Müssen Theologen den Theismus meiden?
Zur Relevanz des Gottesbegriffs für das Gott-Welt-Mensch-Verhältnis
Einleitung: Religiöses Erwachen
Die Religion erwacht statt in den Kirchen mitten im Säkularen oder Mystischen
zu neuem Leben. Religionsproduktive Tendenzen sind allüberall am Werk.
Kaum jemand definiert sich als areligiös – so ganz ohne das Göttliche. Im Gegenteil: Unsere Zeit, die Nachmoderne, scheint religiös sehr aufgeladen. Doch
die Formen neuer Religiosität entfalten sich jenseits des biblischen oder des
klassischen (neuzeitlichen) Theismus – ein anderer scheint nicht mehr bekannt.
Eher fühlt sich der Zeitgenosse, der religiös unterwegs ist, auf eine holistische
Wirklichkeit bezogen – mag sie als gesammelter Ozean an Energie oder kosmische Vernetzung, als das Brahman oder das universale Tao benannt werden.
Dies stellt genug Anlass dar, über die Gründe für das Abdanken des Theismus
nachzudenken (1) und danach zu fragen, ob etwa auch die Theologie gut beraten wäre, auf eine theistische Gottesvorstellung zu verzichten. Genauso scheint
es ergiebig, die den klassischen Theismus ablösenden Modelle kurz zu skizzieren, um sie einer kritischen Bewertung zu unterziehen. (2) Daran schließe ich
eine kurze Überlegung über einen möglichen, der heilsgeschichtlichen Offenbarung vorgängigen Gottesbegriff an. (3.1.) Als Letztes soll danach gefragt
werden, ob ein trinitarisches Seinsdenken nicht die bessere Antwort auf die
Probleme darstellt, die ein absoluter Theismus mit sich bringt. (3.2.) Ein genaueres Bedenken der Konsequenzen, die sich aus der trinitarischen Offenbarung
für das Gott-Welt-Mensch-Verhältnis ergeben, stellt für die Theologie ein Desiderat dar. In diesen drei Schritten: Hervorhebung des defizitären Gottesverständnisses im Theismus – Skizzierung der Versuche zu seiner Überwindung
11
und Aufzeigen einer Perspektive für ein bis jetzt unerfülltes Desiderat gehe ich
das Thema an.
Als erstes zeichne ich in einigen Strichen die Grundzüge des neuzeitlichen Theismus, von dem man sich innerhalb und außerhalb der Theologie verabschiedet hat.
1. Der neuzeitliche Theismus als defizitäres Gottesverständnis
Gegen den schon im 17. Jahrhundert in nuce aufkeimenden Atheismus hatte
die rationalistische Aufklärungstheologie den biblischen Gottesglauben auf eine metaphysische Gotteslehre verkürzt. Man kann hier von „Theismus“ im
modernen Sinn sprechen. Er radikalisiert bestimmte Wesensmerkmale, die bereits der Gottesbegriff des Aristoteles (im 12. Buch der Metaphysik) aufweist:
Der Gott ist reines Sich-selber-Denken (noesis noeseos). Es ist der perfekte Kreis
des In-sich-Verschlossenseins: totale Selbst-Reflexion. Die affektive Kälte Gottes zur Welt ist überhautp eine Konstante im Gottesbegriff der griechischen
Philosophie: Gott ist nicht die alles bestimmende Wirklichkeit. Er ist nicht esse,
sondern ens – (das ens supremum necessarium).
Der theistische Gott – ein Gott, den man „beweisen“ kann – ist begabt mit Unveränderlichkeit und Mitleidslosigkeit, mit absoluter Transzendenz und Unbezogenheit; als absolut Seiender genügt er sich in seiner souveränen Allmacht
selbst. Er west in strikter Inkommunikabilität. Die Belange von uns Menschen
sind ihm fremd.
Dieser Gott versagt allerdings, wenn es um Leid und Unrecht in der Welt geht.
Die philosophischen Hauptattribute „Leidensunfähigkeit“, „Apathie“, „Absolutheit“ widersprechen offensichtlich der heilsgeschichtlichen Offenbarung, in
der Gott ganz anders hervortritt – nämlich in seinem Selbsteinsatz für das Heil
des Menschen. Vor allem aber tritt ein solcher Gott mit seiner absoluten Souveränität in ein Konkurrenzverhältnis zur Freiheit des Menschen, der sich seit der
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Neuzeit zunehmend als autonom begreift. Es kommt allein auf Gott an. Ohne
Gott ist der Mensch nichts – eine trostlose Metaphysik. Und doch ist er ein vergegenständlichter Gott, der einem gattungshaften Allgemeinbegriff von „seiend“ subsumiert wird und den der Mensch wie ein anderer Gegenstand seines
Verstandes vor sich hat. Er ist deswegen Konkurrent des Menschen, weil man
ihm - als einem einzelnen Seienden – einen Platz im Haus der „Gesamtwirklichkeit“ zugewiesen hat, sei es auch an herausragender Stelle, von wo aus er
wirkt und waltet.
Zwischen der „theistischen“ Vorstellung von Gott und dem Selbstverständnis
des Menschen mit seiner Erfahrung der Welt tut sich eine riesige Diskrepanz
auf. Dies muss zur Krise führen, an deren Ende Gott fallengelassen wird. Der
Weg in den absoluten Atheismus ist damit schon vorgezeichnet.
Deswegen sagen Theologen wie Paul Tillich: Der Atheismus hat dem Gottesglauben einen großen Dienst erwiesen, insofern Gott damit als Mysterium ins
Bewusstsein gekommen ist. Den Gott der Offenbarung ernst zu nehmen würde bedeuten, „a-theistisch“ an Gott zu glauben. Für den Glauben an Gott und
die Theologie wäre demnach die Überwindung des „Theismus“ notwendig. So
das Fazit.
