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Flint schleifen – Teil 1 : die Beilklingen

2024, Experimentelle Archäologie in Europa, Jahrbuch 2024

Summary – Grinding flint – part 1: the axe heads. Interim report. Since 2019, the authors experimented with several techniques to grind flint axe heads in order to reproduce the characteristic traces left on the originals from the Neolithic. The practical experiments are accompanied by microscopic examinations of not only prehistoric axe heads but also modern replicas.

EXPERIMENTELLE ARCHÄOLOGIE IN EUROPA Jahrbuch 2024 Heft 23 Herausgegeben von Gunter Schöbel und der Europäischen Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie / European Association for the advancement of archaeology by experiment e.V. in Zusammenarbeit mit dem Pfahlbaumuseum Unteruhldingen, Strandpromenade 6, 88690 Unteruhldingen-Mühlhofen, Deutschland EXPERIMENTELLE ARCHÄOLOGIE IN EUROPA JAHRBUCH 2024 Festschrift für Gunter Schöbel zum 65. Geburtstag Unteruhldingen 2024 Gedruckt mit Mitteln der Europäischen Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie / European Association for the advancement of archaeology by experiment e.V. Redaktion: Ulrike Weller, Thomas Lessig-Weller, Erica Hanning Textverarbeitung und Layout: Ulrike Weller, Thomas Lessig-Weller Bildbearbeitung: Ulrike Weller, Thomas Lessig-Weller Umschlaggestaltung: Thomas Lessig-Weller, Ulrike Weller Umschlagbilder: W. Hein, A. Werner, W. F. A. Lobisser Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie, detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar unter: http:\\dnb.dbb.de ISBN 978-3-944255-23-41 © 2024 Europäische Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie / European Association for the advancement of archaeology by experiment e.V. - Alle Rechte vorbehalten Gedruckt bei: Beltz Bad Langensalza GmbH, 99947 Bad Langensalza, Deutschland Inhalt Ulrike Weller Vorwort Ulrike Weller Archäologe, Museumsleiter, Networker – Gunter Schöbel wird 65 8 9 Experiment und Versuch Enes Sikcan, Hans Joachim Behnke, Ralf Förster, Tiago Borsoi-Klein, Andreas Loth, Annette Juhr Aalhaut neu entdeckt – Untersuchungen der Möglichkeiten von Fischleder und Fischhäuten Uwe Sperling, Frank Trommer Bronzezeitliches Wachsausschmelzverfahren – auch ohne Bienenwachs? Boris Dreyer Zwei römische Boote im Test unter Riemen und Segel Maren Siegmann Kaolin & Co – Perlentrennmittel 13 27 41 55 Rekonstruierende Archäologie Wolfgang F. A. Lobisser Dachdeckungen mit Fichtenrinde – Ein wertvoller Rohstoff und seine potentiellen Anwendungsmöglichkeiten bei Pult- und Giebeldächern der Vergangenheit 73 Ilian Finkeldey, Jonas Harms Rekonstruktion und Versuch einer frühbronzezeitlichen Lanzengussform des Typs Killymaddy 93 Jörg Lotter, Daniel Usher Herstellung im Versuch sowie Funktion und Restaurierung eines hochmittelalterlichen Speerfederschlosses der Burg Tannenberg, Seeheim-Jugenheim 1 05 EXAR-Projekt Wulf Hein, Marquardt Lund, Kai Martens, Michael Müller, Mihaela Savu Flint schleifen – Teil 1 : die Beilklingen. Ein Zwischenbericht 11 7 Sayuri de Zilva, Josef Engelmann Das Konzept „Ziehen“ in der Vorgeschichte. Ein Zwischenbericht zu vorgeschichtlichem Drahtziehen... ohne Zieheisen 1 37 Vermittlung und Theorie Angelika Wilhelm Besondere Details und Verzierungen von Eisenobjekten – über die Problematik der Restaurierung von archäologischen Eisenobjekten Tommes Rute Der Limesmarsch 2023 – ein Erfahrungsbericht 1 55 1 69 Patrick Mayer Versuch der Rekonstruktion des für Errichtung und Unterhaltung des obergermanischen Limes aufgewendeten Bauholzes anhand von Modellrechnungen über einen Zeitraum von 30 Jahren 1 79 Jahresbericht, Autorenrichtlinien Ulrike Weller Vereinsbericht der Europäischen Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie (EXAR) für das Jahr 2023 1 91 Autorenrichtlinien „Experimentelle Archäologie in Europa“ 1 95 Vorwort Normalerweise begrüßt Sie an dieser Stelle unser 1 . Vorsitzender Prof. Dr. Gunter Schöbel. Dass es in diesem Jahr anders ist, hat einen erfreulichen Anlass: Unser langjähriger Vorsitzender feiert in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag, weshalb ihm das Jahrbuch 2024 als Festschrift dargebracht wird. Mehr zum Wirken Prof. Schöbels lesen Sie im folgenden Artikel. Die 20. Jahrestagung der EXAR vom 5. bis 8. Oktober 2023 führte Mitglieder und Gäste an die Welterbestätte Lorsch in Hessen. Der Vorstand dankt allen an der Vorbereitung und Durchführung der Tagung Beteiligten, besonders Claus Kropp vom Experimentalarchäologischen Freilichtlabor Lauresham als unserem Gastgeber. Die hohe Anzahl der Anmeldungen zur Tagung zeigt das unverminderte Interesse an der Experimentellen Archäologie. Das Jahrbuch basiert vor allem auf den bei dieser Tagung gehaltenen Vorträgen sowie weiteren frei eingereichten Artikeln, die wieder einmal die Vielfältigkeit der Experimentellen und der Rekonstruierenden Archäologie aufgezeigen. So wurde beispielsweise ebenso über die Nutzung von Fischhaut oder Bienenwachs referiert wie über Trennmittel bei der Perlenherstellung oder antike Schifffahrt. Nachbauten von Gussformen wurden getestet und die Herstellung von Schlössern nach deren Restaurierung rekonstruiert. Ausführlich wird auch über Dacheindeckungen mit Fichtenrinde sowie deren Haltbarkeit bei 1 :1 -Hausrekonstruktionen berichtet. 