Academia.eduAcademia.edu

Arbeiten? Lässt sich (nur) als Feldforschung ertragen

Zeitschrift für Empirische Kulturwissenschaft

Rasch stellt sich in Zeiten von Befristungen und kurzen Arbeitsverträgen das Gefühl ein, nicht "wirklich" zu arbeiten oder keiner "richtigen" Arbeit nachzugehen. Viele Kolleg:innen leben im ständigen Bewusstsein, bald keine Stelle mehr zu haben oder auf der Suche nach einer zu sein. Diese Zeitlichkeit des akademischen Lebens hat konkrete Folgen: Sie verschlingt Energie, verlangt thematische Anpassungen an sich verändernde Standorte und erschwert nachhaltiges Forschen. Netzwerke sind immer

Forum 107 ............................................................................................................................ Asta Vonderau Arbeiten? Lässt sich (nur) als Feldforschung ertragen Rasch stellt sich in Zeiten von Befristungen und kurzen Arbeitsverträgen das Gefühl ein, nicht 1wirklichª zu arbeiten oder keiner 1richtigenª Arbeit nachzugehen. Viele Kolleg:innen leben im ständigen Bewusstsein, bald keine Stelle mehr zu haben oder auf der Suche nach einer zu sein. Diese Zeitlichkeit des akademischen Lebens hat konkrete Folgen: Sie verschlingt Energie, verlangt thematische Anpassungen an sich verändernde Standorte und erschwert nachhaltiges Forschen. Netzwerke sind immer 108 Forum ............................................................................................................................ wieder neu und eher strategisch als inhaltlich zu knüpfen, Pendelstrecken werden länger und Alltagslogistiken komplizierter. Dass es Arbeit nie in Ruhe und nie auf Dauer gibt, ist an der neoliberalen Universität 1normalª. Und weil das Ende der Arbeit immer schon in Sicht ist, erscheint die Frage danach, wie wir denn arbeiten möchten, für viele überflüssig. Diejenigen, die berufen werden, sind im festen Griff der Institu‐ tion Universität und strukturell so eingebunden, dass die Luft zum Atmen und zum Forschen oft fehlt. Dennoch machen die Arbeit auf Dauer und die andauernde (wenn auch zuweilen träge) institutionelle Zeitlichkeit ein Nachdenken über die eingangs gestellte Frage notwendig. Mein persönliches Nachdenken begann in dem Augenblick, als der Rektor bei der Übergabe meiner Berufungsurkunde hinter sich auf drei weitere Männer in Pe‐ rücken deutete, die von Gemälden an der Wand seines Büros auf mich herabschauten, und mich fragte, ob ich diese historischen Gröûen erkennen würde. Erkannt habe ich in dem Moment, dass keine Frauen darunter waren, dass ich bestimmte institutio‐ nelle Hierarchien ignorieren und nicht als meine hinnehmen will. Institutionen, wie von Mary Douglas (1986) gezeigt, können klassifizieren, vergessen lassen und über Leben und Tod entscheiden. Zugleich aber lässt sich das institutionelle Geschehen im Modus der Feldforschung, aus einer beobachtenden, analytischen Distanz gut na‐ vigieren und dezentrieren. Wenn ich die bunten, aber staubigen Talare beobachte und politische Stimmen höre, welche erfolgreich durchgeführte Sparmaûnahmen loben und sich bemühen, bloû keinen Cent zu viel für die Zukunft der Wissenschaft zu versprechen, dann denke ich an meine Studierenden und unser gemeinsames Tun. Sie erscheinen mir in sol‐ chen Momenten als sehr weltoffene Menschen und ich danke meinem Schicksal, mit ihnen arbeiten zu können. Auch erinnere ich mich an diejenigen, denen ich während meiner Forschungen begegnet bin und wie sie andere Arten des In-der-Welt-Seins an den Tag legen. So betrachtet, zeigt sich der Arbeitsalltag nicht bloû als grau, sondern als a colourful explosion of the actual (Rees 2018). Er ist von einer Gleichzeitigkeit von Dingen durchzogen, die scheinbar unverbunden und dennoch in Bezug zueinander stehen, aufeinander wirken und verschiedenste Folgen, darunter auch Freiräume für Neues, mit sich bringen. Die Feldforschungsperspektive denaturalisiert die Enge des Tatsächlichen, insofern sie die Vielfalt des Möglichen denkbar macht. Im ethnologi‐ schen Instrumentarium finden sich weitere Mittel, die gegen institutionelle Norma‐ lisierungen helfen und der Frage, wie wir arbeiten wollen, Sinn und Wirkungskraft verleihen. So sind bloûe Distanzierung und Verfremdung für eine visionäre, über institutionelle Grenzen und Zwänge hinausreichende Reflexion nicht ausreichend, dies erfordert Imagination und ethnologische Vorstellungskraft. Forum 109 ............................................................................................................................ Ich stelle mir vor, ich wäre ein Fels in der Brandung Dauerhaftigkeit ermöglicht es, Verantwortung zu übernehmen, sei es für bestimmte Forschungsthemen und Fragestellungen, sei es für jüngere Menschen ± Kolleg:innen und Studierende ±, die in den Stürmen der neoliberalen Universität hin und her geschleudert werden. Ich wünsche niemandem (besonders nicht Kolleg:innen mit Kindern), die Härten einer akademischen Karriere zu erfahren, wie sie noch vor ei‐ nigen Jahren üblich waren. Sie alle sollten Zeit für Kinderbetreuung haben, in Ruhe forschen und davon ausgehen dürfen, dass sie nach einer Pause ihre Arbeit wieder‐ aufnehmen werden. 