Damit ist das Problem enger benannt. Ich möchte nun einige Denkformen präsentieren, die das Postulat von einer „Verwindung“ des Theismus einlösen.
Dies kann nur skizzenhaft geschehen
2. Versuche zur Überwindung des Theismus (und ihre Kritik)
a) im Atheismus
i) Was sagt der Atheismus
Zunächst der Atheismus in seiner absoluten Gestalt. Er stellt sich heute als
atheistischer Naturalismus dar. Dieser zeitgenössische Atheismus folgt nicht
33
aus den Resultaten der empirischen Wissenschaften. Er stellt eine Auskunft
über das Ganze der Wirklichkeit dar. Solche Aussagen lassen sich durch Erfahrung weder beweisen noch widerlegen; sie haben einen metaphysischen Status.
Was behauptet der atheistische Naturalismus?
„1. Die gesamte Realität besteht nur aus natürlichen Dingen; in der Realität gibt es weder Götter noch Geister noch
Seelen noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte. 2. Philosophie und Wissenschaft gehören enger zusammen als
gemeinhin angenommen wird; letztlich sind es die Wissenschaften, die uns sagen, was es in der Welt gibt und wie das,
was es gibt, beschaffen ist.“
1
Für den atheistischen Naturalismus lassen sich alle Gegenstände unserer Erfahrungswelt, die konkreten, materiellen Dinge, seelische und geistige Zustände, abstrakte Gegenstände, Bedeutungen von Zeichen und Symbolen, Sprache,
moralische, ästhetische und andere Werte, auf chemisch-physikalische Primärgegenstände zurückführen. Diese erklären sich – genauso wie die den materiellen Prozessen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten – aus sich selbst.
ii) Kritik des Atheismus
Kritik des Atheismus: ungelöstes Kontingenzproblem/menschliche Verlorenheit
Diese Auskunft gibt der Naturalismus über das Ganze der Wirklichkeit und
die Stellung des Menschen in ihr. Seine Schwierigkeit besteht darin, dass er mit
zwei Arten von Gegenständen zurechtkommen muss:
Zum einen sind da die materiellen Dinge und Prozesse in der Welt, zum anderen haben wir uns Menschen als erlebnisfähige und selbstreflexive IchSubjekte. Wie muss man sich die Wirklichkeit im Ganzen vorstellen, um zu
1
Beckermann, Ansgar: Naturwissenschaft und manifestes Weltbild. Über den Naturalismus, in: DZPh
(2012) 5–26.
44
verstehen, wie materielle Dinge und Prozesse und zugleich erlebnisfähige
selbstreflexive Ich-Subjekte ein und dieselbe Welt bilden?
Ein weiteres Problem: Der Atheismus vermag keine Erklärung für die Existenz
von kontingenten Dingen zu geben. Es kann nur das in sich selbst begründete
Sein das letzte Erklärungsprinzip darstellen. Wenn man sich vor logisch fehlerhafter Zirkularität hüten will, muss man das, was kontingent ist, auf etwas
zurückführen, was in sich und durch sich selbst begründet ist. Wie würde man
die originatio radicalis, den allerersten Ursprung von kontingenter Existenz,
aus ihrer Wurzel erklären, ohne den Übergang der Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung erklärbar zu machen?
Ein einzelnes kontingent Existierendes mag durch ein anderes begründet werden. Wenn aber die kontingente Existenz insgesamt zu erklären ist, dann lässt
sich ohne petio principii kein kontingent Wirkliches voraussetzen.
Auch die anthropologischen Konsequenzen sind nicht zu übersehen: Wenn es
keinen Gott gibt, ist der Mensch mit seiner Schuld allein; es findet sich niemand, der sie ihm vergeben könnte. In der Geschichte menschlichen Leids und
Unrechts sind die Täter am Ende mit den Opfern gleichgestellt. Es gibt keine
Aussicht, dass sie sich je wieder versöhnen könnten. Geschehenes Unrecht
kann nicht so überwunden werden, dass die Würde, die Freiheit und die Vernunft von Opfern und Tätern gewahrt werden. Bestenfalls werden die vergangenen und auch zukünftigen Opfer zu Mitteln erklärt, die den Zweck einer
Verbesserung der Welt haben. Für die Opfer kommt diese jedoch meistens zu
spät; sie haben an ihr nicht mehr teil. Dieser Tatbestand ist für jeden denkenden Menschen skandalös.
55
b) bei Hegel
i) Die Geschichte Gottes als Selbstentgegensetzung und Entfaltung zum absoluten Geist
Für Hegel kehrt die von sich unterscheidende Selbstgleichheit des Seins in die
ursprüngliche Einheit bereichert zurück. Das Sein ist ein Werden: die Negation
der Negation.
Hegel spricht von der „Selbstvermittlung des absoluten Geistes“: Der Vater ist
für sich das Moment der Unentfaltetheit der Gottnatur – reines Ansichsein. Er
muss zu einer Selbstentgegensetzung im Anderen schreiten, um den Mangel des
Anfangs zu überwinden und zu sich selbst zu kommen. Die erste Abstraktheit,
Unwirklichkeit und Unwahrheit überwindet der Vater nur, wenn er den Unterschied zeugt: den Sohn, der die Fortbestimmung des leeren Seins ist. In der
Zeugung des Sohnes liegt eine Notwendigkeit, denn der Vater wird und ist Vater nur wegen der eigenen Bestimmungsbedürftigkeit. Was ihn ausmacht, ist
die Unvermitteltheit der absoluten Subjektivität. Seine Relationalität zum Sohn
gründet im Mangel an Positivität und Fülle.
