Regel sehr
tiefgreifende und eher langfristig angelegte Maßnahmen darstellen, bieten agile
Ansätze die Möglichkeit, neue Methoden mit wenig Aufwand und »schlank« in der
Organisation zu etablieren – und so schrittweise Lern- und Veränderungsprozesse an-
zuregen. Dies liegt unter anderem daran, dass agile Ansätze nicht unbedingt einem
zusammenhängenden, übergeordneten Theoriegebäude unterliegen. Anders als die
oben genannten Analyseinstrumente wie das TKI oder der Teamperformance-Frage-
bogen, deren Entwicklung in der Regel auf Basis theoretischer Modelle (z. B. das Job-
Characteristics-Modell von Hackman & Oldham (1976, 1980), s. Kapitel 2.2) erfolgte,
können agile Ansätze eher als Bestandteil eines auf Pragmatismus ausgerichteten
Methodenkoffers verstanden werden. Deren theoretische Fundierung unterliegt nicht
einem geschlossenen Gesamtbild, es fließen eher eklektizistische Gedanken aus
unterschiedlichsten Theoriefeldern ein.
Viele agile Ansätze wirken dabei auf den ersten Blick nicht unbedingt »revolutionär«
neu oder anders. Ein Scrum- oder Kanbanboard beispielweise weist viele Parallelen
zu klassischen Aktions- und Projektplänen oder To-do-Listen auf. Eine Zielbeschrei-
bungsmethode wie Objetices and Key Results (OKR) scheint zunächst nichts anderes
zu sein als das altbekannte Thema »Management by Objectives« (MbO), in den 50er
Jahren des letzten Jahrhunderts vom bekannten Management-Guru Peter F. Drucker
entwickelt, lange bevor man von »agilen Organisationen« gesprochen hat. Darüber
hinaus laufen agile Methoden immer wieder Gefahr, als »Schlagwort« (»Lass uns mal
scrummen!«) und als »Methode um der Methode willen« angewandt zu werden. Wenn
man gemeinsam vor einem Scrumboard steht, heißt das noch lange nicht, dass man
»agil« ist.
68 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Um zu verstehen, was das »Agile« an der Agilität ist, muss man den Kontext der Me-
thoden etwas weiter fassen. Es geht weniger darum, zu bewerten, ob es die Über-
schriften und Inhalte einer agilen Methode »noch nie zuvor gegeben hat«. Es geht
vielmehr um die Art, wie man gemeinsam mit der agilen Methode arbeitet. Der
wesentliche Unterschied besteht also im »Wie« und nicht im »Was«. So sind agile
Ansätze meist iterativ angelegt und mit kürzeren Feedbackschleifen versehen als
klassische Projektmanagement- oder Analysemethoden. Man arbeitet mit Prototy-
pen und geht Schritt für Schritt vor, holt sich Feedback ein und arbeitet dann »von
da aus« weiter. Als Beispiel: Wenn ein Sprint in einem agilen Projekt auf 4 Wochen
angelegt ist, dann werden die vorhandenen Ergebnisse nach 4 Wochen auch vorge-
legt – das, was man bis dahin erarbeitet hat, »gilt«. Von diesem Punkt aus wird der
nächste Sprint festgelegt. Wenn das Ergebnis bis dahin noch nicht so perfekt aus-
sieht, wie sich das die Geschäftsführung vielleicht erhofft hatte, wird nicht, wie im
klassischen Projektmanagement üblich, der Zeitrahmen oder das Budget erweitert.
Der agile Methodenansatz dahinter nennt sich »timeboxing«. Die dazugehörige agile
Haltung lässt sich folgendermaßen umreißen: »Das ist der Zeitabschnitt und das ist
der Prototyp / das Ergebnis, das wir bis Tag X haben – und damit arbeiten wir wei-
ter … oder wir stellen fest, dass wir nicht erfolgreich waren, stampfen das Ganze ein
und fangen von vorne an.«
Dies bringt uns zu einem anderen Aspekt des »Wie« agiler Methoden, den wir als
fundamental anders wahrnehmen als im klassischen Projektmanagement üblich.
Diesen erleben wir zugeich auch als größte Herausforderung in der Umsetzung
von Agilität: Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg agiler Methoden ist nämlich
das – schrittweise zu etablierende – »agile Mindset«. Dieses besagt im Kern: »Lass
dich auf schnelle, unvorhersehbare Veränderungen ein, sei flexibel, lern jeden Tag
dazu, lass dich auf Neues ein, beiß dich nicht zu sehr an Bekanntem / deinem Spe-
zialgebiet fest, und wenn dein Modell nicht funktioniert, reiß alles ein und mach
alles neu!« Hier ist ein echter Paradigmenwechsel in unserer inneren Ausrichtung
gefragt, denn wohl kaum jemandem fällt es leicht, von Ergebnissen Abstand zu
nehmen, für die man hart gearbeitet hat. Und es ist keinesfalls einfach, sich mit der
eigenen Expertise zurückzunehmen, in die man viel investiert hat und die einem
Sicherheit gibt.
Denkt man nun aber wieder an das vorher genannte »timeboxing« und die schnelle-
ren, iterativen Rückmeldungszyklen, dann gilt in umgekehrter Logik, dass man ein Ar-
beitsergbnis leichter einstampfen kann, in das man nicht schon Monate oder gar Jahre
minutiöser Planung und Vorbereitung investiert hat. Hier schließt sich also wieder der
Kreis des »agilen Mindsets«.
2.1 Organisationsanalyse | 69
In der Regel werden agile Methoden eher als Arbeitswerkzeuge im Rahmen von Pro-
jekten oder in der Produktentwicklung verstanden und weniger im Zusammenhang
mit Organisationsanalysen genannt. Doch gerade die genannten »Wie«-Aspekte der
Agilität bieten unseres Erachtens wunderbare Reflexionsansätze für die Organisa-
tionsanalyse. Denn dadurch, wie man gemeinsam mit einer agilen Methode arbeitet,
legt man den Fokus ganz unmittelbar darauf, was das eigene Unternehmen ausmacht
und wie es funktioniert.
Ebenso wie die vorangegangenen Abschnitte dieses Kapitels erhebt auch die nach-
folgende Übersicht über die agilen Ansätze, die sich für die Anwendung im Rahmen
einer Organisationsanalyse eignen, keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Diese ließe
sich angesichts der schieren Anzahl vorhandener agiler Methoden im Rahmen unse-
res Crashkurses PE gar nicht abbilden. Mit unserer Übersicht wollen wir exemplarisch
darstellen, wie sich die entsprechenden Instrumente anwenden lassen. Für eine er-
heblich umfassendere Darstellung agiler Methoden, auch über die Anwendung als Or-
ganisationsanalyse-Instrumente hinaus, sei auf die entsprechenden Fachbücher mit
dem Fokus auf »Agilität« verwiesen (Graf, Gramß & Edelkraut, 2019; Häusling, 2017;
Hofert, 2021; Nickel & Keil, 2020; Preußig, 2018; Laloux, 2015, 2016).
2.1.3.1 Starfish Retrospektive
Die Starfish Retrospektive ist sicher kein Instrument, das agile Coaches im Zusam-
menhang mit Fragestellungen der Organisationsanalyse erwarten würden. Eigent-
lich handelt es sich um ein klassisches Teamentwicklungsinstrument aus dem agilen
Methodenkoffer. Bei dieser Methode geht es darum, in einem Teamtreffen neben den
Fachthemen auch der Reflexion der Zusammenarbeit Raum zu geben. Dabei werden
Aspekte der Zusammenarbeit »seesternförmig« kategorisiert, so dass man 5 Über-
schriften bearbeitet:
y Mehr davon – Teamansätze, Themen, Aufgaben, Formen der Zusammenarbeit,
die gut funktionieren und die man ausbauen kann. Stichwort »Stärken stärken«.
y Weniger davon – Teamansätze, Themen, Aufgaben, Formen der Zusammenarbeit,
die weniger gut funktionieren, die man aber in altbekannten Mustern »eben so
70 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
macht« oder »schon immer so gemacht hat« und die vielleicht zu wenig hinterfragt
werden. Diese kommen in dieser Kategorie »auf den Prüfstand«.
y Stop – Teamansätze, Themen, Aufgaben, Formen der Zusammenarbeit, die
definitiv nicht funktionieren und die man so schnell wie möglich beenden soll-
te, z. B. weil sie wiederholt unproduktive Konflikte, Reibungen und Irritationen
hervorrufen.
y Weiter nutzen – Teamansätze, Themen, Aufgaben, Formen der Zusammenarbeit,
die man begonnen hat, die vielleicht noch ungewohnt sind, für die es noch keine
Routinen gibt, die sich aber gut anlassen und eine Chance verdienen, zum Stan-
dard zu werden.
y Ab sofort – Teamansätze, Themen, Aufgaben, Formen der Zusammenarbeit, die
dringend notwendig sind, die ggf. auch schon lange anstehen und es verdienen,
nun auch mit einem »Sense of urgency« versehen zu werden.
MEETINGS UNABGESTIMMT
OHNE ZUM
AGENDA AUFSICHTSRAT
STOP
Aus unserer Sicht muss sich der Einsatz dieser Methode aber gar nicht auf eine reine
Teamreflexion beschränken. Die Starfish Retrospektive lässt sich auch auf ganze Be-
reiche und Organisationen übertragen, ebenso wie die Spezifizierung der fünf Fragen
auf einer übergeordneten Ebene, oberhalb von Teameinheiten, möglich ist. So kann
man entlang der fünf Fragen neue Strukturen, Prozesse, Geschäftsmodelle, eine neue
strategische Ausrichtung oder aktuell stattfindende Transformationsprozesse in re-
gelmäßigen, iterativen Schleifen durchleuchten – und damit bewegen wir uns metho-
disch in der Organisationsanalyse.
Bei dem Business Model Canvas handelt es sich um ein strategische Management
instrument für die Entwicklung neuer oder die Weiterentwicklung bestehender
Geschäftsmodelle, das in der Start-up-Welt eine breite Anwendung findet. Entworfen
wurde das System von Osterwalder & Pigneur (2011) und erfuhr, passend für ein agiles
Werkzeug, in den folgenden Jahren teils Veränderungen, Neuinterpretationen oder
Erweiterungen (z. B. Ojasalo & Ojasalo, 2015).
Auch hier finden sich durchaus Parallelen zu seit Längerem bestehenden Strategie-
instrumenten, vornehmlich sicherlich der Balanced Scorecard – und selbst SWOT-
Elemente sind deutlich erkennbar. Aber wie bei anderen agilen Methoden geht es
beim Business Model Canvas weniger darum, dass mit diesem Ansatz »noch nie da-
gewesene« Kategorien der Unternehmenssteuerung bearbeitet werden, sondern
dass diese Kategorien mit »etwas anderen« Fragen unterlegt sind – und dass sich
damit auch wieder das »Wie« der gemeinsamen Bearbeitung agiler gestalten lässt.
Analog zur im vorherigen Abschnitt adressierten Starfish Retrospektive bietet der
Business Model Canvas eine spannende Plattform für »Unternehmen in Bewegung«,
die die Strukturen, Prozesse und Wertschöpfungsketten in der eigenen Organisa-
tion – mit einem starken Kundenfokus – analysieren wollen. Im Abgleich zu Starfish
handelt es sich beim Canvas sicherlich um ein Werkzeug, für das man sich etwas
mehr Zeit lassen sollte, das sich aber ebenso in regelmäßigen Abständen im Team
bearbeiten lässt.
In der folgenden Abbildung sind die Überschriften und zentrale Fragestellungen des
Business Model Canvas dargestellt.
SCHLÜSSEL- SCHLÜSSEL- SCHLÜSSEL- KUNDENBEZIEHUNGEN KUNDENSEGMENTE
PARTNER:INNEN AKTIVITÄTEN (KEY ANGEBOTE (VALUE (CUSTOMER (CUSTOMER
(KEY PARTNERS) ACTIVITIES) PROPOSITIONS) RELATIONSHIPS) SEGMENTS)
• Welches sind unsere • Welches sind unsere • Welchen Nutzen bieten wir • Wie bauen wir den Kontakt / • Wie lassen sich unsere
wichtigsten Partner:innen, um zentralen Geschäftsprozesse unseren Kund:innen? eine dauerhafte Beziehung zu Kund:innen segmentieren?
unser Geschäft zu betreiben? (z.B. Entwicklung einer App)? • Wie sieht unsere Customer unseren Kund:innen auf? • Welcher »Kundentyp« braucht
• Welche Prozesse • Kernaufgaben für unseren Journey / User story aus? • Wie lernen wir die Welt welche Lösung, wie sieht die
übernehmen unsere Geschäftserfolg? • Welches Problem lösen wir für unserer Kund:innen kennen kundenspezifische »Customer
Partner:innen für uns, welche und verstehen? Journey« aus?
unsere Kund:innen?
Ressourcen bekommen wir • Welches unserer Schlüssel-
von ihnen? • Welchen Bedarf decken wir für
Angebote passt auf welchen
SCHLÜSSEL- sie ab? KANÄLE
• Welche Risiken minimieren Kundentyp?
sie für uns, welche RESSOURCEN (KEY • Was ist unser USP – günstiger (CHANNELS)
Skalierungen ermöglichen sie / schneller / bieten ein
RESOURCES) Erlebnis / vereinfachen…?
uns? • Wie interagieren wir mit
• Wie nehmen unsere unseren Kund:innen – direkt /
• Welches Wissen / welche
Partner:innen die telefonisch / über die Plattform
Fähigkeiten brauchen wir
Zusammenarbeit mit uns / als Vermittler…?
hierfür?
wahr? • Wie binden wir sie ein, z.B.
• Budget / Investitionskosten /
• Wie nehmen unsere gemeinsame Entwicklung /
Finanzierung?
Kund:innen unsere Co-Produktion?
Partner:innen wahr?
72 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
• Welches sind die größten / entscheidendsten Kostenblöcke unseres Business Modells? • Wie generieren wir Einnahmen, wie lautet unsere »Ertragslogik«?
• Welches sind unsere kostenintensivsten Schlüssel-Ressourcen? • Wie spielen Pricing und Kundennutzen zusammen?
• Welches sind unsere kostenintensivsten Schlüssel-Aktivitäten? • Für welchen Nutzen sind die Kund:innen bereit, etwas zu zahlen?
• Wie bezahlen die Kund:innen uns aktuell?
• Welche nicht monetären Werte generieren wir (nicht monetarisierbarer »Purpose«)?
Abb. 10: Agile Methode »Business Model Canvas« (Darstellung nach Osterwalder & Pigneur, 2011)
jeweiligen Canvas-Feld interessant sein können. Auch hier gilt: Sie können den Canvas
Die dargestellten Beispielfragen sollen in erster Linie Ideen liefern, welche Themen im
2.1 Organisationsanalyse | 73
selbst weiterentwickeln, Fragen anpassen, ggf. Felder herausnehmen oder durch an-
dere ersetzen. Alles, was dazu beiträgt, sein eigenes Unternehmen im Sinne der Orga-
nisationsanalyse noch besser zu verstehen, ist nützlich.
»Working out loud« ist ein vielschichtiges agiles Werkzeug, das zahlreiche agile Prin-
zipien vereint: Es geht um Netzwerkbildung, gemeinsames Lernen, ein »Growth
Mindset«, neue Fehlerkultur, Überwinden von Silos und mehr Verständnis an den
Schnittstellen. Der zentrale Ansatz der Methode besteht darin, das eigene Wissen und
die eigene Arbeit für andere im Unternehmen sichtbar zu machen, damit man gemein-
sam lernen und untereinander davon profitieren kann.
Stepper (2015) beschrieb den Ansatz in seinem Buch »Working Out Loud: For a better
career and life« und entwickelte die grundlegende Systematik weiter. Dabei ging es
ihm vor allem darum, von den gängigen Strukturen im Unternehmen wegzukommen:
Jede und jeder arbeitet »vor sich hin«, sitzt eher auf dem eigenen Wissen, als dass er
oder sie es teilt, so dass man getrennt voneinander oder »nebeneinander her arbei-
tet«. Mitarbeiter:innen verbleiben so in ihrer Wissens- und Komfortzone, gemeinsa-
mes Lernen findet kaum statt. Ihm schwebte ein Paradigmenwechsel vor, von »Wissen
ist Macht« hin zu »Wissen teilen ist Macht« – und damit zu wertschätzender Zusam-
menarbeit, zu partnerzentrierter, schnittstellenübergreifender Kommunikation und
zu vernetztem Arbeiten.
Die Methode betont selbstorganisiertes Lernen, bei dem sich eine kleine Gruppe von
Mitarbeiter:innen (bis zu 5) für einen gegebenen Zeitraum (z. B. zwölf Wochen lang)
zusammentut, mit dem erklärten Ziel, miteinander und voneinander zu lernen. Jede
und jeder in der Gruppe definiert auch individuelle Lernziele, z. B. was er oder sie von
den Kolleg:innen und deren Aufgaben erfahren möchte und wie er oder sie danach mit
dem neuen Wissen umgehen will.
Damit Working out loud funktioniert, sollten fünf Prinzipien gelebt werden:
y Beziehungen – Das gemeinsame Netzwerk hilft, Beziehungen untereinander ent-
stehen zu lassen oder zu stärken. Diese können sowohl beruflich als auch privat
hilfreich sein und sollten daher im Sinne eines Lernnetzwerks konsequent ge-
pflegt werden.
y Großzügigkeit – Statt auf dem eigenen Wissen zu hocken und es zu horten, um
den anderen gegenüber einen Wettbewerbsvorteil zu haben, wird es offen ge-
teilt. Auch wenn keine Gegenleistung erwartet wird: Großzügigkeit auf der einen
Seite zieht meist auch Großzügigkeit auf der anderen nach sich – und dadurch
74 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
wächst man gemeinsam in den geteilten Themen, gibt sich wertvolle Tipps oder
Feedback, unterstützt sich bei Projektarbeiten o. Ä. Großzügigkeit stellt quasi die
»Währung« eines Netzwerks dar.
y Sichtbare Arbeit – Hierbei handelt es sich um das offensichtlichste Prinzip, ohne
dass Working out loud nicht funktionieren kann. Es geht also darum, aufzuzeigen,
wie man arbeitet, an welchen Themen man gerade dran ist, was das für das Unter-
nehmen insgesamt bedeutet, wie die zentralen Aufgaben aussehen. Dieser Aus-
tausch führt dazu, dass Wissen geteilt wird, man voneinander profitieren kann,
doppelte Arbeit und Fehler vermieden werden und man gemeinsam lernt und
wächst (s. »Growth Mindset«). Und der- oder diejenige, die Wissen teilt, wird auch
als Person im Unternehmen sichtbarer.
y Zielgerichtetes Entdecken – Die Gruppenmitglieder definieren individuelle
Lernziele und orientierten sich im Austausch untereinander daran. Dies wiede-
rum hilft, sich insgesamt in der eigenen Arbeit immer wieder mit eigenen Zielen
auszustatten, um so noch ergebnisorientierter und motivierter an Themen zu
arbeiten.
y »Growth Mindset« – Auch wenn sich dieses Prinzip quasiautomatisch aus den an-
deren vier zu ergeben scheint, stellt es in unseren Augen die eigentliche Heraus-
forderung in der Umsetzung des Working out loud dar. Dahinter steht, dass man
sich aus der eigenen Komfortzone, in der Arbeit gerade geprägt durch »Das kann
ich und darin bin ich gut!«, herausbewegt – weg von einem »Fixed Mindset«, hin
zu kontinuierlicher, eigener Verbesserung, lebenslangem Lernen und Offenheit für
andere Ideen und Ansätze. Einerseits haben Menschen durchaus eine Neugiermo-
tivation, andererseits ist das Verbleiben in Altbekanntem auch »ökonomisch sinn-
voll«, da man wenig Energie braucht, um zu einem soliden Ergebnis zu kommen.
Fast jede und jeder kennt wohl den inneren Schweinehund, wenn es darum geht,
sich auf etwas Neues zuzubewegen und sich in eine Lern- und Wachstumszone zu
begeben. Zum Growth Mindset gehört im Übrigen auch eine positive Fehlerkultur,
bei der Fehler nicht vertuscht, sondern offengelegt werden, damit alle daraus ler-
nen können. Auch dieses Ideal gehört nicht immer zur gelebten Praxis eines jeden
Unternehmens.
Die Chance, dass Sie als Leser:in dieses Crashkurses aus einem Unternehmen kom-
men, das auch schon vor Corona einen Krisenstab unterhalten und strategische
Krisenkommunikation etabliert hatte, ist wahrscheinlich relativ gering. Davon aus-
gehend, dass die Mehrzahl unserer Leser:innen einen KMU-Hintergrund haben, ist
das auch vollkommen nachvollziehbar: Warum sollte man Mitarbeiter:innen für die
Arbeit in einer spezialisierten Abteilung bezahlen, wenn Krisen doch so selten ein-
treten?
Abteilungen, die auf den Umgang mit und vor allem die Kommunikation von Krisen
spezialisiert sind, finden sich meist nur in Großunternehmen. Das ist auch tatsächlich
sinnvoll, da hier vor allem Statistik eine Rolle spielt: In einem großen Unternehmen ist
die Wahrscheinlichkeit, dass ein an sich seltenes Ereignis wie ein Skandal oder eine
bedrohliche Krise eintritt, schlichtweg einfach höher – es sind erheblich mehr Prota-
gonisten beteiligt und es finden deutlich mehr Interaktionen statt als in einem KMU.
Skandale wie der Abgasbetrug des VW-Konzerns oder der Vorwurf oberflächlicher
Prüfungen durch die KPMG im Wirecard-Fiasko legen hiervon beredtes Zeugnis ab.
Auch wenn sich wohl niemand regelmäßige globale Pandemien als »nützliche Kata-
lysatoren« für persönliche oder organisationale Entwicklungsschritte wünschen wird,
so wollen wir an dieser Stelle doch einen Appell aussprechen: Wenn uns nun schon
76 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
eine solche Krise widerfahren ist, sollten wir diese doch auch nutzen, um daraus für
uns und das eigene Unternehmen etwas zu lernen. Daher greifen wir an dieser Stelle
das Thema »Lernen aus einer Krise« im Rahmen des Kapitels 2.1 »Organisationsana-
lyse« auf.
Wie jede Situation birgt eine Krise Chancen und Risiken. Das Spannungsfeld lässt sich
beispielhaft mit folgenden Fragen umreißen:
Was lernen wir gerade in der Krise, was wir da- Was schädigt uns in der Krise gerade nach-
nach für uns nutzbringend einbringen können? haltig?
Welche neuen Geschäftsideen entwickeln wir Was heißt das für unsere Kunden? Wie lange
gerade in der Krise? dauert es, bis wir hier wieder Geschäfte ma-
chen können?
Wie wollen wir uns nach der Krise neu auf- Was passiert gerade in unserer Unterneh-
stellen? Wie entwickelt sich unsere Unterneh- menskultur Negatives? Wo hinterlässt die
menskultur gerade weiter? Krise »Spuren« (z. B. »Stressverhalten« der Ge-
schäftsführung / von Führungskräften)?
Was lernen wir gerade in der Führung dazu? Wo distanzieren wir uns gerade in der Führung
Wo geben wir den Mitarbeiter:innen Orien- von unseren Mitarbeiter:innen? Wo ziehen wir
tierung, Richtung, Greifbarkeit, Planbarkeit, uns zu sehr zurück, wo sind wir nicht greifbar?
Sicherheit?
Wo unterstützen wir bei neuen Wegen? Wo Welche schlechten Nachrichten müssen wir
unterstützen wir ein echtes Chancendenken? gerade in der Krise vermitteln? Wo betonen
wir Risiken zu sehr und ersticken damit Inno-
vation?
Wie entwickeln wir uns als Mitarbeiter:innen Wo verharren wir in alten Strukturen und Ab-
gerade weiter, was lernen wir gerade dazu? läufen, um beim Altbekannten zu bleiben und
nichts dazu lernen zu müssen?
Der Umgang jeder Organisation mit diesen Fragen ist natürlich wieder organisations-
spezifisch: Rückzug und Konzentration aufs Kerngeschäft, »Pause« und »aufs Beste
hoffen«, Chance der Neuausrichtung bzw. Innovation oder Entwicklung von Überle-
bensstrategien.
und sich somit »Zukunft gestalten« sehr diffus ausnimmt. Und zugleich gilt: Das, was
jetzt gerade passiert, hat Auswirkungen auf die Unternehmenskultur und das Zusam-
menspiel von Führung und Mitarbeiter:innen später, nach der Krise (sofern man nicht
das Paradigma der »VUCA-Welt« so konsequent denkt, dass man ein definiertes Ende
einer Krise gar nicht mehr voraussetzt).
Stattdessen sollte man aber lieber die Krise nutzen – selbst wenn sie dann irgend-
wann auch vorüber ist –, um sich als Organisation zu reflektieren. Dabei kann man die
eigenen Mitarbeiter:innen aktiv in den Prozess einbeziehen und so auch vermitteln:
»Wir interessieren uns für eure Sicht, wir wollen weiter mit Euch an der Gestaltung
der Zukunft arbeiten – auch wenn vieles derzeit noch unsicher erscheint.« Gerade hier
ist der Schulterschluss zwischen Führung und PE besonders bedeutsam: Viele Men-
schen wünschen sich gerade in einer Krise Klarheit und Orientierung, d. h. alles, was
als »strukturierend«, »krisenüberdauernd« etc. bewertet wird, gibt Zuversicht und
hält gesund.
Wir möchten Ihnen nun zwei schlanke Methoden der aktiven Steuerung und Reflexion
in einer Krise vorstellen, die die oben genannten Aspekte vereinen: Sie stellen eine
Form der Organisationsanalyse dar, ermöglichen gemeinsames organisationales Ler-
nen durch Partizipation und Transparenz und geben so Orientierung und Sicherheit
auch in unsicheren, von Disruptionen geprägten Zeiten – und sie können durch die
PE-Abteilung des Unternehmens implementiert und begleitet werden.
Sind die entsprechenden Themen bearbeitet, hat das Unternehmen – neben einer
aktuellen Analyse der Organisation mit dem Fokus auf die Frage »Wie ticken wir bei
einer Krise?« – eine optimale Grundlage, um hieraus fokussierte Umsetzungsschritte,
z. B. im Hinblick auf Krisenkommunikation, das Zusammenspiel von Führung und Mit-
arbeiter:innen, der Neuausrichtung von Prozessen und Arbeitswegen oder sogar der
Etablierung von neuen Geschäftsideen, abzuleiten.
Auch bei den hier beschriebenen Workshops gilt wieder der Merksatz: Die Diagnose
stellt schon einen Teil der Intervention dar. Einerseits reflektiert man sich und die
eigene Organisation, man »analysiert«; und zugleich verändert man etwas, indem
man sich z. B. neu ausrichtet und aufstellt.
Krisenspezifische Mitarbeiterbefragung
Je nach Größe des Unternehmens erreicht man mit Workshops nur einen gewissen
Prozentsatz der Mitarbeiter:innen. Hier bieten Mitarbeiterbefragungen eine wun-
derbare Plattform, um möglichst viele Menschen im Unternehmen zu erreichen. Die
Grundzüge von organisationsbezogenen Fragebogen inklusive einiger Beispiele sind
bereits im vorherigen Kapitel 2.1.2 »Weitere Methoden der Organisationsanalyse«
dargestellt worden. Die Grundidee des hier dargestellten Vorgehens besteht in erster
80 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Empirisch fundierte
HR-Daten mit
Unklare Ziele, Zukunft Übersicht über
belastbaren Zahlen,
ungewiss, Ängste, Steuerungsansätze
Fakten, verborgenen
Befürchtungen, »jetzt gleich« und zum
Zusammenhängen,
Belastungen, »Krisenausstieg« / zur
Dynamiken,
Orientierungslosigkeit Wiederaufnahme des
Entwicklungsrichtungen
? ? ?
Normalgeschäfts
? ! ✓
? ?
Abb. 11: Logik der Steuerung mit HR-Daten in Krisenzeiten
In der folgenden Abbildung ist ein grundlegendes Modell für eine solche krisenspezifi-
sche Mitarbeiterbefragung dargestellt. Dieses entbehrt nicht einer gewissen Komple-
xität, es kann aber je nach Unternehmensanforderungen auch mit einer fokussierten
Auswahl bedarfsbezogener Kriterien angewandt werden (s. hierzu auch Kapitel 6 »HR-
Analytics: Evidenzbasierte Personal- und Organisationsentwicklung«).
Abb. 12: Modell relevanter unabhängiger, moderierender und abhängiger Variablen als Rahmen für
2.1 Organisationsanalyse | 81
82 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Zieltransparenz Gibt es einen Plan, wie wir durch die Krise kommen wollen?
Gibt es einen Plan, wie wir aus der Krise herauskommen wollen?
Handlungsspielraum/Parti- Was kann ich selber tun, um mich erfolgreich durch die Krise zu
zipation bringen?
b) Stressbewältigung
Coping In der Krise habe ich als Erstes überlegt, wie wir als Unternehmen
hier wieder herauskommen können.
c) Individuelle Ressourcen
Befähigung/Selbstwirk- Ich bin sehr gut gerüstet, um die Krise erfolgreich zu bewältigen.
samkeit
2.1 Organisationsanalyse | 83
d) Arbeitsumfeld/Aufgaben
Zusammenarbeit im Team Wie findet Teamarbeit statt? Unterstützt mich das Team?
Folgendes wünsche ich mir nach Ende der Krise in der Teamarbeit
zurück: …
Aufgabenbezogene Stres- Ist die Arbeit »schlimmer« oder besser geworden als vor der
soren Krise?, z. B. »Die Erledigung meiner Aufgaben ist seit der Krise
schwerer geworden.«
e) Einstellungen/Verhalten
Stolz Es macht mich stolz, wie mein Unternehmen mit der Krise umgeht.
Bindung Ich stehe zu meinem Unternehmen während der Krise / nach der
Krise.
Engagement In der Krise zeige ich gerade besonders viel Einsatz (damit wir
diese bewältigen können).
Seit der Krise gehe ich eher zögerlich an meine Aufgaben heran.
Veränderungsbereitschaft Ich bin gerne bereit, die notwendigen Veränderungen in der Krise
mitzutragen.
Qualitätsorientierung Es fällt mir schwer, meine Aufgaben mit der Genauigkeit, die ich
vor der Krise an den Tag gelegt habe, zu erledigen.
Kundenorientierung Das Verhältnis zu unseren Kunden hat sich seit der Krise verändert.
Glaubwürdigkeit Die Geschäftsführung wird auch nach der Krise zu ihrem Wort stehen.
84 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Vertrauen Wir haben genau die richtigen Führungskräfte, um die Krise er-
folgreich zu bewältigen.
Sicherheitsempfinden Ich gehe davon aus, dass mein Arbeitsplatz auch nach der Krise
noch sicher ist.
2.2 Aufgabenanalyse
Als nächste Ebene unterhalb der Organisationsanalyse folgt die Aufgabenanalyse. Die
Kaskadierung nach »unten« erscheint Ihnen nach dem vorherigen Kapitel sicherlich
leicht eingängig: auf der obersten Anforderungsanalyseebene macht sich das Unter-
nehmen ein Bild davon, wie es derzeit aufgestellt ist, was es ausmacht, nach welchen
Mechanismen es funktioniert (im Sinne der Ist-Betrachtung) und genauso, in welche
Richtung man sich entwickeln will – mit den entsprechenden Auswirkungen auf die
Ausrichtung der PE. Konsequenterweise überträgt man diese Ergebnisse nun auf die
Ebene der eigentlichen Aufgaben in den verschiedenen Bereichen des Unternehmens,
damit diese auf die Gesamtausrichtung der Organisation hin justiert sind.
In diesem Kapitel wollen wir daher einen Blick darauf werfen, mit welchen Metho-
den die besagten Fragestellungen auf die Aufgaben und Prozesse im Unternehmen
heruntergebrochen werden können. Wie eingangs erwähnt lautet die übergeordnete
Leitfrage der Aufgabenanalyse: »Wie sieht eine Aufgabe (oder ein Aufgabenprofil) ge-
nau aus und welche PE-Maßnahmen brauchen die Mitarbeiter:innen, um diese (noch
besser) zu erfüllen?«
Auch hier lässt sich die übergeordnete Leitfrage natürlich noch ausdifferenzieren, um
sie greifbarer zu machen:
y Was sind die 3 bis 5 Kernaufgaben der jeweiligen Mitarbeiter:innen?
y Welche zentralen Rollen sind mit der Aufgabe verbunden? Welche Handlungsspiel-
räume/Kompetenzen/Verantwortungsbereiche sind mit der Aufgabe verbunden?
y Wie greifen die Prozesse der Aufgabe mit den Prozessen an den Schnittstellen in-
einander?
y Welche Positionsziele haben die einzelnen Mitarbeiter:innen?
2.2 Aufgabenanalyse | 85
y Wie werden sich die Aufgaben für unsere (zukünftigen) Mitarbeiter:innen in den
kommenden Jahren verändern?
y Auf welche herausfordernden Situationen werden sie immer wieder treffen?
Wahrscheinlich fällt Ihnen beim Lesen der Fragen ein Spezifikum dieser Analyseebene
auf: Man ist dicht dran an dem, was in einer Aufgabe getan wird, welche Handlungen
vollzogen werden, welche Tätigkeiten durchgeführt werden, wie Prozesse ineinander-
greifen und wie Schnittstelle zusammenarbeiten – kurz: man schaut damit den Posi-
tionsinhaber:innen »auf die Finger«!
Exkurs 5: Stellenprofile
Bei den digitalen Extras auf mybook.haufe.de bieten wir Ihnen in einem Exkurs hilfreiche
Informationen zum Thema Stellenprofile.
Trotz unserer wiederholten Hinweise auf die gebotene Detailliertheit der Aufgaben-
analyse – wir wollen Sie mit der Komplexität des Themas nicht so sehr abschrecken,
dass Sie in der betrieblichen Praxis einen weiten Bogen darum machen! Zum einen gilt
auch hier, was insgesamt für Anforderungsanalysen gilt: Selbst eine erste »Grobanaly-
se« der Aufgaben ist hilfreich und wirkt positiv in die Passgenauigkeit und potenzielle
Validierbarkeit einer daraus abgeleiteten PE-Maßnahme hinein.
86 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Und um eine weitere Brücke als Werbung für die Aufgabenanalyse zu schlagen: die
Grundelemente der unterschiedlichen Analyseinstrumente unterliegen im Kern
einem Theoriemodell, vor dessen Hintergrund Sie immer wieder auf ähnliche Kate-
gorien und Überschriften treffen. Wenn wir eine Aufgabe bewältigen, beschäftigen uns
immer wieder ähnliche Themen, z. B.: Wie viele Handlungsspielräume habe ich? Wie
erfahre ich, ob das, was ich tue, richtig ist? Welche Bedeutung hat das, was ich mache,
für das große Ganze? Diese mit einer Aufgabe verbundenen Fragen repräsentieren
Muster, die sich in vielen PE-Systemen und -Instrumenten wiederholen.
Psychologische Auswirkung
Aufgabenmerkmale
Erlebniszustände der Arbeit
Erlebte Verantwortung
Hohe Arbeits-
Autonomie für die Ergebnisse der
zufriedenheit
eigenen Arbeitstätigkeit
Bedürfnis nach
persönlicher Entfaltung
in finden sich viele der Überschriften, mit denen sich die Elemente einer Aufgabe optimal
kategorisieren lassen:
y Anforderungsvielfalt (unterschiedliche Tätigkeiten)
y Ganzheitlichkeit der Aufgabe (im Sinne der Frage, wie die einzelnen Tätigkeiten
zusammenhängen und ein Aufgabengesamtbild abbilden)
y Bedeutsamkeit (hier spielen die erlebbaren Ergebnisse, die ich durch meine Tätig-
keit erziele, eine Rolle)
y Autonomie (Handlungsspielräume/Verantwortung)
y Rückmeldung zur eigenen Tätigkeit (Feedback, Vernetzung, Schnittstellen von
Aufgaben)
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass man mit einer Aufgabenanalyse immer auch
ein »heißes Eisen« anfasst. Natürlich wünschen wir uns alle immer die entwicklungs-
förderlichen Aufgaben für alle Mitarbeiter:innen, die am besten beide Seiten, das
Unternehmen und das Individuum, weiter voranbringen – aber was ist, wenn man in
der Aufgabenanalyse feststellt, dass die Tätigkeit hoch repetitiv ist? Oder nur einen
winzigen Teilausschnitt des Gesamtprozesses beleuchtet, so dass niemand von den
dort Tätigen weiß, wofür er oder sie dies macht? Oder wenn alles »von oben« bzw.
durch einen starren Prozess diktiert wird, Mitarbeiter:innen also gar keine Hand-
lungsspielräume haben? Schnell lassen sich hier Gesundheitsrisiken für die Mitarbei-
ter:innen antizipieren, etwa in Form von erhöhtem Krankenstand, Burn-out o. Ä. Eine
Aufgabenanalyse ist somit auch oftmals der erste Schritt in Richtung einer notwendi-
gen Intervention.
Aus diesem Betrachtungswinkel heraus ist es unseres Erachtens sehr sinnvoll, bei Auf-
gabenanalysen genau hinzuschauen. Wir wollen Ihnen nun drei unterschiedliche Me-
thoden vermitteln, mit deren Hilfe Sie genau hinschauen können – alle drei mit einem
unterschiedlichen methodischen Ansatz ausgestattet, aber gleichermaßen geeignet,
um interessante Daten zu Tätigkeiten und Aufgaben in Ihrem Unternehmen zu sam-
meln.
2.2.1 Tätigkeitsanalyse-Instrumente
zahl an Verfahren, die sehr gut einsetzbar sind und ihren Zweck erfüllen, nämlich die
Aufgaben, die eine Mitarbeiter:in in einer bestimmten Tätigkeit vollzieht, detailliert zu
beleuchten. Die verschiedenen Verfahren weisen teils unterschiedliche Gewichtungen
auf. So gibt es Instrumente, die stärker auf einen bestimmten Themenbereich abzie-
len, z. B. das Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse (ISTA) von Semmer,
Zapf & Dunckel, 1999) mit einem Fokus auf psychische Belastung am Arbeitsplatz.
Der Fragebogen zur Sicherheitsdiagnose (FSD) von Graf Hoyos & Ruppert, 1993) kann
wiederum zur Gefährdungsbeurteilung eingesetzt werden, während andere Verfah-
ren eine bestimmte Tätigkeit in den Vordergrund stellen, z. B. Bildschirmarbeitsplätze
oder Tätigkeiten in einem Krankenhaus, wie das Tätigkeits- und Arbeitsanalysever-
fahren für das Krankenhaus (TAA-KH) von Büssing & Glaser (2002).
Im Folgenden wollen wir eine Übersicht über einige der gängigen Verfahren geben –
dabei treffen wir naturgemäß eine Auswahl, ohne dass wir damit eine Präferenz ab-
bilden wollen. Die hier aufgeführten Verfahren erscheinen uns nur deshalb besonders
geeignet, um sie in einem »Crashkurs« abzubilden, da sie entweder a) sehr breit an-
gelegt sind und damit »viel abdecken« oder b) »Klassiker« darstellen, die schon lange
am Markt sind. Auf die Problematik, bestimmte Verfahren als Beispiele auswählen zu
müssen, um damit generell zu beschreiben, was man mit dieser Methode erreichen
kann, werden wir auch an anderer Stelle in diesem Buch stoßen. Grundsätzlich gehen
wir dort mit derselben Einstellung vor wie ein paar Zeilen zuvor beschrieben: Sie als
Leser:in und Anwender:in sollen eine Idee bekommen, was zur Verfügung steht und
wie der Grundaufbau eines Instrumentes aussieht. Im Zweifel macht es Sinn, wenn
Sie eigene Recherchen im Internet (z. B. beim Hogrefe Testverlag oder bei Hans Hu-
ber) anstellen, um ggf. ein auf Ihre spezifische Fragestellung noch genauer passendes
Instrument zu finden. Eine im Thema »Arbeitsanalyse« kaum zu schlagende Quelle ist
auch das Handbuch psychologischer Arbeitsanalyseverfahren, das Dunckel (1999) he-
rausgegeben hat.
Wir sprachen ja von »Klassikern«: In diesem Fall darf wohl der Fragebogen zur Arbeits-
analyse (FAA) von Frieling & Graf Hoyos (1978) und Frieling (1999) nicht fehlen. Er
basiert auf dem Position Analysis Questionnaire (PAQ) von Mc Cormick, Jeanneret
& Mecham (1969/1972). Der FAA ist ein standardisiertes Verfahren, das es der An-
wender:in ermöglicht, handlungsorientierte Arbeitsanforderungen zu erfassen, um
Arbeitstätigkeiten zu klassifizieren. Zudem lassen sich daran auch die eignungsbezo-
genen Anforderungen für die Tätigkeitsinhaber:innen klassifizieren.
Das Verfahren besteht aus 221 Items, die teils unter Beobachtung erfasst werden, und
ist in vier Abschnitte unterteilt:
2.2 Aufgabenanalyse | 89
Beispielitem
»Stufen Sie die Arbeitselemente danach ein, wie häufig sie als Informationsquellen von der
Stelleninhaber:in benutzt werden, um die Aufgaben erfolgreich erledigen zu können. Die
Häufigkeit soll dabei auf die Gesamtheit aller am Arbeitsplatz auftretenden Arbeitsprozesse
bezogen werden.«
2.2.1.2 Tätigkeitsanalyseinventar (TAI)
Wenn man sich von einem höchst differenzierten Instrument, das eine 10-jährige Ent-
wicklungszeit in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Forschung und
Technologie vorzuweisen hat, nicht abschrecken lässt, so kann man sich auch mit
dem Tätigkeitsanalyseinventar (TAI) von Frieling, Facaoaru, Benedix, Pfaus & Sonntag
90 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Es ist so breit angelegt, dass es sowohl einen Blick auf das Gesamtunternehmen als
auch auf Abteilungen/Bereiche und den einzelnen Arbeitsplatz erlaubt. Zudem hat es
einen klaren Fokus auf die Ableitung von Maßnahmen nach der Analyse. Die Autor:in-
nen verweisen auf Themen wie
y Gestaltung neuer Arbeitsstrukturen/Systeme/Prozesse
y Ableitung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen
y Hinweise für notwendige Qualifizierungsmaßnahmen
y Ermittlung von Belastungen in der Arbeit
Beispiel
Wie häufig und wie lange liest die Stelleninhaber:in schriftliche Texte, um sie kurz-, mittel-
oder langfristig im Gedächtnis zu behalten?
y Lesen zum Zweck des kurzfristigen Behaltens.
y Lesen mit mittelfristigem Behalten (bis zu einem Tag) zum Zweck der sinngetreuen Wie-
dergabe.
y Lesen mit mittelfristigem Behalten (bis zu einem Tag) zum Zweck der wortgetreuen
Wiedergabe.
y Lesen mit langfristigem Behalten (Tage, Wochen, Monate) zum Zweck der sinngetreuen
Wiedergabe.
y Lesen mit langfristigem Behalten (Tage, Wochen, Monate) zum Zweck der wortgetreuen
Wiedergabe.
Schlüssel »durchschnittliche Zeitdauer« und »Häufigkeit«.
Ebenfalls in die Klassiker einreihen lässt sich der Job Diagnostic Survey (JDS deut-
sche Fassung) von Schmidt, Kleinbeck, Ottmann & Seidel (1985). Dieser basiert auf
dem oben beschriebenen Job-Characteristics-Modell (JCM) von Hackman & Oldham
(1976, 1980) und stellt einen Selbstaussagefragebogen dar, der auf die motivations-
fördernden Bedingungen einer Aufgabe fokussiert. Die oben genannten 5 Grundele-
mente motivationsfördernder Arbeit sind entsprechend in dem Fragebogen ebenso
abgebildet wie die 3 daraus resultierenden psychischen Zustände und werden von
den Ausfüllenden subjektiv bewertet. Zudem fokussiert er auch auf die möglichen
92 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Beispielitems
y »Meine Arbeit verlangt von mir eine Vielzahl von komplexen und anspruchsvollen Fähig-
keiten.«
y »Meine Arbeit verlangt von mir ein hohes Maß an Zusammenarbeit mit anderen Men-
schen.«
y »Meine Arbeit ist so gestaltet, dass ich nicht die Möglichkeit habe, ein vollständiges
Arbeitsprodukt von Anfang bis Ende zu bearbeiten.«
Vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Verfahren zur psychologischen Aufgaben- und
Arbeitsanalyse und deren Ausführlichkeit und Länge sind Prümper, Hartmannsgruber
& Frese (1995) angetreten, um ein praxisfreundliches, leicht einsetzbares Instrument
zu entwickeln: den Kurzfragebogen zur Arbeitsanalyse (KFZA). In ihrem Beitrag geben
2.2 Aufgabenanalyse | 93
sie als Anlass für die Entwicklung des KFZA an »…, dass Instrumente zur Arbeitsana-
lyse zu anwenderunfreundlich, zu zeitaufwendig und zu umständlich in der Durchfüh-
rung sind … und dass sie für nicht psychologisch geschulte Anwender:innen zu hohe
Anforderungen an theoretisches Hintergrundwissen stellen. Die Folge ist, dass der-
artige Instrumente in der betrieblichen Praxis kaum Einsatz finden …« (Prümper et
al., 1995: 125).
Dem KFZA als Selbsteinschätzungsinstrument mit gerade einmal 26 Items und einer
Durchführungsdauer von ca. 10 Minuten kann man diesen Vorwurf sicher nicht ma-
chen. Er stellt eine theoretisch fundierte, mit guter Messgenauigkeit versehene Zu-
sammenstellung zentraler Items aus anderen Arbeitsanalyseverfahren dar, sozusagen
ein »Best of«. Es fließen z. B. der hier bereits erwähnte ISTA von Semmer et al. (1999)
ein, ebenso wie der JDS von Hackman & Oldham (1975). Der KFZA umfasst elf Faktoren
(entsprechend nur mit max. 3 Items unterlegt):
y Handlungsspielraum
y Vielseitigkeit
y Ganzheitlichkeit
y Soziale Rückendeckung
y Zusammenarbeit
y Qualitative Arbeitsbelastung
y Quantitative Arbeitsbelastung
y Arbeitsunterbrechungen
y Umgebungsbelastungen
y Informationen und Mitsprache
y Betriebliche Leistungen
Beispielitems
y »Können Sie Ihre Arbeit selbstständig planen und einteilen?«
y »Bei meiner Arbeit sehe ich selber am Ergebnis, ob meine Arbeit gut war oder nicht.«
y »Man hält in der Abteilung zusammen.«
y »Ich bekomme von Vorgesetzten und Kolleg:innen immer Rückmeldung über die Quali-
tät meiner Arbeit.«
y »Über wichtige Dinge und Vorgänge in unserem Betrieb sind wir ausreichend informiert.«
y »Bei uns gibt es gute Aufstiegschancen.«
2.2.2 Arbeitsplatzbeobachtungen
Hierbei gibt es unterschiedliche Ansätze (s. a. unser Exkurs 3 zum Thema »Inhaltsanalyse«):
y Vollschichtbeobachtungen: Wenn man wirklich erfassen will, was in einer gegebe-
nen Aufgabe von A bis Z passiert, sollte man eine Vollschichtbeobachtung durch-
führen, also von Arbeitsantritt bis Feierabend dabei sein. Dabei wird jedwedes
beobachtbare und für die Untersuchung relevante Verhalten erfasst und kategori-
siert. Die Kategorienbildung findet entweder »online« statt, d. h. man bemerkt ent-
lang der Beobachtung, dass das Arbeitsverhalten typischerweise in eine gegebene
Anzahl von Überschriften fällt (z. B. entscheiden, informieren, kontrollieren, pla-
nen, …) oder man entwickelt im Vorfeld Kategorien, die mit hoher Wahrscheinlich-
keit relevant werden (s. Tabelle im Exkurs 3 als Beispiel für ein Beobachtungsraster).
y Time Samples: Eine Alternative zur Vollschichtbeobachtung ist die Wahl eines
festen Beobachtungszeitraums, z. B. einer Stunde am Tag, einmal vor- und einmal
nachmittags. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn die zu beobachtende Tätig-
keit sehr schnelle, dichte Arbeitsfolgen beinhaltet (z. B. in einem Callcenter oder
Kundensupport) oder Parallelarbeit umfasst. Ebenso sind zeitbegrenzte Beobach-
tungen zielführend, wenn Zeitdauern kleinteiliger Arbeitshandlungen ganz genau
erfasst werden sollen (z. B. »1 Min. 45 s Telefonat 1; 34 s Eingabe im CRM-System;
2 Min. 24 s Telefonat 2; …«) oder wenn man die Frequenz eines bestimmten Ver-
haltens / einer bestimmten Handlung genau erfassen will (z. B. »in einer Stunde:
34 Klicks im CRM-System, 14 Mal Beschwerdetelefonate, 13 direkte Anweisungen
von der Führungskraft …«). Die Zeitdauer der Beobachtung können Sie theore-
tisch fundiert frei wählen: bei hochfrequenten Tätigkeiten sind eher kürzere (10
bis 20 Min.), dafür aber wiederholte Zeiträume sinnvoll, damit Sie in diesen wirk-
2.2 Aufgabenanalyse | 95
lich konzentriert und genau beobachten können. Wenn es darum geht, auch ver-
einzelt auftretende, aber typische Aspekte der Arbeitshandlung zu erfassen, muss
der Zeitraum so lang gewählt werden, dass es eine statistische Chance gibt, diese
in dieser Zeit auch zu beobachten (also z. B. 60 bis 180 Min.).
Sowohl bei Vollschichtbeobachtungen als auch bei Time Samples besteht immer die
Möglichkeit, diese mit direkten Fragen an die beobachtete Person zu ergänzen, z. B.
zu bestimmten Themen wie Belastung am Arbeitsplatz, soziale Interaktionen, Hand-
lungsspielraum u. Ä. Dies sollte bevorzugt in einem fest dafür vorgesehenen, den be-
obachteten Arbeitsablauf möglichst wenig störendem Zeitfenster stattfinden.
Was für alle Arbeitsanalyseverfahren wenigstens in einem gewissen Umfang gilt, spielt
bei der Arbeitsplatzbeobachtung natürlich eine besonders gewichtige Rolle: das Ver-
fahren ist unbestreitbar »invasiv« – Sie sind vor Ort und begleiten einen Menschen bei
der Arbeit. Es gibt also eine gewisse Chance, dass der oder die Beobachtete sich, zu-
mindest unterschwellig »gestört«, ganz sicher aber »beobachtet« fühlt – insofern gilt
auch bei Arbeitsplatzbeobachtungen ein Axiom aus der experimentellen Wissenschaft,
nämlich dass die Forscher:in ihren »Forschungsgegenstand« beeinflusst und damit das
»objektive Ergebnis« verändert. Aus unserer Sicht sollten Sie diesem Thema auch Raum
geben, indem Sie die Beobachtung natürlich ankündigen, sich das Einverständnis des
Gegenübers abholen und zu Beginn der Beobachtung nochmals auf Ihre Rolle, die Ziele
des Verfahrens sowie den Umgang mit den daraus gewonnen Daten hinweisen.
Wenn man über Aufgabenanalysen spricht, kommt man nicht umhin, die Critical In-
cidents Technique von Flanagan (1954) zu erwähnen. Wie man an der Jahreszahl der
Veröffentlichung unschwer erkennen kann, hat sich das Verfahren in der Personalent-
wicklung bewährt.
Beispiel
Stellen Sie sich beispielsweise die Arbeit eines gemeinnützigen Vereins vor, der auf Sponso-
rengelder angewiesen ist: die Frage »Wie muss sich eine Stelleninhaber:in bei einer Präsenta-
tion vor potenziellen Geldgebern verhalten?« beschreibt einen »Critical Incident«.
eben gerade nicht). In unserem Beispiel könnte ein konkretes Verhalten sein: »Unsere Mit-
arbeiter:in gewinnt ihre Ansprechpartner:innen immer sehr gut für sich, weil sie alle vor
der Präsentation persönlich begrüßt und einige freundliche Worte mit jedem wechselt.«
Beim Erarbeiten der kritischen Ereignisse sind einige Grundregeln zu beachten. So sollte
man zum einen immer konkrete Anforderungssituationen beschreiben, in denen das ziel-
führende (oder nicht zielführende) Verhalten gezeigt wird. Je konkreter dies geschieht,
desto leichter kann man das zu erwartende Verhalten aus dem Gedächtnis »holen«. Wei-
terhin sollte man sich vor Augen halten, welche Konsequenzen das beschriebene Verhal-
ten mit sich bringt, um abzuschätzen, was die positiven (oder eben wiederum negativen)
Effekte des kritischen Verhaltens sind. Der Dreiklang Situation – Verhalten – Konsequen-
zen findet übrigens sein Pendant in der Fragetechnik bei Einstellungsinterviews (s. das
»Verhaltensdreieck«, beschrieben im Kapitel 2.3.3 »Interview«). Und das Wichtigste: es
geht immer um potenziell beobachtbare Verhaltensweisen (»Sie geht auf alle Teilneh-
mer:innen zu und schüttelt allen die Hand«) und nicht Persönlichkeitsbeschreibungen
(»Sie ist einfach eine nette Frau, und ich glaube das spüren die Sponsoren …«).
Man kann die CIT in einer eher offenen Struktur angehen oder doch stärker an vorge-
gebenen Dimensionen orientiert. Man unterscheidet diese Formen:
y Strukturierter Incident Recall: Vorgabe von Leistungsdimensionen; Jobex-
pert:innen benennen erfolgskritische Ereignisse entlang spezifisch dafür vorgege-
bener Dimensionen.
y Unstrukturierter Incident Recall: keine Vorgabe von Leistungsdimensionen; Jo-
bexpert:innen nennen erfolgskritische Ereignisse nach subjektiver Wichtigkeit
des Verhaltens bzw. der Verhaltenskonsequenzen; die Dimensionsbildung findet
anschließend statt.
Der methodische Fokus der CIT ist also wiederum etwas anders gelagert als bei den
vorherigen beschriebenen Verfahren, die beide dichter an der eigentlichen detaillier-
ten Durchführung der Aufgabe angesiedelt sind. In der CIT wird im Rahmen der Exper-
tenbefragung schon ein bisschen mehr abstrahiert, man versucht zu »generischen«,
allgemein gültigen Verhaltensweisen zu kommen.
Ergebnisse von Critical-Incidents-Workshops können auf diese Art und Weise direkt
Einzug in alle möglichen PE-Instrumente wie Potenzialeinschätzungsverfahren und
Mitarbeiterbeurteilungssysteme (s. entsprechende Kapitel 4.1 »Feedbackbezogene
Verfahren« und 4.6 »Führungsbezogene PE-Instrumente: Mitarbeiterbeurteilung und
Mitarbeitergespräche«) halten.
2.2.4 Anforderungs- oder Kompetenzprofil
Bevor wir in die dritte und letzte Ebene der Anforderungsanalyse einsteigen – die
Personenanalyse – möchten wir auf ein Thema eingehen, das quasi die Klammer zwi-
schen der Organisations/Aufgabenanalyse und der Personenanalyse setzt: das sog.
Anforderungs- oder Kompetenzprofil.
Wie Sie gesehen haben, zielen alle bisher dargestellten Maßnahmen der Anforde-
rungsanalyse darauf ab, »Kataloge« zu erstellen, sei es von zentralen zukünftigen
Herausforderungen und Situationen, von Aufgabenbeschreibungen oder von Ver-
haltensbeispielen. Der Gedanke liegt nahe, diese Kataloge zu systematisieren, in-
dem man sie in möglichst eindeutige (»trennscharfe«) Kategorien einteilt. Jedweder
Schritt, den Sie in diese Richtung gehen, bringt Sie näher an ein unternehmensspezifi-
sches, eigenes Anforderungsprofil. Dazu passend hatten wir zu Beginn dieses Kapitels
erwähnt, dass alles, was Sie im Rahmen einer systematischen Anforderungsanalyse
erfassen, entweder auf die Folgeschritte der Analyse oder darauf basierende PE-Inst-
rumente wie Mitarbeiterbeurteilungssysteme, Assessment-Center oder Simulationen
in Trainingssituationen »einzahlt«.
Ein Anforderungsprofil stellt sozusagen das Gerüst dar, anhand dessen die genann-
ten Instrumente gespiegelt werden und mit dessen Hilfe das Verhalten im Rahmen
eines Bewerbungsverfahrens, eines aktuellen Feedbacks oder einer Bewertung des
Zielerreichungsgrades gespiegelt werden kann. Alle Instrumente, die wir Ihnen im
Zusammenhang mit der Personenanalyse vorstellen, basieren auf der Spiegelung ge-
machter Beobachtungen anhand eines Anforderungsprofils, denn nur so kann man
einem Menschen mitteilen, was man bei ihm als Person analysiert hat.
Wie ist ein Anforderungsprofil aufgebaut? Meist besteht es aus übergeordneten Kom-
petenzen oder Dimensionen, dazugehörigen Kriterien und deren – z. B. aus einem
CIT-Verfahren oder einer Arbeitsplatzbeobachtung gewonnenen – spezifischen Be-
schreibungen, die man in den einzelnen PE-Instrumenten auf weiteres beobachtbares
Verhalten herunterbrechen kann – man spricht auch von »Operationalisierungen«.
Schematisch sieht das so aus:
Soziale Kompetenz
Persönliche Kompetenz
Unternehmerische Kompetenz
Die 1 auf der Skala bedeutet: Kunde spielt in Die 6 auf der Skala bedeutet: Stellt sich auf
Argumentation keine Rolle, Bedarf wird nicht Kunden ein, knüpft mit seinen Formulierungen
erfragt; neigt sich einseitig/übermäßig in Rich- an Kundenausgangssituation an (»Sie legen
tung des eigenen Unternehmens oder Kunden in Ihrem Unternehmen ja auch viel Wert auf
(»Wir machen alles möglich«), stellt keine Ba- Sicherheit … da ist es Ihnen sicher wichtig …»)
lance her; bettet eigene Ideen nicht in die An- erfragt Kundenbedarf, stellt Nutzen für Kunden
forderungen des Kunden ein; ignoriert Signale differenziert dar; denkt sich in Kundensitu-
des Kunden, die weitere Bindung ermöglichen. ation ein, geht auf Kundenwünsche ein und
zeigt Gemeinsamkeiten mit Zielen des eigenen
Unternehmens auf; baut intensive Beziehung
zum Kunden aus; überrascht Kunden positiv.
Geringe Starke
Kundenorientierung Kundenorientierung
1 2 3 4 5 6
Wobei letztere seltener operationalisiert wird und meist über stärker »hard facts-be-
zogene« Analysen erfasst wird, z. B. über Zeugnisse, Noten, Wissenstests u. Ä. Ab und
zu werden diese 4 Haupt-Kompetenzdimensionen noch durch spezifischere, meist
etwas weniger breit gefächerte Kompetenzen – z. B. Führungs- und Unternehmeri-
sche Kompetenz – ergänzt. Wir haben Ihnen beispielhaft und ohne den Anspruch auf
Vollständigkeit oder gar theoretische Belastbarkeit ein Modell zusammengestellt,
das quasi ein generisches Anforderungsprofil abbildet, in dem einige der gängigsten
Kriterien entlang der genannten Dimensionen abgebildet sind (Führungskompetenz
eher an der Schnittstelle zwischen Persönlicher und Sozialer Kompetenz angesie-
delt, Unternehmerische Kompetenz eher zwischen Persönlicher und Methoden-
kompetenz, Fachkompetenz haben wir hier aus den genannten Gründen außen vor
gelassen):
VERANTWORTUNGS-
BEREITSCHAFT
LERNBEREITSCHAFT
BELASTBARKEIT
FLEXIBILITÄT
MOTIVATIONS- MITARBEITER- PERSÖNLICHE STRATEGISCHES KUNDENORIEN-
FÄHIGKEIT ENTWICKLUNG KOMPETENZ DENKEN TIERUNG
FÜHRUNGS- ZIELORIEN- UNTERNEH-
SELBSTREFLEXIONS- TIERUNG PROFIT-
KOMPETENZ MERISCHE DENKEN
FÄHIGKEIT
KOMPETENZ
FÜHRUNGSFÄHIGKEIT LERNBEREITSCHAFT
ANALYTISCHES
KOMMUNIKATIONS- DENKEN INNOVATIONS-
FÄHIGKEIT FÄHIGKEIT
MODERATIONS-
METHODEN- FÄHIGKEIT
EMPATHIE SOZIALE
KOMPETENZ
KOMPETENZ
PRÄSENTATIONS-
TEAMFÄHIGKEIT FÄHIGKEIT
KONFLIKTFÄHIGKEIT ARBEITSORGANISATION
Wichtig ist, dass Ihr Anforderungsprofil auch tatsächlich die Anforderungen Ihres
Unternehmens widerspiegelt. In vielen Unternehmen findet man, entsprechend der
neuen Trends in Unternehmensführung und der PE, nun Begriffe wie »Agilität«, »Emo-
tionale Intelligenz« oder »Virtual leadership«. Das ist vollkommen in Ordnung, so lange
eindeutig beschrieben ist, was damit für Ihr Unternehmen gemeint ist. Die Spezifität
liegt ausschließlich in den Verhaltensbeschreibungen, nicht in den Kriterienüber-
schriften. Im Hinblick auf Ihr Personalmarketing und die Attraktivität Ihres Unterneh-
mens für Bewerber:innen ist es wünschenswert, mit modernen Begriffen zu arbeiten
(viele Menschen finden einen Begriff wie »Pflichtbewusstsein« weniger inspirierend
als »Zuverlässigkeit« oder »Commitment«), aber es ist auch kein Beinbruch, wenn
das eine oder andere Kriterium darin vorkommt, das »klassisch« wirkt, aber einfach
wichtig, weil allgegenwärtig ist (z. B. »Konfliktfähigkeit«) – und es schadet auch nicht,
wenn auch andere Unternehmen ein paar Ihrer unternehmensspezifischen Kriterien
im eigenen Kompetenzmodell haben – im Gegenteil, das ist sogar zu erwarten, insbe-
sondere, wenn man sich in derselben Branche bewegt. Das zeigt nur, dass Sie »wissen,
wie der Hase läuft« und alle Ihre Anforderungen im Unternehmen kennen!
»Ist ruhig geblieben, hat versucht, eine zufriedenstellende Lösung für beide Seiten
zu finden, ohne dabei 100 % erfolgreich gewesen zu sein.«
Nachwuchs-
1 2 3 4 5 6
verkäufer:in
Verkäufer:in 1 2 3 4 5 6
Beschreibung des Be- y Den Anliegen der Kunden gegenüber aufgeschlossen sein, der Situ-
urteilungsmerkmals ation angemessen beraten und handeln
y Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit sicherstellen bezie-
hungsweise verbessern
Verhaltensbeispiele y Hat die Fähigkeit, Kunden durch ihre freundliche, offene Art an das
Funktion 2: sachbe- Unternehmen zu binden.
arbeitende Tätigkeiten y Kunden geben positives Feedback nach Kontakt mit der Mitarbei-
mit eigener Ergebnis- ter:in.
verantwortung y Entwickelt Prozessverbesserungen im Sinne des Kunden.
y Lebt beschreibbare Wertvorstellungen im Kundenkontakt (z. B. Zu-
verlässigkeit, Nachhaltigkeit, Verbindlichkeit, Integrität), kann ein
Kundenorientierungskonzept beschreiben.
2.2 Aufgabenanalyse | 105
Man kann ein Sollprofil aber auch statistisch entwickeln, indem man zunächst, ohne
Festlegung eines Solls, sein Beurteilungsverfahren durchführt, z. B. im Rahmen von
Assessment Centern. Nach einer gewissen Zeit hat man genügend Beobachtungs-
daten von unterschiedlichen Beobachter:innen zur Verfügung, um daraus zu errech-
nen, wie der Mittelwert aller Beobachtungen über alle Kriterien hinweg ausfällt und
welche Standardabweichung (die durchschnittliche Abweichung aller Beobachtungen
vom Mittelwert) sich ergeben hat.
Häufigkeit
σ σ
Abb. 18: Beispiel für ein Merkmal, das der Gaußʼschen Normalverteilung unterliegt
Mit diesem Wissen ausgestattet, können Sie zunächst die Mittelwertkurve über alle
Kriterien hinweg erstellen. Im nächsten Schritt können sie zu jedem Mittelwert die
entsprechende Standardabweichung addieren, um zu einem gut fundierten Sollprofil
zu kommen (wenn Sie diese Standardabweichung vom Mittelwert abziehen, kommen
Sie auch zu einem Mindestprofil). Damit schaffen Sie einen Zielwert, der schwer, aber
nicht unmöglich zu erreichen ist – analog zur Normalverteilung, in der es ebenfalls
schwer ist, einen Wert zu erreichen, der 1 Standardabweichung über dem Mittelwert
angesiedelt ist: es ist anspruchsvoller, einen IQ von 110 zu erzielen als einen von 100 –
aber es ist nicht unmöglich! Gleichzeitig vermeiden Sie mit einem solchen Sollprofil
auch Frustrationen, denn Sie verlangen nicht von Ihren Mitarbeiter:innen, dass sie das
Pendant zu einem IQ-Wert von 130 erreichen müssen.
Uns ist klar, dass man hier an vielen Stellen Statistik-Kritik üben kann, angefangen
mit der Frage, ob die ausgewerteten Beobachtungen wirklich einer Gaußʼschen Nor-
malverteilung entsprechen. Aber zumindest hat man so einen Orientierungswert, der
über eine reine »Experteneinschätzung« nach dem Motto »Wir legen diesen Wert nun
so fest, weil wir dies aus unserer Erfahrung heraus für richtig halten« hinausgeht.
In Abbildung 19 finden Sie ein Beispiel für ein Profil mit besagter Kriterien-Mittelwert-
kurve und einem auf einer Standardabweichung basierenden Soll- und Mindestprofil.
Man nimmt also wie bei einer Gaußʼschen Glocke auch hier an, dass rund 68 % aller
Kandidat:innen bzw. deren Beurteilungswerte in dem hellgrauen »Normalleistungs-
korridor« zwischen Soll- und Mindestprofil angesiedelt sind.
2.2 Aufgabenanalyse | 107
2.3 Personenanalyse
Bisher haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie man Ihre PE-Ausgangssituation
analysieren kann, indem man die Organisation insgesamt betrachtet und, daraus ab-
geleitet, wie die Aufgaben in jeder beliebigen Funktion seziert und letztendlich auch
in ein Anforderungsprofil überführt werden können. Die Organisationsanalyse stellt
also die höchste Abstraktionsebene der gesamten Analyse des PE-Bedarfs dar, mit
einer starken Betonung strategischer und unternehmenskultureller Aspekte. Die Auf-
gabenanalyse schaut insbesondere auf operative Details und die darin verankerten
Wirkfaktoren einer Aufgabe, aber auch, wiederum eher übergeordnet, auf Strukturen
und Prozessabläufe (i. S. von Zusammenhängen von Aufgaben).
Leitfragen der Personenanalyse
Kommen wir nun also zu der dritten und letzten Ebene der Anforderungsanalyse: der
Personenanalyse. Die Leitfragen dieser Ebene lauten:
y Was muss eine Mitarbeiter:in bezogen auf die Zielfunktion können?
y Welche Kompetenzen müssen wir deshalb zentral ausbauen?
y Wie sind die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter:innen bezogen auf die definierten An-
forderungen, Ziele und derzeitigen Aufgaben?
y Wie sind die Potenziale unserer Mitarbeiter:innen bezogen auf die zukünftigen An-
forderungen, Ziele und Aufgaben?
y Wie können wir diese Potenziale am besten einschätzen?
y Was müssen wir mit welchen Mitteln schulen?
Hier ist, wie die Überschrift dieser Analyseebene suggeriert, offensichtlich: es geht um
diejenigen, die sich in einer Organisation bewegen, die Handelnden; diejenigen, die in
den gegebenen Prozessen und Strukturen ihre Aufgaben erledigen, kurzum: die Men-
schen im Unternehmen, die etwas tun.
Insofern steckt auch in der Organisations- und in der Aufgabenanalyse ganz viel
»Person«, aber bei der in diesem Abschnitt im Fokus stehenden Analyseebene gehen
wir am intensivsten in die Interaktion mit denjenigen, die die PE-Themen in ihrem
Unternehmen »am eigenen Leibe verspüren«. Daher spielt hier auch eine zentrale
Fragestellung sehr stark herein, die wir bereits in Kapitel 1 »Grundlagen der Personal-
2.3 Personenanalyse | 109
Grundsätzlich sollte man bei allen PE-Maßnahmen ein Konzept im Hinterkopf haben,
das insbesondere bei Personalauswahlverfahren und Assessments eine Rolle spielt:
die soziale Validität nach Schuler und Stehle (1983). Hier steht vor allem das Erleben
derjenigen im Vordergrund, die eine eignungsdiagnostische Situation, mit anderen
Worten eine »Personenanalyse« durchlaufen. Schuler und Stehle verstehen unter der
sozialen Validität vier zentrale Bausteine, die man beim Einsatz von Selektionsverfah-
ren im Auge behalten sollte:
1. Information: Wie viel wissen die Kandidat:innen im Vorfeld des Verfahrens über
das Unternehmen, das Verfahren selbst, die Beteiligten im Verfahren? Die Kan-
didat:innen sollten gleich zu Beginn des Verfahrens darauf hingewiesen werden,
welche Ziele damit verfolgt werden (keine »hidden agendas«), wie es aufgebaut
ist, ggf. wie es entwickelt wurde und welchen Nutzen man daraus ziehen kann.
Bewerber:innen sollten zu jedem Zeitpunkt alle Informationen offen vorliegen ha-
ben, um Reaktanz und Ablehnung gegenüber dem Verfahren zu vermeiden.
2. Transparenz: Wie nachvollziehbar ist das, was im Verfahren geschieht, für die
Kandidat:innen? Kennen sie z. B. die Kriterien, nach denen beurteilt wird? Wis-
sen sie, wann beurteilt wird und wann Pause ist? Können sie nachvollziehen, wie
die Beurteilung insgesamt zustande kommt? Dieser Aspekt der sozialen Validität
hängt natürlich eng mit dem erstgenannten Punkt »Information« zusammen. Das
Verfahren sollte sich wo immer möglich auf Aufgaben und Inhalte beschränken,
die für die Teilnehmer:innen nachvollziehbar sind und als inhaltlich mit den An-
forderungen des Unternehmens oder der Zielposition zusammenhängend wahr-
genommen werden.
