Monographs by Liza Mattutat
Soziale Bewegungen stehen seit jeher in einem ambivalenten Verhältnis zum Recht. Einerseits versu... more Soziale Bewegungen stehen seit jeher in einem ambivalenten Verhältnis zum Recht. Einerseits versuchen sie oft, ihre Ansprüche als Rechte geltend zu machen, andererseits kritisieren sie die entpolitisierenden, gewaltsamen und repressiven Aspekte des Rechts. Liza Mattutat fragt deshalb, ob Rechtspolitiken möglich sind, die nicht nur die Inhalte des Rechts, sondern zugleich seine Form verändern. Dazu rekonstruiert sie die rechtskritischen Argumente von Karl Marx, Jacques Derrida und Gilles Deleuze und deutet mit ihnen zeitgenössische Auseinandersetzungen um die Ehe für alle, die Reform des Sexualstrafrechts und die Elternschaft von trans* Personen. Wo sind philosophische Rechtskritiken für die feministische Rechtspolitik einschlägig? Wo steht das bürgerliche Recht emanzipatorischen Bewegungen entgegen?
Rechtsgeltung ist eine Schlüsselkategorie moderner Gesellschaften. Indem wir Handlungen auf gelte... more Rechtsgeltung ist eine Schlüsselkategorie moderner Gesellschaften. Indem wir Handlungen auf geltendes Recht beziehen, unterscheiden wir gewaltsame Straftaten von legitimen Zwangsakten und die Willkürakte Einzelner von staatlichem Regierungshandeln. Rechtsgeltung wird dabei entweder naturrechtlich als Übereinstimmung der Gesetze mit überpositivem Recht oder rechtspositivistisch durch Gliederung der Gesetze in ein vollständiges und logisch konsistentes System gesetzter Normen bestimmt. Liza Mattutat rekonstruiert diese beiden Begrün-dungsfiguren der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus exemplarisch in Auseinander-setzung mit Gustav Radbruch und Hans Kelsen. Mit Carl Schmitt zeigt sie eine Schwachstelle auf, die beiden gemeinsam ist: Beide müssen das Rechtsurteil als reine Anwendung des Geset-zes fassen. Urteile können aber in der Praxis nicht allein aus allgemeinen Normen abgeleitet werden. So zeigt sich das Recht als grundsätzlich offen für nicht-juristische Motive und ist sogar auf Außerrechtliches angewiesen. Das Recht ist daher keine neutrale, sondern eine politische Form und die Rechtsverwirklichung keine technische, sondern eine politische Praxis. Warum das Recht trotzdem neutral und in seiner Anwendung unpolitisch zu sein scheint, macht die Autorin durch eine Analyse der Urteilsform deutlich.
Edited Volumes by Liza Mattutat
Once considered a stepchild of social theory, legal criticism has recently received a great deal ... more Once considered a stepchild of social theory, legal criticism has recently received a great deal of attention, perpetuating what has always been an ambivalent relationship. On the one hand, law is praised for being a cultural achievement, on the other, it is criticized for being an instrument of state oppression. Legal criticism’s strategies to deal with this ambivalence differ greatly. While some seek to transcend the institution of law altogether, others advocate a transformation of the form of law or try to employ strategies to change the content of law, deconstruct its basis, or invent rights. By presenting a variety of approaches to legal criticism, What’s Legit? highlights transitions and exhibits irreconcilable differences of these approaches. Ultimately, What’s Legit? broadens debates that are all too often conducted only within the boundaries of separate theoretical currents.
Book chapters by Liza Mattutat
Kritik postdigital (hrsg. von Daniela Wentz und Laura Hille), 2023
Seit einigen Jahren wird in den Medienwissenschaften diskutiert, ob es eine Krise der Kritik gibt... more Seit einigen Jahren wird in den Medienwissenschaften diskutiert, ob es eine Krise der Kritik gibt und wie ihr zu begegnen wäre. Doch was genau heißt "Kritik" in dieser Debatte? Welche Kritik ist durch die Allgegenwart algorithmischer Prozesse bedroht und warum? Ausgehend von der Gegenwartsdiagnose Antoinette Rouvroys, die eine neue Regierungsform der algorithmischen Gouvernementalität aufziehen sieht, analysiert dieser Beitrag die Voraussetzungen kritischen Urteilens unter digitalen Bedingungen. Das Recht dient dabei als heuristisches Modell, an dem sich Kritik als negativ-reflektierendes Urteilen erweist, das seine eigenen Maßstäbe reflexiv zu verändern vermag.