8 Über das Schleifen von Flintbeilen und das Drahtziehen wurde im Bereich EXARProjekt referiert. Damit hat die EXAR ein Förderprogramm ins Leben gerufen, mit dem für Experimente notwendige Analysen finanziert werden. Dieses Programm wird auf Mitgliederbeschluss auch in diesem Jahr weitergeführt. Im Bereich Vermittlung und Theorie wird ein breites Spektrum von einer Veranstaltung wie dem Limesmarsch mit ihrer Vorbereitung und den Herausforderungen bei der Durchführung oder auch der Berechnung vom Holzverbrauch für den Bau und die Erhaltung eines Limesabschnittes abgedeckt. Erfreulicherweise berichten auch immer wieder Mitarbeitende aus der Restaurierung über ihre Arbeit und helfen so bei der Deutung von Befunden und Funden. Diese vielfältige Mischung aus Archäologie und Handwerk, aus Praxis und Theorie macht die EXAR aus und lässt sie weiterhin wachsen. Seien Sie ein Teil dieser Gemeinschaft und helfen Sie mit, die Experimentelle Archäologie weiter zu verankern. Viel Freude beim Lesen und lassen Sie sich zu neuen Versuchen und Experimenten inspirieren. Hannover, im Juli 2024 Dr. Ulrike Weller 2. Vorsitzende EXAR e.V. Landesmuseum Hannover Experimentelle Archäologie in Europa 23 – Jahrbuch 2024, S. 11 7-1 36 Kategorie: EXAR-Projekt Flint schleifen – Teil 1 : die Beilklingen Ein Zwischenbericht Wulf Hein, Marquardt Lund, Kai Martens, Michael Müller, Mihaela Savu Summary – Grinding flint – part 1: the axe heads. Interim report. Since 2019, the authors experimented with several techniques to grind flint axe heads in order to reproduce the characteristic traces left on the originals from the Neolithic. The practical experiments are accompanied by microscopic examinations of not only prehistoric axe heads but also modern replicas. Keywords: flint axe heads, Neolithic, grinding Schlagworte: Flintbeilklingen, Neolithikum, schleifen Gewidmet dem Andenken an Jürgen Weiner († 2023) Im Sommer 201 3 begannen zwei der Verfasser (Wulf Hein, Kai Martens) unabhängig voneinander, für das nächste Ergersheimer Experiment Feuersteinbeilklingen mit unterschiedlichen Techniken zu schleifen (Abb. 1 ). Bei den Arbeiten konnten einige Erfahrungen gesammelt werden und es tauchten mehrere Fragen auf, die es wert waren, in zukünftigen Experimenten geklärt zu werden. Die Gelegenheit dazu ergab sich 201 9, nachdem Michael Müller im Zuge seiner Dissertation (M ÜLLER, im Druck) Kontakt zu Kai Martens vom Archäologischen Zentrum Hitzacker (AZH) bekam, der zusammen mit Marquardt Lund schon in den 1 980er Jahren viele Flintbeilklingen hergestellt und damit gearbeitet hatte. Über das Archäoforum (https://www. archaeoforum.de/) kamen wir vier zusammen und beschlossen, im Herbst 201 9 in die ernsthafte Versuchsphase einzutreten. Seither treffen wir uns mindestens einmal im Jahr für ein Wochenende im AZH, schleifen Flintbeilklingen mit den verschiedensten Techniken und dokumentieren die Versuche. Die Beilklingenrohlinge wurden von unterschiedlichen versierten Flintschlägern hergestellt (Marquardt Lund, Kai Martens, Stefan Schlossbauer, Peter Wiking) und sind damit Abbild der individuellen Fähigkeiten ihrer Erzeuger, aber von guter Qualität und sorgfältig zurechtgeschlagen, denn alle Flintbearbeiter wissen, dass man eine Steinbeilklinge 11 7 Abb. 1: Feuersteinbeilklinge, fertig zum Schleifen, Länge 205 mm. – Flint axe blade, ready for grinding, length 205 mm. umso weniger schleifen muss, je besser die Vorarbeit ausgeführt ist (siehe unten). Im Rahmen der Experimente wurden seit 201 9 insgesamt fünf Schleifkampagnen durchgeführt. Jede Schleifkampagne erstreckte sich über ein Wochenende, wobei der Freitag dem Aufbau der Schleifstationen gewidmet wurde und der Schleifprozess am Samstag und in der ersten Hälfte des Sonntags stattfand. Die Schleifstationen, konzipiert für bis zu fünf parallele Schleifvorgänge, wurden unter dem nach Osten orientierten Vordach des modellhaften Nachbaus eines bronzezeitlichen Langhauses aufgebaut, um sie vor möglichem Regen zu schützen. Die Experimente fanden während der regulären Öffnungszeiten des Museums statt, wodurch Besuchende die Möglichkeit hatten, das Schleifen zu beobachten, Fragen zu stellen und sogar teilzuneh11 8 men. Separate Schleifmöglichkeiten wurden für Besuchende bereitgestellt, um die Ergebnisse nicht zu beeinflussen. Die Schleifstationen wurden je nach Kampagne variabel aufgebaut, bestehend aus einem Unterbau und einem Schleifstein. Der Unterbaus wurde durch Holz- oder Metallklappböcke realisiert. Der Schleifstein konnte entweder in eine mit Sand gefüllte Holzkiste eingegraben oder direkt auf eine Holzpalette gelegt werden, abhängig von Gewicht und Form des experimentellen Schleifsteins. Die Schleifhöhe betrug im Durchschnitt 90 cm (Abb. 2). Insgesamt wurden neun experimentelle Schleifsteine eingesetzt, von denen die meisten aus quarzgebundenem Quarzsandstein (VINX 201 5, 296) sind und von der Insel Fehmarn stammen, während ein Sandstein aus dem Pfälzer Wald Verwendung fand. Von den Fehmarner Sandstei- Abb. 2: Versuchsaufbau im AZH. – Experiment setup in the AZH. nen werden sechs erst seit 2022 verwendet und waren vor Beginn der Experimente unbenutzt. Sie weisen unterschiedliche Formate auf, wobei ihre längsten Seiten zwischen 25 und 62 cm lang waren und Schleifbahnlängen zwischen 20 und 38 cm ermöglichten. Die insgesamt sieben bisher geschliffenen Beilklingen weisen unterschiedliche Formen und Größen auf, fünf von ihnen haben einen dicknackigen, vierseitigen Querschnitt. Zwei von diesen wurden als Dechselklingen gestaltet, wobei bei einer eine Hohlschneide angelegt wurde. Die Anfangslängen dieser Beilklingen variierten zwischen 9,2 und 24,3 cm. Zudem wurden zwei Beilklingen mit dünnnackigem, ebenfalls vierseitigem Querschnitt eingesetzt, deren Anfangslängen zwischen 1 8,3 und 20,4 cm lagen. Ergänzend dazu kam eine dicknackige Meißelklinge mit vierseitigem Querschnitt zum Einsatz, deren Länge zu Beginn der Experimente 22,1 cm betrug. Von den sieben eingesetzten Beilklingen waren sechs vor Beginn der Experimente ungeschliffen. Eine der dicknackigen Beilklingen, die hauptsächlich mit dem Schleifschlitten bearbeitet wurde, wies bereits vor Beginn der Experimente auf einer Breitseite einige kleinere Schliffflächen auf. Alle Beilklingen und die seit 2022 benutzten Schleifsteine wurden vor Beginn der Experimente vermessen, gewogen, beschrieben und fotografiert. Sowohl an den Schleifsteinen als auch an den Beilklingen variiert der Schleiffortschritt mittlerweile stark. Einige Stücke benötigten nur noch den letzten Schliff, während andere erst wenige unzusammenhängende Schliffflächen aufweisen. Zur Dokumentation wurden eine Canon Eos D60-Kamera, digitale und analoge Stoppuhren, eine Haushaltswaage (max. 50.000 g, Teilung: 1 g), eine Feinwaage der Marke G&G (Modell PLC3000B), Schieblehren mit Messobergrenze von 20, 30 und 50 cm (je mit 0,1 mm Auflösung) mit Nonius- und digitaler Anzeige sowie Protokollbögen eingesetzt. Die Nettoschleifzeit (aktive Schleifzeit ohne Pausen) wurde auf den Protokollbögen festgehalten, ebenso wie individuelle Beobachtungen zum Schleifprozess. Alle Daten wurden in einer Datenbank mit Microsoft Access (Version 201 6) erfasst. Die umfassenden Datensätze der experi11 9 Abb. 3: Hertzscher Kegelbruch unter einem Grat. – Hertzian cone fracture under a ridge. mentellen Beilklingen und Schleifsteine sollen in einem späteren Artikel präsentiert werden. Die Fragestellungen Grundvoraussetzung für ein wissenschaftliches Experiment ist es, eine (oder mehrere) konkrete Fragestellung(en) zu formulieren. Aufgrund unserer verschieden großen Erfahrungen, Fertigkeiten und Interessen ergaben sich für uns die folgenden Ansätze: Verfahren: Was passiert eigentlich genau beim Schleifen von Feuerstein? Technik: Gibt es einen Unterschied zwischen verschiedenen Schleiftechniken, der zu den charakteristischen Schleifkrietzen (striae, s. u.) führt? 1 20 Zeitaufwand und Leistung: Wie lange dauert es, eine Flintbeilklinge zu schleifen? Wie hoch ist der durchschnittliche Materialabtrag? Schleifsteine: Wie entstehen die verschiedenen Gebrauchsspuren auf den Schleifsteinen? Verfahren Nach der DIN 8589 https://www.din. de/de/mitwirken/normenausschuesse/nat g/veroeffentlichungen/wdc-beuth:din21 :65 030828 ist das Schleifen von Steinbeilklingen als Hubschleifen einzuordnen. Allerdings ist diese Klassifikation nur unzureichend, denn der Schleifstein ist tatsächlich ein „ nicht rotierendes Werkzeug, dessen geometrisch unbestimmte Schneiden unter einer Vielzahl gebundener Schleifkörner gebildet werden und die Abb. 4: Oberfläche einer Flintbeilklinge nach dem Schleifen mit charakteristischer Zerrüttung. – Surface of a flint axe blade after grinding with characteristic disintegration. durch eine hin- und hergehende im Wesentlichen geradlinige Schnittbewegung (Hub) den Werkstoff vom Werkstück abtrennen. “ Die Beilklingenoberfläche wird jedoch nicht zerspant, denn Siliziumdioxid, aus dem Flint hauptsächlich besteht (S HEPHARD 1 972, 32), ist so hart und spröde, dass sich Späne nicht lösen lassen wie z. B. bei Holz oder Metall. Die „Schleifkörner“ sind in diesem Fall die kleinen Quarzitkristalle, die in der Matrix des Sandsteins gebunden sind, ähnlich wie Korundkörner in handelsüblichen Schleifpapieren. Um herauszufinden, was genau beim Schleifen geschieht, haben wir die eingangs erwähnten experimentell erzeugten Flintbeilklingen unter einem einfachen USB-Mikroskop der Marke WL mit 200facher Vergrößerung betrachtet. An exponierten Stellen, vor allem dort, wo ein Grat zwischen zwei AbschlagnegativFlächen in Kontakt mit dem Schleifstein kam, konnten wir beobachten, dass offenbar der Anpressdruck auf dem Schleifstein dazu führt, dass unter der Oberfläche winzige Hertzsche Kegelbrüche entstehen (Abb. 3), wie sie für die Bruchmechanik von amorphem Siliziumdioxid typisch sind. Hierbei entwickelt sich durch einen Schlag (oder Druck) auf ein sprödes isotropes Material wie Flint nach dem Normalspannungsgesetz in dessen Inneren eine kegelförmige Bruchzone, welche das Kristallgefüge voneinander trennt (H AHN 1 993, 34; H EIN , LUND 201 7, 23f.). Da die Auflösung unserer Mikroskope hier an ihre Grenzen stieß, entschieden wir 1 21 