3. Partizipation/Kontrolle: Wie sehr können die Kandidat:innen das Verfahren (mit-)
gestalten? Wie viele Einflussmöglichkeiten haben sie auf den Verlauf des Verfah-
rens? Werden sie ggf. bereits in der Entwicklung des Verfahrens mit einbezogen?
Gestaltungsmöglichkeiten für Bewerber:innen könnten vor dem Hintergrund der
Aufgabenstellung des Verfahrens darin bestehen, dass sie in einem gewissen Rah-
men selbst entscheiden können, wie der Verlauf einer Aufgabe und die Ergebnisse
ausfallen (s. hierzu weiter unten »Assessment-Center«, insbesondere die unter-
nehmensspezifisch-dynamische Variante desselben). Auch die Möglichkeit, selbst
eine Rückmeldung zum Verfahren geben zu können oder einen Abschnitt zuge-
standen zu bekommen, in dem man Fragen an das Unternehmen richten kann,
zahlen auf den Aspekt der Partizipation ein.
4. Urteilskommunikation/Feedback: Wie erhalten die Kandidat:innen Rückmel-
dung zu den Ergebnissen? Findet dies auf Augenhöhe und als Austausch statt?
Werden Wahrnehmungen gespiegelt oder »ein Urteil gefällt«? Fällt die Rückmel-
dung potenzialorientiert aus, d. h. wird auch vermittelt, woran man arbeiten und
110 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
wie man sich weiterentwickeln kann? Dieser Punkt stellt in vielerlei Hinsicht das
Kernstück funktionierender Selektionsverfahren dar. Leicht nachzuvollziehen,
denn für die meisten Kandidat:innen geht es am Ende des Verfahrens im Kern vor
allem darum, wie sie abgeschnitten haben. Das Feedback sollte in anschaulicher
und positiver Weise eine Rückmeldung über die Passung zwischen Interessent:in
und der Aufgabenwelt des Unternehmens liefern, jedoch keinesfalls über den ver-
muteten »Charakter« der Person Aussagen treffen.
Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, den Blick auf die vier Aspekte der sozialen Validität
über den Rahmen der Personalauswahl und Eignungsdiagnostik hinaus zu schärfen
und auch in der Umsetzungsphase von PE-Maßnahmen immer wieder Fragen dieser
Art zu stellen:
y Wie gut haben wir die Teilnehmer:innen bei der anstehenden Trainingsreihe über
die Ziele und Hintergründe des Trainings informiert?
y Haben wir die Teilnehmer:innen ausreichend in die Konzeption unseres Pro-
gramms einbezogen?
y Ist für alle Kandidat:innen nachvollziehbar, warum einige in den Führungskräfte-
nachwuchspool kommen und andere nicht?
y Sichern wir den Transfer nach einer Trainingsmaßnahme ausreichend, indem mit
den Teilnehmer:innen Gespräche über ihre nächsten Entwicklungsschritte ge-
führt werden?
Die Berücksichtigung der sozialen Validität ist kein reiner Selbstzweck im Sinne eines
Gutmenschentums nach dem Motto »Lasst uns nett zu allen sein«. Es gibt noch weitere,
handfeste Gründe: Menschen in Unternehmen haben das Bedürfnis nach wahrnehm-
barer Gerechtigkeit, sowohl hinsichtlich verankerter Abläufe und Prozesse als auch hin-
sichtlich der Verteilung von Ressourcen. In der Literatur spricht man von prozessuraler
und distributiver Gerechtigkeit. Natürlich ist es für einen Mitarbeiter:innen irritierend,
wenn er das Gefühl hat, dass er sich an bestimmte Bestellvorgaben für seinen neuen
Laptop halten und 3 Monate darauf warten muss, während andere mit »Connections«
schon nach 1 Woche ein neues Gerät vor sich haben (prozessurale Gerechtigkeit). Und
natürlich kommt bei der Kolleg:in die Frage auf, warum sie bei ihrer Führungskraft im-
mer nur 5 Minuten im Gespräch ist, während ein anderer aus dem Team immer eine
halbe Stunde in deren Büro verbringt (Verteilungs- oder distributive Gerechtigkeit).
Das Definieren der sozialen Validität ist auch ein Versuch, Gerechtigkeitswahrnehmung
und letztendlich Transparenz für die Beteiligten herzustellen. Damit erreicht man in der
Folge eine höhere Akzeptanz eines Verfahrens, die wiederum nachgewiesenermaßen
positiv zu einer unverfälschten Messung beiträgt (Nevo, 1993; Rozen, 1993). Weiterhin
haben Forschungsergebnisse gezeigt, dass als transparent erlebte Verfahren die Ten-
denz der Teilnehmer:innen reduzieren, sich sozial erwünscht zu verhalten (zu »schau-
2.3 Personenanalyse | 111
spielern«), d. h. die Chance erhöht sich nachhaltig, das »echte Profil« eines Menschen
kennen zu lernen und somit seine oder ihre Passung auf eine Aufgabe erheblich mess-
genauer feststellen zu können als wenn das Gegenüber sich zu sehr bemüßigt sieht,
sich zu »verkaufen.« (Herriot, 1989; Smither, Reilly, Millsap, Pearlman & Stoffey, 1993).
Sie werden feststellen, dass die unten dargestellten Instrumente der Personenanalyse
im Hinblick auf unsere Ausführungen bezüglich der sozialen Validität unterschiedliche
Spielräume bieten: Hier gilt es wiederum, Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren
abzuwägen. Sicherlich können Sie ein Interaktionsverfahren wie ein Assessment-Cen-
ter oder ein strukturiertes Interview sozial valide konstruieren, insbesondere, wenn
Sie dieses unternehmensspezifisch entwickeln. Allerdings ist das aufwendiger und
kostenintensiver als der Einsatz validierter und millionenfach angewandter Intelli-
genztests, z. B. der Intelligenz-Struktur-Test, I-S-T 2000 R von Liepmann, Beauducel,
Brocke & Amthauer (2007) oder der Wechsler Intelligenztest für Erwachsene, WIE, von
Aster, Neubauer & Horn (2006), die nachgewiesenermaßen gute Vorhersagekraft für
späteren beruflichen Erfolg haben (Schmidt & Hunter, 1998). Ein Intelligenztest wird
aber bei entsprechenden Zielgruppen wie Führungskräften nicht gerade auf viel
Gegenliebe stoßen (»Da bekommt man dann einfach einen Test hingelegt und das
war’s!«), egal wie ausführlich Sie im Vorfeld erklären, warum sich der Einsatz des Ver-
fahrens methodisch begründen lässt – die soziale Validität des Tests ist nicht die glei-
che wie bei einem Assessment.
Im Folgenden gehen wir nun auf einige zentrale Verfahren der Personenanalyse ein.
Allein zu Themen wie Personalselektion oder Potenzialeinschätzung finden Sie eigens
Fachbücher, die sich hervorragend zur Vertiefung des Themas eignen. Hier können
wir natürlich nur einen Ausschnitt beleuchten, um eine Übersicht über die gängigsten
Instrumente zu geben. Wie schon in den vorherigen Abschnitten ist unser Ziel, Ihnen
Verfahren mit unterschiedlichen Fokussen näher zu bringen: bei der Personenanalyse
steht hier vor allem im Vordergrund, ob es sich bei dem Verfahren um eine Selbstbild-
oder eine Fremdbildeinschätzung handelt – oder eben eine Kombination aus beiden.
Die meisten Verfahren der Personenanalyse stützen sich wesentlich auf eine Fremd-
bildeinschätzung. Bei der Fremdbilderhebung kann man wiederum unterscheiden,
aus welcher Richtung diese kommt:
1. Von oben nach unten: Dies ist sicherlich die gängigste Form der Fremdeinschät-
zung: die Führungskraft schätzt die Mitarbeiter:in ein.
2. Peer-Feedback: Die Einschätzung findet auf derselben hierarchischen Stufe statt,
also von Kolleg:in zu Kolleg:in.
3. Von unten nach oben: In Form einer sogenannten »Vorgesetztenbeurteilung« kön-
nen auch Mitarbeiter:innen einschätzen, wie sie die Führungsarbeit erleben; dies
passiert entweder durch ein entsprechendes Instrument mit dem direkten Fokus
112 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
darauf oder auch im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen (als eine Dimension, die
abgefragt wird).
4. Von »Dritten« mit anderer Funktion: Natürlich können Einschätzungen auch von
Expert:innen aus der Personalabteilung oder der Personalentwicklung erfolgen;
ebenso gehören in diese Kategorie externe Berater:innen mit PE-Fokus oder auch
Kundeneinschätzungen. Unserer Erfahrung nach werden diese Beurteilungen von
den »Beurteilten« als der Ebene »von oben nach unten« zugehörig wahrgenom-
men, auch wenn wir diese Kategorie hier separat anführen, um sie »methodisch
sauber« abzugrenzen.
Und natürlich gibt es auch die Gesamtvariante des 360°-Feedbacks, das die ersten 3
Formen, teils auch die vierte dazu, miteinander verbindet (s. a. Kapitel 4.1 »Feedback-
bezogene Verfahren«). Grundsätzlich ist es sinnvoll, bei der Personenanalyse multi-
modal vorzugehen, d. h. mehrere Verfahren miteinander zu kombinieren. Wir erleben
immer wieder den Fehler von Unternehmen, Besetzungsentscheidungen, gerade bei
mittleren und höheren Führungsebenen, von einem einzigen Verfahren abhängig zu
machen – im schlimmsten Fall noch durch ein rein durch externe Berater:innen gene-
riertes Urteil via Assessment. Natürlich stellen hier die Kandidat:innen die berechtigte
Frage, wo denn die Würdigung ihrer Leistung im täglichen Arbeitsleben bleibt. Allein
aus Akzeptanzgründen empfiehlt sich daher, bei der Personenanalyse Verfahren so
miteinander zu kombinieren, dass sowohl …
y Selbst- und Fremdbild als auch
y Dauer- (»tägliche Arbeit« bewertet über einen längeren Zeitraum) und Spitzenleis-
tung (z. B. erhoben in einem AC oder mittels eines Leistungstests)
darin ihren Niederschlag finden.
Lassen Sie uns nun einen Blick auf die einzelnen Verfahren der Personenanalyse wer-
fen, angefangen mit einer Methode, bei der die »analysierte Person« gleichzeitig auch
sich selbst analysiert: dem Selbstbild-Fremdbild-Abgleich.
2.3.1 Selbstbild-Fremdbild-Abgleich
Der vermeintliche einfachste Weg, um sich über das Profil eines Menschen ein Bild
zu machen, besteht vermutlich darin, ihn oder sie zu fragen, wie sie sich selbst sieht
und dann ausgewählte Personen aus dem Umfeld zum selben Thema zu fragen –
»Wie siehst du diesen Menschen?« Bei so offen gestellten Fragen muss man natür-
lich damit rechnen, dass auch die Antworten sehr weitgefächert und nach eigenen
Gesichtspunkten ausgerichtet gegeben werden. Insofern tut man gut daran, einen
Selbstbild-Fremdbild-Abgleich zu strukturieren, indem man ihn entlang eines Anfor-
derungsprofils (s. Kapitel 2.2.4 »Anforderungs- oder Kompetenzprofil«) durchführt,
so dass der Suchraum für die relevante Einschätzung sowohl für den Sich-selbst-Be-
trachtenden als auch für die Ihn-Betrachtenden überschaubar ist. Je verhaltensnä-
her das Anforderungsprofil operationalisiert ist, desto erfolgversprechender ist die
Durchführung eines Selbstbild-Fremdbild-Abgleichs.
Der Vorteil eines Selbstbild-Fremdbild-Abgleichs besteht ohne Zweifel darin, dass hier
beide Seiten zu Wort kommen: die »zu analysierende Person« und diejenigen, die zu
dieser befragt werden. Für andere Verfahren gilt in der Regel: auch wenn Sie sehr da-
rauf achten, dass bei den weiter unten genannten Instrumenten wie dem Interview
oder bei Assessments den Prinzipien der Transparenz und Partizipation Genüge ge-
tan wird, so reduziert dies zwar auf jeden Fall das Gefühl des »Durchleuchtetwerdens«
und erhöht die Akzeptanz auf Seiten der Teilnehmer:innen (s. Stichwort der »Sozialen
Validität« weiter oben), dennoch ist der »gefühlte« Anteil der Fremdbeurteilung in die-
sen Verfahren für die Beteiligten größer.
zung durch die Mitarbeiter:innen. Die Fremdeinschätzung durch die Führungskraft be-
inhaltete exakt dieselben Fragen und Kriterien, nur auf die Mitarbeiter:in hin formuliert. Die
quantitative Einschätzung ist als Ausschnitt abgebildet, ursprünglich wurden mehr Kriterien
abgefragt.
Aber unseres Erachtens sind die richtigen Fragen nur ein Teil des Erfolges. Anhand des
Selbstbild-Fremdbild-Abgleichs lässt sich nochmals gut verdeutlichen, was wir zu Be-
ginn des Abschnitts der Personenanalyse mit dem Leitsatz »die Diagnose ist der erste
Schritt der Intervention« meinten: Ihre Mitarbeiter:innen und Führungskräfte werden
ganz unterschiedlich mit einem solchen Instrument umgehen. Einige sehen es als
Chance, sich einzubringen und eigene Entwicklungsschritte voranzubringen, andere
behandeln das Instrument nach dem Motto »Wer bei solchen Abfragen die Wahrheit
schreibt, ist selbst schuld.«
Insofern hat der Einsatz des Verfahrens sehr viel mit Vertrauen zu tun und stellt
immer den ersten Schritt eines PE-Prozesses dar, der sauber begleitet und transpa-
rent gestaltet werden will. Wenn die Befragten merken, dass sie tatsächlich einen
Nutzen aus dem Selbstbild-Fremdbild-Abgleich ziehen können (z. B. in Form eines
fairen, offenen Austauschs mit der eigenen Führungskraft, womit man zunächst
vielleicht gar nicht gerechnet hätte; oder einer neuen Erkenntnis zur eigenen Wir-
kung, an der man arbeiten kann; oder der Chance zur Teilnahme an einer Entwick-
lungsmaßnahme), so werden sie das nächste Mal mit noch mehr Vertrauen in einen
solchen Prozess hineingehen. Insofern stellt auch ein »diagnostisches Instrument«
wie ein Selbstbild-Fremdbild-Abgleich einen unternehmenskulturentwickelnden
PE-Ansatz dar.
2.3 Personenanalyse | 115
Nolting und Paulus beginnen ihr Kapitel über »Grundlegenden Tätigkeiten im Umgang
mit psychologischen Fragen« wie folgt:
»Auch Laien tun, was Psychologen tun. Wenn ihnen menschliches Verhalten und Erleben
zu einer Frage wird, versuchen sie, es
y zu beschreiben (»Der Otto sitzt immer nur still da und sagt nichts.«)
y zu erklären (»Weil er wegen der Kündigung so bedrückt ist.«)
y vorherzusagen (»Bald zieht er sich noch ganz von der Welt zurück.«)
y zu beeinflussen (»Könnten wir nicht was tun, um ihn etwas aufzumuntern?«)
und geben dabei auch Wertungen ab, die ausdrücken ob sie etwas »problematisch«,
»angemessen«, »befriedigend« usw. finden (»Der packt das auch ganz falsch an.«).
Im Prinzip bilden solche Tätigkeiten die Aufgabe einer jeden Wissenschaft, nicht nur der
Psychologie. Zumindest gilt für das Beschreiben und Erklären. Ob das Werten in der Psy-
chologie noch als wissenschaftliches Tun zu gelten hat, ist eine Streitfrage; unvermeid-
lich ist es in jedem Fall.
Laien unterscheiden sich gewöhnlich von Wissenschaftlern darin, dass sie die Tätigkeit
nicht so bewusst auseinanderhalten und dass sie überdies weniger strenge Anforde-
rungen an Sorgfalt und Präzision stellen. Das Lernen von Psychologie soll letztlich dazu
führen, dass man »besser« beschreibt, erklärt usw. Und »besser« heißt unter anderem:
präziser, begründeter, systematischer und oftmals auch vorsichtiger.« (Nolting & Paulus,
1999)
Was für das »Lernen von Psychologie« gilt, gilt unserer Meinung auch für das »Lernen
von Personalentwicklung« im Allgemeinen und für das »Lernen von Personaldiagnos-
tik« im Speziellen.
Das »Beschreiben« als Bestandteil der psychologischen Diagnostik beginnt mit der
»Beschreibung durch Beobachtung«. Hierbei wird zunächst einmal frei von Bewer-
tungen wahrnehmbares Verhalten registriert. Solcherart Beobachtungen können
durch andere (Fremdbeobachtung) oder die Person selbst (Selbstbeobachtung) vor-
genommen werden. Der Vorteil der Selbstbeobachtung ist die Tatsache, dass neben
dem »Verhalten« auch das »Erleben« Bestandteil der Beobachtung ist. Nachteil der
Selbstbeobachtung ist die Subjektivität der Einschätzung (beschreibt die Person ihre
Gedanken, Gefühle, Motive »richtig«? (Nolting & Paulus, 1999).
116 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
In der zweiten Stufe des »Beschreibens« erfolgt die »Beschreibung durch »subjektive
Einschätzung«. Diese sollte im ersten Schritt hypothetisch, als »Einschätzung«, erfol-
gen, durch konkrete Operationalisierungen präzisiert sein, durch Quantifizierungen
(Skalen) vergleichbar gemacht werden und, wenn möglich, das Votum mehrerer Be-
obachter:innen beinhalten (Nolting & Paulus, 1999).
Reliabilität (Zuverlässigkeit, z. B. durch Retest Maß der Verlässlichkeit hinsichtlich des Ergeb-
bei Messung stabiler Merkmale) nisses
Validität (Gültigkeit, wird wirklich das ge- Das Richtige messen bzw. die richtigen Schlüs-
messen, was laut Aussage des Verfahrens ge- se ziehen
messen werden soll und sind die Schlüsse, die
gezogen werden die »richtigen« Schlüsse
Die Reliabilität des Intelligenztests zeigt sich darin, dass bei nicht stattgefundenem
Wissenszuwachs der Proband:in beim gleichen Test einige Wochen später das gleiche
oder zumindest annähernd gleiche Ergebnis erzielt wird.
Die Validität eines Intelligenztests wird z. B. dadurch belegt, dass ein Test zum mathe-
matisch-logischen Verständnis tatsächlich auch diese Kompetenzen misst und nicht
etwa die sprachliche Intelligenz. Deshalb sollten solche Tests auch so konstruiert sein,
dass sie keine außergewöhnlichen sprachlichen Fähigkeiten voraussetzen (z. B. beim
Einsatz des Tests bei Nicht-Muttersprachlern) und der Test sollte hohe Korrelationen
mit anderen Verfahren aufweisen, die mathematisch-logisches Verständnis voraus-
setzen, z. B. der Mathematiknote der Proband:in.
2.3 Personenanalyse | 117
Blickt man auf die bisherigen Ausführungen des Kapitels zur Personenanalyse zurück,
die im Kern der psychologischen Diagnostik dient, so kann man festhalten, dass die
Anzahl und Art der unterschiedlichen diagnostischen Erhebungsmöglichkeiten viel-
fältig ist.
Psychometrische Verfahren, wie sie in diesem Kapitel behandelt werden sollen, um-
fassen also Q- und/oder T-Daten.
In den meisten Verfahren zur Personaldiagnostik sollen – z. B. aufgrund der Komplexi-
tät des Aufgabenfeldes, für das eine potenzielle Kandidat:in gesucht wird – möglichst
viele Daten erfasst werden. In einem gut konstruierten Assessment Center ist dies der
Fall. Hier werden unterschiedliche tätigkeitsnahe Herausforderungen simuliert, die
unterschiedliche Kompetenzen voraussetzen, die mehrmals und durch mehrere Per-
sonaldiagnostiker:innen beobachtet und bewertet werden (s. Kapitel 2.3.4 »Assess-
mentverfahren«).
Dennoch kann es angezeigt sein, ein weiteres Instrument zur Diagnostik einzusetzen
und das aus sehr unterschiedlichen Gründen:
118 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
y ACs sind aufwändig und teuer. Bei einer großen Anzahl an Bewerber:innen kann es
also durchaus sinnvoll sein, ein alternatives Verfahren zur Vorauswahl voranzustellen.
y Sollte ein AC aus Gründen des prozessbezogenen und ökonomischen Aufwandes
in der Personenanalyse nicht in Frage kommen, könnte alternativ eine Kombi-
nation aus einem strukturierten und standardisierten Prozess zur Dokumenten-
sichtung (Bewerbungsunterlagen), eines halbstrukturierten Interviews und dem
Einsatz eines Tests die Multimodalität sichern.
y Auch ein AC bildet nicht unbedingt alle notwendigen Kompetenzen für die an-
gestrebte Tätigkeit ab. Für die Diagnostik bestimmter logischer, analytischer
Fähigkeiten kann der Einsatz eines entsprechenden Intelligenztests durchaus an-
gemessen sein.
Wie weiter oben bereits beschrieben bergen durch Fragebögen erfasste Daten (Q-
Daten) das Risiko der »subjektiven Verzerrung« bzw. der Beantwortung im Sinne der
»sozialen Erwünschtheit«. Deshalb sind wir der Meinung, dass dieses Instrumentarium
als alleiniges Instrument für Personalentscheidungen nicht geeignet ist und zwar voll-
kommen unabhängig von Qualität und Güte des Instruments.
2.3 Personenanalyse | 119
Durch objektive »Tests« erhobene Daten (T-Daten) sind unseres Erachtens belastba-
rer. Sie erfassen Merkmale der Persönlichkeit nicht durch subjektive Selbstauskünfte,
sondern über standardisierte Verhaltensbeobachtungen und/oder Tests. Der Nachteil
liegt in der mangelnden Akzeptanz bei den getesteten Personen, weil der eigentliche
Testzweck häufig nicht offensichtlich ist und somit das Gefühl erzeugt, manipuliert zu
werden oder »ausgeliefert zu sein«. Einen umfassenden Überblick über »Theorie und
Praxis objektiver Persönlichkeitstests« bieten Ortner, Proyer und Kubinger (2006) in
ihrer gleichnamigen Veröffentlichung.
Sonderrolle: Intelligenztest
Eine Sonderrolle innerhalb der objektiven Tests nimmt der Intelligenztest ein. Die In-
telligenztests gehören zu den ältesten und damit auch empirisch mit am besten er-
forschten Testvarianten der diagnostischen Psychologie. Internationale Studien zeigen
deutliche Korrelationen zwischen allgemeiner Intelligenz (GMA – General Mental Ability)
und berufsbezogener Lernleistung, subjektiv bewerteter Arbeitsleistung, Einkommen
und berufliche Entwicklung (Kramer, 2009). Kramer merkt in seinem Artikel allerdings
auch an, dass Intelligenztests sich in Deutschland keiner großen Akzeptanz erfreuen. So
kommt neben der bereits erwähnten eingeschränkten Akzeptanz bei den Bewerber:in-
nen selbst noch hinzu, dass viele Unternehmen die Validität der Tests bezweifeln.
Zur Vorauswahl bei größeren Bewerberzahlen können aber objektive Instrumente wie
Intelligenztests sinnhafte Verwendung finden. Ebenso kann der Einsatz objektiver Tests
als »ergänzende Datenmenge« im Rahmen multimodaler Verfahren Verwendung finden.
Vor dem Einsatz eines psychometrischen Instruments sollte sich der verantwortliche
Personalentwickler immer auch Gedanken machen, warum er dieses Instrument ein-
setzen möchte. Zum einen ist die Beantwortung dieser Frage relevant für die Argumen-
tation in Richtung Auftraggeber:in. Das kann die Geschäftsleitung oder der zuständige
Fachbereich sein. Hier sorgt die fachlich fundierte Expertise für entsprechendes Ver-
trauen und Akzeptanz. Zum anderen benötigt die Personalentwickler:in eine nach-
vollziehbare Argumentation in Richtung der potenziellen Kandidat:innen, warum sie
welches Verfahren bzw. welches Instrument zur Diagnostik einsetzt. Der Auswahlpro-
zess ist die erste Visitenkarte des Unternehmens gegenüber der Bewerber:in und die Ak-
zeptanz von Talentmanagement-Programmen steht und fällt mit dem Auswahlprozess.
Auch der Einsatz psychometrischer Instrumente ist kein Selbstzweck, sondern dient
der Vorbereitung und Absicherung von Personalentscheidungen. Damit sollte sich die
Auswahl psychometrischer Instrumente (wie auch aller anderen diagnostischen Ver-
fahren) am Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle orientieren: »Was genau soll
gemessen werden?« Ein psychometrisches Instrument, das die individuelle Risikoten-
denz bei einem Sachbearbeiter im Finanzamt misst, macht wenig Sinn. Hier geht es
wohl eher um Genauigkeit und Zuverlässigkeit.
120 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Eine der relevanten Mitautor:innen der DIN 33430 ist Professor Martin Kersting. In einem
2006 in der Psychologischen Rundschau veröffentlichten Artikel führt er aus, dass eine
bloße Reduktion der Güte eines Tests auf die numerische Ausprägung von Kennwerten
zu den oben aufgeführten Gütekriterien irreführend sei (Kersting, 2006). Die »schlechte«
Nachricht lautet also: Es gibt keine Checkliste mit normierten Kennzahlen, mit deren
Hilfe man sich bei der Auswahl »Güte-Stabiler« Tests orientieren könnte.
Kersting betont, dass die DIN 33430 eine Prozess- und keine Produktnorm ist, hat aber aus
der Norm 140 Aussagen extrahiert, die Mindestanforderungen hinsichtlich der Informa-
tionen formulieren, die zu einem Test vorliegen müssen (Kersting, 2006). Diese Checkliste
ist auf der Website des Autors verfügbar und zum Download freigegeben (Kersting, 2017).
Auf seiner Website macht Kersting dabei auch sehr deutlich, dass es bei der Bewer-
tung eines Tests nicht auf die Marktdurchdringung oder bekannte Referenzkunden,
sondern auf Zahlen, Daten und Fakten ankommt, welche die Güte des Instruments
nach den Kriterien der Wissenschaft eindeutig belegen. Die Erfassung der Informatio-
nen stellt aber nur den ersten Schritt des Qualitätssicherungsprozesses dar. In einem
zweiten Schritt werden die zur Verfügung gestellten Informationen über das Testbe-
urteilungssystem des Diagnostik- und Testkuratoriums (TBS-TK) bewertet. In einem
dritten Schritt bittet das »Diagnose und Testkuratorium« (DTK) zwei zunächst unab-
2.3 Personenanalyse | 121
Die Ergebnisse der Rezensionen sind über die Datenbank PSYNDEX des »Leibniz-Zen-
trum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID)« abrufbar und frei
verfügbar (Leibniz Zentrum a o. J.: o. S.).
Natürlich kann es nicht Aufgabe der Personalentwickler:in sein, das Prozedere zur Qua-
litätssicherung und -überprüfung von psychometrischen Instrumenten durchzuführen.
Er kann aber von einem Anbieter einschlägiger Instrumente durchaus verlangen, dass
dieser sich im Sinne der Qualitätssicherung dem obigen Prozess unterwirft. Andere An-
bieter haben dies bereits getan, wie die Website des ZPID belegt.
2.3.3 Interview
Wenn wir über Personenanalyseverfahren reden, darf das Interview nicht fehlen. Es han-
delt sich um eine weithin genutzte Methode und fast jeder, der sich in der Arbeitswelt
122 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
bewegt, hatte damit schon seine Berührungspunkte, wenn nicht als Interviewender, so
wahrscheinlich als Interviewter. Interviews werden auch im Rahmen von internen Ent-
wicklungsprozessen eingesetzt, weit häufiger finden sie jedoch bei der Auswahl exter-
ner Bewerber:innen Anwendung: Das Einstellungsinterview ist in Deutschland nach wie
vor das beliebteste und am meisten verwandte Personalselektionsinstrument. Es gibt
sowohl un- bzw. teilstrukturierte als auch strukturierte Varianten des Interviews, wobei
die Vorhersagekraft bezüglich der Eignung zukünftiger Mitarbeiter:innen bei unstruk-
turierten Verfahren eher mäßig ist. Das sehr beliebte unstrukturierte Interview – eine
Bewerber:in trifft auf eine im Zweifelsfall wenig vorbereitete Interviewer:in, die intuitive
Fragen entlang des Lebenslaufs stellt – verdankt seine moderaten prognostischen Wer-
te in erster Linie der guten Intuition mancher Interviewer:innen.
Die Bewerber:innen empfinden ein unstrukturiertes Interview oft als eine angenehme
Form der Selektion. Ein wesentlicher Grund hierfür besteht wahrscheinlich darin, dass vie-
le Interviewende nach 5 Minuten bereits zu einer »Bauchgefühl-Entscheidung« kommen
und danach in erster Linie für die andere Seite angenehme und die eigene Prophezeiung
positiv stützende Fragen stellen (»Sie sind doch sicher teamfähig, oder? Das brauchen wir
hier nämlich!«) oder gar überwiegend selbst reden, statt anforderungsbezogene Fragen
zu stellen. Stärker strukturierte Varianten werden dann als unangenehmer empfunden,
wenn die Interviewer:in die Fragen sehr stark abliest und mit dem Verfahren nicht ver-
traut ist. In den letzten Jahren zeitigt sich bei den Bewerber:innen allerdings der Trend
ab, dass sie die strukturierteren Formen von Interviews, trotz der damit für sie höheren
verbundenen Anstrengung, als wertschätzender einschätzen, und im Hinblick auf das,
was sie dann tatsächlich in der Zielposition erwartet, im Nachgang auch als realistischer.
Verschiedene Interviewformen
Offenes Interview vs. geschlos- Freiheitsgrade der Interviewten; sie hat die Möglichkeit, Fra-
senes Interview gen frei zu beantworten oder im entgegengesetzten Fall, sie
muss auf vorgegebene Antwortkategorien reagieren
Unstrukturiertes Interview vs. Freiheitsgrade der Interviewer:in; sie kann die Fragen frei
strukturiertes Interview formulieren oder muss sich an einem vorgegebenen Fragen-
katalog orientieren
Qualitatives Interview vs. Auswertung des Interviews; die Auswertung geschieht auf
quantitatives Interview qualitativ-interpretativer Weise oder nach vorgegebenem Aus-
wertungsschlüssel
Die einzelnen Interviewformen hängen immer zusammen bzw. schließen sich gegen-
seitig aus: Ein voll strukturiertes Interview kann kaum als offenes Interview geführt
werden und eine rein qualitative Auswertung eines strukturierten Interviews wäre
nicht sinnvoll, da die vorgegebenen, geschlossenen Antwortkategorien ja gerade eine
quantitative Analyse ermöglichen sollen. Die Übergänge können aber fließend sein.
So existieren teilstrukturierte Formen des Interviews, bei denen nach einem vorgege-
benen Fragenkatalog vorgegangen wird, der aber durch das Stellen von Zusatzfragen
ergänzt werden kann. Auch die Auswertung eines teilstrukturierten Interviews stellt
eine Mischform von qualitativer und quantitativer Analyse dar.
Der Vorteil des unstrukturierten, offenen Interviews liegt in dem größeren Spielraum,
den diese Form Interviewer:in und Interviewpartner:in einräumt. Dadurch entsteht
eine größere Dynamik, die es der Interviewer:in ermöglicht, in der Interviewsituation
aufkommende Fragen zu stellen, um weitere, potenziell interessante Bereiche abzu-
decken. Allgemein versteht man darunter die W-Fragen: Wer, Wann, Was, Warum, Wie.
Das Vorgehen entspricht hierbei eher einer Exploration. Die Interviewpartner:in kann
ihre Antwort frei formulieren. Die Betonung dessen, was sie für wichtig hält, liegt da-
bei ganz in ihrer Hand. Man kann das offene, unstrukturierte Interview natürlich als
informativer als die strukturierte Interviewform betrachten. Der Nachteil des unstruk-
turierten Interviews liegt in seiner zeitaufwendigeren und komplexeren Auswertung.
Die Güte des Interviews ist in erster Linie von der von der Interviewer:in geleisteten
Vorarbeit abhängig. Sie muss wissen, welche Art von Mitarbeiter:innen die Firma
sucht, welches Anforderungsprofil also existiert, und sie sollte sich darüber klar sein,
was sie im Interview über die Bewerber:in erfahren möchte. Zudem sollte sie berück-
124 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
sichtigen, dass das Interview auch für die Bewerber:in die entscheidende Informa-
tionsquelle bezüglich des Unternehmens darstellt. Die Interviewer:in fungiert also als
Repräsentant:in der Firma und nimmt Einfluss auf die Entscheidung der Bewerber:in,
der Organisation beizutreten oder nicht.
Exkurs 7: Vorabinterview
Bei den digitalen Extras auf mybook.haufe.de bieten wir Ihnen in einem Exkurs praktische
Überlegungen zum Thema Vorabinterview.
Die Planung und der Ablauf eines Interviews kann nach folgendem Schema durchge-
führt werden:
Problemanalyse
Wer soll die offene Stelle besetzen?
• Anforderungsanalyse
• Anforderungsprofil
• Analyse der Bewerbungsunterlagen
Interviewkonstruktion
Was will ich durch das Interview erfahren?
• Entscheidung: Welche Interviewform?
• Gesprächsleitfaden erstellen
• Als Hilfe: Bewerbungsunterlagen
• InterviewerInnenschulung, Erprobung des Verfahrens
Evaluation
War meine Vorhersage richtig?
• Überprüfung der Entwicklung der Mitarbeiter:in
Interviewkonstruktion
Die Interviewkonstruktion und die Formulierung der Fragen eines Interviews erfor-
dert Zeit und einen gewissen Planungsaufwand. Sowohl inhaltlich als auch in der
Form der Formulierung gilt es, Verschiedenes zu beachten.
Inhaltlich und formal sollten Fragen so gestaltet werden, dass sie die Informationen,
die die Interviewer:in von ihrem Gegenüber erfahren möchte, auch wirklich »auslö-
sen«. Will man z. B. etwas über die Teamfähigkeit einer zukünftigen Mitarbeiter:in er-
fahren, so ist die geschlossene Formulierung
sicherlich nicht sehr zielführend, da sie nur eine Ja/Nein-Antwort zulässt und sich die
meisten Kandidat:innen denken können, mit welcher Antwort man hier »den richtigen
Eindruck hinterlässt«.
Außerdem sollte die Frage nicht suggestiv sein. Fragt man eine Bewerber:in zum Ver-
hältnis zu ihrem letzten Arbeitgeber – insbesondere wenn es sich auch noch um einen
Wettbewerber handelt – so wäre z. B. die folgende Formulierung stark von eigenen
Vorannahmen geprägt:
126 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
»Sie haben ja bei Firma X gearbeitet. Da hat es Ihnen sicher nicht gefallen?«
Ein weiterer wichtiger inhaltlicher Aspekt von Interviewfragen ist die Vermeidung all-
zu eindringlicher oder nicht arbeitsplatzbezogener Fragen.
Erstens besteht bei diesen Fragen für die Bewerber:in das »Recht zur Lüge«, d. h. sie
muss beispielsweise auf die Frage ihrer sexuellen Präferenzen nicht wahrheitsgemäß
antworten, wenn sie das Gefühl hat, dass diese über den Erhalt oder Nichterhalt des
Arbeitsplatzes bestimmen können. Ähnliches gilt für die mittlerweile kaum noch ge-
stellte, weil zu Recht als diskriminierend bewertete Frage nach dem Kinderwunsch
weiblicher Bewerberinnen. Für detaillierte Hinweise vgl. Heike Höf-Bausenwein
»Crashkurs Personalarbeit« (Haufe-Lexware 2022, 5. Auflage).
Zweitens enthalten diese Fragen für die Interviewer:in keine anforderungsbezogenen Infor-
mationen und sind somit entbehrlich, umso mehr, da sie oft das Aufkommen eines Vertrau-
ensverhältnisses unmöglich machen und die Interviewsituation unnötig belasten. Solche
eventuell sensitiven Themen können und dürfen nicht erzwungen werden. Im Gegenteil:
Entweder sie spielen für die zu besetzende Position sowieso keine wirkliche Rolle oder
sie entstehen mit zunehmendem Vertrauensverhältnis »von selbst«. Anders ausgedrückt:
wenn ich Kandidat:in im Gespräch mit meinem potenziellen zukünftigen Arbeitgeber den
Eindruck gewinne, dass dort Diversity und Work Life Balance wirklich gelebt wird, habe ich
ggf. auch weniger Hemmungen, an meinen persönlichen Lebensplänen teilhaben zu lassen.
Als Ablaufschema bietet sich die Trichtertechnik. Diese beinhaltet, dass die Intervie-
wer:in mit allgemeineren (offenen) Fragen beginnt, um dann immer mehr ins Detail
zu gehen. Zudem kann der Lebenslauf der Bewerber:in als formaler Leitfaden dienen,
aufgrund dessen auch relevante Fragen gestellt werden können.
Das Interview stellt an die Interviewer:in gewisse Anforderungen: sie ist für den Ab-
lauf des Gesprächs und der gesamten Kommunikation verantwortlich. Deshalb ist es
2.3 Personenanalyse | 127
wichtig, dass sie mit bestimmten Fragetechniken und der Lenkung von Gesprächen
vertraut ist. Als Interviewer:in sollte man (mindestens) diese zwei kommunikativen
Fertigkeiten besitzen:
y Man muss Menschen richtig einschätzen können (Diagnostik) und
y man sollte die Gesprächspartner:in zielgerecht behandeln.
Das Gespräch sollte eine gewisse Vertrauensbasis als Grundlage haben, ein direkti-
ver oder verhörartiger Interviewstil ist sicherlich nicht im Sinne einer anforderungs-
bezogen state-of-the-art Eignungsdiagnostik. Aus diesem Grunde sollte zu Beginn
des Interviews Zeit für »Warm-up-Fragen« oder »Eisbrecherfragen« da sein (»Gut
hergefunden?« usw.), die nicht in die Bewertung eingehen. Auf diesem informellen
Wege zeichnen sich vielleicht schon Einstiegsmöglichkeiten in das eigentliche Inter-
view ab.
Als Interviewer:in sollten Sie sich also von folgenden Vorstellungen trennen:
y Das Interview ist ein objektives Instrument, in dem keine emotionalen oder sozia-
len Prozesse ablaufen.
y Als Interviewer:in weiß man schnell, was der oder die andere denkt und fühlt.
y Aufgabe der Interviewer:innen ist es, möglichst schnell möglichst viele Informa-
tionen abzufragen und dadurch möglichst schnell zu einem Urteil zu kommen (am
besten noch während des Interviews).
Wenn man zu sehr das Ziel vor Augen hat, möglichst effektiv und schnell Personal-
selektion zu betreiben, und sich deshalb zu stark auf das Stellen der nächsten Frage
konzentriert, ist die Chance groß, dass man einige Informationen, die die Bewerber:in
zusätzlich gibt, überhört.
128 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Die Interviewer:in sollte also gut zuhören können;.Dies bedeutet, dass sie aktiv zuhört
und aufmerksam dem Gesprächsverlauf folgt, sowie offene und verdeckt gegebene
Informationen der Bewerber:in erfasst. Zentrale kommunikative Fertigkeiten der In-
terviewer:in sind also:
y Der Kandidat:in beim Verbalisieren helfen: »Sie wollen damit wahrscheinlich sa-
gen, dass …«
y Paraphrasieren (sinngemäßes, hypothesenbildendes Wiederholen): Kandi-
dat:innen: »Solche offenen Situationen sind für mich sehr anstrengend.« – Inter-
viewer:in: »Verstehe ich Sie richtig: wenn eine Arbeitssituation keine klaren Ziele
aufweist, dann fühlen Sie sich nicht wohl?«
y Das Selbstwertgefühl der Bewerber:in beachten: Nicht verletzen, von oben her-
ab behandeln oder »pampern« (zu weich oder mitleidig behandeln).
y Gesprächstempo und Informationsmenge steuern: durchaus auch (höflich)
unterbrechen und auf Zeit verweisen, wenn die Bewerber:in zu langwierig antwor-
tet; Präzisierungen verlangen
Wichtig ist auch, dass man – gerade bei einem un- oder teilstrukturierten Interview –
die richtigen Nachfragen stellt, insbesondere im biographischen Teil. So sollte man
Verallgemeinerungen der Interviewpartner:in immer durch sog. Anschlussfragen in
Form von konkreten Beispielen belegen lassen und darauf achten, dass man als Inter-
viewer:in ein vollständiges Bild der geschilderten Situation erhält. Man kann sich im-
mer das Verhaltensdreieck vor Augen führen – nach diesem besteht Verhalten immer
aus drei Aspekten:
Ausgangssituation
Wie kam es dazu?
Handlung Ergebnis
Was hat die Was war das
Bewerber:in gemacht? Resultat?
Diese drei Aspekte sollten in der jeweiligen Frage abgedeckt sein. Das Verhaltens-
dreieck dient dazu, über konkrete, verhaltensbezogene und offene Fragen von der
2.3 Personenanalyse | 129
Ungenauigkeiten oder fehlende Erfahrung mit Themen auf Seiten der Bewerber:in äu-
ßern sich häufig auf folgenden Ebenen:
y Stärkere Betonung von Gefühlen und Meinungen in der Aussage: z. B. »Meiner
Meinung nach bin ich immer offen auf andere zugegangen« oder »Ich denke, ich
bin ein ziemlich offener Mensch«.
y Theoretische oder hypothetische Aussagen: »Man muss da einfach …«, »Das soll-
te man meines Erachtens immer so machen …« usw.
y Vage Aussagen: »Ich hatte schon ziemlich häufig Teamaufgaben zu bewältigen, so
ein paar Mal im Jahr …«
Werden Ereignisse rein situativ dargestellt, so sollte die Interviewer:in sowohl die
Kausalität des Ereignisses (Wie kam es dazu?) als auch dessen Finalität (Welches
Ziel verfolgten Sie damit?) erfassen. Hilfreich ist auch das Erfragen von beruflichen
Schlüsselsituationen, die nach dem Prinzip des Verhaltensdreiecks erfragt werden.
Ferner können die »inneren Theorien« der Bewerber:in, wie sie z. B. zu Karriere, Er-
folg, beruflicher Leistung u. Ä. steht, interessante zusätzliche Facetten zum Gesamt-
bild ihrer Persönlichkeit liefern.
Wenn Sie vor der Aufgabe stehen, ein Interview zu entwickeln, sollten Sie darauf ach-
ten, die Anforderungen Ihres Unternehmens in den entsprechenden Fragen abzubil-
den. Wir hatten eingangs von den biographiebezogenen Interviewfragen gesprochen.
130 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Bei diesen orientiert man sich am Anforderungsprofil und entwickelt dann eine Frage,
die die Interviewpartner:in aus vergangenem Erlebtem heraus beantworten kann.
1 2 3 4 5 6
Belastbarkeit/Durchhaltevermögen
Beschreiben Sie eine Situation aus Ihrer bisherigen Arbeitstätigkeit, in der Sie Ihr Bes-
tes gaben und Ihr Ziel nicht erreichten. Beschreiben Sie eine Krise, mit der Sie kürzlich
fertig werden mussten.
y Woran lag es? Was ist vorgefallen?
y Wie haben Sie versucht, eine Lösung zu finden?
y Wie haben Sie sich zu diesem Zeitpunkt gefühlt?
y Was haben Sie dabei gelernt?
y Wie gehen Sie im Allgemeinen mit Misserfolgen um?
2.3 Personenanalyse | 131
Kann nichts dazu sagen, beschreibt die Gibt differenziertes Bild einer Si-
Situation oberflächlich und in »man«- tuationsbeschreibung, hat für sich
Form; findet die Frage »komisch«, Lernmöglichkeiten bewusst heraus-
antwortet ausweichend; unterscheidet gearbeitet und umgesetzt; geht prob-
nicht zwischen Erfolgen und Nieder- lemlösungsorientiert vor, versucht aus
lagen; hat keine Lernmöglichkeiten Frustration etwas Positives zu ziehen;
erkannt und umgesetzt; zieht sich zu- »bleibt am Ball«; verarbeitet bewusst
rück; lässt sich demotivieren; verfällt und motiviert sich neu
in passive Strategien
1 2 3 4 5 6
1 2 3 4 5 6
132 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Teamfähigkeit
Sie hatten in den letzten zwei Wochen ein extrem stressintensives Arbeitspensum und
mussten Überstunden machen. Heute ist Freitag und Sie freuen sich, endlich mal et-
was früher nach Hause zu kommen. Während Sie gehen, kommt eine Kolleg:in auf Sie
zu und bittet Sie um einen Gefallen: Sie hat eine fristgerechte Arbeit zu erledigen und
muss heute Abend fertig werden. Sie steht unter extremem Zeitdruck und fragt Sie, ob
Sie ihr noch helfen könnten.
y Wie gehen Sie mit einer solchen Situation um?
y Was werden Sie tun?
Stellt die Beziehung zur Kolleg:in in Fragt nach Aufwand und Rahmen der
den Vordergrund; macht die Bereit- Arbeit; spricht mit der Kolleg:in, holt
schaft zur Mitarbeit davon abhängig; sich Informationen; versucht Bereiche
stellt persönliche Gesichtspunkte be- abzuklären, in denen Hilfe nötig ist;
dingungslos in den Vordergrund; fragt denkt mittelfristig, d. h. hilft »akut«,
nicht nach; geht einfach spricht aber mit der Kolleg:in über zu-
künftige Vorgehensweise
1 2 3 4 5 6
Das semi-strukturierte oder multimodale Interview von Schuler (1992) greift viele der
in diesem Kapitel beschriebenen methodischen Grundlagen, unter anderem auch die
genannten Aspekte der sozialen Validität, auf und bildet diese in einem Verfahren ab.
Es zeichnet sich durch einen standardisierten Ablauf aus und ist in verschiedene, auf-
einander aufbauende Abschnitte unterteilt. Innerhalb dieser Abschnitte werden zum
einen berufsbezogene, biographische, interessenbezogene und situative Fragen ge-
stellt, zum anderen erhalten die Bewerber in einem eigens dafür vorgesehenen Part
Informationen über die einstellende Organisation.
Das Erreichen dieser Absichten wird durch die methodischen Vorteile des Verfahrens
gewährt:
y Das Interview ist anforderungsbezogen gestaltet, d. h. die Fragen orientieren sich
an den relevanten Kriterien; hiermit wird auch eine realistische Vorabinformation
(engl. »realistic job preview«) zum künftigen Tätigkeitsfeld geliefert (Transparenz).
y Durch Verwendung einer skalierten Beurteilung, die sich auf bestimmte Abschnit-
te des Interviews beschränkt, werden Beurteilungsfehler vermieden.
y Die Beurteilungsphase bezieht sich zunächst auf das Vorhandensein von beob-
achtbarem Verhalten; die eigentliche Entscheidungsphase ist hiervon getrennt, so
dass hierdurch ebenfalls Beurteilungsfehler vermieden werden.
5. Unterneh- 6. Situative
7. Abschluss
mensinfo Fragen
• Personalmarketing • Darstellung von • Offene Punkte /
• Darstellung des »kritischen« Fragen der
Unternehmens: Kultur, Situationen Bewerber:in
Personalentwicklung, • Bewerber:in bewegt sich • Vereinbarungen /
Anforderungen, mental darin und weitere Schritte /
Perspektiven beschreibt, wie Ausblick
• Fragen der sie sich ver- • Verabschiedung
Bewerber:in halten würde
2.3.4 Assessmentverfahren
Ein Assessmentverfahren wie das Assessment-Center (AC) stellt eine weitere gängige
Verfahrensweise der Personenanalyse dar. Es führt konsequent den eignungsdiagnos-
tischen Grundgedanken des Interviews weiter, indem es das mentale »Sich-Bewegen«
durch anforderungsbezogene Fragestellungen um Simulationen erweitert. Statt sich
also »im Kopf« mit einem Szenario auseinanderzusetzen erwartet die Kandidat:innen
hier das Agieren in einer tatsächlichen Übung.
Ziel dieser Simulation ist es, der tatsächlichen Aufgabenstellung oder zumindest den
darin enthaltenen Anforderungen möglichst nahe zu kommen. Auch hier trifft man als
Durchführender eines AC eine grundsätzliche Entscheidung. Es gibt zwei Vorgehens-
weisen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen:
1. Unternehmensspezifische Verfahren: Die situativen Übungen von unterneh-
mensspezifischen ACs
– spiegeln alltägliche Arbeitssituationen wider und
– integrieren inhaltlich aufeinander aufbauende Szenarien, wobei
– die Teilnehmer:innen in den Übungen Informationen erhalten, die sie bearbei-
ten und die sich dynamisch entwickeln (man spricht hier auch von einem »dy-
namischen AC«).
– Die Übungen sind also so gestaltet, dass sie das Geschehen und die dahinter-
stehenden Anforderungen der Zielposition möglichst genau simulieren, so
dass für die Teilnehmer:innen eine geringe »Transferdistanz« entsteht. Sie be-
kommen so einen relativ genauen Eindruck davon, was sie in der angestreb-
ten Position erwartet. Das unternehmensspezifische Vorgehen des AC kommt
damit einer »Arbeitsprobe« im Sinne eines tatsächlich für einen begrenzten
Zeitraum in der Zielaufgabe Tätigwerdens am nächsten. Damit verbunden ist
natürlich auch ein erheblicher Entwicklungsaufwand, denn die Übungen kön-
nen nicht »zugekauft« werden, sondern müssen spezifisch entworfen werden.
Hierbei greift man idealerweise auf die Ergebnisse vorheriger Anforderungs-
analyseschritte wie der CIT und des abgeleiteten Anforderungsprofils (s. Kapi-
tel 2.2 »Aufgabenanalyse«) zurück.
– Der Nutzen eines unternehmensspezifischen ACs gleicht dem Ergebnis
einer Wertschöpfungskette: Je differenzierter die Anforderungsanalyse im
Vorfeld des AC ist, je mehr Wert auf vorbereitende Schritte wie eine gründli-
che Beobachterschulung gelegt wird, desto höhere prognostische Validität
(s. Exkurs 6 bei den digitalen Extras) werden die Beobachtungsergebnisse
haben.
136 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Anforderungs-
interviews
Anforderungs- Durchführung
profilentwicklung des AC
Dokumenten-
analyse Auswahl und
Beobachter-
Entwicklung der
Konferenz
AC-Übungen
Arbeitsplatz-
beobachtung Beobachter-
Feedback
schulung
Critical Incidents-
Workshops
2. Nicht unternehmensspezifische Verfahren. Die Idee hier ist, dass die Teilneh-
mer:innen zwar hinsichtlich der Anforderungen der Zielposition beobachtet wer-
den, dass aber die Übungen möglichst wenig mit den tatsächlichen Abläufen in der
Zielposition zu tun haben sollen. Neben dem erheblich geringeren Entwicklungs-
aufwand gegenüber unternehmensspezifischen Varianten (es gibt auf dem Markt
ganze »AC-Batterien«, aus denen man einzelne Standard-Übungen »kaufen« kann)
soll dies sicherstellen, dass alle Kandidat:innen auf »neutralem Grund« agieren
können, dass niemand Vorteile bezüglich eines stellenbezogenen Vorwissens ha-
ben soll und dass letztendlich auch gerade die Nähe zur späteren Position, auf die
unternehmensspezifische Verfahren abzielen, vermieden wird, um diesbezüglich
potenzielle Beschwerden zu umgehen (»Aber im AC habt Ihr das Aufgabenspekt-
rum ganz anders dargestellt als es in Wirklichkeit ist!«).
Dies sind unbestreitbar Vorteile dieser Art von AC, die aber mit einem unwiderruf-
lichen Nachteil einhergehen: Man vergibt sich als Unternehmen die Chance eines
»Realistic Job Preview« (s. hierzu mehr in den folgenden Abschnitten), einer rea-
listischen Vorschau auf Aufgabeninhalte und Kulturfaktoren, die für das Agieren
in einer Zielposition notwendig sind. Bei der mittlerweile berühmt-berüchtigten
NASA-Übung, einer Gruppenaufgabe, in der man sich im Team auf eine begrenzte
Anzahl mitzunehmender Gegenstände bei einer notgedrungenen Wanderung über
die Mondoberfläche entscheiden muss, ist die Chance äußerst gering, dass man als
Kandidat:in irgendwann in den Genuss kommt, dies tatsächlich einmal zu erleben.
Gleiches gilt, wenn auch in abgeschwächtem Maße, wenn ich bei einem Lebensmit-
tel-Discounter anfangen möchte und in einer Simulation ein florierendes IT-Start-
up-Unternehmen leite oder als Aspirant:in für eine Marketingabteilung im Rahmen
einer Fallstudie Stadtverwaltung orchestriere. Dennoch ermöglichen beide genann-
ten Beispiele unbesehen die Beobachtung von Anforderungskriterien wie Überzeu-
gungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit.
2.3 Personenanalyse | 137
Für beide Arten von Assessments gilt, dass es um den Abgleich zwischen den unter-
nehmensbezogenen Anforderungen an Kandidat:innen und den Erwartungen eben
dieser Kandidat:innen an das Unternehmen geht – die dahinterstehende Fragestel-
lung lautet also: »Was haben sich beide Seiten gegenseitig zu bieten?«
Verfahren wie psychometrische Tests nicht so einfach sagen lässt (»Was hat ein
Persönlichkeitstest mit meinen Fähigkeiten als Controller zu tun?«). Gerade die-
se Testformen wirken wie eine klassische Prüfungssituation, sind in ihrer Item-
beschreibung und den dahinterstehenden Absichten meist undurchsichtig und
führen daher häufiger zu Reaktanz der Teilnehmer:innen, die sich »durchleuchtet«
fühlen (s. hierzu auch die Hinweise zum Thema »soziale Validität« weiter oben).
y Insofern »ziehen« ACs, sofern sie gut gemacht sind, auch eher als Marketing-Inst-
rument, das ein positives Bild des einstellenden Unternehmens gegenüber poten-
ziellen Bewerber:innen i. S. des Personalmarketings abgibt.
2.3.4.2 Aufbau von ACs
Unserer Meinung nach ist das ein weiterer Vorteil von Assessments: Wenn man schon
den Aufwand betreibt, mehrere Kandidat:innen parallel einzuladen und in einem AC-
System laufen zu lassen, dann sollte man dies auch für Übungen nutzen, die man in
einem »Eins-zu-eins-Kontext« zwischen Bewerber:innen und Unternehmen nicht ge-
nerieren kann. Mit anderen Worten: Man kann mehrere Bewerber:innen in Interaktion
sehen und sollte dies auch nutzen. Natürlich kann dies auch wieder als Nachteil des
Verfahrens ausgelegt werden: Es gibt durchaus kritische Stimmen, die die Frage auf-
werfen, warum man sein eigenes Profil vor »wildfremden Mitbewerber:innen« aus-
breiten sollte.
Optimalerweise hat man also ein AC, das lebendig gestaltet ist, vielleicht sogar eine
Art Mini-Projekt abbildet, wie es beim einstellenden Unternehmen täglich vorkom-
men könnte. Auf diese Art besteht die Chance, eine Auswahlsituation zu generieren,
die möglichst nahe an eine reale soziale Situation herankommen kann, so dass die
Teilnehmer:innen im Verlaufe eines AC-Tages immer tiefer in das Szenario eintau-
chen – und so die Beobachter:innen immer mehr »vergessen« und immer stärker ihr
natürliches Profil zeigen. Aus diesem Grund bestehen moderne ACs in der Regel aus
mehreren situativen Gruppen- und Einzelübungen wie Präsentationen, Teammee-
tings, Rollenspielen, Interviews usw., die gewissermaßen den geringstmöglichen Abs-
traktionsgrad von tatsächlich existierenden Unternehmenssituationen darstellen (s.
die oben angesprochene »ökologische Validität«).
2.3 Personenanalyse | 139
Kognitive, Leistungs-,
Intelligenz- und Persönlichkeitstests
Online-ACs
AC: Rollenspiele,
Gruppendiskussionen etc.
Arbeitsprobe
Reale
Arbeitssituation
Abb. 24: Abstraktionsebenen verschiedener Auswahlverfahren bezogen auf die reale Arbeitssituation
kontakt (»Bitte führen Sie ein Gespräch mit einer Mitarbeiter:in, deren Leistungen
in den letzten 5 Monaten kontinuierlich gesunken sind.«; »Sie werden gleich einen
Kunden kennenlernen, der sich in den letzten Monaten immer wieder beschwert
hat …«).
y Schriftliche Aufgaben: Hier ist sicherlich der berühmt-berüchtigte Postkorb zu
nennen, d. h. die Aufgabenstellung für die Kandidat:innen, eine Vielzahl an Doku-
menten, die in einem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang und teils in Kon-
flikt zueinanderstehen, in einem engen Zeitrahmen zu analysieren, zu bearbeiten
und zu priorisieren. Hiervon gibt es mittlerweile unzählige Vorlagen und EDV-ba-
sierte Varianten. Auch Fallanalysen kommen häufig vor, d. h. die Bearbeitung eines
Szenarios und der entsprechenden Kennzahlen, oftmals als Vorbereitung für nach-
folgende Interaktionsaufgaben (Rollenspiele, Präsentationen, Gruppenarbeiten).
y Interviews (s. vorheriges Kapitel): Auch Interviews sind oftmals Bestandteil von
ACs, insbesondere wenn es um Fragestellungen geht, die sich nur bedingt in be-
obachtbare Situationen überführen lassen (z. B.: Einstellung zur Arbeit, Loyalität
zum Arbeitgeber, Commitment, innere Werthaltungen usw.).
y Psychometrische Testverfahren (s. hierzu Kapitel 2.3.2 »Psychometrische Verfah-
ren als Teil der Personenanalyse«) Leistungsbezogene Testverfahren wie Intelli-
genz- oder Konzentrationstests, aber auch Persönlichkeitstests werden ebenfalls
als Bestandteil des Verfahrens eingesetzt, insbesondere bei Einstiegspositionen
und bei Ausbildungsstellen oder wenn die Position einen bestimmten Fokus be-
inhaltet, der sich gut über spezifische Testverfahren überprüfen lässt (z. B. stark
belastende Aufgaben – Fragebogen zur Stressverarbeitung; Vertriebsaufgaben –
Optimismusfragebogen).
Im Folgenden finden Sie einen Beispiel-Ablaufplan für ein AC im Rahmen eines Füh-
rungskräftenachwuchspools, um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln, wie sich ein
unternehmensspezifisches, dynamisches Verfahren mit inhaltlich aufeinander auf-
bauenden Übungen gestalten lässt.
y Präsentation 1: Wesentliche Ergebnisse des ersten Teams werden vor einem Geschäfts-
führungs-Gremium in Einzelpräsentationen dargestellt; kritische Fragen, auf die ad-
äquat reagiert werden muss
Fokus: Verantwortung übernehmen, zu eigenen Entscheidungen stehen, hartnäckig sein,
sich gegen Widerstand (auch von oben) durchsetzen, flexibel auf Fragen reagieren, argu-
mentieren und begeistern; mit belastender Präsentationssituation erfolgreich umgehen
y Rollenspiel 1: Kundengespräch, bei dem das Kunden-Center 2022 und dessen Vorteile
für den Kunden vorgestellt werden soll; der Kunde agiert offen, hat aber nach der Hälfte
des Gesprächs einige kritische Punkte (falsche Lieferung, Service, Abwicklung), auf die
adäquat reagiert werden muss
Fokus: Zuhören können, gut argumentieren, flexibel und kundenorientiert agieren; Er-
gebnis- und Qualitätsorientierung in der Argumentation berücksichtigen
y Teamübung 2: Ausgangssituation Kunden-Center 2022, Spezialthema »Führung«; die
Teammitglieder haben die Aufgabe, ein strategisch fundiertes Mitarbeiterentwicklungs-
konzept für das Center vorzubereiten; Analyse der Führungssituation; zukünftige Anfor-
derungen an Mitarbeiter:innen; Ableitung eines Personalentwicklungskonzepts für das
Kunden-Center 2022
Fokus: In Mitarbeiterperspektive hineindenken, andere Sichtweisen akzeptieren, eigene
Führungskultur erkennen, situative Führungsanforderungen beschreiben, führungsbezo-
gene Ziele im Auge behalten, Delegation einführen, Verbesserungsansätze erkennen, auf
die Entwicklung der Mitarbeiter:innen fokussieren
y Rollenspiel 2: Vermittlung der Ergebnisse von Team 2 gegenüber einer kritisch ein-
gestellten Mitarbeiter:in mit langjähriger Erfahrung; zudem bringt die Mitarbeiter:in
derzeit keine guten Leistungen, daher müssen Verbesserungsansätze hierfür abgeleitet
werden; die Mitarbeiter:in wurde in der Vergangenheit bezüglich ihrer persönlichen Kar-
rierevorstellungen enttäuscht; zusätzlich ist derzeit Arbeitsdruck im Bereich sehr hoch
Fokus: Auch in schwierigen Situationen Ergebnisse des Bereichs im Auge behalten, sich in
die Mitarbeiter:in einfühlen, sie in ihrer Entwicklung begleiten wollen, Führungstechniken
einsetzen, Ideen zur Mitarbeiterförderung entwickeln, partnerzentriert argumentieren,
Konfliktpotenzial abfangen; im Anschluss: Selbstreflexion bezüglich der eigenen Wirkung
und der empfundenen Belastung
Tag 2
y Interview: Semi-strukturiertes Interview bezogen auf die Kriterien Kostenbewusstsein/
Profitdenken, Gestaltungs- und Durchsetzungsfähigkeit, Führungstechniken, Mitarbei-
terförderung, Flexibilität; 2 Interviewer:innen in 2 parallelen Gruppen, je 4 Teilneh-
mer:innen hintereinander
y Verhandlungsübung: Konfliktträchtiges, internes Verhandlungsgespräch, in dem je
zwei Teilnehmer:innen miteinander diskutieren (z. B. Verkauf/Service oder Service/
Controlling); zugrundeliegende Ressourcen- oder Zielkonflikte (z. B. Auslastung in der
Werkstatt, interne Abnahmepreise, Halten an kaufmännische Prozesse); beide haben
die Aufgabe, eine gemeinsame Lösung zu entwickeln
Fokus: Fähigkeit, auch in konfliktreichen Situationen offen zu informieren und zu koope-
rieren, zuhören können, anspruchsvolle Konflikte gemeinsam lösen; andere Sichtweisen
akzeptieren, anschließend Selbstreflexion bezüglich persönlicher Verbesserungsansätze
im Gespräch
142 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Die Beobachter:innen erhalten neben den vollständigen Informationen aus den Teil-
nehmerunterlagen weiterführende Informationen: In den Beobachterunterlagen wird
über die Aufgabeninstruktion für die Teilnehmer:innen hinaus auf Ziele, Beobach-
tungskriterien, Besonderheiten der jeweiligen Übung und ggf. auf Rollenspielanwei-
sungen eingegangen.
Wir haben nun etwas über die Hintergründe, den grundlegenden Aufbau und »typische«
Übungen im AC erfahren. Lassen Sie uns jetzt einen Blick auf das methodische Spezifi-
kum eines Assessments werfen: die Beobachtung während des Verfahrens. Diese findet
vor dem Hintergrund einer Systematik statt, die uns in Kapitel 2.2 »Aufgabenanalyse«
bereits beschäftigt hat: das Anforderungsprofil. Im AC werden anhand der Übungen ent-
sprechende Kompetenzdimensionen mit zugehörigen Kriterien überprüft, die eine Kan-
didat:in erfüllen sollte, um ihre Aufgaben in der Zielposition erfolgreich zu bewältigen
oder Potenzial für zukünftige Aufgaben zu zeigen. Die Kriterien werden so ausgewählt,
dass sie ein umfassendes oder sogar vollständiges Anforderungsprofil der Zielaufgabe
widerspiegeln. Im AC werden in erster Linie Kompetenzen aus dem Bereich der sog.
»soft skills«, also Kriterien aus den Bereichen der sozialen, persönlichen und methodi-
schen Kompetenz erhoben. Fachkompetenz steht in der Regel nicht im Vordergrund.
Optimalerweise sollten die Kandidat:innen die relevanten Kriterien kennen (im Sin-
ne der sozialen Validität, insbesondere der »Transparenz« des Verfahrens, s. Exkurs 9
zum Thema »Soziale Validität in Assessment-Centern« bei den digitalen Extras) – das
bedeutet nicht, dass man bei jeder Übung erwähnt, welche Kriterien nun »dran sind«.
Das wäre kontraproduktiv, da es die Teilnehmer:innen dazu verführen könnte, die ge-
hörten Kriterien zu bedienen und damit das zu zeigen, was man mit der Methode des
AC genau vermeiden möchte: sozial erwünschtes Bewerberverhalten. Aber die Betei-
ligten sollten wissen, worum es dem Unternehmen insgesamt geht, d. h. das gesamte
2.3 Personenanalyse | 143
Anforderungsprofil sollte vor Beginn des ACs vermittelt werden. Dies trägt auch dazu
bei, dass die Kandidat:innen etwas zur Unternehmenskultur erfahren und verstehen,
worauf es der Firma im Zusammenspiel mit Kunden und eigenen Mitarbeiter:innen
ankommt – eine gute Voraussetzung, um entscheiden zu können, ob diese Anforde-
rungen zu den eigenen Stärken und Schwächen sowie der Erwartungshaltung an den
möglichen Arbeitgeber passen. Wie erwähnt: ein gutes AC versucht eine Plattform da-
für zu liefern, dass Kandidat:in und Unternehmen eine bewusste, getragene Entschei-
dung hinsichtlich der gegenseitigen Passung treffen können.
An dieser Stelle laufen nun der inhaltliche Aufbau – Welches Szenario soll zugrunde
gelegt, welche Übungen sollen integriert werden? – und der methodische Aufbau –
Welche Kriterien sind relevant, in welchen Übungen beobachten wir was? – des ACs
zusammen und nehmen Einfluss aufeinander. Zum einen muss man sich als AC-Kons-
trukteur überlegen, welche Übung welche Kriterien triggern sollen.
Gleichzeitig sollte man berücksichtigen, dass Beobachter:innen immer nur eine be-
grenzte Anzahl an Kriterien parallel wirklich trennscharf erfassen können. Sowohl
Forschungsergebnisse (Schuler, 1989, Dreher & Sackett, 1983, Klein & Scheffler-Lipp,
1989) als auch Rückmeldungen von AC-Beobachter:innen aus der Praxis belegen, dass
die Beobachtungsqualität massiv nachlässt, wenn man mehr als 7 Kriterien gleich-
zeitig beurteilen soll. Man neigt dann dazu, »in einem Rutsch« zu beurteilen, d. h. ge-
danklich passiert dann ungefähr Folgendes: »Kommunikationsfähigkeit war ja bei ihr
ganz gut, also meine ich, dass auch die Verhandlungsfähigkeit gut war, ist ja so was
ähnliches …« – die Abgrenzungen zwischen den Kriterien verwischen einfach, wenn
wir zu viel auf einmal beobachten sollen. Daher empfehlen wir als Richtwert, maximal
4 Kriterien pro Übung beobachten zu lassen. Nimmt man dies als Grundregel an und
koppelt dies noch mit der Maßgabe »jedes Kriterium in mindestens 2 Übungen beob-
achten«, so hat die Anzahl der Kriterien des relevanten Anforderungsprofils natürlich
auch eine unmittelbare Auswirkung auf die notwendige Anzahl der Übungen: ein An-
144 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
forderungsprofil, das aus 10 Kriterien besteht, erfordert dann z. B. schon ein AC, das
mindestens 5 Übungen beinhaltet.
Um sich bei der Zusammenstellung oder Entwicklung eines ACs nicht zu »verplanen«,
empfiehlt es sich mit dessen Kernstück zu beginnen: der Anforderungs-Aufgabenma-
trix (s. Tab. 10). Diese gibt uns eine zentrale Übersicht, welche Kriterien in welchen
Übungen wie oft beobachtet werden.
2.3.4.4 Beobachter:innen im AC
Entsprechend der Struktur eines Assessments brauchen Sie natürlich eine ausrei-
chende Anzahl geeigneter Beobachter:innen. Diese zu gewinnen stellt durchaus eine
Herausforderung dar, denn es ist natürlich nicht ohne, einen oder mehrere Tage aus
dem operativen Geschäft herausgenommen zu werden, um in einem AC in dieser Rolle
zu fungieren – zumal die Tätigkeit die volle Aufmerksamkeit über den gesamten Tag
hinweg erfordert und »nebenbei noch etwas am Laptop erledigen« absolut »nicht
drin« ist. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass nach der ersten Hürde, dem
erstmaligen Gewinnen der Beobachter:innen, in aller Regel das »Beobachter -Eis« ge-
brochen ist. Viele Beobachter:innen ziehen aus der Aufgabe sehr viel für sich selbst
heraus und bestätigen uns immer wieder, dass sie die AC-Beobachtung als persön-
lichen Entwicklungsschritt für sich sehen. Die meisten Beobachter:innen motiviert es
auch einfach, an der Weiterentwicklung des Unternehmens mitzuwirken und mitzu-
gestalten, welche Mitarbeiter:innen neu dazu stoßen oder in weitere Führungspositio-
nen aufsteigen. Dadurch leisten sie einen aktiven Beitrag zur Entwicklung der eigenen
Unternehmenskultur. Nicht selten entwickeln sich AC-Beobachter:innen auch zu Mul-
tiplikatoren und sprechen wiederum andere Kolleg:innen an, die dann für weitere
Durchführungen zur Verfügung stehen.
