KOREAFORUM Jahrgang X Nummer 1/2 Oktober 2000
Kwangju Biennale 2000
V on F ran k H o ffm a n n
Kim Chong-son, Zirkel, aus 5 Fotografien bestehende Serie,
jeweils 100 x 70 cm, 1998
Als Hauptattraktion der Biennale wurde wohl von den meisten Besuchern die gelungene
„Human Beings & Gender" Show empfunden, die sich etwa zur Hälfte aus koreanischen
und zur anderen Hälfte aus euramerikanischen Werken zusammensetzte. Die Kuratoren
So Chong-gol (Korea) und Marie-Laure Bernadac (Frankreich) sind hierbei für ihre gute
Zusammenarbeit zu beglückwünschen. „Art, Gender, Sex", wie es eine koreanische
Kunstzeitschrift fasste, wäre allerdings ein wesentlich treffenderer Titel gewesen - die
farbigen, im Wind flatternden gigantischen Kondome, die aufgrund des internationalen
Anlasses die koreanische Nationalflagge auf dem Dach des Ausstellungsgebäudes ersetzt
hatten, ließen daran keine Zweifel.
Etwas verwunderlich, vor allem für ausländische Beobachter, war die kurz nach der
Biennale Eröffnung eilig von zwei männlichen koreanischen Kritikern hervorgebrachte
Kritik an einem der ausgestellten Werke. Als „nichts als pornografisch" hatten sie die
aus insgesamt fünf Fotografien bestehende Serie Zirkel [siehe Foto] der Künstlerin Kim
Chong-son gebrandmarkt. Verwunderlich, da solch barockös-frivole Exponate wie
Chang Yong-hyes Videoinstallation Cunnilingus in Nordkorea und vergnüglich vor sich
hin kopulierende Statuen und Cybersexskulpturen vor dem Ausstellungsgebäude keine
negative Kritik in der koreanischen Presse hervorgerufen hatten. Kim Chong-son war ihr
eigenes Modell, gekleidet in traditioneller Frauenunterkleidung. Ihre Brüste frei, sieht
man sie in verschiedenen Posen vor höfischen Tuschmalereien der Choson-Zeit, und
mit verschiedenen Utensilien von Hofdamen aus dynastischen Zeiten, aber auch keck
mit dem traditionellen Pferdehaarhut, der nur verheirateten Aristokraten Vorbehalten
war. Was diese Kritiker entsetzte, war höchstwahrscheinlich aber gerade die Tatsache,
dass die Künstlerin sich selbst zwar nackt, aber in desexualisierten und bauernmädchen
haft anmutenden Posen darstellte und somit eine sarkastische Variante zu den gesell
schaftlich sanktionierten Klichees von der Schönheit, Virtuosität und Verfügbarkeit
objektivizierter traditioneller koreanischer Frauen darbot - eine direkte Parodie auf
eingängige Abbildungen wie man sie etwa aus Asiana Airlines Flugmagazinen oder
der Werbung kennt.
Im post-postmodernistischen post-Minjung Paulo, Sydney, Istanbul, Johannesburg,
Jahr 2000 ist „Peripherie nicht mehr Peri Shanghai, und Kwangju. Keiner dieser Orte
pherie und Zentrum nicht mehr Zentrum", liegt im geografischen oder kulturellen Zen
wusste Rene Block. Der Künstlerische trum der euramerikanischen Moderne, die
Direktor der Istanbul Biennale von 1995 während des gesamten 20. Jahrhunderts so
und gegenwärtige Direkter des Museum erfolgreich in die ,Peripherie', sprich den
Fridericianum in Kassel ist nun auch Kura Rest der Welt, exportiert worden ist. Nach
tor der sogenannten „Eurafrika" Sektion der dem brutalen Kwangju Massaker im Mai
Biennale in Kwangju. Block fand viele loben 1980 wurde Südkorea neben seinen Halblei
de Worte für all die neuen Biennalen in Säo terprodukten, seinem Schiffbau und seiner
41
Jahrgang X Nummer 1/2 Oktober 2000 KOREAFORUM
östliches. Block schrieb daher in seinem
Katalogessay, dass diese neuen Biennalen
im neuen Millennium richtungsweisend
seien, und behauptete die Organisatoren
der 48sten Biennale in Venedig hätten dies
erkannt und im letzten Jahr den selben
Weg eingeschlagen.