Abb. 5: Flintflitter im Schleifschlamm unter dem HIROX-Mikroskop. – Flint flakes in the grinding slurry under the HIROX microscope. uns, die großzügige Förderung durch EXAR zu nutzen, um im Institut für Urund Frühgeschichte der Universität Tübingen einen Tag an einem hochauflösenden digitalen 3D-Mikroskop des Typs HIROX HR-2500 sowie an einem Olympus SZX7Stereomikroskop zu arbeiten. Hierbei konnten wir nicht nur die Oberflächen von originalen sowie frisch geschliffenen Flintbeilklingen, sondern auch den während der Experimente in Probenröhrchen gesammelten Schleifschlamm, der aus dem Abrieb sowohl der Beilklingen als auch der Schleifsteine besteht, untersuchen und vergleichen. Die Ergebnisse bestätigten unsere zuvor gewonnenen Erkenntnisse. Offenbar wird durch den Druck der Schleifkörner die Oberfläche der Beilklinge zerrüttet (Abb. 4) und in zahllose winzige Splitter zerlegt, 1 22 die sich nach und nach aus der Fläche lösen. Sie sind im Schleifschlamm als mikroskopisch kleine Flitter von ca. 0,01 mm Größe (Abb. 5) erkennbar. Ob schlicht der Anpressdruck zahllose sich überlagernde Hertzsche Kegel erzeugt oder ob im Grunde die Vibration bzw. Eigenschwingung des Werkstücks eine Serie von winzigen „Hammerschlägen“ hervorruft, ist noch nicht ganz geklärt. Vorläufige einfache Messungen der Schwingungsfrequenz einer Beilklinge während des Schleifens scheinen mit den Abständen der „Einschläge“ auf der Oberfläche zu korrelieren. Allerdings bleibt die Möglichkeit der zufälligen Natur dieses Phänomens und es bedarf weiterer experimenteller Untersuchungen, die sich gezielt mit dieser Thematik auseinandersetzen. Auch die Oberflächen von Originalbeil- Abb. 6: Schleifkrietzen (striae) auf einer Original-Flintbeilklinge. – Grinding scratches (striae) on an original flint axe blade. klingen zeigen eine entsprechende Zerrüttung der Oberfläche, allerdings in verstärktem Maße, weil sich offenbar im Laufe der jahrtausendelangen Lagerung im Boden durch äußere physikalische und chemische Einflüsse viele Bruchstücke lösen und herausfallen, die bei frisch geschliffenen Beilklingen noch festsitzen. Technik Es gibt Anzeichen für die Anwendung verschiedener Schleiftechniken in der Vorgeschichte, Experimente dazu wurden in der Vergangenheit schon durchgeführt. Nach bisherigen Recherchen scheint der dänische Pastor Sehested der erste gewesen sein, der bereits 1 881 versuchte, die weißen Schleifkrietzen zu erzeugen, die sich auf fast allen Feuersteinbeilklingen beobachten lassen (S EHESTED 1 884, 1 4f.). Diese oft sehr groben, langen und parallelen Krietzen finden sich auf den Originalen hinten und in der Mitte, während der Schneidenbereich meistens fein poliert ist (Abb. 6). Bo Madsen und seine Kollegen erzeugten bei 1 983 durchgeführten Versuchen solche charakteristischen striae, indem sie zum Schleifen einen Schlitten mit aufliegendem zusätzlichem Gewicht verwendeten (M ADSEN 1 984). Ein vergleichbares Ergebnis erzielten wir im Laufe unserer Experimente auch ohne die Verwendung eines Schlittens, indem wir uns bei dem so genannten händischen Schleifen mit vollem Körpergewicht auf die Beilklinge lehnten. Im Resultat zeigte sich jedoch, dass die striae in geringerem Maße parallel angeordnet waren und sich diese Arbeitshaltung auf Dauer als unangenehm und schmerzhaft erwies. Wesentlich entspannter schliff es sich mit dem von Kai Martens frei konstruierten Schlitten (Abb. 7), welcher mit einem zu1 23 Abb. 7: Schleifen zu zweit mit dem Schlitten. – Grinding in pairs with the sledge. sätzlichen Auflagegewicht von insgesamt 25 kg entweder von zwei Leuten oder auch nur von einer Person hin- und herbewegt werden kann. Der Schlitten war anfänglich für eine Person konzipiert, die Handhabung war jedoch für zwei Leute wesentlich einfacher, wobei die Effektivität erheblich darunter litt. Erstaunlicherweise lag die Schleiffrequenz, also die Vor- und Rückwärtsbewegung von Klinge und Schlitten, beim Betrieb mit einer als auch zwei Personen in etwa gleich hoch. Allerdings ist der Schlitten bisher ein hypothetisches Konstrukt, ähnlich wie die häufig abgebildete Steinbeilbohrmaschine (zuerst WURMBRAND 1 875, 1 23), und im archäologischen Kontext nicht nachgewiesen. Die Schleifarbeiten erfolgten, um den Rücken so wenig wie möglich zu belasten, im Stehen an aufgebockten Schleifsteinen. Ethnologische Beispiele zeigen jedoch, dass diese Arbeit auch im Hocken oder Sitzen verrichtet werden kann (P ETREQUIN , P ETREQUIN 2020). Zudem ließ sich den ethnographischen Beobachtungen entnehmen, dass manchmal einzelne Schleifsteine und manchmal große Schleifplatten verwendet wurden, an denen mehrere Personen arbeiteten. Oft nutzte man zum Schleifen geeignete Steine direkt am Wasser (Abb. 8), um sich so 1 24 Abb. 8: Schleifen einer Steinbeilklinge in Papua-Neuguinea, mit freundl. Genehmigung von P. Petrequin. – Grinding a stone axe blade in Papua New Guinea, with kind permission of P. Petrequin. dessen Transport zum Arbeitsplatz zu ersparen. Auf Neuseeland wurde die Zufuhr von Wasser zum Schleifstein anders gelöst (S HORTLAND 1 851 , 11 7. Übersetzung: M. Lund): „ Hier sah ich zum ersten Mal in großem Maßstab die einheimische Methode, den Pounamu