Auf welche Aspekte ist bei der Auswahl von Beobachter:innen zu achten?
y Geeignete Hierarchie-Ebene: Wenn möglich, sollte man es vermeiden, potenziel-
le direkte Vorgesetzte als Beobachter:innen einzusetzen. Hier geht es zum einen
um die Möglichkeit, tatsächlich neutral beobachten zu können, zum anderen
spielt aber auch prozessurale Gerechtigkeit mit hinein: wenn Sie einem direkten
Vorgesetzten gewähren, als Beobachter:in zu fungieren, müssten Sie dies schluss-
endlich auch allen anderen potenziellen direkten Vorgesetzten gewähren, was das
AC schnell zu einer »Massenveranstaltung« werden lassen kann (zur notwendigen
Anzahl von Beobachter:innen, s. u.).
y Vertrautheit mit den Stellenanforderungen der Zielposition und dem Anforderungs-
profil: Natürlich hilft es, wenn die Beobachter:innen wissen, worum es in der Position
geht und wenn sie mit den Bewertungskriterien vertraut sind (s. nächster Punkt)
y Beobachterschulung: Wir hatten bereits im Rahmen des Exkurs 8 zum Thema
»Eignungsdiagnostik als soziale Situation« über die Notwendigkeit der Beobach-
terschulung gesprochen; je intensiver diese ist, desto sicherer bewegen sich die
Beobachter:innen später durch das Verfahren selbst und desto mehr Ressourcen
haben sie für die eigentliche Beobachtung im Rahmen des AC parat.
y Eigene Erfahrung mit dem Verfahren: Bei länger etablierten AC-Systemen scha-
det es auch nicht, nach einigen Jahren ehemalige Teilnehmer:innen als Beobach-
ter:innen einzusetzen. Diese Zielgruppe kann oftmals besonders gut abschätzen,
wie das anforderungsbezogene Verhalten, das man im AC beobachten konnte, in
Zusammenhang mit den späteren Stellenanforderungen steht. Natürlich gilt es
2.3 Personenanalyse | 147
hier wiederum, die geeignete Führungsebene zu beachten (s. Punkt 1): es emp-
fiehlt sich z. B. nicht Trainees aus dem ersten Programmjahr als Beobachter:innen
für das AC der Nachfolgegeneration einzusetzen – hier ist die Distanz zwischen Be-
obachteten und Beobachter:innen einfach zu gering.
y Beteiligung von Personalreferent:innen, geschulten Psycholog:innen oder ex-
ternen Moderator:innen: Unserer Wahrnehmung nach bewährt sich immer ein
Mix aus unterschiedlichen »Beobachter-Brillen«, z. B. ein operativer Blickwinkel
der Führungskräfte des Unternehmens und ein PE-Blickwinkel der entsprechen-
den Expert:innen aus der Stabsstelle; oder eine Mischung aus internen und exter-
nen Beobachter:innen, die ebenfalls unterschiedliche Blickwinkel abbilden.
Wie viele Teilnehmer:innen lädt man ein, wie viele Beobachter:innen braucht man? Als
Faustregel kann man sich merken, dass das Verhältnis Kandidat:innen zu Beobachter:in-
nen 2:1 sein sollte: bei 8 Teilnehmer:innen braucht man mindestens 4 Beobachter:innen.
Gleichzeitig sollte man nicht den Ehrgeiz entwickeln, eine Eins-zu-eins-Beobachtungssi-
tuation herzustellen. Zum einen sind in einem AC sowieso schon viele Leute gemeinsam
unterwegs und irgendwann fühlt sich auch der größte Raum überfüllt an, zum ande-
ren haben die Beobachter:innen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sie müssen gewis-
senhaft und den Kandidat:innen gerecht werdend beobachten und sich entsprechend
intensiv über ihre Beobachtungen austauschen (s. u., die sogenannte Beobachterkonfe-
renz). Dies begrenzt auch wieder die sinnvolle Anzahl an Beobachter:innen.
Eine AC-Beobachtung stellt eine Methode dar, die darauf aus ist, Wahrnehmungsein-
drücke, die wir als Menschen immer und überall empfinden, zu systematisieren und so
objektiv wie möglich zu gestalten. Menschliche Wahrnehmung wird niemals »objek-
tiv« sein können, aber wir können zumindest die Subjektivität durch bewusste Beob-
achtung und das Trennen von Beobachtung und Beurteilung zurückdrängen. Wir alle
kennen Gedanken wie »Na, wie der hier schon reinkommt, das kann ja nix werden!«
148 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
oder »Also, wenn ich die Aufgabe hätte, ich wäre das viel besser angegangen!«; sie
sind menschlich, haben aber nichts bei einer AC-Beobachtung verloren. Es gilt, dass
sich die AC-Beobachtung auf klar umgrenzte, dafür ausgeschriebene Beobachtungs-
situationen (Übungen) auf Basis der zugeordneten Kriterien beschränkt, um zu einer
methodisch sauberen Beurteilung zu führen.
Teilneh- Beobachter:innen
mer:in
1 AB AB CD CD AB ABCD CD
2 AB AB CD CD AB ABCD CD
3 AB AB CD CD AB ABCD CD
4 AB AB CD CD AB ABCD CD
Die Beobachterkonferenz findet nach Ablauf der letzten Übung des Tages statt; wäh-
renddessen pausieren die Kandidat:innen. Bei mehrtägigen ACs gibt es meist an je-
dem Tag eine Zwischenbeobachterkonferenz. In der Konferenz gibt zunächst jede
Beobachter:in ihre individuelle Kandidatenbeurteilung ab. Daraufhin integrieren die
Beobachter:innen ihre Verhaltensbeobachtungen und kommen bezüglich der einzel-
nen Kandidat:innen zu einer Beurteilung, die sich auf die jeweiligen Kriterien bezieht.
Hier ist eine Konsensentscheidung einer Mehrheitsentscheidung vorzuziehen. Sollten
bei den gleichen Beobachter:innen regelmäßig Einschätzungsunterschiede – bei einer
sechsstufigen Skala z. B. von mehr als 1 Skalenpunkt – auftreten, so klärt man gemein-
sam die Hintergründe dieser Unterschiede im Gespräch, um mögliche Wahrnehmungs-
tendenzen und -auslöser aufzudecken (Leitfrage: »Warum hat die Kandidat:in bei dir in
der Übung ein so anderes Bild als bei mir hinterlassen?«). Diese stellen oft eine interes-
sante Quelle für spätere Feedbackinhalte in Richtung der Kandidat:innen dar.
2.3.4.5 Feedback
Wir empfehlen, das Feedback an die Kandidat:innen noch am Nachmittag des letzten
Beobachtungstages zu geben. Bei dem genannten 2:1-Schlüssel läuft das Feedback in
2 »Tranchen«, d. h. in zwei aufeinanderfolgenden Einzelsitzungen, so dass jeweils eine
Beobachter:in hintereinander Feedback an zwei Kandidat:innen gibt. Um die Wartezeit
der zweiten, die Rückmeldung noch erhaltenden Kandidat:innen nicht unnötig zu ver-
längern, sollte die Rückmeldungszeit nicht mehr als 30 Minuten pro Person betragen.
150 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Der Inhalt des Feedbacks bezieht sich dabei immer auf die im AC enthaltenen Anfor-
derungskriterien, nicht auf die »Persönlichkeit« der Kandidat:in. Das Feedback wird
wertschätzend vermittelt, um bei der Kandidat:in Demotivation und negatives Perso-
nalmarketing zu vermeiden. Das bedeutet, dass man Wahrnehmungen (nicht »Wahr-
heiten«) vermittelt, die andere Seite zu Kommunikation auf Augenhöhe einlädt, d. h.
auffordert, die eigene Sichtweise einzubringen. Stärken- und Schwächeneinschätzun-
gen werden mit beobachteten Verhaltensbeispielen belegt, optimalerweise entlang
eines grafisch dargestellten Profils (s. Beispiel-Profil). Und natürlich steht ein wert-
schätzendes Feedback auch für eine potenzialorientierte Darstellung der wahrgenom-
menen Schwächen (»Verbesserungsmöglichkeiten sehen wir in den Bereichen ...«)
verbunden mit Vorschlägen zu entsprechenden individuellen Fördermaßnahmen.
Rechnen Sie damit, dass sich Kandidat:innen auch an einzelnen Beobachtungen oder
Werten »festbeißen«. Das ist verständlich: Sie wollen verstehen, wie Dritte zu dieser
Einschätzung gekommen sind, denn bei dem AC geht es für die Teilnehmer:innen um
etwas. Hier helfen eben auch wieder konkrete Beobachtungsbeispiele – diese sollten
Sie liefern können. Sollte es so sein, dass Ihr Gegenüber dann sagt »Das habe ich bei
mir aber ganz anders wahrgenommen«, so ist das in Ordnung: Sie stellen die abge-
stimmte Wahrnehmung der Beobachter:innen dar, die andere Seite hat ihren eigenen
Blickwinkel und ihr steht es nun frei, die abweichende Beobachtung innerlich im Sinne
eines Lernfeldes anzunehmen oder unter »Da hat man mich falsch gesehen« abzule-
gen.
2.3.4.6 Akzeptanz und Transparenz
Wie bereits mehrfach erwähnt: Das Verfahren sollte so angelegt sein, dass es für die
Kandidat:innen größtmögliche Transparenz bietet: Ziele und Ablauf des ACs werden
den Teilnehmer:innen offengelegt. Durch die gegebene Transparenz werden die Kan-
didat:innen weniger zu »schauspielerischen Leistungen« und Impression Manage-
152 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
ment verleitet, weil sie nicht erst »erraten« müssen, was von ihnen gefordert wird.
Damit wird die Reliabilität und die Validität des Verfahrens potenziert, denn die Teil-
nehmer:innen können zeigen, wer sie wirklich sind.
Wohl wissend, dass viele »Personaler« mit juristischem Background beim folgenden
Hinweis zucken werden – wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Verschriftlichung
des Feedbacks ebenfalls als große Wertschätzung der Kandidat:innen empfunden
wird, die ihnen das Unternehmen entgegenbringt. Rückmeldungen wie »Das hat mir
geholfen, an mir zu arbeiten und mich in weiteren Auswahlverfahren viel besser auf-
stellen zu können!« sind dann keine Seltenheit.
2.3.4.7 Einzel-Assessment-Center / Audits
Ein Einzel-Assessment-Center (EAC) oder Einzel-Audit ist ein meist eintägiges Ver-
fahren, das man auch als ein strukturiertes Gespräch zwischen einer Positionsan-
wärter:in und einer oder mehreren externen Expert:innen bezeichnen könnte. Es ist
so aufgebaut, dass mittels unterschiedlicher Verfahren ein möglichst differenziertes
2.3 Personenanalyse | 153
und facettenreiches Bild der Bewerber:in in Bezug auf die definierten Unternehmens-
Kompetenzen entwickelt werden kann.
Die Entwicklung eines EACs liegt vom Aufwand her zwischen der Erstellung eines se-
mi-strukturierten Interviews (etwas aufwendiger, weil man meist noch Fallanalysen
u. Ä. integriert, s. u.) und Gruppen-ACs (etwas weniger aufwendig, weil die gesamte
AC-Organisation einer Gruppe von Teilnehmer:innen bei einem Einzel-Assessment
natürlich nicht nötig ist).
In der folgenden Tabelle finden Sie neben der Übersicht über die Implementierungs-
phasen eine Aufwandseinschätzung für die Entwicklung, Durchführung und Nachbe-
reitung eines EACs.
3. Phase: Erstellen eines schriftlichen Feedbacks für die Kan- 0,5 – 1 Tag
Auswertung didat:in
Übersicht EAC-Instrumente
Übersicht EAC-Instrumente
Die Notwendigkeit der Anwendung einzelner Verfahren sollte immer durch den Zu-
satznutzen bestimmter Informationen definiert sein, die nicht allein durch die Inter-
viewteile des EAC gewonnen werden können. Gerade psychometrische Tests stellen
immer nur eine zusätzliche Facette eines Gesamt-Profils dar (s. Kapitel 2.3.2 »Psycho-
metrische Verfahren als Teil der Personenanalyse«): dies sollte auch der Kandidat:in
gegenüber vermittelt werden.
Auch hier sollte man dem Gegenüber im Verfahren auf Augenhöhe begegnen (Stich-
wort »Soziale Validität«, s. weiter oben in diesem Kapitel), denn ein solcher Austausch
über den gesamten Tag ist durchaus intensiv. Diese partnerschaftliche Auffassung be-
dingt, der Bewerber:in gegenüber das Vorgehen transparent zu machen und ihr die
Gelegenheit zu bieten, aktiv und gemeinsam mit den Assessor:innen an der Prüfung
der Passung zwischen eigenen Wünschen und denen des Unternehmens zu arbeiten.
156 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Die Bewerber:in wird daher bereits im Vorfeld des eigentlichen EAC und nochmals zu
Beginn des Verfahrens über diese Sichtweise, den geplanten Ablauf und die vorgese-
henen Instrumente unterrichtet.
Der Einsatz von zwei Beobachter:innen dient dazu, sowohl die Interviews als auch die
Beurteilung insgesamt aus unterschiedlichen Blickwinkeln vorzunehmen. Besonderer
Wert sollte dabei auf die Zweiteilung in eine strukturorientierte (Beobachter:innen des
auswählenden Unternehmens) und eine psychologische Sichtweise (PE-Abteilung oder
externe Psycholog:innen) gelegt werden. Die Kombination dieser Perspektiven lässt
eine breit gefächerte und dadurch aussagekräftige Beurteilung der Bewerber:in zu.
Viele Teilnehmer:innen eines EACs konstatieren am Ende des Tages, dass sie die in-
tensive Auseinandersetzung mit ihnen als Person auch als große Wertschätzung des
Unternehmens ihnen gegenüber empfinden.
Um zu verdeutlichen, wie ein EAC aufgebaut ist, finden Sie hier einen beispielhaften
Ablauf.
Beispielablauf EAC
Beispielablauf EAC
12.30 – Mittagspause
13.30
2.3.5 Integrationsrunden
Wir haben uns bisher mit unterschiedlichen Methoden der Personenanalyse ausein-
andergesetzt:
y Selbstbild-Fremdbild-Abgleiche, die einen systematischen Austausch von Wahr-
nehmungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln entlang konkreter Anforderungs-
kriterien beinhalten – mit dieser Methode kann die Mitarbeiter:in ihren eigenen
Blickwinkel bezüglich des persönlichen Profils am besten einbringen und der
Selbstbild-Fremdbild-Abgleich berücksichtigt stärker Dauerleistungen, da er sich
meist auf einen längeren »Beobachtungszeitraum« bezieht.
y Interviews, die einen deutlich stärkeren Fremdbildanteil haben, ebenfalls anfor-
derungsbezogen sind und versuchen, eine Vorhersage für die Eignung einer Be-
werber:in mittels eines fragenorientierten strukturierten Austauschs zu machen.
y Assessments, die ebenfalls einen großen Fremdbildanteil haben und dasselbe
anstreben wie Interviews, bloß dass sie, zumindest in der Gruppen-AC-Varian-
te, Simulationen als Grundlage hierfür einsetzen und somit versuchen, eine Art
»aktuelle Arbeitsprobe« abzurufen. Sowohl das Interview als auch das AC versu-
chen natürlich auch Informationen über »Dauerleistungen« der Kandidat:innen
zu gewinnen, stellen aber für diese selbst eher Prüfungssituationen dar, in denen
»Spitzenleistungen« erbracht werden sollten. Auf die dahinterliegende Gefahr der
Neigung zum »Impression Management« und die möglichen Abfanglinien durch
transparente, faire Verfahren haben wir mehrfach verwiesen (s. Stichwort »Soziale
Validität« weiter oben in diesem Kapitel).
Wie laufen nun Daten, die man aus den unterschiedlichen Methoden der Personen-
analyse gewonnen hat, zusammen? Wie bespricht man diese im Unternehmen, um zu
einem Ergebnis hinsichtlich weiterer Schritte zu kommen? Die Antwort auf diese Fra-
gen bringt uns zu der Integrationsrunde.
Darunter versteht man eine Managementrunde, in der in aller Regel die Führungs-
kräfte der Mitarbeiter:innen vertreten sind, die an einem PE-Prozess teilnehmen, und
»Methodenvertreter:innen«, also z. B. Kolleg:innen aus der Personal- oder Personal-
entwicklungsabteilung. Weiterhin finden sich dort, je nach Zielposition und Unterneh-
men, Vertreter:innen des Betriebs- oder Personalrats und ggf. externe Begleiter (z. B.
wenn Personenanalyseprozesse teils oder ganz nach außen vergeben worden sind).
2.3 Personenanalyse | 159
Beispiel: Personenanalyseprozess
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bereich mit 30 Mitarbeiter:innen, die durch eine spe-
zifische Entwicklungsmaßnahme laufen sollen, da sich die Anforderungen in der Aufgabe
verändert haben. Die Mitarbeiter:innen haben alle ein Potenzial-Assessment absolviert.
Nun geht es darum, alle 30 Ergebnisse zu integrieren, gleichzeitig mit den Eindrücken der
Führungskräfte des Bereichs bezüglich der »Dauerleistung« der einzelnen Kandidat:in-
nen zu verknüpfen und daraus entsprechende Entwicklungsschritte für jede(n) abzulei-
ten.
Dies ist ein typisches Szenario für eine Integrationsrunde (in einigen Unternehmen
auch »vergleichende Durchsprachen« genannt).
Natürlich gibt es auch Integrationsrunden, die nicht auf die Daten eines vorgeschal-
teten Prozesses zurückgreifen. Hier sitzen die Entscheider:innen des Unternehmens,
oftmals turnusmäßig, zusammen, um in offenen Gesprächen über potenzielle Nach-
rücker für das Management oder anstehende Beförderungen zu diskutieren. Auch hier
wird über Leistungswahrnehmungen und vermutete Potenziale von Kandidat:innen
diskutiert, allerdings ist der Anteil »objektivierbarer« Daten, die in die Diskussion ein-
fließen, meist geringer. In bestimmten Bereichen kann man offensichtliche Leistungs-
daten und Kennzahlen heranziehen: im Verkauf ist das recht einfach, ebenso, wenn
man Zielerreichungsgrade überprüfen kann. Ganz oft geht es hier aber auch um »Ein-
drücke« von einzelnen Kandidat:innen, die bei 2 bis 3 Hierarchiestufen höher angesie-
delten Führungskräften ausgelöst wurden.
Damit Eindrücke entstehen, muss man natürlich etwas von den Menschen »sehen«,
daher spricht man in vielen Unternehmen von der »Eigenschaft« der »Sichtbarkeit« der
Kandidat:innen: Wenn man sich im Unternehmen durch Aktionen, besonderen Ein-
satz oder herausragende Ideen hervortut, wird dies im oberen Management wahrge-
nommen und im Sinne eines »Da ist doch Potenzial für mehr« goutiert. Das Problem
des Konzeptes »Sichtbarkeit« besteht natürlich darin, dass es immer zwei braucht:
eine, die sich zeigt und eine, die hinschaut. Und: nicht jeder im Unternehmen hat eine
Position, in der »Sichtbarkeit« generiert werden kann, macht aber trotzdem ggf. einen
exzellenten Job. Die Vermutung liegt daher nahe, dass in den beschriebenen offenen
Integrationsrunden der Spielraum für nicht objektivierbare Bauchentscheidungen
etwas größer ist, so dass diese einen stark »kulturbildenden« Vorgang darstellen, in
dessen Rahmen gemeinsam entschieden wird, wer denn in Zukunft zu eben dem Krei-
160 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Nehmen wir unser Beispiel der 30 Mitarbeiter:innen, die durch die Integrationsrunde
laufen sollen. Setzt man eine Mindestdauer von 30 Minuten pro Kandidat:in an, so soll-
te man hier mit 2 sehr vollen Tagen Integrationsrunde (oder 3 etwas entspannteren
Tagen!) rechnen. Vor dem Hintergrund dieser organisatorischen Anforderungen ist es
sicherlich nachvollziehbar, dass Sie die zugrundeliegenden Daten gut aufbereitet ha-
ben müssen, um sie schnell abrufen und darstellen zu können.
Auf der Basis einer solchen Checkliste, wie sie in den digitalen Extras dargestellt ist,
kommen Sie zu fundierten PE-Entwicklungsansätzen, die in ihrer Qualität auch den
Mitarbeiter:innen gerecht werden, die sich zuvor in entsprechenden Personenanaly-
se-Instrumenten eingebracht, gezeigt und geöffnet haben.
2.3.6 Bildungsbedarfsanalyse
Die Bildungsbedarfsanalyse stellt ein Thema dar, das die Klammer zwischen der An-
forderungsanalyse und dem Maßnahmendesign (s. folgendes Kapitel) bzw. der Um-
setzung der PE-Maßnahmen (s. Kapitel 4 »Instrumente der Personalentwicklung«)
bildet. In sie fließen unterschiedliche Fragestellungen mit hinein, die wir bereits in den
drei Ebenen der Anforderungsanalyse kennengelernt haben:
y Strategische Fragen: In welche Richtung wollen wir das Unternehmen entwi-
ckeln? Welche übergeordneten Ziele verfolgen wir? Welche strategische Ausrich-
tung nimmt dabei die PE ein? – s. Organisationsanalyse
y Prozess- und Strukturfragen: Welche Aufgaben und Prozesse haben wir, welche
brauchen wir in Zukunft? Welche Strukturen brauchen wir dafür? Welche Anforde-
rungen ergeben sich daraus? – s. Aufgabenanalyse
y Fragen bezogen auf die Mitarbeiter:innen: Wie gut sind wir hierfür aufgestellt?
Welche Fähigkeiten, Potenziale, Erfahrungen, Know-how, Fachwissen haben wir
hierfür im Unternehmen, welche müssen wir entwickeln?
Vor dem Hintergrund dieser Fragen wird bei einer Bildungsbedarfsanalyse eine Matrix
erstellt, in der – meist bereichs- oder abteilungsbezogen – alle Mitarbeiter:innen ab-
gebildet sind und dazu tabellarisch angeführt wird, welche Entwicklungsschritte für
den Einzelnen vorgesehen sind. Diese können das gesamte Spektrum abbilden, von
162 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Ähnlich wie bei der Anforderungsanalyse insgesamt kann auch eine Bildungsbedarfs-
analyse unterschiedlich intensiv mit erhobenen Daten arbeiten, die potenziell darin
einfließen können. Man kann sie stärker »aus dem Bauch heraus« zusammenstellen
und eher auf der Basis von Dialogen mit Mitarbeiter:innen und Führungskräften befül-
len oder aber mit Daten aus der Organisationsanalyse, z. B. einer SWOT-Analyse, einer
Aufgabenanalyse, z. B. Ergebnissen des KFZA (s. Kapitel 2.2.1.4), und einer Personen-
analyse, z. B. einem Selbstbild-Fremdbild-Abgleich, unterlegen.
In den beschriebenen Beispiel-Instrumenten, die Sie bei den digitalen Extras finden,
treffen Sie auf viele PE-Maßnahmen in Form von Überschriften und Schlagwörtern,
2.3 Personenanalyse | 163
auf die wir auf unserer bisherigen Reise durch den PE-Zyklus noch nicht inhaltlich ein-
gegangen sind. Auf Themen wie Trainings, Coachings oder mögliche On-the-job-Maß-
nahmen kommen wir ausführlich in Kapitel 4 »Instrumente der Personalentwicklung«
zurück.
An dieser Stelle möchten wir ein heikles Thema aufgreifen, das in Lehrbüchern zum
Thema »Personalentwicklung« eher selten Erwähnung findet und aus unserer Sicht
gut zu Kapitel 2.3 »Personenanalyse« passt: Es geht um Menschen, für die Personal-
entwicklung im klassischen Sinne nicht (mehr) funktioniert. Es geht also um Fragen
wie:
y Was ist, wenn jemand scheinbar nicht mehr dazu lernen kann oder will?
y Was tun, wenn jemand offensichtlich alles, was mit Trainings, Schulungen oder
Entwicklungsmaßnahmen zu tun hat, kategorisch ablehnt?
y Was ist, wenn jemand neue Aufgabenstellungen augenscheinlich vermeidet und
sich auf ein eng umgrenztes Stellenprofil zurückzieht?
y Wie geht man damit um, wenn bei jemandem alle bisherigen Maßnahmen der Füh-
rungskraft scheinbar nicht »gefruchtet« haben?
Vieles von dem, was wir in diesem »Crashkurs« beschreiben, dürfte auf einige »Anwen-
der:innen im Feld« geradezu idealtypisch, im schlimmsten Fall sogar blauäugig wir-
ken. Die beschriebenen Instrumente der Personenanalyse ebenso wie die im späteren
Kapitel 4 folgenden Umsetzungsinstrumente der Personalentwicklung setzen voraus,
dass die »Leistungsnehmer:innen« offen für neue Erfahrungen sind, gerne lernen, sich
für Feedback zu ihrer Person interessieren, Neues meistern wollen, ihr Portfolio er-
weitern möchten … Uns ist aber wohl bewusst, dass dies keine hundertprozentige
Entsprechung zu Ihrem täglichen Erleben von Personalarbeit in einer Organisation
findet. Für viele Personalentwickler:innen gehört eben auch zur Realität, dass nicht
wenige Menschen nur äußerst ungern an Assessment Centern teilnehmen oder dass
sie immer genau dann »abtauchen«, wenn mal wieder ein Präsenzseminar stattfindet.
Einige sind PE-Maßnahmen gegenüber generell skeptisch (»Wer weiß, was wirklich da-
hintersteckt?«), anderen ist es schlichtweg einfach nicht so wichtig, an einem Training
teilzunehmen und die Personalentwickler:innen dürfen sich dann mit kurzfristigen
Absagen, Stornogebühren oder aufgelaufenen Kosten und nicht erfüllten Schulungs-
graden herumschlagen.
Im täglichen Geschehen ist man als Personalentwickler:in also immer wieder auch mit
Themen konfrontiert, die sich mit unserem gleich auf den ersten Seiten dieses Buches
beschriebenen, potenzialorientierten Menschenbild offenkundig beißen. Denn die
164 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Beispiel
Stellen Sie sich eine Mitarbeiter:in vor, deren Aufgabe darin besteht, Kunden, in diesem Fall
Versicherte, die einen Arbeitsunfall hatten, zu Hause zu besuchen und zu beraten. Die Tätig-
keit besteht also aus Fahrten in einer zugeordneten Region, regelmäßigen persönlichen
Kontakten, Klärung der Fragen vor Ort, Bereitstellung bzw. Initiierung von Unterstützungs-
maßnahmen und natürlich der nachgelagerten schriftlichen Sachbearbeitung, entweder im
Büro oder im Homeoffice. Diese Mitarbeiter:in macht ihren Job seit mittlerweile 25 Jahren.
Bereits vor 10 Jahren klagte die Person erstmalig über die körperliche Belastung, die der
Außendienst mit sich bringt – und das, obwohl die betreuten Gebiete einen Radius von
150 km pro Außendienstmitarbeiter:in nicht überschreiten und auch die vom Unternehmen
erwartete Taktung der Betreuung mit ein bis zwei Besuchen in der Woche nicht unbedingt
als hoch zu bezeichnen ist. Kurz nach diesen ersten angedeuteten Klagen gab die Mitarbei-
ter:in an, starke Rückenschmerzen bei längeren Autofahrten zu haben. Zudem sei sie nicht
mehr in der Lage, in Hotelzimmern zu übernachten, die Betten bereiten ihr Probleme. Die
Führungskraft reagierte zum damaligen Zeitpunkt kurzfristig und passte ihr Betreuungs-
gebiet entsprechend an, so dass die ohnehin seltenen Übernachtungen nun gänzlich un-
nötig wurden. Zugleich wurde darauf Rücksicht genommen, dass die Mitarbeiter:in auch
nicht mehr auf Seminare mit Übernachtungen gehen muss. Dies geschah in einer Zeit, in
der sich das Aufgabenspektrum der Versichertenbetreuung erheblich in Richtung »Health-
Care-Management« mit intensivierten Betreuungszyklen weiterentwickelt hat. Trotz dieser
Puffermaßnahmen verschlechterte sich die gesundheitliche Situation der Mitarbeiter:in, so
dass seit sieben Jahren erhebliche Krankheitszeiten hinzugekommen sind, bis zu 60 Tage
im Jahr. Vor zwei Jahren teilte die Mitarbeiter:in ihrer neuen Führungskraft mit, dass ihr
Gesundheitszustand so schlecht sei, dass sie überhaupt nicht mehr herausfahren kann, die
Rückenschmerzen seien einfach zu stark. Während ihre Kolleg:innen mittlerweile zu großen
Teilen zertifizierte »Health-Care-Manager:innen« geworden sind und ihre Außendienst-
region mit übernommen haben, bearbeitet die Mitarbeiter:in mittlerweile nur noch ein-
fache Sachbearbeitungsaufgaben (Rechnungen prüfen, Posteingang, Besuchslisten führen,
Standardanschreiben). Trotz betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements hat sich ihr
Gesundheitszustand nicht verbessert, im Gegenteil, es kamen noch weitere, auch psychi-
sche Komponenten hinzu. Es fällt auf, dass sie immer wieder aufbrausend reagiert, was die
Kolleg:innen des Öfteren zu spüren bekommen, insbesondere wenn man die – vereinbar-
ten – Arbeitspakete an sie übergibt. Mittlerweile ist die Unruhe im Team natürlich groß, da
kaum noch jemand bereit ist, mit der Kolleg:in zusammenzuarbeiten, und viele murren »Da
wird eine Stelle besetzt und wir müssen die ganze Arbeit mitmachen.« Die Führungskraft und
2.3 Personenanalyse | 165
die Personalentwicklung wissen sich auch nicht mehr zu helfen: Man hat alles Mögliche ver-
sucht, hat in der Vergangenheit Druck aus der Situation genommen, das Gebiet angepasst,
ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt, den Aufgabenzuschnitt
verändert – und trotzdem ist das Zusammenspiel immer schlechter geworden. Vielleicht ist
die Mitarbeiter:in eben doch ein »hoffnungsloser Fall«?
Wie würden Sie als Führungskraft oder Personalentwickler:in mit einer solchen Aus-
gangssituation umgehen? Passt hier unser Menschenbild, wie im ersten Kapitel be-
schrieben: kann jeder Mensch lernen und sich entwickeln? Oder, noch hehrer im
Anspruch: Besitzt wirklich jeder die Fähigkeit zur Autonomie? Ohne in Fatalismus ver-
fallen zu wollen: die Antwort lautet wohl leider »Nein, das kann nicht jeder«. Menschen
sind durchaus in der Lage, sich in »Löcher« hineinzuarbeiten, sich in einen Kokon zu-
rückzuziehen und auf diesem Wege Situationen zu vermeiden, in denen sie gefordert
wären. Zugleich gilt aber, ohne hier wiederum in »Gutmenschentum« verfallen zu wol-
len, die von uns beschriebene Grundgesetzmäßigkeit der Personalentwicklung den-
noch. Wir können uns nämlich immer die Frage stellen »Unter welchen Bedingungen
ist dieser Mensch in der Lage, sich in dem ihm gegebenen Rahmen zu entwickeln?«.
Unserer Erfahrung nach wird diese Frage aber bei den vermeintlich »hoffnungslosen
Fällen«, wie in unserem Beispiel dargestellt, von denjenigen, die für die Entwicklung
genau dieser Menschen verantwortlich sind, nicht mehr gestellt – zumindest nach
mehreren Jahren nicht mehr, in denen sich die beschriebenen oder ähnliche Bege-
benheiten zyklusartig wiederholen.
Im Wesentlichen spielen hier zwei Mechanismen für den Umstand eine Rolle, dass sich
solche oder ähnliche negative PE-Szenarien über die Jahre extrem verhärten und ir-
gendwann zu einer Entwicklungs-Patt-Situation führen: der persönliche »Abrieb«, den
jede und jeder Einzelne in seinem Arbeitsleben verspürt, und gegenseitige Bilder, die
sich zwischen Menschen über die Jahre verfestigen.
Und immer wieder Energie aufzubringen, heißt übersetzt, Kraft, Willen und Anstren-
gung aufzubringen – all dies kann aber mit der Zeit auch etwas nachlassen, sei es im
166 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Und ebenso findet auch in einem Arbeitsleben ein gewisser »Abrieb« statt. Je länger
man dabei ist, desto mehr »hat man schon mal gesehen« und desto mehr Frustratio-
nen hat man erlebt (»Dafür habe ich mich mal intensiv eingesetzt, aber ich sage dir,
das bringt nichts, da ändert sich bei uns nie was!«). Irgendwann kennt man die ent-
sprechenden Schulungsinhalte, die eigene Aufgabe ist dann vielleicht nur noch »Rou-
tine« und selbst die anspruchsvollen Kundengespräche sind keine Herausforderung
mehr. Es besteht also eine gewisse Gefahr, dass man sich aufgrund dieses »Abriebs«
in seinem Beruf »einrichtet«. Bei manchen Menschen führt dieses Einrichten dann
aber zu einer Abwärtsspirale, da sich das eigene Aufgabenfeld weiterentwickelt, man
selbst aber mehr und mehr den Anschluss verliert – und irgendwann auch nicht mehr
sucht, weil man schon zu sehr hinterherhinkt und der Aufwand zur Anschlusssiche-
rung immer größer wird (wie in unserem obigen Beispiel dargestellt). Dann kommen
beim Einzelnen Fragen auf wie »Lohnt es sich wirklich, den Umgang mit dem neuen
Kooperationstool zu lernen?« oder »Muss ich mich mit den neuen Gesetzgebungen
wirklich noch im Detail auseinandersetzen?«.
mich!« Diese können sich dann mit der Zeit entwickeln in Richtung »Naja, das ist aber
auch das Mindeste, was mir zusteht, das kann man ja auch erwarten!« Und wenn diese
»Abrieb-Spirale« über die Jahre weiter läuft, kommt bei manchen Menschen vielleicht
irgendwann auch der Gedanken auf: »Andere Unternehmen machen viel mehr für ihre
Mitarbeiter:innen – da muss ich mich jetzt also auch nicht mehr krumm machen!« Und
so zieht man sich mit der Zeit mehr und mehr zurück und verliert auch die Lust an der
eigenen Entwicklung. In der folgenden Abbildung haben wir einen solchen Verlauf bei-
spielhaft illustriert.
Umstrukturierung im Bereich
Verweildauer im Unternehmen
Der beschriebene »Abrieb« stellt also einen wesentlichen Faktor dar, wie sich ein
Mensch selbst in ein »Entwicklungsloch« hineinarbeiten kann. Der zweite Faktor be-
schreibt die sozialen Wahrnehmungsprozesse, die eine solche Situation oftmals nach
sich zieht.
passt, nur noch für einfachste Tätigkeiten einsetzbar ist – und aufgrund der erlebten
Frustration ist die betroffene Führungskraft mehr als bereit, ihre Geschichten mit an-
deren zu teilen, so dass sich das Bild auch im erweiterten Umfeld, beispielsweise im
Personalbereich, festigt: »Hast du schon gehört, was der wieder gemacht hat – das
ist mal wieder typisch!« Zunehmend wird dann bei den beschriebenen »Härtefällen«
mit »Workarounds« gearbeitet, sie bekommen »Schonarbeitsplätze« oder landen auf
anderen Abstellgleisen. Selbst wenn der oder die Betreffende dann in eine neue Abtei-
lung kommt oder die Führungskraft wechselt, gibt es im Vorfeld oftmals ein Briefing:
»An der sind schon ganz andere gescheitert, lass da am besten die Finger davon, die
verbrennst du dir sonst nur!« – und schon hat sich die Negativspirale »tradiert« und
wird weiter gelebt.
Und auch auf Seiten der betroffenen Mitarbeiter:in verfestigen sich Bilder vom ande-
ren. Auch sie erlebt ihre Führungskraft, hat vielleicht den Eindruck »Hier will man mir
ja gar nicht mehr helfen!«, so falsch dieser auch sein mag. Der gezeigte Einsatz sinkt
dann tatsächlich (»Lohnt sich ja nicht, hier Energie zu investieren, meine Führungs-
kraft nimmt das sowieso nicht wahr!«) und die Abwärtsspirale der selbsterfüllenden
Prophezeiung nimmt ihren Lauf, da die Führungskraft wiederum die bereits erwarte-
te verminderte Leistungsfähigkeit bestätigt sieht. Die Abwärtsspirale wird also wei-
ter befeuert – beide Seiten halten an den verfestigten Bildern fest und man landet
schlussendlich in einer Sackgasse: Die beschriebene Entwicklungs-Patt-Situation hat
sich manifestiert.
Wie damit umgehen?
Auch als am Thema »Personalentwicklung« interessierte Leser:in könnten Sie nun be-
rechtigterweise fragen »Warum soll ich mir über eine solche Mitarbeiter:in überhaupt
so viele Gedanken machen?«. Natürlich besteht theoretisch immer die Möglichkeit,
sich von jemandem zu trennen. Dann wird natürlich auch die Frage »Wie entwickelt
man diesen Menschen?« hinfällig. Allerdings erleben wir in sehr vielen Organisationen,
dass man dieses letzte Mittel erstaunlich selten nutzt, und das aus vielerlei Gründen:
weil man nicht »so hart sein will«, weil das nicht so einfach geht, weil es eine schlechte
Signalwirkung hat, weil das nicht der Unternehmenskultur entspricht oder schlicht-
weg einfach, weil man keinen Ärger haben will. Also arrangiert man sich eher mit einer
»schwierigen Person«, entwickelt die beschriebenen Umschiffungstechniken oder
stellt einen »Schonarbeitsplatz« bereit.
Abgesehen davon, dass wir der festen Überzeugung sind, dass eine Trennung nicht
der erste Ansatz in einer solchen Situation sein kann, steht dieses Vorgehen selbstver-
ständlich jedem Unternehmen frei. Dies ist aber nicht Thema dieses Crashkurses. Uns
interessiert hier nicht die Lösung »Entlassung«, sondern die Frage »Wie können wir
damit umgehen, wenn diese Person nun einmal Teil unseres Unternehmens ist und
ihren Beitrag zu unserem Erfolg liefern sollte?«.
2.3 Personenanalyse | 169
Wenn wir mit einer solchen Frage konfrontiert sind, arbeiten wir mit zwei Grundge-
danken:
y Wir ziehen eine Linie und schauen nach vorne.
y Wir arbeiten den kleinsten gemeinsamen Nenner als Basis für weitere Entwick-
lungsschritte heraus.
Stattdessen treffen wir mit der betreffenden Person eine Vereinbarung, die sinnge-
mäß so lautet:
Vereinbarung
»Die Vergangenheit und die daraus entstandenen gegenseitigen Bilder haben genau zu
dieser Sackgasse geführt, in der Sie und Ihr Unternehmen sich nun befinden. Diese Ver-
gangenheit bekommen wir nicht ›aufgedröselt‹. Jede Seite hat ihren ganz eigenen Blick
darauf, wie sich das Ganze entwickelt hat. Jetzt haben wir aber die Möglichkeit, von diesem
Punkt neu zu starten, indem wir einen Strich ziehen und gemeinsam festlegen, welche Ent-
wicklungsziele Sie von nun an und in Zukunft verfolgen möchten. Können Sie sich darauf
einlassen?«
Es geht also darum, die Beteiligten, allen voran natürlich die betreffende Mitarbei-
ter:in, von dem »Verbeißen in Vergangenes« wegzuführen und dadurch ein zukunfts-
gerichtetes Chancendenken zu etablieren: »Wenn wir die Vergangenheit jetzt ruhen
lassen – was können wir dann ab jetzt positiv gestalten?« ist die Grundhaltung dahin-
ter. Wir schaffen dann gute Voraussetzungen, diese Frage offen und konstruktiv zu
bearbeiten, wenn die Person sich wertgeschätzt fühlt und sich vorstellen kann, die
Situation selbstwirksam ins Positive zu verändern.
Natürlich müssen sich alle Beteiligten auf diese Vereinbarung einlassen können. Wir
müssen das Commitment aller bewusst abholen, bevor wir von hier aus den nächsten
Schritt angehen, sonst wird dieser nicht erfolgreich sein.
170 | 2 Schritt 1: Analyse des Personalentwicklungsbedarfs
Vielfach lässt sich in derart gelagerten Entwicklungssackgassen gar nicht mehr her-
leiten, ob bei der betreffenden Person eine »Wollens- oder Könnensproblematik«
vorliegt. Wenn man sich lange genug vom eigenen Lernen abgekoppelt hat, wird die
Lücke zu dem, was das Umfeld kann, immer größer und die eigene Verunsicherung
steigt von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Gedanken wie »Eigentlich will ich das ger-
ne noch hinbekommen, aber ich hänge so hinterher, ich kann das einfach nicht mehr!«
treiben die Betroffenen dann um, auch wenn sie diese anderen gegenüber vielleicht
nicht so klar formulieren möchten.
Ebenso begegnen uns bei Menschen, die sich abgekoppelt fühlen, auch Gedanken-
gänge wie »Ich könnte mich schon noch verändern, aber ich will das nicht, weil es eh
keinen Sinn mehr ergibt.« Auch das »immunisiert« natürlich gegen aktive, selbstge-
steuerte Entwicklung.
Aber irgendetwas will eine Mitarbeiter:in noch, wenn sie ihren Arbeitsplatz aufsucht;
ggf. will sie auch irgendetwas ganz definitiv nicht haben. Vielleicht will man »einfach
in Ruhe arbeiten«, »immer noch Teil des Teams sein«, »die Zeit bis zur Rente noch an-
genehm gestalten« oder auch »keinen Ärger mit der Führungskraft haben«, »nicht aus
dem Team herausdriften«, »nicht mit Aufgaben konfrontiert werden, die man nicht
kann«. Und genau dies gilt es, in gemeinsamen Gesprächen herauszuarbeiten. Die
Kernfrage lautet also: »Was willst du mindestens noch?« oder, mit einem etwas ande-
ren Blickwinkel: »Wenn du das nicht willst, was willst du dann?«
Wir haben also mit den bisherigen Schritten sichergestellt, dass wir »die Vergangen-
heit wertschätzend ruhen lassen«, festgefahrene Bilder ebenfalls, da sie nichts zur
Weiterentwicklung beitragen. Wir haben definiert, wie die erste Entwicklungsbasis
aussehen könnte, von der aus wir »ab jetzt« in die Zukunft starten. Wenn wir dann
diesen kleinsten gemeinsamen Nenner herausgearbeitet haben, kommt wiederum
ein ganz entscheidender Punkt, von dem aus die konkreten Entwicklungsschritte an-
setzen: das erneute Commitment des Gegenübers, auf dieses Entwicklungsziel auch
wirklich hinzuarbeiten. Wir brauchen jetzt also eine klare Aussage zu der Frage: »Wenn
es das ist, was Sie wollen (oder nicht mehr wollen), sind Sie bereit, dieses Ziel aktiv und
selbstverantwortlich zu verfolgen?« Nur wenn wir hier eine echte Zusage erhalten, ist
es letztendlich sinnvoll, den eigentlichen Entwicklungsprozess (neu) zu starten. Hier
greifen also ähnliche »innere Verpflichtungsprozesse« wie in einem Coaching (s. Kapi-
tel 4.4, Abschnitt »Kontrakt zwischen Coach und Coachee«).
Wenn dies erreicht ist, können gemeinsame Maßnahmen definiert werden, um die be-
treffende Person wieder »in Bewegung« zu bringen. Hier ist sicher die Methode der
kleinen Schritte die richtige Wahl, um Überforderung zu vermeiden: Man trifft gemein-
sam überschau- und verdaubare Entwicklungsziele in Form von Vereinbarungen, die
dann regelmäßig überprüft werden. Um dies nochmals an unserem obigen Beispiel
zu spiegeln: Vielleicht macht man mit der Mitarbeiter:in aus, in den kommenden vier
Wochen zwei Termine wahrzunehmen, die im näheren Umkreis liegen, so dass die
Fahrtzeit und damit die Rückenbelastung nicht erheblich anders ist, als wenn sie ins
Büro fahren würde. Oder man vereinbart eine individualisierte Inhouse-Schulung, da-
mit die Mitarbeiter:in an einigen grundlegenden Fachthemen wieder besser anknüp-
fen kann. Diese Ansätze sollten in jedem Fall darauf abzielen, dass die andere Seite
langsam an Herausforderungen herangeführt wird und so die Chance erhält, sich ein
Gefühl des »Meisterns« (»Mastery«, Kanfer, 1990) zurückzuerobern – und das motiviert
und macht in der Regel wieder Lust auf mehr.
Uns ist vollkommen klar, dass das beschriebene Vorgehen nicht unerheblichen Auf-
wand bedeutet und dass dieser Aufwand noch nicht einmal eine Erfolgsgarantie mit
sich bringt. Wir stellen hier ein Chancendenken in den Vordergrund, mit dem Ziel, aus
einer Sackgasse in der Personalentwicklung herauszuführen, die uns im Alltag immer
wieder begegnet. Manifestierter Abrieb, historische Betrachtungen von vergangenen
Verfehlungen und Leistungseinbrüchen, ebenso wie die daraus entstehenden festge-
fahrenen gegenseitigen Bilder führen ganz sicher zu einem Ergebnis: dass nichts mehr
passieren wird. Unser Ansatz zielt dagegen darauf ab, dass noch etwas passieren kann.
173
3 Schritt 2:
Personalentwicklungskonzeption –
Entwicklung von PE-Maßnahmen
Wir möchten Ihnen in diesem Kapitel als Erstes eine Arbeitsdefinition von Lernen
vorstellen, gefolgt von der Entwicklung und Umsetzung von PE-Maßnahmen anhand
klar definierter Schritte. Anschließend zeigen wir Ihnen anhand von ausgewählten
Lerntheorien die didaktischen Implikationen auf und enden in diesem Kapitel mit
Checklisten zur Kurserstellung. Wir befinden uns nun im Schritt 2 des PE-Prozess-
modells.
3.1 Lernen und Wissensdimensionen
Bisher haben wir uns intensiv mit der Analyse des PE-Bedarfs beschäftigt. Nun geht
es um die Entwicklung und Umsetzung von geeigneten PE-Maßnahmen, die durch
einen wie auch immer gearteten Lernprozess die gewünschten Veränderungen in der
Person hervorbringen sollen. Wir sprechen also von der bewussten Gestaltung eines
Lern- oder Erfahrungsprozesses, der in der Person zu einer Veränderung im Verhalten
führen soll. Die verschiedenen Instrumente und Methoden, die sich dafür einsetzten
lassen, beschreiben wir ausführlich im anschließenden Kapitel 4.
Wie Sie sicherlich schon sehen, haben wir eine klare Vorstellung von Lernen als einen
Prozess, »der zu relativ stabilen Veränderungen im Verhalten oder im Verhaltens-
potential führt und Erfahrungen aufbaut. Lernen ist nicht direkt zu beobachten. Es
muss aus den Veränderungen des beobachtbaren Verhaltens erschlossen werden«
(Zimbardo, 1995, S. 301). Das Verhaltenspotenzial bezieht sich auf die Veränderung
der Fähigkeiten, kognitive und körperliche Leistungen hervorzubringen. Siehe Ka-
pitel 4.1.3 »Potenzialanalysen/Assessments« für weitere Ausführungen zum Thema.
Lernen beinhaltet also den Erwerb von Dispositionen, die sich in neuen Verhaltens-
und Handlungsmöglichkeiten äußern. Bei der Betrachtung einschlägiger lernpsy-
chologischer Lehrbücher (Gagné, 1965; Edelmann, 1996; Schunk, 2000; Seel, 2000),
lassen sich unterschiedliche Stufen/Arten von Lernen finden (s. Tab. 15). Diese rei-
chen von klassischem Reiz-Reaktions-Lernen über instrumentelles Lernen bis hin zu
metakognitivem Lernen. Problemlösen wird als die komplexeste Form von Lernen
verstanden.
174 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
Diskriminationslernen
Inferenzielles Lernen
Lernen ist somit ein äußerst komplexer Prozess, bei dem viele Aspekte Berücksichti-
gung finden müssen. Seel (2000) gliedert wesentliche Determinanten des Lernens in
seiner Übersicht in sozial-kulturelle Bedingungen (demografische Faktoren, Sozialisa-
tion in Schule, Familie und Beruf, Bezugsgruppen), die als Randbedingungen wirksam
werden, und in anthropogene Bedingungen (kognitive, motivationale und affekti-
ve Faktoren), die den Ausgangszustand für das Lernen bilden. Das bedeutet für die
Entwicklung einer PE-Maßnahme beide Bedingungsfelder zu berücksichtigen. Zum
Beispiel sollte die Entwicklung einer Trainingseinheit für die Nachkriegsgeneration
aufgrund des Alters und der damit einhergehenden Veränderungen von Lernen (z. B.
kürzere Aufmerksamkeitsspanne (Wöstmann et al., 2015), schwierigere Verknüpfung
von Wissenselementen (Naveh-Benjamin et al., 2004)) einen anderen Aufbau haben
als für die Generation Z. Auch die unterschiedlichen motivationalen Voraussetzungen
spielen eine Rolle. Denken Sie an die Teilnahme von verordneten Seminaren und an
Seminare, die Sie selber ausgewählt haben. Wie haben Sie sich beteiligt? Wie sind Sie
der Trainer:in begegnet? Die Zugangsbedingungen sind somit ebenfalls beim Design
der PE-Maßnahme zu berücksichtigen.
Untertypen
y Kenntnis der Terminologie (Grundbegriffe der psychologischen Motivationsmo-
delle kennen bzw. betriebswirtschaftliche Begriffe kennen)
y Kenntnis spezifischer Details und Elemente (über vertieftes fachliches, begriff-
liches Wissen verfügen bzw. fachspezifische Quellen kennen)
2. Begriffliches Wissen
Wissen über die Zusammenhänge der einzelnen Elemente des Faktenwissens inner-
halb eines größeren Ganzen, dass ein gemeinsames Funktionieren sichert. Wie viel
von den Erklärungen einer Automechaniker:in haben Sie verstanden?
Untertypen
y Kenntnis der Klassifikation und Kategorien (Verschiedene Klassifikationen von
Wissen oder Kategorien von Organisationsmodellen)
y Kenntnis der Prinzipien und Verallgemeinerungen (Theoreme, Gesetze, Heuris-
tiken)
y Kenntnis der Theorien, Modelle und Strukturen (Kommunikationsmodell nach
Schulz von Thun (2014) und Motivationsmodell von Kehr (2005))
Untertypen
y Kenntnis fachspezifischer Fähigkeiten: Verschiedene Interventionen zur Lösung
eines Motivationsproblems im Team kennen
y Kenntnis fachspezifischer Techniken und Methoden: Verschiedene Techniken
zur spezifischen Problemlösungsfindung kennen
y Kenntnis der Kriterien zur Anwendung bestimmter Verfahrensweisen: Kriterien
kennen, wann welche Intervention/Vorgehensweise in einem Team sinnvoll ist
4. Metakognitives Wissen
Generelles Wissen über den Erkenntniszuwachs als auch das Bewusstsein und Wis-
sen über den persönlichen Erkenntniszuwachs (z. B. Selbstreflexion und Selbstkri-
tik).
176 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
Untertypen
y Strategisches Wissen: Kenntnis allgemeiner Lern, Denk- und Problemlösungs-
strategien
y Wissen über kognitive Aufgaben unter Einbeziehung des kontextuellen Wis-
sens: Zusammenfassen oder Paraphrasieren können zu einem tieferen Verständ-
nis der Materie führen
y Wissen über die eigenen Stärken und Schwächen: Mitarbeiter:in, die weiß, dass
sie besser präsentieren als schreiben kann
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte
1. Übergeordnete
Ziele definieren
6. PE-Maßnahme 2. Lernziele
umsetzen definieren
3. Arbeitsbezogene
5. Didaktische
Einbettung der
Konzeption erstellen
Maßnahme definieren
4. Zugangs-
bedingungen
definieren
3.2.1 Übergeordnete Ziele
Im ersten Schritt geht es um das übergeordnete Ziel, welches Sie mit der PE-Maßnah-
me erreichen wollen, wie z. B.
y Verbesserung der Führungskompetenz
y Veränderung des Kommunikationsverhaltens
y Stärkung der Kundenorientierung
y Intensivierung der Kooperation zwischen bestimmten Geschäftseinheiten
y Erhöhung der Qualitätsorientierung im täglichen Arbeiten
y Verbesserung der Selbstreflexion und Selbstkritik von Führungskräften
y Ausbau der individuellen Stressresistenz
y Vertiefung des Wissens über Compliance Thematiken
Sie stecken damit die grobe inhaltliche Richtung Ihrer PE-Maßnahme ab, die Sie später
in konkrete Lernziele herunterbrechen.
3.2.2 Lernziele
Je konkreter Sie die übergeordneten Ziele fassen, desto einfacher wird die Ausarbei-
tung der Lernziele der PE-Maßnahme. Hier geht es um die konkreten inhaltlichen/
thematischen Lernziele der PE- Maßnahme. Allgemein betrachtet verstehen wir unter
Lernzielen Aussagen darüber, was eine Person nach der Absolvierung der PE-Maßnah-
me in der Lage ist zu tun, welche Handlungsfähigkeit bei der Person initiiert worden ist.
Was kann die Person tun? Zum Beispiel ein Mitarbeitergespräch wertschätzend füh-
ren; Konflikte in seinem Team lösen; das Wissen im Team gezielt für die Lösungsent-
wicklung aktivieren; Kunden von der Produktidee überzeugen
Als Unterstützung zur Bestimmung und Klassifikation von Lernzielen können Sie die
von Anderson und Krathwohl (2001) entwickelte Lernzieltaxonomie nutzen, die wir im
Folgenden umsetzungsbezogen beschreiben.
Das entscheidende Kriterium bei der Beschreibung von Lernzielen liegt dabei in der
Benutzung von Aktivverben.
y Es ist eine Formulierung zu wählen, die sich ausdrücklich auf die zu erlangenden
Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Kompetenzen der Teilnehmer:innen bezieht.
Die Teilnehmer:innen sind in der Lage …
178 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
y Es ist ein Nomen zu wählen, das als Indikator für die Wissensdimension auftritt.
… in der Lage, verschiedene Entwürfe von Strategischen Stoßrichtungen des
Unternehmens in Bezug auf die Erfolgsfaktoren (z. B. EBIT, DEBIT, Marktanteil) und
möglichen Herausforderungen (z. B. Investitionen) sowie unter Veränderungsnot-
wendigkeit der Mitarbeiter:innen zu bewerten.
y Es ist ein Verb zu gebrauchen, das den kognitiven Prozess beschreibt, der zur Er-
reichung des Lernzieles notwendig ist.
… in der Lage, verschiedene Entwürfe von Strategischen Stoßrichtungen des
Unternehmens in Bezug auf die Erfolgsfaktoren (z. B. EBIT, DEBIT, Marktanteil) und
möglichen Herausforderungen (z. B. Investitionen) sowie unter der Veränderungs-
notwendigkeit der Mitarbeiter:innen zu bewerten.
Die vorher beschriebenen vier Wissensdimensionen lassen sich nun mit der Lernziel-
taxonomie verbinden (s. Tab. 16) und daraus entsprechende Lernziele für Ihre PE-
Maßnahmen formulieren.
Wissensdimension Lernzieltaxonomie
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Erin- Verste- Anwen- Analy- Bewer- Erschaf-
nern hen den sieren ten fen
A. Faktenwissen
B. Begriffliches Wissen
C. Verfahrensorientiertes Wissen
D. Metakognitives Wissen
Dabei werden die Untertypen anhand von Synonymen in Form von Aktivverben be-
schrieben.
1. Erinnern
Relevantes Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abrufen.
Beispiel: Die vier zentralen Elemente des Kommunikationsmodells von Schulz von
Thun (2014) darlegen.
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte | 179
2. Verstehen
Bedeutung und Relevanz von Wissen erkennen und herstellen indem zum Beispiel
neues mit altem Wissen verknüpft wird.
3. Anwenden
Bestimmte Verfahren in bestimmten Situationen ausführen/verwenden.
4. Analysieren
Gliederung eines Themas in seine konstituierenden Elemente und Bestimmungen
ihrer Zusammenhänge und/oder Reaktion zu einer übergeordneten Struktur.
5. Bewerten
Urteile anhand von Kriterien und Standards fällen.
6. Erschaffen
Elemente zu einem neuen, kohärenten, funktionierendem Ganzen zusammenführen/
reorganisieren.
Nehmen Sie sich genügend Zeit für die Definition der konkreten Ziele der PE-Maß-
nahme. Damit steht und fällt die anschließende didaktische Konzeption, weil Sie
immer wieder in Bezug zu den definierten Lernzielen, den sozial-kulturellen Bedin-
gungen und anthropogenen Bedingungen in Bezug gesetzt werden muss. Dabei gilt
es zu prüfen, ob Sie mit der Intervention, unter den gegebenen Randbedingungen,
die definierten Lernziele mit den Personen erreichen oder ob es geeignetere Inter-
ventionen gibt.
3.2.3 Arbeitsbezogene Einbettung
Nach der Definition der Lernziele geht es um die arbeitsbezogene Einbettung der PE-
Maßnahme:
y Ist sie Teil eines längeren Ausbildungs-/Trainingsprogramms oder eine Einzelmaß-
nahme?
y Gibt es eine Verknüpfung zwischen PE-Maßnahme und der täglichen Arbeit der
Teilnehmer:innen?
y Welche arbeitsbezogenen Rahmenbedingungen müssen beachtet werden, damit
ein Lerntransfer gefördert wird?
Diesem Teil wird häufig zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das führt dazu, dass in
vielen Fällen PE-Maßnahmen, verzeihen Sie uns den Ausdruck, dekontextualisierte
Einzelaktionen sind und somit einen Großteil ihrer möglichen Wirksamkeit nicht ent-
falten können.
3.2.4 Zugangsbedingungen
Die Zugangsbedingungen bilden einen wichtigen Boden für die didaktische Konzep-
tion, weil Sie damit die sozial-kulturellen (demografische Faktoren, Sozialisation in
Schule, Familie und Beruf, Bezugsgruppen) und anthropogenen Rahmenbedingun-
gen (kognitive, motivationale und affektive Faktoren) soweit wie möglich berück-
sichtigen.
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte | 181
Hier gibt es übrigens kein Richtig oder Falsch, sondern für Ihr jeweiliges Lernziel sinn-
vollere oder weniger sinnvolle Kriterien. Es kann durchaus Sinn machen, ein Füh-
rungstrainingsprogramm über verschiedene Führungsstufen mit unterschiedlichsten
Geschäftsbereichen anzubieten, wenn es um die Entwicklung eines gemeinsamen, unter-
nehmensweiten Führungsverständnisses geht. Wollen Sie aber Führungshandwerk auf
einem bestimmten Niveau in einem bestimmten Kontext (z. B. Führen von Außendienst-
mitarbeiter:innen oder Führen auf Distanz im internationalen Projektgeschäft) vermitteln,
dann wäre die oben beschriebene Zusammensetzung sicherlich nicht sinnvoll. Das Zu-
sammenführen von unterschiedlichen Teilnehmer:innen mit unterschiedlicher Erfahrung
und unterschiedlichen Aufgaben kann man somit nicht per se als sinnvoll erachten. Ihre
Lernziele sind die entscheidenden Kriterien für die Definition der Zugangsbedingungen.
Wie schon beschrieben, bilden die Lernziele, in Verbindung mit den Zugangsbedingun-
gen, die Ausgangsbasis für die didaktische Konzeption der PE-Maßnahmen. An diesem
Punkt scheiden sich oft die Geister, weil man entweder stark erfahrungsbasiert und/oder
lerntheoriebasiert die Konzeption erstellen kann. Es ist natürlich aktuell so und wird
es wohl auch in Zukunft bleiben, dass es nicht eine Lerntheorie gibt, die eine vollum-
fassende Erklärung für Lernprozesse liefern wird. Nichtsdestotrotz gibt es theoretische
Modelle, die helfen, wirksame Lernszenarien zu entwerfen und auf einer empirischen
Basis als wirksam abgestützt sind. Wir wollen Ihnen an dieser Stelle die drei prominen-
testen Theoriekonzepte und deren Umsetzung in Lernszenarien aufzeigen.
Behaviorismus
Der Behaviorismus interessierte sich für den Zusammenhang von einem Reiz (z. B.
eine verbale Anweisung), der beobachtbaren Reaktion (z. B. Knopf drücken) und der
Konsequenz (z. B. Keks als Belohnung). Die zwischen dem Reiz und der Reaktion ab-
laufenden Prozesse waren für die Vertreter:innen dieser Richtung nicht von Bedeu-
tung. Man sprach und spricht hier von der Black Box. Zwei sehr prominente Vertreter
dieser Theorie waren Watson (2007) und Skinner (1978). Die darin entwickelten Verhal-
tensanalysen und Konditionierungspläne (klassisches und operantes Konditionieren)
bildeten den Ausgangspunkt für die Verhaltenstherapie. Die Lernauffassung ist, dass
man durch geeigneten Input und geeignetes Feedback die »richtigen« Verhaltens-
weisen erzeugen kann. Die Grundüberlegungen der entwickelten Konditionierungs-
182 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
varianten fanden in vielen Lernprogrammen Einzug. Denken Sie dabei nur an Apps
zum Lernen von Faktenwissen (z. B. Vokabeln, Bedeutung von Verkehrsschildern), bei
denen Sie für gute Leistungen Punkte bekommen und bei schlechten Leistungen kei-
ne oder sogar mit Punktabzug »bestraft« werden. Sie können damit gut Faktenwissen
trainieren, eben zum Beispiel Vokabeln, aber die aktive Anwendung dieses Wissens
wird dadurch nicht gut gelernt. Im Unternehmenskontext werden häufig auf diese Art
und Weise z. B. Compliance-Themen geschult. Doch ob das zu dem gewünschten Ver-
halten führt, bleibt fraglich. Nichtsdestotrotz kann die didaktische Konzeption sehr
sinnvoll sein, je nach Lernziel!
Kognitivismus
Im Laufe der Zeit und mit dem Aufkommen von Computern und Ideen zu Künstlicher
Intelligenz begann man sich mit der Black Box zu beschäftigen. Dabei wird der Mensch
als eine »Informationsverarbeitungsmaschine« betrachtet, die Informationen auf-
nimmt, speichert und wiedergibt. Zentraler Forschungsgegenstand ist die Analyse der
Regeln für derartige Prozesse. Wissen wird danach im Gedächtnis in Form von men-
talen Modellen repräsentiert und Lernen als mentaler (Problemlöse-)Prozess, analog
zur Informationsverarbeitung im Computer, verstanden. Ein bekanntes, darauf basie-
rendes kognitives Modell ist das Gedächtnismodell von Anderson (1996). Die Aneig-
nung von Wissen und dessen Anwendung sollte danach optimalerweise in 4 Schritten
stattfinden:
y Schritt 1: theoretische Ausbildung: Hier findet die Aneignung von deklarativem
Wissen (knowing what) statt. Man lernt die Begriffe und Konzepte eines bestimm-
ten Gebietes kennen, z. B. das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun mit
seinen 4 Seiten einer Nachricht. Das geschieht häufig in Form des Frontalunter-
richts oder des Eigenstudiums. Betrachten wir die heutige Praxis der »Folien-
schlacht« versus die frühere Wandtafel, so muss man feststellen, dass die zu
vermittelnde Wissensmenge in vielen Fällen viel zu groß ist und man davon aus-
geht, dass ein kurzes Zeigen der Folien zum Wissenserwerb genügt.
y Schritt 2: praktische Systemerfahrung: Im Folgenden steht das Erwerben der
Fertigkeitsausführung mit Anknüpfungen an das deklarative Wissen und Ausbil-
dung von prozeduralem Wissen (knowing how) im Vordergrund. Das kann aktiv-
motorisch erfolgen, indem bestimmte Handlungen aktiv ausführt werden (z. B.
einen Motor auseinanderbauen, eine Software schreiben) oder observativ gelernt
werden (Lernen durch Beobachtung von Bandura, siehe Kapitel 4.2 »Training/
Seminare/Schulungen«). Eine weitere Möglichkeit ist verbal (z. B. das Kommu-
nikationsmodell von Schulz von Thun mit anderen Personen besprechen). Eine
weitere Möglichkeit ist das mentale Üben oder mentale Probehandeln (z. B. sich
eine Kommunikationssituation im Kopf vorstellen und sich situationsadäquate
Antworten überlegen ohne diese auszusprechen).
y Schritt 3: Übung: Beim Üben geht es um die Automatisierung der erworbenen Fer-
tigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen. Diese führt zu einer größeren Schnellig-
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte | 183
Diese vier Schritte lassen sich direkt in eine didaktische Konzeption eines Kurses/
Trainings überführen. Stellen Sie sich vor, Sie erhalten als Personalentwickler:in den
Auftrag, ein Kurs für alle Mitarbeiter:innen zum neuen Windows Betriebssystem zu
konzipieren und durchzuführen. In einem ersten Schritt vermitteln Sie den Teilneh-
mer:innen die zentralen Begriffe und Vorgehensweisen, die für das neue Betriebs-
system relevant sind. Anschließend geben Sie den Teilnehmer:innen die Möglichkeit
Systemerfahrungen zu sammeln und stellen Ihnen einfache Übungsaufgaben, die in
Teilschritten eingeübt werden. Im nächsten Schritt schicken Sie die Teilnehmer:innen
zurück an ihren Arbeitsplatz und lassen sie das Erlernte im Alltag üben. Nun bilden
sich Nutzungsroutinen bei den Teilnehmer:innen aus. Wenn das bisherige System-
wissen zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben genügt, kommt es zu keiner großen Wis-
senserweiterung oder -veränderung mehr.
Eine Kritik, die diesen kognitiven Modellen immer wieder vorgeworfen wird, ist die
Entwicklung von trägem Wissen (Renkl, 1996), also Wissen, welches nicht angewendet
werden kann. Die Vertreter:innen der konstruktivistischer Perspektive gehen sogar
einen Schritt weiter und stellen die Annahme von Faktenwissen und deklarativen Wis-
sen, als von der Person und Situation unabhängig grundsätzlich in Frage.
Konstruktivismus
Der Konstruktivismus (Simon, 2017) geht davon aus, dass Realität nicht unabhän-
gig von Beobachter:innen wahrnehmbar ist. Wirklichkeit, wie zu Beginn unseres
184 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
Buches formuliert, ist individuell und sozial konstruiert. Das Gehirn wird dabei als
ein autopoietisches System verstanden und Lernen ist ein eigenaktiver, konstruk-
tiver und selbstorganisierter Prozess. Die sich daraus ableitenden didaktischen
Konsequenzen bedingen, authentische und situierte Lernsituationen zu schaffen.
Lernen findet anhand von realen (simulierten) und komplexen Problemsituationen
statt und zwar im Prozess der Bewältigung authentischer Aufgaben. Dieses kann
durch die episodisch-narrative Veranschaulichung – Beschreibung eines echten
Problems in Form einer Geschichte – geschehen. Es ist wichtig, den Lernenden mul-
tiple Kontexte und Perspektiven zu geben, d. h. viele Problemsituationen aus ver-
schiedenen Perspektiven/Sichtweisen. Zusätzlich ist die soziale Eingebundenheit
zu beachten, d. h. die problemorientierte Kooperation zwischen Lernenden/Teil-
nehmer:innen und den problemkompetenten Partner:innen/Coach/Trainer:innen
ist bewusst zu gestalten. Zusätzlich sollte eine Expertengemeinschaft eingebun-
den werden, d. h. bei Bedarf sollten Lernende/Teilnehmer:innen auf Expert:innen
zurückgreifen können.
Die folgenden Prinzipien sollen helfen, die Lernaufgaben und den Lernprozess gemäß
konstruktivistischen Überlegungen zu designen (Blumstengel, 1998; Ernest, 1995; Ho-
nebein, 1996; Jonassen, 1991a, 1991b, 1994; Schaumburg, 2002).
gleiten und mit allen Mitarbeiter:innen nach Möglichkeiten für den Erhalt der
Arbeitsplätze zu suchen …«
y Bei der Auswahl der Aufgaben/Probleme sollten die Vorerfahrung und Interes-
sen der Teilnehmer:innen berücksichtigt werden. Zum Beispiel stellt die Führung
eines Call Centers vollkommen andere Anforderungen an den Vorgesetzten als
die Führung eines Expertenteams. Das Thema Motivation ist möglicherweise bei
der Führung von Call Center Mitarbeiter:innen von höherem Interesse als bei der
Führung von Expert:innen. Hier steht eventuell die Frage der Verbindlichkeit von
Abmachungen oder das Finden einer gemeinsamen Entscheidungsgrundlage im
Vordergrund. Folgende Fragen können Ihnen helfen:
– Mit welchen Problemen könnten die Teilnehmer:innen in ihrem Betrieb kon-
frontiert werden?
– Über welche Vorerfahrung verfügen die Teilnehmer:innen?
y Bei der Analyse des Problems soll es möglich sein, verschiedene Perspektiven ein-
zunehmen, um Lösungen zu erarbeiten. Dadurch soll der Transfer des Wissens auf
andere, ähnliche aber nicht identische Probleme erleichtert werden. Man will da-
mit träges Wissen (Renkl, 1996) verhindern.
Hier ein konkretes Beispiel: Was muss bei der Preisfestlegung eines LKWs aus Sicht
der Finanzabteilung beachtet werden, was aus der Sicht der Verkäufer:in und was
aus der Sicht des Kunden, und schlussendlich, was muss in einer ganz konkreten
Situation, in einem aktuellen Markt mit echten Wettbewerbern beachtet werden?
y Das Problem sollte auf mehrere, unterschiedliche Arten repräsentiert, dargestellt
werden. Unterstützende Hilfesysteme, Informationsquellen sollen auch unter-
schiedliche Repräsentationsarten aufweisen.
Hier könnte man eine graphische Visualisierung des Problems und eine Textbe-
schreibung oder einen Film zur Problembeschreibung verwenden.
Rolle der Trainer:in
Nun wollen wir uns mit der Rolle der Trainer:in auseinandersetzen. Auf was sollten Sie
bei Konzeption achten?
y Die Trainer:in fungiert als Coach und weniger als Instruktor:in/klassische Lehrer:in.
y Die Trainer:in analysiert Strategien der Teilnehmer:innen während des Prob-
lemlöseprozesses, diagnostiziert Fehler und Missverständnisse zwischen den
Teilnehmer:innen und greift unterstützend ein – generell soll aber der Problem-
löseprozess von den Teilnehmer:innen kontrolliert werden.
y Die Trainer:in diagnostizierte »Fehler« als Mittel des Feedbacks hinsichtlich des
Problemverständnisses der Teilnehmer:innen.
y Die Trainer:in ist nicht mehr alleinige Wissensträger:in, sondern vielmehr Lernpro-
zessbegleiter:in. Ihr Lösungsweg ist nicht mehr der einzig richtige, sondern nur
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte | 187
Problemlöseaufgabe konstruieren
Zum Abschluss wollen wir uns noch damit beschäftigen, wie Sie ein Problem / eine
Problemlösungsaufgabe (Dörner, 1995; Hussy, 1993) systematisch konstruieren kön-
nen. Dazu unterscheiden wir erstmal ein Problem und eine Aufgabe.