Vom 29. März bis zum 7. Juni dieses
Jahres waren in Kwangju unter dem zur
Interpretation weit offen stehenden
Thema „Man + Space" (kombiniert übri
gens bedeuten die beiden chin. Zeichen
„Menschheit") Werke von 246 Künstlern
aus 46 Ländern zu sehen. Im Jahre 1995
hatte die Kwangju Biennale, die erste und
größte internationale Kunst-Megashow
in Asien, einen bombastischen Start: über
1,6 Mill. Besucher wurden gezählt, und
das Budget betrug sagenhafte 23 Mill. US-
Dollar. Zum Vergleich, die Biennale in
Venedig hat dem Staat, der Stadt und pri
vaten Sponsoren in den letzten Jahren
Su-en Wong, Gelbes Bild m it Mädchen in Boxhandschuhen, zwischen 7 und 8 Mill. Dollar gekostet,
Acrylic und Bleistift auf Leinwand, 165 x 178 cm, 1999 und die Ausstellung mit den höchsten
Besucherzahlen in Europa, die documenta
Der Kurator der Nordamerika Sektion, Thomas Finkeipearl von P.S.l in New York, hat 10 in Kassel, hatte selbst in ihrem besten
versucht, die spezifische Situation in Kwangju mit in sein Ausstellungskonzept einzube Jahr 1997 nicht mehr als 631.000 Besucher.
ziehen: „Eine Millionen Menschen werden diese Ausstellung sehen, und 970.000 sind Die zweite Kwangju Biennale im Jahre
nicht aus der Kunstwelt. Daher wollte ich etwas für die 970.000 Leute tun.... Meine Sek 1997 zählte dann nur noch halb so viele
tion ist ganz auf diese Situation angepasst. Ich würde diese Ausstellung in dieser Form Besucher, konnte aber auch ihren Etat um
nicht in Venedig oder Sydney machen; das würde gar keinen Sinn machen." Finkelpearl die Hälfte reduzieren. Noch während
lieferte mit seiner amerikanischen Version maßgeschneiderter Kunst für die Massen der letzten Biennale begann die Finanz
dann auch prompt den größten kuratorischen Flop der Biennale. Sein gesamtes Konzept krise, die ganz Asien in Mitleidenschaft
basierte auf dem scheinbaren Gegensatz von Korea als einer „group oriented society" zog. Zwei Jahre lang war der koreanische
(Finkelpearl) und Nordamerika als einer individualistischen Gesellschaft. Während es Kunstmarkt wie erstarrt. Es ist noch immer
sonst eine der großen Anreize moderner Kunst ist, die auf duale Charakteristiken redu vom „IMF-Zeitalter" die Rede, doch die
zierte nationale und ethnische Identität zu hinterfragen und letztendlich ad absurdum abendlichen Fernsehnachrichten verbreiten
zu führen, hat Finkelpearl hier also genau das Gegenteil gemacht: Seine Sektion bestand nichts als Optimismus über die wirtschaft
einzig aus Selbstporträts nordamerikanischer Künstler. Hier wie in anderen Biennale liche Zukunft. Alle Probleme sind als
Ausstellungen verwunderte zudem die züchtige Selbstbeschränkung auf die traditionel weitgehend überwunden erklärt, und die
len zweidimensionalen Medien Malerei und Fotografie, während zugleich die internatio Krise wird als zu Ende betrachtet. Auch der
nale Kunstwelt den Tod der Malerei reklamiert und alle Biennalen von Säo Paulo bis Kunstmarkt ist im letzten Winter wieder
Sydney aufsehenerregende und bombastische Installationen zeigen. Das Geheimnis zu vollem Leben erwacht - Korea konnte
dieser Politik war so simpel wie Finkeipearls kuratorisches Konzept: Aufgrund des über sich nun eine dritte Kwangju Biennale leis
mächtigen Verwaltungsapparats der Biennale Foundation musste bei den Ausgaben für ten. Das diesjährige Budget betrug 7,2 Mill.