oder Grünstein in die gewünschte Form zu schleifen. Das Haus, das dem Häuptling Koroko gehörte, glich einer Steinbearbeitungswerkstatt. Er und ein anderer alter Mann saßen ständig dort neben einer großen Sandsteinplatte, auf der sie abwechselnd einen unförmigen Block Pounamu hin und her rieben. Es wurde durch Wasser, das aus einem Holzgefäß darauf tropfte, feucht gehalten. Während der eine schliff, rauchte der andere. Während meines Aufenthaltes ka- men sie jedoch so wenig voran, dass es wahrscheinlich schien, dass es einem Angehörigen der nächsten Generation überlassen sein würde, die Arbeit zu vollenden. “ Die großen jungsteinzeitlichen Polissoirs aus dem westrheinischen Raum wurden jedoch wahrscheinlich gleichfalls im Stehen bedient. „ Dabei ist lediglich die Zugabe von Was- ser erforderlich, da während des Schleifprozesses selbst ein gutes Schleifmittel entsteht und sich deshalb die Verwendung von Quarzsand – ganz im Gegensatz zu der auch heute noch häufig vertretenen Auffassung – vollkommen erübrigt. “ (WEINER 1 999) „ Funde polierter Werkzeuge weisen dar- which the grains are held together by a clay cement, allow grinding without the addition of sand, as these natural abrasives possess the property of “self-sharpening”, and plaques of this rock need only have their surfaces soaked with water. ” auf hin, daß zum Polieren anfangs Sand verwendet worden ist. Später waren dann für diese Arbeiten große Schleifsteine aus feinkörnigem Granit oder Quarz üblich. [K] Als Schleifmittel diente jetzt mit Wasser vermengter Grus aus der Rinde von Flintknollen. [K] Nach den Ergebnissen der von einem dänischen Wissenschaftler mit simulierter neolithischer Schleiftechnik durchgeführten Versuche benötigte der Steinzeitmensch für das Polieren seines 20cm langen Flintbeiles doch immerhin mehr als 20 Stunden. “ (F INSTERBUSCH , „ Es setzte nach dieser abschließenden „ Ideally [grinding media] act as a mobile Über die Verwendung von Sand oder Kies als zusätzlichem Schleifmittel ist viel diskutiert worden, wie folgende Literaturzitate zeigen: „ Friable varieties of sandstone, rock in (S EMENOV 1 964, 69) Retuschierarbeit der erste grobe Schliff ein, der auf einer Steinunterlage, meist Granit, mit Hilfe von Kies und Wasser ausgeführt wurde. Danach wurden Teile der Oberfläche, vor allem aber die Schneide, auf besonders feinkörnigen Schleifsteinen, meist aus Quarzit, poliert. An den Beilklingen bemerkt man daher nach dem Nackenende zu in der Regel nur den durch grobe weißliche Schrammen gekennzeichneten ersten Schliff, während der Schneidenteil vielfach eine spiegelnde Glätte aufweist mit sehr feinen Kritzen. “ (S CHWANTES 1 958, 260) „ Damit der Schleifstein griffig bleibt, spült man ihn während der Arbeit vielmals mit Wasser ab. Wird er oder der Arbeitsgegenstand nur benetzt, bildet sich aus dem Schleifmehl eine Paste, die wenig angreift und dadurch polierend wirkt. “ (F EUSTEL 1 973, 66) THIELE 1 987, 1 7) abrasive and prevent friction between the grinding surfaces. [K] The addition of sand to the grindstone is confirmed as the most efficient medium”. (H ARDING 1 987, 39) „ Auf einem körnigen ‚Schleifstein‘ wird mit Hilfe von Quarzsand und Wasser das Werkstück in einer ziehenden-schiebenden Bewegung mit leichtem Druck hinund her bewegt. Dabei werden relativ feine Partikel aus dem Werkstück losgerissen und schließlich glatte Schliffe erzeugt. Zum Schleifen ist ein Schleifstein aus hartem, körnigem Felsgestein erforderlich. Das Schleifen kann ohne Zufügen von Sand, nur mit Hilfe von Wasser auf einem geeigneten Schleifstein, der auch ortsfest sein kann, erfolgen, wie Experimente ergaben. Einen verstärkten Schleifeffekt erzielt man mit fein zerstoßenem Quarz, u.U. ist ein Polieren mit 1 25 Abb. 9: Deutlicher Unterschied in der Oberflächenstruktur: links nach Schliff mit Sand und Kies, rechts ohne zusätzliche Hilfsmittel. – Clear difference in the surface structure: on the left after grinding with sand and gravel, on the right without additional aids. Abb. 10: Schleifen mit Sand: stark polierte Oberfläche mit Schliff bis in die Abschlagnegative hinunter, links unsere Versuchsklinge, rechts ein Original, Sammlung Hein. – Grinding with sand: highly polished surface with grinding down to the flake negatives, left our test blade, right an original, Hein Collection. 1 26 feinkörnigem Material oder Leder erforderlich. Der Zeitaufwand kann zwischen 3-4 Stunden oder mehrere Wochen, je nach Größe des Beils, betragen. “ (H AHN 1 993, 284) Einige Autoren kommen hier der Realität in Teilen wohl schon sehr nahe, wenn auch das oben von F EUSTEL (1 973) beschriebene Schleifmehl sicher nicht das Schleifmittel ist, sondern es die im Schleifstein gebundenen Gesteinskörner sind, die abrasiv wirken. Harding verwendete Sand u. a. in der Überzeugung, Reibung zwischen den Schleifflächen vermeiden zu müssen. Die Ergebnisse unserer Experimente zeigen jedoch, dass der durch uns ohne Sand erzeugte Oberflächenabtrag an den Beilklingen das 60fache im Vergleich zu Hardings Versuchen betrug und dass Schleifen ohne Reibung nicht funktioniert. Was F INSTERBUSCH , THIELE (1 987) mit „ Grus aus der Rinde von Feuersteinknollen“ gemeint