Kochia 6: 175–183 (2012)
Schriftenschau
Preisangaben aus postalischen Gründen am Ende
des Heftes.
JÄGER, ECKEHART J. (ed.): Rothmaler, Exkursionsflora von Deutschland, Gefäßpflanzen:
Grundband, ed. 20. – Heidelberg: Spektrum
Akademischer Verlag, 2011. – 930 Seiten,
ca. 3000 Abbildungen (schwarz-weiß).
Um den Erwerb der neuen (zwanzigsten) Auflage
des Rothmaler-Grundbandes kommt kein aktiver
mitteleuropäischer Florist herum. Aus dem Vorwort sei komprimiert zitiert: Ein modernes System, soweit inzwischen „einigermaßen“ konsolidiert, wurde eingeführt, um die RothmalerFlora vom Lehrstoff der Universitäten nicht
länger grundsätzlich abweichen zu lassen. Entsprechend wurden Abfolge, Umgrenzung und
Verschlüsselung der Familien und Gattungen
geändert und die Abbildungsleisten neu zusammengestellt. Traditionelle Familiennamen
früherer Auflagen tauchen jetzt nicht mehr im
Schlüssel auf: Asclepiadaceae, Buddlejaceae,
Callitrichaceae, Empetraceae, Globulariaceae,
Hippuridaceae, Hydrophyllaceae, Pyrolaceae.
Aus früheren Auflagen des Werkes vertraute
Genera wie Cardaminopsis, Cardaria, Chrysanthemum, Cnidium, Coronopus, Cortusa, Erophila, Hirschfeldia, Hutchinsia, Hymenolobus,
Ledum, Ligusticum, Loiseleuria, Reynoutria sind
alternativen Gattungsabgrenzungen gewichen.
Der Abgleich mit der Liste der Gefäßpflanzen
Deutschlands (BUTTLER & HAND in Kochia Beih.
1, 2008) führte zu zahlreichen Verbesserungen
der Auswahl, Nomenklatur und DeutschlandVerbreitung der Arten. Dennoch verbleiben (unvermeidlich) konkurrierende taxonomische und
nomenklatorische Konzepte im Vergleich mit
anderen mitteleuropäischen und internationalen
Grundlagenwerken und Datenbanken, zumal
in Fällen, die der Herausgeber und sein erfreulich
verjüngtes Team von Mitarbeitern als „noch
nicht konsolidiert“ ansieht und die vielleicht erst
in kommenden Auflagen das Licht der Rothmaler-Welt erblicken werden (Primulaceae s. l.,
Bromus s. l., Festuca s. l., Scabiosa s. l., Scorzonera s. l., Senecio s. l., Erucastrum incanum
175
(L.) W. D. J. KOCH versus Brassica geniculata
(DESF.) SNOGERUP & B. SNOGERUP, etc.). Standort
und soziologische Bindung wurden bei vielen
Taxa genauer gefasst, die Blütezeiten präzisiert.
Vornehmlich die anthropogene (weniger die
viel beschworene klimatogene) Florendynamik
machte die Aufnahme von etwa 120 neuen
Arten notwendig einschließlich solcher Unbeständiger, mit deren Einbürgerung in naher Zukunft zu rechnen ist. Der neue Grundband
enthält nun auch alle Arten von Alchemilla, Oenothera, Pilosella und Hieracium sowie grundsätzlich in allen Familien alle anerkannten Unterarten. Für Taraxacum, Ranunculus-auricomus-Sippen, kleinräumig verbreitete Rubi und
Sorbi werden Schlüssel auf der Homepage der
Grundband-Neuauflage kostenlos zum Download
bereitgestellt (www.springer.com).
Das Werk ist minutiös recherchiert und modernisiert. Bezüglich seiner Aktualität lässt das
Verzeichnis der benutzten Basis- und Primärliteratur keinen Wunsch offen. Intelligente Fußnoten machen das Gesamtregister absolut
„wasserdicht“. Im Bearbeitungsgebiet ausgestorbene oder als nicht vorkommend erkannte
Taxa nicht einfach zu streichen, sondern in den
Schlüsseln und Artbeschreibungen zu belassen,
ist eine weise Entscheidung (z. B. Poa langiana
p. 279, Ranunculus tripartitus p. 318). Bei Orobanche ist das Verzeichnis der Wirtspflanzen
(p. 698) recht nützlich. Auch die botanische Allgemeinbildung kommt nicht zu kurz; man lernt,
dass Sedum hispanicum nicht in Spanien vorkommt (p. 338) und sich hinter der Handelsbezeichnung „Rucola“ auf deutschen Wochenmärkten meist Diplotaxis tenuifolia und nicht
unbedingt Eruca sativa verbirgt (p. 544, 546).
Die mitteleuropäische Floristik als lebendige
Feldwissenschaft bekommt durch den Fleiß
und die Umsicht der Bearbeiter einen großartigen
Schub nach vorn und das botanische Exkursionswesen in den universitären, molekularbiologisch dominierten Curricula durch solch ein
gewichtiges Unterrichtsbuch vielleicht eine neue
Überlebenschance.