Weiterschreiben. Anschlüsse an Rebecca Ardner (hrsg. von Marius Hanft, Judith Siebert und Lotte Warnsholdt), 2020
What's legit? Critiques of Law and Strategies of Rights (hrsg. von Liza Mattutat, Roberto Nigro, Nadine Schiel und Heiko Stubenrauch), Jul 28, 2020
Once considered a stepchild of social theory, legal criticism has recently received a great deal ... more Once considered a stepchild of social theory, legal criticism has recently received a great deal of attention, perpetuating what has always been an ambivalent relationship. On the one hand, law is praised for being a cultural achievement, on the other, it is criticized for being an instrument of state oppression. Legal criticism’s strategies to deal with this ambivalence differ greatly. While some seek to transcend the institution of law altogether, others advocate a transformation of the form of law or try to employ strategies to change the content of law, deconstruct its basis, or invent rights. By presenting a variety of approaches to legal criticism, What’s Legit? highlights transitions and exhibits irreconcilable differences of these approaches. Ultimately, What’s Legit? broadens debates that are all too often conducted only within the boundaries of separate theoretical currents.
Strafe und Gefängnis: Theorie, Kritik und Alternativen - Eine Einführung (hrsg von Rehzi Malzahn), 2018
Ausnahmezustand. Theoriegeschichte – Anwendungen – Perspektiven (hrsg. von Mathias Lemke), 2017
Mit der Figur des Ausnahmezustands lässt sich nicht bloß ein zeitgenössisches „Paradigma des Regi... more Mit der Figur des Ausnahmezustands lässt sich nicht bloß ein zeitgenössisches „Paradigma des Regierens“ (Agamben) erschließen, sie gibt auch Aufschluss über ein inneres Strukturmoment des Rechts: das Moment der Vermittlung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in der juristischen Entscheidung. Zur Stützung dieser These arbeitet dieser Beitrag zunächst die Problemstellung der Weimarer Debatte um den Ausnahmezustand im Kontext der Entstehung des Völkerbundes heraus. Darin gilt der Ausnahmezustand als Prüfstein, an dem sich die Frage entscheiden soll, ob eine „Herrschaft des Rechts“ möglich ist (Abschn. 2). Anschließend werden Hans Kelsens, Carl Schmitts und Hermann Hellers Positionen zu dieser Frage rekonstruiert. Während für Kelsen die Rechtsordnung und für Schmitt ein ungeteilter Machthaber souverän ist, weist Hermann Heller beide Lösungen als undialektische Vereinseitigungen zurück. Souverän ist nach ihm das „Zusammenwirken aller Beteiligten“ in der Organisation Staat (Abschn. 3). In Übereinstimmung mit Heller und unter Bezugnahme auf häufig überlesene Stellen aus Schmitts „Politischer Theologie“ entwickelt der letzte Teil, wie sich gesellschaftliche Kräfte in der juristischen Entscheidung vermitteln und vereinheitlichen (Abschn. 4).
Radikale Demokratie Zum Staatsverständnis von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau (hrsg. von Andreas Hetzel), 2017
Aus der Einleitung: Chantal Mouffes Schmittrezeption steht von Beginn an unter dem Motto „mit Sch... more Aus der Einleitung: Chantal Mouffes Schmittrezeption steht von Beginn an unter dem Motto „mit Schmitt gegen Schmitt.“ Dieses Motto gibt auch die Struktur unseres Aufsatzes vor. Im Folgenden werden wir zunächst zeigen, welche Argumente Mouffe mit Carl Schmitt gegen ‚post-politische‘ Demokratiebegriffe vorbringt (1). Anschließend werden wir nachzeichnen, wo und wie sie sich gegen Schmitt wendet (2). Im letzten Schritt wollen wir fragen, ob Mouffes Abkehr von Schmitt gelingt, und zeigen, dass ihre agonistische Demokratietheorie sich seinem Verständnis politischer Konflikte in problematischer Weise annähert (3).
Postdemokratie und die Verleugnung des Politischen (hrsg. von Andreas Hetzel und Gerhard Unterthurner), 2016
Aus der Einleitung: Wir werden uns im Folgenden nicht mit konkurrierenden Idealen der Demokratie ... more Aus der Einleitung: Wir werden uns im Folgenden nicht mit konkurrierenden Idealen der Demokratie beschäftigen. Unser Versuch wird sein, im Nachvollzug eines Arguments, das Jacques Rancière in "Das Unvernehmen" entwickelt, den kriterialen Bestimmungen von Demokratie gleichsam zuvorzukommen. Denn diese – seien sie nun bescheiden-minimalistisch oder utopisch-maximalistisch, zynisch-hemdsärmelig oder freundlich und offen – verkennen eine grundsätzliche Schwierigkeit: Die Kriterien, die doch der Intention nach einen festen Bezugsrahmen abgeben sollen, sind selbst notwendig Teil der politischen Auseinandersetzung. Wir hoffen, diese Schwierigkeit an Rancières demokratietheoretischen Auseinandersetzungen nicht so sehr umgehen, als eher entfalten zu können.