haben könnten, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir haben bisher nur Schleifsteine und viel Wasser benutzt. Unsere aktuellsten Versuche, unter Zugabe von handelsüblichem Bausand oder Strandkies mit einer Körnung von ca. 3 mm zu schleifen, ergaben, dass lediglich der Sand bzw. Kies zerrieben wird und die Beilklinge auf den Körnchen wie auf einem Kugellager rollt, wie auch Madsen, Weiner oder auch Pelegrin schon feststellten (M ADSEN 1 984, 57; WEINER 2000, 236; P ELEGRIN 201 2, 98f.). Der Andruck auf dem Schleifstein ist dadurch wesentlich geringer, der Abtrag wird – bei gleichem Kraftaufwand – mindestens halbiert. Zudem wird der Sand ständig unter der Beilklinge hervorgedrückt und verteilt sich, sodass man gezwungen ist, mit der Schleifbewegung dem sich verteilenden Sand zu folgen oder den Schleifvorgang zu unterbrechen, um den Sand neu zu platzieren. Die auf diese Weise geschliffene Oberfläche weist eine starke Politur auf, die bis in die Abschlagnegative hineinreicht, deren Ränder zunehmend unscharf werden und verschwommen aussehen. Schleift man ohne Sand, bleiben die Ränder der Abschlagnegative scharf, wie schon Sehested beobachtete (S EHESTED 1 884, 20) (Abb. 9). Eine Flächenstruktur, wie sie unter Hinzunahme von Sand erzeugt wurde, ist auf einigen Originalen nur im Schneidenbereich zu erkennen (Abb. 10). Dies stützt unsere These, dass die Klingenkörper ohne zusätzliche Hilfsmittel geschliffen, die schneidennahen Bereiche jedoch unter Verwendung von Sand oder ähnlichem poliert wurden. Regelrechte Experimente hierzu, auch mit verschiedenen Arten von Abrasiven, haben wir vor kurzem begonnen und werden sie weiter fortsetzen. Es ist uns jedoch bisher nicht ansatzweise gelungen, beim Schleifen mit Sand die für die Originale charakteristischen striae (s. Abb. 6) zu erzeugen, wie ein Vergleich der beiden Oberflächen eines Beils zeigt, dessen eine Seite mit Sand und auch grobem Kies (Körnung bis 3 mm) geschliffen wurde, die andere hingegen nur mit Wasser ohne zusätzliche Hilfsmittel (Abb. 11 ). Zeitaufwand und Leistung Ein Blick in die nicht gerade umfangreiche Literatur zum Thema „experimentelles Schleifen von Flintbeilklingen“ – siehe auch oben – ergibt ein unklares Bild hinsichtlich der aufzuwendenden Zeit (Tab. 1 ). Bei den wenigen dokumentierten Versuchen ist oftmals nur unzureichend beschrieben worden, wie die zu schleifenden Rohlinge aussahen. Denn es macht einen großen Unterschied, ob ein solcher Rohling sauber zurechtgeschlagen oder nur grob behauen ist. Die Tiefe der erzeugten Abschlagnegative entscheidet 1 27 Abb. 11: Zwei Seiten unserer Versuchsbeilklinge, links ohne zusätzliche Hilfsmittel geschliffen, rechts mit Sand und Kies. – Two sides of our test axe blade, on the left: ground without additional aids, right: with sand and gravel. 1 28 Tab. 1: Vereinfachte Übersicht über bisher durchgeführte Schleifversuche mit den wichtigsten Daten. Die vollständige Tabelle mit allen Daten stellen wir mit dem zweiten Teil dieses Berichts (s. u.) online. – Simplified overview of experiments carried out so far with the most important data. We will put the complete table with all data online with the second part of this report (see below). 1 29 Abb. 12: Beilklinge der Einzelgrabkultur, nur partiell im Schneidenbereich geschliffen (blau eingefärbt), Länge 136 mm, Sammlung Hein. – Axe blade from the Single Grave Culture, only partially ground in the cutting edge area (colored blue), length 136 mm, Hein Collection. Abb. 13: Original-Beilklinge, Länge 363 mm, Archäologisches Landesmuseum Schleswig. – Original axe blade, length 363 mm, Archaeological State Museum Schleswig. über den Aufwand, der anschließend nötig ist, um die Beilklinge flächig zu überschleifen. Zweitens ist offenbar für einige Experimentierende eine Beilklinge „geschliffen“, wenn die Schneide bearbeitet und scharf ist. Das mag für bestimmte Beilklingentypen gelten, aber nicht generell – Beilklingen der Einzelgrabkultur wurden oftmals nur im Schneidenbereich und partiell auf den Breitseiten geglättet (P ETERSEN 1 993, 111 ) (Abb. 12), während vor allem in der vorangehenden Trichterbecherkultur sehr große (dünnnackige) Beilklingen von mehr als 40 cm Länge hergestellt wurden, die allseitigen Schliff aufweisen (P ETERSEN 1 993, 1 06f.) (Abb. 13). Der Unterschied im Arbeitsaufwand der beiden beschriebenen Beispiele ist extrem hoch. J. Beuker stellt zudem fest (B EUKER 201 0, 11 9. Übersetzung: W. Hein): „Bei neolithischen 1 30 Beilen gibt es zwei verschiedene Arten des Schleifens. Bei der einen sind die tieferen Abschlagnegative nicht poliert, bei der anderen ist dies sehr wohl der Fall. Die erste Art findet sich vor allem auf Beilen der Trichterbecherkultur, die zweite auf Beilen der Einzelgrabkultur. Beim Schleifen von Feuerstein nur mit Wasserzusatz findet keine Politur der Abschlagnegative statt. Wird beim Schleifen Sand zugegeben, erstreckt sich die Politur bis in die tiefer gelegenen Abschlagnegative. “ Ein Ansatz zur Ermittlung der Schleifleistung könnte es sein, die Gesamtfläche und die tatsächlich geschliffene Fläche einer Beilklinge auszumessen, um vergleichbare Maße zu erhalten. Diese Relation kann auch