Ein kleiner „Korrekturzettel“ zu durchgeschlüpften Tipp- und Sachfehlern sei der Leserschaft mitgegeben. Göttingen, das sich selbst
stolz die Hauptstadt Südhannovers nennt, liegt
in Niedersachsen und nicht in Hessen (dreimal
auf p. 767). Bei Dichostylis P. BEAUV. und Pycreus
P. BEAUV. fehlt der Autor (p. 214), desgleichen
bei Tropaeolum majus L. (p. 517) und bei Hera-
176
Schriftenschau
cleum sphondylium subsp. glabrum (HUTH) HOLUB
(p. 754). Bei Honorius boucheanus (KUNTH)
HOLUB fehlt der Klammerautor (p. 185). „Epilobium ciliatum subsp. adenocaulon (HAUSSKN.)“
(p. 499) und „Pilosella bauhini subsp. magyarica
(PETER)“ (p. 826) sind autorlose und somit rätselhafte bzw. invalide Kombinationen. Die Autorbezeichnung „GREMLI od. DOUIN“ (p. 795) ist
ulkig, GREMLI trifft zu. Womit wir bei der jüngst
vom Rezensenten in Kochia Band 2 bis 5 eingeforderten Zitierhygiene bei den Autorbezeichnungen angelangt wären: Das Abkürzen oder
Nicht-Abkürzen von Autorennamen oder das
Hinzufügen oder Weglassen diakritischer Zeichen
oder zusätzlicher, nicht mit dem internationalen
Standard konformer Autor-Initialen suggeriert
einer Datenbank-Maschine jeweils einen „anderen“, scheinbar unterschiedlichen Autor, und
Nutzer von Standardfloren und Datenbanken
verlassen sich meist unkritisch auf diese! Um
Inkongruenzen im neu aufgelegten Band auszumerzen, sind folgende Standardisierungen
anzumahnen: Á. LÖVE (p. 113), L’HÉR. (p. 130),
ASCH. & GRAEBN. (p. 151, 204), JANCH. (p. 169),
HEUFF. (p. 169), GRAY (p. 185, 255), NEUMAN
(p. 192), A. E. KOZHEVN. (p. 209, 210), CIF. &
GIACOM. (p. 211), VAHL (p. 214), ANDERSSON
(p. 238), RICH. (p. 302), ENGL. (p. 344, 345, 701),
A. FRÖHL. (p. 349), NAUENB. (p. 368 oben), HARTM.
(p. 405), MUÑOZ GARM. (p. 414), C. MARQUAND
(p. 471, Kapitälchen!), M. ROEM. (p. 472), G. LÓPEZ
(p. 518), FISCH. (p. 579), KERGUÉLEN (p. 581),
C. A. MEY. (p. 610), G. DON (p. 623), THELL.
(p. 750), STOJ. (p. 787), DOSTÁL (p. 795), J. DUVIGN.
(p. 795), G. MARTENS (p. 795). „J. O. E. PERRIER“,
der Phantom-Autor, den es nie gab und der nie
eine Pflanzenart beschrieb (vgl. RAUS in Kochia 3:
89–90. 2008), hat leider den Wechsel zur neuen
Auflage unbeschadet überstanden. Richtig ist
Juncus ranarius SONGEON & E. P. PERRIER (p. 202,
vgl. Kochia 3: 92–93. 2008), Ranunculus lutulentus SONGEON & E. P. PERRIER (p. 320, vgl. Kochia 3: 92–93. 2008), Gentiana clusii E. P. PERRIER
& SONGEON und G. kochiana E. P. PERRIER &
SONGEON (p. 635, vgl. Kochia 3: 91–92. 2008).
Auch ein falscher Herrmann hat es bis in die
zwanzigste Auflage geschafft. Richtig ist Setaria
faberi R. A. W. HERRM. (p. 301, vgl. Kochia 5:
106, 110–112. 2011). Bolboschoenus „koshewnikowii“ (p. 210) ist orthografisch nach B. koshevnikovii (LITV.) A. E. KOZHEVN. [in Sosud. Rast.
Sovet. Dal'nego Vostoka 3: 189. 1988] zu korrigieren. Und eine spannende Frage ist (p. 209),
welcher Kombination die nomenklatorische Priorität zukommt, Bolboschoenus yagara (OHWI)
A. E. KOZHEVN. in Sosud. Rast. Sovet. Dal'nego
Vostoka 3: 187 (1988) oder aber B. yagara
(OHWI) Y. C. YANG & M. ZHAN in Acta Biol. Plateau
Sin. 7: 14 („1987” publ. 1988).
Thomas Raus
KOŁODZIEJEK, JEREMI: Taxonomic revision of
Potentilla sect. Collinae (Rosaceae) in Poland.
– Łódź: Wydawnictwo uniwersytetu Łódzkiego,
2010. – 73 & [2] Seiten, 43 Abbildungen (überwiegend farbig).
Die Bearbeitung der Potentilla-collina-Gruppe
in Osteuropa stellt eine enorme Herausforderung
dar. Im 19. Jahrhundert wurden hier diverse
Sippen beschrieben, die sich auf die Bearbeitungsgebiete der jeweiligen Bearbeiter konzentrierten. Eine zusammenfassende und kritische Bearbeitung dieser Gruppe fehlte bisher.
Jeremi Kołodziejek hat sich dieser Aufgabe für
das heutige polnische Staatsgebiet gestellt und
mit seiner Habilitationsschrift eine Übersicht
über seine bisherigen Ergebnisse vorgelegt.
Danach ist die Formenvielfalt der als P. sect.
Collinae neu kombinierten Gruppe durchaus
beherrschbar und alle anerkannten neun Arten
wurden bereits im 19. Jahrhundert erkannt. Mit
Ausnahme der auf Südwestpolen beschränkten
P. silesiaca kommen die Arten auch in anderen
europäischen Ländern vor. Teilweise sollen die
Sippen weiträumige Areale besiedeln, wie die
von Frankreich bis Rumänien vorkommende
P. collina. Die morphologischen Unterschiede
zwischen den Arten sind gering und Überschneidungen häufig. Die Anwendung des präsentierten Schlüssels ist sicher nicht in allen
Fällen unproblematisch.
Für die neun Arten und drei Hybriden – zwei
mit P. argentea, eine mit P. incana – werden
umfangreiche Beschreibungen mitgeteilt, die
sich auf die Untersuchung von lediglich 147
Herbarbelegen stützen, wobei auch mikroskopische Merkmale verwendet werden. Dazu werden Angaben zur Typisierung, zu Synonymen,
zu Chromosomenzahlen, zur Fortpflanzung,
zur Verbreitung, zum Habitat und zu den untersuchten Belegen gemacht. Mit Ausnahme
Schriftenschau
der ausgestorbenen P. silesiaca wird für alle
Sippen, offenbar nach eigenen Untersuchungen,
fakultative Apomixis angegeben. Die bisher ungeklärte Frage, ob P. guentheri oder P. wimanniana Priorität besitzt, wird zugunsten von P. wimanniana entschieden, allerdings ohne Begründung.