Das göttliche Leben ist ein Prozess, in dem der absolute Geist zu sich selber
kommt. Darin ist der Sohn die Negation der Unbestimmheit und Unmittelbarkeit des absoluten Geistes – das ideelle Gegenteil, durch das Gott sich betrachtet, in dem Gott bei sich ankommt. Die Rückkehr aus dem Sohnesunterschied
ist zugleich als Hervorgang des Geistes aus dem Sohn zu verstehen. Der Sohn
hebt den seinen Unterschied auf, er hat ihn eigentlich schon immer aufgehoben
und kehrt aus dem Unterschied als Geist zum Vater zurück. Der Geist ist die
neue Identität des Vaters und der vermittelten Nicht-Identität des Sohnes; er ist
die vollzogene Rückkehr aus der Differenz, die Synthese von VaterAllgemeinheit und Sohnes-Besonderung. Als die Einheit von Vater und Sohn
repräsentiert er die Liebe von beiden. Er steht damit für das Ereignis des Beisich-selber-Seins im Anderen.
66
In der endlichen Welt setzt Gott den Unterschied mit sich selbst nach außen,
um ihn am Ende wieder aufzuheben. Hegel inszeniert die Realgeschichte philosophisch als das ewige Zusichselbstkommen des zuvor nur als Idee wirklichen Absoluten. Damit trägt er eine Notwendigkeit in Gott ein, die Welt gebraucht zu haben, um allererst er selbst sein zu können (als absoluter Geist)
und hebt auch jede Freiheitsbestimmung zugunsten eines Denkens der Notwendigkeit, der Logizität des Begriffs, auf.2 Differenz und Andersheit im Endlichen, die ihr Urbild in der Sohnes-Differenz haben, stehen unter dem Signum
des Sohnes-Nichts. Sie sind vorübergehendes An- und Fürsichsein.
ii) Kritik an Hegel: Instrumentalisierung des Anderen als Teilmoment eines
notwendigen Prozesses göttlicher Selbstentfaltung/Aufhebung der Freiheit der
Liebe
►Die Trinitätstheologie ist kein Maßstab für Hegels Trinitätsphilosophie,
vielmehr verhält es sich umgekehrt. Sie ist ein absolutes System, das mit dialektischer Notwendigkeit die Bestimmungen aus sich heraus entwickelt und in
welches die theologischen Aussagen – in einer begrifflichen Vereinnahmung –
eingetragen werden.
►Hegel identifiziert die göttlichen Personen mit den Momenten des Selbstvollzugs der absoluten Subjektivität Dies führt zur Aushöhlung der jeweiligen
Proprietäten der Personen. Die communio der Personen erscheint als Überwindung eines vorgängigen und negativ qualifizierten Für-sich-Seins. Sie schlägt
um in eine Momentanisierung der Personen für- und aneinander. Die Personen
sind nur Momente an der Selbstreflexion des absoluten Geistes.
2
77
Vgl. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II (WW,17), Frankfurt 1986, 193.
►Insbesondere wird dies darin greifbar, dass Hegel das eigene Profil des Heiligen Geistes verschleift. Denn der Geist ist ausschließlich die Einheit der beiden ersten Gottesmomente. Die Wahrheit ist für Hegel in ihrer Spitze nicht das
Ereignis fruchtbarer Liebe, die sich in einem Dritten darstellt. Die erstanfängliche Fortbestimmungsbedürftigkeit Gottes vermag einen solchen Reichtum
trinitarischen Lebens nicht freizugeben. Sie erträgt keinen condilectus.
►Es ist sehr die Frage, ob ein absolut notwendiger Prozess, in dem der Andere
nur ein zu negierendes und zu überwindendes Moment der Selbstentgegensetzung des Absoluten ist, das darin zu sich selbst kommt, überhaupt mit dem
Namen „Liebe“ bedacht werden kann.
►Das Problem der Hegelschen Trinitätsphilosophie ist ontologisch begründet.
Es liegt in der Fortbestimmungsbedürftigkeit von Sein, das der Vater repräsentiert. Eine nicht-instrumentalisierte Andersheit wird damit undenkbar – undenkbar auch eine vollkommene und nochmals fruchtbare Liebe in der Gestalt
des Heiligen Geistes. Um Gottes Leben theologisch als Ausdruck der Fülle zu
verstehen und damit den Vater als im Vollbesitz dieser göttlichen und mitteilenden Lebensfülle zu begreifen, ist ein anderes Seinsverständnis gefordert: eine Ontologie der Positivität des Seins.
88
c) im Panentheismus
i) die Denkform des Panentheismus
Der Panentheismus, den man zur Denkform der Postmoderne3 erklärt hat, stellt
eine holistische Weltsicht dar. Er zählt das Sein der Welt ontologisch zum Wesen Gottes, ohne Gott mit dem Sein der Welt vollends zu identifizieren – eine
Nuance, durch die er sich vom Pantheismus unterscheidet. Er sieht die Welt als
in Gott aufgehoben, hält aber dafür, dass Gott „mehr“ sei als die Welt. 4 Damit
will er aus den „Aporien“ des „Theismus“ herausführen. Wie in jeder holistischen Grundoption gibt es nur das sich stetig wandelnde oder sich entwickelnde Sein. Alles ist Natur oder Prozess: Deus sive natura.
[Im Wesentlichen tritt der Panentheismus in zwei Formen auf: Für den ersten,
am Idealismus angelehnten Typ, ist jede Bestimmung endlichen Seins im Letzten eine Bestimmung des Wesens Gottes selbst. Er sieht das Verhältnis GottWelt so, dass die Welt „in“ Gott selbst ist, und zwar als Teil der Bestimmung
des Absoluten. Vom absoluten Idealismus unterscheidet sich sein Ansatz nur
insofern, als Gott nicht identisch ist mit der Gesamtheit des Endlichen.5
Eine andere Spielart des Panentheismus geht von einer universal vernetzten
Masse von elementaren Ereignissen aus, die in ihrer Korrelation Systeme bil-
3
Vgl. B. P. Göcke, Jenseits des Theismus. Panentheismus als Denkform der Postmoderne, in: B. Nitsche / K. von Stosch / M. Tari (Hg.), Gott – jenseits von Monismus und Theismus?, Paderborn 2017,
113–136, hier: 134.