1. Definition von Problem
Ein Problem ist gekennzeichnet durch drei Komponenten:
– unerwünschter Ausgangszustand
– erwünschter Endzustand
– Barriere, die eine Transformation von Ausgangszustand in Endzustand im Mo-
ment verhindert
Ein Teilnehmer:innen steht einem Problem gegenüber, wenn er sich in einem
inneren oder äußeren Zustand befindet, den er aus irgendwelchen Gründen
nicht für wünschenswert hält, aber im Moment nicht über die Mittel verfügt,
um den unerwünschten Zustand in den wünschenswerten Zielzustand zu
überführen.
2. Definition der Aufgabe
Im Gegensatz zu Problemen sind Aufgaben geistige Anforderungen, für deren
Bewältigung Methoden bekannt sind. Die Division von 134 durch 7 ist für die
meisten kein Problem, sondern eine Aufgabe, da dafür Lösungsmethoden be-
kannt sind. Aufgaben erfordern nur reproduktives Denken, beim Problemlösen
muss etwas Neues geschaffen werden (Dörner, 1995). In der Lernzieltaxonomie
von Krathwohl (2002) wird in diesem Zusammenhang von Erschaffen gespro-
chen. Was für Teilnehmer:innen ein Problem und was eine Aufgabe ist, hängt von
seinen Vorerfahrungen ab, weshalb die Definition der Zielgruppe so ungemein
wichtig ist.
Unter Operatoren wird alles verstanden, was die Teilnehmer:innen zur Verfügung ha-
ben, um eine Konstellation zu verändern (z. B. rhetorische Mittel zur Steuerung eines
Gesprächsverlaufes, Werkzeug, Arbeitsmittel). Konstellation ist das, was für die Teilneh-
mer:innen zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist (z. B. eine unmotivierte Mitar-
beiter:in, ein Kunde, der sich beschwert, eine unzufriedene Vorgesetzte).
Beispiele: Die Vorgesetzte möchte eine Mitarbeiter:in beruhigen, weiß aber nicht wie.
Die Kundenbetreuer:in versteht das Anliegen des Kunden und seinen Wunsch, ist sich
aber darüber im Unklaren, wie sie den Wunsch erfüllen kann.
Dialektische Barriere: Der Ausgangszustand und die Operatoren sind bekannt, der
Zielzustand ist unbekannt. Höchstens bestimmte Kriterien des Zielzustands sind be-
kannt. Man spricht von einer dialektischen Barriere, da die Lösung solcher Probleme
meist einen dialektischen Prozess erfordert. Die Überwindung innerer bzw. äußerer
Widersprüche führt zu einer sukzessiven Veränderung des ersten Lösungsvorschlags.
Hier werden z. B. mit dem Gegenüber immer wieder klärende, präzisierende Gespräch
gesucht, bis sein Anliegen verstanden wird.
Tabelle 17 gibt Ihnen eine kondensierte Übersicht über die drei beschriebenen
Grundmodelle und ihre praktischen Implikationen für die Entwicklung von PE-Maß-
nahmen.
3.2 PE-Maßnahmenentwicklungsschritte | 189
Beurteilung der Teil- Leistung (klares Abfra- Wissen (Überprüfung Kompetenz (Erkennen
nehmer:innen erfolgt gen von Fakten) von Konzepten) des Gesamtproblems)
über ...
3.2.6 Umsetzung
3.3 Blended Learning
Wir möchten Ihnen an dieser Stelle nur ein Grundverständnis von Blended Learning
vermitteln, weil es dazu einschlägige Standardwerke (z. B. Kerres, 2018; Petko, 2020)
gibt. Unter Blended Learning versteht man die Kombination von unterschiedlichsten
didaktischen Settings (Face-to-face-Unterricht, Selbstlernprogramme, Online-Grup-
penarbeiten etc.) zu einer Gesamtveranstaltung. Die verschiedenen didaktischen Set-
tings basieren auf den unterschiedlichen Lerntheorien, die wir im vorherigen Kapitel
beschrieben haben.
Einsetzbare y Learning-Manage-
Technologien ment-Systeme (z. B.
OLAT, WebCT, Cor-
nerstone Learning
Suite, Clix, Ilias)
y Kooperations-Tools
mit unterschiedlichs-
ten Funktionalitäten
und technischen Vo-
raussetzungen (z. B.
SharePoint, Zoom,
MS-Teams, Skype)
y Kostenlose Tools für
ausgewählte Funk-
tionalitäten (z. B.
Wiki, Concept Map-
ping, Diskussions-
forum, Quiztool Hot
Potatoes)
Man geht davon aus, dass die Zurverfügungstellung bzw. Nutzung einer Vielzahl an di-
daktischen Optionen individuelleres Lernen und individuelle Lernbegleitung ermögli-
chen und sich deshalb ein größerer Lernerfolg gegenüber der Nutzung eines einzelnen
didaktischen Settings einstellen sollte. Die empirische Evidenz dazu ist nicht eindeu-
tig. Auch der große E-Learning-/bzw. Blended-Learning-»Hype« zur letzten Jahrtau-
sendwende hat für viele Unternehmen und Bildungsinstitutionen (z. B. Berufsschulen,
Fachhochschulen und Universitäten) nicht die erhoffte Breitenwirkung gebracht. Die
Mehrzahl der PE-Veranstaltungen in Unternehmen sind immer noch klassische Face-
to-face-Seminare. Das Gleiche gilt auch für Bildungsinstitutionen. Es gibt zwar schon
eine Vielzahl von kommerziellen Anbietern von »Learning-Management-Systemen«
(LMS-Anbieter), die heute in Unternehmen weit verbreitet sind. Wenn man aber genau
hinschaut, ist festzustellen, dass das didaktische Potenzial / die Schulungsmöglich-
keiten, also die konkreten Lernangebote, die auf diesen LMS den Mitarbeiter:innen
dargeboten werden, bei Weitem nicht ausgenutzt werden. So gibt es meistens ein-
fach aufgebaute E-Learning-Veranstaltungen zu Themen, die die gesamte Mitarbeiter-
schaft betreffen (z. B. Compliance, Weisungen, Produktschulungen), kombiniert mit
Multiple-Choice-Testfragen. Hier macht man sich die Skalierbarkeit solcher Veranstal-
tungen zunutze: Statt z. B. 100 einstündige Seminare des gleichen Inhalts anzubieten,
192 | 3 Schritt 2: Personalentwicklungskonzeption – Entwicklung von PE-Maßnahmen
wird eine einstündige Selbstlernsequenz mit Selbsttest entwickelt und den Mitarbei-
ter:innen online zur Verfügung gestellt. Eine der zentralen Gründe für die beschränk-
te Potenzialausschöpfung ist der immer wieder unterschätzte Entwicklungsaufwand
für ein Blended-Learning-Szenario und der häufig höhere Aufwand für die Betreuung
der Kursteilnehmer:innen. Nichtsdestotrotz gibt es unterschiedlichste Potenziale, wie
z. B. Skalierbarkeit in der Darbietung, Individualisierbarkeit durch adaptives Testen,
Arbeiten mit Simulationen, verteiltes Lernen in Gruppen, die man als Personalentwi-
ckler:in gezielt nutzen kann – und das mit kalkulierbarem Aufwand.
Über viele Projekte hinweg, die wir begleitet haben, zeigt sich immer wieder eine kla-
re Unterschätzung des Entwicklungsaufwandes. Ein gutes Lehrvideo oder ein guter
Selbsttest ist nicht in wenigen Minuten erstellt, sondern kann Tage oder sogar Wo-
chen in Anspruch nehmen. Ein solcher Aufwand ist dann gerechtfertigt, wenn sehr
viele Personen als Zielgruppe online an der Veranstaltung teilnehmen werden. Ein
weiterer Punkt ist die Möglichkeit der Aktualisierung von Lerninhalten: Auch hier zeigt
sich, dass das Anpassen von Online-Tutorials mit Tests, Filmen etc. relativ aufwen-
dig ist. In solchen Situationen ist eine Face-to-face-Veranstaltung mit einer Expert:in
deutlich flexibler. Auch die Bedeutung vom Lerntransferabstand zwischen Training
und Praxis kann entscheidet für die Frage sein, ob man ein bestimmtes Blended-Le-
arning-Setting entwirft und durchführt. So kann es z. B. in der Ausbildung von Poly-
mechaniker:innen sinnvoll sein, mit theoretischem Basiswissen im Klassenzimmer zu
beginnen, anschließend mit einer Simulation erste Praxiserfahrungen zu sammeln
(ohne einen großen Schaden anrichten zu können) und erst dann mit den komplexen,
realen technischen Anlagen zu arbeiten. Zusätzlich könnte die Betreuung durch die
Lehrer:in via Video auch punktuell direkt am Arbeitsort des Auszubildenden erfolgen.
Es gibt eine Vielzahl von praktischen Handbüchern (Kerres, 2018 oder Häfele & Maier-
Häfele, 2016), die Sie für E-Learning- oder Blended-Learning-Ideen und Anregungen
konsultieren können.
3.3 Blended Learning | 193
Wir möchten Ihnen an dieser Stelle ein praktisches Beispiel aus einer Schweizer Hoch-
schule schildern, welches Ihnen die enge Verzahnung und Abstimmung verschie-
denster didaktischer Settings klar vor Augen führt. Der Blended-Learning-Kurs in der
Betriebswirtschaftslehre (s. Korner, 2001; Lautenschlager, Albione & Grund 2002) wur-
de so aufgebaut, dass kurze Präsenz- und längere »virtuelle« Lernphasen alternieren
und sich gegenseitig ergänzen. Die Präsenzphasen dienten klärenden und vertiefen-
den Diskussionen und primär nicht der Wissensvermittlung im Stile einer traditionel-
len Lehrveranstaltung. Die Konzeption des webbasierten Teils des Kurses ermöglichte
den Lernenden zum einen, Lernpfade zu verfolgen. Diese Lernpfade setzten sich aus
folgenden Elementen zusammen: Ziel der Lerneinheit, Inhaltsübersicht, Einführung
(Fallbeispiele, Zeitungsartikel, Video oder Vortest), Darstellung der Inhalte (Texte und
Simulationen), Umsetzung und Verarbeitung der Inhalte (Aufgaben, Beispiele, Grup-
penarbeit, Fallstudie, Diskussion etc.), Lernfortschrittskontrolle mit Multiple-Choice-
Fragen und Rückblick (Zusammenfassung und Denkanstöße). Zum anderen konnten
sich die Lernenden eigenständig Themen aussuchen und bearbeiten, d. h. sie konnten
sich außerhalb vorgegebener Lernpfade nach eigenen Fragestellungen und Interes-
sen im virtuellen Informations- und Medienraum bewegen. Für die Interaktion zwi-
schen den Lernenden standen E-Mail, Chat und Diskussionsforen zur Verfügung. Die
Lernenden wurden während der gesamten Zeit durch Coaches betreut, wobei jeder
Coach eine Gruppe von 24 Personen via E-Mail, Diskussionsforum und in virtuellen
Gruppentreffen begleitete.
Die Veranstaltung wurde umfangreich evaluiert (s. Grund & Grote, 2004; Gerber,
Grund & Grote, 2008). Es konnte gezeigt werden, dass eine höhere Online-Aktivität der
Studierenden einen positiven Einfluss auf die Abschlussnote hatte (Affolter, Gerber,
Grund & Wagner, 2020).
195
4 Schritt 3:
Instrumente der Personalentwicklung
Mit diesem Kapitel begeben wir uns auf ein Terrain, das eine riesige Spielwiese an
möglichen Ansätzen der PE bietet. Wir haben uns vorgenommen, Ihnen eine pragma-
tische Übersicht über handhabbare PE-Instrumente und -verfahren zu liefern – daher
mussten wir beim Schreiben dieses Kapitels schweren Herzens in Kauf nehmen, dass
wir hier nach dem Pareto-Prinzip vorgehen. Uns ist klar, dass wir einen erheblichen
Teil vorhandener PE-Instrumente aus dem Kreise aller existierenden Verfahren aus-
lassen müssen. Wir setzen aber gleichzeitig darauf, dass wir Ihnen einen fundierten
Querschnitt vorstellen, damit Sie sich ein Bild machen können, welche PE-Instru-
mente in Ihrem eigenen Unternehmen sinnvoll einsetzbar sein könnten. Dieser kleine
Querschnitt sollte – gemäß Pareto – einen großen Hebel darstellen, mit dessen Hilfe
Ihnen die Suche nach weiteren, weniger bekannten oder sehr spezifischen Instru-
menten erleichtert wird. Und wenn Sie durch unsere Beschreibungen der zentralen
Verfahren der PE angeregt werden, sich noch tiefer in die Welt der PE-Maßnahmen
hineinzubegeben, so werden wir Sie sicher nicht zurückhalten wollen.
Diese Einteilung gibt einem schon ein Gefühl für die Vielfältigkeit der Ansatzpunkte
von PE-Maßnahmen, es handelt sich dabei aber trotzdem nicht um trennscharfe Kate-
gorien. So kann z. B. ein Coaching off the Job stattfinden, z. B. bewusst in den Räum-
lichkeiten des Coaches, um den Abstand des Coachees von seinem Unternehmen zu
gewährleisten; ein Coaching kann aber auch genauso on the Job stattfinden, z. B.
wenn der Coach seinen Coachee bei einem Meeting begleitet, im Hintergrund bleibt
und dann hinterher Feedback zu beobachtetem Verhalten gibt. In beiden Fällen han-
delt es sich um das PE-Instrument »Coaching«.
Wir haben uns für eine andere Einteilung entschieden. Diese hat zunächst einen modula-
ren Fokus, d. h. wir schauen uns zuerst Verfahren an, die auch einzeln eingesetzt werden
können. Beginnen wollen wir mit einem kurzen Blick auf feedbackbezogene Verfahren,
also Instrumente mit einem stark diagnostischen Bezug: Potenzialanalysen und Assess-
ments, Selbstbild-Fremdbild-Abgleiche und psychometrische Testverfahren. Auf diese
sind wir bereits im Kapitel 2 »Analyse des Personalentwicklungsbedarfs« und hier im Ab-
schnitt zur Personenanalyse ausführlich eingegangen. Aus diesem Grund wollen wir hier
in erster Linie rekapitulieren und im Besonderen darauf verweisen, was für den Einsatz
dieser Verfahren in einer Umsetzungsmaßnahme relevant ist (zu Aufbau und Inhalten der
Instrumente finden Sie die wesentlichsten Punkte im Kapitel 2.3 »Personenanalyse«).
Danach folgt dann ein Kapitel zum Thema Training/Seminare/Schulungen, in dem wir
beispielhaft auf einige »gängige Trainingstitel« wie »Konfliktmanagementtraining«,
»Präsentationstraining« oder »Führungstraining« eingehen. Wir stellen Ihnen hier eine
ganze Reihe Trainingstitel in tabellarischer Übersichtsform vor, auch hier, ohne An-
spruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Bei den bis dato genannten Instrumenten sind meist mehrere Teilnehmer:innen in-
volviert. Als Kontrast dazu blicken wir dann auf das Thema Coaching, das in aller Regel
eine Eins-zu-eins-Situation beinhaltet. In diesem Kapitel schauen wir aber auch auf
»coachingnahe« Themen wie Supervision und kollegiale Fallberatung – diese wieder-
um verlassen die Eins-zu-eins-Situation und finden meist in Gruppen statt.
Nach den bis zu diesem Zeitpunkt genannten Maßnahmen, die nach Conradis Eintei-
lung häufiger im Off-the-Job-Kontext stattfinden als on the Job, wollen wir gerade auf
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 197
letztere nochmals das Gewicht legen und vor allem die PE-Maßnahmen anschauen,
die nicht durch Training, Prozessbegleitung oder Coaching realisiert werden können.
Hier stehen Themen wie Verantwortungsübernahme/Projektleitung, Fachlaufbahn,
Jobrotation, Einsatz als Mentor:in u. Ä. im Vordergrund.
Im letzten Teil schließlich beleuchten wir, wie wir die bisher erwähnten Module »in
einen Guss bringen« können, um daraus gesamte PE-Programme zusammen zu stel-
len. In einem solchen PE-Programm kommen dann beispielsweise ACs, Feedbackge-
spräche mit Führungskräften, Schulungen, Coachings und Mentoring in Rahmen eines
Gesamtprozesses methodisch fundiert zum Einsatz. Klassischerweise fallen einem
hier sicherlich spontan Führungskräfteentwicklungsprogramme ein, auf die wir bei-
spielhaft einen Blick werfen möchten.
Lassen Sie uns zunächst mit den feedbackbezogenen PE-Instrumenten starten und so
die Brücke zu unserem Kapitel 2.3 »Personenanalyse« schlagen.
4.1 Feedbackbezogene Verfahren
4.1.1 Selbstbild-Fremdbild-Abgleich
In Kapitel 2.3 »Personenanalyse« hatten wir Ihnen ein Instrument zum Selbstbild-
Fremdbild-Abgleich gezeigt, das sich gleichermaßen in der Phase der Anforderungs-
analyse wie auch in der Umsetzungsphase des PE-Zyklus einsetzen ließe.
und schätzt sich zugleich selbst ein. Bei dieser Feedbackform ebenso wie bei der
als nächstes beschriebenen 360°-Variante spricht man auch von Multi-Rater-Feed-
backs.
y Beim 360°-Feedback wird der Gedanke der unterschiedlichen Einschätzungs-
blickwinkel konsequent weiterverfolgt und es können Feedbacks von allen Sei-
ten einfließen: von eigenen Mitarbeiter:innen, Kolleg:innen auf derselben Ebene,
Führungskräften und, sofern integrierbar und dafür offen, Rückmeldungen von
Kunden.
Doch selbst, wenn Sie sich strukturiert an eine Kriterienliste halten (s. Kapitel 2.2.4
»Anforderungs- oder Kompetenzprofil«) und um Objektivität in der Einschätzung
bemüht sind, ist so ein »einfacher« Selbstbild-Fremdbild-Abgleich ein komplexes
soziales Geschehen – wie könnte es auch anders sein? Hier treffen nämlich Wahrneh-
mungen aufeinander, die jeweils bei Ihnen selbst genauso wie bei Ihrem Umfeld durch
die eigene Sozialisation, gemachte Erfahrungen und das eigene Werte- und Normen-
system geprägt sind. Und so zeigen sich auch bei Selbstbild-Fremdbild-Abgleichen
immer wieder spannende Trends:
y Man hat festgestellt, dass Frauen dazu neigen, sich in der Selbsteinschätzung
im Durchschnitt etwas niedriger einzuschätzen als der Mittelwert der Fremd-
einschätzungen, die sie erhalten, während Männer in der Selbstbetrachtung im
Schnitt eher darüber landen (zur geschlechtsbedingten Einschätzungs-Bias s. z. B.
Sieverding, 2003).
y Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter:innen einschätzen, fällt auf, dass bei stark
mit der eigenen Führungsrolle verwobenen Themen eine Tendenz zur Strenge in
der Beurteilung aufkommen kann: so finden sich in Anforderungsprofilen, die Kri-
terien wie »Strategische Fähigkeiten«, »Entscheidungsstärke« oder »Unternehme-
risches Denken« enthalten, bei »Top down-Bewertungen« an diesen Stellen des
Mitarbeiterprofils oftmals »Dellen nach unten«.
y Aus einer Spezialistenrolle heraus wird man unserer Erfahrung nach die fachlichen
Stärken eines Gegenübers immer kritischer betrachten, weil man sich selbst als
Bezugspunkt nimmt – Spezialisten:innen sind also oft strenger, was die Einschät-
zung der Fachkompetenz bei Kolleg:innen betrifft.
So ließen sich noch einige Beispiele nennen, in denen bei einem Wahrnehmungsab-
gleich zwischen Menschen »typische Tendenzen« zu verzeichnen sind. Diese sind aber
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 199
kein echtes Problem, denn sie sind ja menschlich und zu erwarten. Darüber hinaus
haben Instrumente wie ein Selbstbild-Fremdbild-Abgleich gar nicht den Anspruch,
die »objektive Wahrheit« abzubilden, sondern sie sollen genau das bewirken: einen
Abgleich zwischen Wahrnehmungen. Bei einem Selbstbild-Fremdbild-Abgleich geht
es methodisch nicht darum, wer »Recht hat«, sondern dass man gemeinsam heraus-
arbeitet, wie ein Bild einer Person entsteht, was sich daraus schließen lässt und wie
man damit oder auch daran arbeiten kann.
Beispiel: Kommunikationstraining
Stellen Sie sich vor, Sie möchten den Teilnehmer:innen eines Kommunikationstrainings vor Au-
gen führen, dass Menschen sehr individuell und unterschiedlich sind. Um Ihren Teilnehmer:innen
dies nicht nur theoretisch, sondern möglichst praxisnah zu vermitteln, haben Sie sich dazu ent-
schlossen, ein psychometrisches Instrument einzusetzen, das menschliche Verhaltensstile in 4
Kategorien unterteilt. Das Instrument ist ein Fragebogen, den jede Teilnehmer:in zunächst einmal
für sich selbst ausfüllt. Nach der Auswertung werden die Ergebnisse im Plenum veröffentlicht. Sie
haben als gewissenhafte Trainer:in die Teilnehmer:innen selbstverständlich darauf hingewiesen,
dass es keine »guten oder schlechten« Ergebnisse gibt, dass Kategorisierungen streng vermieden
werden sollten, schließlich gibt es jede Menge Mischtypen, dass es sich um Verhaltensstile und
nicht um Persönlichkeitsmerkmale handelt, und dass es zunächst einmal nur darum geht zu ver-
stehen, dass jeder Mensch »aus einem anderen Fenster« auf die Wirklichkeit schaut.
Was glauben Sie geschieht? Die Reaktionen nach Sichtbarwerden der Testergebnisse weisen
nach unseren Erfahrungen einen sich wiederholenden Automatismus auf:
y »Das habe ich mir gedacht, dass Paul ein x-Typ ist ...«
y »Ich kenne da eine, die ist typisch z ...«
y »Jetzt weiß ich auch, warum ich mit y-Typen nicht klar komme ...«
200 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Ihre Bemühungen im Vorfeld der Testdurchführung waren umsonst. Was ist geschehen?
Zuschreibungen, Typisierungen und Schubladen werden zum Hilfsmittel stereotyper Erklä-
rungsmodelle. Und den Teilnehmer:innen geht es gut dabei.
Bei vielen Feedbacks zu durchgeführten Seminaren mussten wir die Erfahrung ma-
chen, dass genau dieser Einsatz typenbildender »psychometrischer« Verfahren als
eigentliches Highlight des Seminars beschrieben wurde. Noch Wochen später wird auf
den Gängen von Unternehmen kolportiert: »Hast du die Reaktion von Hans im Mee-
ting bemerkt, typisch y …«
Warum aber erfreuen sich die typenbildenden Verfahren einer so großen Beliebtheit?
Sie sind einfach. Einfach in der Durchführung, einfach in der Interpretation und ein-
fach in die eigene Wirklichkeitskonstruktion zu übertragen. Sie reduzieren Komplexi-
tät und geben Sicherheit.
Aber werden Sie dem Menschen auch gerecht? Es gibt auf dieser Welt (Stand Januar
2022) 7,95 Milliarden Menschen, von denen behauptet wird, jeder sei einmalig. Trotz-
dem versuchen wir ihre Individualität auf 4 Kategorien zu reduzieren? Oder gilt die
Unterschiedlichkeit nur für die Fingerabdrücke?
Stellen Sie einmal als Alternative zu den 4 oben erwähnten Verhaltensstilen folgen-
de Überlegung an: Wir bleiben einfach bei den 4 Konstrukten von Verhalten und bil-
den jedes einzelne dieser Konstrukte auf einer 6-stufigen Skala ab (dimensionales
Instrument). Schon ergeben sich annähernd 1.300 unterschiedliche Möglichkeiten
unterschiedlicher Kurvenkombinationen. Das macht jetzt zugebenermaßen die Inter-
pretation schwieriger und auch hier kann es Ihnen passieren, dass es zu Zuschreibun-
gen und Kategorisierungen kommt, aber es bildet in unserer Weltsicht die Vielfältigkeit
der menschlichen Persönlichkeit deutlich besser ab. Und das war doch Ihr Ziel, oder?
rerseits stellen wir als Menschen immer wieder fest, dass wir uns auch in lieb gewon-
nen Mustern verhalten, wir sind also, zumindest teilweise, in genau diesen Mustern
identifizierbar. So gibt es eben tatsächlich Menschen, die es als Affront und fehlende
Wertschätzung empfinden, wenn jemand bei ihnen zu spät kommt, während andere
das gar nicht stört. Diejenigen, die so etwas gar nicht stört, finden es vielleicht ganz
normal, auch einmal zu spät zu kommen, weil sie auf dem Weg bei einer interessan-
ten Gesprächspartner:in »hängen geblieben« sind. Solche Menschen finden es dann
wiederum eher irritierend, wenn sie einer solchen interessanten Gesprächspartner:in
begegnen und der mit einem »Hab keine Zeit, sonst komme ich zu spät zum Termin!«
an ihnen vorbeirauscht. Dies sind eben Muster, die uns im Zusammenspiel mit ande-
ren Menschen immer wieder begegnen. Und so sucht unser Gehirn nach schnellen
Entscheidungen, nach Komplexitätsreduktion und das zeigt wiederum einen berech-
tigten alternativen Blickwinkel zu einer »Jeder Mensch ist einzigartig-Betrachtungs-
weise« auf:
y Ist die Aggregation von Attributen der Persönlichkeit auf drei, vier oder fünf über-
greifende Merkmale wirklich so verwerflich und falsch?
y Haben die 2 »Jungʼschen« Einstellungstypen (Extraversion/Introversion) und 4
Funktionstypen (Denken/Fühlen/Empfinden/Intuieren), die ja vielen »Mehrfelder-
Instrumenten« zugrunde liegen, nicht einen hohen Wiedererkennungswert und
hat man sich selbst nicht auch schon dabei ertappt zu sagen: »Da ist schon etwas
dran?«
y Sind die feingliedrigen Differenzen auf den dimensionalen Instrumenten in der
Realität überhaupt wahrnehmbar?
Wie Sie sicherlich bemerkt haben, bewegen wir uns hier auf einem widersprüchlichen
und nicht mit simplen Rezepten zu beantwortendem Feld. Die Ambiguitätstoleranz
der Personalentwickler:in ist ebenso gefragt wie ihre Expertise und ihre alle Vor- und
Nachteile abwägende Entscheidungsfindung.
Wir möchten uns bewusst nicht an den in den einschlägigen Gazetten seit Jahren ge-
führten »Glaubenskriegen« beteiligen. Auch der Einsatz eines typenbildenden Inst-
ruments kann Sinn und Zweck machen. Die Personalentwickler:in sollte nur immer
sorgfältig prüfen, mit welchem Ziel und in welcher Zielgruppe eher das eine oder das
andere Instrument verwendet wird.
Sollten Sie sich aber zum Einsatz eines dimensionalen Instruments entscheiden,
macht es Sinn, die Ausprägung auf den Skalen auch entsprechend interpretieren zu
können. Hilfreich ist hier das Vorhandensein einer Normstichprobe, also einer reprä-
sentativen Vergleichsgruppe, mit der das eigene Ergebnis abgeglichen werden kann
(z. B. »Bin ich im Sinne des Fragebogens belastbarer als der Durchschnitt der Men-
schen meiner Alterskohorte?«).
202 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Wie schon in der Diagnostik spielt bei der Auswahl eines psychometrischen Instru-
ments im Anwendungsfeld von Training, Teamentwicklung, Beratung usw. natürlich
eine große Rolle, was denn eigentlich gemessen werden soll. Geht es um das Maß der
Belastbarkeit im Rahmen eines Seminars zur Stressbewältigung, geht es um die Moti-
vation im Rahmen einer Karriereberatung oder um die innere Werthaltung im Rahmen
eines Coachings mit einer angehenden Führungskraft? Jede dieser Situationen, de-
rer Beispiele sich lange fortsetzen ließen, setzt den Einsatz eines alternativen Instru-
ments voraus. Die Personalentwickler:in kommt also gar nicht umhin, sich mit dieser
Thematik auseinanderzusetzen, wenn denn solcherart Instrumente eingesetzt wer-
den sollen. Dabei ist unerheblich, ob sie selbst die Durchführende ist oder ob externe
Trainer:innen und Berater:innen diese Aufgabe übernehmen. Die verantwortungs-
bewusste Personalentwickler:in kann eben nicht davon ausgehen, dass die externen
Dienstleister:innen immer das richtige Instrument zur Hand haben und/oder einset-
zen. Es bleibt in seiner Verantwortung, dies in jedem Einzelfall zu überprüfen.
4.1.3 Potenzialanalysen und Assessments
Auch auf Assessmentverfahren sind wir im Kapitel 2.3 »Personenanalyse« schon aus-
führlich eingegangen. Sie finden dort alle notwendigen Informationen über Ziele,
Aufbau und Entwicklungsschritte von ACs sowie zahlreiche Checklisten und Arbeits-
instrumente, die sich sowohl für den Einsatz in Personalselektions- als auch bei inter-
nen Entwicklungsverfahren nutzen lassen.
Interne ACs verstehen sich meist als Verfahren zur Einschätzung des Potenzials und
werden gerne als »Baselinemessung« vor Beginn eines aus mehreren Modulen be-
stehenden, anschließenden Entwicklungsprogramms, z. B. für Trainees oder ange-
hende Führungskräfte, eingesetzt. Damit versuchen sie also eine »Vorhersage« zu
machen, eine Prognose – und das bringt uns wieder zum Thema der Eignungsdiagnos-
tik, wie wir es im Kapitel 2.3 »Personenanalyse« besprochen hatten.
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 203
Bei ACs steht dabei oft eine zentrale Frage der Eignungsdiagnostik im Raum: Messen
wir mit einem gegebenen Verfahren die Leistung oder das Potenzial einer Kandidat:in?
Hier besteht sehr viel Raum für Missverständnisse, denn der Begriff »Potenzial« wird
nicht von allen, noch nicht einmal von allen Personalentwickler:innen, gleich verstan-
den. Viele setzen diesen gleich mit der Formulierung »Du hast da aber noch viel Poten-
zial!«, was so viel heißt wie »Das ist heute bei dir noch nicht gut ausgeprägt – also eine
Schwäche – und daher solltest du dich in diesem Bereich noch weiterentwickeln!«
Unserer Definition nach bedeutet hohes Potenzial etwas anderes: es beschreibt eine
hohe Wahrscheinlichkeit, zukünftige Anforderungen einer ausstehenden Zielposition
zu erfüllen – es stellt also eine Vorhersage einer Wahrscheinlichkeit dar, Fähigkeiten
in Zukunft zu realisieren und beleuchtet damit das Gegenteil der Aussage »Da hast du
aber noch viel Potenzial!« Hohes Potenzial heißt auf den Einzelnen übertragen, dass
man zu einem späteren Zeitpunkt wenig Probleme damit hat, dieses Potenzial zu
realisieren und eine gute Leistung bezogen auf die erhöhten Anforderungen der an-
gestrebten Zielposition zu erbringen. Niedriges Potenzial dagegen ist gleichzusetzen
mit einem deutlich höheren Aufwand, diese spätere Leistung gemessen an dem zu-
künftigen Anforderungsprofil abzurufen. Passend dazu kann man formulieren, dass
niedrigeres Potenzial auch ein größeres Risiko birgt, dass man in der späteren Position
hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen nicht erfolgreich ist – mit anderen Wor-
ten, dass die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass man sein Potenzial realisieren kann.
In der untenstehenden Tabelle finden Sie eine Gegenüberstellung der Begriffe »Leis-
tung« und »Potenzial«.
Leistung Potenzial
Etwas formelhaft könnte man die Themen Leistung und Potenzial folgendermaßen
miteinander abgleichen:
y EntwicklungsbedarfMA = erwünschte LeistungMA – reale LeistungMA
y PotenzialMA = zukünftige Anforderungen – vorhandene FähigkeitenMA
204 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Übersetzt in eine Grafik ist der Unterschied zwischen Leistung und Potenzial vielleicht
noch prägnanter darstellbar (s. Abb. 28). Die ganz linke Säule repräsentiert Mitarbei-
ter:in 1 (MA 1), die eine Leistungseinschätzung erhält. Diese wird abgeglichen mit der
aktuell in ihrer Aufgabe erforderlichen Ist-Anforderung (unterer Querbalken). Es ist zu
erkennen, dass sie diese noch nicht gänzlich erfüllt, insofern besteht hier noch Ent-
wicklungsbedarf (s. obenstehende Formel).
Die beiden rechten Balken stehen für zwei Mitarbeiter:innen (MA 2 und MA 3), für die
wir eine Potenzialeinschätzung vornehmen, d. h. diese beiden werden hinsichtlich ihres
Potenzials bezogen auf die potenziellen, zukünftigen Anforderungen einer von beiden
noch nicht bekleideten Zielposition hin eingeschätzt. Hier sehen wir, dass MA 3 ganz rechts
hinsichtlich der zukünftigen Anforderungen ein höheres vorhandenes Potenzial aufweist
als MA 2, d. h. die Chance (Wahrscheinlichkeitsvorhersage!), dass MA 3 diese Anforderun-
gen in Zukunft erfüllen kann, erscheint größer als bei der Kolleg:in, die links daneben be-
trachtet wird. Umgedreht heißt das für die Mitarbeiter:in mit dem niedrigeren Potenzial,
dass der antizipierte Aufwand für sie höher erscheint, die zukünftigen Anforderungen zu
erfüllen – ihr Potenzial ist also niedriger ausgeprägt. Um die Zweideutigkeit des Potenzial-
begriffs hier aufzugreifen, aber klar zu differenzieren, unterscheiden wir in der Grafik das
»vorhandene Potenzial« vom »zu realisierenden Potenzial«: Je höher Ersteres ausgeprägt,
desto niedriger Letzteres und desto weniger muss man noch »investieren«, um in die zu-
künftigen Anforderungen später mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich zu erfüllen.
Zu realisierendes
Potenzial
Ist-Anforderungen heute
Leistung
Entwicklungs-
bedarf
Vorhandenes
Potenzial
MA 1 MA 2 MA 3
Leistungseinschätzung Potenzialeinschätzung
Abb. 28: Anforderungen heute und zukünftig, Abgleich Leistung vs. Potenzial
Theoretisch ist das zunächst sicherlich nachvollziehbar. Aber was passiert, wenn Sie
oder die Führungskräfte Ihres Unternehmens angehalten sind, das Potenzial von Mit-
arbeiter:innen tatsächlich einzuschätzen? Letztendlich passiert genau das, was einem
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 205
auch in der Abbildung 28 bei den beiden Potenzialsäulen ins Auge springt: Man schaut
sich die Ist-Leistung einer Mitarbeiter:in an und wenn diese hoch ausfällt und die der-
zeitigen Anforderungen – wie in Grafik bei MA 3 der Fall – erreicht oder überschreitet,
so nimmt man zugleich hohes Potenzial für die Erfüllung zukünftiger Positionen an. Die
Formel lautet »Die besten Mitarbeiter:innen heute = die besten Potenzialkandidat:in-
nen für zukünftige Positionen«, und das Maß dafür ist einfach die aktuelle Ist-Leistung.
Versucht man aber, beides getrennt voneinander zu betrachten, so stößt man auf
einige Schwierigkeiten, denn es ist sehr anspruchsvoll, die Dimensionen »im Kopf«
wirklich auseinander zu halten. Wir haben festgestellt, dass es für die Mehrzahl der
Führungskräfte gar nicht so einfach ist, ein scheinbar »logisches Instrument« wie ein
Leistungs-Potenzial-Portfolio nach Odiorne (1984, s. Abb. 29) für eine Zielgruppe von
Mitarbeiter:innen zu bearbeiten.
Im dargestellten Portfolio ist man angehalten, Leistung von Potenzial von Mitarbeiter:in-
nen (oder Teams oder Bereichen) getrennt zu erfassen und so mit einer Markierung beider
Werte Einzelnen einen Platz auf einem Koordinatenkreuz zuzuweisen. Da gibt es dann z. B.
Menschen mit hohem Potenzial, die aber vielleicht noch unerfahren sind und daher noch
nicht die volle Leistung abrufen können. Oder solche, die eine tolle Leistung erbringen,
aber kein Potenzial mehr für weiterführende oder neue Aufgaben haben – mit dem Risiko,
dass sich bei diesen die »ökologische Nische« nicht verändern darf, die aktuelle Aufgaben-
stellung sollte dann optimalerweise bis zur Rente unverändert bestehen bleiben. Und es
gibt ggf. auch diejenigen, die mit dem Begriff »High Potentials« oder kurz »High Pots« ge-
meint sind: die bereits eine tolle Leistung erbringen und noch »das Zeug für mehr« haben.
Diejenigen, die sich links unten in dem Portfolio befinden, haben nach dieser Logik ggf.
das falsche Aufgabenfeld für das eigene Fähigkeitsprofil und sind einfach falsch eingesetzt.
206 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
6
Newcomers Potentials High Potentials
hohes Potenzial
Potenzial sichern Potenzial sichern Entwicklungsperspekti-
Leistung klären Leistung weiter nutzen ven bieten
Handlung mittelfristig Potenzial sichern
Leistung sichern
5
Handlung kurzfristig
1
1 2 3 4 5 6
Ziele / Erwartungen erreicht oder alle weit übertroffen
nicht erreicht übertroffen
Leistung
Leistung: Ich arbeitete eher operativ, bin Leistung: Ich bringe bereits heute schon
weniger der »Ideenmensch«, habe wenig viele Ideen ein, habe in meinem Bereich
Ansätze für Optimierungen in meinem Bereich bereits für Verbesserungen gesorgt
Potenzial: Ich zeige Interesse an neuen Ideen, Potenzial: Ich habe bereits neue Ansätze,
lerne auch, »über den6Tellerrand hinaus« zu mit denen ich Abläufe optimieren will,
denken, habe ggf. schon die eine oder andere ich verstehe mich auch in Zukunft als
Idee, etwas zu verbessern »Optimierer« in meinem Bereich
3
Potenzial niedrig Potenzial niedrig
Leistung niedrig Leistung hoch
2
Leistung: Ich bringe bereits heute schon
Leistung: Ich arbeitete eher operativ, bin weni- viele Ideen ein, habe in meinem Bereich
ger der »Ideenmensch«, habe wenig Ansätze für bereits für Verbesserungen gesorgt
Optimierungen in meinem Bereich
1 Potenzial: Ich kann mir nicht vorstellen,
Potenzial: Ich sehe auch in Zukunft meine Stär- wie ich dies
1 2 3 4 5 6 in Zukunft noch weiter
ke eher im Operativen, sehe wenig Chancen, ausbauen kann, habe mein Optimum
meine Innovationsfähigkeit auszubauen Leistung
darin erreicht
Abb. 30: Unterschied zwischen Leistungs- und Potenzialbeschreibung anhand des Beispielkriteriums
»Innovationsfähigkeit«
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 207
Abb. 31: »Typische« Spiegelung der Leistungs- und Potenzialeinschätzung – kein Informationsmehrwert
zwischen der Leistungs- und der Potenzialeinschätzung
208 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Sie sehen, wie aufwendig es alleine schon für ein Kriterium ist, sich zu überlegen, wie
eine Ist-Leistung und eine potenzielle Leistung ausgeprägt sind. Fragt man nun Mit-
arbeiter:innen oder Führungskräfte, z. B. im Rahmen eines Selbstbild-Fremdbild-Ab-
gleichs (s. o.), nach einer solchen Einschätzung für eine größere Anzahl Kriterien, so
findet sich oft das folgende Bild:
Man kann schnell erkennen, dass die Kurven nahezu gespiegelt sind. Die Einschätzung
unterliegt der Formel »In den Bereichen, in denen ich eine hohe Leistung habe, ist
mein Potenzial eher niedrig und in denjenigen, in denen ich eine niedrige Leistung
habe, ist mein Potenzial hoch«. Im Prinzip ist die Potenzialkurve ein »Entwicklungs-
bedarfsanzeiger« im Sinne eines »Hier sollte ich noch etwas tun« und birgt somit
keinerlei Zusatzinformationen gegenüber der Leistungseinschätzung, denn sie stellt
dasselbe dar, nur mit umgedrehten Vorzeichen. Insofern könnte man auch auf die Dar-
stellung der Potenzialkurve verzichten.
Letztendlich haben wir Ihnen bis dato nur vermittelt, dass es a) einen Unterschied
zwischen Leistung und Potenzial gibt und b), dass dieser in der Praxis extrem schwer
auseinander zu dividieren ist. Was kann man also tun, um das Potenzial von Mitarbei-
ter:innen pragmatisch zu erfassen?
Mit Blick auf das Anforderungsprofil vieler Unternehmen finden sich einige Kriterien,
die darauf Hinweise liefern, ob jemand »Potenzial für mehr« haben kann. Ohne den
Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, liefert Ihnen folgende Kriterienliste bereits
einen sehr guten Suchraum für Potenzialträger:
y Hohes Qualitätsverständnis der eigenen Arbeit: z. B. eigener Wille, sich zu ver-
bessern, selbstmotivierte Korrekturschleifen, Fähigkeit, Verbesserungspotenziale
in der eigenen Arbeit zu erkennen und zu benennen
y Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen: Interesse daran, über den Teller-
rand zu schauen, Suche nach herausfordernden Aufgaben/Wachstumssituationen
y Bereitschaft, Initiative zu zeigen: gerade in »fest gefahrenen« Situationen, in
denen sich das Gros der Kolleg:innen zurückhält, »loslegen«
y Zielorientierung/Durchhaltevermögen: Ziele im Blick halten können (dies müs-
sen nicht »Kaminkarriereziele« sein!), sich dafür engagieren, »am Ball bleiben«,
auch Durststrecken aushalten, weil man das große Ganze im Blick hat
y Selbstreflexionsfähigkeit: eigene Entwicklung betrachten können, Feedback auf-
nehmen, eigene Wirkung erkennen können
y Lernfähigkeit/Lernbereitschaft: Reflexion der eigenen Lernziele, Bereitschaft,
»an sich zu arbeiten«, dazu zu lernen
4.1 Feedbackbezogene Verfahren | 209
Viele der genannten Kriterien haben einen Bezug zum Thema »Reifegrad einer Mitar-
beiter:in«, wie ihn Hersey & Blanchard (1982) in ihrem Modell zur situativen Führung
formuliert haben.
Ziel des Verfahrens ist es, dass die Teilnehmer:innen einerseits einen bereits vor dem
eigentlichen Lern-AC startenden individuellen Entwicklungsprozess erleben, bei
dem unternehmerisches Denken und Handeln sowie selbstverantwortliches Lernen
im Vordergrund stehen. Zum anderen ist das Szenario des Lern-AC, in das der vor-
geschaltete Entwicklungsprozess mündet, so aufgebaut, dass das Anforderungsprofil
des Unternehmens realitätsnah, greifbar und dynamisch abgebildet wird.
Methodisch wird dies so erreicht, dass man das Verfahren auf Basis der realen Unter-
nehmenssituation entwickelt, indem die Teilnehmer:innen darin echte Projekte be-
arbeiten, die bereits im Vorfeld des Lern-AC definiert und vergeben werden. Die
Potenzial-Kandidat:innen werden vor dem Lern-AC – mit einem Vorlauf ca. 3 bis
6 Monaten – benannt und von ihren Führungskräften für den Prozess angemeldet.
Schon zu diesem Zeitpunkt erhalten sie einen gemeinsamen, realen Projektauftrag,
z. B. ein aktuelles Prozessoptimierungsthema des Unternehmens, eine anstehende
Change-Thematik, Ergebnisse einer aktuellen Kundenbefragung mit abzuleitenden
Benennung der Kandidat:innen Optional: Peer-Feedback Lern-Assessment Center
Benennung der Kandidat:innen ca. 3 Ebenfalls im Vorfeld des Dynamisches Verfahren, basierend
bis 6 Monate vor Durchführung Verfahrens integrierbar: auf der realen Situation des Unter-
des LACs Kandidat:innen erhalten den Auftrag, nehmens
Prozessübersicht, Ziele, Ablauf sich Feedback aus ihrem Umfeld 2 Tage plus 1 Tag für Feedbacks
abzuholen
Erster Selbstbild-/Fremdbildabgleich 8 Teilnehmer:innen und
Kandidat:in / Führungskraft – fließt Dieses muss nicht zwingend 4 Beobachter:innen
später ins LAC ein öffentlich gemacht werden, kann
Grundlegendes Szenario:
aber in die Lernziele der
Definition von individuellen Bearbeitung der im Vorfeld
Teilnehmer:innen einfließen und so
Lernzielen – fließt später ins LAC vergebenen Projekte, z.B.
auch im LAC eine weitere Reflexions-
ein gegenseitige Vorstellung, Reflexion des
facette abbilden
kritisches Hinterfragen, Ableitung Entwicklungsprozesses
weiterer Schritte
Nach dem LAC:
Analog/Online Analog/Online Online-Tool Teamübungen, Präsentationen und Reflexionsgespräch zwischen
Selbstbild-Fremdbild- Peer-Feedback Mögliche Rollenspiele Kandidat:in und Führungskraft
Abgleich psychometrische (eventuell plus Vertreter:in aus der
Optimal: echte Ansprechpartner:innen
Lernziele Testverfahren: aus dem Unternehmen als Personalentwicklung)
ASK Gesprächspartner:innen Rückmeldung zum
F-
F-DUP Präsentationspublikum wahrgenommenen Potenzial
Projektinitiierung Laufende Projektinformationen Lernschleifen und Selbstreflexion
Leadership Style Reflexion der Lernziele und der
Alle Teilnehmer:innen erhalten kurz Teilnehmer:innen/Projektgruppen Indicator als Teil des LACs Entwicklung im Verlauf des
nach der Benennung Projektaufträge erhalten zwischenzeitlich (auf dem Rückmeldung und Bericht am Prozesses
in Unterteams Weg Richtung LAC) Informationen Career Anchor
dritten Tag Entwicklungsausblick, weitere
Mögliche Themen: zu den Projekten, die im späteren BIP
Schritte
In der Übersicht sieht der Prozess des Lern-AC (LAC) gesamthaft folgendermaßen aus:
Das Projektgeschehen stellt das grundlegende Szenario des Lern-AC dar. Aus diesem
ergeben sich dann »abzuleistende« Assessment-Übungen, die im Lern-AC selbst von
den Teilnehmer:innen unter Beobachtung strukturiert gemeinsam und in Einzelübun-
gen bearbeitet werden. Sie sind inhaltlich (nicht von den Beobachtungen her!) und
dynamisch miteinander verknüpft und bauen aufeinander auf, wie es den Maßgaben
eines dynamischen Acs entspricht. Als Beispiel: es gibt z. B. eine Teamsitzung, in der
die Vorstellung der aktuellen Projektstände und die Ableitung weiterer Umsetzungs-
schritte als Teamentscheidung abgefragt wird; zusätzlich finden Präsentationen der
Teamentscheidung vor Führungskräften statt (optimal: »echte« Ansprechpartner:in-
nen aus dem Unternehmen, z. B. die eigentlichen Projektmentor:innen, statt Rol-
lenspieler:innen, die diese Position nur abbilden) und die Teilnehmer:innen führen
Einzelgespräche zu den Projektinhalten, -ständen und zielen.
In der folgenden Abbildung finden Sie die grafische Übersicht über die drei Durchfüh-
rungstage des Lern-ACs.
212 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
TAG 1 TAG 2
TAG 3
Einzelfeedbacks
8 Einzelfeedbacks (parallele Sitzungen)
30 min mit Fokus auf Entwicklung
Integration der Fremdeinschätzung aus der Vorphase des LAC sowie der Selbsteinschätzung aus der Vorphase
und während des LAC
Entwicklungsausblick
Der Nutzen dieser Methode besteht darin, dass die Teilnehmer:innen in ihrer Rol-
le als Führungs-Potenzialkandidaten echte Lösungen für tatsächliche Heraus-
forderungen des Unternehmens erarbeiten – sie bringen ihr Potenzial auf diese
Weise greifbar, agil und problemlösungsorientiert ein. Die Teilnehmer:innen selbst
durchlaufen also ein Verfahren, in dem sie eine spürbare Übersetzung des unter-
nehmensspezifischen Anforderungsprofils, einen hohen »Aufforderungscharakter«
der Übungen, hohe »ökologische Validität« und niedrige Transferdistanz zwischen
den Assessment-Aufgaben und den in einer möglichen späteren Führungsrolle an-
zuwendenden Themen erleben.
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 213
Trainings sind oft das Erste, was einem im Zusammenhang mit »PE-Maßnahmen« ein-
fällt, nicht zuletzt, weil es für viele Führungskräfte das »Mittel der Wahl« ist, wenn es
darum geht, erkannte »Defizite« bei ihren Mitarbeiter:innen zu beheben.
»Wir können doch die Mitarbeiter:in mal auf ein Training schicken!« heißt es dann
schnell. Dabei steht oftmals eine Art »Reparaturgedanke« im Vordergrund und die PE-
Abteilung eines Unternehmens wird dann gerne als »Kataloganbieter« genutzt, der
nur das richtige Seminar heraussuchen muss. Hier muss man natürlich die Frage stel-
len, wie viel Zeit eine Mitarbeiter:in bei Schulungen verbringt und, im Vergleich dazu,
an ihrem Arbeitsplatz. Und natürlich kommt dann auch die berechtigte Frage auf den
Tisch, wo denn die Entwicklung der Mitarbeiter:in am intensivsten stattfindet – off the
Job im Training oder on the Job in der eigenen Tätigkeit und den damit verbundenen
Herausforderungen?
Gerade bei Trainings ist die Wahrscheinlichkeit daher auch etwas höher, dass sich dort
nur »bedingt motivierte Teilnehmer:innen« tummeln, insbesondere wenn der Grund
der Teilnahme entweder nicht geteilt wird oder einfach nicht transparent ist. Ein ein-
faches »Geh doch mal da hin, auch wenn ich nicht weiß, ob das was bringt.« führt eben
bei manchen zu einem »Nicht schon wieder ein Training!« oder »Muss ich da echt hin?«
Bei Trainings, die nach dem »Gießkannenprinzip« (»Die brauchen alle einfach mal wie-
der irgendwie ein Training!«) oder als »Heftpflaster« (»Die brauchen einfach ein Trai-
ning, damit sie das Gefühl haben, dass man mal wieder was für sie tut!«) appliziert
werden, kann sich die Teilnehmermotivation daher als schwierig erweisen.
Das soll aber keinesfalls bedeuten, dass Trainings sowieso nichts bringen. Im Gegen-
teil, sie stellen eben eine Facette des Lernens in Unternehmen dar, deren »Impact«
und Güte, wie bei so vielen PE-Themen, von den dahinterstehenden Zielen, der vor-
geschalteten Analyse und der didaktischen Aufbereitung abhängig ist. Und gerade die
Ansätze aus den verhaltensbezogenen Trainings schauen auf eine lange Forschungs-
tradition zurück und sind methodisch durchaus sauber fundiert.
Die Methode von Trainings ist stark auf die Aufnahmekanäle des Erlebens und Beob-
achtens ausgerichtet. Die im Zusammenhang mit Trainings genannten Lernformen ge-
hen auf Banduras (1986) »Modell-Lernen« zurück, das folgende zentrale Mechanismen
beschreibt:
y Beobachtungslernen: Es werden Verhaltensweisen durch Beobachtung erlernt,
die zuvor nicht im eigenen Verhaltensspektrum waren.
y Hemmung und Enthemmung: Erwünschtes, aber noch nicht gezeigtes Verhalten
kann »enthemmt« und damit freigesetzt werden, während nicht erwünschtes Ver-
halten durch Hemmung »zurückgehalten« wird.
214 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Decker & Nathan (1985) haben schon vor vielen Jahren im Menschen ablaufende Pro-
zesse beschrieben, die bei Beobachtungslernen wirksam werden und die auch für die
»Versatzstücke« von Verhaltenstrainings eine große Rolle spielen (s. Tab. 20).
Gedächtnisprozesse – Aufbau y Das Training zielt darauf ab, die Lerninhalte systema-
einer mentalen Repräsentation tisch im Gedächtnis zu verankern (»Kodierung«), durch
des Modellverhaltens im Ge- Gruppendiskussionen zur Effektivität des Verhaltens
dächtnis oder symbolische Wiederholung (mentales Training)
Tab. 20: Prozesskomponenten des Beobachtungslernens nach Decker & Nathan (1985)
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 215
Worauf sollten Sie nun bei der Durchführung von verhaltensbezogenen Trainings
achten? In der Regel empfiehlt es sich, diese im Rahmen einer größeren OE- oder
PE-Maßnahme einzubetten, also strategisch als Teil eines übergeordneten Entwick-
lungskonzepts zu implementieren. In einem modularen Aufbau (z. B. »Grundlagen
Kommunikation« – »Wenn Kommunikation schwierig wird – Konfliktmanagement« –
»Ergebnisorientierte Kommunikation – Verhandlungen erfolgreich führen«) und
mit einem übergeordneten Entwicklungsziel verbunden (z. B. »Ich brauche dieses
Wissen auf meinem Weg Richtung ›internationale Projektleitung’.«) sind Soft Skills-
Trainings für die Teilnehmer:innen am wirkungsvollsten. Im Umkehrschluss be-
deutet das nicht, dass es sich nicht auch lohnen kann, Einzelmaßnahmen (z. B. die
klassischen 2 Tage »Kommunikation«) anzubieten, um für bestimmte Themen zu
sensibilisieren. Sowohl in der einen wie auch in der anderen Implementierungsform
sind bestimmte Trainingsinhalte (z. B. aktives Zuhören bei Kommunikations- oder
»Win win« bei Verhandlungstrainings) ein »standardmäßiger« Bestandteil: wo immer
möglich, sollten solche Bestandteile jedoch an die konkreten Arbeitsgegebenheiten
und Erfahrungen der Teilnehmer:innen angepasst werden – z. B. in Form von spezi-
fischen Rollenspielszenarien, die im Vorfeld auf Basis von Critical-Incidents-Works-
hops entwickelt wurden.
Das bedeutet, dass sinnvollerweise ein Vorabkontakt mit den Teilnehmer:innen oder
Prozessverantwortlichen einer Maßnahme stattfindet, um deren Aufgaben- und
Arbeitsrealität kennen zu lernen. Hierzu eignen sich z. B.
y Kurz-Interviews – mit einem repräsentativen Querschnitt der Teilnehmer:innen:
Dies kann durch den Abfragenden – die PE-Abteilung selbst oder die beauftragte
externe Trainer:in – relativ schlank gestaltet werden, z. B. mit folgenden Fragen
(hier am Beispiel »Kundenorientierung« dargestellt):
– An welchen Stellen spielt unser Trainingsthema »Kundenorientierung« in Ihrer
Arbeit die größte Rolle?
– Woran merken Sie, dass die Kundenorientierung Ihres Bereichs funktioniert,
woran merken Sie, dass sich noch etwas verbessern sollte?
216 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
– Welche Vorerfahrung haben Sie mit dem Thema (z. B. in Form von Trainings,
Schulungen, Workshops)?
– Was ist Ihnen für das Training wichtig? Was würden Sie gerne mitnehmen? Was
soll sich danach bei Ihnen in der Arbeit verändern?
y Expert:innen-Workshops: Erarbeitung der zentralen Anforderungen und Ziele
eines Trainings im Rahmen eines Workshops mit Beteiligten aus unterschiedlichen
Ebenen
y Arbeitsplatzbeobachtungen: Vollschicht-Begleitung zur Erarbeitung der konkre-
ten Anforderungen und Handlungsabläufe einer Position (s. Kapitel 2.2.2 »Arbeits-
platzbeobachtung«).
y Kick-off: Abholen der Beteiligten, Vermittlung der Maßnahmenziele, des Inhaltes
und Ablaufs des gesamten Prozesses; zentrales Ziel: Information und Transparenz
für die Beteiligten; ggf. inklusive Workshopelementen, um Erwartungen zu spezi-
fizieren und Konzeptanpassungen zu realisieren.
Die Ergebnisse dieser Vorab-Analysen fließen dann wie erwähnt in die Ausgestaltung
von Fallbeispielen, Rollenspielen, Szenarien, Workshops usw. ein, die Teil des Trai-
nings werden. Ziel dieses Vorgehens ist, dass sich die Teilnehmer:innen in den Trai-
nings mit ihren Inhalten wiederfinden und dass sie die Kursinhalte effektiv in ihre
Arbeit transferieren können. Zudem zeigt die Erfahrung, dass die Integration realisti-
scher Beispiele die Akzeptanz, die Teilnehmerzufriedenheit und Wirksamkeit der Trai-
ningsmaßnahme erheblich steigert.
Wenn Sie mit der Konzipierung oder Implementierung von Trainings betraut sind, ge-
ben Ihnen folgende methodische Eckpunkte eine gute Orientierung zur Sicherstellung
des späteren Trainingserfolges:
y Unternehmensspezifischer Bedarf: Die Inhalte der einzelnen Trainings sollten
an den Bedarf des Unternehmens, ggf. der einzelnen Bereiche angepasst werden.
Mitarbeiter:innen haben aufgrund der unterschiedlichen Gewichtungen in ihren
verschiedenen Bereichen durchaus voneinander abweichende Arbeitsrealitäten.
Dies sollte in der Trainings-Konzeption berücksichtigt werden.
y Partizipation und Transparenz: Aus diesem Grund ist es wichtig, im Vorfeld
abzufragen, wie die Erfahrungen der Mitarbeiter:innen mit Trainings allge-
mein sind und welche Erwartungen bestehen. In einer Vorabbefragung von
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 217
betrachtet werden und eine Anpassung ist jederzeit möglich. Die Wünsche, Ideen
und Anregungen der Teilnehmer:innen können für die nächste Einheit vorberei-
tet und in diese integriert werden, so dass durch diese Anpassung eine optimale
Bearbeitung der relevanten Thematiken gewährleistet wird (s. a. Prozessorientie-
rung).
Nun haben wir viel über methodische Rahmenbedingungen von Trainings gespro-
chen, aber noch nicht darüber, was inhaltlich in den Trainings passiert. Im folgenden
Abschnitt wollen wir Ihnen einige ausgewählte Themen in Form von Übersichten mit
der Unterteilung in »Ziele«, »Inhalt«, »Dauer«, »Methoden« und »Beispielübungen«
darstellen – wie immer ohne den Anspruch auf Vollständigkeit, aber im Sinne eines
repräsentativen Ausschnitts möglicher Trainingsinhalte. Wir müssen hier also in Kauf
nehmen, dass Sie an der einen oder anderen Stelle denken werden »Warum ist denn
dieses Training nicht beschrieben?« Uns geht es hier nicht um die Abbildung eines
vollständigen Kataloges, sondern um breit gefächerte Beispiele, die gleichzeitig auch
etwas »Generisches« haben, sich also auch als »Blueprint« für den Grobaufbau spezi-
fischerer Trainingsinhalte verwenden lassen.
Die verschiedenen, im Folgenden dargestellten Trainings lassen sich recht gut den
Kompetenzdimensionen eines Unternehmens-Anforderungsprofils zuordnen. Zum
Bereich der sozialen Kompetenz gehören beispielsweise Kommunikations- und Kon-
fliktmanagementtrainings, Präsentations- und Moderationstrainings lassen sich im
Bereich der Methodenkompetenz verorten und Trainings aus den Themenfeldern
»Stressmanagement« und »Selbst- und Zeitmanagement« unterstützen die Entwick-
lung des Einzelnen in der persönlichen Kompetenz.
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 219
4.2.1 Kommunikationstraining
Wer kennt sie nicht, die vier Seiten einer Nachricht, die Friedemann Schulz von Thun
1981 in seinem Klassiker »Miteinander reden« (Neuauflage 2014) beschrieben hat? Die
Inhalte von Kommunikationstrainings sind sicherlich zwischenzeitlich so weit verbrei-
tet, dass sie schon fast zum Allgemeinwissen, zumindest im Kontext von Arbeit und
Zusammenarbeit, gehören. Viele Menschen winken schon gelangweilt ab, wenn diese
Modelle angesprochen oder abgefragt werden.
Darüber hinaus wird allenthalben festgestellt, dass man in Unternehmen »mehr« oder
»besser« miteinander reden sollte. Ein Bonmot aus der Moderation besagt, dass man
bei jeder Teamentwicklung eigentlich gleich zu Beginn auf ein Ergebnis-Flipchart »Wie
müssen mehr miteinander kommunizieren!« schreiben kann, denn das komme ja auf
jeden Fall am Ende heraus.
Kommunikationstraining
Thema Beschreibung
Kommunikationstraining
Thema Beschreibung
4.2.2 Konfliktmanagementtraining
Schwierig ist in erster Linie, wie wir damit umgehen. Denn oftmals werden Sachkon-
flikte personalisiert, es kommt mit der Zeit zu negativen Unterstellungen (»Der will
uns doch einen reinwürgen!«), zunehmend zu Schwarz-Weiß-Denken und Lagerbil-
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 221
dung und irgendwann ist der Konflikt dann so weit eskaliert, dass man sich Hilfe von
außen (entweder außerhalb des eigenen Bereichs oder tatsächlich in Form eines ex-
ternen Konfliktberaters, s. Kapitel 4.3.2 »Konfliktberatung/Mediation«) holen muss.
Um genau diese Form von Eskalation so unwahrscheinlich wie möglich werden zu las-
sen, gibt es Konfliktmanagementtrainings: sie zielen zum einen darauf ab, dass man
Konflikte erkennen und analysieren kann. Dies ist ein erster wichtiger Schritt, um sich
nicht vom Konfliktgeschehen treiben zu lassen, sondern selbst zu steuern. Und zum
anderen vermitteln Konfliktmanagementtrainings entsprechende Kompetenzen, um
Konflikte anzugehen und zu lösen.
Konfliktmanagementtraining
Thema Beschreibung
4.2.3 Verhandlungstraining
Thema Beschreibung
Thema Beschreibung
4.2.4 Führungstraining
Zum anderen geht es natürlich auch um die »Führungsarbeit« an sich, also das Ein-
setzen entsprechender Instrumente (oft mit einem engen Bezug zu den Inhalten von
Kommunikations- und Konfliktmanagementtrainings). Als Stichworte seien hier ge-
nannt: Mitarbeitergespräche führen, Lob und Kritik, Delegation oder auch strategi-
sche Führungsinstrumente.
Führungstraining
Thema Beschreibung
Führungstraining
Thema Beschreibung
Auch der Themenkreis »Motivation« mit all seinen Fragen (»Kann man andere Men-
schen tatsächlich motivieren oder können sie das nur selbst?«, s. Sprenger, 2014) und
Fallen (abgedroschene »Tschakka-Formeln« und Tipps zwielichtiger Motivationsgurus
wie »Umgeben Sie sich nur mit positiven Menschen und brechen Sie alle Kontakte zu
negativ gepolten Personen ab!«) wird oftmals im Rahmen von Führungstrainings be-
handelt.
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 225
Wir sprechen hier bewusst von »Training zum Thema Motivation«, um eine Verwechs-
lung mit der Kategorie der »Motivationstrainings« zu vermeiden: bei letzteren steht
das Motivieren der Teilnehmer:innen vor Ort im Vordergrund (z. B. durch motivieren-
de Ansprachen, aktivierende Übungen mit resultierenden, erlebbaren Erfolgen, Aus-
blicke auf mögliche zu erreichende Ziele, Verteilen von Motivatoren im Rahmen der
Veranstaltung usw.). Bei dem, was wir hier ansprechen, geht es um Fragen wie »Was
motiviert mich und andere und wie kann man diese Motivation erkennen, auslösen
und/oder ausbauen?« Das dahinterstehende Ziel ist ein der Bewegung der »Huma-
nisierung der Arbeitswelt« naheliegendes, nämlich die eigene Arbeit – oder als Füh-
rungskraft unterstützend die Arbeit der Mitarbeiter:innen – so zu gestalten, dass sie
einem nachhaltig Spaß macht und erfüllt.
Thema Beschreibung
4.2.6 Changemanagement für Führungskräfte
Im Folgenden möchten wir noch auf zwei spezielle Themen aus dem Bereich der
Führungstrainings eingehen, zum einen, weil sie die veränderten Anforderungen an
moderne Führungsarbeit abbilden, zum anderen, weil die Themen auch für sich ge-
nommen interessante Seminarinhalte darstellen.
Für die zunächst rein als »Betroffene« eines Change zu bezeichnenden Mitarbei-
ter:innen finden meist keine Trainings statt, sondern hier greifen Changemanage-
ment-Begleitungsstrukturen in Form von Workshops – mit dem zwar abgedroschen
klingenden, aber inhaltlich nichtsdestotrotz richtigem Ziel, diese zu »Beteiligten« zu
machen. Solche Maßnahmen gehören also eher in das später folgende Kapitel 4.3
»Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter«.
Thema Beschreibung
Ziel y Sich mit der eigenen Rolle als »Change Agent« auseinandersetzen.
y Die Angst vor Veränderungsprozessen verlieren und auf die Chancen fokussie-
ren.
y Veränderungsprozesse im eigenen Bereich initiieren, steuern und begleiten.
y Konstruktiv mit Widerständen im eigenen Bereich umgehen.
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 227
Thema Beschreibung
Inhalt y Change Agent – was steckt dahinter, welche Bedeutung haben Veränderungen
für Führungskräfte? Welche Rolle nimmt eine Führungskraft als Change Agent
ein (z. B. Prozessberater:in, Fragensteller:in, Sicherheiten-Geber:in)? Welche
Anforderungen kommen auf Führungskräfte in Veränderungsprozessen zu (vi-
sionäre Fähigkeiten, Denken in Systemen, Unsicherheitstoleranz usw.)
y Hintergründe: Changemanagement – was ist das? Prozessgestaltung in verän-
derlichen Umweltumgebungen, lernende Organisationen
Beispiel- Teilnehmer:innen bearbeiten einen Unternehmensfall und agieren selbst als »Ver-
übung änderungsberater:innen«
Hierbei geht es nun nicht darum, dass Führungskräfte die gesamten Aufgaben der PE,
wie wir sie hier in diesem Buch als Praxisübersicht darstellen, übernehmen sollen.
Aber sie sollten mit den wichtigsten strategischen Aspekten der PE-Arbeit vor dem
Hintergrund des Phasenmodells vertraut sein und sich ihrer eigenen Rolle als » Perso-
nalentwickler vor Ort« bewusst werden.
Thema Beschreibung
4.2.8 Präsentationstraining
teil der Kommunikation in Unternehmen gar nicht mehr »face-to-face« läuft. Beruhi-
genderweise zeigen aber auch die Forschungsergebnisse von Big Data- und Reality
Mining-Untersuchungen, die in erster Linie über eine Unzahl von über Smartphones
und »Badges« gewonnenen Daten ausgewertet werden, dass sich die Produktivität
von Menschen, z. B. in Call Centern oder in IT-Support-Abteilungen, steigert, wenn sie
öfters informelle Face-to-Face-Berührungspunkte haben (Pentland, 2015). Virtuelle
Kontakte können also direkte Kommunikation nicht ersetzen, wohl aber vorbereiten
oder ergänzen.
Bei Präsentationstrainings spielt neben der Vermittlung von Werkzeugen vor allem
die eigene Wirkung eine große Rolle. Daher wird hier immer ein hoher Anteil an Feed-
backelementen enthalten sein und die Chance ist groß, dass man als Teilnehmer:in
auch videobasierte Rückmeldungen erhält.
Präsentationstraining
Thema Beschreibung
Ziel y Die Teilnehmer:innen bauen ihre Präsentationsfähigkeit aus und lernen Mate-
rial inhaltlich und visuell optimal zu gestalten.
y Sie erhalten sowohl Informationen über die formale Gestaltung einer Präsenta-
tion als auch Hinweise auf die eigene Wirkung vor Publikum.
y Sie üben die rhetorisch versierte Darstellung von Inhalten und Argumenta-
tionslinien sowie den Umgang mit schwierigen Präsentationssituationen (z. B.
vor kritischem oder unaufmerksamem Publikum).
Präsentationstraining
Thema Beschreibung
4.2.9 Argumentations- und Rhetoriktraining
Thema Beschreibung
Beispiel- Teilnehmer:innen verteidigen eine Aussage auf dem »heißen Stuhl«; das Plenum
übung versucht, diese Aussage mit Killerphrasen und rhetorischen Tricks auszuhebeln.
4.2.10 Vertriebskommunikations- und Kundenorientierungstraining
Aus diesem Grund bedeutet die Implementierung einer Maßnahme zum Thema
»Vertrieb« oder »Kundenorientierung« auch immer, einen Selbstreflexionsprozess
im Unternehmen zu durchlaufen. Dabei müssen sich die Teilnehmer:innen z. B. fra-
gen, wie wichtig jedem einzelnen oder dem eigenen Unternehmen überhaupt die
Problemlösung, Reaktionsgeschwindigkeit oder das Beschwerdemanagement für
Kunden sind. Kundenorientierungstrainings, die sich nur auf auswendig gelernte
Verhaltensformeln reduzieren und die Rahmenbedingungen, in denen dieses Ver-
halten stattfindet, außer Acht lassen, greifen unserer Wahrnehmung nach zu kurz.
Was nützt Ihnen die schönste Telefonbegrüßungsformel, wenn Ihre Prozesse im
Unternehmen so angelegt sind, dass Sie Ihren Kunden am Telefon bei Problemen
wiederholt mitteilen müssen, dass Sie momentan noch gar nicht sagen können, wer
für das Thema zuständig ist? Insofern geht es beim Thema Vertrieb und Kunden-
orientierung einerseits um das kundenbezogene, individuelle Verhalten, anderer-
seits spielt aber auch die Reflexion der gelebten Kundenorientierung im gesamten
Unternehmen eine Rolle.
