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2013, Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften

Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gelten für die empirischen Geisteswissenschaften nicht weniger als für die Naturwissenschaften. Kant jedoch ist der Überzeugung, dass es zwar eine Lehre, aber keine Wissenschaft von der ‚denkenden Natur‘ geben könne, denn die denkende Natur sei als Gegenstand des inneren Sinnes durch nichts anderes als die eindimensionale Zeit strukturiert, die keine mathematische Konstruktion des Begriffs der denkenden Natur erlaube. Aber der menschliche Wille, als ‚Naturursache in der Welt‘, ist nach Kant ein ‚Begehrungsvermögen nach Begriffen‘. Und erfahrbar ist das Denken nur, insofern es von Natur ein ‚Sprechen zu und von sich selbst‘ ist und also verstehend rezipiert werden kann. Warum also sollte es nicht eine Mathematik der Gedanken und dann auch Metaphysischen Anfangsgründe einer Wissenschaft von der denkenden Natur geben?

Erschienen in: Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. Internationalen Kant Kongresses 2010, Bd. 5. Hrsg. von Stefano Bacin [u.a.]. Berlin [u.a.] 2013, 1 S. 77 88. 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften Bernward Grnewald Wie kçnnen die empirischen Geisteswissenschaften der Gefahr (und dem Verdacht) entgehen, statt objektiver Wissenschaft (unter dem vornehmen Namen „Interpretation“) nichts anderes zu erzeugen als subjektive Meinungen? Meine Antwort lautet: Die Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung, sind es, die nicht nur den sog. Naturwissenschaften, sondern auch der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft, den Sozialwissenschaften erlauben, ber das, was wir subjektiv erleben, hinauszukommen zur Objektivitt der Gegenstandsbestimmung, mithin zur Verwandlung der bloßen Erscheinung in Erfahrung, Bcher, Theaterstcke, auch die Handlungen der Menschen, Wahlkampfreden, Streikaufrufe liegen oder vollziehen sich vor unseren Augen und Ohren. Gewiss reichen die Augen und Ohren nicht aus, um sie zu erfassen, aber sie sind nicht Gegenstnde des Glaubens, sondern unseres empirischen Wissens, sie sind Gegenstnde der Erfahrung. Nur mssen wir, schon um sie uns bloß zur Gegebenheit zu bringen, um sie zu rezipieren, mehr tun, als sie bloß ußerlich wahrzunehmen. Wir mssen sie verstehen. Wie sie zu verstehen sind, mag des fteren zweifelhaft sein, aber Handlungen anderer verstehen wir mitunter einfach, weil die Handelnden uns „mitteilen“ kçnnen, was sie tun, und sogar, warum sie es tun. Wiederum mçgen wir bezglich des letzteren çfters misstrauisch sein (wer weiß, was der Mensch eigentlich vorhat). Aber jedenfalls dies, was uns jemand als seine Absicht und sein Ziel mitteilt, verstehen wir in vielen Fllen ohne weiteres; und in manchen trivialen Fllen wissen wir ziemlich sicher, warum jemand etwa das Fenster schließt – sogar, ohne dass er es uns sagt. Die Geisteswissenschaften haben es mit Gegenstnden unserer Erfahrung zu tun. So lesen wir denn auch bei Kant: „Der Wille, als Begehrungsvermçgen, ist […] eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt“ (KU, AA 05: 172.04 – 06). Naturursachen sind Gegenstnde der Erfahrung; Ursachen, die nach Begriffen wirken, sind Gegenstnde einer speziellen Erfahrung, die es mit dem Gebrauch von Begriffen zu tun hat. Dabei lsst Kant keinen Zweifel daran, dass – im Unterschied zum teleologischen Begriff „einer Causalitt der Natur 78 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald nach der Regel der Zwecke“ – der Begriff der menschlichen Zwecksetzung oder, wie Kant formuliert: „der Begriff einer Causalitt durch Zwecke (der Kunst)“ [ars/techne], ebenso „objective Realitt“ hat wie derjenige „einer Causalitt nach dem Mechanism der Natur“ (vgl. KU, AA 05: 397.13 – 15). Denn nur weil es einen konstitutiven Gebrauch des Zweckbegriffs, nmlich im Bereich des menschlichen Handelns, gibt, nur deshalb kann berhaupt der bloß regulativ zu gebrauchende