Künstler, Transport und Versicherung gespart werden. Dollar und war damit etwa so hoch wie
das der Biennale in Venedig, doch das
Interesse lässt weiter nach, und die über
Militärdiktatur auch zunehmend durch Erwartungen des westlichen Kunstmarktes, wältigend hohen Besucherzahlen der
seine Studentendemonstrationen und damit insbesondere der amerikanischen Ostküste, ersten beiden Biennalen wurden nicht mehr
seine einhergehende neue politische Kunst zuzuschreiben. Gleichzeitig sahen wir aber erreicht; in diesem Frühjahr waren es
bekannt. Diese orientierte sich stilistisch auch wie asiatisch-amerikanische Künstler „nur" noch 614.000.
zuerst am deutschen Expressionismus und sich mehr und mehr, dabei immer erfolg Die ersten beiden Biennalen, eine unter
an lateinamerikanischer Wandmalerei, ging reicher, mit zuerst ethnisch orientierten, dem Leitspruch „Beyond the Borders"
dann aber bald sehr eigenen Wege. Einige und in den letzten Jahren dann themati (1995), die andere unter dem Motto „Un-
Jahre später sah man dann in China, was schen Ausstellungen (z.B. eine Show über mapping the Earth" (1997), waren damals
mit einem Auslaufmodell wie Pop Art noch Kimch'i) in der amerikanischen Kunst beide in themenorientierte Ausstellungs
alles so zu machen ist, wenn Mao Zedong szene bemerkbar machten. Rene Blocks sektionen aufgeteilt. Ihre theoretischen
den Platz Marilyn Monroes einnimmt - im Euphorie ist also sehr verständlich: von Konzepte zielten beide daraufhin der west
Unterschied zur anti-amerikanischen Min- der westlichen Moderne aus zweiter Hand lichen Moderne eine alternative nicht-west
jung-Kunst Koreas ein Exportschlager erster (bezieht man die Kolonialzeit mit ein, kann liche (sprich asiatisch-afrikanisch-lateina
Güte in die USA. (Aber inzwischen hat man im koreanischen Fall sogar von dritter merikanische) Moderne entgegenzustellen.
selbst die Volksbefreiungsarmee einen Hand sprechen) bis zur thematisierten In der koreanischen wie internationalen
rosaroten Mao für einige ihrer Werbekam Auseinandersetzung mit den asiatischen Presse wurde diesen Versuchen aber ein
pagnen adaptiert.) Variationen der Moderne, die vor allem in hellig mit viel Ironie begegnet, denn
Die schnell wachsende Präsenz asiati den letzten zwei Jahrzehnten zu beobach Ausstellungsbesucher hatten damals, vor
scher Kunst in den Galerien von New York ten waren, hat moderne asiatische Kunst allem bei der 1997er Biennale, große
und Paris ist sicher in erster Linie der star schließlich Wege gefunden asiatisch und Schwierigkeiten zwischen konzeptuellem
ken künstlerischen Avantgarde in China global zu sein - eine Kunst, die ein west Anspruch und der Ausstellung selbst eine
und ihrem Gespür für die Bedürfnisse und liches Publikum ebenso anspricht wie ein direkte Verbindung zu sehen. Kwangju
42
KOREAFORUM Jahrgang X Nummer 1/2 Oktober 2000
war natürlich keineswegs die erste Bien
nale, die mit diesem Dilemma zu kämpfen
hatte. Im Dezember 1998 wurde der links
nationalistische Kunstkritiker Ch'oe Min
als Künstlerischer Direktor der geplanten
Millennium Biennale von der durch die
Kwangjuer Stadtregierung kontrollierten
Biennale Foundation abgesetzt und durch
den älteren und wesentlich konservativeren
Oh Kwang-su, Direktor des staatlichen
Nationalmuseums für Moderne Kunst,
ersetzt. Viele koreanische Künstler drohten
daraufhin die Biennale zu boykottieren
und sprachen sarkastisch vom „Massaker
an kulturellen Experten durch die Büro
kraten". Die Unzufriedenheit hielt an und
diesen Januar wurde die Boykottdrohung
wiederholt, schließlich aber nicht eingelöst.
