1
Paulus von Tarsus und das Judentum seiner Zeit
Betrachtungen zur Wende vom Alten zum Neuen Testament nach Phil 3,2-11
1. Wer war Paulus?
Gemessen an den historischen Berichten seiner Begleiter über ihn und von ihm selbst, lernen wir Paulus als eine
außergewöhnliche Persönlichkeit kennen. Er vereinigte gleichsam drei Kulturkreise in einer Person:
(1) Einem frommen jüdischen Elternhaus entstammend, (2) zugleich aber von Geburt römischer Bürger der namhaften kilikischen Stadt Tarsus im Südosten Kleinasiens, (3) wuchs Paulus – so sein römischer Vorname – in der
weltoffenen, hellenistisch-globalisierten Umwelt von damals auf. Als Angehöriger der gesetzestreuen pharisäischen
Schriftgelehrsamkeit wurde er zu einem strebsamen Schüler des hoch angesehenen Gamaliel I. in Jerusalem, eines
der berühmtesten Rabbinen seiner Zeit, und lebte ganz „nach der Strenge des väterlichen Gesetzes“ (Apg 22,33).
Paulus konnte sich rühmen, „Hebräer von Hebräern“ zu sein, was bedeutete, dass er nicht etwa Nachkomme von
Proselyten war, die im Laufe der Jahrhunderte aus nichtjüdischen Völkern zum Judentum übergetreten oder in der
„zwischentestamentlichen“ Zeit unter der Herrschaft der jüdischen Hasmonäerdynastie zwangsjudaisiert worden
waren wie die Idumäer (Edomiter) und die Ituräer (ein arabisches Nomadenvolk im Norden Galiläas). Demgegenüber konnte Paulus sogar seine Herkunft aus dem israelitischen Stamm Benjamin angeben. In jeder Hinsicht war
er von Kindheit an dem Gesetz Moses treu ergeben, ganz nach der Weise, wie es dem Judentum seiner Zeit, dem
Zeitalter der levitischen Priesterschaft und des Opferdienstes im Jerusalemer Tempel, entsprochen hat.
1. Exkurs: Die Pharisäer
Das pharisäische Rabbinertum verstand sich als die wahre geistliche Führerschaft des jüdischen Volkes, als die
eigentlich Frommen und Rechtgläubigen. Im Gegensatz zur Partei der Sadduzäer, welche die politische Führung des
Volkes in Händen hielt, hatten sich die pharisäischen Schriftgelehrten von fremden hellenistischen und rationalistischen Einflüssen weitgehend frei gehalten, worauf ihre Namensbezeichnung hindeuten sollte: die „Abgesonderten“. Indem sie auf peinlichst genaue Erfüllung mosaischer Bestimmungen achteten (allerdings nach dem Buchstaben
und nicht dem Geist nach) und darüber hinaus auch noch eine Unzahl eigener Vorschriften entwickelten, bürdeten
sie dem Volk eine schwere Last in der Bewältigung des Alltags auf. Zudem begünstigte dies ihre Neigung zur religiösen Heuchelei, Überheblichkeit und Herrschsucht, für die sie schließlich sprichwörtlich wurden. – [Exkurs Ende]
2. Paulus als bevollmächtigter Repräsentant des Judentums
Mit den hervorragenden Voraussetzungen aufgrund seiner Herkunft, Erziehung und Ausbildung bot sich Paulus
eine verheißungsvolle Zukunft im Rahmen der herrschenden jüdischen Elite Jerusalems. So war er wohl als Schriftgelehrter bereits amtlich anerkannt, als er Stephanus’ standrechtliche Hinrichtung durch Steinigung zu beaufsichtigen hatte. Dieser hatte sich in aller Öffentlichkeit Jerusalems zu dem auferstandenen Messias Jeschua (lat.: Christus
Jesus) bekannt und sich damit aus jüdischer Sicht der Gotteslästerung schuldig gemacht. Mit diesem Justizakt und
der daraufhin einsetzenden tödlichen Verfolgung und Zerstreuung aller Jünger Jesu (vgl. Apg 9,13; 26,9-12) war
Paulus überzeugt gewesen, dem Gott Israels treu ergeben zu dienen und für seine Ehre zu eifern, um für sich
selbst – wie er meinte – Gottes Gerechtigkeitsforderungen nach Moses Gesetz in allem zu erfüllen (Apg 22,3-5).
So zog er im Auftrag des Sanhedrins (griech. Synhedrion), des Hohen Rats in Jerusalem, nach Damaskus, um
gewaltsam gegen seine vermeintlich abtrünnigen Volksgenossen vorzugehen, die auch dort in großer Zahl an Jesus
gläubig geworden waren und ihn öffentlich als Israels Messias bezeugten. Also war er es, der in seiner Person
unwissentlich als Erster die Warnungen Jesu an dessen Jünger erfüllte: „Man wird euch in den Bann tun (= aus den
Synagogen ausschließen, vgl. Joh 9,22); ja, es kommt die Stunde, wo jeder, der euch tötet, Gott eine Opfergabe
darzubringen (= einen heiligen Dienst zu erweisen) meint.“ (Joh 16,2).
3. Erkenntnis des Messias Gottes versus buchstabenfixiertes Judentum
Was dann mit und an Paulus zur Mittagszeit vor den Toren von Damaskus und darauffolgend geschah, kann im
Detail in der Apostelgeschichte, Kapitel 9 und 26, nachgelesen werden. „Plötzlich umstrahlte ihn ein Licht aus dem
Himmel, heller als der Glanz der Sonne“, sodass er die Augen schließen musste und zu Boden stürzte. Es war die
JHWH-Gott-gleiche Herrlichkeits-Erscheinung des vermeintlich tot geglaubten Auferstandenen. Und eine Stimme
rief ihn bei seinem jüdischen Namen Scha’ul (Saul) und antwortete auf seine Frage („Wer bist du, Herr?“) mit der
erschütternden Offenbarung: „ICH BIN Jesus, den du verfolgst!“ Im Grundtext des Neuen Testaments heißt es auf
Griechisch: „EGO EIMI Iesous“, aber die Worte der himmlischen Erscheinung des Auferstandenen geschahen in
hebräischer Mundart. Das musste ihn als Schriftgelehrten schlagartig an das berühmte JHWH-Selbstoffenbarungswort aus der Geschichte Israels erinnern, das hebräische „ANI-HU“: „ICH BIN ER“ („derjenige“).1 Als er sich von
der Erde erhob und seine Augen öffnete, konnte er nichts sehen: an der Hand musste man ihn nach Damaskus
hineinführen. Tief gedemütigt erfuhr er seine drei Tage lange Blindheit als ein Gleichnis für seine Verblendung, und
sein Fall zu Boden bedeutete ihm, dass er vor der Heiligkeit Gottes aus eigener Kraft nicht bestehen konnte.
Diese Offenbarung Jesu als verheißener Messias, der tot war und nun lebendig ist in alle Ewigkeit, führte Paulus in
der Folge zu einem t o t a l e n B r u c h m i t a l l e m , worauf er sich bis dahin gestützt und sein Vertrauen gesetzt
hatte. Die göttlich-autoritative Anrede „Saul, Saul, was verfolgst du M I C H ? “ (mit Betonung auf „MICH“) wurde für
ihn zur Erschütterung seines gesamten religiösen Weltbildes, zu einer Umkehrung aller Werte, die bis dahin sein
Judentum ausgemacht hatten. Sie wurde zum Anlass für ihn, sich der wahren – nämlich messianischen – Sichtweise
auf Mose und die Propheten zu öffnen (Apg 26,22-23).
1
So hat sich der Gott seiner Väter erstmals Mose geoffenbart (Exodus 3,14ff). Auf dem Deckenbalken über der Mitte
der Halle des Sanhedrins stand in goldenen Buchstaben der Text des ersten Gebots: Schamah Jisroel, ani hu elohim.