Die Arbeit steht im Widerspruch zu anderen
Ergebnissen, wonach es sich bei der P.-collina-Gruppe eher um lokal bis sehr lokal verbreitete Sippen handelt. Bemerkenswert ist
auch, dass es in Polen offenbar nur zackenhaarige Vertreter der Gruppe gibt. Zackenhaarlose Sippen wurden aber vielleicht bewusst
nicht behandelt, da die Sektion Collinae stets
Zackenhaare besitzen soll. Bei den Typisierungen sind dem Autor wohl auf Grund von
Missverständnissen bei der Interpretation
deutschsprachiger Texte Fehler unterlaufen.
So soll der Lectotypus von P. thyrsiflora aus
der Provinz Posen stammen, die zitierte Pflanze
wurde aber tatsächlich bei Lemberg gesammelt.
Verblüffend sind die Kastrationsexperimente,
wodurch Apomixis nachgewiesen wurde. Bisher
war in der Gattung Potentilla nur pseudogame
Apomixis bekannt. Bei dieser Form der Apomixis
ist eine Befruchtung durch Pollen notwendig,
Apomixis kann also nicht durch Kastration
nachgewiesen werden. Seine bisherigen Untersuchungen widersprechenden Ergebnisse
werden vom Autor nicht weiter diskutiert. Die
aus Rumänien beschriebene P. microdons wird
mit der aus der weiteren Umgebung von Warschau beschriebenen P. karoi synonymisiert.
Die im Protolog angegebenen beiden Fundorte
von P. microdons, die 15–20 km nördlich von
Hermannstadt liegen, werden in die Umgebung
von Lemberg verlegt.
Es ist fraglich, ob diese viele Ungenauigkeiten
aufweisende Arbeit einen Erkenntnisfortschritt
darstellt. Die vom Autor vorgenommene morphologische Umgrenzung der Sippen ist schwer
nachvollziehbar, wobei Merkmalsarmut und die
ausgeprägte saisonale und topologische Variabilität der Blätter an sich besondere Anforderungen an die Beschreibung stellen. Man
hätte sich vergleichende Abbildungen der Unterscheidungsmerkmale gewünscht. Unklar
bleibt auch, inwieweit die erwähnten Sippen
mit P. argentea und P. incana hybridisieren. Lediglich für drei der neun Sippen werden derartige
Rückkreuzungen erwähnt.
Thomas Gregor
177
LANG, WALTER & WOLFF, PETER: Flora der Pfalz.
Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen für die Pfalz und ihre Randgebiete,
ed. 2 (1. CD-Auflage). – Speyer: Verlag der
Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften, 2011. – CD-ROM mit 2665
Verbreitungskarten (farbig).
Neuerdings ist die Veröffentlichung von Verbreitungsatlanten in elektronischer Form durchaus
eine Möglichkeit, den schnellen Wandel der
Kenntnisse über die Verbreitung der Pflanzen
zugänglich zu machen. Leider waren die Autoren
etwas zu sparsam bei der Übernahme der Textkapitel aus der 1. Auflage. So fehlt eine Legende
der Symbole in den Verbreitungskarten. Da die
Autoren aber eine erheblich von der sonst in
ähnlichen Werken genutzten Symbolik abweichende Variante verwenden, wäre dies schon
sehr hilfreich gewesen. Die Bedeutung von z. B.
„x“ und „+“ erschließt sich mir nicht intuitiv. Auch
zur Kartierungsmethodik wird nur auf die 1. Auflage verwiesen. Was einem als Außenstehenden
auffällt, ist die etwas seltsame Abgrenzung des
Bearbeitungsgebietes. Während im Osten der
Rhein die Grenze bildet (was in den Verbreitungskarten aber leider nicht sichtbar gemacht
ist), richtet sich die Westgrenze nach MTB-Quadranten. Für mich nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum mal ganze Quadranten ohne
Pfälzer Anteil berücksichtigt werden und mal
nicht. Hier sollten sich die Verantwortlichen überlegen, ob nicht eine in allen Teilen des Bearbeitungsgebietes verwendete Abgrenzung sinnvoller
wäre. Größte Schwierigkeiten bereitete mir das
Blättern bei Kapiteln mit mehr als einer Seite.
Auf die Idee im Hauptmenü auf das Symbol „>“
neben dem „Ende“ zu klicken, bin ich nicht gekommen. Da es, wie ich erfahren habe, anderen
Nutzern genauso erging, wäre wohl eine mehr
intuitiv nutzbare Menüführung sehr hilfreich.
Bei der Durchsicht der Artenlisten (wissenschaftlich und deutsch) fällt die große Anzahl an
Sippen auf. Die 2665 Verbreitungskarten bilden
den Hauptteil des Werkes und geben einen
guten Überblick über die Verbreitung der Sippen
in der Pfalz. Anders als in gedruckten Atlanten
bestand nicht die Notwendigkeit der Beschränkung und so sind auch Bastarde mit nur einem
178
Schriftenschau
historischen Nachweis mit einer Karte vertreten.
Wie vollständig die Aufarbeitung der Daten ist,
kann ich als Außenstehender nicht beurteilen.
Der erste Eindruck ist aber, dass hier eine gründliche Arbeit geleistet wurde. Überregional interessant dürften vor allem neue Sippen sein, auf
die entweder bisher kaum geachtet wurde, oder
die erst in letzter Zeit eingeschleppt worden
sind. Hier kann man sich auch als Nicht-Pfälzer,
vor allem in Kombination mit den Bemerkungen,
eine ganze Reihe von Anregungen holen. Bei
einigen wenigen Arten gehen die Informationen
deutlich über das sonst in Verbreitungsatlanten
enthaltene Maß hinaus und ergeben fast eine
Flora. Hilfreich wäre es gewesen, wenn man
die Bemerkungen und Karten in einer Datei
vereint hätte. Man könnte sich dann das relativ
umständliche Aufrufen der beiden Einzelteile
sparen und hätte alle Informationen zusammen.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis rundet
das Werk ab.