Journal Articles by Liza Mattutat
Zeitschrift für Kritische Theorie, 2023
Aus der Einleitung:
Lehr- und Merksätze, Fakten und Tatsachen, Methoden und Verfahren sind
unte... more Aus der Einleitung:
Lehr- und Merksätze, Fakten und Tatsachen, Methoden und Verfahren sind
unter Kritischen Theoretiker:innen schlecht beleumundet. Wie aber lehrt
man die Bedingungen kritischen Denkens, ohne auf solche zurückzugreifen?
Wie lässt sich etwas lehren und lernen, das weder in Form von Resultaten
noch in Gestalt operationalisierbarer Verfahren niedergelegt werden
können soll?
Dieser Frage werde ich auf den folgenden Seiten in vier Schritten
nachgehen: Zunächst werde ich Adornos Kritik am pädagogischen Einsatz
von Lehrmeinungen (1) und am erkenntnistheoretischen Primat der
Methode rekonstruieren (2). Dabei werde ich zeigen, dass diese Kritiken
durch ein antifaschistisches, pädagogisch-politisches Ziel miteinander verknüpft
sind: das verdinglichte Bewusstsein aufzulösen. Durch diese Rekonstruktion
wird deutlich, worin die Skepsis von manchen Kritischen
Theoretiker:innen gegenüber Lehrsätzen und Methoden begründet liegt
und woraus sich das eben skizzierte Problem ergibt. Im dritten Schritt werde
ich argumentieren, dass sich das Problem auflöst, wenn man sich daran
erinnert, dass Kritische Theorie (auch) eine Praxis ist. Ich schlage vor, die
Lehre in der Kritischen Theorie entsprechend als gemeinsame Ausübung
dieser geistigen Praxis zu verstehen (3). Im Schlussabsatz werde ich Konsequenzen
aus diesem Verständnis Kritischer Theorie ziehen und mich für
gegenstandsbezogene Seminare in der (Hochschul-)Lehre im Bereich der
Kritischen Theorie aussprechen (4).
Kritische Justiz, 2024
Aus der Einleitung:
In diesem Beitrag möchte ich einige alternative Gerechtigkeitsbegriffe dars... more Aus der Einleitung:
In diesem Beitrag möchte ich einige alternative Gerechtigkeitsbegriffe darstellen und diskutieren, welchen Beitrag sie zu einer feministischen Kritik des Strafrechts leisten können. Welche problematischen Aspekte strafrechtlicher Konfliktbearbeitung bekommen wir durch sie in den Blick? Und welche Antwort halten sie auf die abolitionistische Frage bereit, die Barbara Hudson bereits 1998 formulierte und die seither immer wieder aufgegriffen wird: Wie können wir von strafenden Reaktionen wegkommen, ohne durch eine nachsichtige Reaktion den Eindruck zu erwecken, dass sexualisierte Gewalt ein akzeptables Verhalten ist?
Um einer Antwort auf diese Fragen näherzukommen, werde ich folgendermaßen vorgehen: Zunächst werde ich zwei alternative feministische Perspektiven auf Gerechtigkeit jenseits des Strafrechts vorstellen, für die ich die Begriffe "strukturelle Gerechtigkeit" und "opferzentrierte Gerechtigkeit" vorschlage. Während strukturelle Gerechtigkeit fordert, geschlechtsspezifische Gewalt gesellschaftstheoretisch zu reflektieren und strukturelle Maßnahmen für strukturelle Probleme zu finden, argumentiert eine opferzentrierte Perspektive auf Gerechtigkeit dafür, sich an den Bedürfnissen bzw. Interessen (justice needs / justice interests) von Betroffenen zu orientieren.