2
Nachdem er durch den Dienst eines Jesus-Jüngers namens Ananias in Damaskus mit dem Heiligen Geist erfüllt
und sehend wurde, fiel es ihm wie Schuppen vor den Augen. Er begann, die hebräische Bibel, den Tanach (TNK,
Tenach), das Alte Testament, nicht mehr – wie im Judentum – nach dem Buchstaben des Gesetzes und mental
gefesselt durch die außerbiblischen „Überlieferungen“ der Schriftgelehrten2 zu studieren und auswendig zu lernen,
sondern im Geist des Messias, im Lichte Jesu zu verstehen. So wurde gleichsam der Schleier weggezogen, der
beim Lesen des alten Bundes ohne den Geist des Messias auf dem Herzen des Judentums liegt (2Kor 3,14; vgl.
Joh 5,45-47). Jesus, der verheißene Nachkomme Davids (Apg 13,23), ist der Schlüssel zum wahren Verständnis
der Torah; n u r i n i h m wurden die Verheißungen der Propheten wahr, und e r h a t d i e S c h l ü s s e l des Todes
und des Totenreiches (Jes 22,22; Off 1,18; 3,7).
„Denn Gott, der da geboten hat (Gen 1,3): »Aus der Finsternis strahle das Licht hervor!«, der ist es auch, der das Licht in
unsern Herzen hat aufstrahlen (oder: in unsere Herzen hat hineinstrahlen) lassen, um (uns) die Erkenntnis der Herrlichkeit
Gottes im Angesicht Christi erglänzen zu lassen.“ (2Kor 4,6). „Ich achte sogar unbedingt alles für Schaden gegenüber der
unendlich wertvolleren Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ (Phil 3,8)
4. Für oder gegen den Messias und sein Volk
So erkannte Paulus, dass er auf der falschen Seite des Volkes und gegen Gott gekämpft hatte. Die Worte des Auferstandenen, „Was verfolgst du M I C H ? “, und: „ I C H BIN Jesus, der Nazarener, den du verfolgst“ (Apg 9,5; 22,8),
bedeutete ihm, dass sich der göttliche Messias zu denen bekennt, ja sich sogar mit ihnen vollkommen identifiziert
und sie gleichsam als „seinen Leib“ betrachtet, die sich vor den Menschen zu ihm bekennen. Wer diese treuen
Zeugen und Bekennenden entsprechend der Sacharja-Weissagung (2,12) antastet, der tastet den Messias, Gottes
Augapfel, an. Nunmehr waren die von Scha’ul wütend verfolgten Jünger des Auferstandenen das wahre Israel
Gottes des neuen Bundes, das „mit dem kostbaren Blute des Messias als eines fehllosen und unbefleckten Lammes“
erkauft war (Apg 20,28; Röm 5,9; Gal 6,15f; vgl. 1Pet 1,18-19; 2,4-9; Joh 1,47). Wer s i e aufnahm, nahm J e s u s auf,
den Messias (Mat 10,40); wer auf ihr Wort hörte , der hörte ihn. Wer s ie aber v erw ar f, v er w arf ihn,
w er aber ihn v erw arf, der v erw arf den, der ihn ges andt hatte (Luk 10,16). Diese vollständige
Identifikation des messianischen Hirten mit seinen Schafen entspricht auch dem bekannten Wort des Richterkönigs: „Was ihr einem dieser Geringsten getan / nicht getan / habt, habt ihr mir / auch mir nicht / getan“ (Mat 26,40.45).
Und indem „die Obersten und Ältesten [Jerusalems], die Schriftgelehrten und Hohenpriester“, den Messais-Gläubigen
um Petrus und Johannes ernstlich drohten und verboten, hinfort zu keinem Menschen unter Berufung auf diesen Namen
[Jesus] zu reden (Apg 4), erfüllten sie an sich selbst die Weissagung aus dem berühmten messianischen Psalm 2,
dass sich „die Völker, Könige der Erde (des Landes) und Oberste“ in Empörung „gegen JHWH und seinen Messias
zusammentaten“. In seinem Brief an die Philipper wies Paulus in dreifacher Weise auf Messias-feindliche Menschen
hin, von denen er anfangs selbst einer war: „Hunde“, „böse Arbeiter“ und die „Zerschneidung“ (Phil 3,2).
• Wenn auch „unwissentlich“ (1Tim 1,13), so hatte Scha’ul in Wirklichkeit den Messias Jesus getroffen, indem er
auf seine Botschafter zielte und als „böser Arbeiter“ die treuen Knechte und Erntearbeiter des göttlichen
Weinbergbesitzers zu vernichten trachtete. Im Rückblick erkannte er sich selbst als ein „Lästerer und Verfolger
und Gewalttätiger“ (1Tim 1,13; vgl. Mat 21,34ff).
• Ein beliebtes Schimpfwort der Juden war „Hund“ für Menschen, die außer halb des Bundes Go t tes
mit Israel standen. Hunde waren für sie ein Bild der Unreinheit, des Verächtlichen. Auch für Unzüchtige,
fleischlich gesinnte Menschen und Irrlehrer gibt der Hund in der Bibel ein Gleichnis ab (Deut 23,19; Phil 3,2;
2Pet 2,22; Off 22,15).
David, als er bereits für das Königtum Israels gesalbt war, ihm aber von den Häschern des noch regierenden
Königs Saul vor seinem Haus aufgelauert wurde, um ihn aus dem Weg zu räumen, verglich diese mit Hunden,
die auf Beutesuche waren (Ps 59). Mithin entsprachen jene, die den Vernichtungsfeldzug gegen den Messias und
sein Volk führten, eben diesem Bild.
• Statt mit dem Messias die durch seinen Geist „am Herzen Beschnittenen“ für sein Reich zu sammeln, hatte
Scha’ul deren Zerstreuung betrieben (vgl. Mat 12,30). Als ein führender Repräsentant des herrschenden
Judentums hatte er für die Aufrechterhaltung der mosaischen Ordnung des Tempeldienstes, der Sabbatfeiern
und der rituellen Beschneidung gekämpft.
Doch über diese Kultus-Ordnung hatte der Gott Abrahams, Isaaks und Jakob/Israels gleichsam das Todesurteil
gesprochen; so näherte sich der Zeitpunkt, an dem diese überkommene Ordnung ein für allemal verschwinden
sollte, weil ihre Verderbtheit unheilbar geworden und an ihre Stelle bereits etwas „Besseres“ getreten war, so
heißt es im Hebräerbrief des Neuen Testaments (vgl. auch Mat 9,16).
5. Auferstehungsleben des Messias versus gesetzlicher Kultus
Aber nicht nur hinsichtlich der Ekklesiologie, also der Frage, wer seit der Ankunft des Messias in Wahrheit zu
seinem Volk, wer aber dagegen zu seinen Feinden gehörte, war Paulus mit der Blindheit des anti-messianischen,
häretischen Judentums geschlagen (vgl. 2Kor 4,3-6; Joh 9,39-41; Luk 19,27), sondern auch hinsichtlich der
biblischen Heilslehre, der Soteriologie:
• Er hatte – wie alle Pharisäer – gemeint, „in den Schriften Moses ewiges Leben zu finden“ (vgl. Joh 5,39f), statt
darin nach dem von Mose angekündigten Messias zu suchen, um von ihm Vergebung der Sünden und das ewige
Leben zu erhalten (Deut 18,15; vgl. Joh 5,24.40; Apg 3,17-26; 13,38-39).