an experimental geschaffenen Beilklingen gemessen und die Ergebnisse dann auf die originalen Beilklingen angewendet werden. Und drittens macht es auch sicher einen Unterschied, ob jemand freiwillig im modernen Experiment eine eigene Beilklinge schleift oder ob diese anstrengende Arbeit im Neolithikum unter Umständen unfreiwillig ausgeführt wurde. So sind also unsere Ergebnisse bezüglich der Arbeitszeit nur als idealisiertes Modell zu verstehen. Da wir aber über längere Zeit unter den gleichen Bedingungen schleifen konnten und mittlerweile über eine Feinwaage der Marke G&G (Modell PLC3000B) verfügen, die auch im Bereich bis zu drei Kilo auf ein Hundertstelgramm genau wiegt, können wir einige aussagekräftige Messreihen zur Verfügung stellen. Zusätzlich zu den oben genannten Punkten beeinflussen weitere Faktoren das Ergebnis: Abb. 14: Flintbeilklinge aus Abb. 1 in verschiedenen Schleifstadien, geschliffene Flächen orange. – Flint axe blade from Fig. 1 in various stages of grinding, ground surfaces in orange. 1 ) Die genutzte Länge des Schleifsteins und damit die Strecke des einzelnen Schleifhubs. 2) Die Länge der zu schleifenden Beilklinge – wenn man eine lange Klinge über den Schleifstein schiebt, wird naturgemäß mehr Material abgetragen als bei einer kurzen. Jedoch ist andererseits der Reibungswiderstand bei einer größeren Beilklinge höher, sodass mehr Kraft aufgewendet werden muss. 3) Die Gesteinsart des Schleifsteins. Diese Unsicherheit haben wir mittlerweile ein wenig verringern können, weil unsere Steine aus mehr oder weniger dem gleichen Material, aufgesammelt am Strand von Fehmarn, bestehen. Aber auch deren Eigenschaften unterscheiden sich, wie in einer geplanten Folgepublikation (s. u.) dargestellt werden wird. 4) Die individuellen Fähigkeiten der Schleifenden sowie Körpergröße, Gewicht, Kraft und Alter. Abb. 15: Abtrag in g/h, durchschnittlicher Abtrag 6,7 g/h bei händischem Schleifen. – Removal in g/h, average removal 6.7 g/h with manual grinding. Bei unseren Versuchen ließen sich folgende Trends und Durchschnittswerte feststellen: Bei der Verwendung des oben beschriebenen Schleifschlittens ist der Materialabtrag in der gleichen Zeit mehr als doppelt so hoch wie beim händischen Schleifen. Das verwundert nicht, weil durch den Schlitten und dessen Extragewicht der Anpressdruck generell höher und dazu 1 31 bleiber“ (H EIN , LUND 201 7, 200), aus dem Beilklingenkörper lösen. Aber auch wenn man nur eingeübte Experimentatoren miteinander vergleicht, was wir in Zukunft noch verstärkt tun werden, ergibt sich bei Ergebnissen des Schleifens mit dem Schlitten im Vergleich zum händischen Schleifen ein ähnliches Verhältnis von etwa 3 zu 1 . Die Arbeit mit dem Schleifschlitten hinterlässt, wie oben beschrieben, striae, die viel eher jenen auf den Originalbeilklingen erhaltenen gleichen als die, welche beim händischen Schleifen erzielt werden konnten. Auch das liegt in der Natur der Sache, weil der Rohling mit dem Schlitten unter höherem Druck und viel gleichmäßiger über den Schleifstein bewegt wird. Abb. 16: Ida (7) schleift mit Hingabe eine kleine Flintbeilklinge. – Ida (7) grinds a small flint axe blade with dedication. noch bei der Vor- als auch bei der Rückwärtsbewegung ungefähr gleichbleibend ist, während beim händischen Schleifen der Druck bei der Rückwärtsbewegung auf den eigenen Körper zu stark nachlässt, da man sich nicht mit dem vollen Gewicht auf die Beilklinge legen kann. Der durchschnittliche Abtrag mit dem Schlitten liegt bei 0,31 Gramm/min, beim händischen Schleifen dagegen nur bei 0,1 0 Gramm. Wohlgemerkt handelt es sich hier um Durchschnittswerte, denn neben uns fünf Hauptpersonen halfen uns teilweise interessierte Besuchende. Dazu kommen Ausreißer bei den Daten, die sich z. B. einstellen, wenn sich größere Flintpartikel, z. B. sogenannte „Stecken1 32 Der Gesamtschleifaufwand für die allseits händisch geschliffene dünnnackige Beilklinge von 20 cm Länge (s. Abb. 1 ) betrug 1 5 Stunden netto, also reine Arbeitszeit ohne Pausen. Der Fortschritt beim Abtrag ist nach den ersten zwei Stunden sehr deutlich sichtbar, weil zuerst die exponierten Stellen auf der Oberfläche abgetragen werden, später aber die gesamte Oberfläche sukzessive nivelliert wird, was dann nicht mehr so augenfällig ist (Abb. 14). Die Abtragsmenge pro Zeiteinheit bleibt aber über den ganzen Prozess hinweg gleich (Abb. 15). Für die große dünnnackige Beilklinge, die wir seit einiger Zeit schleifen, liegt der Durchschnittswert ebenfalls bei 0,1 0 g/min. Die Bedingungen beim Schleifen sind insofern besonders, als mit großer Vorsicht und Konzentration geschliffen wurde. Wenn man eine 50 cm lange, sehr dünne Beilklinge über den Schleifstein schiebt, hat man immer im Hinterkopf, dass ein kleiner Fehler – etwa, dass das Beil beim Wechseln der zu schleifenden Seite auf den Schleifstein schlägt – dazu führen kann, dass es aussplittert oder im Abb. 17: Erst rund (l.), dann scharf (r.): Schleifen der Schneide einer Flintbeilklinge. – First round (l.), then sharp (r.): Sharpening the edge of a flint axe blade. schlimmsten Fall zerbricht. Bei einer kurzen dicknackigen Beilklinge ist diese Gefahr ungleich geringer. Die