Vertriebskommunikations-/Kundenorientierungstraining
Thema Beschreibung
Vertriebskommunikations-/Kundenorientierungstraining
Thema Beschreibung
Beispiel- Teilnehmer:innen erleben sich selbst als Kunden, indem sie ein Servicetelefon in
übung Anspruch nehmen; Reflexion der Ergebnisse und Ableitung von Maßnahmen für
die eigene Organisation; Fragestellung: »Wie möchte ich als Kunde behandelt wer-
den und was heißt das für meine Arbeit mit meinen Kunden?«
Ähnlich wie bei Trainings zum Thema »Changemanagement« muss bei diesem The-
ma zwischen einer Workshopvariante und dem eigentlichen, hier im Fokus stehenden
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 233
An dieser Stelle interessieren uns aber zunächst nur die Trainings zum Thema »Team-
entwicklung« und »Steuerung von Teams« – es geht nicht darum, mit den Teilneh-
mer:innen eine Teamentwicklung durchzuführen, sondern ihnen zu vermitteln, was
sie in ihrer Rolle (z. B. als Teamleitung) zur Teamentwicklung tun können oder wie sie
ein Team leiten/steuern.
Thema Beschreibung
Inhalt y Grundlagen der Teamarbeit: Ziel und Arten von Teams; Team vs. Gruppe:
Unterschiede und Gemeinsamkeiten; Teamentwicklungsphasen/Teamstufen,
Wirkung von Faktoren wie Umfeld, Kohäsion, Heterogenität auf Teams
y Teamanalyse: das Team als Teil der Organisation, die Organisation als Men-
schen beschreiben – welches Organ/Körperteil bildet das Team ab? Einsatz von
Teamanalyse-Fragebogen
y Teamrollen: welche individuellen Teamtypen gibt es und wie sind sie im jewei-
ligen Team vertreten; Team-Feedback-Strukturen
y Entscheidungsfindung in Teams: Konformität, Gruppendruck, Groupthink,
»Advocatus Diaboli«, Kleingruppen, die von der Hauptgruppe getrennt Ent-
scheidungen fällen, Minoritäten-Meinung, Identifikation von Mindguards und
Querdenkern, Meinungsbildner
y Besonderheiten der Teamsteuerung: Reifegrad des Teams, Rollen und Aufga-
ben der Teamleiter:in (Kohäsions- und Lokomotionsfunktion)
y Gestaltung von Team-Workshops: Herausarbeiten von Verbesserungspotenzia-
len / Teamzielen / Leitlinien im Team / Schnittstellendefinition, Appreciative
Inquiry
y Team erleben: Outdoor-Übungen, Vertrauensübungen, Koordinationsübungen
Thema Beschreibung
4.2.12 Moderationstraining
Ähnlich wie bei Präsentationstrainings handelt es sich bei Trainings zum Thema »Mo-
deration« um Methodenseminare. Die Teilnehmer:innen erfahren hier etwas zur Rolle,
den Aufgaben und den Werkzeugen einer Moderator:in. Die Zielgruppe eines Modera-
tionstrainings hat in der Regel eine fachliche (z. B. Teamleitung) oder disziplinarische
Führungsfunktion. Natürlich ist es auch absolut sinnvoll, im Zuge immer flacherer Hie-
rarchien Moderationsrollen auf nicht-hierarchische Ebenen zu erweitern.
Thema Beschreibung
Ziel y Teilnehmer:innen werden mit den Grundzügen der Moderation vertraut ge-
macht, um Kommunikationsprozesse im Team effektiv zu steuern.
y Teilnehmer:innen verfügen über ein umfassendes Repertoire von Techniken
und Instrumenten des Moderierens.
y Sie lernen die Rolle der Moderator:in im Team und die Dramaturgie einer mo-
derierten Besprechung kennen.
y Sie üben den Einsatz von Moderationsfragen und entsprechenden Visualisie-
rungs- und Präsentationstechniken zur professionellen Gestaltung interner und
externer Termine.
Inhalt y Rolle der Moderator:in: Gestaltungsmittel und Katalysator für die Teamleistung;
Zeit- und Strukturgeber; Aufgabe: Methoden bereitstellen, nicht Inhalte beitragen
y Dramaturgie einer moderierten Besprechung: Vorbereitung, Durchführung und
Nachbereitung; Sitzordnung, Agenda, Zieldefinition, Zeitfenster, Themenbe-
arbeitung, Protokollierung, Ergebnissicherung; Checklisten
y Moderations-Fragetechniken und -mittel: Erwartungsabfrage, Brainstorming/
Ideenfindung, Kartenabfrage, Problemanalyse-Plan, Vier-Felder-Schema, Ursa-
chen-Wirkungs-Diagramm, Priorisierung/Bewertung, Flowcharts, Workshop-
fragen, Aktionspläne, Stimmungsbarometer
y Umgang mit schwierigen Teilnehmer:innen, Vielrednern / Kontakt zur Gruppe
Thema Beschreibung
4.2.13 Problemlöse- und Kreativitätstraining
Thema Beschreibung
Thema Beschreibung
Beispiel- Die Teilnehmer:innen füllen einen Fragebogen zu Problemlösestilen aus und dis-
übung kutieren die Ergebnisse für die Zusammenarbeit im Team und daraus entstehende
Widersprüche bei der gemeinsamen Problembewältigung.
4.2.14 Selbst- und Zeitmanagementtraining
In den Bereich der Entwicklung der persönlichen Kompetenz lassen sich Selbstma-
nagementtrainings einreihen. Wir hatten im Zuge der Beschreibung von Changema-
nagementtrainings auf die sich immer schneller drehende Arbeitswelt verwiesen.
Verständlicherweise wächst hier auch der Bedarf, die Arbeit mit den entsprechenden
»Tools« immer schneller erledigen zu können – um dann trotz des hohen Arbeits-
drucks immer noch Zeit für anderes zu haben.
Thema Beschreibung
4.2.15 Stress- und Gesundheitsmanagementtraining
Thema Beschreibung
Ziel y Die Teilnehmer:innen lernen das Stessmodell von Lazarus kennen und können
damit eigene Stresssituationen analysieren.
y Die Teilnehmer:innen kennen die bio-psycho-sozialen Grundlagen von Stress
und deren Konsequenzen.
y Die Teilnehmer:innen erhalten ein weitgefächertes Instrumentarium zur Wei-
terentwicklung der individuellen Stresskompetenz.
y Sie lernen Belastungsfaktoren im eigenen Bereich frühzeitig zu erkennen: Mob-
bingstrukturen, Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz.
y Sie setzen sich mit Salutogenesefaktoren auseinander und erkennen deren
Bedeutung für betriebliche Kennzahlen: verringerter Krankenstand, erhaltene
Leistungsfähigkeit, Mitarbeitermotivation, verbessertes Betriebsklima, verbes-
sertes Personalmarketing und Image.
Inhalt y Gesundheit – Krankheit – Stress – was ist das? Definition von Stress, Abgren-
zung zu Burnout
y Stressmodell von Lazarus
y Stressampel
y Burnout-Zyklus
y Arten von Stressoren/Bewertungsprozesse/Verhaltensveränderungen
y Psychologische und physiologische Auswirkungen von Stress am Arbeitsplatz
y Ansätze zur Stressbewältigung
y Regeneratives Stressmanagement: Erholen – aber richtig
y Mentales Stressmanagement 1: Stressverschärfende und förderliche Denkmuster
y Mentales Stressmanagement 2: Förderliche Gedanken entwickeln
y Instrumentelles Stressmanagement: Anforderungen aktiv angehen
y Gesundheitsmanagement: ein unternehmerisches Konzept zur ganzheitlichen
Arbeitsplatzgestaltung und Salutogenese
y Circardiane Rhythmen, Morgen-/Abendmensch, Schlafrhythmen
y Pausengestaltung
y Stress am Arbeitsplatz; Arbeitsunfälle, Modell des persönlichen Risikoverhaltens
y Krankenstand, Fluktuation, Arbeitsausfall – statistische Grundlagen und Be-
stimmungsfaktoren
y Rückkehrgespräche – wie werden sie implementiert und durchgeführt?
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 239
Thema Beschreibung
Vor dem Hintergrund, dass wir als Menschen »Wahrnehmungstierchen« sind, die
schon aufgrund der Funktionsweise unseres Gehirns auf schnelle Entscheidungen
und Stereotypisierungen bei der Betrachtung und Einschätzung anderer Menschen
gepolt sind, kann man Trainings zur sozialen Wahrnehmung schon fast als Grund-
lagenthema bezeichnen, das jeder durchlaufen sollte, der mit Menschen zu tun hat.
Diese Trainings enthalten spannende Übungen, um den Teilnehmer:innen Wahrneh-
mungsverzerrungen, denen wir alle vorbewusst und »zuverlässig« unterliegen, vor Au-
gen zu führen (s. hierzu auch unser Exkurs 8 Eignungsdiagnostik als soziale Situation
zum Thema »Beobachterfehler« – Interview und Einsatz als AC-Beobachter:innen als
»On-the-Job-Maßnahme« in Kapitel 4.5 »On-the-Job-Maßnahmen«).
Thema Beschreibung
Thema Beschreibung
Beispiel- Teilnehmer:innen beurteilen in der Runde aus dem Bauch heraus »Bewerbungs-
übung fotos« von ein und derselben Person (in der Kürze schwer erkennbar), allerdings
mit unterschiedlicher Kleidung und Frisur – es entstehen extrem unterschiedliche
Urteile.
Teilnehmer:innen interviewen sich gegenseitig: Die/der Interviewte hat die Aufga-
be, bei 3 von 10 Fragen zu lügen. Die Interviewer:innen notieren sorgfältig alle kör-
persprachlichen Signale und Antwortformen und entscheiden dann, bei welchen
Fragen gelogen wurde.
4.2.17 Führen auf Distanz
Das Thema »Führen auf Distanz« entwickelte schon vor der Corona-Pandemie Dyna-
mik und gewann zunehmend an Bedeutung. Expert:innen für virtuelle Kooperation
prognostizierten, dass ein substanzieller Bestandteil der arbeitenden Bevölkerung
die eigene Arbeit in naher Zukunft aus dem Homeoffice heraus erledigen würde. Bis
zum Jahr 2020 hinkten diese Prognosen jedoch durchweg der Realität hinterher. In
Deutschland zeigte sich beispielsweise, dass – je nach Befragung – nur ca. 4 bis 5 % der
Beschäftigten »ausschließlich oder überwiegend« im Homeoffice arbeiteten (Statis-
ta, 2020; Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, 2022), Die Anzahl derjenigen
Menschen in Deutschland, die wirklich »von zu Hause« oder von anderen, nicht arbeits-
4.2 Training, Seminare und Schulungen | 241
platzbezogenen Orten aus gearbeitet haben, war bis dahin überschaubar, vor allem bei
den abhängig Beschäftigten – sei es, weil nicht jedes Unternehmen einen »Telearbeits-
platz« ermöglicht hat, oder einfach, weil eben nicht jede als »Wissensarbeiter:in«
tätig sein kann und es immer noch sehr viele Berufe gibt, die sich nicht »virtualisie-
ren« lassen. So geht man aktuell bei ca. 45 % der Menschen in Deutschland davon aus,
dass sich deren Tätigkeit nicht nennenswert ins Homeoffice verlagern lässt (Statista
2018; Bitkom 2020; Appinio 2021). Durch die Corona-Pandemie, die sich mit Blick auf
die Arbeit im Homeoffice von 2020 an wie ein gewaltiges Feldexperiment darstellte,
hat sich der Anteil der Menschen, die mit dem Thema in Berührung gekommen sind,
nun nachhaltig geändert. Im Schnitt arbeiteten mit Ausbruch von Corona ca. 25 % der
Beschäftigten überwiegend von zu Hause, in der mobilen Arbeit bzw. im Flexwork-
Modus, in Zeiten des verschärften Lockdowns waren es um die 30 % (Statista, 2022a;
Hans-Böckler-Stiftung, 2021; ifo Institut, 2022; Demmelhuber et al., 2020; Alipour,
Falck & Schüller, 2020). Trotz der weder freiwilligen noch gar geplanten Homeoffice-
Einführung, die für einige in Zeiten des Lockdowns auch mit schwierigen Bedingungen
wie parallelem Home Schooling gekoppelt war, hat das Modell nun in der Arbeitswelt
Fuß gefasst. Zahlreiche Befragungen von Arbeitnehmer:innen im Netz legen nahe,
dass die deutliche Mehrzahl in Zukunft gerne »hybrid« arbeiten möchte, mit einem
präferierten Heimarbeitsanteil von 2 bis 3 Tagen in der Woche. Vor allem jüngere Be-
schäftigte geben sogar an, dass eine durch ihr Unternehmen erzwungene Rückkehr zu
100 % Büro für sie ein Grund für einen Jobwechsel wäre. Es steht daher sicher außer
Frage, dass virtuelle Kooperationsformen für eine Vielzahl von Unternehmen fester
Bestandteil des organisationalen Handelns bleiben werden und damit immer mehr
Führungskräfte die Herausforderung haben, Mitarbeiter:innen zu führen, die sie nicht
täglich persönlich erleben können. Wenn man so will, sind also die eingangs genann-
ten Prognosen hinsichtlich der Zukunft des Homeoffice (Herrmann, Hüneke & Rohr-
berg, 2012) doch noch eingetroffen, wenn auch in erster Linie durch einen Booster
im Gewande eines »Schwarzen Schwans« (Taleb, 2018) und somit allumfassender als
jemals vorhergesagt.
Trainings zu diesem Thema zielen einerseits auf die Führung sogenannter virtueller
Teams ab, d. h. auf Teams, die im Rahmen einer Matrixorganisation meist zeitlich be-
grenzt, auf unterschiedliche, oft internationale Standorte verteilt, vernetzt an einem
Projektziel arbeiten und sich danach wieder auflösen bzw. im Rahmen neuer Projek-
te wieder neu vernetzen (»dispersed«, »distributed«, »spatial«, »temporal teams«).
Andererseits werden natürlich Führungskräfte angesprochen, in deren Organisation
mobiles Arbeiten bzw. Homeoffice eingeführt wird oder bereits wurde – wie es z. B. in
der öffentlichen Verwaltung in den letzten Jahren und auch schon vor der Pandemie
vermehrt geschehen ist – und die nun mit den kommunikations- und organisations-
bezogenen Herausforderungen und Potenzialen dieser Situation umgehen sollen.
242 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Inhalt y Die Corona-Pandemie als »Brennglas« für Unternehmen und den Menschen,
die darin arbeiten: Auswirkungen auf unsere Arbeit am Beispiel »mobiles Ar-
beiten«/»Homeoffice«:
– Trends in Deutschland: Wollen wirklich alle nur noch von zu Hause aus
arbeiten?
– Vor- und Nachteile von Homeoffice – bereits vor der Pandemie: Produk-
tivität, konzentriertes Arbeiten, Wegfall von Pendelzeiten vs. fehlender
Austausch / Abgeschnittensein vom Info-Fluss, soziale Isolation, fehlende
Innovation, nicht ergonomischer Heimarbeitsplatz
– Bedeutung für die Zusammenarbeitskultur
– Aktuelle Erkenntnisse und Trends in der Arbeit, beschleunigt durch eine
Pandemie
y Teamdynamik/Teamentwicklung im virtuellen Kontext:
– Vertrauensbildung gerade in der Startphase von virtuellen Teams / soziale
Vernetzung
– Gegenseitiger Erwartungsabgleich: offenes Ansprechen von Nutzen und
Vorteilen von Homeoffice- bzw. Distanzsituationen, aber auch der poten-
ziellen Risiken und der daraus entstehenden Missverständnisse
– Abgleich mit dem »psychologischen Vertrag« der oder des Einzelnen
– Ableitung gemeinsamer Spielregeln der virtuellen Zusammenarbeit
– Führungsrolle(n) in der virtuellen Kooperation sowie Reflexion der eigenen
Haltung als Führungskraft
– Was tun, wenn jemand die Freiheiten zu sehr ausnutzt bzw. aus dem Team
»driftet« (Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn …«) etc.?
y Planung und Steuerung der Zusammenarbeit und der Aufgaben:
– Kick-off / gemeinsame Projektplanung / Meeting-Frequenz
– Einführung und Gestaltung von Teamplattformen
– Ressourcenbereitstellung und Steuerung im virtuellen Umfeld
– Dokumentenbearbeitung und -bereitstellung
– Anwesenheits-/Abwesenheitspläne, Verteilung der Aufgaben
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 243
Beispiel- Workshop: Unterteilung in Unterteams, die Werkzeuge für das Führen auf Distanz
übung entwickeln, z. B. Kommunikations-Tools, Spielregeln der Zusammenarbeit, Struk-
turierungs-Werkzeuge u. Ä.
Analyse eines Fallbeispiels: Umgang mit einer Mitarbeiter:in, die seit mehreren
Wochen zu spät liefert, öfter nicht am Homeoffice-Platz ist, obwohl sie anwesend
sein müsste, morgens zunächst nicht erreichbar ist etc.
Was meinen wir mit prozessbegleitendem Charakter? Bei einigen Maßnahmen benö-
tigt man nicht sehr viele »Vorerklärungen« gegenüber den Teilnehmer:innen, warum
diese stattfinden und warum man an diesen teilnehmen sollte. An einem Beispiel
festgemacht: wenn Sie in Ihrer neuen Position vermehrt Präsentationen vor dem
244 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Vorstand halten dürfen, bisher aber wenig Gelegenheiten hatten, überhaupt Präsen-
tationen zu halten, werden Sie sich wahrscheinlich nicht lange mit dem »Warum?« auf-
halten, wenn Ihre Führungskraft Ihnen vorschlägt, doch ein Präsentationstraining zu
besuchen.
Bei den in diesem Kapitel beschriebenen Maßnahmen ist das anders. Wenn Sie z. B.
eine Teamentwicklung durchführen wollen, braucht es eine Zielausrichtung, ein Bild
davon, was sich dadurch verändern soll, was die Maßnahme bewirken soll. Dieses Bild
sollte gemeinsam mit den Teammitgliedern entworfen werden, oder sie sollten zu-
mindest dahingehend abgeholt werden, wie die definierten Ziele aussehen. Zudem
sollten Sie sich überlegen, wie Sie nach Durchführung der Teamentwicklung überprü-
fen wollen, ob die geplanten Veränderungen im Team eingetreten sind – Sie evaluieren
die Maßnahme also. Im Prinzip durchläuft man mit der Prozessbegleitung eine Art »Mi-
ni-PE-Zyklus« wie wir ihn im ersten Kapitel in Abbildung 4 dargestellt haben.
Es bedarf also entsprechender methodischer Elemente wie eine auf die Maßnahme
hin abgestimmte Führungskommunikation, unterstützt durch die Kommunikation
von Seiten der PE. Möglicherweise sind Vorgespräche mit den Teilnehmer:innen nö-
tig, um deren Ideen für die Inhalte der Maßnahme abzuholen oder in einem dialogi-
schen Setting über die Ziele, Risiken und Chancen des Prozesses zu diskutieren. Bei
größeren Prozessen ist vielleicht auch eine Steuerungsgruppe notwendig, die sich in
regelmäßigen Abständen trifft, um den Verlauf der Maßnahme zu beobachten und die
Zielverfolgung entsprechend zu unterstützen und es können flankierende Kommuni-
kationsinstrumente wie Newsletter zum Einsatz kommen.
Im Folgenden Abschnitt haben wir für Sie einige der methodischen Grundprinzipi-
en als Checkliste aufgeführt, die für den Erfolg prozessbegleitender PE-Maßnahmen
wichtig sind.
y Prozessorientierung: Dass dieser Aspekt dazugehört, wird Sie nicht überraschen.
Dennoch wollen wir hier kurz umreißen, was das heißt: prozessbegleitende PE-
Maßnahme sollten modular gestaltet werden und so eine inhaltliche, konzeptio-
nelle und organisatorische Anpassung an den aktuellen Qualifizierungsbedarf
innerhalb der einzelnen Module und während des Prozesses erlauben. Dies wird
durch enge Abstimmungszyklen zwischen den Prozessträgern des Unternehmens
bezüglich der Zwischenergebnisse der einzelnen Schritte gewährleistet, bis hin
zum Abschluss des Prozesses.
y Information und Transparenz: Um die betreffenden Mitarbeiter:innen abzuho-
len, empfiehlt es sich bei prozessbegleitenden Maßnahmen, dass die Führung
und die PE alle Beteiligten im Vorfeld des eigentlichen Prozesses rechtzeitig über
die Ziele der jeweiligen Maßnahme informiert und sich mit diesen darüber aus-
tauscht. Hierbei ist auch die Einbettung der Maßnahme in die strategische Ge-
samtausrichtung oder die zentrale Aufgabenstellung des betreffenden Bereichs
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 245
sinnvoll und zielführend. Diese Art der Transparenz fördert die Akzeptanz der Be-
teiligten für die Inhalte und Ziele der Maßnahme: für die Mitarbeiter:innen geht
es einfach darum, zu verstehen, woran sie sich beteiligen und was ihr Anteil an
der Erreichung der intendierten Ziele sein kann. Die Rolle, die bei der Sicherstel-
lung des gemeinsamen Zielverständnisses den Führungskräften zukommt, ist
nicht zu unterschätzen.
y Partizipation: Dieser Aspekt der Prozessbegleitung hängt eng mit den vorherigen
Aspekten der Transparenz und Akzeptanz zusammen: es zahlt ebenso auf diese
beiden Punkte ein, die Erfahrungen der Mitarbeiter:innen und ihre Erwartungen
mit in das Maßnahmen-Design einfließen zu lassen. Daher sollten die Teilneh-
mer:innen in entsprechenden Vorabbefragungen die Möglichkeit erhalten, Impul-
se für die Inhalte der Maßnahme einzubringen, indem Fragen wie »Was ist Euch
für unsere Maßnahme wichtig? Was soll sich dadurch für uns verändern?« gestellt
werden. Dieses Vorgehen unterstützt, dass die Teilnehmer:innen selbst zu den
»Ownern« des Prozesses werden und sich aktiv für die eigene Entwicklung im Rah-
men desselben engagieren: die Identifikation aller Beteiligten mit den Zielen des
Prozesses ist so gesichert.
y Selbstverantwortliche Entwicklung: Auch dieser Methodenansatz ist mit dem
vorherigen Punkt verknüpft: die Mitarbeiter:innen, die in einer prozessbeglei-
tenden Maßnahme involviert sind, sollten nicht nur an deren Zielausrichtung
mitwirken, sondern auch während der Maßnahme selbst Einfluss auf ihre eigene
Entwicklung nehmen können. Dies kann durch Integration von Feedbackelemen-
ten wie einem Selbstbild-Fremdbild-Abgleich (s. Kapitel 4.1 »Feedbackbezogene
Verfahren«) geschehen, durch Übernahme von Prozessverantwortung (z. B. in der
Gestaltung von Zwischenpräsentationen für das Topmanagement) oder durch
eigenverantwortlich gesetzte Lernziele. Hier spielen Aspekte wie selbstverant-
wortliches Lernen, Selbstreflexion und Lernfähigkeit eine Rolle.
y Evaluation, Transfersicherung und Ableitung von Folgemaßnahmen: Eine PE-
Maßnahme soll immer eine Veränderung – zum Positiven! – für die Beteiligten
erreichen, sei es hinsichtlich der Zusammenarbeit im Team, der Bearbeitung ein-
gefahrener Konflikte, der Optimierung von Prozessen oder der Ergebnisverbes-
serung. Hierzu liefert die PE-Maßnahme selbst das Grundgerüst, um sich auf die
entsprechenden Ziele zuzubewegen. In der Folge sollte aber sichergestellt werden,
dass die geplanten Aktionen, z. B. die neuen Ansätze in der Zusammenarbeit, die
veränderten Prozesse oder die vereinbarte Neuausrichtung, auch umgesetzt wer-
den. Dies kann z. B. in Form von Reviewterminen geschehen. Den Führungskräften
kommt hier wieder eine wichtige Rolle für die Transfersicherung zu: es empfiehlt
sich, dass sie während des gesamten Prozesses immer wieder Transfersicherungs-
gespräche mit ihren Mitarbeiter:innen führen, die die Erreichung der intendierten
Maßnahmenziele unterstützen. Das Ergebnis eines solchen Transfersicherungs-
prozesses kann auch die Ableitung weiterer möglicher Umsetzungsschritte sein,
womit wir wieder bei Punkt 1, der Prozessorientierung, wären.
246 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Um das Ganze nach den etwas trockenen methodischen Grundprinzipien mit etwas
mehr Leben zu befüllen, wollen wir Ihnen in den folgenden Abschnitten einige PE-
Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter vorstellen, angefangen mit einem
Thema, das fast alle Menschen berührt, die in Unternehmen arbeiten: der Entwicklung
von Teams.
4.3.1 Teamentwicklung
Auf die Wichtigkeit des Themas »Stimmung im Team, das »Teamklima«, haben wir be-
reits in Kapitel 2.1 »Organisationsanalyse« hingewiesen. Die meisten von uns arbeiten
nicht für sich alleine, sondern sind Bestandteil eines Teams, einer Abteilung oder eines
Bereichs. Das ist für uns eine Quelle der Motivation und Ressource im Arbeitsleben,
zugleich kann die Zusammenarbeit mit anderen aber auch »demotivieren« und »stres-
sen«, wenn sie nicht gut läuft.
Hier kommt das Thema »Teamentwicklung« (oder wenn man es weiter fassen will,
auch als Bereichsentwicklung bezeichnet) zum Tragen. Vereinfacht zusammengefasst
könnte man formulieren, dass Teamentwicklungen meist vor dem Hintergrund zweier
Ausgangssituationen durchgeführt werden:
y Wenn es nicht gut läuft, wenn also Konflikte im Team vorherrschen, Ziele oder
»Zukünfte« unklar sind, wenn man sich konsolidieren will oder muss. Hier kann
eine Teamentwicklung durchaus auch Elemente einer Konfliktklärung oder Media-
tion beinhalten (s. nächstes Kapitel).
y Wenn es gut läuft, wenn also positive Entwicklungs- und Wachstumsthemen im
Vordergrund stehen, z. B. eine selbst gesteuerte Neuausrichtung oder eine Erwei-
terung des Teams um neue Mitglieder und der damit verbundenen Idee, sich im
Rahmen einer solchen Maßnahme intensiver kennen zu lernen. Gerade bei diesem
Aspekt passt also der Begriff »Teamentwicklung« perfekt.
Themen bei Teamentwicklungen
Beispielhaft seien hier einige typische »Aufhänger« und Themen bei Teamentwicklun-
gen genannt:
y Der Bereich oder das Team ist neu und man möchte sich näher kennenlernen.
y Der Beginn eines gemeinsamen Projektes steht an und die Teammitglieder sollen
mit einem gemeinsamen Erlebnis starten.
y Es kommen neue Kolleg:innen ins Team und man will diese frühzeitig integrieren
und mit den Zielen und den Spielregeln des Teams vertraut machen.
y Das Team möchte sich untereinander vor dem Hintergrund eines systematischen
Rahmens Feedback geben.
y Das Team oder der Bereich plant eine Neuausrichtung, z. B. hinsichtlich der eige-
nen Positionierung im Unternehmen.
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 247
Ziele von Teamentwicklungsprozessen
Die generellen Ziele von Teamentwicklungsprozessen lassen sich, natürlich jeweils in
der Betonung ausgerichtet an den oben genannten »Aufhängern«, folgendermaßen
zusammenfassen:
y Sich als Team analysieren und »verstehen«: Das Team lernt sich untereinander
besser kennen, alle Teammitglieder verstehen die Aufgabenstruktur und die Rol-
lenanforderungen der jeweiligen Partner:innen und entwickeln eine klare Sicht
bezüglich der eigenen Stärken und Schwächen. Zudem reflektieren sie die eige-
nen Arbeits- und Qualitätssicherungsmechanismen, analysieren die Verteilung
der Teamrollen und finden so Hebel, die eigene Teamkultur positiv zu beeinflus-
sen.
y Als Team zusammenwachsen, Wir-Gefühl entwickeln: Das Team klärt gegen-
seitige Erwartungen, definiert Spielregeln der Zusammenarbeit, entwickelt ein
gemeinsames Selbstverständnis und damit auch ein neues Selbstbewusstsein.
Durch die Vertiefung der Beziehungen untereinander wird das Teamklima dauer-
haft verbessert und die Basis für eine offene Feedbackkultur gelegt.
y Schnittstellenklärung: Das Team definiert gemeinsam, wie die Zusammenarbeit
untereinander und/oder mit anderen Bereichen optimiert werden kann und klärt
diesbezügliche gegenseitige Erwartungen.
y Gemeinsame Zieldefinition: Die Teammitglieder erarbeiten gemeinsam, welche
Ziele sie erreichen wollen. Durch diese gemeinsame Zieldefinition steigt die Ko-
häsion der Gruppe, der Einzelne fühlt sich als Bestandteil eines schlagkräftigen
Teams. Aus den erarbeiteten Zielen wird ein konkreter Aktionsplan entwickelt, der
das Commitment der Teammitglieder in der gemeinsamen Zielverfolgung unter-
stützt.
y Strategische Ausrichtung: Das Team arbeitet den Stand des eigenen Bereichs in-
nerhalb des Gesamtunternehmens heraus und definiert die eigene strategische
Ausrichtung, um sich selbst Richtung zu geben.
Modulen bestehen. Ein Thema wie »näheres Kennenlernen der Teammitglieder unter-
einander« rechtfertigt sicherlich keine Teamentwicklung mit 5 über ein halbes Jahr
wiederholten 2-tägigen Blöcken, die Neuausrichtung eines gesamten Bereichs mit der
zugrundeliegenden Frage »Wie verändern wir unser Image im Konzern und wie erfin-
den wir uns neu?« ggf. aber schon.
Einerlei, ob es sich um eine einmalige Teamentwicklung oder einen Prozess mit meh-
reren Modulen handelt: je nach Frage kann es sinnvoll sein, danach zu evaluieren, ob
die Maßnahme die intendierten Ziele erreicht hat. Sicherlich ist dies bei dem Ziel, sich
einfach nur näher kennen zu lernen weniger relevant als bei der Definition neuer Spiel-
regeln der Zusammenarbeit. Ein zeitversetzter Review (z. B. ein halbes Jahr nach der
Teamentwicklung) betont zum einen die Nachhaltigkeit des Prozesses, zum anderen
hilft er auch, die Umsetzungsmotivation aller Beteiligten hoch zu halten. Relevante
Fragestellungen für solche Reviews sind z. B.:
y Wie nehmen wir uns in unseren neuen Teamrollen wahr? Was läuft gut, was müss-
ten wir noch verändern?
y Halten wir uns an die vereinbarten Spielregeln? Wenn nein, woran liegt das und
was können wir hier tun?
y In welchen Bereichen haben sich unsere Prozesse verbessert? Was fehlt ggf. noch?
y Wie bewährt sich unsere Stellen- und Aufgabenbeschreibung? Haben wir alle not-
wendigen Kompetenzen?
y Wie gestaltet sich das Zusammenspiel untereinander, mit unseren Führungskräf-
ten und mit unseren Schnittstellen? Was hat sich verbessert, woran müssen wir
noch arbeiten?
y Wie wollen wir unsere vereinbarten Aktionen noch ausbauen, wie wollen wir uns
noch weiterentwickeln?
4.3.2 Konfliktbearbeitung und Mediation
Im vorherigen Abschnitt hatten wir über die Entwicklung von Teams gesprochen,
sowohl unter »Wachstumsbedingungen« als auch, um eventuelle Reibungspunkte
untereinander zu verringern. Wenn wir nun auf Situationen schauen, in denen pro-
zessbegleitende Maßnahmen zur Konfliktbearbeitung oder mit einem Mediations-
charakter gefragt sind, hat es in der Regel schon einmal »richtig gekracht«. Bei allem
Bestreben, ein gutes Klima untereinander herzustellen, gilt nichtsdestotrotz in jedem
Unternehmen der Grundsatz »Wo gehobelt wird, fallen Späne!« Gerade bei hohem
Arbeitsdruck und hohem »Durchsatz« an Kundenkontakten leidet in aller Regel – zu-
mindest nach einer gewissen Dauer der Belastung – auch das Teamklima. Meist fällt es
dann den Mitarbeiter:innen in der Gruppe irgendwann einmal schwer, eine gute »Stim-
mung« untereinander aufrechtzuerhalten.
Ein gutes Teamklima wirkt wie ein Damm: Es sorgt dafür, dass in Unternehmen all-
gegenwärtige Konflikte offen angesprochen und somit potenziell schneller einer
konstruktiven Lösung zugeführt werden können – nicht zuletzt, weil man sich unter-
einander »zutraut«, das Thema erfolgreich lösen zu können. Gegenseitiges Vertrauen
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 251
ist die Basis für erfolgreiches Konfliktmanagement. Im Umkehrschluss führt ein »an-
geknackstes« Teamklima viel schneller dazu, dass Konfliktthemen eskalieren, »breit
getreten« oder im Gegenteil »unter den Teppich gekehrt werden«, um dann weiter zu
schwelen und so eine produktive Lösung der Situation eher verhindern.
Wenn Konflikte über einen gewissen Zeitraum auf diese Art und Weise »gelebt« wer-
den, fällt es den Beteiligten immer schwerer, aus eigener Kraft aus diesen Negativ-
spiralen herauszufinden, nicht zuletzt, weil sich die beschriebenen Mechanismen
gegenseitig verstärken und sich das »Bild vom anderen« immer mehr festigt. Dann
ist es an der Zeit, das Thema in Form eines Konfliktbearbeitungsprozesses oder einer
Mediation anzugehen.
Zielhierarchie von Konfliktbearbeitungsmaßnahmen
Die Zielhierarchie von Konfliktbearbeitungsmaßnahmen lässt sich folgendermaßen
zusammenfassen:
1. Im ersten Schritt: die Grundsituation des jeweiligen Teams oder der Einzel-Kon-
fliktpartner:innen wird beleuchtet und der »Kernkonflikt« – falls vorhanden – wird
klar herausgearbeitet.
2. Die ersten erkennbaren positiven Tendenzen in der Zusammenarbeit werden ge-
sichert und ausgebaut.
3. Es entsteht eine Akzeptanz für unterschiedliche Blickwinkel (z. B. derjenige einer
Führungskraft und derjenige einer Mitarbeiter:in).
4. Die Beteiligten erkennen ihren jeweiligen eigenen Anteil am negativen Teamklima
bzw. an der Konfliktsituation.
5. Sie treffen eine bewusste Entscheidung, wie sie sich in Zukunft im Team positiv
platzieren können (oder dafür, dass sie mit den entsprechenden Konsequenzen
umgehen können, wenn sie sich nicht dazu in der Lage sehen).
6. Die Negativ-Spiralen werden durchbrochen.
7. Die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit wird wiederhergestellt, indem
das Vertrauen zueinander verbessert wird.
8. Das Teamklima normalisiert sich wieder, so dass sich alle Beteiligten wieder nor-
mal begegnen können.
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 253
Mehrstufiges Vorgehen
Auch für diese Art der PE-Maßnahme möchten wir Ihnen zur Ihrer Orientierung bei-
spielhaft ein mehrstufiges Vorgehen beschreiben. In vorliegendem Beispiel lag ein
Konflikt innerhalb des Teams, aber auch zwischen dem Team und dessen Führungs-
kraft vor.
1. Ansprache der Maßnahme im Team: Wie bei den methodischen Grundgedanken
unter »Bedeutung der Maßnahme« beschrieben sollte die obere Führungsebene
und die PE das Team vor Start des Prozesses darüber informieren, dass man das
Thema moderiert angehen wird und dass es wichtig ist, hier zu einem greifbaren
Ergebnis zu kommen. Gleichzeitig sollte vermittelt werden, dass die Maßnahme
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 255
tages an, als ein wichtiges Zeichen für alle Beteiligten, dass die Ergebnisse ernst
genommen werden.
6. Optional: Zwischenabstimmung 2: Abstimmungstermin zwischen der Mode-
rator:in und den Prozesstreibern bezüglich des aktuellen Standes nach dem
Kooperations-Workshop; Entscheidung zu eventuell anstehenden weiteren Pro-
zessschritten bzw. Bilanz zu Erreichtem.
7. Gemeinsamer Review zur Evaluation des Prozesses mit den Kernfragen nach ca.
4 Monaten:
– Wie läuft unsere Zusammenarbeit?
– Halten wir uns an die Spielregeln? Falls nein oder nur zum Teil: woran liegt das?
– Was wollen wir noch angehen und verbessern?
Wir stellen Ihnen auf den kommenden Seiten drei PE-Maßnahmen mit prozessbeglei-
tendem Charakter in Form von differenzierten Einzelschritten und zusammenfas-
senden Prozessgrafiken vor. Die Grafiken sind inhaltlich ebenfalls relativ detailliert
beschrieben, so dass Sie in den einzelnen Modulen, den »Kästchen« in der jeweiligen
Grafik, zugleich eine Art »Kurz-Checkliste« der Inhalte und Ziele des jeweiligen Schrit-
tes erhalten.
rungen an die Mitarbeiter:innen im Bereich der sogenannten »soft skills« sind in den
letzten Jahren dementsprechend erheblich gestiegen. Die Fähigkeiten, den Kunden-
bedarf genau zu erfassen, Konflikte beim Kunden schnell und umfassend zu lösen
oder innovative Lösungen bedarfsspezifisch zu entwickeln, werden in Zukunft immer
mehr den Erfolg auf der »hard facts«-Ebene bedingen.
Unter umgedrehten Vorzeichen – wenn also aufgrund von Problemen im Team die
Kundenorientierung leidet – bedeutet dies, dass nicht gelebte Kundenorientierung
erheblichen Schaden für ein Unternehmen anrichten kann. Besonders häufig kommt
dies bei Teams vor, die an einem Front desk im direkten, täglichen Kundenkontakt
zusammenarbeiten und während des gesamten Arbeitstages »nicht planbaren Kun-
denverkehr« haben. Hier melden sich oft Kunden, die unter Druck stehen, ein akutes
Problem haben oder die anderweitig Zeit und Geld verlieren. In solchen Fällen zum
einen immer »problemlösungsorientiert«, d. h. partnerzentriert und gleichzeitig sach-
lich und klar zu agieren, und zum anderen zugleich auch untereinander »den richtigen
Ton zu treffen«, stellt höchste Ansprüche an die kommunikativen Fähigkeiten der oder
des Einzelnen.
Gerade der direkte Kundenkontakt bringt also die Notwendigkeit mit sich, die eigenen
emotionalen Reaktionen zu kontrollieren und, trotz genervter Kunden oder Kolleg:in-
nen, nach außen hin ruhig und freundlich zu bleiben. Es gilt also, die eigenen Emotio-
nen zu »regulieren«, »sich zusammen zu reißen«, sich zu »steuern«. Man spricht auch
von der sogenannten »Emotionsarbeit« und unterscheidet hier das
y »Surface acting«: Man empfindet die positive Emotion nicht wirklich, »lächelt aber
trotzdem« (stereotypes Beispiel: die eigentlich vom Fluggast genervte, aber stets
freundliche Flugbegleiterin) und das
y »Deep acting«: Man entwickelt tatsächlich einen positiven Zugang zu seiner an-
spruchsvollen, kundenbezogenen Aufgabenstellung und kann dementsprechend
auch in schwierigen Situationen immer noch zuversichtlich – und damit auch
freundlich – agieren.
Und genau hier setzt der in der untenstehenden Grafik skizzierte Prozess an: in unse-
rem Beispiel sind die beiden Ziele unterlegt, bei einem Team in einem Servicecenter
mit durchgehendem direkten Kundenkontakt (face-to-face und Telefon) einerseits
die Abstimmung und die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern und zugleich
aber auch an der eigenen Kundenorientierung zu arbeiten. Einige der methodischen
Elemente erkennen Sie wieder, wenn Sie sich die Inhalte der vorherigen beiden Kapitel
nochmals vor Augen halten: Einbeziehung der Teilnehmer:innen in die Maßnahmen-
gestaltung, Vorabgespräche, Gestaltungselemente und Selbstverantwortung wäh-
rend der Maßnahme bis hin zu einem geplanten Review-Termin, um zu überprüfen, ob
die erreichten Veränderungen nachhaltig waren.
Teamentwicklung im Service, Fokus Kundenorientierung – zentrale methodische Aspekte
• Bedeutung der Maßnahme
• Wertschätzung durch die Maßnahme
• Vertraulichkeit in der Analysephase
• Selbstreflexion und Erkennen eigener Anteile
• Eigene Verpflichtung
• Abholen der Fragen und • Transfersicherungs-Teams
• Gemeinsamkeiten/Hebel zur Erwartungen, offene Diskussion –
Veränderung identifizieren mit externer Begleitung
Ein weiteres Beispiel für eine PE-Maßnahme mit prozessbegleitendem Charakter ha-
ben wir bewusst gewählt, weil in diesem auch der Rolle der PE-Abteilung selbst eine
große Bedeutung im Zusammenhang mit der Begleitung von Unternehmensverände-
rungen zukommt.
Das »Sich-Bewegen« in der VUCA-Welt ist für jedes Unternehmen mit der Notwendig-
keit verbunden, Veränderungsprozesse zu durchlaufen. Die Restrukturierung einer
Organisation oder die Erhöhung ihrer Agilität verfolgt dabei ein wesentliches Ziel:
man möchte Synergien entwickeln und die Chancen am Markt effizienter nutzen.
Wenn man die oben genannten Aspekte betrachtet, wird deutlich, dass ein Verän-
derungsprozess auch auf der Seite der »soft facts« bewusst gesteuert und begleitet
werden muss. Das zentrale Steuerungsmittel hierfür ist ein strategisches Personal-
entwicklungskonzept, das dem Changeprozess für die betroffenen Mitarbeiter:innen
Struktur, Transparenz und Richtung gibt. Dieses Ineinandergreifen der Anforderungen
eines übergeordneten Veränderungsprozesses mit den Anforderungen, die sich dar-
aus an die Arbeit der PE-Abteilung eines Unternehmens ergeben, ist die Grundlage des
unten beschriebenen PE-Prozesses.
Daraus lassen sich folgende Ziele für eine begleitende Maßnahme ableiten: das Unter-
nehmen muss eine strategisch ausgerichtete Personalentwicklung mit systematisch
ineinandergreifenden PE-Prozessen etablieren. Dies ist die zentrale Plattform für ein
darauf aufbauendes Ziel: die Mitarbeiter:innen und mittleren Führungskräfte müssen
darüber systematischer gefördert und weiterentwickelt werden, um den Anforderun-
gen auch in Zukunft erfolgreich begegnen zu können. Dies zahlt natürlich auch auf das
Vertrauen aller im Unternehmen in die Ziele und die Ausrichtung des neu anstehen-
den Veränderungsprozesses ein. Dieser ist nur bewältigbar, wenn alle eine größere
Gestaltungsmotivation und »Entrepreneurship« als »Unternehmer im Unternehmen«
entwickeln. Letztendlich geht es also darum, durch die Neuausrichtung der PE die Mit-
arbeiter:innen und mittleren Führungskräfte zum Umdenken in Bezug auf den Change
zu bewegen und sie als proaktive Treiber notwendiger Veränderungsprozesse zu ge-
winnen, um so die Zukunft des Unternehmens mitzugestalten, statt sie nur ȟber sich
ergehen zu lassen«.
ben. Für den Erfolg einer derartigen Changemaßnahme ist eine transparente, durch-
gängige und zeitnahe Kommunikation, insbesondere auf der Ebene der strukturellen
und personellen Entscheidungen, ganz entscheidend. Der Leitsatz lautet auch hier
»Betroffene zu Beteiligten machen«, denn wenn alle Mitarbeiter:innen den Eindruck
haben, dass der Veränderungsprozess professionell, nachvollziehbar und fair (»pro-
zessural gerecht«) läuft, sind sie motivierter, diesen auch aktiv mitzugestalten. Inso-
fern fokussieren die folgenden Module insbesondere auf Aspekte wie Transparenz
und Partizipation im Prozess.
Diese Form der Prozess-Initiierung kann kaskadierend auch auf die Ebenen unterhalb
der angesprochenen Führungskräfte herunter gebrochen werden.
Changeworkshop
Im Changeworkshop werden die Führungskräfte offiziell eingeladen, die laufenden
Veränderungsprozesse mitzugestalten. Es geht hierbei darum, deutlich aufzuzeigen,
dass die grundsätzliche Ausrichtung nicht »diskutabel« ist, wohl aber die Weggestal-
tung dahin. Zudem soll der Workshop nochmals Raum bieten, eigene Ängste und
Befürchtungen auszusprechen sowie gegenseitige Erwartungen (Geschäftsführung –
mittleres Management – Mitarbeiter:innen) zu klären.
Meist bietet sich bei einem solchen Workshop ein dreischrittiges Vorgehen an, das ggf.
auch auf mehrere Tage verteilt werden kann:
y Schritt 1: Abholen der Teilnehmer:innen
Klären, was jeden einzelnen gerade bewegt; Möglichkeit für die Führungskräfte,
sich zu äußern, Ängste zu benennen, »Dampf abzulassen« usw. Dies sollte man ggf.
kanalisieren, indem man die Bearbeitung in zwei Gruppen unterteilt: die einen be-
arbeiten mögliche positive Konsequenzen, die anderen negative Konsequenzen
des derzeitigen Veränderungsprozesses; wichtig ist, dass dieses »Dampf ablas-
sen« Raum bekommt, aber zeitlich begrenzt ist; Widerstände anerkennen, nicht
»wegerklären«
y Schritt 2: Klären der Zielausrichtung und der gegenseitigen Rollenerwartungen
Erarbeitung in zunächst hierarchie-homogenen Teams, um auch die unterschied-
lichen Erwartungshaltungen zu verdeutlichen
y Schritt 3: Ableitung von Aktionsplänen und Aufgabenstrukturen
Übersetzung der Ziele in konkrete, überprüfbare Aufgabenstellungen
Begleitende Kommunikationsprozesse
Es empfiehlt sich, während des gesamten Prozesses Kommunikationsinstrumente
wie Newsletter, Statusberichte, Prozess-Reviews o. Ä. einzusetzen, um die Transpa-
renz des Prozesses im gesamten Unternehmen zu gewährleisten.
arbeit herbeizuführen, indem diese eine Neuausrichtung erfährt. Man könnte also von
einem PE-bezogenen »Change im Change« sprechen.
Schritt 2: Anforderungsanalyse
Im nächsten Schritt, der inhaltlich eng mit dem vorherigen verbunden ist, sollten die
derzeitigen Anforderungen an das Unternehmen und seine Mitarbeiter:innen erfasst
werden. Dies findet auf den aus Kapitel 2 »Analyse des Personalentwicklungsbedarfs«
wohlbekannten drei Betrachtungsebenen statt: Anforderungen an das gesamte
Unternehmen (»organization analysis«), daraus abgeleitet Anforderungen an einzelne
Aufgaben, Prozesse, Strukturen (»job analysis«) und daraus abgeleitet Anforderungen
an die einzelnen Mitarbeiter:innen (»man analysis«). Ziel ist es, daraus zu ersehen,
was im Bereich PE getan werden muss, um diesen Anforderungen zu genügen. Zudem
kann erfasst werden, welchen Bedarf die Mitarbeiter:innen ggf. von sich aus geäußert
haben (im Sinne individueller Qualifizierungsziele, z. B. »Ich wollte eigentlich schon
immer mal was im Bereich … dazu lernen«). Dies hat den Vorteil, dass man daraus
ggf. »quick wins« in der Umsetzung von Maßnahmen generieren kann (s. u.). Zentrale
Fragestellungen für die Anforderungsanalyse sind:
y Welche Anforderungen ergeben sich in Zukunft an uns (technische Entwicklungen,
Veränderungen im Unternehmensumfeld, rechtliche Auflagen, Kundenwünsche,
Wettbewerb)? Was müssen wir bald können? Welche Kompetenzen müssen wir
deshalb zentral ausbauen?
264 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
JAN FEB MÄRZ APRIL MAI JUNI JULI AUG SEPT OKT NOV DEZ
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 265
266 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Wenn man diesen Gedanken konsequent weiterführt, kommt man zu der Frage, ob sich
dieses Prinzip nicht auch auf andere Situationen, über Markt- und Konsumentenver-
halten hinaus, anwenden lässt. Was hieße »mass personalizsation« für PE- und OE-The-
men in Unternehmen, wie z. B. Changemanagement? Das Unternehmen stellt in diesem
Fall die »Plattform« dar, auf der sich die »Kunden«, hier also alle Mitarbeiter:innen des
Unternehmens, bewegen. Und auch hier gilt: Es sind nicht alle Mitarbeiter:innen und
Führungskräfte gleich, man wünscht sich, individuell wahrgenommen und angespro-
chen zu werden, sich den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten gemäß entwickeln zu
können, in den eigenen Werten und Zielen (Stichwort »Purpose«) durch das Unterneh-
men berührt zu werden. Das Unternehmen macht mit der eigenen Ausrichtung, oder in
unserem Beispiel bei einem Change mit der eigenen Neu-Ausrichtung, ein Angebot an
alle, die sich darin bewegen. Das Angebot ist also auch breit aufgestellt (mass), sollte
aber den/die Einzelne mit seinen/ihren individuellen Fragen zur Veränderung abholen.
Und genau darauf zielt der Ansatz des »Mass personalized Change« ab. Die Idee ist, In-
formationen, Fortschritte und auch Partizipationsmöglichkeiten in einem Veränderungs-
prozess allen Mitarbeiter:innen und Führungskräften »on demand« und in Echtzeit per
digitalem Gerät, in der Regel das eigene Smartphone oder ein Tablet, in Form einer App
zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es aber nicht um »statische« Infos oder Abfragen, son-
dern um KI-basierte, auf verschiedenen Ebenen adaptive Inhalte, die sich entsprechend
der aktuellen Change-Situation oder den aktuellen Bedürfnissen des Users anpassen.
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 267
Aber vor allem geht es um eine individuelle Adaptation. Auch hierfür ein Beispiel: Per
Befragung kommt bei Mitarbeiter:in X heraus, dass sie von sich glaubt, die Fähigkeiten
für die neuen Aufgaben im Rahmen des Change zu haben. Sie hat aber den Eindruck,
dass die Führungskräfte in den letzten Wochen komplett »abgetaucht« sind – also be-
kommt sie die Möglichkeit, sich bei Terminen zum »Walk and talk« mit der Führung
einzutragen. Ihre Kolleg:in Y hat in der Befragung angegeben, dass sie sich im Schnitt-
stellenbereich, in dem sie nach dem Change anfangen soll, noch nicht auskennt – über
das Tool bekommt sie ein einwöchiges Shadowing in dem Bereich angeboten, um die
Kolleg:innen und die Arbeitsaufgaben in diesem Bereich kennen zu lernen (s. Abb.
37 mit einigen Beispielen für interaktive Fragen).
Abb. 37: Beispielfragen im Rahmen von »Mass personalized Change« mittels KI-basierter App
Quintessenz: Die Plattform steht allen zur Verfügung (mass), bietet aber individuelle
Angebote für die eigene Bewegung im Change (personalized). Natürlich gibt es hier,
wie bei allen PE- und OE-Prozessen, zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Umsetzung eines solchen Ansatzes:
y Freiwilligkeit: Niemand wird gezwungen, mitzumachen, die App zu nutzen, sein
Smartphone bereitzustellen etc.
268 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
y Transparenz: Auch dies gilt für Change-Prozesse allgemein: Die Beteiligten wer-
den informiert, abgeholt, kennen die Ziele und die Gesamtausrichtung des Prozes-
ses und des Tools im Besonderen.
y Datensicherheit/Anonymität: Spätestens seit der Datenschutz-Grundverordnung
(DSGVO) sind die Grundvoraussetzungen im Umgang mit Daten weithin bekannt;
es muss also allen, die das Tool nutzen, transparent gemacht werden, wie mit den
Daten verfahren wird und wo und wie lange sie gespeichert werden.
In der Anwendung des »Mass personalized Change« wird berichtet, dass sich Mitarbei-
ter:innen tatsächlich durch die ständige Verfügbarkeit und Abrufbarkeit des aktuellen
Standes sehr gut informiert fühlen. Zudem lässt sich durch die adaptive Abfrage opti-
mal ableiten, ob es einen inneren Widerstand gegen den Change oder einfach ein Fä-
higkeitsproblem bei den Beteiligten gibt – an beidem kann man arbeiten, aber es sind
eben unterschiedliche Wege notwendig, um die Einzelnen abzuholen (McKinsey, 2020).
Die Herangehensweise über die App ermöglicht es weiterhin, dass sich auch eher
zurückhaltende oder gar ängstliche Personen einbezogen fühlen und sich auch eher
trauen, mitzuwirken. Auch ansonsten eher skeptische Mitarbeiter:innen fühlen sich
ggf. zum Mitmachen animiert und könnten so einfacher für eine aktive Beteiligung am
Veränderungsprozess gewonnen werden.
Und nicht zuletzt bietet das adaptive, datenbasierte Vorgehen die Chance, unternehmens-
spezifische »Big Data« in Echtzeit zu erheben und so Trends antizipieren zu können, um
dann umso schneller und punktgenauer mit den richtigen Interventionen zu arbeiten (hier
zeigen sich Parallelen zu Zielen und Vorgehensweisen von »HR Analytics«, s. Kapitel 6).
Auf diese Weise kann man also auch anspruchsvolle und tendenziell traditionell eher
umfangreiche PE-Prozesse schlank gestalten. Für einen Change-Prozess müssen dann
keine umfangreichen Klausuren und Workshop-Kaskaden geplant und budgetiert
werden, sondern man kann genau die Interventionen anbieten, die eng an den Bedar-
fen der Beteiligten liegen, und spart somit Zeit und Kosten. Insofern ist das Vorgehen
auch für Personalentwicklungsbereiche von KMUs interessant (s. Kapitel 4.8).
In unserem dritten Beispiel schließlich werfen wir einen Blick auf eine »kulturbilden-
de« Maßnahme: die Entwicklung eines Führungsleitbildes. Ein Unternehmen ist für
die meisten Mitarbeiter:innen mehr als nur ein »Arbeitgeber«. Die eigene Firma bildet
eine persönliche Entwicklungsgeschichte für den Einzelnen ab, die Erfolge und Rück-
schläge beinhaltet. Sie stellt ein großes Ganzes dar, an dem man selbst viele Jahre
mitgewirkt hat oder aber sie erscheint – gerade für neu dazu gewonnene Mitarbei-
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 269
ter:innen – als ein neues Umfeld, vor dessen Hintergrund man sich selbst erproben
und neue Kompetenzen erwerben kann. Kurzum: die Firma ist für viele eine berufliche
Heimat, die eine eigene Kultur hat und eine Identität stiftet.
Dies ist auch der Grund, warum Berufseinsteiger ebenso wie langjährige Mitarbei-
ter:innen Unternehmen bevorzugen, die ein eigenes Profil haben, mit dem sie sich
identifizieren können. Dieses Profil kann sich auf vielerlei Weise ausdrücken: durch
die Corporate Identity, eine angestrebte Vision, eine auf den Weg gebrachte Mission
und nicht zuletzt durch ein gelebtes Leitbild.
Welche
Welche Wie wollen
langfristigen wir
langfristigen
Ziele haben miteinander
Ziele haben
wir? umgehen?
wir?
Wie wollen
wir kommu-
nizieren und
informieren?
Leitbilder wirken in zwei Richtungen: Sie haben nach innen eine Integrationsfunktion,
stiften Identität, geben Orientierung und fördern die Unternehmensintegrität. Da-
durch wird das Commitment der Mitarbeiter:innen erhöht. Extern schaffen Leitbilder
Transparenz und dienen damit der Legitimierung des Unternehmens in seinem gesell-
schaftlichen Umfeld. Diese Transparenz stellt dabei eine Art »Selbstverpflichtung« dar
und unterstützt die positive Außenwirkung des Unternehmens.
Gerade dem Führungsleitbild eines Unternehmens kommt hier eine besonders große
Bedeutung zu. Denn nur wenn ein Leitbild hinsichtlich der in der obigen Grafik be-
schriebenen Aspekte Kommunikation, Umgang miteinander und Zieltransparenz für
alle Mitarbeiter:innen glaubhaft ist und nach innen hin funktioniert, kann es auch nach
außen wirken. Und die Mehrzahl der Mitarbeiter:innen macht die Überzeugung, ob das
Unternehmensleitbild wirklich gelebt wird und spürbar ist, vor allem an einer Frage-
stellung fest: Wie empfinde ich den Umgang meiner direkten Führungskraft mit mir?
Insofern sollte jedes Unternehmen auf die »methodisch saubere« und ernst gemeinte
Entwicklung eines Führungsleitbildes einen besonderen Wert legen. Wenn diese Ent-
wicklung konsequent durchgeführt wird, bedeutet das, dass das Führungsleitbild:
y ein »echtes« Unternehmensziel sein muss, das zu allererst von allen Führungskräf-
ten des Unternehmens getragen werden muss – keine »Alibi-Veranstaltung«!
y durch einen Prozess eingeführt wird, der alle relevanten Führungsebenen einbe-
zieht, aber auch die Mitarbeiter:innen an der Entwicklung teilhaben lässt – nicht
»von oben reindrücken«!
y mit der gesamten Unternehmensstrategie verknüpft ist, also auf Vision, Mission
und übergeordnete Leitbilder fußt – nicht frei flottierend und losgelöst!
y in eine Form mündet, die gleichzeitig realistisch-pragmatisch ist, aber genauso
als »Hausaufgabe« zu verstehen ist, um immer in Richtung eines Idealzustandes
zu streben – kein abgehobenes Instrument zur Selbstbeweihräucherung, an das
niemand wirklich glaubt!
Wenn diese Aspekte bei der Implementierung berücksichtig werden, tragen Führungs-
leitbilder zur Steigerung des Unternehmenserfolges bei, da sie die Identifikation und
das Engagement der Mitarbeiter:innen mit dem Unternehmen fördern und eine hohe
Mitarbeitermotivation der entscheidende Faktor für Innovation und Produktivität und
damit letztlich für wirtschaftlichen Erfolg ist.
Die Maßnahme ist modular aufgebaut, die einzelnen Schritte sind also im Sinne eines
prozesshaften Geschehens miteinander verzahnt. Der Prozessaufbau berücksichtigt
4.3 Maßnahmen mit prozessbegleitendem Charakter | 271
insgesamt, dass die Erstellungsphase eines Leitbildes für die Akzeptanz und somit für
die Umsetzung die entscheidende Phase des gesamten Leitbild-Prozesses darstellt.
Folgende methodische Voraussetzungen sind aus unserer Sicht für die erfolgreiche
Entwicklung eines lebendigen Leitbildes in einem Unternehmen unverzichtbar:
y Vorbildcharakter: Das neue Führungsleitbild muss von den Prozesstreibern und da-
mit von allen Führungskräften gewollt sein. Daher ist das kontinuierliche Engagement
der oberen Führungsebene in der Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Diese
Signalwirkung unterstützt die Wahrnehmung der Mitarbeiter:innen, dass das Leitbild
eine wirkliche Bedeutung hat und dass sie eine Chance sehen, dass sich durch die
»Anwendung« desselben für sie als »Betroffene« etwas Positives ergibt. Im Endeffekt
ist das Vorleben des Leitbildes durch die Führung natürlich akzeptanzbildend.
y Partizipation und Transparenz: Hohe Akzeptanz ist darüber hinaus vor allem
dann gewährleistet, wenn möglichst viele Mitarbeiter:innen aus allen Hierarchie-
ebenen bei der Erstellung des Leitbildes mitwirken. Damit wird zum einen eine
hohe Transparenz des Entwicklungsprozesses und ausreichende Realitätsnähe
des Leitbildes erreicht. Gleichzeitig wird zum anderen die Identifikation mit dem
Leitbild als »Endprodukt« des Prozesses gefördert.
y Pragmatismus: Ebenfalls entscheidend ist, dass das resultierende Leitbild für die
Führungskräfte selbst, aber vor allem für die Mitarbeiter:innen, nicht zu »abgeho-
ben« wird. Die Grundlage ist dabei, dass ein Leitbild, das auch operativ umsetzbar
sein soll, aus Leitsätzen mit entsprechend eindeutigen, d. h. »operationalisierba-
ren« Beschreibungen bestehen muss. Grundsätzlich gilt hierbei, dass Führungs-
leitbilder eine eindeutige und gleichzeitig zukunftsorientierte und damit flexible
Darstellung der zentralen Unternehmenswerte aufweisen sollten, um für alle eine
eindeutige Handlungsrichtlinie darzustellen. Ähnlich wie bei der strategischen
Ausrichtung eines Unternehmens, die auf veränderte Umweltanforderungen
(Zukunftsausrichtung und Reagibilität der Strategie) jederzeit reagieren können
muss, und aus der sich gleichzeitig eindeutig operationalisierbare Ziele formulie-
ren lassen sollten (Aktions- und Handlungsaspekt der Strategie), verhält es sich
auch mit dem Führungsleitbild einer Organisation. Letztendlich muss das Füh-
rungsleitbild »lebbar« und pragmatisch sein, um sowohl für Führungskräfte als
auch für die Mitarbeiter:innen ein echtes Leitbild zu sein, an dem man sich orien-
tieren kann. Für die Führungskräfte muss das Leitbild die Frage beantworten »Was
wird von mir in der Führung erwartet und durch welches Verhalten kann ich diese
Erwartungen erfüllen, um im Sinne meines Unternehmens insgesamt zu agieren?«
Für die Mitarbeiter:innen wiederum sollte sich die Frage beantworten »Was darf
ich von meiner Führungskraft erwarten, was muss ich dementsprechend einbrin-
gen und welchen Nutzen ziehe ich daraus für meine tägliche Arbeit?«
reichen und Hierarchieebenen teilnehmen sollen und das Leitbild in einem prozess-
haften Geschehen erarbeitet werden soll, ist ein sogenanntes »Kaskaden-Modell«
vorgesehen. Dieses Modell ermöglicht einen intensiven Reflexionsprozess, in dem die
Sichtweisen aller Beteiligten eine entscheidende Rolle spielen. Die unteren drei Käst-
chen beschreiben drei mögliche Varianten, um das endgültig redaktionell abgenom-
mene Leitbild in das Unternehmen hinein zu kommunizieren.
2. Führungsebene
(z.B. Abteilungs- und
Teamleitung)
Mitarbeiter:innen
Kommentierung, Kommentierung,
Anpassung, Erweiterung Anpassung, Erweiterung
Um das Leitbild lebendig zu halten, muss es nach der Entwicklung möglichst schnell
in entsprechende Umsetzungsmaßnahmen übersetzt werden. Die »selbst auferlegten
Hausaufgaben« aller Führungskräfte sollten optimalerweise in messbar veränderter
Führungsarbeit resultieren – dies sichert die Glaubwürdigkeit und den Gesamterfolg
des neu etablierten Leitbildes.
4.4 Coaching | 273
4.4 Coaching
Nachdem wir zuvor über PE-Instrumente gesprochen haben, in deren Rahmen meist
mehrere »Leistungsnehmer:innen« zusammenkommen, um gemeinsam an Themen
zu arbeiten, wollen wir jetzt als Kontrast auf eine Methode schauen, die in aller Regel
in einer Eins-zu-eins-Situation stattfindet: zwischen einem Coachee (der oder diejeni-
ge, die »gecoacht« wird) und einem Coach.
Greif (2008) liefert folgende Definition für Coaching: »Coaching ist danach eine intensi-
ve und systematische Förderung ergebnisorientierter Reflexionen und Selbstreflexionen
sowie Beratung von Personen oder Gruppen zur Verbesserung der Erreichung selbstkon-
gruenter Ziele oder zur bewussten Selbstveränderung und Selbstentwicklung.« (Greif,
2008: 69)
Zu Coachings ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben worden, sowohl in ent-
sprechenden Ratgebern als auch in Fachzeitschriften. Der Fokus dieser Beiträge ist
häufig »Was macht einen guten Coach aus?« oder »Wann funktioniert Coaching wirk-
lich?« Die Menge der Veröffentlichungen hat einen Grund: Coaching erfreut sich als
PE-Maßnahme in Unternehmen zunehmender Beliebtheit und »demokratisiert sich«
mittlerweile auch, indem die Methode nicht mehr nur bei Führungskräften zum Ein-
satz kommt, sondern auch mehr und mehr auf Ebene von Fachkräften und Mitarbei-
ter:innen Einzug hält.
An einem einfachen Beispiel dargestellt: Wenn Sie als Teilnehmer:in zu einem Trai-
ning geschickt werden, von dessen Nutzen Sie nicht überzeugt sind, so werden Sie die
Seminartage mehr oder weniger »absitzen«. Dies ist in aller Regel nicht förderlich für
persönliche Entwicklungsprozesse und Lerntransfer. Natürlich kann es Ihnen genau-
so passieren, dass Sie ein Coaching »verordnet« bekommen, das Sie gar nicht haben
wollten – das kommt vor allem dann vor, wenn ein Coaching als »Reparaturmaßnah-
me« für Sie gesehen wird. Ein guter Coach wird aber auch dann in der Lage sein, mit
274 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Ihnen vollkommen authentisch zu klären, a) ob Sie trotzdem für sich etwas aus der
Situation ziehen wollen und b) ob Sie sich tatsächlich vorstellen können, das mit ihr
oder ihm zu tun. Wenn a) und/oder b) nicht der Fall ist, wird ein Coach, der etwas auf
sich hält, das Coaching mit Ihnen nicht durchführen. Insofern findet vor jedem Beginn
eines Coachings eine derart eindeutige Klärung statt, dass ein »Ich geh da mal hin, ob-
wohl ich keine Lust habe-Coaching« nahezu ausgeschlossen ist – und sollte das dann
doch der Fall sein, würde ein guter Coach dies ebenfalls im Rahmen des laufenden
Prozesses noch ansprechen.
Insofern ist Coaching ganz vordergründig ein »people business«, denn das Bauchge-
fühl, der Nasenfaktor in der Zusammenarbeit muss stimmen, damit diese überhaupt
zustande kommt. Wahrscheinlich ist das aber auch der Grund, warum so viele »peo-
ple« als Coaches unterwegs sind. Im Rahmen dieses Kapitels Empfehlungen auszu-
sprechen, welcher Coach denn die oder der Richtige für Ihre PE-Anforderungen sein
könnte, hieße, sich auf dünnes Eis zu begeben und sich potenziell eine Menge miss-
mutiger Mitmenschen anzulachen. Schaut man in die entsprechenden Checklisten
mit Titeln wie »So finden Sie den richtigen Coach!«, so gilt als eine wichtige Prämis-
se: »Sollte eine Coachingausbildung oder eine andere Art von PE-relevanter Ausbil-
dung haben.« Doch welche Ausbildung ist die richtige? Ein »systemischer« Coach wird
immer empfehlen, dass nur ein Coach mit einer systemischen Ausbildung passt, ein
Transaktionsanalytiker wird sicherlich einen »TA-ausgebildeten« Coach präferieren.
Selbst als ausgebildete Psycholog:innen sagen wir, dass ein Coach nicht notwendi-
gerweise eine sozialwissenschaftliche Ausbildung genossen haben muss, um ein guter
Coach zu sein. Es kann sehr wohl sein, dass jemand mit einem BWL- oder einem Schau-
spielhintergrund für bestimmte Themen ein Top-Coach ist (als Psycholog:in versteht
man nur keinen Spaß mehr, wenn Nicht-Therapeuten anfangen im Rahmen von Coa-
chings »rumzutherapieren« – selbst eine Psycholog:in wird in ihrer Coachingrolle im
Arbeits- und Organisationskontext auf eine klinische Kolleg:in verweisen, wenn sie
den Eindruck hat, dass der Coachee professionelle Unterstützung aus diesem Bereich
benötigt).
4.4 Coaching | 275
Weiterhin wird gerne das Thema »Erfahrung« zitiert, das einem Orientierung bei der
Coachauswahl geben soll – ein Coach soll erfahren sein in dem, was er tut. Ganz all-
gemein gesprochen tun wir uns bei dem Thema Erfahrung immer schwer, da es hier
zwei philosophische Probleme gibt: Erstens bekommt man sie ja nur, wenn man et-
was macht, und wenn niemand etwas machen dürfte, bevor er oder sie »Erfahrung
darin« hat, würde man ja nie mit irgendetwas anfangen können und in der Folge auch
nie Erfahrungen sammeln …; und zweitens: Wenn Erfahrung ein Garant für gute Be-
ratung wäre, woher kommt es dann, dass es genügend Leute mit sehr viel Erfahrung
gibt, die trotzdem auch einmal Mist bauen? Darüber hinaus ist es auch fraglich, ob
wir in diesem Kriterium einen Garant für die oder den passenden Coach haben. Wir
kennen Situationen in Unternehmen, in denen gerade »erfahrenere« Führungskräfte
bewusst junge Coaches auswählten, weil sie einen Kontrast zu ihrer eigenen Wahr-
nehmungswelt wollten. Um nicht falsch verstanden zu werden: Erfahrung ist in den
meisten Fällen eine sehr gute Basis für alles, was man tut – aber sie ist keine Conditio
sine qua non für einen Coach. Sie birgt durchaus auch Risiken: langjährige Erfahrung
in der Beratung und als Coach kann auch zu einem gewissen »Abrieb« führen, der die
Neigung mit sich bringen kann, zu schnell mit Lösungen aus der Hüfte zu schießen, Ab-
kürzungen zu nehmen oder nicht mehr alle relevanten Fragen zu stellen, weil man sich
»ja schon denken kann, was der andere antwortet«.
Aus unserer Sicht ist tatsächlich, wie bei jedweder Wahl eines Menschen, dem Sie sich
in gewisser Weise anvertrauen (z. B. Ärzt:innen und Rechtsanwält:innen), das Ent-
scheidende, ob der oder die andere für Sie »einfach passt«. Wenn bei Ihnen bei der
Auswahl des Coaches die fachliche Fundierung des Gegenübers den Ausschlag gibt,
so ist das absolut in Ordnung – und wenn es das Gefühl ist, dass die andere Seite gute
Fragen stellt und ebenso gut zuhört, so passt das genauso.
Warum die Betonung der »externen Begleitung«? Eine Führungskraft kann ggf. »coa-
chend agieren« (i. S. eines »Mitarbeiter:in-zum-Erfolg-Führens«, indem sie die Mitar-
beiter:in in der Entwicklung eigenständiger Lösungen unterstützt), sie kann aber nur
bedingt im engeren Wortsinne Coach sein, da sie eine disziplinarische Verbindung
gegenüber ihren Mitarbeiter:innen hat. Dies kann nicht Grundlage einer echten, neut-
ralen Betrachtung von außen sein.