2
Vgl. 1. Exkurs: „Die tragischen Folgen der pharisäischen Gesetzlichkeit für das jüdische Volk“, in:
„Der Anspruch des Neozionismus auf Alleinbesitz Palästinas und seine Rechtfertigung auf dem Prüfstand. Eine
bibelexegetische Studie mit geopolitischer Tragweite“, Seite 5.
3
• Indem er versucht hatte, Gott nach dem Buchstaben des mosaischen Gesetzes zu dienen, war in ihm die
Begierde wach geworden. Und weil „das Gesetz die Kraft der Sünde ist“ (1Kor 15,56), war er in Sünde gefallen
und „Sklave der Sünde“ geworden. Pointiert-metaphorisch erklärte er dies später im Rückblick so:
„Ich lebte einst ohne das Gesetz. Aber als das Gebot gekommen war, lebte die Sünde auf; ich aber starb. Und das Gebot
zum Leben, gerade das erwies sich mir zum Tod.“ (Röm 7,9). Denn das Gesetz besitzt nicht „die Kraft, Leben zu
verleihen“ (Gal 3,21).
Der biblische Heilsweg durch den stellvertretenden Tod des Messias [Christus] und seine Auferstehung ist
aber dem völlig entgegengesetzt. Nachdem er diese lebensverändernde Wende selbst erfahren hatte, konnte
Paulus an seine Glaubensbrüder schreiben (Röm 7,4-6):
„So ist es auch bei euch: Ihr wurdet tot [gegenüber] dem Gesetz durch den Leib des Christus, um eines Anderen zu werden: dessen, der von den Toten erweckt wurde, damit wir Gott Frucht brächten: Denn als wir im Fleisch waren, wirkten
die Begierden der Sünden, die durch das Gesetz [aufkamen], in unseren Gliedern, um dem Tode Frucht zu bringen. Aber
nun wurden wir dem Gesetz enthoben, da wir [in dem] starben, in dem wir festgehalten wurden; un d
so sollten wir im Neuen, im Geist, dienen, und nicht im Ält eren, im geschriebenen [Gesetz]. “
Festzuhalten ist also, dass Paulus gemäß seinem Bekenntnis nach seiner Errettung nicht mehr im mosaischen Gesetz
diente, sondern dass sein Dienst stattdessen im neuen Bund des Geistes des Messias erfolgte (vgl. Jer 31,31-34;
Heb 10,11-18).
6. Der Messias: „das Ende des (mosaischen) Gesetzes“
Die wichtigste Erkenntnis aus dem Geschehnis vor Damaskus für Paulus war, dass „Jesus, der Nazarener“, ihn bei
seinem Namen gerufen und ihn begnadigt und ausgesondert hatte, um ihm in einem neuen Geist zu dienen. Mit
einem Mal waren seine sämtlichen religiösen Bemühungen, Gottes Gerechtigkeit durch Gesetzeswerke zu
erlangen, hinfällig! Das zeitigte kolossale praktische Auswirkungen:
• Weil er den Messias als seinen persönlichen Erretter kennen gelernt hatte, durch dessen stellvertretenden
Tod er vom Fluch des Gesetzes freigekauft (vgl. Gal 3,13) und durch seine Auferstehung zu einem neuen Leben
erweckt war – brauchte er noch Moses geschriebenes Gesetz („du sollst…, du sollst nicht…“)? Nein, denn er
war „durch das Gesetz für das Gesetz gestorben, um (fortan) für Gott zu leben“ (Gal 2,19). Dieses (das Gesetz) war
gleichsam nur der im Voraus geworfene „Schatten“ des Kommenden und das Ebenbild der „zukünftigen guten
Dinge“ des Messias, nicht aber die nunmehr offenbar gewordenen Dinge selbst (Heb 10,1; 8,5; 9,8).
• Was sollten da noch all die jüdischen Feste und Bräuche, die doch nur als vorläufige Ordnung gedient hatten,
bis der Messias gekommen war, um all ihre Bestimmungen zu erfüllen und diese sodann durch eine neue, ewige
Ordnung zu ersetzen? Sie waren abgetan. (Kol 2,16; Gal 4,10f).
• Weil der auferstandene Messias zum wahren und ewigen Hohenpriester in der himmlischen Herrlichkeit
geworden war, nicht aus dem bisherigen Prie s t erst amm Levi , sondern aus Juda, so war damit das
levit i s che Priestertum de jure obsolet geworden (70 CE ist es denn auch d e f a c t o untergegangen). So
beruht das messianis che Priestertum auf einer völlig neuen, andersgearteten Priesterordnung, und das
entspricht genau der Weissagung Davids in Psalm 110. Sie hat mit dem Priestertum des Sinai-Zeitalters nicht s
mehr zu t un , außer dass dieses als bildhafte Vorausschau auf das „Bessere“ und „Ewige“ gedient hat (Heb
9,10). Daraus aber folgt gleichzeitig: Indem das Priest ert um geändert worden ist [von Aarons zu
„Melchisedeks“ Ordnung], „s o findet notw end ig a uch ein e Änderung d es G es etzes s tatt“ (Heb 7,1117). Wenn sich aber das Geset z geände r t hat , dann hat das neue Geset z das alt e er set z t .
• Da der Messias Jesus selbst „für uns zur Sühne“ (1Joh 2,1-2) und zu unserer Versöhnung mit Gott „zur Sünde“
(2Kor 5,14-21) gemacht worden ist und nach seiner Auferstehung als himmlischer Hoherpriester die Seinen
vor Gott vertritt (Röm 8,34; Heb 7,25), wozu dann hatte danach noch ein irdischer, sterblicher Hoherpriester
immer wieder Jahr für Jahr Tierblut auf den Sühnedeckel im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels gesprengt
(Lev 16,15; Heb 9,5)? Es war vergeblich!
• Wenn aber der Messias die Bedeutung des Sühnedeckels (Exo 25,10-22) erfüllt und ersetzt hat (vgl. Röm 3,25),
ist dieser bedeutungslos geworden, mehr noch: Einen irdischen Opfergottesdienst zu betreiben, bedeutet, das
Opfer Jesu zu verachten oder für nicht ausreichend zu erklären und damit „den Geist seiner Gnade zu schmähen“
(Heb 10,29). Die „Festfeier“ derer, die sich an den Messias Jesus halten, welcher als „unser Passah geschlachtet“
worden ist, besteht vielmehr darin, den „alten Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit“ aus ihrem Leben
auszufegen zugunsten von „Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit“ (1Kor 5,7-8).
• Welche Bedeutung sollten noch die alten Speisegebote und –verbote haben, die ursprünglich in der rituellen
Reinhaltung und Absonderung gegenüber den Heiden und ihren Mahlzeiten zu Ehren ihrer Fruchtbarkeitsgottheiten lag? Sie sind abgetan seit Beginn der Zeit der neuen, „richtigen“ Ordnung (Heb 9,10), in der es keine
Unterscheidung mehr zwischen Juden und Nichtjuden gibt (Apg 11,1-18). Denn die Jünger des Messias sind zu allen
Völkern gesandt, um ihnen die neue Heilsordnung Gottes zu verkünden, und da trennen sie keine Verbote
mehr „von Speisen, die doch Gott dazu geschaffen hat, dass die Gläubigen und alle, welche die Wahrheit erkannt
haben, sie mit Danksagung genießen sollen“ (1Tim 4,3f; vgl. Kol 2,16.20-23).
• Sollte Paulus als „Bundesbürger der neuen Heilsordnung“ noch bestimmte Tage „heilig halten“ müssen? Wenn
das ganze Sinai-Gesetz ersetzt ist, dann ist es auch das Sabbat-Gesetz, das Gebot der Ruhe am siebten Tag.