Insgesamt ist der Verbreitungsatlas trotz der
aufgeführten Mängel eine wertvolle Informationsquelle, auch über die Grenzen des Bearbeitungsgebietes hinaus.
Heiko Korsch
MIEDERS, GEORG: Flora des nördlichen Sauerlandes. – Lüdenscheid: Der Sauerländische
Naturbeobachter 30, 2006. – 607 Seiten, 170
Farbabbildungen, 1 farbige Karte, 26 Rasterkarten (schwarz-weiß).
Fast zeitgleich mit der verschwenderisch ausgestatteten Flora des östlichen Sauerlandes erschien auch eine Flora des nördlichen Sauerlandes, auf die wir erst verspätet aufmerksam
wurden. Auf 40 Jahren Geländearbeit des 1935
in Hemer geborenen Autors, der im Sauerland
sein gesamtes Leben verbrachte, fußt diese
Flora. Es ist eine Regionalflora im besten Sinn.
Das Untersuchungsgebiet, etwa zehn Messtischblätter im nördlichen Sauerland, wurde akribisch durchforscht und alle erreichbaren Literaturquellen wurden ausgewertet. Für die einzelnen
Arten werden Angaben zu Häufigkeit und Verbreitung gemacht, und bei den seltenen Arten
werden Messtischblattsechzehnteln zugeordnete
Funde aufgeführt. Nur für 24 Arten werden auch
Rasterkarten präsentiert. Sicher liegen diese
auch für weitere Arten vor. Ihre Mitteilung hätte
die Auswertbarkeit erhöht. Die Vorkommensangaben sind recht allgemein und nicht immer ist
es eindeutig, dass sich die Angaben nur auf
Vorkommen im Gebiet beziehen. Hinweise zu
Merkmalen oder abweichenden ökologischen
Bedingungen von Vorkommen finden sich nur
sporadisch.
Die Flora wurde für Gebietskenner geschrieben. Auswärtigen wird eine einseitige Beschreibung des Gebietes zur Hand gegeben, worin
man erfährt, dass „verschiedene Höhenlagen
und Klimabedingungen … gemeinsam mit unterschiedlichem Gesteins- und Bodenuntergrund,
wechselnder Hangneigung und Erwärmung und
weiteren Faktoren oft starke Unterschiede im
Pflanzenspektrum [verursachen]“. Was ein Besucher des Gebietes schmerzlich vermisst, ist
eine Übersicht über botanisch bemerkenswerte
Gebiete. Potentielle Exkursionsziele muss man
sich mühsam über die Auswertung der Artkapitel
erschließen.
Der Autor hat alle erreichbaren Literaturstellen
einbezogen und sie oft kritisch kommentiert.
Vor allem durch die Einbeziehung von Angaben
von Götz Heinrich Loos finden sich in der Flora
Funde für einige selten genannte, teilweise noch
unbeschriebene Sippen: Cirsium vulgare subsp.
sylvaticum, Euphrasia diekjobstii, Senecio patzkei
oder Sparganium dolichocarpum. Interessant
ist auch, dass Senecio aquaticus s. str. dem
Gebiet fehlt und hier weitgehend durch Senecio
erraticus subsp. barbareifolius ersetzt wird.
Wer Artareale ermitteln möchte, wird auch
diese Flora zur Hand nehmen. Für gelegentliche
Besucher des Gebietes ist sie trotz der genannten
Einschränkungen empfehlenswert. Wer sich
aber unbedingt diese Flora anschaffen sollte,
sind Botaniker die mehr oder weniger regelmäßig
im Sauerland botanisieren.
Thomas Gregor
PETRICK, WOLFGANG; ILLIG, HUBERT; JENTSCH,
HELMUT; KASPARZ, SVEN; KLEMM, GUNTHER &
KUMMER, VOLKER: Flora des Spreewaldes. –
Rangsdorf: Natur und Text, 2011. 536 & [8]
Seiten, zahlreiche Abbildungen (schwarz-weiß,
farbig), CD mit Gebiets- und Detailkarten.
Schriftenschau
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die bundesweit
bekannteste Pflanzensippe des Florengebietes,
die Spreewaldgurke, wird erwähnt. Aber der
Reihe nach: Die neue Flora zeichnet sich in
verschiedener Hinsicht durch Besonderheiten
gegenüber anderen Neuerscheinungen der letzten Jahre aus. Es wird ein mehr oder weniger
naturräumlich definiertes Gebiet behandelt, nicht
ein durch Verwaltungsgrenzen definierter Raum
wie bei fast allen deutschsprachigen Floren der
letzten Jahre. Den hinteren Einband füllen nicht
nur Zusammenfassung und Summary, sondern
auch eine Zespominanje, die sorbische Version.
Der Spreewald ist wohl nicht nur die überregional
bekannteste Landschaft Brandenburgs, sondern
zählt auch zum Siedlungsgebiet der Sorben.
Sie hatten erheblichen Anteil daran, dass die
Gegend lange Zeit als Gemüsegarten Berlins
galt, verbunden mit ausgeprägten Traditionen
im Garten- und Feldbau. Daher erscheint es
nur konsequent, dass in dieser Flora auf knapp
60 Seiten die im Gebiet kultivierten Sippen mehr
oder weniger ausführlich kommentiert aufgelistet
werden – eine bemerkenswerte und aufschlussreiche Hinzufügung, die man aus modernen
Floren kaum mehr kennt.