4
Vgl. B. P. Göcke, Panentheismus als Leitkategorie religionsphilosophischen Denkens? Eine Bestandsaufnahme, in: Theologie und Philosophie 90 (2015) 38–59.
5
Paradigmatisch tritt diese Form bei Karl Christian Krause zutage, für den der logische Grund der Welt,
Gott, doch zugleich mehr ist als diese. Vgl. Göcke, Jenseits des Theismus, 121–126.
99
den, welche voneinander abhängen und das Ganze von Wirklichkeit darstellen.]
Es gehört zur Logik des Gedankens der gegenseitigen Verschränkung von Endlichem und Absolutem, dass der Schöpfungsgedanke zu verwinden ist. Er
vermag keine philosophisch zufriedenstellende Verhältnisbestimmung von
Absolutem und Endlichem zu bieten.
ii) Kritik am Panentheismus: Verlust des geschöpflichen Eigenseins und Eigenwirkens
►Ein panentheistisches All-Einheits-Denken vermag kaum das Desiderat einer
zeitgemäßen und vernunftorientierten Theologie zu erfüllen, die Kontingenz
der Welt, die nicht ohne Gott als dem ersten Prinzip der Dinge besteht und die
Freiheit des endlichen Menschen – in ihrem Gegenübersein und ihrer Differenz
– konsistent zu denken. Der universale Theopanismus, der Gott und Welt
ineins denkt, führt – auch wenn sie nicht einfachhin identifiziert werden –, zur
Abwertung der Realität der Welt, die zum bloßen Moment an der all-einen
göttlichen Grundsubstanz verdampft.
►Der Panentheismus, der kein geschaffenes An- und Fürsichsein der Dinge
kennt, in dem sie in ihrer gewirkten Wirklichkeit bis zu je eigener Wirksamkeit
freigegeben sind, weiß nichts mehr von dem – nicht räumlichen, sondern qualitativen – unendlichen Über-Hinaus der göttlichen Wirklichkeit, in dem Gottes
wahre Transzendenz begründet ist. Es wird nur noch das Insein des Absoluten
in allem Endlichen festgehalten, ohne das In-Über, die unendliche Differenz
Gottes, die seine Transzendenz ausmacht und strukturiert, zu bedenken. Die
spannungsreiche Gegensätzlichkeit, die sich im In- und Übersein Gottes artikuliert, ist zugunsten des einen Pols einseitig aufgehoben.
► Als Teilmomente des unendlichen göttlichen Seins verlieren die welthaften
Dinge ihre Kontingenz. Sie sind in ihrem Dasein notwendig, weil mitkonstitutiv für das All-Eine. Ohne ontologische Differenz zum absoluten Sein ist es aber
1100
auch um die Eigenständigkeit und das Eigensein (esse proprium) der Dinge
schlecht bestellt.
d) in einer radikal apophatischen Theologie (J.-L. Marion)
i) Die absolute Unzugänglichkeit Gottes
Der französische Philosoph Jean-Luc Marion will die Identifizierung Gottes mit
dem Sein, wie es die Metaphysik versteht, meiden.6 Über die Scholastik hinaus
geht er auf die metaphysisch nicht belasteten, für ihn offeneren Spekulationen
der Patristik, besonders eines Dionysius Areopagita, zurück, die für ihn die
Grenzen theologischer Aussagen stärker beachteten.
Marion fordert „den Schritt zurück aus der Metaphysik“ – ein Umdenken, das
unter Berufung auf Heidegger auch noch radikaler (Dieu sans l’être) als bei diesem formuliert werden kann.
Ausgangspunkt für Marions Überlegungen ist die Unzugänglichkeit Gottes:
„‘Gott‘ sagen oder schon nur sagen wollen, genügt schon, dass wir seine erste,
radikale und definitive Charakteristik konstatieren – die Unzugänglichkeit
(l’inaccessibilité).“7 Und Marion bemüht sich zu zeigen, dass es sich um eine
völlig neuartige Unzugänglichkeit handelt. Sie impliziert die Unmöglichkeit
eines metaphysischen Beweises für die Existenz Gottes. Darin ist die Option für
eine völlig apophatische Theologie getroffen, die aus der Verwerfung der Metaphysik resultiert. Menschliches Denken ist unfähig, auch nur einen minima-
6
Vgl. J.-L. Marion, Gott ohne Sein, Paderborn 32014, 9: Im Vorwort zur zweiten Auflage. Hier ist auch (als
8. Kapitel) der Vortrag aus der Revue Thomiste (Januar 1995) abgedruckt.
7
1111
J.-L. Marion, Certitudes négatives, Paris 2010, 87.
len Begriff des Wesens Gottes zu präsentieren. Auf diese Weise zerreißt das
Band zwischen Gott und seinem Begriff. Die Aporie, die Marion intendiert, ist
unsere Unfähigkeit, eine Definition eines auch nur minimalen Begriffs des Wesens (essence) Gotte zu präsentieren.