Undercurrents - Forum für linke Literaturwissenschaft, 2022
In Romanen, die ihre jeweilige Gegenwart thematisieren, artikulieren sich verschiedene Sorgearbei... more In Romanen, die ihre jeweilige Gegenwart thematisieren, artikulieren sich verschiedene Sorgearbeitsregime. Wie sich diese von den 1970er-Jahren bis heute entwickelt haben, diskutieren die Literaturwissenschaftlerin Judith Niehaus und die Philosophin Liza Mattutat in diesem Briefwechsel anhand von fünf Romanen: Marlen Haushofers Die Mansarde (1969), Caroline Muhrs Freundinnen (1974), Anke Stellings Bodentiefe Fenster (2015) und Schäfchen im Trockenen (2018) sowie Gertraud Klemms Aberland (2015). Weitere Themen sind die emanzipatorischen Potenziale der Literatur, das Verhältnis von Literatur und politischer Theorie sowie poetologische Fragen im Kontext von Sorgearbeit.
WestEnd, 2017
Aus der Einleitung: Um einen möglichen Prison-Industrial-Complex (PIC) in Deutschland zu untersuc... more Aus der Einleitung: Um einen möglichen Prison-Industrial-Complex (PIC) in Deutschland zu untersuchen, werden wir in einem ersten Schritt die zentralen Thesen anhand einschlägiger Texte aus der US-amerikanischen Debatte herausarbeiten. In einem zweiten Schritt werden die einzelnen Parameter und die sich daran anschließenden Indikatoren vorgestellt, die eine empirische Überprüfung der Thesen erlauben. Anschließend werden wir die Parameter auf der Basis von bestehender empirischer Sozialforschung, Berichten, Statistiken, Pressemitteilungen, Ergebnissen von Anfragen und Selbstdarstellungen im Internet überprüfen. Abgeschlossen wird der Artikel durch eine zusammenfassende Analyse sowie einer Befragung der analytischen Wirkmächtigkeit der Kategorie PIC im deutschen Kontext.
Kritische Justiz, 2016
Aus der Einleitung: Ich möchte hier die angelsächsische Diskussion um die Unbestimmtheit des Rech... more Aus der Einleitung: Ich möchte hier die angelsächsische Diskussion um die Unbestimmtheit des Rechts vorstellen und kommentieren, um diese Positionen um eine weitere zu ergänzen: Als Formbestimmung des Rechts ist Unbestimmtheit weder gut noch schlecht, weder fort- noch rückschrittlich. Sie ist einfach etwas, mit dem wir umgehen müssen – und dieser Umgang kann und muss je nach politischer Situation und Konstellation der Kräfteverhältnisse ein anderer sein. Denn wo Unbestimmtheit in der Rechtsanwendung zum praktischen Problem wird, ist sie ein Indikator für gesellschaftliche Konflikte und bietet Einsatzpunkte für Interventionen kritischer Jurist*innen.
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Journal Articles by Liza Mattutat
Lehr- und Merksätze, Fakten und Tatsachen, Methoden und Verfahren sind
unter Kritischen Theoretiker:innen schlecht beleumundet. Wie aber lehrt
man die Bedingungen kritischen Denkens, ohne auf solche zurückzugreifen?
Wie lässt sich etwas lehren und lernen, das weder in Form von Resultaten
noch in Gestalt operationalisierbarer Verfahren niedergelegt werden
können soll?
Dieser Frage werde ich auf den folgenden Seiten in vier Schritten
nachgehen: Zunächst werde ich Adornos Kritik am pädagogischen Einsatz
von Lehrmeinungen (1) und am erkenntnistheoretischen Primat der
Methode rekonstruieren (2). Dabei werde ich zeigen, dass diese Kritiken
durch ein antifaschistisches, pädagogisch-politisches Ziel miteinander verknüpft
sind: das verdinglichte Bewusstsein aufzulösen. Durch diese Rekonstruktion
wird deutlich, worin die Skepsis von manchen Kritischen
Theoretiker:innen gegenüber Lehrsätzen und Methoden begründet liegt
und woraus sich das eben skizzierte Problem ergibt. Im dritten Schritt werde
ich argumentieren, dass sich das Problem auflöst, wenn man sich daran
erinnert, dass Kritische Theorie (auch) eine Praxis ist. Ich schlage vor, die
Lehre in der Kritischen Theorie entsprechend als gemeinsame Ausübung
dieser geistigen Praxis zu verstehen (3). Im Schlussabsatz werde ich Konsequenzen
aus diesem Verständnis Kritischer Theorie ziehen und mich für
gegenstandsbezogene Seminare in der (Hochschul-)Lehre im Bereich der
Kritischen Theorie aussprechen (4).