Schleifarbeiten wurden ohne Anwesenheit anderer durchgeführt, wodurch eine ungestörte Umgebung gewährleistet war und keine Ablenkungen erfolgten. Das Schleifen des Beilklingenkörpers ist eine Arbeit, die sogar Schulkinder ausführen können – hier die siebenjährige Ida bei den Versuchen im Jahre 2023 (Abb. 16). Wenn es jedoch an das Schleifen der Schneide geht, ist deutlich mehr Erfahrung und Technik nötig. Paradoxerweise muss man nämlich die Schneide erst einmal stumpf schleifen (Abb. 17), um sie dann überhaupt schärfen zu können. Würde man die Frontpartie der nur geschlagenen Beilklinge mit allen Graten und Schlagnegativen auf die Schleiffläche drücken, würden die hervorstehenden Flächen ideale Ansatzpunkte für den Druck bieten. Weil Feuerstein extrem spröde ist, wäre die Folge ein unkontrolliertes Aussplittern der Schneide auf der gegenüberliegenden Seite. Man würde also bei jedem Schleifen die Schneide wieder mit neuen Scharten versehen, anstatt die Scharten zu beseitigen. Also schleift man die Schneide zuerst rund, nimmt so dem Schleifdruck die Ansatzflächen und Abb. 18: Arbeiten mit dem Flintbeil, Marquardt und Kai fällen eine Eiche, 1991. – Working with the flint axe, Marquardt and Kai felling an oak tree, 1991. schleift die Schneidenpartie zuerst linear bis fast an die Rundung heran. Anschließend wird sie dann mit ganz wenig Druck quergeschliffen, bis sie endscharf ist. Das erfordert viel Gefühl, noch mehr Geduld und einen sehr feinen Schleifstein. Die Verwendung unterschiedlicher Abrasive stellte schon S EMENOV (1 964, 69f.) bei der Untersuchung von originalen Dechselklingen fest: “Examination of the surface of adzes from Verholensk confirms that grinding of the rough-out and the sharpening was done with different abrasives, one coarse-grained and the other fine-grained. ” Bei der Arbeit mit dem Flintbeil (Abb. 18) ist deshalb sorgfältig darauf zu achten, jeweils nach etwa 1 00 Schlägen die Schneide auf eventuelle Mikrobeschädigungen zu prüfen, denn eine winzige Scharte kann dazu führen, dass die Schneide auf der anderen Seite großflächig ausplatzt. Ausblick Eine in Forschung und Literatur vollkommen unterrepräsentierte, unseres Erachtens geradezu missachtete Fundgattung 1 33 Abb. 19: Prof. Vinx begutachtet eine Materialprobe, Fehmarn, Oktober 2021. – Prof. Vinx examines a whetstone blank, Fehmarn, October 2021. sind die Schleifsteine. Für unsere Vorversuche haben wir zuerst Sandsteinplatten aus dem Pfälzer Wald verwendet. Da wir aber unsere Experimente in einem nächsten Schritt noch authentischer durchführen und Schleifsteine verwenden wollten, die auch schon im Neolithikum ausgewählt wurden, haben wir uns entschlossen, zunächst originale Schleifsteine bestimmen zu lassen. Dafür konnten wir mit dem emeritierten Professor der Geologie Roland Vinx einen ausgewiesenen Fachmann für die Gesteinsbestimmung im Gelände gewinnen. Neolithische Schleifsteine bestehen meist aus quarzgebundenem Quarzsandstein, über dessen jeweilige Herkunft in der Literatur jedoch keine Auskunft gegeben wird, vermutlich weil sie nicht untersucht und klassifiziert wurden. Kai Martens hatte in jahrzehntelanger Sammeltätigkeit auf der Insel Fehmarn 44 Bruchstücke von 1 34 Original-Schleifsteinen aufgelesen, die Professor Vinx bei einem Treffen im AZH bestimmen konnte. Es handelt sich hierbei meistens um rötlich-braunen Hardeberga- bzw. Jotnischen Sandstein oder hellgrauen Quarzsandstein. Nach dem Vorbild dieser Originale haben wir dann bei einer Exkursion an den Oststrand der Insel Fehmarn im Oktober 2021 (Abb. 19) unter Anleitung von Herrn Vinx elf Rohlinge gesammelt, die wir nun zum experimentellen Schleifen verwenden. Bei unseren Versuchen mussten wir jedoch feststellen, dass das scheinbare Sub-Thema „Schleifsteine“ so komplex und anspruchsvoll ist, dass wir daran noch weiterarbeiten müssen und wollen. Die Ergebnisse und alle dazugehörigen Daten werden wir in einem weiteren Artikel vorstellen. Unsere Versuche werden fortgeführt, der- zeit haben wir diverse Objekte verschiedener Größe und Form in Arbeit und erwarten noch viele weitere erhellende Erkenntnisse rund um das Thema „Wie schleife ich eine Flintbeilklinge?“. Danksagung Unser herzlicher Dank geht an EXAR für die großzügige Förderung dieser Experimente, an das Freilichtmuseum Hitzacker (AZH) für Unterstützung und Logistik, an das Material Culture Laboratory (MCL) am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen für die Kooperation bei den mikroskopischen Untersuchungen, an Prof. em. R. Vinx und seine Frau E. Vinx für liebevolle und kompetente Unterstützung in Sachen Geologie und an Ida & Co. für tapfere „Kinderarbeit“. Literatur B EUKER, J. R. 201 0: Vuurstenen Werktui- gen. Leiden 201 0. F EUSTEL, R. 1 973: Technik der Steinzeit. Weimar 1 973. F INSTERBUSCH , E., THIELE, W. 1 987: Vom Steinbeil zum Sägegatter. Ein Streifzug durch die Geschichte der Holzbearbeitung. Leipzig 1 987. H AHN , J. 1 993: Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Archaeologica Venatoria 1 0. Tübingen 1 993. H ARDING , P. 1 987: An experiment to produce a ground flint axe. In: G. de G. Sieveking, M. H. 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