Neben dem offensichtlichen Machtkampf
zwischen Lokalbürokratie auf der einen
Seite und Kunstkritikern und Künstlern
auf der anderen, war das Hauptmotiv für
die Absetzung die Befürchtung, dass Yun Sok-nam, Bunte Schuhe, Installation, 800 x 800 x 500 cm, 2000
Ch'oe mit seinem anspruchsvollen kura
torischen Konzept die Fehler von 1997 wie Wie viele andere in den 80er Jahren in der Minjung-Bewegung aktiv gewesene Künstler
derholen würde. hat Yun Sok-nam ihre Aufmerksamkeit nun anderen Themen zugewandt, die wir in
Bei seinem Versuch diese Fehler zu ver ihrem Fall als feministisch charakterisieren könnten. Ihr rosarotes Boot ist mit glänzend
meiden hat Oh Kwang-su leider das Kind rosaroten Glassperlen gefüllt, schwimmend auf einem Meeresdelta aus blauen, grünen
mit dem Bade ausgeschüttet und sich in und weißen Glassperlen. Eine Fährte, gelegt aus Bunten Schuhen, den traditionellen
seiner Planung sehr an Venedig angelehnt. koreanischen Mädchen- und Frauenschuhen, zieht sich vom Bug übers Heck bis weit
Selbst der Hauptpreis der Kwangju Bienna in das Perlenmeer hinein, wo die Schuhe zu kleinen Booten werden. Für Yun zählt dies
le ging an Shirin Neshat, die auch in Vene als eine der Möglichkeiten „eine kurze Geschichte zu erzählen, eine Geschichte über
dig im letzten Sommer schon mit einem die Spuren von so vielen Frauen, die namenlos und ohne jegliche Andenken verschwan
der dortigen Hauptpreise ausgezeichnet den," unbemerkt von der Geschichte des Landes und der Welt. Yuns Installation fragt
worden war. In Venedig wird noch immer geradezu nach einer schulbuchhaft-freudschen Interpretation: Boot gleich Vagina,
die Tradition der Länderpavillons fortsetzt. Meeresdelta gleich Schoß, rosarote Glassperlen symbolisieren Menstruation, und die
Als Variation hierzu hat Oh Kwang-su in Bunten Schuhe (zugleich Titel des Werks) stehen, ganz nach Freud, für sexuelle Begierde,
Kwangju versucht Kunstwerke aus mög beschränkt auf den phallischen Fetisch. Als traditionelle Frauenschuhe stehen sie zu
lichst allen Ländern der Welt vorzustellen, gleich aber auch für harte Arbeit und Entsagung. Die Spur führt ins Meer, dem Platz
die dann in Kontinent-ähnliche geografi für unerfülltes Verlangen.