Auch dieses war nur ein „Schatten der zukünftigen Güter“ (Kol 2,17; Heb 8,4ff; 10,1): Das neue Bundesvolk
des „wahren Josua“ (Jesus) ist von ihm – bildlich illustriert – in die Ruhe des gelobten Landes des neuen Bundes
eingeführt worden und ruht von seinen (Gesetzes-) Eigenwerken aus (vgl. Jos 21,44 und 22,4 mit Heb 4,1-11). So
sind für Jünger des Messias, die aus der „ägyptischen“ Knechtschaft der Sünde und des Gesetzes erlöst
4
(Gal 4,24-26) und „zur Ruhe gebracht“ sind, alle Tage „Sabbat-Feier“ (vgl. Röm 14,5), denn der Messias, der
Menschensohn, ist auch Herr über den Sabbat (Markus 2,28). Und er hat das Sabbatgebot als „Vorschatten“
darin erfüllt, dass er ein messianisches „Sabbat-Zeitalter“ begründet hat, das Reich Gottes und seines Sohnes,
des Messias (Kol 1,13; Apg 8,12).3
• Da ist auch keine gesetzliche „Übertragung“ der alten Sabbat-Vorschrift vom siebten auf den ersten Tag der
Woche (den „Sonntag“) möglich. Die gottesdienstlichen Zusammenkünfte jeweils am ersten Tag der Woche
abzuhalten, ist daher kein Muss. Aber die Apostel haben dies so gehalten, als Zeichen, dass die alte Weltzeit,
der Sinai-Bund, vergangen und der Messias als „Erstling“ der neuen Schöpfung am ersten Tag der Woche
auferstanden ist (Mat 28,1ff; Joh 20,19; Apg 26,23; 28,17; Kol 1,18) und damit eine neue, ewige Heilsordnung
begründet hat, gleichsam „einen neuen Himmel und eine neue Erde“.
• Das Ziel des Gesetzes Moses war der Messias, und so ist er selbst auch das „Ende des Gesetzes“ (Röm 10,4; vgl.
1Tim 1,5). Die vollkommene Gerechtigkeit, die der Messias in seiner Person erfüllt hat, wird jedem angerechnet, der ihn anruft und im Glauben annimmt. Aber wozu dient dann das Gesetz heute noch? Nur dazu, um zu
erkennen, was gut und böse ist, zur Verurteilung von Gesetzesbrechern (1Tim 1,8ff) und als „Zuchtmeister“,
aber es ist nicht mehr für diejenigen da, die in dem Messias gerechtfertigt sind und aus seiner Kraft leben, „in
der Erkenntnis, dass für einen Gerechten das Gesetz überhaupt nicht da ist“ (V. 9). Denn „seitdem nun der Glaube
gekommen ist, stehen w ir nicht mehr un ter e inem Z uchtmeis ter “ (Gal 3,25; vgl. Röm 6,14).
• Wenn aber der Messias „das Ende des Gesetzes ist“, dann gilt dies für das gesamt e Gesetzeswerk, das der
„Große König“ auf dem Berg Sinai als Erwählungsverpflichtung seinem priesterlichen Zwölf-Stämme-Volk
auferlegt hatte (Exo 19-24). Es gilt daher auch und vor allem für die „Zehn Gebote“, die Verfassung des [alten]
Bundes. Nachdem dieser Bund in der Geschichte des Zwölf-Stämme-Volkes immer wieder und in den letzten
Jahrhunderten vor der Ankunft des Messias endgültig und nicht mehr erneuerbar gebrochen und verworfen
worden ist (vgl. Maleachi und die Predigt des Johannes des Täufers), galt auch dessen Bundesverfassung nicht
mehr. Sie wurde durch eine neue Verfassung, ein „neues, königliches Gebot“ für das „Zwölf-Stämme-Volk“ des
neuen Bundes ersetzt (Jak 1,1).
7. Moses Gesetzeswerk ist ersetzt durch das „neue“, „heilige“ und
„königliche Gesetz des Messias“
Wozu also sollte Paulus noch länger einen alten, obsolet gewordenen Gesetzeskodex vor Augen haben, wenn er
ein völlig neues, befreites Leben empfangen hatte, in dem er nun den Messias vor Augen hatte, dem er vertraute,
dem er mit jeder Phase seines Lebens diente und der ihm den Dienst der Versöhnung für alle Menschen aufgetragen hatte? Warum dem toten Buchstaben eines alten Gesetzes dienen, wenn die Liebe, die im Herzen eines
Jeschua-Nachfolgers durch den Geist Gottes ausgegossen ist (Röm 5,5), ihn dazu trieb, dem Nächsten ohnedies
nichts Böses, sondern Gutes zu tun? Denn „wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt“, er bestiehlt seinen
Nächsten nicht, er bricht nicht die Ehe und gibt kein falsches Zeugnis (Röm 13,8.10; Gal 5,14).
Das Evangelium von Jesus, dem Messias, ist das „neue Gebot“, welches das mosaische Gesetz nicht einfach nur
zusammenfasst (Mat 22,36-40), sondern sogar zur Gänze erset zt : „Di es aber is t s ein G ebot, dass wir an
den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben dem Gebot entsprechend, das er uns gegeben hat.“
(1Joh 3,23; vgl. Joh 13,34; 15,12; 2Joh 5.6; 1Thes 4,9-10).
Dieses „Gesetz“ kennt sonst keine gesetzlichen Anforderungen mehr im alten Sinn wie: „du sollst“ oder „du sollst
nicht“.
„Wenn ihr mit Christus gestorben seid, los (oder: frei geworden) von den Elementen der Welt, was lasst ihr euch da
Satzungen aufbürden, als ob ihr noch in der Welt lebtet, z.B.: »Das darfst du nicht anfassen und das nicht essen und das
nicht anrühren«?“ (Kol 2,20f)
Vielmehr hängt alles an der entscheidenden Frage, ob bei einer bestimmten Handlung die Messias- und Nächstenliebe erfüllt wird oder aber ob sie – im negativen Fall, vgl. Jak 4,17 – bei deren Unterlassung unerfüllt bleibt. Dies
gilt freilich nach biblischen Kriterien, nach neutestamentlicher Ethik etwa der Bergpredigt. Unübertroffen sind der
als „Hohes Lied der Liebe“ gerühmte Paulus-Text in 1Kor 13 (nachzulesen!) und das zur Nachahmung gebotene
Vorbild des Messias in Phil 2,1-11. In diesem Sinne sind auch die Handlungsanweisungen im neuen Bund zu
werten, etwa das Gebot aufgrund des Vorbildes des Messias: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die
Gemeinde geliebt und sich für sie dahingegeben hat“ (Eph 5,25).
Damit ist aber noch nicht alles gesagt, denn es kann unter Umständen eine Selbsteinschränkung der Freiheit
geben. Denn als allgemeines Prinzip des Liebesgebots gilt, auf andere Rücksicht zu nehmen und sie höher zu
achten als sich selbst (vgl. Phil 2,1-4).
Dazu drei Fallbeispiele:
• Wenn das ganze Gesetz Moses kein „Gesetz“ mehr ist, sind auch mosaische Speisegebote keine kultische
Verpflichtung für den Einzelnen mehr, und es gibt im neuen Bund kein kultisches „Rein“ und „Unrein“. Aber:
Wenn der Genuss einer bestimmten Speise für jemand „Schwachen“, dem die Erkenntnis dazu noch fehlt, ein
vermeidbarer Anstoß und eine Glaubensanfechtung sein könnte, dann entspricht es dem Gebot der
Nächstenliebe, sich im Beisein desjenigen der Speise zu enthalten (1Kor 8,1.7-10). „Denn das Reich Gottes ist
nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17).
• Das neue Bundesvolk ist frei, Tage zu halten oder nicht zu halten, solange es anderen nicht zum vermeidbaren
Anstoß wird (Röm 14,5-6).