Die einleitenden Kapitel – ziemlich genau
100 Seiten umfassend – decken alle wünschenswerten Aspekte ab, die zu einer Gebietsflora
gehören, darunter Erforschung des Gebietes,
Landschaftsgenese, Vegetation, pflanzengeographische Besonderheiten, volkstümliche Pflanzennamen beider indigener Sprachen. Manchem
mag die Einleitung etwas zu üppig geraten
sein, doch handelt es sich letztlich um eine
sehr lesenswerte Naturkunde des Biosphärenreservats und seiner Randgebiete (insgesamt
hat das Untersuchungsgebiet rund 740 Quadratkilometer Fläche), die für alle an der Erhaltung
des Spreewalds interessierten Kreise hilfreich
und informativ ist, nicht nur für Floristen. Der
Spezielle Teil handelt die 1227 wild wachsenden
Taxa des Gebietes ab. Bei den meisten Sippen
erfolgen im Telegrammstil Angaben zum Standort,
zur Häufigkeit und zu Bestandstrends. Ab einer
gewissen Seltenheit werden Fundstellen und
Herbarbelege im Detail aufgelistet; nur zu wenigen Arten gibt es Gitternetzkarten (Viertelquadranten). Die Auflistung von letztlich sehr
179
vielen Fundortdaten anstelle von anonymen
Rasterkarten ist aus der Sicht des Rezensenten
eine lobenswerte Entscheidung. Eingestreut
sind einige Schwarz-Weiß-Fotos; farbige Ablichtungen sind in einem abschließenden Block
zusammengefasst. Was die kritischen Taxa angeht, so sind beispielsweise Oenothera, Rubus
und Taraxacum recht gut erfasst. Bei anderen
Sippen finden sich leider keinerlei Hinweise auf
infraspezifische Taxa (etwa bei Aethusa cynapium
und Ballota nigra). Sympathisch sind kritische
Anmerkungen zum Erfassungsstand etwa bei
den nordamerikanischen Astern, die als Symphyotrichum abzutrennen sind, oder zu Ononis
spinosa; Probleme werden klar benannt anstatt
sie dezent zu verschweigen, wie in manch anderer Flora. Bei nicht genannten, aber gern
verkannten Sippen, etwa Fallopia bohemica,
bleibt offen, ob sie vergeblich oder noch nicht
gesucht wurden. Ein gut aufgemachter statistischer Überblick sowie ein Kapitel zur Bedeutung
des Untersuchungsgebietes für den floristischen
Artenschutz (allen Florenschreibern sehr ans
Herz gelegt!) und ein Fundortregister runden
den Band ab. Als Besonderheiten seien erwähnt:
Thesium ebracteatum mit der individuenreichsten
Population Deutschlands, noch große Bestände
von Gypsophila fastigiata, Rhynchospora fusca
und Viola stagnina, Leucojum aestivum als etablierter Neophyt sowie Thladiantha dubia, die
Quetschgurke, die als möglicherweise bereits
eingebürgert betrachtet wird. In einer nächsten
Auflage sollte den beiden (gedruckten) Übersichtskarten ein Maßstab beigefügt werden;
Ortsfremden bleiben die Gebietsdimensionen
etwas abstrakt. Die über die beigefügte CD erschlossenen Detailkarten sind kartographisch
hingegen vollständig. Es lassen sich Detailkarten
aufrufen, in denen die Mehrzahl der erwähnten
Fundstellen angezeigt ist. Das ist sicherlich
noch ausbaufähig (etwa Anzeige von Arten pro
Fundort). Damit lassen sich aber bereits jetzt
botanische Exkursionen vorbereiten. Die handliche Flora ist etwas größer und schwerer als
ein „Rothmaler“, lässt sich aber durchaus noch
im Exkursionsgepäck bei einer Tour in den
Spreewald unterbringen. Eine erfreuliche Neuerscheinung.
Ralf Hand
180
Schriftenschau
PILSL, PETER: Bibliographie der botanischen
Literatur über das Land Salzburg. Teil 2
von 1981 bis 2010. – Dorfbeuern/Salzburg:
Verlag Alexander Just. – Sauteria 19, 2011. –
721 Seiten.
Nach dem ersten Teil der „Bibliographie der
botanischen Literatur über das Land Salzburg.
Teil 1 von den Anfängen bis 1980“ aus dem
Jahr 2003 (Sauteria, Band 12) liegt vom selben
Autor nun auch der zweite Teil (von 1981 bis
2010) vor. Peter Pilsl ist Bibliothekar an der
Universität Salzburg und Leiter der Salzburger
Botanischen Arbeitsgemeinschaft (Sabotag)
am Haus der Natur. Die engagierte Salzburger
Botaniker-„Riege“ überzeugt in den letzten
Jahren mit interessanten Projekten und Publikationen. Diese Aktivitäten spiegeln sich auch
mengenmäßig in einem gezeigten Diagramm
in der Einleitung wider. Es sei an dieser Stelle
an die „Neophytenflora der Stadt Salzburg“
aus dem Jahr 2008 (Sauteria, Band 17) erinnert,
deren Erstautor ebenfalls Peter Pilsl ist.
Auch in Zeiten der Internetnutzung und der
großen, internationalen Datenbanken sind Bibliographien wie diese noch immer sehr wichtig.
Es werden kleinere, sonst kaum nachgewiesene Arbeiten, Publikationen mit geringer Verbreitung wie auch „graue Literatur“ zusammengefasst. Besonders hilfreich ist die vorliegende Bibliographie bei Publikationen, bei denen vom Titel kein Bezug zu Salzburg vorliegt,
in denen jedoch Funde aus Salzburg erwähnt
werden. Diese versteckten Daten wären sonst
nur schwer fassbar und würden Gefahr laufen,
bei zukünftigen Recherchen übersehen zu
werden. Nachträge zum ersten Band werden
den einzelnen Kapiteln hinzugefügt.
Die Bibliographie enthält 2444 Literaturzitate,
von denen 1724 am Original überprüft und inhaltlich erschlossen wurden. Dabei wurden
normierte Schlagworte, die geographische
Abdeckung und die in den Arbeiten genannten
Pflanzennamen in eigenen Registern erfasst.
Für jedes Zitat wurde ein Abstract geschrieben
bzw. übernommen. Diese Abstracts erweisen
sich als sehr zeitsparend bei Literaturrecherchen und sind überdies angenehm und interessant zu lesen. Die wesentlichen Inhalte der
Veröffentlichungen sind dabei in kurzer, anschaulicher Art und Weise dokumentiert. Die
Angabe einer besitzenden Bibliothek erleichtert
dem Benützer der Bibliographie die Auffindung
der Arbeiten.