1Ich kann ihnen dabei helfen und Stabilität bietenª, denke ich, 1quasi als Fels in der Brandungª. Allerdings einer, der am Ende des Tages stetig von bürokratischen Wellen überspült wird. 1Guten Morgen, sehr geehrte Frau Professorin Vonderau, für das o. g. Personalverfah‐ ren benötige ich schnellstmöglich eine neu angepasste Tätigkeitsdarstellung.ª 1Wie telefonisch besprochen anbei die eingereichte Tätigkeitsdarstellung mit der Bitte um Abänderung und erneuter Zusendung.ª 1Bitte ergänzen Sie unter V00 und V06a. Bei V07a bitte kontrollieren Sie dies noch einmal.ª 1Nach Rücksprache mit dem Referatsleiter und der Abteilungsleitung teile ich Ihnen mit, dass die eingereichte wiss. Weiterqualifizierung zur Einstellung von xxx nicht dem Arbeitsverhältnis zugrunde gelegt werden kann.ª 1Entsprechend bitte ich Sie, dass Qualifizierungsziel neu zu formulieren und das Do‐ kument der wiss. Weiterqualifizierung.ª Und wenn am Ende des Tages trotz wochenlangen Bemühens weitere Dokumente feh‐ len und aus der Verwaltung erstmal eine Urlaubsmeldung kommt, während ein junger Familienvater nicht weiû, ob er im nächsten Monat, also genau in zwei Tagen, noch Geld verdienen wird, dann ist die felsige Stärke schon verflogen und eine Frage steht im Raum: Bullshit Job? Genau wie von David Graeber (2019) beschrieben, scheint das Machen und Tun völlig sinnlos. Mehr noch, statt dies einzusehen, bin ich versucht, mich selbst zu belügen und nach einem Sinn zu suchen. Dabei ist eines klar: Es wäre sehr viel sinnvoller, dem spanischen Beamten aus Graebers Buch zu folgen, diese 1Arbeitª sein zu lassen, nach Hause zu gehen und einfach Spinoza zu studieren. Wäre das nicht die eigentliche Ar‐ beit einer Wissenschaftlerin? Ich könnte sicher eine namhafte Spinoza-Expertin wer‐ den, hätte ich nur Zeit für solche Studien. Genau das ± eine inhaltliche, ethnologisch entschleunigte und ausführliche Arbeit ± kommt im universitären Alltag zu kurz und wird (zu) wenig wertgeschäzt. Der Bürokratisierung und Bullshitisierung der akade‐ mischen Arbeit entgegenzuwirken sollte, so meine ich, zum Arbeitsethos von Ethno‐ log:innen gehören: Räume und Zeiten zu schaffen, sodass gemeinsame Imagination 110 Forum ............................................................................................................................ als kritische Praxis für die Erzeugung von anderen möglichen Arbeitswelten prakti‐ ziert werden kann, ohne dass die wahrscheinlichen Szenarien überhandnehmen. Ein solches Praktizieren sollte die bereits existierenden (sowohl harmonischen als auch konfliktreichen) Beziehungen zwischen scheinbar auseinanderfallenden Dingen ± etwa der Universität und der Forschung, dem Inhalt und der Form, der Wissenschaft und der Bürokratie ± sichtbar machen und neu knüpfen. Ich will mir feministische Ohren wachsen lassen Doch um gegen Bullshitisierunug vorzugehen, reicht die Klage über die eigene In‐ stitution gewiss nicht aus. Unsere Studierenden wollen die Welt gemeinsam erkun‐ den und nicht von den Problemen einer Universität hören, die sie bald verlassen werden. Und sie haben Recht damit! Denn über die institutionellen Grenzen hin‐ aus zu forschen und zu imaginieren heiût, in die Welt zu gehen, die individuellen Anliegen zu kontextualisieren und in Relation zu anderen Menschen und Dingen zu setzen. In welchem Bezug stehen etwa meine Alltagsrealitäten zu denen eines auf der Flucht sich befindenden weiûrussischen Wissenschaftlers und Aktivisten, der letzte Woche neben mir in einem Workshop saû? Können unsere (Arbeits-)Wel‐ ten unterschiedlicher sein? Hören wir überhaupt das gleiche, wenn wir gemeinsam diskutieren? Und was bedeutet und bewirkt unsere Ko-Präsenz im Rahmen eines ge‐ meinsamen akademischen Unterfangens? Um solche Fragen beantworten zu können, müssen wir uns feministische Ohren im Sinne Sarah Ahmeds (2021) wachsen lassen, also die Fähigkeit entwickeln, gemeinsame Sprachen zu finden und gemeinsam zu‐ zuhören, um kollektive Belange äuûern und durchsetzen zu können. Diese Fähigkeit stärkt eine Ethnologie, die grenzüberschreitende Verflechtungen und Konstellatio‐ nen der Gleichzeitigkeit von (Lebens-)Welten und Daseinsformen untersucht, dabei entschleunigend und dezentrierend wirkt, indem sie Freiräume für Neues aufspürt und sichtbar macht mithilfe von Imagination und Voraussicht. Diese Ethnologie be‐ obachtet nicht nur, sondern hat das Potenzial, Beziehungen zwischen auseinander‐ fallenden Dingen zu sehen und immer wieder neu zu knüpfen: 1kollektive Ohrenª also, die Ethnologinnen in ihrem methodologischen Instrumentarium sowie in ihrem Arbeitsalltag immer tragen sollten. Literatur Ahmed, Sarah. 2021. Complaint! Durham und London: Duke University Press. Douglas, Mary. 1986. How Institutions Think. Syracuse und New York: Syracuse University Press. Graeber, David. 2019. Bullshit Jobs: The Rise of Pointless Work, and What We Can Do About It. Rees, Tobias. 2018. After Ethnos. Durham und London: Duke University Press. https://doi.org/10.31244/zekw/2023/01.12