In diesem Beitrag möchte ich einige alternative Gerechtigkeitsbegriffe darstellen und diskutieren, welchen Beitrag sie zu einer feministischen Kritik des Strafrechts leisten können. Welche problematischen Aspekte strafrechtlicher Konfliktbearbeitung bekommen wir durch sie in den Blick? Und welche Antwort halten sie auf die abolitionistische Frage bereit, die Barbara Hudson bereits 1998 formulierte und die seither immer wieder aufgegriffen wird: Wie können wir von strafenden Reaktionen wegkommen, ohne durch eine nachsichtige Reaktion den Eindruck zu erwecken, dass sexualisierte Gewalt ein akzeptables Verhalten ist?
Um einer Antwort auf diese Fragen näherzukommen, werde ich folgendermaßen vorgehen: Zunächst werde ich zwei alternative feministische Perspektiven auf Gerechtigkeit jenseits des Strafrechts vorstellen, für die ich die Begriffe "strukturelle Gerechtigkeit" und "opferzentrierte Gerechtigkeit" vorschlage. Während strukturelle Gerechtigkeit fordert, geschlechtsspezifische Gewalt gesellschaftstheoretisch zu reflektieren und strukturelle Maßnahmen für strukturelle Probleme zu finden, argumentiert eine opferzentrierte Perspektive auf Gerechtigkeit dafür, sich an den Bedürfnissen bzw. Interessen (justice needs / justice interests) von Betroffenen zu orientieren.
Lehr- und Merksätze, Fakten und Tatsachen, Methoden und Verfahren sind
unter Kritischen Theoretiker:innen schlecht beleumundet. Wie aber lehrt
man die Bedingungen kritischen Denkens, ohne auf solche zurückzugreifen?
Wie lässt sich etwas lehren und lernen, das weder in Form von Resultaten
noch in Gestalt operationalisierbarer Verfahren niedergelegt werden
können soll?
Dieser Frage werde ich auf den folgenden Seiten in vier Schritten
nachgehen: Zunächst werde ich Adornos Kritik am pädagogischen Einsatz
von Lehrmeinungen (1) und am erkenntnistheoretischen Primat der
Methode rekonstruieren (2). Dabei werde ich zeigen, dass diese Kritiken
durch ein antifaschistisches, pädagogisch-politisches Ziel miteinander verknüpft
sind: das verdinglichte Bewusstsein aufzulösen. Durch diese Rekonstruktion
wird deutlich, worin die Skepsis von manchen Kritischen
Theoretiker:innen gegenüber Lehrsätzen und Methoden begründet liegt
und woraus sich das eben skizzierte Problem ergibt. Im dritten Schritt werde
ich argumentieren, dass sich das Problem auflöst, wenn man sich daran
erinnert, dass Kritische Theorie (auch) eine Praxis ist. Ich schlage vor, die
Lehre in der Kritischen Theorie entsprechend als gemeinsame Ausübung
dieser geistigen Praxis zu verstehen (3). Im Schlussabsatz werde ich Konsequenzen
aus diesem Verständnis Kritischer Theorie ziehen und mich für
gegenstandsbezogene Seminare in der (Hochschul-)Lehre im Bereich der
Kritischen Theorie aussprechen (4).
In diesem Beitrag möchte ich einige alternative Gerechtigkeitsbegriffe darstellen und diskutieren, welchen Beitrag sie zu einer feministischen Kritik des Strafrechts leisten können. Welche problematischen Aspekte strafrechtlicher Konfliktbearbeitung bekommen wir durch sie in den Blick? Und welche Antwort halten sie auf die abolitionistische Frage bereit, die Barbara Hudson bereits 1998 formulierte und die seither immer wieder aufgegriffen wird: Wie können wir von strafenden Reaktionen wegkommen, ohne durch eine nachsichtige Reaktion den Eindruck zu erwecken, dass sexualisierte Gewalt ein akzeptables Verhalten ist?
Um einer Antwort auf diese Fragen näherzukommen, werde ich folgendermaßen vorgehen: Zunächst werde ich zwei alternative feministische Perspektiven auf Gerechtigkeit jenseits des Strafrechts vorstellen, für die ich die Begriffe "strukturelle Gerechtigkeit" und "opferzentrierte Gerechtigkeit" vorschlage. Während strukturelle Gerechtigkeit fordert, geschlechtsspezifische Gewalt gesellschaftstheoretisch zu reflektieren und strukturelle Maßnahmen für strukturelle Probleme zu finden, argumentiert eine opferzentrierte Perspektive auf Gerechtigkeit dafür, sich an den Bedürfnissen bzw. Interessen (justice needs / justice interests) von Betroffenen zu orientieren.