Es werden in diesem Nachschlagewerk
nicht nur die botanischen Publikationen im
engeren Sinn behandelt. Das Spektrum ist
weiter gefasst. Publikationen zu Themen wie
Phänologie, Landwirtschaft, Wald- und Forstwirtschaft, Ökologie, Naturschutz, Palynologie
und Vegetationsgeschichte, Paläobotanik, Systematik, Vegetation, Botanische Gärten und
Parkanlagen und die Geschichte der Botanik
haben ebenso Eingang gefunden, wie Reiseund Naturführer sowie Biographien und frühere
Bibliographien.
Die Methodik der vorliegenden Bibliographie
ist wohldurchdacht. Das zieht sich wie ein
roter Faden durch den gesamten Band. Unterstrichen wird diese Tatsache schließlich
noch durch Details wie eine vorbildliche Papierqualität und Daten zur Ökobilanz dieses
Druckwerkes.
Peter Pilsl hat seinen Beruf zur Berufung
gemacht und der heimischen Botanik mit diesem Werk wieder einen guten Dienst erwiesen.
Dieser Band ist ein unverzichtbares Werkzeug
für alle Heimatforscher, Botaniker und Liebhaber
der österreichischen Flora.
Michael Hohla
ROSTAŃSKI, KRZYSZTOF; ROSTAŃSKI, ADAM; GEROLD-ŚMIETAŃSKA, IZABELA & WĄSOWICZ PAWEL:
Evening-primroses (Oenothera) occurring
in Europe. Wiesiołi (Oenothera) występujące
w Europie. – Kraków: W. Szafer Institute of
Botany, Polish Academy of Sciences, 2010. –
157 Seiten, zahlreiche Abbildungen (überwiegend farbig).
Lange haben die Nachtkerzen-Enthusiasten
darauf gewartet, dass eine zusammenfassende
Darstellung der Oenothera-Sippen nach dem
Rostanskischen System erscheint. Ein System,
welches nach Ansicht des Autors dieser Rezension der in Europa auftretenden Vielfalt
der Sippen der Gattung deutlich gerechter
wird als das System von DIETRICH & al. (1997).
Schriftenschau
Nun liegt die dringend benötigte Arbeit in einem
157 Seiten umfassenden Heft, welches 61
Arten in englischer und polnischer Sprache
darstellt, vor und es enttäuscht alle jene, die
das Werk mit großen Hoffnungen erwartet haben. Ein Blick in das Heft zeigt sofort, dass die
verwendeten Fotos (Makroaufnahmen der Behaarung und Bedrüsung der Stängel sowie der
Blütenknospen und der Fruchtknoten) grundsätzlich nicht oder nur in Ausnahmefällen (wenige Habitus-Aufnahmen) zur Ansprache der
Sippen geeignet sind. Ein Rückgriff auf die
guten, schon anderenorts verwendeten Strichzeichnungen (z. B. ROSTANSKI 2007) wäre sehr
viel hilfreicher gewesen. Angesichts der schon
in Deutschland zu beobachtenden regionalen
Unterschiede in der Verbreitung sind die Verbreitungskarten, in welchen für jedes berücksichtigte Land nur ein – meist zentral angeordneter – Punkt vergeben wird, ebenfalls nicht
hilfreich. Diese Darstellung hätte in Form einer
Tabelle erfolgen können, und es wäre so wesentlich mehr Raum für die Beschreibung der
Arten und ihrer Abgrenzungen gegen andere
Sippen geblieben. So sind die Beschreibungen
der Arten oft sehr kurz geraten und erlauben
nur selten eine Abgrenzung gegen naheverwandte Sippen.
Irgendwann stellt der/die Lesende dann auch
fest, dass sie/er mitnichten eine Gesamtdarstellung der Europa wildwachsenden Oenothera-Arten in den Händen hält, da sie/er zum
Ende der nur sehr kurzen „Introduction“ von einem Absatz überrascht wird, in welchem die
Autoren mitteilen, dass neben den vorgestellten
61 Arten noch weitere Arten in den Ländern
Europas beobachtet wurden. Diese Auslassung
werden nicht begründet und erfolgen in Form
eines sehr langen nur mit Kommata und Semikola
untergliederten Absatzes. Wenn sich der Autor
dieser Rezension nicht verzählt hat, so handelt
es sich immerhin um 19 Arten, was angesichts
von 61 berücksichtigten Arten kein geringer
Prozentsatz (nahezu 20 %) der Gesamtartenzahl
Europas (offensichtlich 80 Arten, ohne die lediglich kultivierten Sippen) ist. Dass ca. ein
Fünftel der in Europa auftretenden Sippen in
dem Werk nicht berücksichtigt wird, verstärkt
die mittlerweile schon stark ausgeprägte Enttäuschung des Lesenden erheblich. Zudem
werden die Synonyme der behandelten Arten
nicht oder nur unzulänglich dargestellt, es
werden zwar zu jeder Art die nach Auffassung
181
von K. Rostanski korrekten Autoren genannt,
aber, da die Jahreszahl der Beschreibung nie
erscheint, ist es nicht oder nur schwer möglich
die Quelle für die Beschreibung aufzufinden
(es sei denn mensch hat das Glück diese in
einer der im Literaturverzeichnis angegebenen
Arbeiten zu entdecken, was nicht für alle Arten
möglich ist).
Über den Bestimmungsschlüssel möchte
sich der Rezensent erst abschließend äußern,
wenn er diesen über einen längeren Zeitraum
erprobt hat. Ein schneller Blick zeigt jedoch,
dass er wohl unter denselben Problemen leidet
wie der Schlüssel im „Rothmaler“. Es sind
dies ein oft unklarer Sprachgebrauch und vor
allem die Verwendung von sehr variablen
Merkmalen (z. B. Länge und Breite der Petalen),
welche zudem noch mit allen Überschneidungen im Schlüssel dargestellt und als alleiniges
Trennungsmerkmal verwendet werden (d. h.,
der/die Lesende wird sich häufig im Überschneidungsbereich befinden und nicht „weiterwissen“). Die benutzerunfreundliche Angewohnheit, im Schlüssel bei einer Frage Merkmale zu nennen, die dann in der Gegenfrage
nicht mehr aufgegriffen werden, existiert genauso, wie die Verwendung sehr vager Merkmale (clearly red punctated vs. slightly red
punctated; fruiting inflorescences short vs. fruiting inflorescences long). Trotz der noch ausstehenden eingehenden Prüfung des Schlüssels, vermutet der Rezensent, dass ein Schlüssel, dem ein Fünftel der auftretenden Arten
fehlt, bei der Verwendung Probleme bereiten
wird.