Marion will in der Theologie des Mittelalters einen Vorrang oder eine „Herrschaft“ des ens sehen, die das Gute aus seiner vorrangigen Stellung (Dionysius
Areopagita) verdrängt habe. Die Theologie müsse –von der Lehre über die
göttlichen Namen her – zu einer „Destruktion“ des ens gelangen, auch wenn sie
ihren Status einer „Wissenschaft“, die auf Begriffen basiere, dadurch verlieren
könnte.8 Die Entwicklung der Metaphysik führe nämlich zum „Einbegriffensein Gottes in das Sein“, so weit, dass „Gott“ schließlich (bei Suárez) als Gegenstand der Metaphysik „begriffen“ würde.9
Der univoke Seinsbegriff schließe Gott sowohl in das ens commune als auch in
die Metaphysik ein.10 Er lasse die „Göttlichkeit Gottes ungedacht“ und zwänge
sie in sein gängiges Ordnungsgefüge ein.11 Indem man Gott durch den Begriff
des Seienden zu erfassen meinte, habe man „das Theologische ausgehend vom
„Ontologischen“ gedacht und damit die Bedingungen für eine „OntoTheologie“ geschaffen, die er so versteht, „dass nämlich ‚Gott‘ […] ebenso sehr
und genauso aus dem Sein herrührt wie das Seiende, das er (be)gründet“.12
8
9
10
11
12
1122
Vgl. J.-L. Marion, Gott ohne Sein, 134.
Vgl. ebd., 136.
Vgl. ebd., 316f.
Vgl. ebd., 344f.
Vgl. ebd., 318.
ii) Kritik des Konzeptes „Dieu sans l’être“
Marion stellt zur Debatte, dass das Sein Gott erreicht und fragt, ob das Sein den
ersten und höchsten Namen Gottes definiert. Aus der Verwerfung der Metaphysik resultiert eine völlig apophatische Theologie. Menschliches Denken ist
unfähig, auch nur einen minimalen Begriff von Gott zu präsentieren. Marion
betont immer wieder, dass „meine eventuellen Begriffe, die intendieren, ‚Gott‘
zu sagen, in Wirklichkeit nichts von Gott sagen…“13 Doch wovon redet Marion,
wenn er „Gott“ sagt? Setzt er nicht irgendwie ein „nicht-begriffliches Wissen“,
eine mysteriöse „über-begriffliche“ Erfassung Gottes voraus? Damit seine Gedankengänge überhaupt einen Sinn beanspruchen können, muss er irgendein
„Erfassen“ (Wissen?) Gottes voraussetzen. Aber welches?
Solange jedoch nicht geklärt ist, wovon Marion spricht, wenn er „Gott“ sagt –
eine nur vorgestellte Idee, ein existierendes oder rein mögliches X, eine Figur
aus dem antiken Götterpantheon –, bleiben seine Ausführungen über „Gott“ in
gewisser Weise dunkel und mehrdeutig. Wegen der getroffenen Vorentscheidungen wird es schwer, anzugeben, welchen transzendenten Referenzpunkt
der Name „Gott“ noch bezeichnen soll. Fernab jeder Exodus-Metaphysik könnte sich unsere Gottesrede auch auf „Zeus“ beziehen. Man wird Gott immer
schon irgendwie erfasst haben müssen, um sinnvoll von ihm zu reden.
Immer dann, wenn Marion die Metaphysik kritisiert, behauptet er, in der metaphysischen Rede über Gott werde eine Definition des Wesens Gottes artikuliert.
Das ist aber eine Entstellung der metaphysischen Rede über Gott. Ein Thomas
v. Aquin etwa steht der Behauptung fern, mit dem Ergebnis seiner „Quinque“
viae“: dem „ersten Beweger“, der „ersten Ursache“ etc. werde eine Definition
13
1133
Vgl. J.-L. Marion, Certitudes negatives, Paris 2010, 91
des Wesens Gottes erreicht. Wir kennen Gott nur tamquam ignotum, auch
nachdem wir die veritative Bedeutung des „ist“ in dem Satz „Deus est“ aufgewiesen haben.
3. Perspektiven eines Lösungsansatzes: Trinitarisches Gottesverständnis als
Ermöglichungsgrund der Eigenständigkeit geschöpflichen Seins und
menschlicher Freiheit
a) Die Notwendigkeit eines philosophischen Minimalbegriffs von Gott
Es ist hier der Frage nachzugehen, ob die Vernunft aus eigenem Vermögen einen Begriff von Gott generieren kann, der für die trinitarische Konkretisierung
offen ist.
Zunächst wird man sagen müssen, dass der trinitarische Gott, wie er sich in
Jesu Heilssendung offenbart hat, mit dem von ihm verkündigten Gott Israels
identisch ist. Grundlage der Gottesvorstellung, die das AT mit der Glaubenserfahrung Israels verband, ist die Erfahrung, dass JHWH sich als der Gott erwiesen hat, der es aus Ägypten geführt hat und der als Schöpfer des Himmels und
der Erde der einzige ist. Die Glaubensgeschichte Israels geht daher notwendig
in das christliche Bekenntnis zu Gott ein.
Ein christlicher Monotheismus muss sich also in der Struktur seiner Gottesrede
einerseits von der alttestamentlich bezeugten Offenbarung des JHWH-Gottes
bestimmen lassen. Andererseits beansprucht die Weise, wie Jesus sich auf Gott
als seinen Vater bezieht, eine trinitarische „Fortbestimmung“. Ich würde mit
Wolfhard Pannenberg konsequent bei der „Selbstunterscheidung Jesu von seinem Vater“ ansetzen, die zunächst in der Aktualität der Freiheit Jesu gründet,
die aber auch immanent-trinitarisch übertragen werden muss. Pannenberg
schreibt dazu:
1144
"Ist aber der Vater in Ewigkeit der, als der er im Verhältnis zu Jesus, seinem
Sohn, und durch ihn geschichtlich offenbar ist, dann gehört auch umgekehrt
der Sohn in Ewigkeit zum Vater, kann der Vater nicht ohne den Sohn gedacht
werden."14
Pannenbergs Überlegungen nehmen das antiarianische Argument des Athanasius auf, dass der Vater selbst nicht Vater wäre ohne den Sohn, der Vater ohne den Sohn weder Wahrheit noch Leben hätte.