Begriff der Zweckmßigkeit der Natur nach einer Analogie mit der „praktischen Zweckmßigkeit (der menschlichen Kunst oder auch der Sitten) […] gedacht“ werden (vgl. KU, AA 05: 181.03 – 11 u. 197.05 – 08). Die Zwecksetzung des menschlichen Handelns ist der terminus a quo, nicht etwa ein Fall des terminus ad quem dieser Analogie. Die Gegenstnde der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Sozialwissenschaften sind Gegenstnde der Erfahrung; also mssen Sie den Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung gengen, d. h. den Gesetzen der Natur (natura formaliter spectata). Die „Kritik der reinen Vernunft“ handelt von den Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung berhaupt, damit auch von der Natur berhaupt. Diese hat nun, so lesen wir in der Vorrede der ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft‘, nach der Hauptverschiedenheit unserer Sinne zwei Haupttheile, deren der eine die Gegenstnde ußerer, der andere den Gegenstand des inneren Sinnes enthlt, mithin ist von ihr eine zwiefache Naturlehre, die Kçrperlehre und Seelenlehre, mçglich, wovon die erste die ausgedehnte, die zweite die denkende Natur in Erwgung zieht. (MAN, AA 04: 467.13 – 17.) Das kçnnte uns hoffen lassen: wenn wir „Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft“ vor uns haben, so werden wir zwei Abteilungen vorfinden, eine fr die Kçrpernatur, eine fr die denkende Natur; wenn anders die Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung fr jederlei Erfahrung gelten. Und immerhin gibt es einen Brief Kants an Schtz v. 13. 9. 1785, in dem Kant von der Absicht spricht, den schon ,fertiggemachten‘ ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft‘ einen Anhang ber die ,Metaphysischen Anfangsgrnde der Seelenlehre‘ beizugeben (vgl. BR, AA 10: 406 f.) – eine Absicht, die er dann allerdings nicht realisiert hat. Tatschlich erklrt Kant dann aber im weiteren Text der ,Vorrede‘ seine berzeugung von der Unmçglichkeit einer ,Metaphysik der denkenden Natur‘ und einer darauf aufbauenden Wissenschaft. Diese berzeugung beruht auf Grnden, die fr Kant schon seit der 1. Auflage der KrV feststehen. Sie lassen sich beinahe schon aus der zitierten Einteilung der Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 79 Natur „nach der Hauptverschiedenheit unserer Sinne“ nmlich in „die Gegenstnde ußerer [Sinne]“ und „den Gegenstand des inneren Sinnes“ erschließen: Die Anschauungsform des inneren Sinnes ist die Zeit. Und da eine besondere Naturlehre, anders als die „allgemeine Metaphysik der Natur“, um Wissenschaft zu werden, der Mathematik und der dadurch mçglichen Konstruktion ihrer Grundbegriffe bedarf, wre eine Metaphysik der denkenden Natur allein auf die Zeit verwiesen. (vgl. MAN, AA 04: 470 f.) Die Zeit aber hat nur eine Dimension, und damit ist mathematisch nicht viel Staat zu machen: […] man mßte denn allein das Gesetz der Stetigkeit in dem Abflusse der inneren Vernderungen desselben in Anschlag bringen wollen, welches aber eine Erweiterung der Erkenntniß sein wrde, die sich zu der, welche die Mathematik der Kçrperlehre verschafft, ungefhr so verhalten wrde, wie die Lehre von den Eigenschaften der geraden Linie zur ganzen Geometrie (MAN, AA 04: 471.14 – 19). Kant nennt noch weitere Grnde fr die wissenschaftstheoretische Unzulnglichkeit der Seelenlehre, die wir angesichts des alles entscheidenden Hauptpunktes hier auf sich beruhen lassen kçnnen.1 Es muss uns nicht sehr verwundern, dass Kant als Wissenschaft von der denkenden Natur allein die Psychologie ins Auge fasst. Die meisten derjenigen Disziplinen, die wir im Deutschen heute unter den Begriff der Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenfassen, hat es zu Kants Zeiten noch nicht oder nur in Anstzen gegeben. Und dass die Historie nicht als Wissenschaft in Frage kommt, liegt fr Kant schon in ihrem Begriff: Er ist als Begriff einer Darstellung von singulren Fakten „in verschiedenen Zeiten und rtern“ der Gegenbegriff zu dem der auf