3
In den „Aussprüchen des Rabbi Eliezer“ heißt es: „Sieben Äonen hat Gott geschaffen […]. Einer (der siebente) ist ganz
Sabbat und Ruhe im ewigen Leben.“ (PirqeREl 18)
5
• Paulus hat in Konsequenz der epochalen heilsgeschichtlichen Wende durch die Ankunft des Messias und
seines Reiches der jüdischen Beschneidung (Brit Mila) die Legitimität abgesprochen. Denn es war bedeutungslos
geworden, wer äußerlich am Fleisch beschnitten war und wer nicht, ob am achten oder an einem anderen Tag,
zumal einem äußerlich Beschnittenen, der gesündigt und dem Messias widerstanden hatte, sein Beschnittensein
als Unbeschnittenheit gegolten hat (Röm 2,25).
Aber als er seinen Schüler Timotheus, Sohn einer jüdischen Mutter, zum Dienst am Evangelium berufen hat,
der aufgrund seines nichtjüdischen Vaters unbeschnitten war, riet er ihm zur nachträglichen Beschneidung
allein zu dem Zweck, um zu seinen jüdischen Genossen Zugang mit dem Evangelium zu haben und keinen
Anstoß zu erregen. Dieses selbstbeschränkende Zugeständnis um des Evangeliums willen in der damaligen
Situation entspricht dem „neuen Gebot“ und dem „Gesetz der Freiheit“ des Messias.
Zusammenfassung:
Es ist nicht mehr der Druck einer Gesetzesverpflichtung, sondern die Liebe, die dazu „drängt“ (2Kor 5,14), dass
„einer des anderen Last trägt und s o das G es etz des Mes s ias erfüllt “ (Gal 6,2).
„Wenn ihr das köni g l i c he G e se t z nach dem Schriftwort erfüllt (Lev 9,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst«, so tut ihr recht daran“ (Jak 2,8).
Das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus, dem Messiaskönig, und seiner Erlösungstat, ist ein „heiliges Gebot“
(2Pet 2,21) und zugleich das „das vollkommene Gesetz der Freiheit“ (Jak 1,25; 2,12).
8. Wer gehört zu Gottes erwähltem Volk?
a) Gelten Stammbaum-Nachweise?
Warum sollte Paulus noch stolz darauf sein, dass er als „Hebräer von Hebräern“ stammte (und nicht etwa aus
heidenstämmigen Proselyten) und sogar seinen Stammbaumregister nachweisen konnte, wenn es doch vor Gott
keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Nichtjuden gab? Paulus hatte aus eigener Erfahrung (Eph 2,3) erkannt:
„Denn hier gibt es ke i ne n Unt e r sc hie d ; alle haben ja gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den Gott verleiht; so werden
sie umsonst (oder: geschenkweise = ohne eigenes Verdienst) durch seine Gnade gerechtfertigt vermöge (oder: aufgrund) der
Erlösung, die in Christus Jesus (erfolgt) ist.“ (Röm 3,22f)
„Denn hier gibt es ke i ne n Unt e r sc hie d zwischen dem Juden und dem Griechen: sie alle haben ja einen und denselben
Herrn, ihn, der sich reich erweist an allen, die ihn anrufen; denn (Joel 3,5): »jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird
gerettet werden«“ (Röm 10,12-13).
Mit dem Kommen des Messias und seinem Erlösungswerk für alle Menschen gibt es keinen Vorrang mehr
eines Volkes gegenüber einem anderen, Gott sieht Juden und Nichtjuden völlig gleich an („kein Ansehen der
Person“, Altes Testament (AT): Deut 10,17; 2Chr 19,7; Neues Testament (NT): Apg 10,34-35; Röm 2,11; Gal 2,6;
Eph 6,9; Kol 3,25; Jak 2,1; 1Pet 1,17; vgl. Mat 22,16b; 1Kor 4,6-7).
Der einzige Vorrang war ein zeitlicher: „dem Juden zuerst, dann aber auch dem Heiden“ (Röm 1,16; 3,1-2; vgl.
Mat 10,5-6 mit Apg 1,8), aber dieser zeitliche Vorrang ist mit der Bekanntmachung des Königreiches Gottes an
Samaritanern (Apg 8) und Heiden (Apg 10) längst erfüllt.
Nachdem der Messias aufgrund seiner Stammbaumlinien von Abraham und David her beglaubigt war (vgl. Mat 1;
Luk 3,23-38; Heb 7,14), sind seither alle Ahnenregister hinfällig und irrelevant. Denn in das Königreich Gottes
wird niemand aufgrund einer bestimmten Abstammung, ethnischen Zugehörigkeit oder Blutsverwandtschaft
hineingeboren, sondern durch den Geist Gottes „von oben“ (Joh 1,12-13; 3,8). Niemand kann auf Grundlage eines
fleischlichen Stammbaumes ein Auserwähltsein reklamieren. Deshalb fordert Paulus, „gewissen Leuten“ Einhalt zu
gebieten, die abweichende Lehren vortragen und sich mit Mythen und endlosen Geschlechtsverzeichnissen befassen
(1Tim 1,3-5; Tit 3,9). „Denn es sind viele […], vor allem die aus der Beschneidung, denen man den Mund schließen
muss, die ganze Häuser zu Fall bringen.“ (Tit 1,10-11)
b) Gilt die Abstammung von Abraham?
Oder umgekehrt gefragt: Ist die Abstammung von Abraham etwa hinfällig, um zu Gottes Volk zu gehören? Die
Antwort von Paulus lautet zwar: Nein! Denn nur Nachkommen Abraham s können T räger von G o t t es V erheißungen sein . Aber: Wie kann jemand dessen „Nachkomme“ sein, wenn Stammbaum-Nachweise
hinfällig und leibliche Abstammungen bedeutungslos sind? Dies wird allegorisch erklärt: Die Verheißung an Abraham gilt nur „in Einem“, nämlich in Isaak, nicht aber in seinem Bruder Ismael – also in Abrahams Sohn von Sarah,
aber nicht in Abrahams Sohn von Hagar (Röm 9,6-13, so auch Gal 4,21-31). Was will Paulus damit sagen? Spielt er
auf zukünftige völkische Rivalitäten zwischen „Juden“ und „Arabern“ an? Natürlich nicht, sondern er weist nach,
(1) dass die Verheißung am Berg Morija für Abrahams Sohn Isaak als einzigem Verheißungsträger ebenso auf
einen einz igen Nachko mmen hinweist : auf den auferst andenen Me ssia s Jesu s (Gen 22,18 mit
Gal 3,16.19) – und nicht auf eine Mehrzahl, ein Volk dem Fleische nach;
(2) und dass daher a l l e , d i e a n d i e s e n e i n z i g e n V er h e i ß u n g s t r ä g e r , d e n M e s s i a s J e s u s , g l a u b e n
(d. h. ihm vertrauen), Abrahams wahre Kinder der Verheißung sind, ungeachtet ihrer leiblichen Abstammung,
(3) während leibliche Abkömmlinge Abrahams, Isaaks und Jakobs, die den Messias nicht angenommen haben, als
„natürliche Zweige“ des „edlen Ölbaums“ durch den Un glaub en aus geb ro ch en worden sind und es auch
blieben, wenn sie bis zuletzt in der Verstockung verharrten wie Pharao in Ägypten (Röm 11,17.20.25; 9,17).
(4) Denn schon Abraham w urd e durch den G laub en gerechtf ertigt , nicht durch ein Gesetzeswerk wie die
äußerliche Beschneidung. Diese wurde nämlich erst dann vollzogen – und das ist der biblische Schlüsselbeweis – als er bere its vor G o tt gerechtf ertigt w ar (Gen 15,6 zeitlich vor 17,9-14; vgl. Röm 4,3).