[Durch die vollkommene Erfüllung seiner Sendung, durch die der Vater verherrlicht wird, gehört der Sohn selbst in der Weise mit dem Vater zusammen,
daß Gott gar nicht anders Vater sein kann als in Relation zu ihm, und das seit
Ewigkeit.
Nun kann aber Gottes Gegenüber zu Jesus als dem Sohn nicht als Gegenüber
zu einer geschöpflichen Wirklichkeit gedacht werden: Das Gegenüber Gottes
zur Welt, zu einem zeitlich geschöpflichen Wesen, kann nicht für das relational
bestimmende Personsein des Vaters konstitutiv sein. Gott hat nicht einfach ein
endliches Gegenüber, denn sonst würde der unendliche Gott selber verendlicht
oder aber würde diese zeitlich-geschöpfliche Wirklichkeit selber ewig, d.h. ihre
geschöpfliche Eigenart ginge verloren.]
Es muss eine ewige Relation des Sohnes zum Vater und des Vaters zum Sohn
geben, wenn anders die heilsgeschichtliche Vermittlung Jesu wirklich die
Selbsterschließung Gottes für uns sein soll. M.a.W.: Es kann nur dann von Gottes Selbstoffenbarung als Liebe gesprochen werden, wenn der Sohn in das ewi-
14
W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 410. Pannenberg bezieht sich im zweiten Band seiner
"Systematischen Theologie" auf K.-J. Kuschel, der es verneint, daß die Wesenseinheit mit Gott "die Teilhabe dieses Menschen auch an der Ewigkeit Gottes" einschließe.
1155
ge Wesen Gottes gehört. Eine personale Relationalität in Gott wird dann maßgeblich für ein Verstehen Gottes. 15
Für den christlichen Gottesbegriff war gerade in der trinitarischen Fortbestimmung der nicht-hintergehbare Bezug auf den Gott Israels konstitutiv. Allerdings wird in dem Moment, in dem die christliche Verkündigung den hellenistischen Kulturraum erreicht, die kritische Rezeption des griechischen Seinsdenkens notwendig – u. z. gerade um der Relevanz der eigenen Ansage des
Glaubens willen.
Die Apologeten öffnen ihr Glaubensdenken für eine Aneignung der griechischen Logoslehre. Im Logos kommt es zu einer Bewegung des einen und einzigen Gottes aus der Transzendenz zur Welt. Es ist dies ein Prozess der Assimilation und Dissimilation zugleich, wie sich gerade im Ausgang der arianischen
Krise zeigt.
Und im Mittelalter wird man die Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3,14
zum Anlass nehmen, eine Exodus-Metaphysik zu entwerfen, in der Gott als die
in sich selbst begründete Fülle des Seins verstanden wird.
Ein wichtiges Argument für die Berechtigung eines philosophischen Gottesbegriffs in der Theologie scheint mir das folgende zu sein:
Das Verstehen der Relation Jesu zu Gott, seinem Vater, setzt eine anfängliche
Notion über das Gottsein Gottes voraus. In diesem Sinne ist das – auch den
„Heiden“ eröffnete – Gottesgeheimnis dem Christusmysterium vorgängig.
Denn wie kommt jemand dazu, Jesus mit dem transzendenten Gott in Verbin-
15
Wenn, um noch einmal Pannenberg zu zitieren, "die Beziehung zu einem Menschen konstitutiv sein soll
für die ewige Identität Gottes selbst, dann muß das Korrelat dieser Beziehung selber ewig sein, und daraus ergibt sich die Präexistenz des Sohnes". Vgl. Pannenberg, Theologie, Bd. 1, 413f.
1166
dung zu bringen, ohne anzuerkennen, dass es Gott geben muss und dass er als
die allesbestimmende Wirklichkeit in seiner Transzendenz von der Welt unterschieden sein muss. Solange der Gottesbegriff alles oder nichts bedeuten kann,
macht es wenig Sinn, danach zu fragen, ob es Gott gibt oder nicht, weil überhaupt nicht feststeht, wer oder was da existieren soll. Im Sinne eins authentischen Theismus wird hier deshalb eine Basis-Notion, die auf das Wesen Gottes
verweist, vorausgesetzt. So hat der philosophische Gottesbegriff am Schnittpunkt von Philosophie und Theologie seinen Ort. Allerdings kann es sich dabei
nur um einen Minimalbegriff handeln, da er das Wesen Gottes, also gewissermaßen „Deus sub ratione Deitatis“ nicht repräsentiert.
Damit ist aber die Verhältnisbestimmung zwischen philosophischem Gottesbegriff und christlichem Monotheismus (Trinitätslehre) insofern positiv, als die
Vernunft in philosophischer Instanz eine Minimalbestimmung beibringt, mit
der sie die Vernünftigkeit des entsprechen christlichen Gottesbegriffs aufweist.
Theismus ist als „konkreter Monotheismus“ zu bejahen; darin hätte auch ein
philosophischer Begriff von Gott seinen Ort.
Gott kann uns nicht als ein Objekt neben anderen Objekten unter die Augen
treten. Daher bleibt er für uns auch, nachdem wir ersatzweise einen Minimalbegriff von ihm gebildet haben, indem wir sagen: „Er ist das Sein selbst“, in
seinem Wesen verborgen. Daraus ist jedoch nicht mit den Anhängern einer radikal negativen Theologie zu folgern, Gott sei für uns ganz und gar unerkennbar.