sche Einheiten zusammengefasst worden Kim Hong-hee, Kuratorin der Korea/Ozeanien Sektion, die im letzten Jahr auch die
sind. Für Venedig aber erklärt sich die Kuratorin einer sehr beeindruckenden Ausstellung feministischer Kunst („Patjis on Para
Struktur der Länderpavillons durch ihre de") in Seoul war, hatte diese Installation aus gutem Grund im Mittelpunkt ihrer Sektion
bis ins späte 19. Jahrhundert zurück ausgestellt. Aufgrund des 20-jährigen Jahrestags des Kwangju Massakers war die Teil
reichende Geschichte, und, wie Rene Block nahme von vielen ehemaligen Minjung-Künstlern angesagt (die gleichzeitig aber auch
ja feststellte, wurde gerade im letzten Jahr noch in der Sonderausstellung „Art & Human Rights" vertreten waren). Bedauerlicher
versucht diese Struktur aufzubrechen. Die weise erschien die Mehrzahl der anderen Werke dieser Sektion 20 Jahre nach dem Mas
aber nur wenige Jahre alte Kwangju Bien saker und ein Jahrzehnt nach dem eigentlichen Ende der Bewegung aber nur wie ein
nale negierte dagegen mit dem Konzept schwacher Abklatsch der einstmals so vorbehaltlos kritischen und politisch engagierten
einer geografischen Einteilung die beiden Minjung-Kunst. Viele der jungen und die gegenwärtige koreanische Kunstszene domi
Vorgänger-Biennalen und deren Ziele. Dem nierenden Künstler/innen mit internationalem Ruf, wie z.B. die Installationskünstler Lee
anderen wichtigen Kritikpunkt, der damals Bul (die Korea in Venedig vertrat), Ium oder Cho Duck-hyun (gegenwärtig alle im soge
von der internationalen Presse angebracht nannten Kurim Dorf Projekt tätig), waren dagegen nicht eingeladen worden. Die vielen
wurde, nämlich dass in scharfer Diskre Kompromisse, die Kim Hong-hee eingegangen war, und die auch in der koreanischen
panz zur kuratorischen Konzeption kaum Presse scharf kritisiert worden sind, verhinderten die praktische Umsetzung ihres anre
asiatische und insbesondere zu wenig genden Katalogessays, in welchem die Rede ist von „neuer" politischer Kunst und poli
koreanische Kunst vertreten war - Kunst tisierter Gegenwartskunst, welche sich mit Themen wie Emanzipation, Konsum und
werke und auch Präsentationsformen, anderen sozialen Fragen auseinandersetzen - gerade eben jene Themen, die im Mittel
welche diese Biennale von anderen inter punkt des Werks zuletzt genannter Künstler/innen stehen.
nationalen Kunstfestivals unterscheiden
würde, sie zu einer „asiatischen" Biennale
machen würde - haben Oh und die von bedeutende Teil, bestand aus fünf „Sonder großes Quadrat hatten um ihrer Kreativität
ihm eingeladenen Kuratoren diesmal ver ausstellungen", dessen konzeptueller freien Lauf zu lassen - das Ergebnis einer
sucht Tribut zu zahlen. Doch was sich in Rahmen Menschenrechte, Sexualität, der vielen politischen Kompromisse zwi
den Statistiken der Bürokraten so ein Geschlechterrollen und asiatische Moderne schen lokalen, regionalen und nationalen
drucksvoll anhört, hat der Ausstellung in den Mittelpunkt stellte. Eine dieser Gruppen, der den Streit um die Teilnahme
am Ende nicht zum Erfolg verholfen. Sonderausstellungen bestand aus einer lokaler Gruppen und die Form dieser Teil
Die „Hauptausstellung" war in fünf traditionellen koreanischen Mauer im Frei nahme schlichten sollte. Die vielen pedan
geografische Regionen sowie eine „Special en, an der über tausend regionale Künstler, tischen Werke dieser Mauerausstellung,
Corner" eingeteilt. Der zweite, ebenso hauptsächlich Kunststudenten, je ein käfig nicht zu sprechen von den naiv-religiös
43
Jahrgang X Nummer 1/2 Oktober 2000 KOREAFORUM
anmutenden Essays der beiden Kuratoren,
kompromittierten alle anderen Werke der
Biennale. Im drei Minuten entfernt liegen
den Folkloremuseum der Stadt Kwangju
war zudem eine „New Media Art" Show
untergebracht, die unter den Besuchern
sehr wenig Interesse zu wecken schien.
Hier wie auch in den anderen Ausstellun
gen waren mit wenigen Ausnahmen die
wirklich großen Namen abwesend.