Gesetzeserkenntnis zielenden Wissenschaft; das gilt fr die Naturhistorie so gut wie fr die menschliche Geschichte. Das schließt aber andererseits nicht aus, dass dem Geschehen eine Gesetzlichkeit (eine Natur) zugrunde liegt. Dennoch bleibt da ein Problem: Ist die denkende Natur nichts anderes als ein Gegenstand des inneren Sinnes und daher bloß durch die artiku1 Zum einen kçnne die empirische Psychologie „nicht einmal als systematische Zergliederungskunst oder Experimentallehre … der Chemie jemals nahe kommen, weil sich in ihr das Mannigfaltige der inneren Beobachtung nur durch bloße Gedankentheilung von einander absondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und beliebig wiederum verknpfen“ lasse (MAN, AA 04: 471.21 – 26). Dazu kommt, zum anderen, dass „noch weniger aber ein anderes denkendes Subject sich unseren Versuchen der Absicht angemessen von uns unterwerfen lßt, und selbst die Beobachtung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alterirt und verstellt“ (Ebda, Z. 26 – 29). 80 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald lationslos-eindimensionale Zeit strukturiert? Ist Kant hier auf der Hçhe seiner eigenen Einsichten? In der Anthropologie etwa spricht er von „der Natur des Denkens, als eines Sprechens zu und von sich selbst“ (Anth, AA 07: 167.12 f.). Erfahrbar also sind die berlegungen von Menschen und ihre Zwecke gerade, insofern sie sprachlich artikulierbar sind und daher von ihnen selbst und anderen rezipiert werden kçnnen. Auch erweist sich die Vorstellung mancher Leute von Kants angeblich vorsprachlich konzipierten ,Bewusstseinsphilosophie‘, die es zu berwinden gelte, sehr schnell als abwegig, sobald man genauer hinsieht. „Urtheile denken […] ohne Wçrter“ ist fr Kant ein Unding.2 – Wenn aber schon der Vollzug des Denkens Sprechen mit sich selbst ist, also sprachliche Artikulation impliziert, dann, so ist zu vermuten, ist erst recht das empirische Bewusstsein dessen, was wir gedacht haben, durch die sprachliche Bezeichnung der Gedanken vermittelt. Das Kapitel der Anthropologie „Von dem Bezeichnungsvermçgen“ besttigt diese Vermutung: Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umgekehrt die vorzglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, dieses grçßte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen. Denken ist Reden mit sich selbst (die Indianer auf Otaheite [Tahiti – B.G.] nennen das Denken: die Sprache im Bauch), folglich sich auch innerlich (durch reproductive Einbildungskraft) Hçren. (Anth, AA 07: 192.29 – 34). Mssen wir uns da nicht fragen, ob der Begriff des inneren Sinnes und seiner Form, der Zeit, ausreicht, um zu begreifen, wie uns die denkende Natur gegeben sein kann? Das Entscheidende fr uns ist zunchst der Hinweis auf die Art, wie Phnomene der denkenden Natur – „Gedanken“ heißen sie hier – als solche rezipiert werden: durch ein Verstehen; des weiteren die Feststellung, dass sich selbst zu verstehen impliziert, dass das Denken die Gedanken „bezeichnet“ hat, so dass sie identifizierbar sind. Das ,Sich-selbstVerstehen‘ wird mit dem Verstehen anderer parallelisiert. Freilich geht daraus auch hervor, dass das Denken selbst und die Bezeichnung der Gedanken unterschieden sind, die Bezeichnung durch Sprache ist nur das vorzglichste Mittel der Gedankenbezeichnung und „das grçßte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“. Mag es auch noch andere, dann wohl weniger vorzgliche Arten der „Gedankenbezeichnung“ und „Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“ 2 Vgl. V-Lo/Wiener, AA 24: 934; dazu des nheren Brandt, Reinhard: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67 – 76; B 92 – 201. Hamburg 1991, 42; dagegen die Fehleinschtzung bei Apel, Karl-Otto: Diskurs und Verantwortung. Das Problem des bergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt a. M. 1988, 97. Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 81 geben, der innere Sinn und seine Form, die Zeit, scheinen doch eine allzu reduzierte theoretische Grundlage zu sein, um sich von einer auf die denkende Natur bezogenen Rezeptivitt und ihrer Struktur einen Begriff zu machen. Mssen wir nicht sagen: die Zeit verhlt sich zur Struktur dessen, was wir in den empirischen Geisteswissenschaften von den Menschen, ihren Handlungen, ihrer Geschichte und ihren Werken erfahren, wieder nur so wie die gerade Linie zur ganzen Geometrie? Zwei Fragen drngen sich daher auf: gibt es so etwas wie eine „Geometrie“ der Gedanken? Und kçnnten wir, wenn wir eine solche erfinden kçnnten, doch „Metaphysische Anfangsgrnde einer Wissenschaft von der denkenden Natur“ formulieren, Analoga zu den vier Hauptstcken Phoronomie, Dynamik, Mechanik, Phnomenologie? Verdeutlichen wir uns vorab, wie die denkenden Natur zu einem Gegenstand der Erfahrung werden kann – und zuerst, wie etwas von ihr (sagen wir: Gedanken) rezipierbar werden kann: durch Verstehen, vorzugsweise durch sprachliches Verstehen, hatten wir bei Kant gelesen. Das setzt bei dem, der versteht, offenbar mehr voraus, als einen „inneren Sinn“ der das zu Verstehende in seinen Zeithorizont einordnet. Wir kçnnten zunchst sagen: es setzt voraus, dass er die Sprache des (gesprochenen oder geschriebenen) Textes beherrscht. Aber in gewissen Fllen muss die Sprache allererst gelernt werden. Was heißt es, dass jemand das Wort oder den Satz einer Sprache versteht? Oder auch: was heißt es, dass jemand eine bestimmte Geste (des Grßens, der Bitte um eine Spende usw.) wortlos versteht? Wir sagen: er muss den Sinn der Geste, des Satzes verstehen. Die eine Person bringt etwas, einen Sinn, zum Ausdruck, die andere Person muss eben diesen Sinn rezipieren. Wieso ist dergleichen mçglich? Offenbar, weil beide Personen ber die Elemente und die Struktur dieses Sinnes irgendwie ,verfgen‘. – Ich krze meine berlegung ein wenig ab: ber Sinn verfgen wir, weil wir ber ein ganzes System von Sinn, ein Sinn-System, verfgen. Verstehen kçnnen wir einander, soweit wir ber ein gemeinsames Sinnsystem verfgen; wo nicht, mssen wir, um zum Verstndnis zu gelangen, unser eigenes Sinnsystem erweitern. Sinneinheiten sind nur sprachlich identifizierbar, aber sie sind nicht dasselbe wie sprachliche Einheiten, schon weil sprachliche Einheiten mitunter, wenn nicht gar hufig, vieldeutig sind und Sinn zumeist verschieden, z. B. in Synonymen und in verschiedenen Sprachen, ausgedrckt werden kann. Meine Folgerung: die (spezifische) Bedingung der Mçglichkeit des Verstehens, d. h. der Rezeption von Sinn, ist nicht die Zeit, sondern ein umfassendes Sinnsystem oder, um einen phnomenologischen Terminus einzufhren, ein noematisches System. Wenn es daher eine Chance geben 82 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald soll, den Begriff der denkenden Natur zu konstruieren, dann mssten wir berlegen, ob der Begriff eines noematischen Systems so etwas wie eine mathematische Konstruktion erlaubt. Ich gebe dazu nur zwei Hinweise: Erstens: Sinn ist nicht gltiger Sinn; schon deshalb wre eine Sinn-Mathematik, nennen wir sie „Noematik“, nicht dasselbe wie eine Logik. Zweitens: Sinn mag in vielen, vielleicht den wichtigsten Fllen so etwas wie einen Geltungsanspruch enthalten, etwa den theoretischen, von gewissen Gegenstnden zu gelten. Aber nicht in ihrer Geltungsfunktion untersucht eine Noematik die Sinneinheiten (Noemata) und Sinnzusammenhnge, sondern in ihrer Funktion, Vorkommnisse der denkenden Natur, DenkVorkommnisse (,noetische‘ Prozesse) zu strukturieren. Infolgedessen sind etwa die Sinnelemente, die in der Logik die Funktion allgemeiner Begriffe haben, als Strukturelemente der noetischen Prozesse durchaus Bestimmtheiten von singulren Begebenheiten in der Zeit. Setzen wir einmal voraus, eine Noematik, eine Mathematik der Sinneinheiten, in denen sich Menschen geistig ,bewegen‘, sei mçglich. Dann stnde einer „Metaphysik der denkenden Natur“ nichts mehr im Wege. Skizzieren wir also die vier Hautstcke: I. Im ersten Hauptstck, nennen wir es „formale Noetik“, sprechen