b) Die trinitarische Positivität des Seins und das Gott-Welt-Verhältnis
i) Grundereignis im Sein – ein Stück aus der Trinitätslehre
Dass die trinitarische Gotteslehre wenig mit einem „theistischen“ Gottesbild
gemein hat, wird schon aus dem Zueinander der göttlichen Personen und der
1177
einen Gottheit, in der sie wirklich sind, klar. Die Personen entspringen nämlich
nicht der Auszeugung des göttlichen Wesens, noch sind sie aus diesem ableitbar. Die göttlichen Personen werden vielmehr durch Relationen konstituiert,
die in der Einheit des göttlichen Wesens einbehalten sind. Gegeneinander real
verschieden, inexistieren die drei Personen in der einen Gottnatur und sind so
kraft ihres Seins (als Insein) mit dem Gottwesen real identisch. Das göttliche
Wesen ist nicht Suppositum – es wird ganz von den subsistenten Relationen
besessen und getragen. Was allein subsistiert, sind die relational bestimmten
Personen. Dasjenige, was im geschöpflichen Bereich das schwächste Sein hat –
die Relation –, ist auf Gott hin in die Subsistentialität gekehrt. Dies manifestiert
ein „Grundereignis“ im Sein selbst:
Das Sein wird nicht mehr in unterschiedsloser Identität mit sich selbst gedacht.
Vielmehr weist das Hervorgehen der göttlichen Personen in dem sie einbehaltenen göttlichen Wesen, das mit der Fülle des Seins identisch ist, ein Grundereignis im Sein an. Ein Bedenken des innergöttlichen Lebens weist auf die Notwendigkeit einer neuen Ontologie:
Legt man eine philosophische Positivität des göttlichen Seins zugrunde, ist jede
prozessualistische Instrumentalisierung der göttlichen Personen, bei der sie zu
Momenten der Selbstwerdung des jeweils anderen – und der andere zum Moment der eigenen Selbstwerdung/Aneignung/Bewusstwerdung – würden,
ausgeschlossen. Der Vater teilt sich in seinem – vorgängig zur Zeugung des
Sohnes bestehenden – vollkommenen Selbstbesitz unendlicher Fülle dem Sohn
mit, und beide lassen aus sich den Heiligen Geist als Mitgeliebten hervorgehen.
Zwar ist das Aussichsein des Vaters (Agennesie) nicht zu trennen vom zeugenden esse ad des Vaters auf den Sohn hin, doch muss man eine logische Priorität der personalen Proprietät (Vatersein) voraussetzen: Es ist immer schon der
Vater, der zeugt; er „resultiert“ nicht in seinem Selbstsein aus der hervorbrin1188
genden Tätigkeit, die ihn als sein eigenes Produkt hervorbrächte. Der Vater besitzt sich schon selbst in seiner Selbst-Mitteilung, in seinem inkommunikablen
Vatersein.
Damit ist es ausgeschlossen, dass der Vater den Sohn in der Zeugung als Moment der eigenen Selbstgewinnung instrumentalisiert (wie bei Hegel), um so
zu seiner personalen Proprietät zu gelangen. Dies würde bedeuten, dass der
Sohn auch den von ihm dialektisch abhängigen Vater generativ explizieren
würde. Der Sohn ist selbst das Worumwillen der Zeugung. Heilsgeschichtlich
liegt darin der Grund für die Freiheit Jesu als Mensch wie überhaupt für die
Freiheit eines jeden Menschen. Für die Stellung des Menschen bedeutet dies:
Obwohl die menschliche Person keine in sich bestehende (subsistente) Relationalität ist, weil sie eine Substantialität in einer sinnlich verfassten (und intersubjektiv bestimmten) Geistnatur besitzt, so ist sie doch – gerade als Abbild
des trinitarischen Sohnes – eine einmalige, unvertauschbare und unmitteilbare
Existenz. Das relationale Moment des menschlichen Selbstseins bezieht sich zuerst und vor allem auf den Schöpfungsakt und somit auf Gott.
ii) Geschaffenes in Relation zu Gott: Differenz und Insein
Könnte es sein, dass bestimmte Aporien, die sich im neuzeitlichen „Theismus“
mit dem unbezogenen Unendlichen Gottes stellen, bei einem genaueren
Durchdenken der trinitarischen Selbstoffenbarung Gottes zu vermeiden sind?
Sie hatten sich im „Theismus“ daraus ergeben, dass die Unendlichkeit Gottes
extensiv-räumlich gedacht wird, wodurch Gott in ein Konkurrenzverhältnis
zum Menschen gerät. Der als Alternative angebotene Monismus (panentheistischer Ausprägung) führt hingegen zur Auflösung des Eigenseins und Selb–
standes der endlichen Wirklichkeit.
Geht man vom trinitarischen Seinsgedanken aus, finden das In-Sein und Gegenüber-Sein Gottes im Hinblick auf das Geschaffene in der Relation und Dif1199
ferenz der drei göttlichen Personen ihre erste Begründung. Die mit seiner
Transzendenz gegebene absolute Differenz Gottes zu seiner Schöpfung ist wegen seines Selbstmitteilungswillens nicht ohne seine gleichzeitige Immanenz im
Geschaffenen zu denken. Diese Transzendenz Gottes meint hier keine Kategorie der räumlichen Distanz, sondern zeigt an, dass die göttliche Wirklichkeit
qualitativ unendlich über die geschaffenen Dinge hinaus ist, um gerade so ihre
intime Wirksamkeit im Innersten der Dinge zu entfalten. Der trinitarische Gott
kann uns innerlicher sein als wir uns selbst sind, ohne dass dies unsere radikale
Verschiedenheit von ihm aufheben würde. [Ein Thomas von Aquin konnte deshalb sagen: „Deus est supra omnia per excellentiam suae naturae, et tamen est
in omnibus rebus ut causans omnium esse.“16]
Weil Gott in der Relationalität dreier Personen subsistiert, die einander – in relationes oppositae – in einer trinitarischen Urverschiedenheit gegenüberstehen,
obschon sie einbehalten bleiben in der Einheit seines Wesens, bedeutet sein
Gegenüber-Sein zum Geschaffenen keine Begrenzung oder Verendlichung Gottes. Geschöpfliches endliches Sein ist nicht der primäre terminus ad quem seiner
Beziehentlichkeit17, vielmehr liegt seine immanente Relationalität jeder geschöpflichen Differenz und Beziehung zu ihm schon voraus. Geschöpfliches
Seiendes geht erst deshalb hervor, weil Gott in seiner erstlichen und prinzipiellen Relationalität schon erfüllte Wirklichkeit ist, die in einer über sich selbst
16
17
Thomas von Aquin, Summa Theologiae I q. 8, a. 1 ad 1.