276 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Rolle des Coaches
Der externe Coach wird in einem Coaching hinsichtlich Gedanken, Gefühlen und Hand-
lungsweisen zum Prozessbegleiter des Coachees. Unter Wahrung der Diskretion treten
beide in eine auf Vertrauen basierende, professionelle Beziehung ein. Der Coach stellt
seinen gesamten professionellen Hintergrund in der Beratung zur Verfügung, sowohl
hinsichtlich des Verständnisses der (Management-)Aufgabe des Coachees als auch sei-
ner Ausbildung und Berufserfahrung. Ein Coach agiert in unterschiedlichsten Rollen:
y Nachfrager:in: Ein Coach stellt Fragen, um die Situation des Coachees zu begrei-
fen, und setzt diese darüber hinaus auch als Methode ein, um dem Coachee zu
helfen, auf eigene Lösungen zu kommen.
y Zuhörer:in: Sie hat ein offenes Ohr für die Belange des Coachees und versucht,
diesen in seiner gesamten Situation zu verstehen.
y Sparringspartner:in: Durch die gegebene Neutralität des Coachees kann der
Coachee »probedenken« und Themen auf den Tisch bringen, die er gegenüber
Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen oder der eigenen Führungskraft (noch) nicht plat-
zieren würde. Der Coach »fordert« den Coachee auch, hinterfragt Sichtweisen und
denkt gemeinsam mit ihm über Alternativen in einer Situation nach.
y Nachhalter:in/»Bohrer«: Da in einem Coachingprozess meist mehrere, wiederhol-
te Sitzungen stattfinden, treffen Coachee und Coach von Termin zu Termin auch
Umsetzungsvereinbarungen, die auf die im Kontrakt festgehaltenen Ziele einzah-
len. Hier ist ein Coach auch in der Rolle, die vereinbarten Umsetzungsmaßnahmen
nachzuhalten und zu reflektieren.
y Wissensvermittler:in: Sie kann auch Teil eines Coachings sein, Hintergründe zu
Themen wie sozialer Wahrnehmung, Muster (-durchbrechung), Führung oder Ähn-
lichem zu vermitteln.
y Perspektivwechsler:in: Gerade, wenn der Coachee sich in einer (Selbst-)Wahr-
nehmung »festbeißt«, wird ein Coach sich bemühen, andere mögliche Sichtweisen
mit ihm herauszuarbeiten, um die Situation wieder zu öffnen (z. B. durch zirkuläres
Fragen »Was würde jemand anderes sagen, wenn er Sie in der Situation beobach-
tet?«).
y Rollenspielpartner:in: Da ein Coaching dazu genutzt wird, erlebte Situationen
nachzuempfinden oder zukünftige vorzubereiten, kann eine Methode der Wahl
auch eine Simulation der Situation in Form eines Rollenspiels sein. Der Coach
schlüpft dann in die Rolle einer Gesprächspartner:in.
y Beobachter:in: Gerade bei On-the-job-Coachings (Begleitung des Coachees im
eigenen Arbeitskontext) beobachtet der Coach das Verhalten des Coachees und
gibt dazu Rückmeldung (s. nächster Punkt).
y Feedbackgeber:in: Coachees wollen oft einfach wissen, wie sie der Coach »sieht«,
welches Profil er wahrnimmt, welche Besonderheiten, welche Wirkung man er-
zielt … der Coach ist also oft auch gefragt, seine Wahrnehmung zu seinem Gegen-
über darzulegen.
4.4 Coaching | 277
Vertraulichkeit
Eine tatsächliche Conditio sine qua non ist die absolute Vertraulichkeit des Coachings.
Alle Gespräche und Aufzeichnungen zwischen Coachee und Coach verbleiben zwi-
schen diesen beiden und werden niemals ungefragt nach außen gegeben. Dies wird
Ihnen ggf. als Selbstverständlichkeit erscheinen, denkt man dabei z. B. an die die Ver-
traulichkeit zwischen Ärzt:in und Patient:in. Doch wir müssen hierbei berücksichti-
gen, dass wir es bei einem Coaching nicht mit einem Therapieverfahren zu tun haben.
Es gibt in der Regel ein Unternehmen, das das Coaching anbietet oder vereinbart, da-
mit klare Ziele und zu erwartende Ergebnisse verknüpft und dafür die Kosten trägt.
Insofern müssen sich alle 3 Seiten – Coachee, Unternehmen, meist vertreten durch
die direkte Führungskraft und/oder die PE, und der Coach – darüber einig werden, wie
sowohl die Ziele als auch die Ergebnisse des Coachings untereinander kommuniziert
werden. Dabei muss dem Unternehmen klar sein, dass der Coach niemals die Interes-
sen seines Coachees verletzen wird, d. h. er wird nicht »aus dem Nähkästchen plau-
dern« oder seine Eindrücke zu seinem Coachee weitergeben, ohne dies mit ihm vorher
abzustimmen. Und dem Coachee muss klar sein, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt
ein »Reporting« ansteht, d. h. dass zu Beginn des Prozesses die Coachingziele in Rich-
tung des Unternehmens dargestellt werden sollten, dass es ggf. ein Zwischenfeed-
back zum Fortschritt des Coachings gibt und dass am Ende vermittelt werden muss,
was man im Coaching erreicht hat.
Im Coaching spricht die Führungskraft nun mit dem Coach über ihre diesbezüglichen
Nöte und äußert letztendlich starke Zweifel an ihren eigenen Fähigkeiten. Sie fragt
sich, ob Führung das Richtige für sie ist: »Ich habe schon X Mal daran gedacht, alles
hinzuschmeißen!« Der Coach exploriert nun mit dem Coachee die persönliche Situ-
ation, erforscht innere Haltungen und Werte sowie das Stärken-Schwächenprofil,
und bekommt in den ersten Sitzungen den Eindruck, dass hier eher eine Person mit
278 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Im weiteren Prozess reflektieren die beiden, was der gecoachten Führungskraft wich-
tig ist, welche Ziele sie persönlich verfolgt. Nach und nach arbeitet man auch heraus,
was ihr an der Spezialistenaufgabe Spaß macht, was aber auch an der Menschen-
führung faszinierend ist. Im Verlaufe der folgenden Sitzungen trifft der Coachee eine
bewusste Entscheidung: »Das will ich auch weitermachen!« Daraufhin werden Stra-
tegien zur Delegation entwickelt und man vereinbart eine klare Grenzziehung für die
Führungskraft, wie viele Themen sie am Tag hinbekommen möchte und ab wann sie
sich Hilfe holt. In diesem Zuge besprechen Coach und Coachee, wie sie diese Ansätze
und die sich einstellenden Erfolge in Richtung des Unternehmens vermitteln können,
um zu zeigen, woran man arbeitet und wie dies auch führungsseitig unterstützt wer-
den kann. Hierzu gibt es nun ein Treffen mit Ihnen und Sie bekommen den aktuellen
Stand des Coachings zu hören, d. h. Sie erfahren etwas über den Zielerreichungsgrad
und die daraus resultierende Ergebnisse (oder Notwendigkeiten, weiter an bestimm-
ten Themen zu arbeiten), aber der detaillierte Prozess dahin fällt unter die Vertrau-
lichkeitsklausel.
Ziel des Coachings
Ziel eines Coachingprozesses ist also, mithilfe geeigneter Interventionen beim Coa-
chee Selbstorganisationsprozesse in Gang zu setzen, die es ihm ermöglichen, seine
Fähigkeiten bei der Lösung von Problemen und der Bewältigung von Arbeitsaufgaben
noch effizienter zu nutzen. Coaching zeichnet sich wie eingangs erwähnt durch eine
große individuelle Spezifität aus, die sich auch in einer starken Prozessorientierung
niederschlägt – gerade in dieser Flexibilität stecken die Stärken der Methode. Im Mit-
telpunkt steht immer der Coachee: Er bestimmt mit, in welche Richtung sich der Pro-
zess bewegt, der individuelle Bedarf ist entscheidend für die Inhalte und Methode der
einzelnen Sitzungen und Treffen.
4.4 Coaching | 279
Konkreter Inhalt und Form der Einzelberatung erfolgt in Absprache mit dem Coachee
und dem Unternehmen, das in aller Regel auch das Coaching initiiert.
Struktur eines Coachingprozesses
Wie sieht nun die Struktur eines Coachingprozesses aus, wie bahnt man ein Coaching
an? Im Folgenden stellen wir Ihnen die einzelnen Schritte dar:
1. Abstimmung Unternehmen/Mitarbeiter:in, Identifikation eines Bedarfs: Der
erste Schritt ist wie bei allen anderen PE-Prozessen: zunächst wird in Form einer
PE-Bedarfsermittlung herausgearbeitet, worin der »Aufhänger« für ein mögliches
Coaching bestehen könnte. Meist wird der Bedarf von Coachings von den poten-
ziellen Coachees selbst oder durch deren direkte Führungskraft identifiziert, eben
weil man sich in bestimmten Anforderungssituationen beobachtet oder von der
Chef:in beobachtet wird! Zu diesem Zeitpunkt wird dann meist auch die PE infor-
miert, die dann den Prozess anstößt.
2. Vorschlag möglicher Coaches: Wenn sich die Mitarbeiter:in und deren Führungs-
kraft einig sind, dass ein Coaching ein hilfreiches Instrument zur Bearbeitung der
definierten Ziele wäre, folgt im nächsten Schritt die Erstauswahl durch die Mit-
arbeiter:in. Viele Unternehmen halten mittlerweile Coach-Pools vor, so dass die
Mitarbeiter:innen sich aus mehreren möglichen Coaches einen zu einem Kennen-
lerngespräch einladen können (manchmal werden auch mehrere Coaches parallel
eingeladen, um sich dann für einen zu entscheiden).
3. Telefonisches / Face-to-face-Briefing des Coaches: Der potenzielle Coach wird
angesprochen und entweder telefonisch oder im direkten Gespräch darüber infor-
280 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
miert, worum es in dem Coaching geht. Hier trifft der Coach zunächst eine inhalt-
liche Entscheidung, ob er für das Thema der Richtige ist.
4. Kennenlernsitzung: Dann gibt es das erste Treffen zwischen potenziellem Coach
und potenziellem Coachee von Angesicht zu Angesicht, oftmals zu Beginn noch
»anmoderiert« durch die PE, dann aber in eine Vier-Augen-Situation übergehend.
Dieses Kennenlernen dauert zwischen 60 und 90 Minuten und dient tatsächlich
dem Beschnuppern und in erster Linie der Entscheidung des Coachees, ob er
sich gut vorstellen kann, mit der anderen Seite zu arbeiten. Da man sich aber nun
einmal nicht 1,5 Stunden lang nur anschauen und zu »spüren« versuchen kann,
ob man zueinander passt, redet man eben auch über Dinge. Meist stellt sich der
Coach vor, beschreibt seinen Hintergrund und die Coachingmethode. Der poten-
zielle Coachee berichtet dann von seiner Situation, wie es zu der Coachingidee
kam und welche Ziele für ihn und eventuell – aus seiner Sicht – für Dritte (z. B. die
eigene Führungskraft) dahinterstehen könnten.
5. Entscheidung und Kontrakt: Beide Seiten entscheiden sich mit ein paar Tagen Be-
denkzeit dann bewusst für- oder gegeneinander. Wie wichtig das ist, haben wir bereits
ausführlich beschrieben – die Freiheitsgrade des Coachees bei der Auswahl seines
Coaches sind eine Erfolgsvoraussetzung, »verordnete Coaches« funktionieren nicht.
Dass sich der Coachee entscheiden darf, liegt auf der Hand, aber auch der Coach geht
hier bewusst heran. Entsteht bei ihm der Eindruck, dass der andere gar nicht wirklich
»will« oder aber schätzt er die Situation als mit einem Coaching nicht veränderbar
ein, steht es hier auch dem Coach frei, den Auftrag abzulehnen. Kommen beide aber
zusammen, wird danach eine Vereinbarung / ein Kontrakt geschlossen, in dessen
Rahmen die Ziele des Prozesses, der Umfang plus Abschluss und das »Reporting« in
Richtung Führung festgehalten werden. Ebenfalls gerne eingesetzt werden in diesem
Zusammenhang sog. Entwicklungspläne, die dem Nachhalten der vereinbarten Ziele
dienen (s. Checkliste »Coaching-Entwicklungsplan« bei den digitalen Extras).
6. Einbezug der PE und der direkten Führungskraft: Oftmals gekoppelt mit der ers-
ten Coachingsitzung werden in diesem Schritt für den Prozess relevante Dritte mit
einbezogen. Vielleicht hat die Führungskraft noch etwas zu den Coachingzielen
beizutragen und möchte diese schärfen. Vielleicht kann die PE noch Eindrücke aus
Schnittstellenfeedbacks beisteuern. In der Regel findet hier eine gemeinsame Sit-
zung statt, es gibt aber auch Coachings, in denen man in »Pendeldiplomatie« star-
tet (z. B. erst ein Vier-Augen-Start mit dem Coachee, dann darauf ein Zeitfenster
für ein Vier-Augen-Gespräch mit dessen Führungskraft und dann direkt danach ein
Gespräch zu Dritt, um die beiden Zielbeschreibungen zu vereinen).
7. Start des eigentlichen Coachings: Und dann beginnen erst die eigentlichen Coa-
chingsitzungen.
8. Reflexion: Gemeinsame Sitzung mit dem Coachee, seiner Führungskraft, eventu-
ell der PE und dem Coach zur Reflexion des Coachingverlaufs, der erreichten Ziele
und möglicher weiterer Unterstützungsschritte für den Fortlauf der Entwicklung
des Coachees.
4.4 Coaching | 281
Gegebenenfalls werden Sie jetzt fragen, wie lange denn so ein Coaching dauert. Grund-
sätzlich gilt: der Zeitumfang ist immer eine Budget- und eine Methodenfrage. In vielen
der oben gelisteten potenziellen Coachingthemen lässt sich gut mit einem Umfang von
6 Sitzungen à 3 Stunden sowie einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung von ins-
gesamt 1 h pro Sitzung arbeiten. Die erste 1,5-stündige Kennenlernsitzung sollte nicht
berechnet werden. Das hier beschriebene Stundenkontingent stellt natürlich nur einen
zeitlichen Orientierungsrahmen dar, der unserer Einschätzung nach bei den beschrie-
benen Aufgabenstellungen als sinnvoller Umfang zur Bearbeitung derselben erscheint.
Natürlich gibt es auch knapper umrissene Themen (z. B. Coachee hat im Potenzial-As-
sessment viele kritische Rückmeldungen bekommen und soll nun mit einem neutralen
Coach reflektieren, wie diese zustande gekommen sein könnten) und weiter gefasste
Coachingansätze (z. B. Coachee definiert seine Rolle als Führungskraft neu und überlegt
zugleich, ob seine Erwartungen noch mit denjenigen des Unternehmens übereinstim-
men), die einen geringeren oder höheren Umfang an Sitzungen rechtfertigen. Auch hier
kann das Vorgehen als »prozesshaft« beschrieben werden: es kann in Coachings vor-
kommen, dass man Ziele schon vor Durchführung der letzten anberaumten Sitzung er-
reicht – und dann findet diese auch nicht mehr statt. Es kann genauso sein, dass sich im
Verlaufe des Coachings herausstellt, dass die Ziele zwar erreichbar sind, dass der Weg
dahin aber komplizierter ist als zunächst vermutet – hier sollte man auch die Offenheit
besitzen, über ein oder zwei Sitzungen mehr nachzudenken.
4.4.1 Supervision
Das Thema Supervision ist nahe verwandt mit dem Begriff des Coachings. Die metho-
dischen Ansätze sind bei beiden ähnlich, die Übergänge fließend. Die Unterschiede
zwischen beiden bestehen im Wesentlichen darin, dass
y Supervisionen meist in Gruppensettings stattfinden, während Coachings – wie
oben beschrieben – eher als Einzelmaßnahmen stattfinden (dies ist aber kein »lu-
penreines« Unterscheidungskriterium, denn es gibt sowohl Einzelsupervisionen
als auch Team-Coachings)
y die Anwendungsfelder der beiden Methoden unterschiedlich sind: in der freien
Wirtschaft spricht man eher von einem »Coaching«, während im sozialen Umfeld
(z. B. Kindergärten, Familienberatungsstellen, Kitas) »Supervisionen« durchge-
führt werden.
chen gemeinsamen Sitzung beschäftigen. Das Ziel einer Supervision ist einerseits
die Reflexion, andererseits aber auch die Verbesserung des beruflichen oder auch
privaten Handelns. Dabei geht man in der Regel von einem direkten Zusammenhang
zwischen beiden Ebenen aus, wenn die beruflichen Anforderungen ausreichend in-
tensiv sind (z. B. Umgang mit schwer kranken Menschen, Umgang mit Suchtkranken,
die – für die Begleiter frustrierend – wieder rückfällig werden usw.). Fokus ist je nach
Ziel der Supervision die Arbeitspraxis, die Rollen- und Beziehungsdynamik zwischen
Supervisand und seinem oder ihrem Klienten, die Zusammenarbeit im Team der
Supervisanden bzw. in der Organisation oder mit der Führung. Mögliche Themen von
Supervisionen sind:
y Belastungen durch die Arbeit selbst (s. o., z. B. anspruchsvolle, leidende, kranke
Klienten), Falldurchsprachen
y Umgang mit Gratifikationskrisen, fehlendem Feedback
y Burn-out-Prävention/Stressmanagement
y Teamzusammenspiel/Spielregeln im Team/Teamdynamik
y Feedback untereinander
y Befürchtungen/Ängste im Zusammenhang mit neuen Aufgabenanforderungen
y Gegenseitiges Lernen/Fallreviews (s. kollegiale Fallberatung, nächster Abschnitt)
und Best Practice
y Konfliktbearbeitung im Team
y Zusammenspiel mit der Führung
und noch zahlreiche andere denkbare Themen, die ein Team (oder einen Einzelnen)
im Arbeitskontext beschäftigen können. Zu Beginn des Supervisionsprozesses soll-
te definiert werden, ob es den Teilnehmer:innen in erster Linie um »Psychohygiene«
(»Ich habe viele belastende Situationen, und es tut mir einfach gut, diese in der Grup-
pe ›loszuwerden‹.«) bzw. »Sozialhygiene« (»Wir gehen uns manchmal gegenseitig auf
die Nerven, aber wenn man das mal moderiert und offen anspricht, dann haben wir
alle ein besseres Zusammenarbeiten.«) geht oder ob die Supervisanden unter einer
Zielfokussierung abgeleitete Aktionen vereinbaren wollen.
4.4.2 Kollegiale Fallberatung
Kollegiale Fallberatung ist eine weitere Methode, die sich im weiteren Sinne dem »For-
menkreis Coaching – Supervision« zuordnen lässt und die auch als PE-Methodik in vie-
len Unternehmen immer häufiger zum Einsatz kommt. Hierbei geht es darum, dass ein
Einzelner oder eine Einzelne einen eigenen, realen Fall in ein Team von Kolleg:innen,
z. B. im Rahmen einer Supervision oder eines Trainings, einbringt. Wie der Name der
Methode schon nahelegt, schlüpfen diese Kolleg:innen dann in die Rolle von »Bera-
ter:innen« und bearbeiten den Fall systematisch nach einem festen Schema. Es geht
also um eine strukturierte Problemlösung im Rahmen eines kollegialen Settings, das
einen interaktiven Lernprozess auslöst – nicht nur der Fallgeber trägt einen Nutzen
davon, sondern auch diejenigen, die sich Gedanken zu dem Fall machen und ggf. auch
eigene Situationen »unterlegen« können.
Voraussetzung für das Funktionieren einer kollegialen Fallsupervision ist, dass es sich
um einen echten Fall handelt, dass dieser vor einer kooperativen Gruppe mit dem Wil-
len, den Fall zu verstehen und dem Fallbringer zu helfen, behandelt wird und dass man
sich an die einzelnen Schritte des Ablaufs hält, also:
y klare Trennung von Problembeschreibung (Fallgeber:in) und Hypothesengenerie-
rung (Was könnte dahinterstehen? – Gruppe)
y klare Trennung von Hypothesenbildung und Lösung
Das »Voneinander lernen« stellt im Rahmen der Methode einen wichtigen Aspekt dar.
Durch den strukturierten Aufbau der Fallbearbeitung möchte man klassische »Refle-
xe« vermeiden, denen wir alle unterliegen, wenn jemand mit einem »Problem« auf uns
zukommt. Wir neigen ja in der Regel dazu, sofort einen »Tipp« oder eine schnelle Lö-
sung aus der Hüfte zu schießen, nach dem Motto »Ach, das, was du mir erzählst, das
ist mir auch schon passiert, da machst du am besten einfach mal Folgendes …« Nicht,
dass ein gut gemeinter Ratschlag nicht auch einmal helfen kann, aber es handelt sich
dabei eben nicht um echte Beratung entlang des Bedarfs des Gegenübers. Es besteht
284 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
zumindest eine gewisse Gefahr, dass die Antwort stärker an den eigenen Vorstellun-
gen und Erfahrungen ausgerichtet ist als an dem, was für die andere Seite tatsächlich
sinnvoll sein kann. Die kollegiale Fallsupervision setzt nun nicht voraus, dass nur sol-
che Beiträge der Kolleg:innen akzeptiert werden, die »objektiv« und nicht subjektiv
geprägt sind – das wäre nicht realistisch, denn natürlich haben wir unseren eigenen
Blickwinkel. Aber mit dem methodischen Vorgehen (s. u.) vermeidet man zum einen
die »Schnellschüsse«, also die ersten spontanen Reaktionen, die ja meist etwas über
das Ziel hinausschießen (»Dem musst du mal richtig das Gas einstellen …«, »Ich würde
dem schon zeigen, wo’s langgeht …« usw.). Zum anderen bringt man auch bewusst
viele unterschiedliche Blickwinkel zusammen, nach der Logik:
y Jeder hat eine individuelle Problemsicht.
y Jeder hat eigenständige Lösungsvorschläge.
y Gemeinsam entstehen so vielleicht zusätzliche/ungewöhnliche/neue Lösungswege.
Schritt 1: Problemdefinition und Ziel der Beratung (Zeitbedarf: ca. 5 Minuten): Die
Moderator:in (aus den Reihen der Kolleg:innen) klärt gemeinsam mit der Fallgeber:in
das Problem und das Ziel der Beratung. Hier geht man noch nicht ins Detail, sondern
fokussiert den Fall. Die für alle sichtbare Visualisierung des Ziels kann dabei hilfreich
sein. Die anderen Teilnehmer:innen hören zu. Orientierungsfragen für die Moderation
in diesem Schritt:
y Benennen Sie das Problem mit einem Satz.
y Wie lautet die Schlagzeile/Überschrift für den Fall?
y Was möchten Sie mit diesem Gespräch erreichen?
y Wenn das Gespräch für Sie einen Gewinn bringen würde, welcher könnte das sein?
y Auftrag: Welche Frage soll die Fallberatung für Sie beantworten? (z. B. »Was soll
ich hier überhaupt tun?« oder »Muss ich hier etwas anders machen?« oder »Welche
Sichtweise neben der, die ich habe, könnte noch richtig sein? Was nehmt Ihr hier
wahr?« usw.)
4.4 Coaching | 285
Schritt 3: Hypothesen bilden und bewerten (Zeitbedarf: ca. 15 Minuten): Alle Teilneh-
mer:innen bilden jetzt aufgrund der Problemanalyse Hypothesen zum Fall. In allen
Schritten, in denen das Team zusammen analysiert, gelten »Brainstorming«-Regeln:
jede Hypothese gilt, keiner redet dem anderen etwas aus. Die Idee dahinter ist, dass
ggf. auch eine »wild« erscheinende Hypothese eine neue Idee bei jemand auslösen
kann, die für die Fallgeber:in wiederum spannend ist. Das Ziel der Hypothesenge-
nerierung ist ja gerade ein »Blumenstrauß« an Blickwinkeln statt des einen, auf den
man als Individuum als erstes und ggf. einziges springt. Die Moderator:in schreibt die
Hypothesen für alle lesbar mit. Sie kann natürlich auch eigene Hypothesen einbrin-
gen. Die Fallgeber:in hört in diesem Schritt nur zu und gibt ebenfalls keine Kommen-
tare zu den Hypothesen ab. Dabei können die unten angegebenen Fragen hilfreich
sein für die Hypothesenbildung. Erst wenn alle Hypothesen gesammelt sind, fragt die
Moderator:in die Fallgeber:in, welche Hypothesen sie besonders ansprechen. Diese
werden entsprechend markiert (z. B. mit einem Symbol wie + oder [x]).
Nun geht es natürlich auch darum, welche Lösungen die Fallgeber:in angehen wird,
es geht sozusagen um die »Transfersicherung« der kollegialen Fallberatung. Folgende
Fragen an die Fallgeber:in können hier interessant sein:
y Welche Lösungen haben Sie besonders überrascht?
y Was davon würden Sie gerne für sich übernehmen?
y Was möchten Sie als erstes angehen?
y Welche Schwierigkeiten könnten auftreten?
y Wie könnten Sie sich selbst erfolgreich an der Problemlösung hindern?
y Was könnten Sie oder andere tun, um die Realisierung zu unterstützen?
Schritt 7: Feedback des Fallgebers zur Beratung (Zeitbedarf: ca. 5 Minuten): Am Ende
der Beratung gibt die Fallgeber:in allen eine Rückmeldung zur Beratung, z. B. anhand
folgender Fragen:
y Was hat ihr die Beratung gebracht?
y Ist ihr Ziel erreicht worden?
y Was an den Lösungen und Hypothesen war neu für sie?
y Was war eine Bestärkung für sie?
Die Methode entbehrt nicht einer gewissen Komplexität. Daher kann es durchaus
sinnvoll sein, sich für die Moderation zunächst Hilfe zu holen (z. B. damit vertraute Kol-
leg:innen aus der PE oder externe Berater:innen). Zu Beginn wird die Methode also
mit Hilfestellung durchlaufen, doch die »zugekaufte« Moderator:in kann ihre Rolle im
Verlaufe einiger Sitzungen zunehmend ausschleichen und so die Kompetenz der kolle-
gialen Beratung mehr und mehr in die Hände der Teilnehmer:innen selbst übergeben.
Mit etwas Routine kann kollegiale Fallberatung ein wertvolles PE-Instrument zur
Analyse, Strukturierung und Lösung von durchaus komplexen Anforderungen und
Problemstellungen werden, das mit der Zeit in das »Werkzeug-Repertoire« der Mit-
arbeiter:innen übergeht. Es lässt sich auf horizontaler Ebene einsetzen, also bei
Personen auf gleicher Funktionsstufe bzw. mit Leitungsfunktion, die Führungs-/Kon-
fliktthemen oder andere Fragestellungen bearbeiten möchten. Es funktioniert auch
auf vertikaler Ebene, also für Führungskräfte, die mit ihrem eigenen Team an Sachthe-
men (z. B. eine herausfordernde Kundensituation) arbeiten wollen. Nicht geeignet ist
die Methode zur Klärung interner Teamkonflikte, da die Beteiligten dann »Betroffene«
sind und nicht neutral Hypothesen und Lösungen bilden können.
288 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
4.5 On-the-Job-Maßnahmen
Kommen wir nun zu den PE-Maßnahmen, die nicht (oder zumindest nicht vornehm-
lich) in Zusammenhang mit Programmen oder eigens dafür entwickelten Begleit-
strukturen stehen, sondern die direkt mit dem täglichen Tun der Mitarbeiter:innen
verbunden sind: den On-the-Job-Maßnahmen.
Wir alle bewegen uns täglich in unserem Arbeitsumfeld und erledigen die Aufgaben, die
wir zu erledigen haben. Sofern diese uns nicht chronisch unterfordern (mit dem Risiko
eines »Bore-out«) oder eben ständig überfordern (mit Risiken wie z. B. »Burn-out«) stellen
unsere Aufgaben immer wieder Herausforderungen für uns dar, an denen wir wachsen
können. Wir müssen uns überlegen, wie wir sie angehen, wir definieren hierzu Ziele, die
Aufgaben verändern sich, entwickeln sich weiter, wir erleben Hindernisse, die es zu über-
wältigen gilt oder wir kooperieren mit anderen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wir
rufen also in unserer täglichen Arbeit klassische Personalentwicklungsanforderungen wie
Initiative, Zielorientierung, Veränderungsfähigkeit, Flexibilität, Problemlösefähigkeit oder
Team- und Konfliktfähigkeit ab. Bei der Bearbeitung unserer Aufgaben lernen wir in all die-
sen Feldern permanent dazu, entwickeln uns in unserem organisationalen Umfeld weiter,
verändern und verbessern uns. Was wäre das also anderes als »Personalentwicklung«?
Nicht alles, was wir in den folgenden Abschnitten beschreiben, ist unmittelbar mit
der Bewältigung der eigenen Arbeitsaufgaben verbunden, kann dies aber mittelbar
sein. Themen wie Mentoring, Patenschaften oder der Einsatz als Beobachter:innen in
einem AC setzen in aller Regel voraus, dass man für das Ausfüllen dieser Rollen entwe-
der Erfahrung vorzuweisen hat oder eine Führungsposition inne hat. In beiden Fällen
gehört zur Aufgabe, die Mitarbeiter:innen zu begleiten, Feedback zu geben, Wissen zu
teilen und somit die Mitarbeiter:innen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Auf ge-
nau solche Aspekte zielen Themen wie Mentoring und Tätigkeiten als AC-Beobachter
ab, sie systematisieren nur noch mehr die Reflexion und das Lernen aus genau diesen
definierten Rollen heraus. Man könnte also diese Maßnahmen als »On-the-Job-Instru-
mente für Fortgeschrittene« bezeichnen: Wer Erfahrung hat mit dem Lernen anhand
der eigenen Aufgaben, kann nun etwas davon weitergeben.
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 289
Im Folgenden gehen wir inhaltlich auf die einzelnen Überschriften unserer On-the-
Job-Beispiele ein. Auch hier gilt wieder: wir haben eine Auswahl der Instrumente ge-
troffen, die entweder unserer Wahrnehmung nach einen sehr großen Hebel darstellen
oder uns in der täglichen Praxis häufiger begegnen. Damit akzeptieren wir im Umkehr-
schluss, dass wir, um den Rahmen eines »Crashkurses« nicht zu sprengen, auch auf
einige mögliche Beispiele verzichten, die die eine oder der andere von Ihnen vielleicht
vermissen wird.
4.5.1 Personalentwicklung durch Aufgabengestaltung
Lassen Sie uns zunächst einsteigen mit der unmittelbarsten Variante von PE on the
Job: der Entwicklungsförderung durch das Erfüllen der eigenen Aufgaben. Wie im
vorherigen Abschnitt erwähnt: die Aufgaben, die Menschen in der täglichen Arbeit
verrichten, bilden ein riesiges Spektrum an Anforderungen, Herausforderungen,
Problemstellungen, Veränderungsbedingungen, Ambiguitäten und Entscheidungs-
notwendigkeiten mit sich. Man muss überlegen, schlussfolgern, Neues entwickeln, or-
ganisieren, planen und natürlich auch einfach handeln, in Aktion treten. Ja nachdem,
wie die oder der Einzelne gepolt ist, macht Mitarbeiter:innen die »richtige Mischung«
der entsprechenden Anforderungen Spaß. Ein Zuviel überfordert. Und ist die Arbeit
vor allem durch Gleichförmigkeit und Repetition geprägt, lässt das in der Regel die
innere Entwicklung stagnieren.
Man kann also sagen, dass Aufgaben eine »PE-relevante Qualität« besitzen. Hier
möchten wir erneut das Job-Characteristics-Modell von Hackman & Oldham (1976,
1980) zitieren, das wir schon im Kapitel 2.2 »Aufgabenanalyse« dargestellt haben. Die
entwicklungsförderlichen Aspekte der Aufgabe beschreiben die Autoren als Anfor-
derungsvielfalt, Ganzheitlichkeit, Bedeutsamkeit des eigenen Tuns, Autonomie und
Feedback zu den Ergebnissen. Auch andere Autor:innen haben sich in der Folge an
Hackmans und Oldhams Arbeit orientiert und sich Gedanken zu den qualifizierungs-
förderlichen Aspekten von Aufgaben gemacht, so z. B. Franke & Kleinschmidt (1987).
Sie führen auf:
y Problemhaltigkeit: Ausmaß erforderlicher Denkprozesse in der Arbeit
y Handlungsspielraum: objektive Freiheitsgrade bei Verrichtung der Arbeit
y Abwechslungsreichtum: Häufigkeit der Veränderung der Arbeitssituation und des
organisatorischen Umfeldes
y Vollständigkeit: Vielfalt und Vollständigkeit der Handlungsfunktionen i. S. von
Planung – Ausführung – Kontrolle
y Qualifikatorischer Nutzwert: Verwertungschancen der Qualifizierung für zukünf-
tiges Berufsleben
y Soziale Unterstützung: Anregung und Hilfe durch Kolleg:innen und Vorgesetzte
290 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
In einer »idealen Welt« braucht ein Unternehmen also »nur« dafür zu sorgen, dass alle
Mitarbeiter:innen in einem solchen Aufgabenumfeld arbeiten und hat damit dann
schon den wesentlichen Teil der PE-Arbeit geleistet. Damit kommen auch Anforde-
rungen auf die Führungskräfte des Unternehmens zu: Sie sind diejenigen, die ihren
Mitarbeiter:innen durch die entsprechende Zuweisung von Tätigkeiten genau diese
Entwicklungsmöglichkeiten einräumen. Hier liegt die unmittelbare Verknüpfung mit
Kapitel 4.6 »Führungsbezogene PE-Instrumente« vor: In der Regel sind es die direk-
ten Führungskräfte, die einschätzen können müssen, ob jemand in seiner Aufgabe
unterfordert, überfordert oder eben optimal gefordert ist. Und in einer »idealen Welt«
beobachten sie aufmerksam und fördern die Entwicklung jeder und jedes Einzelnen
durch das Führungsprinzip der »Delegation«, indem sie Verantwortung übergeben,
Projektleitungen vergeben oder einfach besondere Aufgaben ausloben. Natürlich ge-
hört genauso dazu, dass eine Führungskraft jeden Einzelnen vor Unter- oder dauer-
hafter Überforderung schützt, aber das wäre dann eher Inhalt eines Fachbuches zum
Thema »Führung«.
Die »an sich erlebte« Delegation, die Übernahme von Verantwortung für eine Sonder-
aufgabe, die Erweiterung des eigenen Aufgabenspektrums um zusätzliche Tätigkeiten
auf gleicher Qualifikationsebene (»job enlargement«), die Differenzierung des vor-
handenen Stellenprofils um zusätzlich qualifizierende Tätigkeiten (»job enrichment«)
oder die Leitung eines (Teil-)Projekts – all das führt dazu, dass man als Mitarbeiter:in
für etwas zuständig ist, Akzente setzt und Ergebnisse entstehen sieht. So herausfor-
dernd und teils auch frustrierend z. B. Projektarbeit sein kann: am Ende blickt man
auf ein fertiges Werk, das man gemeistert hat und kann stolz auf das Ergebnis sein.
Letztendlich motiviert diese Art von persönlicher Entwicklung auch einfach, sie sorgt
dafür, dass wir uns in unseren Leistungen einordnen können und wissen, wofür wir im
Unternehmen »da sind«.
Abb. 41: Selbstregulationstheorie nach Kanfer (1990), hier nach Porath & Bateman (2006)
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 291
Am Anfang des Lernens durch das Ausführen einer Aufgabe steht eine Zielorientie-
rung – wie z. B. der Wille, etwas Neues zu beherrschen. Man spricht auch vom Ziel
des »Meisterns« einer Aufgabe. Solche Ziele können auch mit einem gewissen Wett-
bewerbsgedanken verbunden sein, sich selbst gegenüber (»Das beweise ich mir, dass
ich das kann«) oder auch anderen gegenüber (»Das haben andere hinbekommen, das
schaffe ich auch!«).
Und weil man das Ziel erreichen will, richtet man das eigene Tun in der Bewältigung
der Aufgabe in eine bestimmte Richtung aus: man sucht sich Feedback, geht auf an-
dere zu, fragt nach, ergreift Initiative, entwickelt eigene Ansätze, liest etwas nach, in-
formiert sich – kurz, man tut ganz viel, um die Aufgabe »gut hinzubekommen«. Und
natürlich ist man dann ab und zu genervt davon, dass es nicht weitergeht, kontrolliert
sich aber in seinen Emotionen und bleibt am Ende doch am Ball – Aufgeben ist so-
zusagen »keine Option«, wenn man sich die Bewältigung der Aufgabe vorgenommen
hat. Genau diese Aspekte meint der Begriff »Selbstregulation«: Das gerichtete Suchen
nach Lösungen, das proaktive Handeln, das »Ausgerichtet-sein« auf die Lösung der
Aufgabe, das »Sich-Zusammenreißen« selbst bei frustrierenden Erlebnissen, all das
gehört dazu.
Und schließlich sollte sich dies dann auch in den entsprechenden Leistungsindika-
toren niederschlagen, die in Abbildung 41 nur beispielhaft aufgeführt sind: Der Ver-
käuferin wurde gesagt, dass sie eine bisher zahlenmäßig schwache Verkaufsregion
übernehmen soll und diese selbstverantwortlich neu aufbauen soll. Sie kniet sich rein
und tatsächlich, ein Jahr später, sind die Absatzzahlen in diesem Gebiet um 32 % ge-
stiegen. Die Produktionsmannschaft »Packaging« sollte sich als Team Gedanken dazu
machen, wie man in diesem Prozessschritt Zeit einsparen kann. Sie finden Optimie-
rungsansätze und die Arbeitsleistung in Form von Output an verpackten Einheiten
steigt um 12 %. Die Fehlerquote bei Bauteil XYZ ist zu hoch und der Schichtmeister be-
kommt die Aufgabe, eine Qualitätsverbesserung im Vorrichtungsbau zu erreichen, ...
Fast jeder kann wohl mindestens von Phasen seines Lebens berichten, in denen die
eigene Arbeit nicht »entwicklungsförderlich« war – wir hatten in diesem Abschnitt
mehrfach von einer »idealen Welt« gesprochen, in der wir uns in aller Regel ja nun lei-
der nicht dauerhaft bewegen. Nicht jedes Unternehmen wird dafür sorgen, dass alle
Mitarbeiter:innen immer optimal durch ihre Aufgaben gefördert werden. Teils liegt
das schon in der Natur mancher Tätigkeiten begründet. Und nicht jede Führungskraft
beherrscht die Kunst der Delegation perfekt. Manche denkt sich vielleicht sogar »Wa-
292 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
rum soll ich die ganzen schönen Aufgaben an meine Mitarbeiter:in geben, die mache
ich doch lieber gleich selbst!«
Weil das erfolgreiche Durchführen der eigenen Aufgaben für die persönliche Entwick-
lung von großen Bedeutung ist, gilt hier natürlich auch das Prinzip »Selbstverantwor-
tung«. Jede und jeder tut gut daran, nicht zu warten bis das Unternehmen einem die
herausfordernde Aufgabe auf einem Teller serviert. Es geht darum, eigenverantwort-
lich nach Gelegenheiten des Wachstums zu suchen, Verantwortung einzufordern und
selbst Entwicklungschancen in der Arbeit zu ergreifen. Das eigene Tun spielt bei der
Realisierung der persönlichen Entwicklungspotenziale eine sehr große Rolle (s. a. Ka-
pitel 4.1.3 »Feedbackbezogene Potenzialanalysen/Assessments«).
4.5.2 Fachlaufbahn
Eng mit dem vorherigen Abschnitt verknüpft ist auch das Thema Fachlaufbahn, geht
es hier doch ganz vordergründig um die Frage »Wie entwickele ich mich entlang mei-
ner inhaltlichen Aufgaben?«
Dies erklärt natürlich auch, dass es immer mehr Möglichkeiten für die Mitarbeiter:in-
nen eines Unternehmens gibt, sich als Fachspezialist:in weiterzuentwickeln – es gibt
einfach genügend spezialisierte Themen zu besetzen und es werden immer mehr!
Die Idee hinter einer Fachlaufbahn besteht darin, Mitarbeiter:innen zu fördern, die
Potenzial in Richtung einer Spezialisierung zeigen. Dabei geht es aber nicht nur darum,
dass jemand der »anerkannte Nerd« in einem Bereich X ist und das meiste Spezialis-
tenwissen in sich vereint, sondern wie dieser Jemand damit umgeht. Wird das Spezia-
listenwissen zum Nutzen des Unternehmens eingesetzt, entwickelt die Mitarbeiter:in
daraus z. B. eine neue Produkt- oder Prozessidee? Gibt die Mitarbeiter:in ihr Wissen
gut verständlich an den Schnittstellen weiter, damit der Wissensstand des gesamten
Unternehmens wächst? Bringt die Kolleg:in neues Managementwissen ein, was sich in
einem verbesserten Prozess niederschlägt? Eine Spezialist:in mit Potenzial hortet ihr
Wissen nicht und lässt das Umfeld auf diese Weise permanent spüren, wie unwissend
es im Vergleich zu ihr ist, sondern sie arbeitet damit aktiv, vernetzt sich darüber mit
anderen und entwickelt es so – wie eine wissenschaftliche Disziplin – weiter.
Fach- oder Projektlaufbahn
Man kann unterschiedliche Formen von Fachlaufbahnen unterscheiden, wobei dies
in erster Linie eine Frage der Nomenklatur ist. So kann man gegenüber einer Fach-
laufbahn im Sinne einer inhaltlichen Spezialisierung sogenannte Projektlaufbahnen
unterscheiden. Hier geht es, wie der Name schon sagt, darum, dass die Entwicklung
der oder des Einzelnen durch Projektarbeit geschieht. Mittlerweile gibt es viele Unter-
nehmen, bei denen Mitarbeiter:innen jahrelang immer wieder in aktuellen Projekten
tätig sind (meist mehrere parallel) und dabei auch eine volle Auslastung erleben. Den-
noch hört man oft bei dieser Zielgruppe die latent belastende Frage »Was wird aus mir,
wenn die Projektphase vorbei ist?«
Hier tut sich jemand, der sich in der Linie, also im eigenen Aufgabenfeld spezialisiert,
etwas leichter. Im Sinne der eigenen Jobsicherheit oder Employability gedacht, ist
dies sicherlich die attraktivere Variante: Bei ausreichend erarbeiteter Expertise im
eigenen Spezialgebiet kann man sich in den für den Unternehmenserfolg zentralen
Bereichen fast schon unentbehrlich machen!
Fachliche Führung
Auch die Thematik der »fachlichen Führung« im Sinne einer horizontalen Karriere gewinnt
seit vielen Jahren an Bedeutung. Viele Teamleiterfunktionen sind nicht mit einem disziplina-
rischen Führungsanteil ausgestattet und Begriffe wie »Matrix-Führungskräfte« halten immer
294 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Wie alle Instrumente der PE bietet auch das Thema »Fachlaufbahn« potenzielle Vor-
wie Nachteile – je nachdem, wie und mit welcher Intention man das Ganze handhabt.
Bei der Bewertung, ob Positives oder Negatives für die Mitarbeiter:innen, die eine
Fachlaufbahn beginnen, überwiegt, spielen z. B. folgende Fragen eine Rolle:
y Welche Bedeutung wird der Fachlaufbahn im Unternehmen zugestanden?
y Welche Rollenposition hat die Fachspezialist:in im Unternehmen?
y Wie ausdifferenziert sind die möglichen Hierarchiestufen der Fachlaufbahn (z. B.
Junior-Spezialist:in – Spezialist:in – Expert:in – Senior-Expert:in)?
Vorteile Nachteile
Kompetenzportfolio
Ein erster Schritt in Richtung Aufbau einer horizontalen Karrierelaufbahn in Unter-
nehmen ist in der Regel das Aufstellen eines Kompetenzportfolios oder Competen-
ce-Mappings der Mitarbeiter:innen. Dieses basiert auf den Stellenbeschreibungen,
Jobprofilen und/oder dem Anforderungsprofil des Unternehmens (s. Kapitel 2.2.4
»Anforderungs- oder Kompetenzprofil«) und stellt letztendlich eine meist bereichsbe-
zogene Tabelle dar, in der alle Mitarbeiter:innen und deren Aufgabeninhalte abgebil-
det sind. Dies geschieht aber in einer Art und Weise, die besonders auf die »Skalierung«
dieser Aufgabeninhalte abhebt, also folgende Fragen klärt:
y Was an dieser Aufgabe ist Basiswissen?
y Was ist Spezialwissen?
y Was davon ist Expertenwissen?
Dem Thema »Fachlaufbahn« muss unseres Erachtens jedes Unternehmen in den kom-
menden Jahren Aufmerksamkeit schenken. Man mag nun über die viel zitierte neue
Werteorientierung der»Generationen Y und Z« denken wie man will, aber es zeichnet
sich in den letzten Jahren insgesamt ein »Motivationstrend« in Richtung der Aufga-
beninhalte ab. Nicht, dass Hackman & Oldhams Job-Characteristics-Modell (1976,
1980, s. Kapitel 2.2 »Aufgabenanalyse«) nicht auch schon vor 40 Jahren gegolten hät-
te – aber die jungen Nachwuchskräfte betonen die Bedeutung der Sinnhaftigkeit von
Arbeit einfach expliziter. Hier zeichnen sich hervorragende Hebel für die Entwicklung
gerade junger Menschen entlang einer entsprechenden inhaltlichen Karriere ab.
4.5.3 Jobrotation
In den Formenkreis der eng mit der täglichen Arbeit verbundenen PE-Instrumente ge-
hört auch das Thema Jobrotation. Was versteht man darunter? Mit Jobrotation ist ein
zeitlich begrenzter Wechsel eines Arbeitsplatzes in eine andere Organisationseinheit
gemeint, um aktiv in dieser Organisationseinheit mit zu wirken und um zu verstehen,
welche Tätigkeiten die Kolleg:innen dieser Einheit in ihrem Aufgabengebiet ausüben
und mit welchem Aufwand diese verbunden sind.
296 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Bei dem hohen Ausmaß an Spezialisierung in jeder Organisation verstehen wir oftmals
nicht mehr, was die Kolleg:in im benachbarten Bereich eigentlich genau macht. Das
muss auch nicht unbedingt eine notwendige Bedingung sein, um die eigene Arbeit
gut machen zu können – aber manchmal hilft es, um Schnittstellenprobleme zu über-
winden. Unterschiedliche Schnittstelleninteressen sind meist angelegt in der Struktur
eines Unternehmens und durchaus gewollt, z. B. bei Banken zwischen der Kreditverga-
be und dem Vertrieb oder in Industrieunternehmen zwischen Projektplaner:innen und
Kundenbetreuer:innen. Durch die »Reibung« aneinander soll sichergestellt werden,
dass man insgesamt im besten Sinne für das Unternehmen und den Kunden agiert.
Manchmal entstehen hier aber auch Gräben zwischen den Bereichen und gerade hier
eignet sich Jobrotation sehr gut, um diese zu überkommen. Die Aha-Erlebnisse sind
bei allen Beteiligten recht groß, wenn z. B. der Innendienstkollege auch einmal mit
zum Kundengespräch der Verkäuferin fährt oder die Forschungs- und Entwicklungs-
abteilung eine Woche in der Produktion hospitiert. Natürlich kann man Jobrotation
auch ohne Not praktizieren, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter:innen Teile oder
gar die gesamte Wertschöpfungskette nachvollziehen können. In jedem Fall bekommt
man so einen Blick für das, was die Kolleg:innen »auf der anderen Seite« so beschäf-
tigt. Man kann die Rationalität einer Handlung der Kolleg:innen besser nachvollziehen
(»Na klar, das müssen die so handhaben, denn sonst haben sie ein Problem mit der
internen Revision!« statt »Das ist doch wieder typisch von denen, die wollen uns mit
der ganzen Bürokratie nur das Genick brechen!«).
Und natürlich gilt auch hier, dass sich die persönliche »Employability« der oder des
Einzelnen erhöht, da er oder sie tendenziell in mehreren Bereichen einsetzbar wäre.
Vorgehensweisen
Grundsätzlich gibt es verschiedene Varianten, um eine Jobrotation zu realisieren, z. B.
y Zeitgleicher, beidseitiger Tausch: Zwei Mitarbeiter:innen tauschen ihre Arbeits-
plätze zeitgleich für denselben Zeitraum (»klassische« Jobrotation).
y Zeitversetzte, beidseitige Begleitung: In diesem Fall einigen sich zwei Mitarbei-
ter:innen darauf, in den jeweils anderen Bereich hineinzuschauen, besuchen sich
dabei aber in hintereinanderliegenden Zeitfenstern gegenseitig. Das bedeutet,
eine läuft zunächst mehrere Wochen oder Monate bei der anderen mit, geht dann
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 297
Die Dauer einer Jobrotation ist ebenfalls nicht festgelegt, aber man würde bei Beglei-
tungs- bzw. Durchführungszeiten von Stunden bis wenigen Tagen wahrscheinlich eher
von »Shadowing« im Sinne von »Hineinschnuppern« sprechen, während man bei zwei
Wochen bereits von Jobrotation sprechen kann.
Sonntag & Stegmaier (2007) zeigen positive Effekte von Jobrotation auf, z. B. bei der
Karriereentwicklung, aber auch beim arbeitsintegrierten Lernen hinsichtlich techni-
scher und geschäftlicher Aspekte (s. hierzu die Untersuchung von Campion, Cheras-
kin, & Stevens, 1994).
Menschen, die eine Jobrotation erlebt haben, berichten meist, dass sie sich dadurch
verändert hätten, dass sie mal »auf der anderen Seite des Zaunes« gewesen sind. Da
ist zum einen das Gefühl, besser begreifen zu können, was die andere Seite beschäf-
tigt, aber zum anderen auch der gezielte Kompetenzausbau und die erlebte Stärkung
der persönlichen Flexibilität. Hier greifen ähnliche Mechanismen wie der im obigen
Abschnitt PE durch Aufgabengestaltung beschriebene Selbstregulationsmechanis-
mus von Kanfer (1990).
tion sind in erster Linie die zahlreichen logistischen, aber auch vertragstechnischen
Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Von Seiten der Personalabteilung und der
PE müssen im Vorfeld sehr viele Fragen geklärt werden, gerade was die Sicherstellung
der Arbeitsergebnisse des »fremdbetreuten« Bereichs betrifft. Viele können sich gar
nicht vorstellen, wie es gehen soll, so lange von der eigenen Arbeit entfernt zu sein. Sie
werden dann umgetrieben von Fragen wie »Was wird aus meinem Bereich oder meiner
Arbeit, wenn ich nicht da bin?« Natürlich ist es für manchen auch ganz heilsam zu er-
fahren, dass alles noch steht, wenn man wiederkommt. Auch das Gefühl, zum einen
inhaltlich nicht unentbehrlich zu sein und zum anderen auch in anderen, ggf. sogar
fachfremden Bereichen zurechtgekommen zu sein, stellt ja eine innere Entwicklung
für einen Menschen dar.
4.5.4 Mentoring und Patenschaften
Mit den hier folgenden Ausführungen zum Thema »Mentoring« und Patenschaften
bleiben wir zwar im »On-the-Job-Bereich« der PE-Instrumente, verlassen aber den
unmittelbaren Aufgabenbezug, der bei Themen wie »Qualifizierung durch die Arbeit«
und »Jobrotation« ins Auge sticht, etwas. Beim Mentoring geht es darum, dass eine er-
fahrene Kolleg:in einen »Neuling« an dessen Aufgabenfeld heranführt und dabei unter-
schiedlichste Ebenen berücksichtigt: nicht das Anlernen in der Aufgabe selbst steht im
Vordergrund, sondern noch mehr das gesamte unternehmenskulturelle Gefüge, in das
die Tätigkeit eingebettet ist. Im Folgenden gehen wir darauf ausführlicher ein.
Mentoring und Patenschaften werden vielfach als Synonyme benutzt. In unserer Be-
ratungsarbeit hat sich eine Unterscheidung etabliert, die wir für passend halten, die
man aber auch kritisch betrachten kann – sie hilft dennoch bei komplexeren Begleit-
strukturen zu klären, was gemeint ist:
y Unter Patenschaften verstehen wir die zeitlich klar auf die Einarbeitung begrenz-
te Begleitung einer neuen Mitarbeiter:in in die Aufgabe durch eine erfahrene
Kolleg:in aus demselben Bereich (Beispiel Juniorverkäufer:in und erfahrene Ver-
käufer:in). Hier steht das »Erlernen des Handwerks mit allem Drum und Dran« im
Vordergrund.
y Mentoring umfasst für uns potenziell noch ein bisschen mehr: Es kann zeitlich
deutlich länger sein, die Mentor:in kann aus anderen Hierarchieebenen und Berei-
chen kommen und legt naturgemäß ein etwas geringeres Gewicht auf die Inhalte
der Aufgabe selbst als vielmehr auf die Einführung der »Neuen« in die Welt des
Unternehmens.
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 299
Diese Differenzierung ist aber nicht »kriegsentscheidend« und von daher werden wir
in den folgenden Zeilen auch keine methodischen Differenzierungen zwischen den
Begriffen vornehmen – auch bei unserer Unterscheidung gilt, dass vieles, was eine
Mentor:in mitbringen sollte, eine Pat:in genauso braucht – und umgekehrt.
Die Bedeutung von Mentoring klärt sich beim Blick in die griechische Mythologie:
»Mentor« hieß ein Freund des Odysseus. Er war ein wohlwollender Lehrer und Führer
in informellen Lebensweisheiten, der Odysseus’ Sohn Telemach bei der Suche nach
seinem Vater unterstützte. Er vereinte in seiner Art (traditionelle und ggf. heute tra-
dierte) weibliche und männliche Eigenschaften.
Lernthemen und -methoden
Welche Lernthemen und -methoden im gemeinsamen Prozess zum Tragen kommen,
ist »Verhandlungssache« zwischen der Mentor:in und ihrem Protegé. Folgende Metho-
den können eingesetzt werden (zur weiteren Differenzierung der Funktionen des Men-
toring s. Blickle & Wihler, 2013; Blickle, Witzki & Schneider, 2010):
y Vorbildfunktion: Die Mentor:in beschreibt, wie sie in bestimmten Situationen vor-
geht.
y Erfahrungsaustausch: Der Mentee beschreibt, was er erlebt hat, die Mentor:in
kommentiert dies und bringt ihre Erfahrungen ein.
y »Lernen durch Beobachtung«, »Tandems« (»Role-Modeling«): Mentor:in und Men-
tee vereinbaren gemeinsame Termine, der Mentee erlebt die Mentor:in in Aktion,
z. B. durch Teilnahme an Meetings oder Kundenbesuchen.
y Feedback: Die Mentor:in gibt dem Mentee Rückmeldung zu wahrgenommenem
Verhalten, liefert auf diese Weise auch ein Korrektiv.
300 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Ebenen des Mentoring
Die Ebenen, auf denen Mentoring und Patenschaften greifen können, hat Scandura
(1992) beschrieben. Sie unterscheidet zwischen psychosozialem, Karriere-Mentoring
und Role-Modeling.
y Psychosoziales Mentoring beinhaltet die Einführung des Mentees in internen und
externen Netzwerken, z. B. in Verbänden, bei Unternehmensveranstaltungen, Be-
kanntmachen in Abteilungen usw. Auch die Vermittlung eines »Stils des Hauses«
oder besonderer Unternehmenskultur-Aspekte (Normen, explizite und implizite
Regeln, »ungeschriebene Gesetze« usw.) gehören dazu.
y Hinweise zu persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten für den Mentee werden als
»Karriere-Mentoring« bezeichnet.
y Role-Modeling beinhaltet wiederum das Vorleben von Verhalten und das damit
verbundene Lernen für den Mentee.
Anforderungen an eine Mentor:in
Mentoring und Patenschaften stellen immer auch einen wichtigen Entwicklungsbau-
stein für die erfahrene Person, also der Pat:in oder der Mentor:in selbst dar – Entwick-
lung findet also immer auf beiden Seiten statt! Die Anforderungen an eine geeignete
Mentor:in sind auch nicht ganz anspruchslos:
y Die Mentor:in braucht didaktische Kompetenz, muss in der Lage sein, Wissen zu
aktivieren und personen- und aufgabenbezogen zu vermitteln.
y Sie muss Geduld in der Vermittlung an den Tag legen.
y Sie muss in der Lage sein, eine logische, widerspruchsfreie Darstellung von Fach-
und Unternehmenswissen abzubilden.
y Auch die persönliche und soziale Kompetenz der Mentor:in ist gefordert, etwa in
Form von persönlichem Engagement und der Bereitschaft, Zeit zu investieren
y Partnerzentrierte Kommunikation ist wichtig: sie muss aktiv zuhören, auf die Be-
dürfnisse des anderen eingehen, Feedback ausgewogen (positive und negative
Anteile) vermitteln
y Die Mentor:in sollte Ruhe ausstrahlen, nicht drängen, dadurch Vertrauen aufbau-
en, Unsicherheiten aushalten (z. B. bei Mentees, die sich nicht sofort in »die richti-
ge« Richtung entwickeln)
y Sie muss vor allem in der Lage sein, eine Trennung von eigenen Zielen und den-
jenigen des zu beratenden Protegés vorzunehmen.
y Sie braucht auch eine gewisse »Sandwich-Fähigkeit«, sollte sich also als Puffer
bzw. Vermittler zwischen dem Unternehmen und dem Mentee verstehen, ohne
sich dabei nur auf eine Seite zu schlagen.
y Nicht zuletzt gehört dazu sicher auch eine fundierte Praxiserfahrung, optimaler-
weise langjährige Erfahrung im Zielbereich des Neuankömmlings, eine feste Ver-
ankerung in der Unternehmensstruktur / im Netzwerk und eine hohe Akzeptanz der
eigenen Person in unterschiedlichen Hierarchiestufen; ggf. sogar eine »Vorbildfunk-
tion« aufgrund besonderer Leistungen und/oder einer besonderen Persönlichkeit.
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 301
Da wir nicht davon ausgehen, dass es »haufenweise« Menschen gibt, die hier bei je-
dem einzelnen Punkt ein »Häkchen« setzen können, steckt in einigen dieser Aspekte
sicherlich genau das Entwicklungspotenzial einer Aufgabe als Mentor:in – natürlich
kann das nicht für alle der oben genannten Anforderungen gelten, denn dann müsste
man sich ggf. viele Jahre gedulden, bevor man für diese Rolle vollständig geeigent
wäre.
Vorgehensweise
Wie implementiert man Mentoring oder eine Patenbegleitung? In der Literatur findet
eine Unterscheidung zwischen informellem, sich freiwillig ergebendem, und formel-
len, als Ausbildungsbestandteil angelegtem Mentoring statt (Kram, 1985; Levinson,
1978; Ragins, Cotton & Miller, 2000; Allen, Eby & Lentz, 2006).
Kram (1985) fokussiert in ihrer Pionierarbeit zum Thema auf informelles, sich »natür-
lich ergebendes« Mentoring, bei dem sich Mentor:in und Mentee aufgrund von per-
sönlichen Sympathien in einem mehrjährigen Austauschprozess mit gegenseitigem
Nutzen finden. Sie unterscheidet vier Phasen des Mentorings:
1. Initiationsphase: Dies entspricht genau der angesprochenen Findungsphase, die
zwischen einem halben und einem Jahr dauert.
2. Kultivierungsphase: In dieser Phase ist die Austauschbeziehung zwischen beiden
auf dem Höhepunkt und läuft »selbstverständlich« ab, da beide in ihren Rollen
eine perfekte Ergänzung abbilden: Die Mentor:in erfüllt die oben beschriebenen
Rollen und liefert die oben beschriebenen Vorteile, der Mentee zollt der Mentor:in
Anerkennung, ist loyal und versorgt ihn mit Informationen. Diese Phase dauert
nach Kram 2 bis 5 Jahre.
3. Separationsphase: In dieser Phase kommt es nach und nach zu Problemen zwi-
schen beiden Seiten, sei es, weil sich die Beziehung überlebt hat, der Mentee sich
so entwickelt hat, dass er »flügge geworden ist« oder durch simple äußere Ein-
flüsse wie veränderter Position des Mentees im Unternehmen. Diese Phase kann
zwischen 6 Monaten und 2 Jahren dauern.
4. Redefinitionsphase: Nachdem sich in der vorherigen Phase die Mentor:in-/Men-
teebeziehung aufgelöst hat, kann es zu einer Neudefinition des Zusammenspiels
kommen, z. B. in Form einer Freundschaft oder geschätzten kollegialen Bezie-
hung, aber auch zu einem Bruch.
Phasendauer ist ein formeller Mentoringprozess auf ein halbes bis maximal 2 Jahre
angelegt – in der Regel finden sich angelegte Begleitungen von ca. 1 Jahr, und damit
liegt man deutlich unter den angenommenen Zeiten eines informellen Mentorings.
Erfolgsfaktoren
Dass informelles Mentoring daher reibungsloser vonstattengeht, überrascht nun si-
cher nicht sonderlich, aber zum Glück lassen sich auch für formelles Mentoring Er-
folgsfaktoren identifizieren (z. B. Ragins et al., 2000; Viator, 1999, Chao, 2009, Allen,
Eby & Lentz, 2006):
y Einfluss(-gefühl) auf »Matching« zwischen Mentor:in und Mentee: Wenn für den
Mentee zu Beginn zumindest die Chance eines »Herausoptierens« besteht, ver-
läuft das Mentoring in der Regel erfolgreich (auch wenn diese Option gar nicht ge-
zogen wird, könnte man es tun, man steuert also mit).
y Wahrnehmung des Mentoring freiwillig: Hierzu gibt es gemischte Befunde und
daher keine klare Sachlage. Unserer Erfahrung nach kommt hier wieder das The-
ma »Prozessgestaltung« zum Tragen: auch wenn die Teilnahme am Mentoring für
die Mentees verpflichtend ist, kann man sie vom Nutzen überzeugen, indem dieser
zu Beginn des Prozesses transparent dargestellt wird.
y Regelmäßigkeit / Häufigkeit der Treffen: Wie beschrieben scheitern die meis-
ten Mentorings daran, dass man sich zu selten sieht, um genau die notwendige
Vertraulichkeit zu entwickeln, damit aus den Treffen Lerneffekte entstehen kön-
nen.
y Trainingsmaßnahmen / Hinweise auf Ziele des Mentoring: Hier vor allem für die
potenziellen Mentor:innen, so dass sie abgestimmt agieren und sich adäquat auf
ihre Rolle vorbereiten können.
y Geographische Nähe: Auch hier ist die Ergebnislage aus der Forschung nicht
eindeutig: ggf. liegen hier auch Vermischungen vor, denn geographische Nähe
unterstützt natürlich die Regelmäßigkeit von Treffen und das ist definitiv ein Er-
folgsfaktor (s. Punkt weiter oben). Dennoch gibt es auch funktionierende Mento-
rings trotz weiterer Anreisewege.
y Gleicher Bereich: Dies wirkt sich positiv aus, sicherlich, weil natürlich die Effek-
te des Karrierementoring und des psychosozialen Mentoring im eigenen Bereich
größer sind.
y Berücksichtigung von Hierarchien: Hier gilt ein ähnliches Argument wie im vor-
herigen Punkt: höherrangige Mentor:innen haben potenziell mehr und längere
Hebel. Doch auch hier liegen gemischte, teils gegenläufige Befunde vor, denn
ein zu hoher Rang kann auch wiederum zu »Hemmungen« beim Mentee führen,
der sich dann vielleicht nicht mehr traut, alle Fragen zu stellen, die ihm auf der
Seele brennen. Allerdings konnten Blickle, Witzki & Schneider (2009) nachwei-
sen, dass eine hohe Machtposition der Mentor:in eindeutige Effekte auf ganz
konkrete Nutzenaspekte wie Gehaltsanstieg in den ersten beruflichen Jahren
hat.
4.5 On-the-Job-Maßnahmen | 303
Neben dem vordergründigsten Thema, dass die Mentor:in keine Zeit für regelmäßige
Treffen findet, lassen sich »im Feld« auch noch weitere Risiken beobachten, die einen
Misserfolg des Mentoringprozesses hervorrufen können:
y Keine Ziele im Gespräch, die Vertrauensbeziehung entwickelt sich nicht und der
Mentee sieht keinen Zusatznutzen im Mentoring.
y Die Mentor:in wird von der Linienführungskraft des Mentee als »Störfaktor« gese-
hen, der diesem Zeit stiehlt.
y Die Mentor:in wird als Konkurrent:in der Führungskolleg:in wahrgenommen, die
den Mentee im schlimmsten Fall auch noch »abgreifen« möchte.
y Die Mentor:in wird als »Spion« gesehen, die die Leistung der Kolleg:in als Füh-
rungskraft überprüft.
y Der Mentee wird als »schwach« wahrgenommen, weil er »eine Mentor:in braucht«
und sich nicht direkt mit seiner eigenen Führungskraft austauscht.
y Die Mentor:in missversteht ihre Rolle und tritt als »Polizei« auf, indem sie direkt
zur Führungskraft des Mentees geht und diese mit Fragen wie »Was ist denn da
bei Euch im Bereich los?« konfrontiert. In der Folge wird der Mentee natürlich ver-
unsichert und traut sich nicht mehr, offen zu sprechen oder »sitzt zwischen den
Stühlen« und meidet das Mentoring.
y Blickle, Schneider, Meurs & Perrewé (2010) beschreiben darüber hinaus subjek-
tive Hürden wie Befürchtungen auf Seiten des Mentees, wie vermuteter Neid der
direkten Kolleg:innen, die keine Mentor:in haben, und Angst vor Unterstellungen
aus dem Umfeld, z. B. hinsichtlich der Natur der Beziehung zwischen Mentee und
Mentor:in.
Im Idealfall schaffen Sie es, den formellen Mentoringprozess so zu gestalten, dass sich
nach dessen »offizieller Abrundung« (z. B. in Form einer gemeinsamen Abschlussver-
anstaltung) ganz ohne Ihr Zutun eine informelle Mentor:innen-/Menteebeziehung
weiterspinnt. Wenn das geschieht, können Sie sicher sein, dass die PE-Maßnahme
»Mentoring« perfekt gegriffen hat.
4.5.5 Einsatz als AC-Beobachter:innen
Ähnlich wie beim Thema »Mentoring« handelt es sich auch hier um eine Entwick-
lungsmaßnahme, die nicht unmittelbar etwas mit der Verrichtung der täglichen
Arbeit zu tun hat. Andererseits gehören das »systematische Beobachten« von
Menschen und das Einschätzen ihrer Leistungen zu den Anforderungen aller Füh-
rungskräfte. Und obwohl dies so ist, berichten viele Führungskräfte, die erstmalig
als Beobachter:innen an einem AC teilnehmen, dass das dortige Einschätzen »eine
ganz andere Nummer« sei. Auch die Anforderung, einer Kandidat:in am Ende eines
ACs innerhalb von 30 Minuten ein kritisches, aber dennoch motivierendes Feed-
back zu geben, stellt für die meisten AC-Beobachter:innen eine echte Herausfor-
derung dar.
Letztendlich wollen wir mit der Darstellung dieser On-the-Job-Maßnahme auch für
einen gewissen Pragmatismus plädieren: Wenn Sie als Personalentwickler:in ein AC
planen, dann sollten Sie die gute Gelegenheit nutzen und Ihren Führungskräften das
Lernen auf der Metaebene ermöglichen, indem Sie sie hierfür als Beobachter:innen
gewinnen.
4.5.6 Feedback-/Reflexionstagebuch
Zur Abrundung des Kapitels 4.5 »On-the-Job-Maßnahmen« gehen wir noch auf eine
Methode ein, die zwar ungewöhnlich erscheinen mag, tatsächlich aber ein wirksames
Instrument zur Selbstreflexion für die sich entwickelnden Mitarbeiter:innen ist: das
Feedback- oder Reflexionstagebuch.
daraus machen, dass die Einführung eines solchen Tagebuchs, sei es im Rahmen eines
Einzelcoachings oder als Teil eines Entwicklungsprogramms für eine Zielgruppe, für
viele erst einmal irritierend ist. Man hört dann schon einmal »Wofür soll das denn jetzt
gut sein, muss ich auch noch Tagebuch schreiben?« Aber auch hier erhalten wir dann
nach einer gewissen Zeit die Rückmeldung »Hätte ich nicht gedacht, aber ich kann
daraus doch einiges ziehen!«
Beim Lesen der Fragen werden Sie bemerkt haben, dass diese ein relativ großes Spek-
trum an Anforderungskriterien abdecken: es geht vornehmlich um Selbstreflexion,
aber auch um Selbststeuerung, Zielorientierung, Handlungsorientierung, Kritikfä-
higkeit, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit – durch die Fragen ist der oder die
Tagebuchführende angehalten, in Kontakt mit seinem Umfeld zu treten, sich durch
Kommunikation zu vernetzen. Dadurch unterstützt diese Methode auch eine offene,
moderne Feedbackkultur im Unternehmen.
Diese Art von Feedbackkultur ist auch eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren
der führungsbezogenen PE-Instrumente, auf die wir im folgenden Abschnitt eingehen.
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente
In diesem Abschnitt wollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass einer der wich-
tigsten »Hebel« für eine funktionierende Personalentwicklung die Führungskräfte
eben jener zu entwickelnden Menschen sind:
Führungskräfte …
y erleben ihre Mitarbeiter:innen in der täglichen Arbeit.
y vereinbaren Ziele mit diesen und überprüfen deren Erreichung.
y unterstützen, kritisieren und korrigieren, geben also Feedback.
y machen sich Gedanken über die notwendige Weiterentwicklung der oder des Ein-
zelnen und haben idealerweise ein Gesamtbild, in welche Richtung es für sie ge-
hen soll.
Die Motivation und die Entwicklung der Mitarbeiter:innen sind zu einem erheblichen
Teil von genau diesem zeit- und ereignisnahen, regelmäßigen Feedback abhängig. Die
Mitarbeiter:innen eines Unternehmens benötigen eine Rückmeldung, um sich über
Stärken und Schwächen, Entwicklungspotenziale und Perspektiven klar zu werden.
308 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
4.6.1 Mitarbeiterbeurteilungssysteme
Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf das Thema der Mitarbeiterbeurteilung werfen.