wir (statt, wie in den ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft‘ von der Materie als dem Beweglichen im Raume) von der noetischer Subjektivitt und der Synthesis von Sinn-Elementen, die durch ihre Stelle in einem noematischen System determiniert sind. Dem vom jeweiligen Subjekt habitualisierten, relativen noematischen System stellen wir dabei das durch Definition erweiterte – und schließlich das in indefinitum erweiterte universale oder absolute noematische System aller mçglichen Sinnelemente gegenber. In der formalen Noetik ist zu zeigen, inwiefern die so definierten noetischen Prozesse als strukturelle Grçßen, die also aus Teil-Noesen zusammengesetzt sind, begriffen werden kçnnen. Wer je die ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft‘ studiert und sich mit den oft sehr komplexen Formulierungen der ,Erklrungen‘ und ,Lehrstze‘ abgemht hat, kann sich leicht denken, dass die entsprechenden Formulierungen einer formalen Noetik nicht gerade schlichter ausfallen kçnnen. Nur um Ihnen einen Eindruck von der Form solcher Stze zu geben, stelle ich hier den Lehrsatz dieses ,Ersten Haupt- Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 83 stcks‘ vor (gegenber der Formulierung in meinem Buch3 syntaktisch ein wenig ,entzerrt‘): Lehrsatz: Die Zusammensetzung einer Noesis, in welcher ein Subjektsbegriff (S) durch das Prdikat (P) bestimmt wird, aus zwei Noesen desselben noetischen Subjekts kann nur auf folgende Weise gedacht werden: Denken wir uns in ihr zwei Konstitutionsakte als vereinigt, (1) deren einer die explizite Konstitution der synthetischen Einheit des Subjektsbegriffs S mit den Konstituentien (Q/R) des Prdikatsbegriffs durch das transzendentale Bewusstsein darstellt, u. zw. aufgrund eines noematischen Systems, das diese Begriffe, aber nicht P, enthlt, (2) deren anderer die implizite Konstitution eines Noema darstellt, welches aus den genannten Konstituentien (Q/R) den Prdikatsbegriff (P) und so ein umfassenderes noematisches System erzeugt: ein System, aufgrund dessen beide Noesen vereinigt gedacht werden kçnnen (wobei der implizite Konstitution noch keine Gegenstandsgeltung, sondern nur begriffliche Geltung beansprucht). Die methodologische Bedeutung eines solchen Lehrsatzes kçnnte darin liegen, die quivalenz etwa von Interview-ußerungen mit weiteren, explizierenden Antworten zu exponieren. II. Das zweite Hauptstck, nennen wir es „noetische Dynamik“, handelt von den Grundkrften der denkenden Natur. Kant spricht des fteren von „Grundkrften“ der Seele, ohne dass man allerdings den Eindruck gewinnt, dass er sich ber Art und Zahl dieser Grundkrfte eine abschließende Meinung gebildet htte. In den ,Metaphysischen Anfangsgrnden‘ fasst er einmal „das Bewußtsein, mithin die Klarheit der Vorstellungen meiner Seele“ als Grundkraft ins Auge.4 In den Metaphysik-Vorlesungen heißt es, unter Abweisung der Wolffschen These von der Seele als Grundkraft: „Demnach sind das Erkenntnißvermçgen, das Vermçgen der Lust und Unlust, und das Begehrungs-Vermçgen, Grundkrfte“ (V-Met-L1/Pçlitz, AA 28.1: 194). Diese Trias entspricht genau der Dreigliedrigkeit der „Seelenvermçgen oder Fhigkeiten“ in der Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft“ (vgl. KU, AA 05: 177), wo allerdings der Ausdruck „Grundkraft“ 3 4 Grnewald, Bernward: Geist – Kultur – Gesellschaft. Versuch einer Prinzipientheorie der Geisteswissenschaften auf transzendentalphilosophischer Grundlage. Berlin 2009, 288 f. Allerdings in einem Zusammenhang, in dem Kant nur die Frage diskutiert, ob eine nicht-materielle Substanz, deren Grçße nicht aus Teilen bestnde, entstehen oder vergehen kçnne (Vgl. MAN, AA 04: 542.18–543.14). 