Schon Joseph Ratzinger hebt hervor, dass das Sein „nur zu sich selbst kommt, indem es von sich selbst
weggeht und als Beziehentlichkeit in seine wahre Ursprünglichkeit zurückfindet“. Vgl. ders., Einführung in das Christentum, München 1998, 150. Vgl. ders., Dogma und Verkündigung,
chen / Freiburg 1977, 211:“Person in Gott ist die reine Relativität.“
2200
Mün-
hinausgehenden Seinsteilgabe den Anderen in seiner Andersheit – als endliche
und kontingente Wirklichkeit – hervorbringt.
Der Panentheismus hat darin recht, dass ein monopersonaler Gott in der Hinbeziehung auf endliches Seiendes, dem gegenüber er sich abgrenzen müsste,
selbst verendlicht würde. Erst wenn Gott in sich selbst als Einheit in Differenz –
auf gleicher göttlicher Seinshöhe – wirklich ist, wird es möglich, auch geschöpfliche Vielheit im Gegenüberstand zum Sein Gottes in subsistenter Eigenwirklichkeit und in Differenz zum göttlichen Urheber so anzuerkennen, dass diese
auch und gerade dann gewahrt werden, wenn „Schöpfung“ eine wesentliche
Relation des Geschaffenen zu seinem göttlichen Grund besagt.
Eine sich erstlich trinitarisch auslegende Unendlichkeit steht in keinem Konkurrenzverhältnis zu begrenzter und endlicher Wirklichkeit. Sie kann Anderes
so sein lassen, dass es in sein Eigensein freigegeben, es selbst sein darf. Der
trinitarische Gott will das Andere, Endliche um seiner selbst willen.
Das nicht notwendige, seiner Freiheit entspringende Schaffen Gottes bringt allererst jenen Raum der Transzendenz hervor, in dem die Dinge – in unendlicher Differenz zum göttlichen Sein – als sie selbst frei ihr eigenes Sein vollziehen können. Es ist gerade diese Differenz, dieser gebührende Abstand, die sie
dem unendlichen Sein Gottes „entzieht“, wodurch es ihnen möglich ist, ganz
sie selbst und in sich selbst zu sein und in Freiheit zu wirken. Die Dinge werden durch die freie Schöpfertätigkeit Gottes so in ihre Eigenwirklichkeit freigegeben, dass sie aus dieser eigenen Wirklichkeit auch zur Spontaneität ihrer
Wirksamkeit gelangen. Ihr Eigensein ist eine wirkende Wirklichkeit.
Indem Gott den Menschen als freie Person schafft, die antwortend in eine liebende Beziehung mit ihm eintreten soll, gibt er ihn in seinen eigenen freien geschöpflichen Selbstvollzug frei, worin sicher eine gewisse „Selbstbegrenzung“
Gottes liegt, sofern die Realisierung der damit verbundenen Schöpfungsinten2211
tion, nämlich einen Mitliebenden Gottes außerhalb seiner selbst zu gewinnen,
von der Freiheitsentscheidung des Menschen abhängt.
iii) Existenz und Freiheit des Menschen, gelesen auf dem Hintergrund einer trinitarisch
gegründeten Schöpfungstheologie
Die Entgegennahme trinitarischer Selbstoffenbarung sieht den Menschen hinbezogen auf unendliche Freiheit, die aus Liebe schöpferisch ist. Wer nach dem
Grund geschöpflichen Seins fragt, wird durch die Einblendung fundamentaler
Wahrheiten der Selbsterschließung Gottes sin seine Überlegungen die Richtung
einer Antwort gewiesen bekommen: Gott hat die Welt und den Menschen erschaffen, weil er seine Herrlichkeit nach „außen“ darstellen und weil er Mitliebende haben wollte, die am eigenen trinitarischen Leben teilnehmen sollten. In
seiner Freiheit ist der Mensch dafür offen und verlangt im Grund danach, Mitliebender zu sein, so wie es das Ziel der Schöpfung war, die in Christus gipfelt,
in dem Gott und Mensch auf Höchste geeint sind.
In seiner unzurückführbaren Freiheit ist sich der Mensch selbst aufgegeben.
Mit ihr kann er sich auch entscheiden, das Angebot Gottes anzunehmen und
ein Mitliebender in der Gemeinschaft mit Gott zu werden. Wo sich die unendliche Freiheit in Schöpfung und Selbstkundgabe als Liebe offenbaren will, kann
die Kontingenz endlicher Entscheidungen wie überhaupt des individuellen
Seins von Mensch und Welt nicht nur als die negative Bestimmung der NichtNotwendigkeit und des Andersseins aufgefasst werden, sondern als positive
Freigabe in ihr eigenes Selbstsein und Freisein – als geschöpfliches Sichempfangen aus unendlicher Freiheit.
In seiner Weise zu sein, nämlich kontingent, gründet es in einer Freiheit, die
gerade weil sie unendlich ist, endlicher Freiheit einen Raum eigenen Selbstund Freiseins eröffnen kann. Christus hat in der Schöpfung jene Stelle eingenommen, von der aus es jedem Menschen möglich wird, seine geschaffene
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Freiheit auf Gott hin zu aktuieren und damit die Vollendung seiner Freiheit in
der Gemeinschaft mit Gott zu erlangen.
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