„When too perfect, the good Lord
becomes angry", hat Nam June Paik, Vater
der Video-Kunst, einmal gesagt. Doch was
für Paiks Arbeit zutreffen mag, funktio
nierte bei der Biennale weniger gut. Viele
der Seouler Galeristen, Künstler und Kul
Chen Shun-Chu, Familienparade [detail], Installation, 1999 turjournalisten scheuten dann auch den
14-stündigen Flug zu Nam June Paiks
Die Asien-Sektion krankte - was für viele Besucher schnell fass großer Guggenheim Show nicht, fühlten
bar war - an ihrer Überambitioniertheit. Zwar gelang es Kurator sich aber weit weniger animiert den ein-
Tani Arata aus Japan, eine große Anzahl von wichtigen asiati stündigen Flug nach Kwangju zu buchen.
schen Avantgarde Künstlern einzuladen, aber sein Ziel repräsen Während gleichzeitig die internationalen
tative Künstler aus ganz Asien auszustellen, auch aus solchen Filmfestivals in Pusan, und seit diesem
selten in Biennalen vertretenen Ländern wie Burma und der Frühjahr nun auch in Chonju, weiter an
Mongolei, erlaubte ihm nicht die Werke seiner Ausstellung unter Popularität gewinnen, bleibt in Kwangju
einem überzeugenden Gesamtkonzept zu präsentieren. Dies das intellektuelle Publikum fern. Der
führte unweigerlich dazu, dass die gesamte Show wie ein über Literaturkritiker Paik Nak-chung, seit
füllter Abstellraum der asiatischen Avantgarde wirkte, was die langem einer von Koreas Zelebritäten und
vielen in der Tat sehr interessanten Werke - hier Chen Shun- Partner von Jürgen Habermas in einer
Chus (Taiwan) Installation Familienparade - kompromittierte. offenen Diskussion über deutsche und
koreanische Wiedervereinigung, brachte
dies auf einen Nenner: „Die Öffentlichkeit
meint, dass Kwangju Wiedergutmachung
[für das Massaker im Mai 1980] verdient,
und die hat man ihnen gegeben. Aber
dabei bleibt es dann auch." Wie in den
ersten beiden Biennalen haben daher die
von staatlichen Organisationen finanzierten
oder mitfinanzierten Bustouren, in denen
über 80% der Besucher kamen, in der
Mehrheit Schulkinder und Rentner nach
Kwangju befördert. Anstatt einer internatio
nalen Kunstshow der Superlative sahen
wir ein pompöses und teures koreanisches
Volksfest - mit internationaler Beteiligung,
die dem Schauspiel globale Anerkennung
und Publizität garantieren sollte.
Ein Ausstellungsraum der Sonderausstellung
„The Facet of Korean & Japanese Contemporary Art" Frank Hoffmatm ist Assistant Professor for
mit Yoshida Katsuros Red, Canvas, Yarn, etc. (1971-74) Korean Studies am Intercultural Institute of
und Koshimizu Susumus Front Surface to Surface (1971) California (I/O, San Francisco, und ist u.a.
auch der Kompilator der Harvard Korean
Der Titel der Show „The Facet of Korean & Japanese Contem Studies Bibliography CD.
porary Art" war wohl eine leichte Fehlbezeichnung, denn wie
andere Shows war auch diese Sonderausstellung eigentlich mehr
eine Retrospektive. Das eigentliche Thema der Ausstellung war
die japanische Monoha und die koreanische Sansaekhwa Kunst
der späten 60er und 70er Jahre. Für das westliche Publikum, dem
Monoha durch große Ausstellungen im Pariser Centre Georges
Pompidou (1988) und im New Yorker Guggenheim Museum
(1994) bekannt gemacht worden war, gab es hier kaum Über
raschungen. Allerdings wurde diese gelungene Retrospektive
durch die Gegenüberstellung der beiden recht ähnlichen Bewe
gungen in Korea und Japan für das koreanische Publikum einer
der leisen Erfolge der Biennale, denn mit der japanischen Vari
ante der Asiatisierung von westlichem Minimalismus ist man in
Korea aufgrund der jahrzehntelangen Ausgrenzung japanischer
Kultur noch immer wenig vertraut.
44