84 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald nicht benutzt wird. Schließlich heißt es in dem Aufsatz „ber den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie“: Verstand und Wille sind bei uns Grundkrfte, deren der letztere, so fern er durch den erstern bestimmt wird, ein Vermçgen ist, Etwas gemß einer Idee, die Zweck genannt wird, hervorzubringen (GTP, AA 08: 181). In der Fußnote zu demselben Absatz bezeichnet Kant allerdings auch die Einbildungskraft als eine Grundkraft des „Gemts“. Allen diesen Andeutungen ist gemeinsam, dass sie sozusagen pauschal von Vermçgen handeln, ohne zu erwgen, wie diese Vermçgen als Krfte von unterschiedlichem Gehalt oder Maß einen Menschen, sein Denken und Handeln bestimmen kçnnten. Dies wrde erst recht bei dem Vorschlag „Bewusstsein“ schwerlich mçglich sein, aber auch die Begriffe der Einbildungskraft und des Gefhls der Lust und Unlust scheinen wenig geeignet, den geistigen Krften ein angebbares Maß zuzudenken. Wenn wir uns Verstand und Wille als Grundkrfte denken, so ist die Situation nicht viel besser, solange wir unter ihnen dasjenige verstehen, was uns in Kants Kritiken als Vermçgen begegnet, berhaupt gewisse Prinzipien gltigen Denkens, Wollens und Handelns zu gebrauchen. Verstehen wir aber unter dem Verstand einer Person ein konkret bestimmtes kognitives Potential, das eine bestimmte Person hat, also die Menge der berzeugungen einer Person, und unter dem Willen einer Person ein konkretes Ensemble von Zwecken und Maximen, dann wird verstndlich, warum die „geistigen Krfte“ einer Person ganz bestimmte berlegungen, Entscheidungen und Handlungen ermçglichen, zu denen eine andere Person gnzlich unfhig wre. Die zitierte Formulierung, der Wille sei, „so fern er durch den erstern [den Verstand] bestimmt wird, ein Vermçgen […], Etwas gemß einer Idee, die Zweck genannt wird, hervorzubringen“, erhlt nun sozusagen einen neuen Sinn, insofern Verstand und Wille nun zu Grçßen-Variablen werden, in die wir berzeugungen, Maximen und Zwecksetzungen als Variablen-„Werte“ einsetzen mssen. Wir kçnnten noch einmal eine terminologische Anleihe bei der Phnomenologie machen und von „noetischen Habitualitten“ sprechen. Noetische Habitualitten entstammen noetischen Prozessen; und wir kçnnen sie ihrem noematischen Gehalt nach, wie die noetischen Prozesse, durch Stze darstellen, aber sie haben einen anderen Zeitindex: Einmal „gewonnen“, bleiben sie erhalten und bestimmen unser Denken und Handeln, bis sie gegebenenfalls revidiert werden. Ihre Funktion ist es, bestimmte noetische Prozesse zu ermçglichen oder gar zu motivieren, bestimmte andere jedoch zu verhindern. (Das besagen denn auch die betreffenden Definitionen und Lehrstze.) Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 85 III. Das dritte Hauptstck, sagen wir: die noetische Praktik, hat die Relationen noetischer Prozesse zu definieren und nach Mçglichkeit die Gesetze zu formulieren, die das geistige Geschehen bestimmen. Hier sind Begriffe wie die der Person und der Persçnlichkeit zu definieren, hier sind Aussagen ber den Grund der Identitt einer Person, die Form der Motivation von Entscheidungen und die Wechselwirkung mit der Umwelt im Handeln zu machen. – Ich kann hier wie bei den ersten beiden Hauptstcken nicht alle Definitionen, Lehrstze und Beweise entfalten, die in einem solchen Lehrstck notwendig sind, aber vielleicht kann ich dem Leser eine vage Vorstellung von dem ganzen Unternehmen geben, wenn ich einfach die vier Lehrstze dieses Hauptstcks vorstelle. Lehrsatz 1: Die Strke der Subjektivitt einer Person im Vergleich zu jeder anderen Person zu einem bestimmten Zeitpunkt (die Persçnlichkeit des Subjekts) kann nur durch die Strke der noetischen Prozesse, d. i. ihr noetisches Potential, aufgrund gegebener Entscheidungen zwischen noematischen Alternativen, geschtzt werden. Lehrsatz 2: Bei allen Vernderungen des Bewusstseins erweist sich ein noetisches Subjekt reflexiv als mit sich selbst identisch bleibende Person (personales Ich) nicht aufgrund der Erhaltung irgendeiner Substanz, sondern durch Selbstzuschreibung (transzendentales Bewusstsein) vergangener Erlebnisse und darin der frheren Meinungen, Entscheidungen und Handlungen […]; auch im Falle aktueller Kritik an diesen Meinungen [, Entscheidungen] und