„(Ja, es ist so) wie bei Abraham: »er glaubte Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet« (Gen 15,6). Ihr
erkennt also: die Gläubigen, die sind Abrahams Söhne. Weil aber die Schrift voraussah, dass Gott die Völker (= Heiden)
6
um des Glaubens willen rechtfertigt, hat sie dem Abraham die Heilsverheißung im Voraus verkündigt (Gen 12,3 und
18,18): »In dir sollen alle Völker (= Heiden) gesegnet werden.« Somit empfangen die, welche aus dem Glauben sind
(= die Gläubigen), den Segen zugleich mit dem gläubigen Abraham.“ (Gal 3,6-9). „Wenn ihr aber Christus angehört, so
seid i hr Abrahams Nachkommenschaft (oder: Kinder) und nach der Verheißung Erben.“ (3,29)
(5) Deshalb gilt im neuen Bund nicht Mose als Leitfigur des Reiches Gottes (des „Himmelreiches“), sondern
Abraham. Denn Sinai war nur eine vergängliche Periode, gleichsam ein zeitlicher „Einschub“ in die messianische
Verheißungs- und Erwählungsgeschichte Gottes mit Abraham und seiner Nachkommenslinie über Sarah. Die
Nachkommen Abrahams dem Fleische nach, die ursprünglich vorrangigen „Söhne des Reiches“, die dem
Messias aufgrund ihrer pharisäischen Religiosität den Glauben verweigerten, verloren dagegen ihr Anrecht
darauf (Mat 8,10-12; vgl. Joh 1,11-12). Dies wird prophetisch auch daran erkennbar, dass Mose als
„Repräsentant des Gesetzes“ das Volk nicht in das gelobte Land führen konnte, sondern nur von dem
moabitischen Berg Nebo aus vor seinem Tod hinüberschauen durfte. Der aber das Volk hineinführte, war
Josua, der in dieser Hinsicht ein Typus des Messias Jesus war.
„Deshalb stehen alle, die aus Werken des Gesetzes sind (= auf Gesetzeswerke bauen statt auf den Messias Jesus),
n i c h t unter der Verheißung Abrahams, sondern unter einem Fluch“ (Gal 3,10 mit Deut 27,26).
Sie haben kein wie immer geartetes Erbrecht mehr, was auch immer ihre leibliche Abstammung sein möge
(Gal 4,21-31).
c) Ist das Beschnittensein hinfällig?
Rituelle Beschneidungen sind zwar seit dem alten Orient in unterschiedlicher Weise praktiziert worden, so auch
bis heute unter Naturvölkern bei der Einweihung in Stammesbräuche als Initiationsritual und als schmerzhafte –
und beabsichtigterweise demütigende – Mutprobe Heranwachsender.
Den alten Israeliten hatten die Philister als Typus der „Unbeschnittenen“ mit verächtlichem Unterton gegolten.
In Israel liegt die biblische Bedeutung der Beschneidung des männlichen Präputium – die Zirkumzision der Vorhaut am 8. Tag nach der Geburt – in der Absonderung vom Götzendienst des Heidentums und in der Sündhaftigkeit des Volkes und der Notwendigkeit der „Ablegung des Fleischesleibes“ infolge der „Unbeschnittenheit des Fleisches
durch die Übertretungen“ (vgl. Kol 2,13). Diese „Beschneidung“ im übertragenen Sinn betrifft den ganzen Menschen
und seine „unbeschnittenen“ Glieder wie Lippen, Ohren (Jer 6,10; Apg 7,51) und das Herz als stellvertretendes
Organ für den ganzen inneren Menschen (Lev 26,41; Deut 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,25; Hes 44,7-9).
Ist die Voraussetzung, „beschnitten“ zu sein, um zum Volk Gottes zu gehören, hinfällig? Die Antwort lautet
zunächst: Nein, vielmehr ist und bleibt sie die Voraussetzung dazu. Denn – so wiederum der biblische Schlüsselbeleg – die Beschneidung wurde als Zeichen des Bundes nicht erst zur Sinai-Gesetzgebung eingesetzt (in diesem
Fall wäre sie im neuen Bundeszeitalter hinfällig geworden), sondern sie war bereits zu allem Anfang das Bundeszeichen zwischen JHWH-Gott und Abraham (Gen 17,4-7). Die Frage ist aber: A u f w e l c h e W e i s e ist die
Beschneidung ein Z e i c h e n d e s B u n d e s m i t A b r a h a m , welches – das levitische Zeitalter übergreifend –
a u c h f ü r d e n n e u e n B u n d aufrecht bleibt?
Denn auch die an den Messias Jesus gläubig gewordenen, nichtbeschnittenen Nichtjuden sind in das durch seinen
Geist erneuerte Israel Gottes (Gal 6,16) „einverleibt“ worden und sind Mitteilhaber des vollen „Bürgerrechts
Israels“ und Miterben aller seiner Verheißungen (Eph 2,11-22; Kol 1,12-23; Röm 8,17; Apg 26,17-18; Joh 10,16-16;
11,51-52; Mat 8,10-12). An anderer Stelle drückt es Paulus so aus: Sie, die Zweige eines wilden Ölbaumes, sind in
den edlen Ölbaum eingepfropft, der durch die Wurzel (das Haus Davids bzw. des Messias, Off 5,5) geheiligt ist,
und sind damit „der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaumes teilhaftig geworden“ (Röm 11,17). Sie sind zwar äußerlich
unbeschnitten, aber Gott sieht sie als „bes chn it t en “ an, so fern sie d em Messias ang ehören :
„In ihm habt ihr auch die Beschneidung empfangen, nämlich eine solche, die nicht mit Händen vollzogen ist, nein, die in der
Ablegung des Fleischesleibes besteht: die Beschneidung Christi“ (Kol 2,11). „Denn weder auf die Beschneidung noch auf das
Unbeschnittensein kommt es an, sondern nur auf eine »neue Schöpfung«“ (Gal 6,15; vgl. 2Kor 5,17).
Wenn sich daher Konvertiten verleiten ließen, die „mit Händen vollzogene Beschneidung“ als heilsnotwendiges
Gesetz der Zugehörigkeit zum Volk Gottes aufzufassen und zu praktizieren, wurden sie eindringlich gewarnt:
„Seht, ich, Paulus, erkläre euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird Christus euch überhaupt nichts nützen. Nochmals
bezeuge ich es einem jeden, der sich beschneiden lässt: er ist damit zur Beobachtung des ganzen Gesetzes verpflichtet. Aus
der Verbindung mit Christus seid ihr ausgeschieden, wenn ihr durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollt: ihr seid dann aus
der Gnade herausgefallen; denn wir erwarten durch den Geist das Hoffnungsgut der Gerechtigkeit aufgrund des Glaubens.
Denn in Christus Jesus hat weder die [äußerliche] Beschneidung noch das [äußerliche] Unbeschnittensein irgendwelche
Bedeutung, sondern nur der Glaube, der sich durch Liebe betätigt.“ (Gal 5,1-6)
Mit dieser Schlussfolgerung der ausschließlichen Voraussetzung des „Glaubens, der sich durch Liebe betätigt“, hat
Paulus neuerlich bekräftigt, dass Moses Gesetz im neuen Bund keine Verpflichtung mehr bedeutet, sondern
durch das „neue Gebot der Liebe“ vollständig erfül lt un d ersetzt worden ist. Die „Beschneidung
des Herzens“ durch den Geist Gottes ist das Siegel der Zugehörigkeit zu dem Messias und seinem Volk (Eph 1,1314; 2Kor 1,20-22). Daher ist die „mit Händen gemachte Beschneidung“ hinfällig.