Das Ziel der Mitarbeiterbeurteilung lässt sich nach Schuler & Prochaska (1992) folgen-
dermaßen zusammenfassen:
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente | 309
»Leistungs- und Potenzialdaten werden im organisationalen Kontext zum Zwecke der in-
dividuellen Auswahl, Beurteilung und Förderung erhoben, um Über- und Unterforderung
von Mitarbeiter:innen zu vermeiden, Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern und gleich-
zeitig die Effizienz von Organisationen zu steigern.«
Die erste Ebene bezieht sich auf das alltägliche Arbeitsverhalten und lässt sich als all-
tägliches Feedback umschreiben. Dieses funktioniert nach dem Prinzip der Kontin-
genz, d. h. das Day-to-Day-Feedback muss in unmittelbarem Zusammenhang mit der
zu beurteilenden Arbeitshandlung stehen, um wirksam zu sein.
Auf der dritten Ebene spricht man von Potenzialanalyse. An diese Form der Personal-
beurteilung werden besondere Ansprüche gestellt, da sie als Grundlage für gezielte
Personalentwicklungsmaßnahmen genutzt wird und eine zeitliche Perspektive von
einem Jahr oft deutlich übersteigt, etwa bei der Besetzung von höheren Führungs-
positionen (s. hierzu Kapitel 4.1.3 »Potenzialanalysen und Assessments«).
Beim Lesen dieser Fragen werden Ihnen schnell die Parallelen zu dem auffallen, was
wir in Kapitel 2.3 als Inhalte der »Personenanalyse« beschrieben haben. Die Einschät-
zung der Mitarbeiter:innen im Rahmen von Beurteilungssystemen finden in aller Regel
und idealerweise vor dem Hintergrund eines konkreten Anforderungsprofils statt (s.
Kapitel 2.2.4 »Anforderungs- oder Kompetenzprofil«). Sie basiert also auf beschreib-
baren und mit Verhaltensbeispielen unterlegten Kriterien.
Dieses Profil sollte in Form eines Beurteilungsbogens abgebildet werden, den die
Führungskräfte zur Einschätzung ihrer Mitarbeiter:innen nutzen können. Aufgrund
bekannter Verhaltens-Erfolgs-Zusammenhänge werden bestimmte Verhaltens-
weisen angestrebt, deren Vorhandensein leicht überprüfbar und die bei Ausbleiben
auch trainierbar sind – im Gegensatz zu dahinter vermuteten »Persönlichkeitszügen«.
Diese Form der Beurteilung ist informativer und motivationsförderlicher als eine
»fest in Stein gemeißelte« Charakterisierung des Gegenübers (s. Kapitel 2.3 »Perso-
nenanalyse«, sog. Verhaltensbeobachtungs-Skalen oder verhaltensverankerten Ein-
stufungsskalen mit Beispielen für erfolgsrelevantes und nicht-erfolgsrelevantes,
beobachtbares Verhalten, basierend auf der CIT).
Interne und externe Perso- Individuell: Auswahl, Platzierung, Beförderung, Versetzung, Über-
nalselektion nahme, Kündigung
Leistungsverbesserung Individuell: Klare und zeitnahe Hinweise auf Stärken und Schwä-
durch Verhaltensfeedback chen, Rückmeldung
der Mitarbeiter:innen
Organisational: Kontinuierliche Optimierung des Mitarbeiterver-
haltens
Die oben beschriebenen strategischen Ziele sollten allen Beteiligten bei der Imple-
mentierung eines Mitarbeiterbeurteilungssystems im Unternehmen transparent ge-
macht werden, um die Akzeptanz des gesamten Verfahrens zu sichern.
Wie bereits weiter oben erwähnt: die Vermittlung einer Leistungsbeurteilung findet in
aller Regel in Form eines Face-to-Face-Austauschs zwischen Führungskraft und Mitar-
beiter:in statt. Im folgenden Abschnitt gehen wir aufgrund der großen Bedeutung des
Mitarbeitergesprächs als PE-Instrument nochmals ausführlich darauf ein.
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente | 313
4.6.2 Mitarbeitergespräche
Wie bereits erwähnt, gibt es sehr viele unterschiedliche Formen von Mitarbeiterge-
sprächen. Klassischerweise hat man beim Begriff des Mitarbeitergesprächs eben das
»institutionalisierte«, meist einmal im Jahr stattfindende Gespräch (daher auch sy-
nonym »Jahresgespräch«) vor Augen, das oft eine Beurteilung (daher auch synonym
als »Mitarbeiterbeurteilungsgespräch« bezeichnet) und eine Zielvereinbarung (daher
auch synonym »Zielvereinbarungsgespräch«) beinhaltet. Aber es gibt noch einige an-
dere Formen von Mitarbeitergesprächen, die wir in der folgenden Tabelle zunächst
einmal hinsichtlich des zeitlichen Horizonts und der Regelmäßigkeit vergleichend
gegenübergestellt haben.
Tab. 42: Übersicht über regelmäßige und bedarfsbezogene Formen des Mitarbeitergesprächs
314 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Natürlich gibt es je nach Anlass und Gegenüber auch Nuancen: So fällt z. B. bei einem
gravierenden Kritikgespräch oder gar bei einem Trennungsgespräch das Warm-up
knapp aus oder entfällt gänzlich – denn wenn jemand auf eine schlechte Nachricht
durch die Führungskraft wartet, besteht eine gute, einfühlsame Gesprächsführung
nicht darin, am Anfang »schön Wetter zu machen«, sondern darin, den anderen nicht
»zappeln zu lassen« und schnell, lösungsorientiert und bestimmt auf den Punkt zu
kommen.
Nutzen für Mit- y Raum, um in einer konstruktiven Atmosphäre wichtige Themen anzusprechen
arbeiter:innen y Ziele und Aufgaben der Abteilung werden besser verstanden – Möglich-
keit, Ziele und Aufgaben mitzugestalten – Motivationssteigerung
y Möglichkeiten beruflicher Weiterentwicklung werden erörtert und konkre-
te Maßnahmen vereinbart – Möglichkeit zur persönlichen Qualifikation
y Durch die Rückmeldung erhalten Mitarbeiter:innen die Gelegenheit, sich
selbst besser kennen zu lernen und sich zu verbessern
Nutzen für y Intensiver und individueller Austausch über vergangene und zukünftige
Führungskräfte Ziele – Förderung der Klarheit bezüglich Aufgaben und Arbeitsinhalten
y Würdigung und Feedback zu erbrachten Leistungen
y Führungskräfte werden in ihrer Aufgabe der Personalentwicklung und
Personalführung unterstützt – Analyse des Entwicklungsbedarfs und der
Potenziale der Mitarbeiter:innen
y Rückmeldungen zur eigenen Vorgesetztenrolle, »Erwartungsmanagement«
y Durch den offenen Dialog werden die Kooperationsbereitschaft und das
Verständnis der Mitarbeiter:innen erhöht – vertrauensbildender Prozess
y »Ich bin doch nicht verrückt und sag da wirklich, was ich denke!«: Die Mitar-
beiter:in hat nicht genügend (Selbst-)Vertrauen, um offen zu kommunizieren;
Folge: peinliche Alibi-Situation, die beide Seiten schnell hinter sich bringen
wollen.
y Reifegrad des Unternehmens: Wenn der vorherige Punkt zutrifft, versucht das
Unternehmen mit einem Mitarbeitergespräch eine Kommunikationskultur aufzu-
setzen, für die die Führungskräfte und Mitarbeiter:innen noch nicht reif sind.
y »Wir müssen bis in einem halben Jahr 50 % neue Kunden dazu gewinnen«: Un-
realistische Ziele werden nicht ernst genommen; Folge: man sitzt sie aus.
y »Das prüft doch eh kein Mensch nach«: Nicht kontrollierte Ziele werden nicht
ernst genommen; Folge: Aussitzen.
Fragen bezogen auf die Mitarbeiter:in Fragen aus Sicht der Führungskraft
Welche Persönlichkeit wird sich heute mit mir Welche Erwartungen habe ich an die Mitarbeiter:in
zusammensetzen? Ist sie Introvertiert oder o Wo sind diese Erwartungen enttäuscht worden?
extrovertiert, offen oder verschlossen, freundlich Worüber habe ich mich in der Vergangenheit
oder mürrisch? geärgert und beeinflusst dies mein Urteil?
Welche Stärken und Schwächen hat sie? Worüber habe ich mich gefreut und beeinflusst dies
Welche Ziele verfolgt sie? mein Urteil?
Wo möchte er in 5 Jahren sein? Welchen Führungsstil wende ich bei ihr/ihm
Was motiviert sie? vornehmlich an?
o extrinsisch (Bonus, Auto, Status ...)? Welche Ziele verfolge ich mit ihr/ihm?
o intrinsisch (Verantwortung, Entwicklungs- Welche Unterstützung biete ich ihr/ihm für die
möglichkeiten, selbständiges Arbeiten ...)? Zielverfolgung?
Welche Talente bzw. Interessen hat sie, die über Welche Entwicklung wünsche ich mir für sie/ihn?
das berufliche Engagement hinausgehen?
o Quelle für intrinsische Motivation?
Welche Erwartungen hat sie an meine
Führungsarbeit?
Gemeinsame Fragen
4.6.3 Zielvereinbarungen
Wir alle streben in der Regel nach etwas, überlegen uns, was wir erreichen wollen und
wie wir dies hinbekommen möchten, sei es im Privaten oder im Beruf. Damit sind wie
beim Thema »Ziele« – diese fordern uns, bringen uns in Bewegung, lassen uns nach
neuen Lösungen suchen … kurz: sie tragen zu unserer Entwicklung bei. In diesem Ka-
pitel wollen wir uns daher mit dem Thema »Ziele als Basis der Mitarbeiterentwicklung«
auseinandersetzen.
Wir hatten bereits darauf verwiesen, dass viele Mitarbeitergespräche auch Zielverein-
barungen beinhalten oder sogar wesentlich davon geprägt sind, daher auch das Sy-
nonym »Zielvereinbarungsgespräche«. Da Zielvereinbarungen gerade für das Thema
»Personalentwicklung« von entscheidender Bedeutung sind, möchten wir in diesem
Exkurs nochmals gesondert darauf eingehen.
Management by Objectives »… is the system of management whereby the superior and
the subordinate managers of an organization jointly identify its common goals, define
each individual’s major areas of responsibility in terms of the results expected of him,
and use these measures as guides for operating the unit and assessing the contributions
of each of its members.« (Odiorne, 1965: 55–56)
Tatsächlich war ein Grundgedanke bei der Einführung des Begriffs das persönliche
Wachstum des Individuums – weg von einer stumpfen tayloristischen Taktung hin zu
318 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
einer eigenständigen Steuerung und Ausrichtung entlang für beide Seiten vernünfti-
ger Ziele. Dazu passend kann man feststellen, dass sich Menschen, die Ziele haben,
in entsprechenden Selbstaussageinstrumenten als »glücklicher« und »zufriedener«
beschreiben.
Locke & Latham haben sich in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in-
tensiv mit dem Thema »Zielvereinbarungen« auseinandergesetzt. Auf ihren Forschun-
gen beruhen zentrale Ergebnisse des Zielvereinbarungsansatzes und auch das allseits
bekannte Akronym »SMARTE« Ziele (specific, measurable, achievable, realistic, timed)
findet bei diesen Autoren seinen Ursprung. Die Forschungsergebnisse haben Locke &
Latham (1990) in einem Modell zusammengefasst, das auch als »High Performance
Cycle« bezeichnet wird und das wir in der folgenden Abbildung darstellen:
Einflussgrößen
Fähigkeit
Persönlichkeit (z.B.
Selbstwirksamkeitserwartung)
Anforderungen Aufgabenstruktur
Herausfordernde
Zielbindung, Commitment
Ziele für die
wahrgen. Wichtigkeit
Bewältigung
sinnvoller Rückmeldung
Aufgaben
Zielinhalt Folgen
Wirkmechanismen
Schwierigkeitsgrad Zufriedenheit
Verhaltensrichtung Leistung Belohnung
Spezifität direkt Anwesenheit
Anstrengung
Komplexität Fluktuation
Ausdauer
Konflikthaftigkeit Produktivität
Aufmerksamkeit
Abb. 43: Theorie der Zielsetzung – »Goal setting« (Locke & Latham, 1990)
Gesundheit
Belohnung
indirekt
Feedback
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente | 319
320 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Das Modell besagt, dass neben der persönlichen Ausstattung, die jeder Mensch in sei-
ner Aufgabe mitbringt, die Art und die Inhalte der Ziele eine wesentliche Rolle dabei
spielen, dass wir uns in unserem Verhalten »zielorientiert ausrichten«, d. h. am Ball
bleiben, uns anstrengen, ausdauernd sind und gedanklich bei der Sache bleiben.
Wenn wir dann erfolgreich sind, führt das zu direkten Belohnungen (Lob »von oben«,
Gefühl des Meisterns, Bonus usw.) und indirekten Belohnungen (z. B. zu merken, dass
man Teil eines erfolgreichen Unternehmens ist und dazu wiederum durch sein eigenes
Tun beiträgt). Das führt dann zu messbar positiven Folgen und dies führt wiederum
dazu, dass wir beim nächsten Zielthema gerne wieder dabei sind. Damit wäre dann
der High Performance Cycle perfekt. In zahlreichen Untersuchungen konnten Locke &
Latham die Wirksamkeit ihrer Ansätze belegen, z. B. indem sie Menschen bei der Ver-
richtung von Tätigkeiten wie dem Beladen eines Lasters in einem gegebenen Zeitrah-
men einmal unspezifische Instruktionen gaben (»Gebt Euer Bestes!«), und bei einem
anderen Team ein hoch gestecktes, aber realistisches Ziel (etwa »Versucht mal 5 Kis-
ten mehr in der Stunde zu schaffen als in der letzten Stunde!«) – um festzustellen, dass
letztgenanntes Team in der gegebenen Zeit mehr Kisten auf den Laster gestapelt hat.
Vielleicht sollte die Formulierung eher heißen »Verbessern Sie bitte die Anzahl Ihrer
Kundenkontakte in der Woche: derzeit sind Sie bei 5 Besuchen, es sollten aber in
Ihrem Gebiet 10 sein.« Oder bezogen auf das Team: »Die Reaktionszeit auf Kundenbe-
schwerden liegt derzeit in unserem Second level-Support-Team bei 48 h – als Zielzeit
haben wir beim Kunden aber 24 h kommuniziert. Bitte leiten Sie als Team gemeinsam
Maßnahmen ein, um diese Zielzeit zu erreichen.«
Es lassen sich aber nicht nur quantitative Ziele präzise und eindeutig formulieren, son-
dern auch verhaltensbezogene Maßnahmen, z. B.: »Bitte führen Sie als Führungskraft
in Ihren Teamsitzungen ein, dass Sie nach Ihrem Input eine offene Ideenrunde bei den
Mitarbeiter:innen abfragen, um die Partizipation aller zu erhöhen.«
Um die präzise und eindeutige Formulierung von Zielen zu unterstützen, lohnt es sich
meist, diese zu verschriftlichen.
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente | 321
Was wir bereits in Tabelle 44 in der Übersicht dargestellt haben, spielt bei dieser Eigen-
schaft von Zielen natürlich eine große Rolle: in der Produktion und im Verkauf werden
Sie in der Regel wenig Probleme haben, messbare Ziele zu artikulieren. Gerade im ver-
haltensbezogenen Bereich muss man sich hier schon mehr Gedanken machen. Auch
hier kommt es auf die Formulierung an: »Ich möchte dich bitten, jeden Abend eine
Stunde Fachliteratur zu lesen.« lässt sich weniger leicht »überprüfen« als »Bitte baue
Dein Fachwissen in Bereich XY so aus, dass du hierzu in 3 Monaten als Multiplikator bei
uns im Bereich auftreten kannst.«
Auch die Betonung der Führungskraft, dass sie es »einfach so haben will«, reicht an
dieser Stelle nicht aus: »Ich möchte von Ihnen ein schönes Fachkonzept erarbeitet
haben, das sich anregend liest.« Wofür wird das Fachkonzept benötigt, welchem
größeren Zweck dient es? Vielleicht wäre hier eine Formulierung in Richtung »Bitte
erarbeiten Sie ein detailliertes Fachkonzept, in dessen Rahmen wir die wichtigsten
Argumente beschreiben, warum unsere Stakeholder in das Projekt investieren sollen.
Mit Ihrem Konzept schaffen wir die Basis für die Finanzierung des Projektes im kom-
menden Jahr.«
Und schließlich gilt: nichts lässt Ziele schneller »ersterben« als das mitarbeiterseitige
Gefühl, dass sowieso niemand die Zielerreichung nachprüft. Führungskräfte, die Ziele
vergeben, nach deren Ergebnissen sie dann nie wieder fragen, vermitteln das Gefühl,
dass die Arbeit an ebendiesen Zielen einfach keine Bedeutung hat – warum soll ich
mich also für die Erreichung der Ziele engagieren?
322 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Comelli & Rosenstiel (2009) haben beschrieben, wie Ziele zueinanderstehen können
und welche unterschiedlichen Beziehungen denkbar sind:
y Die Ziele gehen »Hand in Hand«; das eine fördert das andere (+).
y Die Ziele haben nichts miteinander zu tun; das Erarbeiten des einen Zieles er-
schwert oder stört das Erreichen des anderen nicht (0).
y Die Ziele behindern einander; das Verfolgen nicht des einen Zieles erschwert oder
stört das Erreichen des anderen (-).
y Über die Beziehung der Ziele untereinander ist nichts bekannt; man weiß also
nicht, ob das Verfolgen des einen Zieles einen positiven oder negativen Neben-
effekt auf das andere hat (?).
Sie empfehlen die Entwicklung einer Matrix, wie sie Tabelle 45 in schematischer Weise zeigt.
Ziel 2 +
Ziel 3 - -
Ziel 4 O + O
Ziel 5 ? + - ?
Tab. 45: »Beziehungsmatrix« der Ziele nach Comelli & Rosenstiel (2009)
Die Widersprüche und das »gegenseitige Anfressen« mancher Ziele kann offen in dem
Zielvereinbarungsgespräch zwischen Mitarbeiter:in und Führungskraft thematisiert
werden, so dass hierfür ein Bewusstsein herrscht. Bei der späteren Überprüfung der
Zielerreichung kann dann auch von beiden Seiten eingeschätzt werden, inwiefern die
Widersprüchlichkeit der Ziele hinderlich für die Erreichung der Ergebnisse war.
können. Das ist nur natürlich und hat etwas damit zu tun, dass wir alle innerlich – ent-
wicklungsgeschichtlich angelegt – immer auf der Suche nach »Optimierungen« sind,
d. h. möglichst leichten Wegen, um Dinge zu erreichen.
Am Beispiel dargestellt: Wenn eine Verkäufer:in weiß, dass ihr Bonus zu 90 % abhängig
ist vom Marktanteil des Produktes in ihrem Gebiet, so wird sie alles tun, um diesen
Marktanteil zu pushen. Das bedeutet, dass sie beim Verkaufspreis gegenüber einem
Kunden stärker nachgeben wird, um den Marktanteil zu erhöhen. Jedoch sinkt da-
durch der Deckungsbeitrag. Besser wäre es, wenn der monatlich erwirtschaftete De-
ckungsbeitrag ihrer Verkaufstätigkeit die 90 % ihres Bonus definieren würde.
Wenn ein Ziel also nur einen Ausschnitt einer Gesamttätigkeit abdeckt, kann es sein,
dass dieses Ziel das Verhalten nur in Richtung dieses Ausschnitts verzerrt. Man tut also
gut daran, entweder Ziele so zu formulieren, dass sie einen großen Bestandteil der
Gesamtaufgabe abdecken oder eben so viele Ziele aufzunehmen, dass die Gesamtauf-
gabe abgedeckt ist – im Zweifelsfall dabei billigend in Kauf nehmend, dass auch Ziele
dabei sind, die sich gegenseitig widersprechen (s. vorheriger Abschnitt), z. B. sowohl
einen Marktanteil XY zu erreichen und gleichzeitig einen Deckungsbeitrag von YZ nicht
zu unterschreiten.
Wenn es nun in der Zielformulierung z. B. heißt »Bitte bieten Sie in diesem Jahr 80 %
Ihrer Mitarbeiter:innen ein Mitarbeitergespräch an«, so kann man dieses Ziel direkt am
Nachmittag erledigen, sofern man keinen hohen Krankenstand hat. Im Großraumbü-
ro würde es reichen, wenn man als Führungskraft »Ich biete Euch allen ein Mitarbeiter-
gespräch an!« in den Raum hineinruft und schon ist das Ziel erreicht. Möglicherweise
übertrifft man hier das gesetzte Ziel sogar, wenn alle Mitarbeiter:innen anwesend
sind – schon hat man statt 80 % eine 100 %-Trefferquote! Aber das ist dann natürlich
keine wirkliche Herausforderung, und insofern aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
motivierend. Interessanter wäre hier vielleicht eine Formulierung wie »In diesem Jahr
möchte ich Sie bitten, dass Sie 80 % Ihrer Mitarbeiter:innen für die Teilnahme an unse-
rem freiwilligen Mitarbeitergespräch gewinnen.«
324 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Bleiben wir bei diesem Beispiel, um auch die andere Seite der Medaille, das zu schwie-
rige Ziel, zu illustrieren. Wenn die Führungskräfte dieser Verwaltungseinheit wissen,
dass die Mitarbeiter:innen bei der Einführung des Instrumentes sehr skeptisch re-
agiert haben, weil sie Befürchtungen haben, dass dieses nur zur Leistungskontrolle
genutzt wird, und es schon intensive Diskussionen mit dem Personalrat im Vorfeld
der Einführung gab, kann die Zielgröße 80 % frustrierend wirken. Das Ziel ist dann so
hoch gesteckt, dass man schon bei der Formulierung aufsteckt – ähnlich wie wenn
man sich als Nicht-Hochspringer in seiner ersten Sportstunde mit einer auf 2 Meter
Höhe liegenden Latte konfrontiert sieht. Das Ziel scheint realistisch nicht zu schaffen,
also nicke ich es vielleicht ab, werde aber keine übermäßigen Anstrengungen unter-
nehmen, es zu erreichen, da ich im Vorfeld bereits von der Unerreichbarkeit desselben
überzeugt bin. Im Beispiel muss man also ggf. weiter unten ansetzen, z. B. »Versuchen
Sie, ein Drittel Ihrer Mannschaft für ein Mitarbeitergespräch zu gewinnen.«
Natürlich kann nicht alles ausgehandelt werden, es gibt auch »gesetzte« Ziele oder
Ziele, die von oben heruntergebrochen werden (s. vorheriger Abschnitt). Wie kann
man Mitarbeiter:innen also für Ziele gewinnen?
y Widerstände und Skepsis nicht klein reden, sondern aufnehmen
y Nutzen/Vorteile für die/den Einzelnen klarmachen; nicht »Wir als Unternehmen
müssen …« sondern »Wenn du das so umsetzt, wird Folgendes für dich leichter …«
y Visionen im Sinne von greifbaren Zielbildern aufzeigen (z. B. »der Servicebetrieb
mit der höchsten Kundenzufriedenheit in der Region Süddeutschland«)
y Positiv eingestellte Mitarbeiter:innen finden und diese als Multiplikator:innen nut-
zen
y Erfolge feiern, Quick-Wins aufzeigen (im Sinne eines »Das haben wir doch schon
erreicht, lasst uns weiter machen!«)
Die gute Nachricht ist: Auch wenn ich als Führungskraft Ziele setzen muss, werden
diese von den Mitarbeiter:innen akzeptiert, wenn ich die Hintergründe und Notwen-
digkeiten der »nicht zu diskutierenden« Ziele erkläre. Tut man das nicht, greifen die
üblichen Distanzierungsmechanismen. Man akzeptiert dann als Mitarbeiter:in das Ziel
eben nicht, bringt wenig Energie für dessen Erreichung auf und sagt schließlich nach
1 Jahr bei der Überprüfung des Erfolges »Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass
das nichts wird.«
Ein anderer bekannter Mechanismus, der auch in Changeprozessen eine Rolle spielt,
besteht darin, dass man als »Betroffener« bei nicht akzeptierten Zielen dafür sorgt,
dass diese nicht funktionieren werden: Man erfüllt sich also seine Prophezeiung selbst.
Am Beispiel: Eine Führungskraft erklärt der Teamleiterin, dass man Kosten sparen
müsse und dass daher ihr um eine Vollzeitstelle unterbesetztes Team keine neue
Kolleg:in bekommen wird – gleichzeitig soll aber die Arbeitsqualität der reduzierten
Mannschaft bis Ende des Jahres um X Prozent gesteigert werden. Die Teamleiterin
kann sich nicht vorstellen, wie das noch gehen soll, denn derzeit ist man bereits im
»Not-Modus« und nimmt Qualitätseinbußen im operativen Geschäft billigend in Kauf.
Da die Führungskraft der Teamleiterin über ein »Das ist halt dieses Jahr nun mal so«
hinaus nicht erklären kann, warum man an dem Ziel festhält, akzeptiert sie das Ziel
innerlich nicht. Sie möchte auf gar keinen Fall, dass der Eindruck entsteht, dass das
Qualitätsziel trotz der reduzierten Mannschaft erreichbar sein könnte, denn sie hat die
Befürchtung, dass es sonst am Ende des Jahres nur heißt »Siehst du, geht doch auch
mit der reduzierten Mannschaft … lass uns doch mal schauen, ob du mit noch einer
Mitarbeiter:in weniger klar kommst!« Also wird sie – mehr oder weniger bewusst – we-
nig Gewicht auf die Erreichung des Qualitätsziels legen und im Zweifel sogar froh sein,
wenn Dinge schiefgehen, denn damit dokumentiert sie gegenüber ihrer Führungs-
kraft, dass hohe Qualität bei reduzierter Mannschaft gar nicht gehen kann.
326 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Locke & Latham (1990) haben es in ihrem »High Performance Cycle« (s. Abb. 43) dar-
gestellt: das Feedback zur Zielerreichung ist der Stellhebel, um die Motivation für die
»nächste Zielerreichungsrunde« nach oben zu schrauben. Das Erkennen dessen, was
man erreich hat, ermöglicht einem a) Erfolge zu verbuchen oder b) zu sehen, woran
man noch arbeiten muss, um das Ziel das nächste Mal besser erreichen zu können. Die
zentrale Aufgabe der Führungskraft ist hier daher das Einhalten der Verbindlichkeit
hinsichtlich der Zielüberprüfung: vereinbarte Zwischentermine sollten keine lästigen
4.6 Führungsbezogene Personalentwicklungsinstrumente | 327
Pflichtveranstaltungen sein und sie »nerven« die Mitarbeiter:in auch nicht, wie man-
cher meint. Es geht nicht um »Kontrollwahn«, sondern um Feedback für diejenigen,
die sich »hinter die Ziele klemmen«. Ständig verschobene oder gar nicht mehr stattfin-
dende Feedbacktermine sind daher Gift für den gesamten Zielvereinbarungsprozess
und wirken negativ auf die folgenden Zyklen, denn sie werden im Kopf der betreffen-
den Mitarbeiter:innen übersetzt mit »Das Ziel ist nicht wichtig, es ist nicht glaubhaft,
es wird nicht gemessen – kurz: es ist für mich auch nicht mehr akzeptabel.«
4.6.4 Delegation
Ziel von Delegation ist zum einen eine Entlastung der Führungskraft von »Nicht-
Führungsaufgaben« / Routineaufgaben und zum anderen die Verantwortungs-,
Kompetenz- und Motivationssteigerung bei Mitarbeiter:innen. Entgegen des alltags-
sprachlichen Gebrauchs des Begriffs (»Ich delegier’ das mal!«) bedeutet Delegation
also in der Führung keinesfalls »abdrücken«. Echte Delegation findet zwischen Füh-
rungskraft und Mitarbeiter:innen statt – bei Kolleg:innen spricht man eher von Koope-
ration bzw. Arbeitsteilung.
Die Aufteilung der Aufgaben, der dazugehörigen Verantwortung und der entsprechen-
den Befugnisse kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen
y Jede Mitarbeiter:in erhält ihren selbstständigen Aufgabenbereich. Innerhalb die-
ses Bereichs arbeitet sie selbstständig, sie hat auch die notwendigen Befugnisse,
um Entscheidungen zu treffen.
y Die Führungskraft gibt der Mitarbeiter:in von Fall zu Fall Anweisungen, was sie zu
tun hat. Je nach den Umständen wechseln die Aufgaben, die die Mitarbeiter:innen
durchzuführen haben. Entscheidungen behält sich die Führungskraft vor.
Bei der Abgrenzung der Aufgabengebiete ist dabei zu beachten, dass nur delegierbare
Aufgaben übertragen werden – delegierbar in Bezug auf die jeweilige hierarchische
Ebene des Unternehmens.
Die Aufgabenverteilung selbst erfolgt zusammen mit der Darstellung der erforderli-
chen Kompetenzen, im günstigsten Fall durch eine Stellenbeschreibung, notfalls auch
durch eine klare mündliche Verabredung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter:in
über Umfang, Inhalt und Befugnis des übertragenen Aufgabengebietes.
y Den Mitarbeiter:innen wird das Oberziel vorgegeben (besser noch: es wird gemein-
sam erarbeitet, s. vorheriger Abschnitt zum Thema Zielvereinbarungen), die Be-
deutung der Aufgabe verdeutlicht und freie Hand bei der Gestaltung eingeräumt.
y Die Mitarbeiter:innen übernehmen damit die Handlungsverantwortung und ge-
winnen dadurch in ihrem Verantwortungsbereich Entfaltungsmöglichkeiten und
können Leistung und Initiative zeigen.
y Aufgaben, Handlungsverantwortung und – soweit Entscheidungen zu treffen
sind – Kompetenz müssen einander entsprechen.
y Die Delegation von Aufgaben und Handlungsverantwortung befreit den Vorge-
setzten nicht von seiner Führungsverantwortung.
y Den Mitarbeiter:innen müssen Fehler zugestanden und die Möglichkeit gegeben
werden, sich bei Schwierigkeiten an die Führungskraft zu wenden.
Es gibt Zwei Aspekte der Delegation, auf die wir hier nochmals näher eingehen wollen:
Delegation als Organisationsprinzip und Delegation als Stilprinzip.
Delegation als Organisationsprinzip
y Die Führungskraft bestimmt, wer was mit welchen Mitteln tut.
y Die Mitarbeiter:in bestimmt, wie sie den Auftrag durchführt.
y Die Mitarbeiter:in erhält Entscheidungsbefugnisse und Handlungsverantwortung
(mit Zielen und Mitteln zu deren Erreichung).
y Die Mitarbeiter:innen besitzen damit eine Zuständigkeit, innerhalb derer sie
selbstständig zu handeln berechtigt und verpflichtet sind.
Delegation als Stilprinzip
y Die Mitarbeiter:in soll bei Führungsentscheidungen beteiligt werden.
y Der Freiheitsgrad der Mitarbeiter:in, ihre Bereitschaft und Fähigkeit, selbstständig
zu entscheiden und zu handeln, sollen gestärkt und vergrößert werden (Persön-
lichkeitsentwicklung).
y Das Selbstwertgefühl und das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter:in sol-
len gestärkt werden.
y Der Vorgesetzte soll sich – bei Beibehaltung formal unterschiedlicher Aufgaben –
der Mitarbeiter:in gegenüber partnerschaftlich verhalten.
y Delegation ist nicht nur die Übertragung von Aufgaben an nachgeordnete Stellen,
sondern auch die Übertragung der erforderlichen Kompetenzen und der Verant-
wortung. Voraussetzung hierfür ist ausreichende Qualifikation.
Natürlich zeigt sich im »echten Leben«, dass Führungskräfte die Chance zu delegieren
nicht immer ausreichend nutzen. Gründe dafür gibt es viele, hier seien nur einige er-
wähnt:
y Eigener Trott: »Das hab’ ich doch schon immer selbst gemacht ...«
y Falsches Zeitverständnis: »Bevor ich das erklärt habe, mach’ ich’s doch lieber
schnell selbst ...«
y Angst vor Fehlern: »Lieber selbst machen, dann geht nichts schief...«
y Spaß an der Aufgabe: »Mir macht das Formatieren halt Spaß ...«
y »Kontroll-Freak«: »Besser, ich gebe den Vorgang nicht aus der Hand ...«
y Fehlendes Vertrauen: »Das kann die/der noch nicht so ganz, da muss man lang-
sam reinwachsen ...«
y Angst vorm Chef: »Nicht, dass es oben Ärger gibt …«
y Unsicherheit in der eigenen Rolle: »Wenn ich das abgebe, denken die ja, ich ma-
che gar nix mehr ...«
y Angst vor Ansehensverlust/Konkurrenz: »Nicht, dass die mir dann am Stuhl
sägt …«
Aber auch die Mitarbeiter:innen müssen sich der Delegation gewachsen fühlen, d. h.
Lust auf Verantwortungsübernahme haben (s. Kapitel 4.5.1 »PE durch Aufgabenge-
staltung«):
y Sie müssen die erforderliche Qualifikation aufweisen.
y Sie brauchen die Bereitschaft, Informationen sinnvoll einzuholen, zu verarbeiten
und weiterzugeben.
y Sie müssen bereit sein, die eigene Arbeit selbstständig an den Erfordernissen der
Ergebniserwartung der Führungskraft zu messen, zu korrigieren. Die Selbstkont-
rolle macht ständige Fremdkontrolle durch die Führungskraft überflüssig.
4.7 Modulares PE-Programm – am Beispiel eines Führungskräftenachwuchs-Pools | 331
y Sie müssen die Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen bereit sein.
Verantwortung heißt dabei, für das Ergebnis einzustehen und die Konsequenzen
zu tragen.
Sie zeichnen sich also in der Regel dadurch aus, dass sie maßgeschneidert für eben
eine jener Zielgruppen sind und sich inhaltlich und didaktisch auf diese ausrichten.
In den meisten Entwicklungsprogrammen geht es um die Vorbereitung auf eine neue
oder veränderte Aufgabenstellung und sie dauern in der Regel mindestens 1 Jahr, um
den Teilnehmer:innen »Entwicklungszeit« zu gewähren.
So kann es z. B. sein, dass sich Führungskräfte aus der »Außenorganisation« gegen ein
»von der Zentrale kommendes« Traineeprogramm wehren, weil sie verhindern wol-
len, dass man ihnen bei der Auswahl ihrer Nachwuchsführungskräfte »ins Handwerk
pfuscht«. Hier gilt es auch, viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Die PE-Abteilung wird
an solchen Programmen gemessen, d. h. Sie ernten einerseits viel Kritik, haben aber
auch eine herausragende Chance, sich als strategischer Partner zu platzieren.
Im Folgenden wollen wir Ihnen beispielhaft ein Programm für einen Führungskräfte-
nachwuchs-Pool näherbringen, indem wir zunächst eine Übersicht über die Ausgangs-
situation bei Einführung des Prozesses geben, die methodischen Grundüberlegungen
darlegen und dann die einzelnen Prozessbausteine differenziert beschreiben. Ziel ist
es, Ihnen zu vermitteln, wie die PE-Instrumente des Prozesses, die wir als »Einzelmaß-
nahmen« in den vorherigen Abschnitten ausführlich beschrieben haben, hier ineinan-
dergreifen und als didaktisch-inhaltliches Gesamtkonzept wirken.
4.7.1 Ausgangssituation und Anforderungen
an den Führungskräftenachwuchs-Pool
Hinzu kommt, dass die Arbeitsaufgaben in einem modernen Unternehmen einen im-
mer höheren Grad an Vernetztheit, Komplexität und Dynamik aufweisen. Sie fordern
bei der Nachwuchsführungskraft ein hohes Maß an Flexibilität. Bei der Neubesetzung
einer Position hat sie wenig Zeit, in einen fest umrissenen Arbeitsbereich hineinzu-
wachsen und muss sich schnell mit vielschichtigen, strategisch anspruchsvollen
Aufgaben auseinandersetzen. Besitzt ein Unternehmen einen Pool potenzieller Füh-
rungskräfte, die mit den internen Anforderungen und der vorhandenen Unterneh-
menskultur bereits vertraut sind, so ist effizientes und damit erfolgreiches Agieren der
Organisation am Markt sicher.
Dem Unternehmen stellt sich also die Herausforderung, die Positionen mit den geeig-
neten internen Bewerber:innen zu besetzen, um zu gewährleisten, dass der oder die
Beste am richtigen Platz ist. Die Besetzung der Schlüsselpositionen birgt, wenn sie
4.7 Modulares PE-Programm – am Beispiel eines Führungskräftenachwuchs-Pools | 333
nicht sorgfältig durchdacht und durch effiziente Instrumente unterstützt wird, die Ge-
fahr von Fehlbesetzungen. Gerade das Scheitern von Potenzialkandidat:innen zieht für
das Unternehmen neben den umsonst aufgewendeten Kosten der internen Personal-
auswahl sowie Einarbeitung auch immaterielle Folgekosten durch frustrierte Mitarbei-
ter:innen und Kolleg:innen sowie verärgerte Kunden oder Geschäftspartner:innen nach
sich. Durch einen sorgfältig durchgeführten internen Besetzungsprozess im Sinne eines
Führungskräftenachwuchs-Pools können solche Fehlinvestitionen verhindert werden.
Ein Führungskräftenachwuchs-Pool stellt dabei immer eine Chance für das Unterneh-
men und die einzelnen Mitarbeiter:innen dar:
y Das Unternehmen kann schnell und flexibel Schlüsselpositionen mit motivierten
Potenzialkandidaten besetzen, die in einem langfristig angelegten Prozess auf
ihre Aufgaben vorbereitet werden.
y Die Mitarbeiter:innen bekommen durch ihr Unternehmen Möglichkeiten geboten,
ihre eigene Entwicklungsfähigkeit zu erkennen, um die Erfüllung der Anforde-
rungen weiterer Karriereschritte zu sichern. Dadurch wird auch die Loyalität der
Mitarbeiter:innen zu ihrem Unternehmen gefördert, das ihnen ausgezeichnete
Chancen für die persönliche Entfaltung bietet.
Gleichzeitig muss bei der Einrichtung eines »Pools« interner Kandidat:innen darauf
geachtet werden, dass entsprechende »Vakanzen« für Führungspositionen meist
spärlich gesät sind, über die Jahre schwanken, dass es Versprechen und Erwartun-
gen aus der Vergangenheit geben mag – letztendlich muss man die Gratwanderung
zwischen »ausreichend Kandidat:innen für eventuell offene Positionen in der Zukunft«
und »nicht zu viele Kandidat:innen ›auf Halde produziert‹« absolvieren, indem man
folgende Fragen beantwortet:
y Wie gehen wir mit Kandidat:innen um, die nicht genommen werden, obwohl sie
sich für den Pool beworben haben?
y Wie gehen wir damit um, wenn wir als PE eine Kandidat:in als solche erkennen, die
Führungskraft aber nicht?
334 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Worauf sollte methodisch geachtet werden, wenn man ein komplexeres Entwick-
lungsprogramm wie einen Führungskräftenachwuchs-Pool (»FKN-Pool«) etabliert?
Folgende Punkte sollten Berücksichtigung finden:
y Flexibilität des Verfahrens: Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Auf-
gabenstellung (unterschiedliche Grundgesamtheiten, wechselnde Anzahl Posi-
tionen / veränderlicher Bedarf, unterschiedliche Hierarchieebenen des Pools)
sollte die Implementierung des FKN-Pools die entsprechenden Unterschiede me-
thodisch berücksichtigen. Das Verfahren muss einen klar definierten Prozess ab-
bilden, der sich aber an die jeweiligen aktuellen Anforderungen anpassen lässt,
indem es Feedbackschleifen einbezieht (z. B. »Einfrieren« des Pools bei fehlenden
Vakanzen).
y »Mehr-Augen-Prinzip« und Vielschichtigkeit: Bei der Auswahl der Kandidat:innen
sollten nicht nur die Fähigkeiten aus der Ist-Situation heraus betrachtet werden,
sondern auch die zukünftigen Potenziale; es sollten sowohl unmittelbare Beurtei-
lungsaspekte als auch strategische Gedankengänge abgebildet werden. Hierzu
findet eine Betrachtung auf unterschiedlichen Ebenen statt: die Kandidat:in und
ihre Führungskraft erörtern gemeinsam die derzeitigen Leistungen, die Manage-
mentebene darüber entscheidet auf strategischer Basis in einer Integrationsrunde
über die Zulassung zu weiteren Entwicklungsschritten. In einem Auswahlverfah-
ren bzw. Audit fließt außerdem eine externe Sichtweise ein, die den Blick auf zu-
künftige Potenziale richtet und damit eine Kreuzvalidierung und Objektivierung
der vorherigen internen Entscheidungen garantiert.
y Selbstverantwortliche Entwicklung: Dieser Aspekt hängt eng mit dem vorheri-
gen Punkt zusammen. Führungspotenzial ist nicht immer leicht zu erkennen: bei
einer Mitarbeiter:in sieht die Führungskraft möglicherweise Potenziale, aber die
Mitarbeiter:in selbst kann oder möchte diese aus persönlichen Gründen nicht aus-
bauen; bei einer anderen Mitarbeiter:in ist möglicherweise der Wunsch vorhanden,
sich weiter zu entwickeln, aber ihre Führungskraft ist sich darüber nicht bewusst.
Aus diesem Grund sollten beide Seiten in der Meldung für den Pool beteiligt wer-
den, indem sie dieses Potenzial in einem entsprechenden Potenzialeinschät-
zungsgespräch gemeinsam erörtern. Dies fördert das unternehmerische Denken
aller Ebenen. Auch die Mitarbeiter:innen selbst übernehmen Verantwortung für
ihre persönliche Entwicklung. Gleiches gilt für das Qualifizierungsprogramm:
4.7 Modulares PE-Programm – am Beispiel eines Führungskräftenachwuchs-Pools | 335
Der Aufbau eines solchen Pools stellt ein Pilotprojekt mit Modellcharakter dar, des-
sen Struktur leicht auf die Implementierung analoger Pools in der gesamten Unter-
nehmenswelt übertragen werden können sollte. Deshalb wird in einem solchen
Pilotprojekt berücksichtigt, dass 60 – 80 % der Inhalte des FKN-Pools Unternehmens-
standards entsprechen. Als Grundlage für die Einschätzung des Potenzials der Kandi-
dat:innen dient beispielweise das Kompetenzmodell des Unternehmens und es sollte
keine »parallele Beurteilung« aufgezogen werden. Die Übungen des Potenzial-Assess-
ments sind so beschrieben, dass sie sich mit nur geringem Aufwand auf andere Be-
reiche übertragen lassen.
Eine Anpassung an die spezielle Situation des Unternehmens findet sich in Form
bestimmter Übungsbeschreibungen des Assessments, um die ökologische und die
Augenschein-Validität des Verfahrens (»Wiedererkennungswert« und Realitätsnähe
der Übungen) und damit die Akzeptanz der Kandidat:innen, die gerade für den Erfolg
eines Pilotprojekts so wichtig ist, zu sichern. Auch die späteren Module des FKN-Pools,
d. h. die Inhalte der Schulungen, sind nach dem Muster 60 – 80 % Standard (z. B. in
den zentralen Schulungsmodulen) und 20 – 40 % Individualisierung (z. B. in Form von
Coachingeinheiten) aufgebaut.
Die Größe des FKN-Pools orientiert sich optimalerweise bei Einführung an der aktu-
ellen und für die kommenden 3 Jahre prognostizierten Bedarfssituation bezüglich
der Stellenvakanzen in den genannten Zielpositionen der Organisation. Der FKN-Pool
wird also bedarfsbezogen ins Leben gerufen, d. h. es werden nur dann Potenzialkan-
didaten für den Pool ausgewählt, wenn sich eine genügend hohe Anzahl an Stellen-
vakanzen abzeichnet. Neben den sich abzeichnenden Stellenvakanzen spielt für die
konkrete Gestaltung des Pilotprojekts auch die Anzahl der auf Abfrage im Rahmen des
internen Beurteilungsverfahrens genannten Potenzialkandidaten (Grundgesamtheit)
eine wesentliche Rolle. Auch hier ist mit sehr unterschiedlich hohen Grundgesamthei-
ten in den unterschiedlichen »Erhebungsjahren« zu rechnen.
Im Folgenden stellen wir Ihnen die Inhalte der einzelnen Prozessschritte checklisten-
artig vor, eingeteilt in die beiden großen Abschnitte »Auswahl« (s. Abb. 44) und »Durch-
führung der Qualifizierungsmaßnahmen« (s. Abb. 45).
Anforderungsanalyse Erstellung des Sollprofils
• Mitte Okt. bis Mitte Nov.: • Information an FK / GF: offizieller Start des FKN-Pools
»Schlaumacher-Interviews« • Erhebung der funktionsspezifischen Sollprofile über
mit allen Zielfunktionen Quotenstichprobe
• Erhebung von »critical • Rücklauf bis Anfang Februar (N = 55)
incidents« und zentralen • Auswertung Rücklauf, Erstellung der durchschnittlichen
Anforderungen an die Sollprofile bis Ende Februar
Kandidat:innen des FKN-Pools
• Grundlage für spätere
Assessment-Übungen bzw. Erstellung des ACs bzw. Audits Planung und Vorbereitung Integrations- Assessment Center
Inhalte des Qualifikations- • Bis Ende Dezember: Erstellung Version 1 des AC des ACs bzw. Audits runde • Ende Mai: Einladung Kandidat:
programms • Bis Anfang März: Gegenlesen; Gegenleser aus Zentrale, GF, HR, Führung • Mitte April bis Anfang • Mitte bis Ende innen zu AC; Vorinformationen zu
• Ableitung von 12 zentralen • Integration der Rückmeldungen; Ende März: Erstellung Version 2 Mai: Terminierung; bei Mai (Einladung AC; Ziel: Transparenz, Ein-
Anforderungskriterien für • Parallel: Erstellung Audit-Leitfaden AC: Gruppeneinteilung Anfang April): stimmung der Kandidat:innen.
AC und Audit • Ansprache interne Durchführung • Anfang bis Ende Juni: Durch-
Beobachter:innen und Integrations- führung ACs; Annahme:
Rollenspieler:innen runde mit GF/FK 4 Durchführungen (ca. 32 TN)
• Muss vor AC/Au- • Ranking aller AC-TN, Zielanzahl
dit stattfinden, für Pool ca. 11 TN
da alle Kandidat: • Mitte Juli: Schriftliche
Prozess Kick-off Kandidatenliste und Plausibilitätsprüfung FK-Potenzialeinschätzung innen Anspruch Rückmeldung AC
• Im Vorfeld des offiziellen Kick-offs: • Anfang Jan: FK erstellt Kandidatenliste über • Mitte März: Info-Brief an FK darauf haben • Ende Juli: Entscheidung Teil-
Info-Veranstaltungen auf diversen internes Tool; bis Ende Feb: Rücklauf; • Anbahnung Gespräch FK • Durchführung nahme FKN-Pool; wertige Rück-
Meetings (FK, HR); Stichwort »Entwick- Erfassung über zentrale Datei bei HR mit Kandidat:innen; Hilfestel- teils zentral, meldung mit GF / FK
lungschance« und Teilnahme an FKN- • Durchführung Plausibilitätsprüfung durch HR; lung: Checkliste für FK; teils dezentral
• Ende Mai: Rück-
4.7.4 A – Auswahl der Pool-Kandidat:innen
Pool = Auszeichnung; Sicherstellung zentrale Punkte: Abgleich mit vakanten Stellen Stichworte: Bereitschaft Audit
der Informationstransparenz (Bedarf), Verhältnis Nennungen zu Anzahl MA, für Führung, Motivation, meldung Ent- • Ende Mai: Einladung Audit;
• Anfang Jan: Infobrief an alle Beteilig- zusätzliche PE-Sicht Mobilität, Fachwissen, scheidung Rich- Vorinformationen zu Audit;
ten: offizieller Start FKN-Pool • Mitte März: Abschluss/Rückmeldung bzgl. Lernbereitschaft, Ausbil- tung Kandidat: Ziel: Transparenz, Einstimmung
• Darstellung der Ziele und Inhalte Ergebnis der Plausibilitätsprüfung an FK dungsstand innen/FK: Einla- der Kandidat:innen
• Hinweis zu Tool zur Unternehmens- • Aktueller Stand der Nennungen am Ende des • Bewertung Kandidat:innen dung AC; höhere • Anfang bis Ende Juni: Durch-
Integrationsrunde nach Potenzialeinschätzung
y Integrationsrunde: Besprechung aller Potenzialkandidat:innen auf Basis der
Potenzialeinschätzung durch das Beurteilungs-Tool und Selbsteinschätzung
(Einladung der Führungskraft / Hinweis auf Termin Integrationsrunde); die Inte-
grationsrunde ist logistisch anspruchsvoll, muss aber de lege artis vor weiteren
Auswahlschritten für den eigentlichen Pool stattfinden, da jeder benannte Poten-
zialkandidat das Anrecht hat, in einer solchen Runde begutachtet zu werden.
y Durchführung der Integrationsrunde entsprechend »Bekanntheitsgrad« der ge-
nannten Potenzialkandidat:innen und geographischer Situation; für die Kandi-
dat:innen der GF-Ebene findet eine zentrale Integrationsrunde mit der GF, PE und
der jeweiligen Führungskraft statt.
y Für die Ebenen darunter, die der Außenorganisation zugeordnet werden können
und die somit für den FKN-Pool relevant sind, wird die Integrationsrunde i. d. R.
dezentral, d. h. in der Außenorganisation und ggf. angehängt an ein Regel-Mee-
ting durchgeführt; optimalerweise sollte die PE hier anreisen, um als Moderator:in
daran teilzunehmen, Präsenz zu zeigen, Fragen zu beantworten usw. Auch bei der
dezentralen Durchführung behält sich die GF vor, die Liste der bestätigten Poten-
zialkandidat:innen zu sichten. In der Integrationsrunde sollte ebenfalls geklärt
werden, für welche Zielfunktion die Potenzialkandidat:in tatsächlich vorgesehen
ist (z. B. Kaufmännische Mitarbeiter:in für eine Funktion in der Zentrale oder Mitar-
beiter:innen aus der Zentrale für eine kaufmännische Funktion in der Außenorga-
nisation), denn dies lässt sich aus dem Beurteilungs-Tool selbst nicht erschließen.
y Rückmeldung nach Integrationsrunde: i. d. R. Bestätigung des Potenzials, nur in
Ausnahmefällen Nicht-Bestätigung; aus den genannten GF-Kandidat:innen wird
eine sinnvolle Zielanzahl (im Pilotjahr: 4) zum Audit eingeladen; auf der Ebene da-
runter werden alle Potenzialkandidat:innen für Zielfunktionen in der Außenorga-
nisation, bei denen das Potenzial bestätigt wurde, in das Potenzial-Assessment
eingeladen; die Integrationsrunde ist Voraussetzung für die Einladung in das Audit
bzw. das Potenzial-Assessment; ohne diese kann die Weiterführung des Prozesses
»FKN-Pool« nicht stattfinden.
y Die Vermittlung des Ergebnisses der Integrationsrunde in Richtung der Potenzi-
alkandidat:innen erfolgt i. d. R. über die direkte Führungskraft; sollte eine an-
spruchsvolle Feedbacksituation vorliegen, wäre es sinnvoll, wenn die PE die
Teilnahme und Moderation im entsprechenden Gespräch anbietet.
342 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
nen sie als »Nachrücker« bei plötzlich relevanten Vakanzen fungieren. Da die Ini-
tiierung des Pools in den kommenden Jahren flexibel gehandhabt werden sollte
und nicht einfach jährlich stattfindet, können diejenigen Kandidat:innen, die
mittelfristiges Potenzial gezeigt haben, bei der nächsten Initiierung des Pools
direkt angesprochen werden, ob sie teilnehmen möchten. Sofern das Potenzial-
Assessment nicht länger als 4 Jahre zurückliegt und die Kandidat:innen noch
daran interessiert sind, Teil des FKN-Pools zu sein, könnten diese direkt in die
nächste Generation nachrücken. Je nach Anzahl der antizipierten Vakanzen
kann dann parallel eine neue Benennungsrunde von »ergänzenden« Potenzi-
alkandidat:innen ausgerufen werden (s. obige Prozessschritte), die dann erst-
malig das Potenzial-Assessment durchlaufen, und der Pool-Zyklus beginnt von
Neuem.
y Zentrales Ziel der Potenzial-Assessment-Durchführung: die potenzialorientierte
und offene Atmosphäre, die auch durch die zugängliche Art der internen und ex-
ternen Beobachter:innen getragen wird, ebenso wie durch die Realitätsnähe der
Übungen. Auch bei »sauber« vorbereiteten Potenzialverfahren kann es dennoch
vorkommen, dass Teilnehmer:innen von ihrer jeweiligen Führungskraft »einfach
mal in das AC« geschickt werden, ohne dass sie wissen, welche Ziele das Verfahren
verfolgt. Dies kann als deutlicher Hinweis darauf gewertet werden, dass Ablauf,
Inhalte und Ziele des FKN-Pools in den kommenden Jahren immer wieder auf-
frischend in Richtung aller beteiligten Führungskräfte vermittelt werden müssen,
um die Wertigkeit des Programms sicher zu stellen.
Begleitprozesse
• Grundlagen Führung: • BWL, Controlling • Veränderungsprozesse vertragsrechtliche
Modelle • Kennzahlen, definieren, anstoßen, Fragestellungen
• Psychologie für FK Profitorientierung begleiten • Kooperation mit dem
• Selbstreflexion „Ich als FK“ • Spannungsfeld • Change Management- Betriebsrat
Investitionen / Phasen, Widerstände
Kosten sparen
Kick-off
• Gegenseitiges Kennenlernen Arbeitsintegriertes Lernen: Laufendes Projekt
• Ziele, Aufbau und Inhalte des FKN- • Themen haben „management attention“, GF ist Schirmherr:in
Pool-Qualifizierungsprogramms • Beispielthemen: Benchmarking, Schnittstellenverbesserungen, Kundenbefragung, Wettbewerbsanalyse, Best practice
PROJEKT-
• Integration und Information der FK • Pool-Kandidat:innen definieren Projekt, treffen sich regelmäßig, präsentieren Zwischenergebnisse ZIEL
der Pool-Kandidat:innen • Integration der FK der Pool-Kandidat:innen, ggf. eigene Meetings
• Informationstransparenz • FK der Pool-Kandidat:innen als „interne Coaches“, haben auch Entwicklungsaufgabe für ihre MA
• Definition persönlicher Ziele und • Abendgespräche mit Managementteam
eigene Entwicklungsausrichtung
Modul 2: Emotionale Modul 4: Modul 6: Strategische PE
Intelligenz Mitarbeitergespräche für Führungskräfte
• Grundlagen EQ • Aufbau MA-Gespräch • Selektionsprozess
• Führen mit emotionaler • Feedback-, Kritik-, Ziel- • Potenzialerkennung und
344 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Kick-off FKN-Pool
y Das Kick-off dient dazu, die Ziele, den Ablauf und die wesentlichen Inhalte des
Programms zu vermitteln, Transparenz herzustellen und die Teilnehmer:innen auf
den Pool einzustimmen. Das Kick-off wird aus organisatorischen Gründen direkt
den ersten beiden Tagen in Programm-Modul 1 vorangeschaltet.
y Im Kick-off lernen sich die Teilnehmer:innen kennen, beschreiben ihre Erwartun-
gen bezüglich des Programms und entwickeln erste Ideen für das arbeitsintegrier-
te Lernprojekt (s. o., Gesamtübersicht).
y Zudem wird ein Syllabus bereitgestellt, anhand dessen die Teilnehmer:innen den
Zeitaufwand abgebildet sehen, der durch das Programm für sie entsteht: 14 Tage
für Module und 2 Tage für Supervisionen i. S. der Präsenzzeiten; arbeitsintegrier-
tes Projekt 10 Tage; Zusatzzeit innerhalb der eigenen Arbeitszeit, zu investieren in
den 15 Monaten der Ausbildung: 25 %
y Am Abend des Kick-offs steht die Geschäftsführung des Unternehmens für ein
Abendgespräch zur Verfügung, um hier nochmals die Wertigkeit des Programms
zu vermitteln.
y Den Teilnehmer:innen muss frühzeitig klargemacht werden, dass der Pool mit Auf-
wand verbunden ist, der einer angehenden Führungskraft im Unternehmen abver-
langt wird. Es geht um selbstverantwortliches Lernen, Zeitinvestment, Mobilität
und Flexibilität, nicht um eine »Empfangshaltung« nach dem Motto »Bitte die Qua-
lifizierung so bequem wie möglich gestalten und an meine operativen Anforderun-
gen in meiner jetzigen Position anpassen.«
346 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Module FKN-Pool
y Die ersten 4 Module finden innerhalb der ersten 4 Monate statt: Selbstreflexion
Führung Teil 1 / Selbstreflexion Führung Teil 2, Emotionale Intelligenz, Unterneh-
merisches Denken / BWL, Mitarbeitergespräche führen.
y Zwischen den Modulen: Transferaufgaben und während der Module Vorbereitung
auf das arbeitsintegrierte Lernprojekt; letzteres hat seine Kernbearbeitungszeit
zwischen März und Sept, um zeitlich nicht zu sehr mit den Präsenzzeiten in den
Modulen in Konflikt zu geraten (s. u.).
y Danach: Durchführung der verbleibenden Module Changemanagement, Strategi-
sche Personalentwicklung für Führungskräfte und Arbeitsrecht als Ausblick für die
Potenzialkandidat:innen als angehende Führungskraft.
y Zu den Modulen werden unterschiedliche Ansprechpartner aus der oberen Füh-
rungsebene für Abendveranstaltungen eingeladen.
y Starke Betonung des selbstreferentiellen Lernens, d. h. die Teilnehmer:innen be-
kommen die Inhalte der Module zur Verfügung gestellt und können selbst steuern,
wie sie diese aufbereiten. Trainer:innen/Coaches können dann in den Face-to-
face-Sitzungen vertiefend gefragt werden.
Arbeitsintegriertes Lernen
Zur Bearbeitung des Projekts werden die Teilnehmer:innen in zwei Teams unterteilt
(max. Größe: 6 Teammitglieder); hier bietet sich eine Einteilung auf geographischer
Basis an (z. B. Team Nord / Team Süd).
die Entscheidung zur Projektfreigabe durch die Geschäftsführung aus (s. nächster
Schritt); die weiteren Projektdefinitionsschritte, z. B. bezüglich konkreter Projekt-
kosten, Arbeitspakete usw. sollten aus zwei Gründen erst später befüllt werden: 1.
ist teils erst nach Beginn der eigentlichen Konzeptions-/Analysephase absehbar,
wie einzelne Kostenblöcke aussehen, wobei hier vor allem »interne Kosten« wie
Manntage der Teilnehmer:innen selbst im Vordergrund stehen; 2. soll vermieden
werden, dass das Projekt zu sehr ausdifferenziert wird, wenn dann auf Wunsch der
Geschäftsführung doch noch größere Anpassungen anstehen – Frustrationsver-
meidung; PE wendet sich dann mit den Projektskizzen an die Geschäftsführung,
um das »Go« dafür abzuholen. Wenn es tatsächlich ein »No go« geben sollte, sollte
die Geschäftsführung sofort konkrete Alternativen anbieten, da sonst ein Problem
mit dem ersten Projekttermin / der Teamsupervision entsteht.
2. Projektfreigabe / Teamsupervision 1 / Analyse- und Konzeptionsphase (April
bis Mai): Sobald das »Go« da ist, erhalten die Teilnehmer:innen eine E-Mail, so
dass sie den ersten Teamsupervisionstermin vorbereiten können – hier sind die
Teilnehmer:innen selbst in der Verantwortung, d. h. sie organisieren den Ort, er-
stellen im Vorfeld eine Agenda und informieren die externen Berater:innen (die
als Prozessbeobachter:innen dabei sind) darüber; weiterhin können sie diesen
dabei auch mitteilen, welche Inputs sie von Seiten der externen Berater:innen als
hilfreich ansehen würden (Beispiel: Projekt enthält Arbeitspakete mit Interviews –
Teilnehmer:innen wünschen sich Inputs zum Thema »Interviewkonstruktion«;
Projekt enthält einen Workshop mit Kolleg:innen – Teilnehmer:innen wünschen
sich Inputs zum Thema »Workshopdesign«). Weiterhin können die Teilnehmer:in-
nen auch definieren, wenn sie für das Treffen einen größeren Zeitbedarf als die
avisierten 4 h haben. PE nimmt ebenfalls an Teamsupervisionen teil, um auch Ein-
drücke von den Leistungen der Teilnehmer:innen zu bekommen; zur Vorbereitung
der ersten Sitzung arbeiten die Teilnehmer:innen weiter mit dem PM-Tool, indem
sie die Abschnitte Projektplan (für die Arbeitspakete), Kostenplanung (um einen
Rahmen für die Kosten zu ziehen), Umfeldanalyse und Risikoanalyse befüllen. Die
Arbeit mit dem Tool soll helfen, das Projekt auch in den Tiefen zu durchdringen;
in der ersten Teamsitzung findet somit projekttechnisch die Detaillierung der
Arbeitsschritte für die Analyse-/Konzeptionsphase der Projekte statt, so dass die
Teilnehmer:innen dann in die Umsetzung der einzelnen Arbeitsschritte einstei-
gen können. Video-Feedback im Rahmen der Teamsupervision: Teilnehmer:in-
nen erhalten die Videoaufnahmen ihrer Teamsitzungen und haben die Aufgabe,
ihr Verhalten selbst zu reflektieren und ins Lerntagebuch einzupflegen; Option: in
Portfolioprüfung einfließen lassen (s. u.).
3. Weitere Schritte nach dem ersten Teamtreffen: Analyse/Konzepterstellung/Kon-
zeptfreigabe (Teamsupervision 2) / Rollout, Teamsupervision 3 (Mai bis Aug). In
der zweiten und dritten Sitzung nutzen die Teilnehmer:innen toolseitig dann nur
noch den Statusbericht als Grundlage.
348 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
4. Projektabschluss (Sept): Hier muss deutlich sein, dass nicht immer gewährleis-
tet werden kann, dass die entsprechenden Projekte innerhalb des gegebenen
Zeitrahmens vollständig abgeschlossen sind; ggf. findet ein Abschluss i. S. eines
»Jetzt-Standes« statt, nach dem das Projekt entweder von den Teilnehmer:innen
selbst weitergeführt wird oder an ein Folgeteam übergeben wird; in der vierten
Sitzung wird entsprechend der Abschlussbericht vorbereitet. Die Teilnehmer:in-
nen nutzen für die zweite bzw. vierte Sitzung und die Präsentation für die Ge-
schäftsführung auch das Tool. Idee: die Teilnehmer:innen bereiten den benannten
Status- bzw. Abschlussbericht als Handout vor, stellen die Ergebnisse aber in Form
einer Präsentation / eines Workshop vor. Details zur Präsentationsgestaltung wer-
den jeweils in den Teamsitzungen oder per E-Mail oder Telefon dazwischen be-
sprochen.
Transfersicherung
y In den Modulen ebenso wie in den Teamsupervisionen findet eine Integration der
persönlichen Verbesserungsansätze aus dem Potenzial-Assessment und dem Au-
dit statt; Bezug zum persönlichen Führungsstil wird hergestellt.
y Im Verlaufe der Teamsupervisionen enges Monitoring der Weiterentwicklung be-
züglich Selbstreflexion und Lernfähigkeit; Teilnahme der PE als Beobachter:innen
in den Teamsupervisionen; »unterjährige Feedbacks« durch die PE / externe Be-
gleitung
y Führungskräfte werden ebenfalls in den Prozess einbezogen, geben Feedback zur
Entwicklung »ihrer« Potenzialkandidat:innen; Führungskräfte definieren mit Kan-
didat:innen Suchfelder, welches Projekt interessant sein könnte (s. o., arbeitsinte-
griertes Lernen) bzw. passen das von der Geschäftsführung vorgegebene Thema
auf den eigenen Bereich an; alle 2 Monate Treffen Potenzialkandidat:in/Führungs-
kraft: Standortbestimmung in Bezug auf Projekte/Programm; hierzu erhalten
die Führungskräfte einen begleitenden Brief, der ihre Rolle definiert, sowie eine
Checkliste zur Unterstützung in den unterjährigen Gesprächen.
y Treffen/Zwischenbilanz zwischen PE und Führungskraft/Teilnehmer:in zweimal,
einmal nach der Hälfte des Programms, einmal gegen Ende (nach der Portfolio-
4.7 Modulares PE-Programm – am Beispiel eines Führungskräftenachwuchs-Pools | 349
Prüfung, Dez); Inhalt des zweiten Gesprächs: Rückmeldung und Ausblick, wer
wann wie auf welche Position kommen könnte.
y Die Teilnehmer:innen führen ein kompetenzbasiertes Lerntagebuch: hier spielt
das Potenzial-Assessment hinein; Fokus: Stärken weiter entwickeln und erkannte
Schwächen verbessern; im Rahmen des Tagebuchs machen sich die Teilnehmer:in-
nen Gedanken über die eigene Zielausrichtung, Notizen zu führungsbezogenen Er-
lebnissen sowie zu erhaltenen Feedbacks und entwickeln so einen »roten Faden«
für die eigene Entwicklung. Das Lerntagebuch wird im Kick-off in Form von zu be-
arbeitenden Reflexionsaufgaben begonnen und dann unterjährig durch PE nach-
verfolgt. Hierfür wird an alle Teilnehmer:innen alle 4 bis 6 Wochen ein Dokument
geschickt, welches ins Lerntagebuch integriert und gleichzeitig online bearbeitet
werden kann. Die Teilnehmer:innen lassen dann der PE das ausgefüllte Dokument
wieder zukommen, wo es zentral gesammelt und verwaltet wird. Auch hier be-
steht also die Möglichkeit, die Reflexion der einzelnen Teilnehmer:innen zu ihrer
eigenen Entwicklung zu sichten und einzuschätzen.
Coaching
y Die FKN-Pool-Teilnehmer:innen haben die Möglichkeit, 3 x 2 h E- bzw. Telefoncoa-
ching und Face-to-face-Coaching zu nutzen. Die Coachingzeit stellt ein Kontingent
dar, dass jede Teilnehmer:in abrufen kann, aber nicht muss.
Portfolio-Prüfung
y Folgende Elemente fließen in die Portfolioprüfung ein: 1. Lerntagebuch, 2. Güte
des arbeitsintegrierten Projekts, 3. Integrierte, qualitative Einschätzung der Ent-
wicklung der Teilnehmer:innen durch die Prozessbegleiter (Führungskräfte, PE,
externe Berater:innen).
y Option: Teilnehmer:innen entwickeln aus der Teamsupervision heraus Feedback-
dimensionen, schätzen sich anhand dieser im Verlaufe des Prozesses ein – da-
durch prozessbezogene Überprüfung Selbstbild-/Fremdbild-Entwicklung.
350 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Abschlussveranstaltung
y Ziele: wertiger Programmabschluss, gemeinsame Reflexion des gesamten Ver-
laufs, Ableitung von Verbesserungsansätzen durch Teilnehmerhinweise, Sicher-
stellung Netzwerkbildung unter den Teilnehmer:innen
y Gegenseitiges Feedback: Vierfelderschema, »Feedbackspaziergang«, Vorstellung
der »öffentlichen« Ergebnisse des Feedbacks
y »Mein FKN-Pool: persönliches Resümee«; Themen »Erfahrungen«, »Führung« und
»Ziele«; persönliche Collage; Ableitung von transfersichernden Maßnahmen zur
weiteren gemeinsamen Zielverfolgung; Vorstellung des Collagen-Marktplatz ge-
meinsam mit den (angereisten) Führungskräften
y Gemeinsame Reflexion der Ziele des FKN-Pools; Abgleich mit den Anfangserwar-
tungen aus dem Kick-off; Rückmeldung zum Gesamtprozess / zu den Verbesse-
rungsideen
y Organisatorisches, offene Fragen, Abrundung und Abschluss
Aber hier zeichnet sich eine erfreuliche Wendung ab, die wir in Kapitel 1.5 im Zusam-
menhang mit der Agilisierung der PE schon angedeutet haben: Durch das starke Vor-
anschreiten der Digitalisierung und die steigende Akzeptanz von virtuellen Formaten
werden didaktische Konzepte möglich, die vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar
gewesen wären bzw. großen Widerstand erzeugt hätten. In den letzten Jahren haben
sich daher auch zahlreiche Möglichkeiten aufgetan, PE nicht immer nur im Großpro-
jekt-Format zu betreiben, sondern punktuelle, kleinere und vor dem Hintergrund defi-
nierter Entwicklungsziele klar umrissene PE-Maßnahmen zu implementieren.
Wie lassen sich die Herausforderungen konkret lösen? Hier wollen wir Ihnen einige in
unserer Praxis bewährte Ansätze kurz skizzieren.
1. Online Coaching: Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene rasante
Entwicklung der Digitalisierung ist Online-Coaching »salonfähig« geworden. Dabei
kommt immer wieder die Frage auf, ob es das Gleiche wie ein Face-to-Face-Coa-
ching ist. Das lässt sich mit einem klaren Nein beantworten, weil nicht alle Sin-
4.8 Personalentwicklung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) | 353
neskanäle zum Einsatz kommen. Es ist aber immer von den Coachingzielen und
den persönlichen Präferenzen seitens des Coachee sowie des Coaches abhängig,
ob und wie die Themen am sinnvollsten bearbeitet werden können. Hier plädie-
ren wir nicht für ein Entweder-oder sondern für ein Sowohl-als-auch. Wir erleben
immer wieder, wie dankbar Mitarbeiter:innen und Führungskräfte sind, wenn sie
die Möglichkeit bekommen, sehr niederschwellig online gezielte Unterstützung in
ihren Arbeitsfragen zu erhalten.
2. Gemischte Online-Kleingruppe mit kurzem Fachinput einer Expert:in und Fall-
besprechung: Bedeutsame Themen für ein Unternehmen wie z. B. Führen in der
Matrix, agile Organisation oder Konfliktmanagement lassen sich ausgesprochen
praxisnah und relevant online bearbeiten. So lassen sich 1,5-stündige Online-
Formate entwickeln, in denen es einen 20- bis 30-minütigen Fachinput von einer
Expert:in mit Bezug zum Unternehmen gibt. Anschließend werden mit den Teil-
nehmer:innen, die sich aus Führungskräften, Mitarbeiter:innen, Geschäftsleitung
und HR-Verantwortlichen zusammensetzen, eigene Alltagsfälle besprochen und
direkt online Lösungen erarbeitet. Das Besondere daran ist die Teilnehmerzusam-
mensetzung, die eine vielschichtige Praxisreflexion und Lösungsentwicklung er-
möglicht, und die kurze Dauer, die für alle Mitarbeiter:innen des Unternehmens
attraktiv ist. Das Szenario setzt jedoch eine gewisse Vertrauenskultur im Unter-
nehmen voraus, damit die konkreten Arbeitsherausforderungen auch wirklich
stufenübergreifend besprochen werden.