Handlungen aktualisiert eine Person durch diese Selbstzuschreibung einen reflexiven Kern eigener berzeugungen (jene Erlebnisse gehabt zu haben), zu denen auch die kausale Zurechnung der eigenen Handlungen gehçrt (die in moralischen Kontexten zur Imputation wird). Lehrsatz 3: Noetische Entscheidungen (innere Handlungen) einer Person haben eine innere Ursache (Motivation) in den, gewisse Kriterien fr die Zueignung von Noemata implizierenden, Maximen der Persçnlichkeit. Lehrsatz 4: ußeres Handeln einer Person, als unter dem Bewusstsein „ich tue h“ stattfindende Wechselwirkung des Verhaltens der Person mit ihrer Umwelt, impliziert eine innere Wechselwirkung zwischen dem Potential von praktischer und doxischer (kognitiver) Persçnlichkeitsfunktion.5 IV. Das vierte Hauptstck, es heißt bei Kant „Phnomenologie“, hier also „Noetische Phnomenologie“, soll die Gegenstnde noetischer Erfahrung modaltheoretisch differenzieren und dadurch die betreffenden Erscheinungen (,Phnomene‘) in (bestimmte) Erfahrung berfhren. Das Erfahrungssubjekt nmlich ist immer in die Erfahrung des Gegenstandes verwickelt. Daher ist dasjenige, was uns gegeben ist, eine auch im empirischen 5 Vgl. Grnewald, a.a.O., 300–305. 86 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald Sinne auf den Zustand des Subjekts bloß relative Erscheinung, die erst noch auf ihre objektive Gltigkeit zu befragen und zu beurteilen ist. Ich erlutere das zunchst an dem physikalischen Beispiel (wir sind in der Newtonschen Himmelsmechanik): Die geradlinige Bewegung, sagt Kant im Lehrsatz 1 der Phnomenologie, ist eine bloß mçgliche Bewegung, weil es fr den Beobachter dabei keinen Unterschied macht, ob der Gegenstand oder aber der Beobachter mitsamt dem umgebenden Raum bewegt ist. Der Beobachter kann also willkrlich entscheiden, ob er den Gegenstand oder sich selbst mitsamt dem Raum als bewegt bestimmt. Bei der Kreisbewegung ist das anders, denn sie beweist durch ihre Abweichung von der geradlinigen Bewegung eine bewegende Kraft. Sie ist daher eine wirkliche Bewegung. Notwendig schließlich sind, wie man aus dem dritten Newtonschen Gesetz entnehmen kann, die Bewegungen jedes bei einer Bewegungsmitteilung beteiligten Kçrpers. Getreu der Aufgabe der Modalkategorien, nicht die „Bestimmung des Objects“ zu vermehren, sondern „das Verhltniß zum Erkenntnißvermçgen aus[zu]drcken“(KrV, B 266), liegt die Relevanz der Kantischen „Phnomenologie“ in der Differenzierung und Verflechtung der empirischen Methoden (der Grçßenbestimmung durch die geradlinige Bewegung, der Diagnose von Krften durch die Beobachtung von Abweichungen von der Gradlinigkeit, der gesetzlichen Korrelierung von Bewegungssubstraten). Die modale Differenzierung noetischer Prozesse unterscheidet nun Verstehensprozesse, Entscheidungen (als innere Handlungen) und ußere Handlungen. Prozesse bloßen, rezeptiven Verstehens haben es einerseits auf der Gegenstandsseite mit bloß mçglichen noetischen Objekten zu tun, denn zu etwas Noetischem (,Geistigem‘) werden die Objekte (sprachliche Lautfolgen, Bcher usw.) nur durch die semiotische Aktivierung des noematische Systems des rezipierenden Subjekts; andererseits sind auch die Verstehensprozesse selbst, als Forschungs-Objekte, bloß mçgliche Vernderungen der verstehenden Subjekte (in ihrer Persçnlichkeit), da diese sich das Verstandene, um es zu verstehen, ja nicht zu eigen machen mssen (etwa als Meinung). Entscheidungen (kognitiver oder praktischer Art) dagegen sind Prozesse, die durch die Vernderung der betreffenden Persçnlichkeit das Engagement noetisch motivierender Krfte und nicht nur eine Aktivierung des noematischen Systems beweisen; sie sind daher wirkliche (innere) Handlungen einer Person. ußere Handlungen schließlich machen eine Wechselwirkung zwischen kognitiven und praktisch-noetischen Akten und daher die Wirklichkeit dieser inneren Handlungen notwendig. Auch die Funktion der noetischen ,Phnomenologie‘ ist eine methodologische: eben jene Verwandlung der Erscheinungen