Zusammenfassung
Damit wird verständlich, was Paulus meinte, als er den Philippern schrieb (3,2-11):
„Seht auf die Hunde; seht auf die bösen Arbeiter; seht auf die Zerschneidung; denn w i r sind die Beschneidung, die wir im
Geist Gott in Verehrung dienen und uns in Christus Jesus rühmen und nicht auf Fleisch vertraut haben, wiewohl auch ich
Vertrauen auf Fleisch haben [könnte]. Wenn ein anderer meint, [Grund zu haben], auf Fleisch zu vertrauen, ich mehr:
7
[1] Beschneidung am achten Tage; [2] aus dem Geschlecht Israels, [3] dem Stamme Benjamin, [4] ein Hebräer von
Hebräern; [5] nach dem Gesetz ein Pharisäer; [6] nach [dem] Eifer ein Verfolger der Gemeinde; [7] nach [der]
Gerechtigkeit im Gesetz untadelig geworden.
Das jedoch, was auch immer mir Gewinn war, dieses habe ich Christi wegen für Verlust ‹und Schaden› geachtet; ja, und
mehr: Ic h bi n da be i , al l e s f ür V e r l ust ‹und Sc h ade n› zu ac ht e n we g e n de s übe r t re f f e nde n V or zuge s,
C hr i st us Je sus zu ke nne n, me i ne n He r r n ,
de sse nt weg e n i c h al l e s ve r l or , und ich achte es dafür, Unrat zu sein, dami t i c h C hr i s t us g e wi nne und in
ihm erfunden werde, ‹in welchem Falle› ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz wäre, sondern die, die
durch den Glauben an Christus ist, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens,
– um ihn zu kennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, ‹in denen› ich seinem Tode
gleichförmig gemacht werde, ob ich wohl zur Auferstehung von den Toten gelangen möchte.“
Daraus lernen wir Dreierlei:
a) Die jüdischen „Proselytenmacher“ drängten Menschen aus den Völkern zur Beschneidung, um sie für das
Judentum zu gewinnen und sich ihrer rühmen zu können, während sie das Gesetz selber nicht hielten
(Gal 6,13; vgl. Mat 23,15). Wer daher das Volk des neuen Bundes neuerlich mit fleischlichen Gesetzespflichten
zu unterjochen versucht, erfüllt das biblische Bild des „Hundes“ und des „bösen Arbeiters“.
b) Was bedeutete es, dass Paulus sich unter anderem der Abkunft des Stammes Benjamins rühmen hätte können?
Nicht weniger als das Wissen um den Segen Moses, dessen Weissagung für Benjamins Stammesgebiet gegolten
hatte (Deut 33,12):
»Als Liebling des HERRN wird er in Ruhe bei ihm wohnen;
er beschirmt ihn allezeit und wohnt zwischen seinen Schultern (= Berghängen).«
Paulus war sich aber im Klaren darüber: Indem er den auferstandenen Jesus als Messias gewann, verlor er alles,
was das Judentum seiner Zeit ausgemacht hatte, und wurde bedeutungslos, was ihm bisher bedeutsam und
heilsnotwenig erschienen war – Abstammung, äußeres Beschnittensein, eigene Gerechtigkeit, mosaische (und
außerbiblisch-jüdische) Feste, sein Ansehen, seine hervorragende gesellschaftliche Stellung in Jerusalem – all
dies war nur noch Abfall, den man wegkehrt wie Unrat und Exkremente; der Gewinn dagegen war ein unendlicher, nämlich „in Jesus, dem Messias, erfunden zu werden“, „in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis
verborgen sind“ (Kol 2,3) und „der uns von Gott her zur Weisheit gemacht worden ist wie auch zur Gerechtigkeit und
Heiligung und zur Erlösung, damit das Schriftwort seine Geltung behalte (Jer 9,23): »Wer sich rühmen will, der rühme
sich des Herrn!«“ (1Kor 1,30-31) – in ihm haben wir alles, aber außerhalb von ihm haben wir nichts, was vor
Gott gelten würde (Joh 15,1-8).
c) Indem Paulus betont: „ W i r sind die Beschneidung“, meint er damit sowohl jüdische als auch nichtjüdische
Messias-Gläubige, denn s i e sind die wahre „Beschneidung“, s i e sind das Volk Israel des neuen Bundes. Und
indem er sich mit der Betonung auf „ W i r “ gleichzeitig von den „Hunden“, den „bösen Arbeitern“ und der
„Zerschneidung“ abgrenzt und vor ihnen warnt, spricht er dem „Judentum“, jenen, die ihr Vertrauen auf das
Fleisch und die rabbinischen Überlieferungen statt auf den Messias und sein Wort setzen, kategorisch ab, zum
Volk Gottes, zum wahren Israel zu gehören. Entweder Judentum oder der Messias!
„Ihr habt ja von m e i n e r e i ns t i g e n L e be n s we i se i m Ju d e n t u m gehört: dass ich nämlich die Gemeinde Gottes
maßlos fortgesetzt verfolgt habe und sie zu vernichten suchte und dass ich viele Altersgenossen meines Volkes im
Judentum [an Bösartigkeit] übertroffen hatte, indem ich ein ganz besonderer Eiferer für die von meinen Vätern
überlieferten Traditionen war.“ (Gal 1,13-14)
2. Exkurs: Die jüdischen „Hyperapostel“
Aber nicht nur in seinem Brief an die Philipper, sondern auch an anderer Stelle weist Paulus jeden autoritativen
Anspruch jüdischer „Apostel“ zurück, die sich aufgrund fleischlicher Vorzüge rühmen und im Gegenzug Paulus als
Apostel und Gemeindegründer in dessen Abwesenheit herabzusetzen suchen (2Kor 11,5.22ff). Ihrem Anspruch
gegenüber der Korinthergemeinde hält er entgegen:
„Ich rechne nämlich, in nichts hinter den ‚sehr hohen Aposteln’ zurückzustehen. […] Sie sind Hebräer? Ich auch. Sie
sind Israeliten? Ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams? Ich auch. Sie sind Diener Christi? Ich rede im Aberwitz: Ich
bin’s noch mehr.“,
und erinnert an die Mühen, Leiden und die Verfolgung, die er auch und gerade von Seiten seiner jüdischen Volksgenossen als Diener des Messias Jesus um dessentwillen auf sich genommen hat (V. 24f.26): „von Juden habe ich
fünfmal die vierzig (Geißelhiebe) weniger einen (Deut 25,3) erhalten; dreimal bin ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt
worden“, sowie „in Gefahren von [meinem] Volk und […] unter falschen Brüdern.“
Diese „Israeliten“ präsentierten sich als „Diener des Messias“ (des Christus, des Gesalbten), aber sie verkündeten
„einen anderen Jesus“, den Paulus und seine Mitarbeiter „nicht verkündet“ hatten (V. 4). Wenn sie aber einen
„anderen Jesus“ verkündeten – welchem „Messias“ dienten sie? Einem spezifisch „jüdischen“ Messias, der „das
jüdische Volk“ gegenüber allen anderen Völkern bevorzuge und es über sie herrschen lassen würde, wie es gängige
Lehre im Judentum ihrer Zeit war, der aber Jesus in seinen irdischen Tagen eine scharfe Absage erteilt hatte (vgl.
Joh 6,15)? Ein „Messias“, der kommen und die levitische Kulttradition fortführen würde, um im irdischen
Jerusalem seine politische Weltherrschaft aufzurichten und „Israel“ als Herrenvolk Rache an seinen Feinden üben
zu lassen? Das wäre ein falscher Messias, eine falsche Christologie. Die spätere Geschichte des nachchristlichen
Judentums hat gezeigt, dass gerade solche erwarteten und bejubelten „Messiasse“ aufgetreten sind und Blutbäder
mit hunderttausenden Opfern angerichtet haben und – in ihrem Irrwahn gescheitert sind.