Auch in Zukunft werden die Oenothera-Enthusiasten zur sicheren Ansprache der ihnen
noch nicht bekannten Sippen darauf angewiesen sein, ihre Belege zur Absicherung an
K. Rostanski zu schicken, und sie werden mit
großen Hoffnungen auf eine Überarbeitung
des vorliegenden Werkes warten.
Rüdiger Prasse
DIETRICH, W., WAGNER, W. I. & RAVEN, P. H. 1997:
Revision of Oenothera Section Oenothera
Subsection Oenothera (Onagraceae). –
Syst. Bot. Monogr. 50.
ROSTANSKI, K. 2007: Oenothera L. [Onagraceae]. – p. 329–339. In: HAEUPLER, H. &
MUER, T. (ed.), Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands, ed. 2. – Stuttgart:
Ulmer.
182
Schriftenschau
SCHMIDT, LOKI [Mitarbeit: LOTHAR FRENZ]: Das
Naturbuch für Neugierige. – Berlin: Rowohlt,
2010. – 235 + [1] Seiten, zahlreiche Abbildungen
(farbig).
Schon „Schmidt, Loki“ zu schreiben fällt nicht
leicht, solch eine Persönlichkeit war „Loki“ Hannelore Schmidt († 21.10.2010), die sich in ganz
hervorragender Weise für den Schutz der Natur
und insbesondere der Pflanzen engagiert hat.
Als Ehefrau des früheren Bundeskanzlers sorgte
sie dafür, dass jährlich eine „Blume des Jahres“
in den Blickpunkt der Medien geriet. Vielen
brachte sie die Botanik nahe. Wohl kaum
jemand hat in den letzten Jahren die Pflanzenwelt in der breiten Öffentlichkeit so vertreten
wie sie. Das sind Gründe, das Buch hier vorzustellen, auch wenn es kein wissenschaftliches
Werk ist.
In ihrem letzten, am 17.9.2010 erschienenen
Buch, versteht Schmidt es denn auch, mit oft
sehr persönlichen Anekdoten, in denen meist
Pflanzen im Mittelpunkt stehen und die sowohl
aus der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart
als auch vom Hinterhof und Rasen vorm Haus
bis zur Entdeckung neuer Arten in Amerika reichen, Begeisterung zu wecken. Was man in
Kinder einpflanze, behalten sie ihr Leben lang.
Begeisterung stecke an. Nicht Schmidt habe
die Pflanzen für sich entdeckt – „die Pflanzen
haben mich gesucht und gefunden“, sagt sie.
Das Buch, das dem Hardliner unstrukturiert
erscheinen muss, wäre aber nichts ohne Lothar
Frenz im „Hintergrund“. Er, der unter „Mitarbeit“
genannt wird, habe in Gesprächen mit der 91jährigen Schmidt das Buch vorbereitet und ihre
Beiträge niedergeschrieben. Und er hat als
Zoologe und Journalist eigene Abschnitte ergänzt. Seine eigenen Beiträge sind fett gedruckt.
Kapitelüberschriften lauten „Das weiße Kaninchen und die Wildgänse“ (letztere über den
Twin Towers), „Von Langenhorn in die Welt“,
„Eine Expedition in den Rasen“, „Wenn’s ebbt
und quillt“, „Wenn Pflanzen fremd gucken“ oder
„Geranien, die nach Gondwana driften“, um
nur eine Auswahl zu nennen. Im Kapitel „Eisblume oder Krause Glucke“ geht es um die
Jahreszeiten und welche denn Schmidts Lieblingsblume sei. Eine Frage, die besonders
gerne von Frauen gestellt wurde. „Zu welcher
Jahreszeit denn?“ ist ihre Antwort.
Von der Lehrerin Schmidt angefertigte Abbildungen, kolorierte Stiche aus besseren botanischen Zeiten, copyrightfrei, und viele andere
Abbildungen lockern das Buch auf und erhöhen
die Anschaulichkeit der Erzählungen und Beschreibungen noch mehr.
Immer wieder kommt Loki Schmidts „innige“
Beziehung zu den Pflanzen zum Ausdruck,
aber auch ihre eher wissenschaftliche Herangehensweise. So beschreibt sie wie sie einen
Staatsbesuch ihres Mannes in Mexiko begleitend, das Damenprogramm „mit den ganzen
feinen Damen zu langweilig“ fand und lieber,
„stadtfein“, „am Creek rumkroch“ und so eine
neue Erdbromelie entdeckte (Pitcairnia lokischmidtiae). In der Antarktis fand sie als erste,
wie sie feststellt, Poa annua, ihr „ick bün al do“
aus dem Märchen vom Hasen und Igel. Am
brasilianischen Rio Negro entdeckte sie einen
bis dahin unbeschriebenen Skorpion.
Die Pflanzen betrachtet sie durchaus im Zusammenhang, wobei das Wort „Ökologie“ oder
die Silbe „öko“ aber wohl im ganzen Buch nicht
vorkommt. Sie geht auf die Landschaftsgenese
zum Beispiel im Fall der Norddeutschen Heide
oder des (Ur-)Elbe-Tales ein, oder auf vegetationsgeschichtliche und kulturhistorische Aspekte.
„War hier mal Heide?“ fragt sie sich. Was
passiert mit einem Acker, wenn er nicht mehr
bewirtschaftet wird? Sie kauften 1985 ein sechs
Hektar großes Grundstück. Sie begann, die
Sukzession zu studieren und fotografisch zu
dokumentieren.