in Erfahrung. Die Kant und die Grundlegung der Geisteswissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 87 (im Kantischen Sinne) ,phnomenologischen‘ Lehrstze lassen uns einschtzen, bei welchen noetischen „Phnomenen“ wir mit welchen Mitteln nach welcher Art von Realgrnden, Ursachen, Motiven zu forschen haben. Erscheinungen bloß mçglicher noetischer Gegenstnde (etwa von Texten) bedrfen (einerseits) zunchst keiner anderen Erklrung als der durch das Rezeptionsvermçgen der verstehenden Subjekte. Wollen wir sie in „Erfahrungsgegenstnde“ verwandeln, mithin als etwas bestimmen, was eine von unserer Subjektivitt unabhngige Bestimmtheit besitzt, dann mssen wir den Texten einen Realgrund in einem erzeugenden Subjekt (evtl. auch in einer Subjektsgemeinschaft) zudenken. Im Falle eines Werkes insbesondere denken wir ihm ein Bestimmtsein durch einen bestimmten Produktentwurf, etwa eine Romankonzeption, fr die wir inner- und gegebenenfalls außerhalb des Textes nach Anhaltspunkten Ausschau zu halten haben – wenn wir wirklich den Text selbst und nicht etwa unsere Einflle beim Lesen des Textes erforschen wollen. Andererseits sind uns alle geistigen Sachverhalte als solche, alle persçnlichen berzeugungen und Ziele, alle Entscheidungen und alle Handlungen als sinnbestimmte Vorkommnisse nur ber Verstehensprozesse zugnglich, und das heißt: ber die Rezeption von Sinn, mithin ber die Erscheinung „bloß mçglicher“ noetischer Objekte. Diese wiederum kçnnen wir nur durch kategoriale Einbettung in das durch die Relationskategorien strukturierte (brige) Handlungsgeschehen in Erfahrungsobjekte verwandeln. Alle Phnomene der empirischen Geisteswissenschaften sind als noetische Phnomene bloße Gegenstnde des Verstehens. Aber nicht alle sind Texte oder aktuelle sprachliche ußerungen, die schon in sich selbst einen artikulierten Sinn zur Darstellung bringen. ußere Handlungen etwa sind erfahrbar als Verhalten von Personen, dem wir als Beobachter oder Kommunikationspartner einen (wie Max Weber formulierte) subjektiven Sinn zudenken, welchen wir unter gnstigen Bedingungen auch bestimmen kçnnen. Vielfach sind uns die Handlungen nur im Rckschluss von Handlungsresultaten zugnglich. Die Bestimmung von Handlungssinn kçnnen wir leisten, wenn wir die Handlungen (a) auf durch bestimmte berzeugungen und habituelle Zwecke motivierte Entscheidungen zurckfhren und (b) deren Ausfhrung als Steuerung durch die Wechselwirkung von kognitiven und praktischen Prozessen erklren kçnnen. Dazu brauchen wir ußerungshandlungen oder ußerungs-Dokumentationen, die den betreffenden Handlungssinn und die ihm zugrundeliegenden Habitualitten (mittelbar oder unmittelbar) erschließen lassen. Es bedarf eines ganzen Arsenals von Methoden, damit ein Historiker oder ein So- 88 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Bernward Grnewald zialwissenschaftler die ihm vorliegenden oder aktuell gegebenen Phnomene in Erfahrung berfhren kann. Aber es ist schon deutlich geworden, dass wir dazu ein kategoriales Gerst von geisteswissenschaftlichen Begriffen brauchen, um ber unsichere Vermutungen und allzu geniale Konstruktionen hinauszukommen. – Die modaltheoretischen Lehrstze (der noetischen Phnomenologie) sollen begreifen lassen, welche Verflechtungen von Methoden zwischen dem Verstehen (der bloß mçglichen noetischen Objekte) und der Verhaltensbeobachtung notwendig ist, um Erscheinungen in geisteswissenschaftliche Erfahrung zu verwandeln. Die Ausarbeitung von ,Metaphysischen Anfangsgrnden der Geisteswissenschaften‘ sollte zeigen, dass Geisteswissenschaften, als Objektivitt beanspruchende Wissenschaften, mçglich sind; und sie kçnnte zeigen, dass es die Bedingungen der Mçglichkeit der Erfahrung sind, die nicht nur den sog. Naturwissenschaften, sondern auch den Geisteswissenschaften – der Geschichtswissenschaft, der Literaturwissenschaft, den Sozialwissenschaften – erlauben, ber das, was wir subjektiv erleben, hinauszukommen zur Objektivitt der Gegenstandsbestimmung.