3. Sequenzierte Schulung (2 Std. alle 4 Wochen): Ein didaktisch hilfreiches Mittel
ist die Sequenzierung von Inhalten in umsetzbaren Zeitfenstern für die Mitarbei-
ter:innen, damit sie sich in den Arbeitsalltag aller integrieren lassen.
Zudem lassen sich für die schlanke Umsetzung solcher oder ähnlich gestalteter PE-An-
sätze mittlerweile problemlos vorhandene digitale Kooperationswerkzeuge nutzen.
Als Personalentwickler:in eines KMU haben Sie heute eine große Auswahl an spezia-
lisierten Dienstleistern zur Verfügung, mit denen Sie punktuell und projektbezogen
arbeiten können, um Sie bei der Umsetzung konkreter PE-Fragestellungen zu unter-
stützen. Die »gig economy« macht’s möglich! Es finden sich mittlerweile eine Menge
gut aufgestellter Start-ups und junge Unternehmen, die in Themen wie digitale Lern-
plattformen, HR Analytics, digitales Recruitment oder Online- bzw. Remote-Trainigs
hervorragend aufgestellt sind. Es gibt also immer mehr Möglichkeiten, sich Leistun-
gen zu einem überschaubaren und gut steuerbaren Budget einzukaufen. Für viele
Themen stehen sogar Open-source-Lösungen kostenfrei zur Verfügung.
Und nicht zuletzt kann man auch die infolge der Corona-Pandemie doch deutlich
mehr zum Arbeitsalltag gehörenden Werkzeuge der digitalen Kooperation nutzen,
um auch ohne externe Begleitung fokussierte PE-Impulse zu setzen, sei es eine orga-
nisationsweite Kurzbefragung für Mitarbeiter:innen mittels Microsoft Forms oder ein
354 | 4 Schritt 3: Instrumente der Personalentwicklung
Im Folgenden möchten wir einige Beispiele für schlanke PE-Impulse geben, natürlich
auch hier wieder ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Da der Markt im steten Wandel
ist, werden auch einige der dargestellten Inhalte und Angebote in den kommenden
Jahren wechseln oder sich verändern. Aber an dieser Stelle geht es uns in erster Linie
um eine Übersicht über das, was derzeit möglich ist und zweifellos auch in Zukunft in
dieser oder ähnlicher Form genutzt werden kann.
y Digitale Meetings: Wenn eine digitale Kooperationsform mit der Corona-Pande-
mie erheblich an Fahrt aufgenommen hat, dann sind es sicherlich »Video-Kon-
ferenzen« über Zoom, MS Teams, Cisco WebEx, Skype oder anderen digitalen
Kooperationsplattformen. Was für viele von uns in Zeiten von Kontaktbeschrän-
kungen und Lockdowns dankbar als einzige mögliche Form des visuellen Kontakts
aufgenommen wurde, erfährt zwischenzeitlich – wie alle Arbeitsmittel, die exzes-
siv zum Einsatz kommen, z. B. E-Mails – einen gewissen Abrieb: Viele Menschen in
Unternehmen empfinden angesichts »mal eben schnell eingestellter« und dicht
getakteter »Calls« nun schon wieder eine gewisse Müdigkeit im Hinblick auf das
Medium (Stichwort »Zoom Fatigue«). Dennoch gilt: Richtig eingesetzt und dosiert
bieten digitale Meetings gerade für PE-Impulse und Themen eine ausgezeichne-
te Plattform. Das reicht vom klassischen »Strategie-Ausblick der Geschäftsfüh-
rung«, um alle Mitarbeiter:innen zu erreichen, bis hin zu Lernimpulsen mittels
Online-Kurzpräsentationen im Kollegenkreis (im Sinne des Peer-Lernens). Wichtig
bei digitalen Meetings ist unserer Wahrnehmung nach, dass man den Vorteil der
gegenseitigen Sichtbarkeit auch wirklich nutzt – Kameras an! Man sollte nicht nur
eine »bessere TelKo« machen, sondern den differenzierteren Austausch – und die
bessere Konzentration! – nutzen, den Blickkontakt zwischen den kommunizieren-
den Teilnehmer:innen mit sich bringt. Und um den oben beschriebenen »Abrieb«
zu vermeiden, hilft es auch, digitale Meetings immer wieder unterschiedlich und
neu zu »konnotieren«: Einmal ist es das klassische Abteilungsmeeting, nur eben
remote; beim nächsten Treffen ist es vielleicht nur ein kurzes Brainstorming; dann
trifft man sich für eine kurze Mentimeter-Abfrage und bespricht die Ergebnisse
direkt; und schließlich trifft man sich zu einem 15-minuten Meeting am virtuel-
len Scrum-Board. Auf diese Weise lassen sich Gedanken wie »Das ist dann wieder
unser zweistündiges Abteilungsmeeting, wie jeden Montag. Dann lasse ich mal
die Kamera aus und arbeite parallel an den wichtigen Aufgaben!« vielleicht nicht
gänzlich vermeiden, aber zumindest einschränken.
y Einführung und Gestaltung von Teamplattformen: Dieser Aspekt hängt natürlich
eng mit dem vorherigen Punkt zusammen: Kooperationsplattformen wie Share-
point, Trello, Slack oder Dropbox ermöglichen genauso wie Cloudlösungen die
zeitgleiche, automatisch gesicherte und versionierte Dokumentenbearbeitung
und -bereitstellung. Ein Team kann also auch remote in einer Art »virtuellem Büro«
4.8 Personalentwicklung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) | 355
An dieser Stelle sei erwähnt, dass uns vollkommen klar ist, dass virtuelle Koopera-
tion immer etwas anderes ist als direkter Kontakt. Jede und jeder, der oder die schon
einmal einen digitalen Workshop moderiert hat, weiß das. Die Kommunikation ist in
der Regel immer etwas holzschnitthaft, also nach Schablone und meist nicht so tief-
greifend wie im direkten Kontakt. Es fehlt an spontanen Reaktionen, allein das An-
und Ausschalten des Mikros bevor oder nachdem man spricht führt zu einem anderen
Kommunikationsrhythmus. Hinzu kommen Verzögerungen und Verbindungsfehler.
Und auch Phänomene wie »digitale Scham« spielen eine Rolle: Teilnehmer:innen sind
oftmals mehr im »Konsumentenmodus« – für Reaktionen muss man das Gegenüber
als Moderator:in direkt ansprechen und intensiver aktivieren. Dennoch, und auch
wenn vieles anders ist als im Face-to-face-Zusammenspiel: Es bieten sich neue Wege
der Kooperation und damit auch der Personalentwicklung, die relativ einfach und we-
nig kostenintensiv eingesetzt werden können.
357
Kommen wir nun zum Abschluss und zugleich dem Ausgangspunkt für den Neustart
des PE-Zyklus: der Evaluation.
Nachdem bisher beschrieben wurde, wie der Bedarf für PE-Maßnahmen erhoben
wird, wie sie konzipiert werden und wie man sie durchführt, wollen wir in diesem
Kapitel einen Blick darauf werfen, wie Sie überprüfen können, ob Ihre Maßnahme
»funktioniert«, d. h. die intendierten Effekte erreicht haben. Diese Effekte können Sie
mithilfe einer systematischen Evaluation herausfinden. Doch bevor wir uns mit Ef-
fekten beschäftigen möchten wir an dieser Stelle erst einen Schritt zurücktreten und
Evaluation aus einer Vogelperspektive anschauen. Das heißt, wir setzen uns zu Beginn
mit verschiedenen Funktionen einer Evaluation im organisationalen Kontext ausein-
ander, gehen dann zu verschiedenen Wirkungsanalysen über mit ihren praktischen
Implikationen und werden dann anhand des Ablaufplans für eine Evaluation die ver-
schiedenen Schritte ausführlich beschreiben.
5.1 Funktionen der Evaluation
Bevor Sie mit dem Evaluationsdesign und der Durchführung beginnen, sollten Sie sich
fragen, warum Sie eigentlich eine Evaluation durchführen. Dabei lassen sich grund-
sätzlich drei verschiedene Funktionen von Evaluation unterscheiden:
1. Legitimationsfunktion gegenüber den Auftraggeber:innen (intern/extern): Bei
der Legitimationsfunktion geht es z. B. um Fragen wie »Wollen Sie vorzeigbare Wir-
kungen Ihrer PE-Maßnahmen aufzeigen, damit Sie sich als Personalentwicklungs-
abteilung gegenüber der Geschäftsleitung legitimieren können?« Dahinter steht
der Gedanke: »Wir sind unser Geld wert und schaffen mit unserer Arbeit einen
echten Mehrwert für das Unternehmen!« Je kostenintensiver die PE-Maßnahmen
sind, umso bedeutsamer wird diese Funktion, da die Auftraggeber:in von Ihnen
wissen möchte, ob Sie Ihre Ziele erreicht haben und sich die finanzielle Investition
»gelohnt« hat.
358 | 5 Schritt 4: Transfer und Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen
Die Kontrollfunktion und die Optimierungsfunktion liegen auf der Hand, aber die Le-
gitimationsfunktion ist häufig leider unausgesprochen und hat einen sehr hohen Ein-
fluss auf die Optimierungsfunktion. Woran könnten Sie die Legitimationsfunktion in
Ihrer Organisation festmachen?
y Kursevaluationen werden nicht ausgewertet und an die Teilnehmer:innen zurück-
gespiegelt, weil man Angst vor kritischen Bewertungen des HR-Angebotes hat.
y Schlechte Ergebnisse einer Analyse oder Befragung werden nicht an Teilneh-
mer:innen, Auftraggeber:innen zurückgespielt oder die Ergebnisse werden sehr
stark methodisch angezweifelt und in ihrer Aussagekraft relativiert.
y Eine systematische Befragung der Betroffenen wird von der Personalentwicklung
gar nicht erst in Betracht gezogen, im Sinne von »Die können die HR-Maßnahme ja
nicht wirklich in ihrer Qualität und Wirkung beurteilen«.
y Gute Ergebnisse werden sehr pointiert und vereinfacht dargestellt. Sie dienen
als einzig richtige Erklärung für alle Belange des Unternehmens, z. B. »Wir waren
schon immer der modernste Arbeitgeber mit der höchsten Mitarbeiterzufrieden-
heit und deshalb gehen wir weiter vor wie bisher.«
Sie kennen die Thematik vielleicht unter dem Begriff der Gesichtswahrung. Man
möchte ja als Personalentwickler:in oder Geschäftsleitung gut dastehen. Das ist auch
5.2 Ziele einer Evaluation und Wirkungsanalyseformen | 359
vollkommen legitim, aber es sollte nicht dazu führen, kritische Aspekte zu umschiffen.
Machen Sie sich Gedanken, welche Funktionen Sie in den Vordergrund Ihrer Evalua-
tion stellen wollen und wie Sie insbesondere mit schlechten oder schwierigen Ergeb-
nissen umgehen werden.
Wertfrei betrachtet ist die Evaluation somit eine datenbasierte Planungs-, Entwicklungs-
und Entscheidungshilfe in einem kontinuierlich laufenden Verbesserungsprozess einer
oder mehrerer PE-Maßnahmen. Evaluation bewertet auf diese Weise in vielen Fällen
nicht nur die definitiven Folgen (Outcome) eines Trainings, einer Maßnahme oder eines
gesamten Führungsprogrammes, sondern auch den Prozess, d. h. die Art und Weise der
Entwicklung, Planung, didaktischen Konzeption und Durchführung.
Die Ausgangsfrage für jede Evaluation lautet: Was will ich (Ziel) für welchen Zweck
(Funktion) evaluieren? Je nach Fragestellung ergeben sich daraus vier verschiedene
Wirkungsanalysen, die Sie designen können.
5.2.1 Inputbezogene Wirkungsanalysen
5.2.2 Prozessbezogene Wirkungsanalysen
Steigerung des Lerntransfers
Für die Verbesserung des Prozesses zur Steigerung des Lerntransfers können Sie sich
gut am Modell von Gessler (2012) orientieren, der fünf Erfolgsfaktoren für einen funk-
tionierenden Lerntransfer herausgearbeitet hat.
1. Transferorientierung des Trainings: Wie nah ist das Training an der beruflichen
Praxis der Teilnehmer:innen? Welche Transfermöglichkeiten bietet das Training?
2. Transfermotivation der Teilnehmer:innen: Wie motiviert sind die Teilnehmer:in-
nen, das Gelernte zu transferieren?
3. Transfermöglichkeiten der Situation: Kann das Gelernte in der gegebenen
Arbeitssituation angewendet werden? Gibt es konkrete Anwendungsfelder?
4. Transferklima im Team: Wie aufgeschlossen ist ein Team für Transfer?
5. Transfersupport durch den Vorgesetzten: Gibt der Vorgesetzte die Möglichkeit
Dinge anzuwenden? Wie unterstützt der Vorgesetzte die Mitarbeiter:innen bei der
Umsetzung von Gelerntem?
Lassen Sie uns den fünften Punkt noch etwas genauer anschauen, weil er einer der
zentralen Transfersicherungselemente darstellt und gleichzeitig handelt es sich mög-
licherweise um die Person, die Ihnen ein Auftrag zur Unterstützung der Entwicklung
der Mitarbeiter:in gegeben hat. Schon Georgenson (1982) konnte zeigen, dass »ma-
nager support« und »manager involvement« von größter Wichtigkeit für die Transfer-
sicherung von PE-Maßnahmen sind:
y Manager support: aktive Unterstützung und Verstärkung der PE-Teilnehmer:in bei
Umsetzung des Gelernten durch den Vorgesetzten
y Manager involvement: aktiver Einbezug des Vorgesetzten in PE-Planung, -Durch-
führung und Transfer; stellt manager support sicher
Darüber hinaus besitzen Vorgesetzte »control of rewards«, mit anderen Worten: sie
können belohnen oder auch »bestrafen«. Und Mitarbeiter:innen sind deshalb be-
strebt, den Rollenerwartungen und das heißt auch den Qualifizierungs- und Transfer-
erwartungen der Vorgesetzten zu entsprechen.
Lerntransfersicherungsfragen für Führungskräfte
Mithilfe der folgenden Fragen-Checkliste sind Ihre Führungskräfte in der Lage, die vor
der Teilnahme an einer Schulungsmaßnahme definierten Lernziele Ihrer Mitarbeiter:in-
nen zu überprüfen und den Transfer des Gelernten auf die tägliche Arbeit zu sichern:
y Welche Erkenntnisse haben Sie in der Schulungsmaßnahme gewonnen? Was war
besonders interessant für Sie?
y Wie gut haben Sie in Ihrer eigenen Einschätzung die vor der Maßnahme definierten
Ziele erreicht?
y Welche Ihrer Stärken können Sie mithilfe dieser Maßnahme ausbauen?
y Welche Ihrer Schwächen können Sie mithilfe der Schulung verbessern?
y Welche Schulungsinhalte lassen sich unmittelbar auf unsere Arbeitssituation hier
übertragen?
y Was können wir als Unternehmen/Bereich/Team von dem, was Sie in der Schulung
gelernt haben, hier bei uns anwenden?
y Welche Inhalte würden Sie gerne Ihren Kolleg:innen mitteilen, welche Empfehlun-
gen haben Sie für sie?
y Welche drei zentralen Erkenntnisse aus der Schulung werden Sie bis wann in Ihrer
täglichen Arbeit umsetzen?
Die Vorbereitungen für die Lerntransfersicherung sind zentrale Erfolgsfaktoren für die
Erzeugung von nachhaltiger Wirkung. Die dritte Wirkungsanalyse, die Sie vornehmen
können ist die outputbezogene Wirkungsanalyse. Diese ist vielen bekannt, aber häu-
fig sowohl inhaltlich als auch methodisch äußerst anspruchsvoll.
5.2.3 Outputbezogene Wirkungsanalysen
Wenn Sie die Aspekte von Lernen und Verhalten noch intensiver, im Sinne von Lernzie-
len einer PE-Maßnahme, definieren wollen, so können Sie sich der Lerntaxonomie von
Bloom (1956) bzw. der von Andersen & Krathwohl (2001) bedienen. Die Taxonomien
unterscheiden sich insbesondere in der Art der Ausformulierung (substantiviert bzw.
verbalisiert) und der höchsten Stufe, in der Andersen & Krathwohl vom Erschaffen von
etwas Neuem sprechen und Bloom von der Bewertung von Sachverhalten.
Taxonomie
Stufen nach Bloom Stufen nach Andersen & Krathwohl
Bewertung Erschaffen
Synthese Bewerten
Analyse Analysieren
Anwendung Anwenden
Verständnis Verstehen
Wissen Erinnern
Tab. 46: Taxonomie von Bloom (1956) / Andersen & Krathwohl (2001)
Mithilfe dieser Taxonomien können Sie den Fokus der Evaluation gut eingrenzen bzw.
präzisieren.
5.2.4 Wirkungsanalyse als Vergleichsanalyse
Die vierte und letzte mögliche Form der Wirkungsanalyse ist eine Vergleichsanalyse.
In Ihrem Praxisalltag können Sie aber davon ausgehen, dass eine derartige Analyse
nicht durchgeführt wird, weil Sie nicht in Ihr Kernaufgabengebiet gehört. Es wird eher
von Ihnen als Expert:in erwartet, dass Sie die wirksamsten Methoden für die Durch-
führung von bestimmten PE-Maßnahmen kennen und wenn nicht, diese in einschlägi-
gen Fachbüchern eruieren.
Nun haben wir uns mit vier unterschiedlichsten Wirkungsanalysen beschäftigt, die ein
wichtiges Element in der Auftragsklärung mit Ihrem internen Kunden sein sollte. Wenn
wir uns diese genau anschauen und uns in die Rolle der Auftraggeber:in versetzten,
wird sofort deutlich, dass sein zentrales Interesse in der outputbezogenen Wirkungs-
analyse liegt und die anderen für Sie als Personalentwickler:in eine hohe Bedeutung
für die Verbesserung Ihrer Angebote hat und Vorgesetzte eigentlich nicht interessiert.
Folgende Fragen können hilfreich sein, den Evaluationsbedarf bei Ihrer Auftragge-
ber:in einzuholen.
y Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf in Ihrem Bereich?
y Was möchten Sie mit der PE-Maßnahme erreichen?
y Wie kann man Sie als Auftraggeber:in in die PE-Maßnahme integrieren? Welche
Rolle können und wollen Sie einnehmen?
y Welche Veränderungen erwarten Sie grundsätzlich?
y Wo sollten sich die Veränderungen (positiv/negativ) besonders deutlich zeigen?
y Was sollte sich durch die PE-Maßnahme nicht verändern?
Nachdem Sie sich all die Vorüberlegungen gemacht haben, wollen wir nun den Evalua-
tionsprozess als Ganzes detailliert betrachten.
5.3 Evaluationsprozess
Zu Beginn wollen wir Ihnen vier Grundregeln zur Evaluation mitgegeben, die sich für
uns, nach mittlerweile 20 Jahren Evaluationserfahrung in Unternehmen, als sinnvoll
und wichtig, herauskristallisiert haben:
1. Die Evaluation einer PE-Maßnahme nicht im letzten Drittel der Entwicklung kon-
zipieren und realisieren, sondern zu Beginn! Nur so kann sichergestellt werden,
dass die Evaluation wirklich als Planungs-, Entwicklungs- und Entscheidungsinst-
rumentarium für Ihre PE-Maßnahme wirksam werden kann.
2. Nur Ausschnitte einer PE-Maßnahme evaluieren, die in enger Anbindung an die ex-
plizit definierten Ziele der Evaluation stehen. Weniger ist mehr! Fokussieren Sie
sich wirklich auf Ihre Kernanliegen.
3. Erheben Sie insbesondere die Dinge, die Sie auch wirklich beeinflussen können
und nicht Dinge, die sowieso gegeben sind. So können Sie anschließend Frustra-
tion bei den Befragten und Auftraggeber:innen verhindern. Sie wollen schließlich
364 | 5 Schritt 4: Transfer und Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen
7. Veröffentlichung
1. Planen
der Ergebnisse
6. Anpassung 2. Instrumente
des Kurses bereitstellen
4. Daten analysieren
Die Ergebnisse einer Phase sind die Voraussetzung für den Beginn der nächsten Pha-
se. Die sieben Phasen (s. Abb. 46) sollten nacheinander durchlaufen werden. Dabei
ist zu beachten, dass die Selektion der Messkriterien (z. B. Fachkompetenzen, Unter-
nehmertum, Veränderungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit, Kundenorientierung, Füh-
rungsstil) unbedingt mit den Zielen der PE-Maßnahme übereinstimmen und adäquate
Instrumente (Fragebogen, Beobachtungsbogen, Logfiles usw.) gewählt werden, weil
beides wesentlich die nachfolgenden Phasen beeinflusst und insbesondere die Aus-
sagekraft der Auswertung mitbestimmen. So ist z. B. die Wahrscheinlichkeit, dass Sie
die nachhaltige Wirkung (z. B. besseres Konfliktverhalten, höhere Empathie) von einer
Trainingsmaßnahme von 2 Stunden und 5 Teilnehmer:innen zeigen können, ist äu-
ßerst gering, aber die subjektive Zufriedenheit der Teilnehmer:innen kann sehr wohl
gut erfasst und für die Gestaltung der Trainingsmaßnahme (z. B. Auswahl der Trai-
ner:in, Setzung von Trainingsschwerpunkten) verwendet werden.
5.3 Evaluationsprozess | 365
Die nachfolgende Checkliste gibt Ihnen einen kurzen Überblick über die Evaluationspha-
sen und deren möglichen Inhalte, auf die wir anschließend detaillierter eingehen werden.
Grundlagen
Zeit Elemente
t1 Anthropogene Teilnehmer:in
Bedingungen y kognitive Faktoren (Vorwissen, Lernkompetenz, Medienkompe-
tenz, Merkfähigkeit)
y affektive Faktoren (Stimmung, Temperament)
y motivationale Faktoren (Neugier, Wille, Interesse)
Phase 3: Datenerhebung
y Fachkompetenz y Benutzerakzeptanz
y Methodenkompetenz y Benutzerfreundlichkeit
y Sozialkompetenz y Vollständigkeit der Funktio-
y Personalkompetenz nalitäten
y Transfer
Phase 4: Datenanalyse
5.3.1 Phase 1: Planen
Randbedingungen für eine Evaluation
y Welche Lernkultur prägt das Unternehmen?
y Welche zeitlichen, personalen, technischen und räumlichen Ressourcen stehen
für die Evaluation zur Verfügung?
y Welche Art von Messung/Daten wünschen Sie sich (subjektive Selbsteinschätzun-
gen / objektive Messungen) für die verschiedenen Bereiche?
y Hat die Evaluation eine Legitimations- und/oder eine Optimierungsfunktion?
Ziele der Evaluation
y Welche Bereiche wollen Sie in der Evaluation untersuchen?
Dabei können Sie grundsätzlich drei verschiedene Aspekte genauer anschauen.
– Lernsystem / Learning Management System / Content Management System
usw.
– Didaktische Gestaltung, Lehr-Lern- und Kooperationsprozesse
– Lerneffekte und -Outcomes
1. Lernsystem
Bei der Lernsystemgestaltung beschäftigt man sich mit der Navigation, dem Screen
Design (Farbe, Schrift, Bilder, Layout) und der Gestaltung der Lehr- und Lernmittel
(Texte, Abbilder, Animation, Ton und Sprache), die in einer PE-Maßnahme zum Einsatz
kommen.
Für die Navigation können Antworten auf die folgenden Fragen für die Kursstrukturie-
rung hilfreich sein:
y Wo befinde ich mich?
y Wo kann ich hingehen?
y Wie gelange ich dorthin?
y Wie komme ich dorthin, wo ich schon war? (Flemming, 1998)
Für das Screen Design gibt es Richtlinien (z. B. Thissen, 2003) und ebenso für die Auf-
bereitung von Lehrmaterial (z. B. Ballstaedt, 1997). Am einfachsten folgen Sie den
Empfehlungen Ihres Anbieters mit »standardisierten Vorlagen«. Je individueller Sie
die verschiedenen Angebote in der Navigation strukturieren, desto schwieriger wird
es für die Benutzer:in, weil sie sich jedes Mal neu orientieren muss. Das Ganze lässt
sich gut an einem Auto verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, Sie müssen jedes Mal ge-
5.3 Evaluationsprozess | 367
nau schauen, wo sich die Geschwindigkeitsanzeige, das Zündschluss, der Blinker usw.
befindet, wenn Sie in ein anderes Fahrzeug steigen. Das erschwert das Autofahren
enorm und kann zu unangenehmen Fehlern führen. Am besten folgen Sie dem Grund-
satz »Alles immer am selben Ort und weniger ist mehr!«, das vereinfacht die Orientie-
rung für die Benutzer:in.
Es gibt auch eine Vielzahl an Open Source LMS Angeboten z. B. OLAT https://
confluence.openolat.org/, Moodle https://moodle.org/; Ilias https://www.ilias.de, die
Sie in Ihrem Unternehmen einsetzen können.
2. Didaktische Gestaltung
In der didaktischen Gestaltung können Sie sich mit den Lernaufgaben auseinander-
setzten, die sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Die wesentlichen Konstruk-
tionselemente, die Sie evaluieren können, sind die Folgenden:
y Lehr-Lernziele (deklarativer und/oder prozeduraler Art)
y Anzahl und Voraussetzungen der Teilnehmer:innen als wesentliche Ausgangsva-
riablen für die Konzeption der Evaluation
y Inhalte
y Vorgesehene Lernaktivitäten (individuell und/oder kooperativ)
y Zeitraum der Lernaktivität
y Erwartete Ergebnisse
y Technische Realisierung
y Abfolge der Lernaufgaben
y Arbeitsaufwand
y Eventuelle Bewertungskriterien
Das letzte Element, welches sich aus dem Wechselspiel von Lernaufgaben – Trai-
ner:in ergibt, sind die Lehr-, Lern- und Kooperationsprozesse. Bei diesen wird zum
einen die Qualität der individuellen oder kooperativen Lernaufgaben im konkreten
Gebrauch untersucht, zum andern die Anforderungen an die Unterstützung dieser
Lernprozesse.
y Wie nutzen die Teilnehmer:innen die Lernangebote? Wie sehen die Lernaktivitäten
aus? Was tun die Teilnehmer:innen?
368 | 5 Schritt 4: Transfer und Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen
3. Lerneffekte und -outcome
Bei den Lerneffekten geht es überwiegend um summative Elemente der Evaluation,
also die Messung von Auswirkungen der Maßnahme.
y Welche Effekte – durch subjektive oder objektive Messung – erwarten Sie für den
Lernoutcome auf verschiedenen Kompetenzebenen (s. Taxonomie von z. B. An-
dersen & Krathwohl, 2001)?
y Wie hoch ist die Akzeptanz des Kurses? Wie hoch war die Motivation während des
Kurses?
y Welche Leistungen müssen für das Bestehen der PE-Maßnahme erbracht werden
(bewertete Abschlussarbeit, Diskussionsbeiträge im Training, Bearbeitung einer
Fallstudie, arbeitsbezogenes Projekt durchführen usw.)?
y Führen Sie am Ende eine schriftliche oder mündliche Abschlussprüfung für das
Training durch?
– Wie sieht diese aus?
– Welche der Kompetenzfelder messen Sie?
Wie schon im Kapitel 2.3.2 »Psychometrische Verfahren« wollen wir hier keine Emp-
fehlungen für bestimmte Instrumente abgeben, weil immer bestimmte Vor- und
Nachteile gegeneinander abgewogen werden müssen. Eine Matrix mit spezifischen
Vor- und Nachteilen und deren Gewichtung in Bezug auf das Erreichen der Evalua-
tionsziele kann Ihnen die Entscheidung vereinfachen.
Auf der Grundlage Ihrer Ziele können Sie geeignete Instrumente z. B. in folgenden
»Quellen« finden:
5.3 Evaluationsprozess | 369
Sie sollten bei der Selektion der Instrumente erprobte und validierte Verfahren ein-
setzen. Dadurch lässt sich die Qualität der Erhebung und die Wirkung der eigenen
Untersuchung deutlich verbessern. Bitte versuchen Sie nicht, das Rad zum xten Mal
neu zu erfinden, sondern nutzen Sie Bestehendes. Die Entwicklung eines guten Mess-
instrumentes nimmt normalerweise mehrere Jahre in Anspruch und diesen Aufwand
können Sie sich sparen. Messen Sie lieber weniger Aspekte, dafür solide, als vieles
gleichzeitig, dafür aber oberflächlich. So ist die Interpretation der Ergebnisse zuver-
lässiger und Sie können fundierte Ableitungen daraus machen.
Der Abschlussbericht sollte alle wichtigen Phasen der Evaluation und insbesondere
eine Zusammenfassung des Vorgehens, der Ergebnisse und einen PE-Maßnahmenop-
timierungssteil enthalten.
Der Abschlussbericht sollte unbedingt allen Beteiligten der Evaluation (z. B. teilge-
nommene Mitarbeiter:innen) zur Verfügung gestellt werden. Je nach Umfang reicht
auf einen Foliensatz mit den zentralen Erkenntnissen.
Das Rahmenmodel CIELT »Concept and Instruments for Evaluation of Learning Tools«
(Grund, Windlinger, Grote & Totter 2004) beinhaltet die verschiedenartigen Voraus-
setzungen, die gegeben sein müssen, damit eine gezielte Evaluation von Lerntech-
nologien und Lernsettings durchgeführt werden kann, die dann die gewünschte
Aussagekraft hat (s. Abb. 47). In Kapitel 5.2 sprachen wir in diesem Zusammenhang
von den drei unterschiedlichen Wirkungsanalysen, die man durchführen kann: input-
bezogen, prozessbezogen oder outputbezogen.
1. Prototypen Test
Abb. 47: Concept and Instruments for Evaluation of Learning Tools (CIELT)
Den Ausgangspunkt (Schritt 1) stellt die Systemdefinition und der erste Mock-up (z. B.
aus Papier oder Pappe) dar, welcher Prototypentests auf der Ebene von Bildschirm-
anordnungen und einen »cognitive walk-through« durch die Lernsystemfunktionali-
täten ermöglicht.
In der nächsten Phase (Schritt 2) sind Systemstabilität und Zugänglichkeit über ver-
schiedene Browser mit einem technischen Support gekoppelt, der die grundsätzliche
Nutzung des Lernsystems gewährleistet und Usability-Analysen ermöglicht.
Darauf baut die Akzeptanz des Lernmediums (Schritt 3) und der curricularen Einbet-
tung im beruflichen Alltag oder in eine längere Weiterbildung auf. Davon ist abhängig,
inwieweit die Anwender:in gewillt ist, das Lernsystem zu nutzen bzw. auf alternatives
Lehrmaterial und Aufgaben zurückzugreifen, um sich den angegebenen Stoff anzu-
eignen. Daraus ergibt sich ein spezifisches, empirisch beobachtbares Nutzerverhal-
ten. Idealerweise findet anschließend eine nach dem didaktischen und methodischen
Konzept der Entwickler:innen realisierte Systemnutzung (Schritt 4) statt, welche erst
entsprechende Untersuchungen von individuellen und kollaborativen Lernprozessen
und -effekten erlaubt.
Abschließend (Schritt 5) ist die längere Dauer des Einsatzes und die Nutzung des neu-
en Lernsystems Voraussetzung dafür, dass sich Veränderungen auf organisationaler
und kultureller Ebene untersuchen lassen.
Kurs in Mathematik. Für diesen Kurs werden sowohl die Inhalte als auch deren
Bearbeitungsart (Gruppen- oder Einzelaufgaben) und die zu verwendende media-
le Aufbereitung (Animation, Simulation, Grafik etc.) festgelegt. Kleine Testeinhei-
ten und die Nutzeroberfläche werden entwickelt bzw. definiert.
2. Unterrichten von ersten Kurseinheiten: Jetzt stehen die ersten vollständigen
Kurselemente zur Verfügung und werden im Unterricht/Training prototypisch ein-
gesetzt.
3. Unterrichten eines gesamten Kurses: Der Kurs ist vollständig fertig und kann
mindestens über den Zeitraum von einem Semester unterrichtet werden.
4. Langfristige Implementierung des Kurses in der Bildungsinstitution oder dem
Unternehmen: Der Kurs und die dazu notwendigen Medien sind ein dauerhafter
Bestandteil der Organisation.
Dauerhafte
Organisationale Aspekte Implementierung des
Sozio-technische
5 Veränderung der Lehrtätigkeit Systems in der
Systemanalyse
und Lernkultur Bildungsinstitution oder
im Unternehmen
Konzeptorientierte User Behavior Tool
Individuelle Lernergebnisse
Nutzung des Lernsystems Offline-Verhaltenskodierung
4 Förderung von Kooperation und
im realen Kontext mit Online-Verhaltenskodierung
Kommunikation
längerfristigen Kursen Logfile
Das System kann vom Nutzertagebuch
Nutzerakzeptanz
Nutzer über einige Coaching-Tagebuch
Zufriedenheit
3 Stunden erprobt werden Coaching-Fragebogen
Systemnutzung mit dem Schwer-
und ausreichend Inhalt Learning Tool
punkt auf Systemkomponenten
ist vorhanden Gesamtbeurteilung
Das System verfügt über
ausreichend Usability Tool
2 Benutzerfreundlichkeit/-
Benutzbarkeit Systemstabilität und Usability-Fragebogen
Zugänglichkeit
User Participation Tool
Definition der Zielgruppe und Der
Anwendungszweck
1 Nutzerprofile-
Systemfunktionalitäten ist definiert
Fragebogen
Unterrichten von ersten Dauerhafte
Unterrichten eines
EPM zielt darauf ab, ein ganzheitlicheres Bild mit angenommenen Ursache-Wirkungs-
Beziehungen und daraus abgeleiteten Maßnahmen zu entwerfen und Management-
glaubenssätze kritisch zu hinterfragen bzw. zu prüfen. EPM soll ermöglichen, sowohl
personenbezogene als auch situationsbezogene Ressourcen, Handlungsbedarfe und
Wirkmechanismen aufzuzeigen, die die Entwicklung wirksamer Interventionen sicher-
stellen. Diese Transparenz ist aber häufig noch nicht gewünscht, weil eine wirklich of-
fene, unterstellungsfreie Kommunikations- und Diskussionskultur insbesondere über
kritische Themen und Herausforderungen fehlt. Unsere Erfahrung zeigt, dass gute Er-
gebnisse vom Management vermarktet und bei kritischen Werten die Datenerhebung
und analyse und deren Aussagekraft in Frage gestellt werden, weil sie nicht mit dem
Managementselbstbild bzw. impliziten Glaubenssätzen zu Erfolgs- und Misserfolgs-
mechanismen korrespondieren. Im Sinne einer lernenden Organisation ist die Etab-
lierung einer konstruktiv-kritischen Diskussionskultur jedoch essenziell für das EPM.
Wir verstehen Evidenzbasiertes People Management als einen auf einer strukturier-
ten Datengrundlage und -analyse beruhenden Prozess, der – soweit möglich – auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen stützt. Die Erkenntnisse werden
für die Entwicklung und Evaluation zielgerichteter Personal-/Organisationsentwick-
lungsstrategien und -maßnahmen genutzt, sowohl auf der strategischen als auch der
operativen Ebene. Das übergeordnete Ziel des gesamten Vorgehens ist die Implemen-
tierung von wirksamen Maßnahmen, die die intendierten Effekte zeigen (z. B. gesün-
dere Mitarbeiter:innen, innovativere Teams, geringere Durchlaufzeiten). Es geht nicht,
wie häufig falsch verstanden, um die Analyse von Daten als Selbstzweck.
Je nach Fragestellung steht die eine oder andere EPM-Säule oder alle im Vordergrund
Ihrer Arbeit.
EPM zielt darauf ab, die Nutzung und Wirkung bestehender Personalinstrumente zu
zeigen und Verhaltensprognosemodelle über Mitarbeiter:innen zu entwickeln, die
die Entwicklung wirksamer Interventionen auf individueller Ebene/verhaltensbasiert
(z. B. Training, Coaching, Mentoring, Performancegespräch) oder situativer Ebene/
verhältnisbasiert (z. B. differenzierte Arbeitsgestaltung mit hohem Handlungsspiel-
raum, Einführung agiler Arbeitsmethoden) ermöglichen. Diese verschiedenen Ziele
von EPM sind in Abbildung 49 grafisch verdeutlicht.
Gezieltes Training
Training mit wirksamen Inhalten und den wirklich Betroffenen
Arbeitsgestaltung
Reduktion von Stress durch die Erhöhung von Handlungsspielraum
Abb. 50: Wie funktioniert Evidenzbasiertes People Management (EPM)? (© doc./ertragswerkstatt GmbH)
EPM durchläuft ähnliche Phasen wie der von uns beschriebene Zyklus für die Perso-
nalentwicklung (s. Kapitel 1.4 »Prozessmodell der Personalentwicklung«). Der ent-
scheidende Unterschied ist, dass in allen Schritten versucht wird, anhand der im
Unternehmen vorhandenen Daten und wissenschaftlicher Erkenntnisse eine wesent-
lich umfangreichere und komplexere »Zahlenbasis« für fundierte Analysen und Ent-
scheidungen zu schaffen, die in wirksamen Interventionen mündet.
Damit Sie sich EPM noch besser vorstellen können, haben wir im Folgenden unter-
schiedlichste Praxisbeispiele aufgeführt, die sich an der Grundlogik von Ulich (2011)
zur Analyse, Bewertung und Gestaltung von Arbeitssystemen orientiert.
PE-Themenbeispiele Mitarbeitergespräch
PE-Themenbeispiele Mitarbeitergespräch
PE-Themenbeispiele Führungsentwicklung
Tab. 50: Wie sieht EPM konkret aus? Beispiel Betriebliches Gesundheitsmanagement
Tab. 51: Wie sieht EPM konkret aus? Beispiel Berufliche Entwicklung
PE-Themenbeispiele Trainingsangebote
PE-Fragestellung 1. Wer nutzt unsere Trainingsangebote?
2. Welche Trainingsinhalte sollten wir anbieten?
3. Wie soll man die Zielgruppen ansprechen?
Daten Mitarbeitergesprächsdaten, Kursnutzung über mehrere Jahre, Alter
Analyseergebnisse Je älter die Mitarbeiter:innen sind, desto weniger nehmen sie an Kurs-
angeboten der Personalentwicklung teil. Darüber hinaus verlassen ins-
besondere »ältere« Mitarbeiter:innen Führungspositionen.
Praktische Trainingsinhalte werden gezielt auf die »älteren« Mitarbeiter:innen aus-
PE- Konsequenzen richtet, und diese werden über entsprechende Ausschreibungen spezifisch
angesprochen. Die Führungserfahrung von »älteren« Mitarbeiter:innen
werden gesichert, z. B. durch eine Mentorenfunktion in der Organisation.
Im folgenden Kapitel 6.2 werden die einzelnen Prozessschritte von EPM ausführlich
dargelegt.
Zu Beginn steht die Frage, welches Ziel, welche Wirkung Sie mit dem EPM-Vorgehen
erreichen möchten. Geben Sie sich bei der Zielklärung bitte nicht mit allgemeinen
und unspezifischen Managementaussagen der Auftraggeber:in zufrieden, wie z. B.
»Das Unternehmen erfolgreicher machen«, »Kosten sparen«, »agiler werden«, »gesun-
de Mitarbeiter:innen gewährleisten«, sondern arbeiten Sie konkret heraus, was sich
genau verändern soll oder welche Wirkung erzielt werden soll und warum (Beispiele:
»DB2 verbessern, um marktfähig zu bleiben«, »Abstimmungsaufwand zwischen zwei
Organisationseinheiten reduzieren, um Kosten einzusparen«, »Time to market für
das Produkt x verbessern, um Markanteile halten zu können«, »Kurzzeitabsenzen der
Mitarbeiter:innen auf x Tage reduzieren, zur Verbesserung der Arbeitgeberattraktivi-
tät«). Nur so können Sie sicherstellen, dass das gesamte weitere Vorgehen auf sichere
Füße gestellt wird und Sie mit den entsprechenden Analysen und Interventionen eine
hohe Wahrscheinlichkeit generieren, die gewünschten Ziele oder die Wirkung zu errei-
chen. Im nächsten Schritt schauen Sie im Unternehmen, welche sinnvoll passenden
Daten (Phase 1: Daten analysieren) schon in Ihrem Unternehmen vorliegen, die Ihnen
zur Beantwortung der Frage helfen könnten. Anschließend werden diese Daten um
weitere Daten ergänzt, z. B. mittels verschiedener Analyseverfahren (s. dazu Kapitel
2 »Analyse des Personalentwicklungsbedarfs«). Diese unterschiedlichen Daten wer-
den dann nicht, wie häufig üblich, einfach nebeneinandergelegt und in gemeinsamen
Sitzungen mit »Augenscheinzusammenhänge« versehen, sondern statistisch ana-
lysiert, damit man die vorhandenen Zusammenhänge und Stellhebel herausfindet.
Basierend darauf erfolgt die zielgruppenadäquate Visualisierung und Interpretation
(Phase 2: Informationen bewerten) der Ergebnisse. Diese Interpretation benötigt fun-
diertes Fach- und Kontextwissen. So bedeuten statistisch signifikante Unterschiede
noch lange nicht, dass sie für das Unternehmen eine praktische Relevanz (»ökologi-
sche Validität von Ergebnissen«) haben, weil z. B. die Signifikanz auf eine enorm große
Stichprobe von 100.000 Mitarbeiter:innen zurückzuführen ist. Niedrige absolute Wer-
te können durch die Umwelt und nicht durch die Personen verursacht sein, auch wenn
man die Relevanz der Person statistisch aufzeigen kann. Auf der anderen Seite können
auch vermeintlich geringe Zusammenhänge von hoher praktischer Bedeutung für das
Unternehmen sein, wenn damit z. B. große Gesundheitsrisiken mit Folgeschäden ver-
bunden sind. Anschließend werden wirksame PE-Maßnahmen (Phase 3: Interventio-
nen designen) entwickelt, durchgeführt und auf ihre Wirkung hin evaluiert. Abbildung
51 zeigt Ihnen den Gesamtprozess auf.
Daten analysieren Informationen bewerten Intervention designen
1. Was will ich 2. Welche 3. Welche Daten 4. Was sagen 5. Wie bereite 6. Welche 7. Was tue ich 8. Wie gehe ich vor? 9. Was habe ich
erreichen? Daten habe brauche ich? mir ich die Daten Informationen konkret mit den erreicht?
ich? die Daten? verständlich stecken in den neu gewonnenem
auf? Daten? Informationen?
Kernfragen bearbeiten.
Ziel/ Daten-
Daten- Daten- Visuali- Evidenzbasierte Prozessbegleitung Maßnahmen-
gewünschte interpretation/
srceening analyse sierung Massnahmen bei der Umsetzung evaluation
Wirkung -coaching
Daten-
anreicherung
Wir wollen nun die einzelnen Schritte detailliert anschauen und mittels der jeweiligen
6.2 Die Vorgehensweise von EPM im Detail | 385
Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es eine Vielzahl von Daten, die in Ihrem Unterneh-
men erhoben oder dokumentiert werden (s. Tab. 53).
Kundendaten
y NPS (Net Promoter Score)
y Kundenzufriedenheit
y …
All diese Daten werden in den meisten Fällen aufgrund bestimmter Zielsetzungen
(Lohnerhöhung, Bonus, KPIs) im Unternehmen erhoben. Die verschiedenen Funktionen
dieser Daten im Unternehmen werden wir im nächsten Abschnitt näher beleuchten.
Es lassen sich grundsätzlich drei zentrale Funktionen der Datenerhebung und -nutzung
unterscheiden, die wir schon im Kapitel 5.1 »Funktionen von Evaluation« ausgeführt haben.
An dieser Stelle wollen wir sie jedoch bewusst nochmals aufgreifen und stärker in einen
Gesamtunternehmenskontext setzen, weil sie von zentraler Bedeutung für das EPM sind.
Es ist wichtig, die Funktionen aus den verschiedenen Rollen einer Person, Abteilung usw. in
einem Unternehmen zu reflektieren, um die gezielte Nutzung der Daten frühzeitig zu klären.
Wenn Sie sich mit den Daten aus Ihrem Unternehmen beschäftigen, fragen Sie sich
bitte ganz ehrlich, mit welcher Absicht Sie das tun und welche Funktion/en (1. Legi-
timation, 2. Kontrolle, 3. Optimierung) die Daten für Sie haben. Dabei kann es durch-
aus sein, dass dies verschiedene Funktionen sind. Stellen Sie sich diese Fragen, bevor
Sie mit der Datenerhebung, -analyse oder publikation beginnen. Nur so können Sie
sicherstellen, dass Sie die verschiedenen Datennutzungsszenarien und die davon Be-
troffenen (wie z. B. die Mitarbeiter:innen als Dateneigner) angemessen informieren,
berücksichtigen oder sogar aktiv beteiligen.
Im nächsten Schritt geht es um die Identifikation von Datenlücken, die für die Beant-
wortung Ihrer Fragen von Bedeutung sind.
nicht pauschal beantworten, sondern sie hängt jeweils von Ihren Fragestellungen und
Herausforderungen ab. Hier kann es hilfreich sein, mit folgenden Fragen zu arbeiten.
y Welche Fragen will ich konkret mit den Daten beantworten, welche Ziele will ich
erreichen?
y Welche Probleme und Herausforderungen will ich mit den Daten analysieren oder
besser verstehen?
y Welche zentralen Einflussfaktoren wie z. B. Markt, Umwelt, Organisation (Struktu-
ren, Prozesse, Kultur), Mitarbeiter:innen und Kunden halte ich für die Problemana-
lyse und bewältigung für relevant?
y Welche Rolle spielen diese Einflussfaktoren?
Ergänzen Sie Daten, die Sie für relevant halten. Das kann z. B. bedeuten, zusätzliche Daten
via Umfrage bei Mitarbeiter:innen oder Kunden zu erheben oder sich externe Kennzahlen
zu organisieren. Gerade hier ist es wichtig, sich auch mit den wissenschaftlichen Erkennt-
nissen zu beschäftigen. So gibt es z. B. sehr fundierte Zusammenhänge zwischen Arbeit
und Gesundheit (Grebner et al., 2010; Kivimäki et al., 2012), dem Einfluss von HR-Arbeit
auf Produktivität und andere Unternehmensbereiche (Huselid, 1995), die Relevanz von
Führungskräften für die Entwicklung einer Konfliktkultur (Gelfand et al., 2012) oder Stu-
dien, die zur kritischen Reflexion der eigenen Personalarbeit anregen und zeigen, wie
wenig man sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse abstützt (Rynes et al., 2002).
Ziel der gesamten Phase ist es, ein möglichst umfangreiches Bild zu erhalten und da-
mit in der Analyse die zentralen Stellhebel zu identifizieren. Bevor Sie zum nächsten
Schritt der Datenanalyse übergehen, ist es hilfreich, die ausgewählten Daten in einen
für Sie stimmiges Ursache-Wirkungs-Modell zu überführen und dabei deutlich zu ma-
chen, welchen Variablentyp Sie den verschiedenen Daten zuordnen, die hier nun ge-
nauer beschrieben werden.
1. Unabhängige Variable (UV): Variable X, die systematisch variiert wird und auf die
abhängige Variable Z eine Wirkung erzeugt (z. B. Führungsstil, Lohn, Strategie,
arbeitsbezogene Stressoren).
2. Abhängige Variable (AV): Variable Y, die durch die unabhängige Variable X beein-
flusst wird (z. B. Unternehmensumsatz, Absenztage, Teamleistung, Kundenzufrie-
denheit, Veränderungsbereitschaft).
3. Intervenierende Variablen (IV) als
a) Moderatoren: Die Beziehung zwischen X und Y wird durch Z moderiert, so dass
die Stärke des Zusammenhangs zwischen X und Y von den Ausprägungen von
Z abhängt. Beispielsweise wird bei hohen arbeitsbezogenen Stressoren und
hohem Handlungsspielraum die negative Wirkung auf das Wohlbefinden ge-
ringer ausfallen als bei niedrigem Handlungsspielraum.
b) Mediatoren: Z mediiert die Beziehung zwischen X und Y so, dass XZ verursacht und
Z wiederum auf Y wirkt. Beispielsweise bewirkt das Coaching die Verbesserung der
Selbstwirksamkeitserwartung, was sich positiv auf den Coachingerfolg auswirkt.
388 | 6 HR-Analytics: Evidenzbasierte Personal- und Organisationsentwicklung
Mediator (IV):
Alter
Kontrollvariable:
Anstellungsprozente
Mit diesem Vorgehen ist sichergestellt, dass alle möglicherweise wichtigen Faktoren
und deren Zusammenhangsannahmen berücksichtigt werden.
Neben der Analyse selbst ist die Aufbereitung solcher Analysen für die verschiedenen
Zielgruppen (Geschäfts-, Abteilungs-, Teamleitung oder Mitarbeiter:innen) von zentra-
ler Bedeutung, weshalb wir uns im nächsten Schritt näher damit beschäftigen.
Entscheidend ist, dass Sie Erkenntnisse einfach und grafisch anschaulich darstellen.
Stellen Sie nicht jedes Detailergebnis dar. Arbeiten Sie die Kernergebnisse und zent-
ralen Aussagen zielgruppenspezifisch heraus und untermauern Sie diese mit einigen
wenigen, prägnanten Daten, die sich optimalerweise direkt auf die tägliche Arbeit der
Zielgruppen beziehen. Dadurch haben Sie einen möglichst kleinen Transferabstand
in deren Arbeitsrealität und erhöhen das Verständnis für Ihre Datenanalyse. Die eben
besprochene Datenaufbereitung ist ein wichtiger Teil.
die Auswahl der Ergebnisse immer durch implizite oder explizite Annahmen gesteuert
wird und somit schon eine Vorselektion stattfindet.
Wie würde es Ihnen z. B. gehen, wenn Sie der oder die Verantwortliche für das Betrieb-
liche Gesundheitsmanagement (BGM) in Ihrem Unternehmen sind und feststellen,
dass es bei Ihnen keinen Zusammenhang zwischen Ihren BGM-Maßnahmen und der
Verbesserung des Gesundheitszustandes Ihrer Mitarbeiter:innen gibt? Was soll man
nun der Geschäftsleitung zurückmelden, die viel Geld für die BGM-Maßnahmen be-
reitgestellt hat? Wie wird man dastehen? Glaubt man Ihrer Expertise noch? Man muss
sich ja schließlich auch gegenüber der Geschäftsleitung legitimieren. An dieser Stel-
le haben wir leider oft feststellen müssen, dass derartige Ergebnisse stark relativiert
oder nicht zurückgemeldet werden. Das heißt: Entsprechen die Ergebnisse meinen
Erwartungen und Annahmen, dann werde ich sie ganz sicher im Unternehmen kom-
munizieren. Entsprechen sie nicht meinen Erwartungen und Annahmen, dann wer-
den sie häufig nicht kommuniziert oder die Datenerhebung und -analyse usw. werden
angezweifelt. Hier kommen zwei wichtige Mechanismen ins Spiel: Erstens die Legiti-
mation seiner eigenen Arbeit gegenüber anderen (»Es kann doch einfach nicht sein,
dass man damit keinen Effekt erwirkt hat. Wie steht man nun gegenüber den ande-
ren da?«). Zweitens versuchen wir, kognitive Dissonanz (Erwartungen und Ergebnis
stimmen nicht überein) zu vermeiden, weil unser Gehirn ein konsistentes Weltbild als
angenehmer empfindet. Mit Widersprüchen und Vieldeutigkeit setzen wir uns ungern
auseinander. Wir möchten Sie deshalb ermutigen: Stellen Sie sich einfach dem Phä-
nomen und nehmen Sie es als eine sportliche Herausforderung an, nicht als Kritik an
Ihrer Kompetenz. Kommunizieren Sie die Ergebnisse wie sie sind und überlegen Sie
gemeinsam im Unternehmen sinnvolle nächste Interventionen.
An dieser Stelle möchten wir noch auf das Thema Benchmark eingehen, denn bei der
Ergebnispräsentationen von Mitarbeiterbefragungen, Fluktuation, Net Promoter Sco-
re etc. sind Sie oft damit konfrontiert. Dabei müssen Sie folgende Fragen beantwor-
ten: »Wie sieht der Benchmark aus? Sind wir über oder unter dem Benchmark? Wie
sieht es bei der Konkurrenz aus?«. In vielen Fällen sind in den Ergebnisberichten für
die Geschäftsleitung, die Führung oder die Mitarbeiter:innen Benchmarks ausgewie-
sen. Was passiert, wenn man mit solchen Zahlen konfrontiert wird? Das hängt davon
ab, wie die eigenen Daten als Teamleitung, Management-Team, Geschäftsleitung oder
Gesamtorganisation im Vergleich zum internen/externen Benchmark stehen. Drei Va-
rianten sind denkbar:
1. Eigene Auswertung liegt über dem Benchmark.
2. Eigene Auswertung liegt genau im Mittel des Benchmarks.
3. Eigene Auswertung liegt deutlich unter dem Benchmark.
Wenn man über dem Benchmark liegt, klopft man sich auf die Schulter, lehnt sich
zurück und hat viele personenbezogenen Erklärungen für den »Erfolg«, der häufig
6.2 Die Vorgehensweise von EPM im Detail | 391
entsprechend gefeiert und kommuniziert wird. Liegt man auf Höhe des Benchmarks
oder darunter, werden Erklärungen in der Umwelt gesucht bzw. man macht sich auf
die Suche nach Schuldigen. In allen drei Situation ist man extrinsisch motiviert oder
eben gar nicht mehr motiviert für eine Weiterentwicklung. Wir halten das für eine
ungünstige Incentivierung und Aufmerksamkeitsfokussierung, weil zum einen die
Ergebnisvarianz, in den meisten Fällen, innerhalb einer Organisation wesentlich
größer als zwischen Organisationen ist, d. h. wir finden im eigenen Unternehmen
Top-Teams oder Führungskräfte, von denen man lernen könnte. Zum anderen sind
Benchmarks inhaltlich kritisch zu hinterfragen. Werden hier nicht Äpfel mit Birnen
verglichen, wenn man z. B. von der Versicherungsbranche spricht? Ist ein deutscher
Versicherer mit einem amerikanischen Versicherer vergleichbar hinsichtlich Unter-
nehmensstrategie, Führungskultur, Lohnpolitik, Ausbildungsstand, Arbeitsprozes-
sen etc.?
Lassen Sie uns das an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Sie haben als lei-
tende Personalentwickler:in herausgefunden, dass großer aufgabengezogener Stress
einen bedeutsamen Zusammenhang mit Absenzen im Unternehmen aufweist. Nun
haben Sie alle Daten zu aufgabenbezogenem Stress pro Team vorliegen und stellen
fest, dass viele der Teams mit hohem aufgabenbezogenem Stress aus einem bestimm-
ten Geschäftsbereich kommen und dass das entsprechende Geschäftsleitungsmit-
392 | 6 HR-Analytics: Evidenzbasierte Personal- und Organisationsentwicklung
Als Personalentwickler:in liegen für Sie sowohl verhaltens- als auch verhältnisbezogene
PE-/OE-Maßnahmen gegen aufgabenbezogenen Stress auf der Hand. Diese könnten Sie
nun einfach vorschlagen und in Windeseile implementieren. Aber halt, es stellen sich
nun noch einige Fragen, die dringend zu klären sind und mit Ihrem Rollenverständnis
als Personalentwickler:in und der Evolutionsstufe der Personalentwicklung im Unter-
nehmen zu tun haben! Die Fragen führen uns zum achten Schritt des EPM-Prozesses.
Wenn nun die entsprechenden PE-Maßnahmen implementiert sind, gilt es, diese ab-
schließend zu evaluieren und die folgende Frage zu beantworten.
Wir möchten die Beschreibung des grundsätzlichen Vorgehens im EPM nicht ohne eine
kurze Gegenüberstellung der Chancen und Risiken schließen.
6.3.1 EPM als Chance
6.3.2 EPM als Risiko
y Die Transparenz über die Leistungen des HR kann dazu führen, dass z. B. aufgrund
ineffizienter Trainings gezielt Kritik geübt wird.
y Fehlendes – insbesondere statistisches – Know-how erhöht die Gefahr der Fehl-
interpretation von Datenanalysen.
y Eine blinde Zahlengläubigkeit entsteht und Fehlentscheidungen werden gefällt.
y Intuition und Bauchentscheidungen haben keinen Platz mehr in der Organisation.
y Die Datenbasiertheit führt dazu, dass man schnell Schuldige sucht (»Welcher
Unternehmensbereich hat denn im Vergleich zu den anderen die schlechtesten
Zahlen? Und wer ist der Verantwortliche in diesem Bereich?«).
y Datenschutz ist nicht mehr vollständig gesichert und eine gläserne Mitarbei-
ter:in entsteht, die unter rein ökonomischen Aspekten optimiert wird. Auf die-
ses Thema gehen wir im folgenden Kapitel 6.3.3 ausführlicher ein, da dieses
unserer Wahrnehmung nach in einer Big-Data-Welt ein richtungsweisendes
Thema ist.
y …
6.3.3 Umgang mit Daten
An dieser Stelle möchten wir Sie für den Umgang mit Daten sensibilisieren. Stellen
Sie sich vor, Sie kennen alle relevanten individuellen Einflussfaktoren auf den Unter-
nehmenserfolg und deren Abhängigkeiten untereinander. Darüber hinaus kennen Sie
den Status Ihrer Mitarbeiter:innen in Bezug auf die Ausprägungen der individuellen
Einflussfaktoren und können als Personalentwicklungsverantwortlicher mit jeder der
Mitarbeiter:innen Maßnahmen einleiten, die Sie aufgrund Ihrer Analysen für sinnvoll
halten. Das kann Ihnen entweder wie ein Horrorszenario aus »Schöne neue Welt« von
Aldous Huxley vorkommen oder auch, im Gegenteil, wie das Paradies für eine Perso-
nalentwickler:in. Im Rahmen der ungemein schnell zunehmenden Vernetzung und
Digitalisierung werden heute von Suchmaschinenanbietern, sozialen Netzwerken
und anderen Dienstleistungsanbietern im Hintergrund differenzierte Profile von uns
erstellt, ohne dass wir wirklich etwas davon merken. Die Ziele und Motive dafür sind
vielfältig und durch unterschiedlichste Geschäftsmodelle getrieben. Häufig geht es
darum, dass wir grundsätzlich online bleiben und wir gezielt mit Werbung zum Kau-
fen motiviert werden oder wir für ein Produkt, welches wir gerade online erwerben
wollen, einen zu unserem Profil passenden Preis erhalten. Kritik an der mangelnden
Datentransparenz und den Nutzungszielen mehrt sich, aber das Ganze bleibt sehr
undurchsichtig. Wie es dann so schön heißt: »Die Algorithmen und Daten sind unser
Geschäftsgeheimnis.« Das bedeutet, dass wir häufig die Spuren, Daten, Informatio-
nen, die wir im Netz hinterlassen, nicht vollständig kennen und uns auch über deren
weitere Verwendung nicht im Klaren sind. Wie Sie sich sicher denken werden, können
6.3 Chancen und Risiken von EPM | 395
solche Daten für Sinnvolles und weniger Sinnvolles genutzt werden – das hängt somit
immer von der Zielsetzung der Datensammlung, -integration und -analyse ab.
Die Thematik ist sehr sensibel zu behandeln, da sie von der gläsernen Mitarbeiter:in bis
hin zum vollkommenen Verschluss jeglicher Mitarbeiterdaten reichen kann. Als Perso-
nalentwickler:in hat man selbstverständlich positive Absichten und möchte das Beste
für die Mitarbeiter:innen. Hier gilt es, im Unternehmen eine Vertrauenskultur für das
Thema der evidenzbasierten Personal- und Organisationsentwicklung auszubauen.
6.3.4 Kernpunkte des EPM
Lassen Sie uns die Kernpunkte des EPM zusammenfassen, bevor wir Ihnen das gesam-
te Vorgehen mit einem Beispiel näherbringen möchten:
y EPM schafft die Grundvoraussetzung für wertschöpfende Personal- und Organisa-
tionsentwicklung auf strategischer und operativer Ebene.
y Die Auswahl relevanter Kennzahlen sollte so weit wie möglich wissenschaftlich
fundiert erfolgen.
y Es wird mit einer ergebnisoffenen Haltung an die Erhebung, Analyse und Interpre-
tation der Daten herangegangen.
y Zusammenhänge zwischen Kennzahlen werden statistisch berechnet und nicht
über »Augenscheinzusammenhänge« hergestellt.
y Ergebnisse werden transparent und adressatengerecht kommuniziert und konst-
ruktiv-kritisch auf allen Ebenen diskutiert.
y Jede und jeder (Mitarbeiter:in, Team, Geschäftsbereich, Gesamtunternehmen) be-
kommt genau das, was er oder sie wirklich braucht, um seine/ihre (zukünftigen)
Aufgaben zu meistern.
y Das Wissen über die zentralen unternehmensrelevanten Themen (Führung, Kun-
denorientierung, Gesundheit usw.) und die Vielfalt der Organisation wird gezielt
genutzt.
y …
396 | 6 HR-Analytics: Evidenzbasierte Personal- und Organisationsentwicklung
6.4 EPM – ein Fallbeispiel
Im Folgenden veranschaulichen wir das gesamte Vorgehen von EPM schrittweise an-
hand eines Beispiels.
1. Datenbeschaffung
Ein Unternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeiter:innen entscheidet, eine klas-
sische Mitarbeiterbefragung (MAB) durchzuführen, um sich ein differenziertes Ge-
samtbild über die Arbeitssituation im Unternehmen zu verschaffen, weil bisher keine
Zahlen über »weiche Faktoren« vorlagen. Dafür wird ein Modell entwickelt (s. Abb. 53),
welches inhaltlich weitgehend auf arbeitswissenschaftlichen und arbeitspsychologi-
schen Forschungserkenntnissen basiert (z. B. Hacker & Sachse, 2014).
2. Datenaufbereitung und Rückmeldung
Die Analyse und Aufbereitung der Daten erfolgen durch einen externen Dienstleister.
Die Rückmeldung wird für zwei verschiedene Stakeholder aufbereitet.
a) Die Geschäftsleitung erhält eine ausführliche Ergebnispräsentation, in der die zentra-
len aktuellen Handlungsfelder für das Gesamtunternehmen deutlich gemacht werden.
b) Die Führungskräfte erhalten zur operativen Steuerung ihrer Verantwortungsberei-
che zwei verschiedene Berichtsformen: Den Organisationseinheiten-Bericht, der
die Zusammenführung aller unterstellten Teams beinhaltet, und den Team-Bericht,
der nur die Ergebnisse der direct reports (exklusive der Führungskraft) enthält.
6.4 EPM – ein Fallbeispiel | 397
Nun möchte das Unternehmen wirksame Ansatzpunkte zur Reduktion ihrer Kurzzeit-
absenzen herausfinden. Dafür werden Mitarbeiterumfragedaten mit Mitarbeiterge-
sprächsdaten und HR-Kennzahlen gekoppelt und statistisch ausgewertet (s. Abb. 55).
Mitarbeitergespräch
Geschäfts-
kennzahlen
Objektive Kennzahlen
• Anzahl Abschlüsse
• Kundenanrufe
Mitarbeiterumfrage HR-Kennzahlen
Darüber hinaus zeigen Ihnen die Analysen, dass hohe Zielerreichung im Mitarbeiterge-
spräch mit geringen Absenztagen einhergeht. Sie können nun als PE-Verantwortlicher
an allen vier Punkten wirksam ansetzen oder sich ein Thema herausgreifen. Nehmen
wir an, Sie entscheiden sich für die Weiterentwicklung des Handlungsspielraums. Die-
sen Punkt wollen Sie nicht mit allen thematisieren, sondern nur mit denjenigen Füh-
rungskräften, die ihr Team in dem Bereich weiterbringen sollten. Sie suchen zusätzlich
noch nach innovativen Personalentwicklungskonzepten. Dazu betrachten Sie die Er-
gebnisse des solide gemessenen Handlungsspielraumes innerhalb Ihrer Organisation
und stellen Folgendes für die einzelnen Teams fest:
Einheit Handlungsspielraum
DU-Bericht Geschäftsbereichsleiter:in YH 76
Für die Ableitung von PE-Maßnahmen entscheiden Sie sich datenbasiert für zwei ver-
schiedene Herangehensweisen. Sie empfehlen der Bereichsleiter:in YHA, aufgrund
der Teamwerte im Handlungsspielraum, ein Coaching zum Thema »Führen mit Hand-
lungsspielräumen«. Erst wenn diese ihr Führungsverständnis und die damit verbunde-
nen Spielräume für ihre Mitarbeiter:innen reflektiert und innerlich geklärt hat, gehen
Sie zu einer Teamentwicklungsmaßnahme mit ihren Mitarbeiter:innen über oder
wählen hier eine andere Maßnahme. Die Mitarbeiter:innen der verschiedenen Team-
leiter:innen beschreiben bei gleichen Kernaufgaben (z. B. Call Center Teams) enorm
große Unterschiede in ihrem Handlungsspielraum. Aufgrund dessen entscheiden Sie
sich für ein Vorgehen des Voneinander-Lernens und bringen die Teamleiter:innen in
einem eintägigen Workshop zur Verbesserung des Handlungsspielraumes zusammen.
Folgende Leitfragen werden dort bearbeitet: Welchen Handlungsspielraum geben wir
unseren Mitarbeiter:innen? Welche Auswirkungen hat das? Was können wir in dem
Thema voneinander lernen? Wie lässt sich der Handlungsspielraum insgesamt ver-
bessern? Die Zusammenführung von guten und weniger starken Teams ist Ihnen nur
möglich, weil Sie teamübergreifende Daten zur Verfügung haben.
3. Wirksamkeitsuntersuchung
Während und nach den Interventionen schauen Sie sich immer wieder die Entwick-
lung der Absenztage an und messen zu einem sinnvollen Zeitpunkt (z. B. nach einem
halben Jahr) die Veränderung des Handlungsspielraumes der Teams.
Grundlagen der Personalentwicklung
y Rolle
y Strategieprozess
y Stakeholder analysieren und beurteilen (Umfeldanalyse)
y Ressourcen (Umfeldanalyse)
y Strukturen und Prozess
y Trainerleitfaden, Tabellenvorlage
y Trainerleitfaden, Beispiel »Train-the-Trainer-Seminar«
b) Exkurse
Neben den digitalen Extras finden Sie auf mybook.haufe.de auch 12 Exkurse, in denen
einzelne Fragestellungen und Themengebiete der Personalentwicklung vertiefend
behandelt sowie Hintergrundinformationen vermittelt werden.
1. Lernkultur
2. Unternehmenskultur
3. Inhaltsanalyse
4. Historische Hintergründe der Aufgabenanalyse
5. Stellenprofile
6. Prognostische Validität
7. Vorab-Interview
8. Eignungsdiagnostik als soziale Situation
9. Soziale Validität in Assessment Centern
10. Skalenarten und -längen
11. Forschung zu Effekten von Verhaltenstrainings
12. Soziale Projekte: Rollentausch
403
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chologie, 33 (N. F.7), 3, 145–152.
Literaturverzeichnis | 409
Stichwortverzeichnis
A C
agiles Unternehmen 40, 43 Changemanagement 226, 232
Akzeptanz 151 Change Process Monitoring (CPM) 62, 63
Analyse des Personalentwicklungsbe- Change-Prozess 266
darfs 51 Changeworkshop 262
Anforderungsanalyse 263 Coaching 273
Anforderungsprofil 65, 98, 99, 101 Coaching-Entwicklungsplan 281
Appreciative Inquiry 249 Concept and Instruments for Evaluation of
Arbeitsanalyse 88 Learning Tools (CIELT) 370, 371
– Fragebogen zur Arbeitsanalyse Corona-Pandemie 40, 43, 75
(FAA) 88 Critical Incidents Technique (CIT) 96
– Kurzfragebogen (KFZA) 92 Critical-Incidents-Workshop 97
Arbeitsplatzbeobachtung 93
Argumentationstraining 230 D
Assessment-Center 135, 138 Delegieren 327
– Ablauf eines EAC 156 dialektische Barriere« 188
– Assessment-Center-Beobachter 304 Dokumentenanalyse 65
– Beobachter für AC 146, 304
– Beobachtungsdimensionen im AC 142 E
– Einzel-Assessment 138 Eignungsdiagnostik als soziale Situa-
– Gruppen-Assessment 138 tion 125
– Kriterien im AC 142 Einzel-Assessment-Center (EAC) 152
– Lern-Assessment-Center« 209 E-Learning 190, 191
– soziale Validität im AC 142 emotionale Intelligenz 305
– Übungen im AC 139 Erinnern 178
Assessmentverfahren 135 Evaluation
Audit 152 – Ablauf der Evaluation 364
Aufgabenanalyse 84 – Evaluationsprozess 363
Aufgaben-Anforderungsmatrix 144 – Evaluation von Personalentwicklungs-
Aufwandseinschätzung 153 maßnahmen 357
– Funktionen der Evaluation 357
B – Wirkungsanalyseformen 359
begriffliches Wissen 175 – Ziele der Evaluation 359
Behaviorismus 181 Evaluationsprozess
Beobachtungsraster 95 – Abschlussbericht 369
berufsbezogene Eignungsdiagnostik 120 – Anpassung der PE-Maßnahme 369
Bewerten 179 – Checkliste 365
Bildungsbedarfsanalyse 161, 162 – Datenauswertung 369
biographische Frage 125, 130 – Datenerhebung 369
Blended Learning 190, 192 – Instrumente bereitstellen 368
Business Model Canvas 71 – Planungsphase 366
– Veröffentlichung des Abschlussbe-
richts 370
416 | Stichwortverzeichnis
W
Wachstumsziel 23
Wirkungsanalyse
– inputbezogene Analyse 359
– outputbezogene Analyse 361
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