Sie war eine Vermittlerin, die ihren Schülern
Blumen mit in den Unterricht brachte, sie in
Marmeladengläser stellte und beschriftete; und
später Quiz machte. Dreiviertel der Schüler,
wussten die Namen. Was keinen Namen habe,
werde zur Seite geschoben. „Dingsfidelbums“
vergesse man wieder. Oder sie ließ die Kinder
Pflanzen ausgraben und in Töpfe pflanzen, um
sie im Klassenzimmer bei ihrer weiteren Entwicklung zu beobachten. Sie regt zum Anfassen,
Hinschauen, Beobachten und Experimentieren
an. In der Darstellung bleibt sie immer sehr anschaulich.
Vom „Schierlings-Wasserfenchel“ (Tide-W.,
Oenanthe conioides) gebe es im Hamburger
Raum wohl nicht mehr Exemplare wie Große
Pandabären in China. Fasziniert war sie bereits
von den „Eisblumen“ ihrer Kindheit, „eine be-
Schriftenschau
drohte Art sozusagen“, wie Frenz ergänzt.
Biografische Szenen werden geschildert.
Die Wegwarte habe sie in ihrer Kindheit erstaunt,
weil es eine Pflanze gebe, die, nachmittags,
vor ihr schlafen gehe. 15-/16-jährig hat sie den
wilden „Klippenkohl“ auf Helgoland gesucht
und gefunden. Ihr Mann und sie sammelten
die ersten Kastanien auf, und brachten sie
dem anderen mit. Beim „Holzklau“ nach dem
Krieg färbte sich der Schnee knallblau. Ebenfalls
nach dem Krieg pflanzten sie selber Tabak an;
zehn Pflanzen, soviel wie erlaubt war. Am
Brahmsee haben sie nachts im Schilf Schwalben
gestreichelt.
Ihre Beziehung zur Natur geht sicher auch
auf ihre Eltern zurück. Sie berichtet von Frühlingsspaziergängen mit den Eltern in die Natur.
In den 20er Jahren hatten ihre Eltern noch
Alfred Wegener in der Volkshochschule höchst
persönlich gehört. Ihre Mutter habe zu Beginn
der Ausbombung als erstes Sturms Flora von
Deutschland aus dem Haus geschleppt. Von
ihren Eltern hört sie auch, dass Mutterkorn
früher zur Abtreibung verwendet wurde.
Vieles erfährt man in dieser lockeren Einführung in die Pflanzenwelt, die biologische
und geografische Naturkunde. Es ist kein Fachbuch. Was es ja auch nicht sein will. Es geht
darum, Naturphänomene zu entdecken, zu untersuchen und zu verstehen und sich (und andere) dafür zu begeistern.
Kommen wir zum eher Ärgerlichen: Poa annua ist nicht das „Wiesen“-Rispengras (p. 7).
Auf p. 73 ist aber sogar eine RispengräserTafel mit korrekten Namen! Das größte, rezente
Lebewesen war nie der Blauwal, sondern war,
und ist vom Gewicht her immer noch, der Riesen-Mammutbaum (p. 56, statt amerikanischer
Hallimasch). Die Stieleiche heißt schon lange
nicht mehr „Quercus pedunculata“ (p. 89). Die
Heide wird nicht abgepla’ck’t (p. 130), sondern
abgeplaggt. Kartoffel und Tabak sind keine
Neophyten bei uns (p. 193). Der Aronstab hat
nicht einen Fruchtknoten, sondern viele bzw.
einen Fruchtstand (p. 134). Botanische Termini
werden manchmal etwas unsauber gebraucht.
Nicht der Gartenrotschwanz beginnt am Morgen
als erster zu singen, sondern der Hausrotschwanz (p. 104). Ob der „Schmeil-Fitschen“
eine gute Buchempfehlung für das anvisierte
183
Publikum ist, sei dahingestellt (p. 234). Ein Inhaltsverzeichnis wäre schön gewesen. Ansonsten: nahezu keine Rechtschreibfehler (aber
p. 97).
Im Buch geht es nicht nur um Pflanzen wie
gesagt. Loki Schmidt weiß auch viel über Tiere
zu erzählen. Sie konnte Amsel und Singdrossel
schnell am Gesang unterscheiden. Lothar Frenz,
Jahrgang 1964, Autor (zum Beispiel W wie
Wissen, Das unglaubliche Quiz der Tiere, GEO,
Löwenzahn), steuert viele zoologische und botanische Einschübe bei und steigert so das Lesevergnügen. Über Bärtierchen zum Beispiel,
oder Silberfischchen, oder den Urwelt-Mammutbaum … Auch stellt er Fragen wie: „Welches
Laub raschelt im Herbst am meisten?“ Oft
lauscht man quasi einer Unterhaltung der
beiden, einem stillen Gedankenaustausch,
einem Dialog unterschiedlicher Generationen.
Das macht das Buch auch stilistisch besonders.
Lebende Fossilien bewunderte auch Loki
Schmidt. Welwitschia und Schnabeltier. Und
die Wollemia, die friedlich und unbemerkt Jahrmillionen überstanden habe, während Menschen
Kriege führten und „was weiß ich für Erfindungen
gemacht wurden“. Beim Anblick jeder Mohnblume, solle man sich dran erinnern, sie stamme
direkt aus dem Paradies, als Archäophyt. Sie
konnte sich immer wieder wundern und begeistern. – Und das überträgt sich auf den Leser.
Das sehr „griffsympathische“, gebundene
Buch eignet sich gut zum Verschenken. Es ist
als Taschenbuch und Kindle-Edition erhältlich.
Niels Böhling
Preisangaben zu den besprochenen Werken:
JÄGER 39,95 €
KOŁODZIEJEK 24,00 zł.
LANG & WOLFF 15,00 €
MIEDERS 19,90 €
PETRICK & al. 30,00 €
PILSL 59,00 €
ROSTÁNSKI & al. 43,00 €
SCHMIDT 19,95 € (Taschenbuch
und Kindle 9,99 €)