Indem sich diese „Hyperapostel“ (so Paulus wörtlich in V. 5) auf ihre jüdische Herkunft berufen hatten, um ihre
Autorität zu legitimieren und ihren Einfluss auf die Gemeinde auszuüben, haben sie den Korinthern „einen
anderen Geist“ vermittelt und „ein ande r e s Evangelium“ gelehrt als das, welches sie von Paulus, Silas, Timotheus
und später Apollos empfangen hatten. Diese Geistesverwirrung und Lehrverirrung, der Paulus kategorisch wider-
8
spricht, geht konform mit der oben zitierten Warnung im Philipperbrief und der ausführlichen Stellungnahme
gegenüber den Galatern. Ihnen bescheinigt er gleichermaßen, sich einem „ a n d e r e n Evangelium zugewandt“ zu
haben, „während es doch ke in ande r e s * g i b t ; nur dass gewisse Leute da sind, die euch verwirren und das Evangelium
von dem Messias umke hre n möchten.“ Damit verfälschten sie die frohe Botschaft und betrogen ihre Zuhörer wie die
Schlange in ihrer Verschlagenheit, indem sie „ihre Gedanken verdarben und von der Einfalt gegen den Messias wegzogen“
(2Kor 11,3) und ihnen wieder aufzubürden versuchten, was bereits abgetan war. Aber sie betrogen mit ihrer
Selbstdarstellung nicht nur ihre Zuhörer, sondern in erster Linie sich selbst:
„Denn wenn jemand meint, etwas zu sein [aufgrund seiner ‚jüdischen Identität’], während er doch nichts ist, so betrügt
er sich selbst.“ (Gal 6,3).
(* Das im Griechischen hier gebrauchte Wort kann bedeuten: „andersartig“; „von fremder Art“, so die Fußnote zu
Gal 1,6 in: „Das Neue Testament und die Psalmen“, von H. Jantzen und Th. Jettel, 2. Auflg. 2009). – [Exkurs Ende]
Die Gemeinsamkeit dieser Lehren judaistischer Revisionisten, die die Gemeinden des Messias Jesus von Galatien,
Kolossien, Philippi bis Korinth bedrohten, bestand darin, dass Elemente des alten Sinai-Bundes und seines
Gesetzeswerkes mit dem einfachen Evangelium der Gnade Gottes in dem Messias vermischt wurden. Die reine,
unverfälschte Heilsbotschaft ist jedoch frei von äußerlichen Einrichtungen und fleischlichen Bezügen (Heb 7,16).
Die einzigen äußeren Zeichen, die für den neuen „Bund in dem Blut“ des Messias stehen, sind diese:
(1) das Erinnerungs- („Abend“-) „Mahl des Herrn“ und (2) die Wassertaufe als Bekenntnis zum Tod und zur
Auferstehung des Messias Jesus sowie zum „Mitsterben“ und „Mitauferstehen“ mit ihm (Kol 2,12; Röm 6,3-8), in
unüberbrückbarer Trennung und Abgrenzung (Apg 2,38-41; 26,17) gegenüber dem alten, endgültig „gestorbenen“
und „mit Christus begrabenen“ Sinai-Bund und dem damals herrschenden, anti-messianischen Judentum.
Schlussfolgerung und Schlusswort
Als Grundsatz gilt: Wer irgendein Element des Gesetzes zur heilsnotwendigen Pflicht erklärt, der wäre erstens
„verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten“, und zweitens dadurch „von dem Messias getrennt“ (Gal 5,1-4), der doch
vom „Joch der Knechtschaft“ Befreiung gebracht hatte (V. 1). Denn es würde bedeuten, wieder in Geltung zu
bringen, was bereits aufgehoben ist (Heb 7,18), und wieder zu errichten, was bereits niedergerissen ist. Dagegen
Paulus: „Wenn ich das, was ich niedergerissen habe, (später) wieder aufbaue, so stelle ich mich damit selbst als Übertreter
hin.“ (Gal 2,18).
Paulus, der sich mehr als alle anderen des Volkes seiner fleischlichen Herkunft und Verdienste um das Gesetz
rühmen hätte können, erachtete das alles als Kehricht um der unüberbietbaren Erkenntnis des Messias Jesus
willen, seines Herrn und Gebieters: Weg mit dem Alten, auf den Misthaufen der Geschichte des alten Israel mit
allem, was ihm vor Damaskus bedeutsam gewesen war! Der ihn dort aus seiner Verblendung errettet und berufen
hatte, Jeschu‘ah HaMaschiach, Jesus, der Gesalbte Gottes (Christus), war nunmehr seine neue und ausschließliche Identität (Phil 1,21), und ihm und seiner Auferstehungskraft gebührte sein „unübertreffbarer
Vorzug“ vor allem anderen! Nichts und niemand konnte ihm noch seine Freiheit in dem Messias und die unüberbietbare Freude an dem Leben mit ihm streitig machen, und keine Leidenswege, keine Verfolgungen und keine
Todesdrohungen konnten ihn zwingen, auch nur einen Schritt zum überkommenen Judentum zurückzukehren.
© Fritz Weber, benaja [at] gmx.at, Nov. 2014
Vom selben Autor verfügbar (eine Auswahl):
1. „Grundsätze biblischer Schriftauslegung“ (2019).
2. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Die Jahreslosung 2013 (Heb 13,14) im Kontext des Hebräerbriefes – Eine Apologie. (2013)
3. „Das 'Volk Gottes' in der Heilsgeschichte – die 'Erben der Verheißung'“ (2018).
4. „Über die Treue Gottes zu seinem Volk und wer dazugehört.
Eine biblische Betrachtung zur Frage: 'Hat Gott sein Volk verstoßen?'“ (Römerbrief 11,1)“ (2018)
5. „Steht die 'Endzeit'-Lehre evangelikaler Zionisten im Widerspruch zur Lehre der Apostel? –
ein Fakten-Check“ (2019)
6. „Der Anspruch des Neozionismus auf Alleinbesitz Palästinas und seine Rechtfertigung auf dem Prüfstand.
Eine bibelexegetische Studie mit geopolitischer Tragweite“ (2020).
7. „Kommt Jesus 'als Jude' zurück? Kritischer Kommentar zu einer 'messianisch-jüdischen' Häresie“ (2020).
Mit einem Anhang: „Exegetische Untersuchung zum Hebräerbrief 10,12-14 nach dem Grundtext. Wie
sieht die Leistung des neuen Hohen Priesters aus?“ Von Thomas Jettel, Altphilologe und Bibelübersetzer.
8. „Antizionistisch“ und „evangelikal“ – gegensätzlich oder zusammengehörig?
Meine Sicht als unabhängiger Christ“ (2020).
9. „Antwort auf Johannes Gerloffs 'Israel'-Häresie: Werden 'Juden und Nichtjuden unterschiedlich
gerechtfertigt'?“ (2015/16)
10. „Bemerkungen zum sogenannten ‚Messianischen Judentum‘: Bleibt ein Jude auch dann „Jude“, wenn er zu
Jeschua konvertiert? Eine Apologie zur Frage: Wer ist ein Jude? – Wer ist Israel?“
11. „Die Instrumentalisierung des messianischen Anspruchs durch den religiös-nationalistischen Zionismus“
(2016/20)
12. „'Holocaust-Theologie' und die Frage nach der 'Singularität der Shoah'“
Antwort auf Jan-Heiner Tücks Interpretation der Erwählung Israels als „bleibende theologische Würde“
13. „Haben die Propheten des Alten Testaments das Zeitalter des Neuen Bundes vorausgesehen?“
(6 Fallbeispiele). Hermeneutische Untersuchung zu einer Grundfrage biblischer Prophetie