Sprachkultur und Bürgertum
Angelika Linke
Sprachkultur
rmd Bürgertum
Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts
Verlag J.B. Metzler
Stuttgart · Weimar
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung
der wissenschaftlichen Forschung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Linke, Angelika:
Sprachkultur und Bürgertum : zur Mentalitätsgeschichte
des 19. Jahrhunderts I Angelika Linke.
- Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1996
ISBN 978-3-476-01424-5
ISBN 978-3-476-01424-5
ISBN 978-3-476-03641-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03641-4
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© 1996 Springer-Verlag GmbH Deutschland
Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1996
Vorwort
Ich habe das vorliegende Buch gerne geschrieben. Dass dies so ist, hat nicht nur,
aber auch - und vielleicht sogar zur Hauptsache - damit zu tun, dass ich bei
meiner Arbeit immer wieder Anregung und Unterstützung erfahren habe, von
vielen und von sehr verschiedenen Seiten.
In materieller Hinsicht massgeblich an diesem Buch beteiligt ist der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der sein
Entstehen durch ein grasszügiges Stipendium ermöglicht und auch die Drucklegung finanziell unterstützt hat.
Auf ihre Weise materiell beteiligt sind die Institutionen und Privatpersonen, die
mir zum konkreten sprachhistorischen Gegenstand des Buches verholfen haben
- zu den Quellentexten. Die aufwendige Suche danach wäre für mich wohl noch
mühsamer geworden, hätte ich nicht eine Reihe von Institutionen von ihrer
hilfreichen Seite oder richtiger: in diesen Institutionen hilfreiche Menschen
kennengelernt. Für ihre freundliche Unterstützung danke ich Konrad Vanja und
Roland Wohlfart vom Museum für Volkskunde, Berlin, Thomas Föhl vom Berlin
Museum, Berlin, dem Landesarchiv Berlin, dem Werkbundarchiv Berlin und der
Staatsbibliothek Berlin. Walter Kempowski danke ich für die Gastfreundschaft in
seinem Privat-Archiv in Nartum, welches für mich eine Fundgrube war, und
Dorothee Gerhardt dafür, dass sie mich in Garnburg auf den Dachboden geführt
hat.
Was die inhaltliche Seite des Buches anbelangt, so hat es - am Schnittpunkt
von Sprachgeschichte und Sozialgeschichte angesiedelt - nur entstehen können,
weil ich in beiden Wissenschaftsbereichen sowohl fachliche als auch persönliche
Unterstützung und Förderung erfahren habe. Mein Dank gilt hier in erster Linie
Rudolf Braun, bei dem ich sozialgeschichtliches Denken gelernt habe - auch in
Gesprächen, die nichts mit Sozialgeschichte zu tun hatten. Ebenso Dank schulde
ich Dieter Cherubim und Klaus J. Mattheier, die mein Interesse an der Sprachgeschichte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich unterstützt und mir Gelegenheit
zum fachlichen Austausch im kleineren wie im grösseren Kreis geboten haben.
Was mich selbst anbelangt, so habe ich während meiner Arbeit- und vor allem
in den offenbar unausweichlichen Härtephasen - viel Rückenstützung und Seelenpflege von >meinen Uni-Frauen<, vor allem von Silvia Derrer und Katrin
Wiederkehr-Benz erfahren; ihnen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.
Felicitas Spuhler danke ich für ihre Korrekturarbeit und für alle anderen Selbst-
VI
Vorwort
verständlichkeiten, Willibald Steinmetz und Dorothee Kohler-Luginbühl für Anerkennung im richtigen Moment und meinen Kolleginnen und Kollegen vom
Deutschen Seminar der Universität Zürich (allen voran Markus Nussbaumer)
dafür, dass sie den linguistischen Alltag so äusserst annehmlich machen.
Dass es aber überhaupt so weit gekommen ist, verdanke ich meinen linguistischen Lehrern in Zürich: Harald Burger, ohne den ich wohl gar nicht zur
Linguistik gekommen, und Horst Sitta, ohne den ich vielleicht nicht dabei
geblieben wäre.
Was ich Horst Sitta insgesamt schuldig bin - linguistisch, institutionell und in
vieler Hinsicht darüber hinaus - lässt sich nicht so einfach sagen. Aber ich danke
es ihm von Herzen.
Allerdings: Was von vielen wissenschaftlichen Büchern behauptet wird, gilt
auch für dieses: Es wäre ohne eine bestimmte Person und ohne die Inspiration
einer bestimmten - durchaus unwissenschaftlichen - Umgebung vielleicht gar
nicht, zumindest aber nicht so, zustandegekommen. In meinem Fall handelt es
sich dabei um eine Tante mit einem Dach in Berlin. Ihr ist dieses Buch gewidmet.
Inhalt
Vorwort ..
V
Einleitung
1
Teil 1: Vorklärungen
1.
Linguistische Aspekte ........... .
1.1
1.2
Sprache als Sozialsymbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zu den Berührungspunkten von Pragmatik, Soziolinguistik und
Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Umrisse einer pragmatisch orientierten Sprachgeschichtsforschung . . . . . . . .
13
2.
Historische Aspekte
19
2.1.
25
2.3
Bürgerlichkeit als Kultur
Bürgerlichkeit als Mentalität .
Bildungsbürgertum als Orientierungsformation
27
3.
Methodisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
3.1
Historische Pragmatik und die Analyse kollektiver Dispositionen .
Quellen . . . . . . . . . . . . .
Rekonstruktion als Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
41
4.
Voraussetzungen und Bedingungen einer bürgerlichen
Sprachkultur im 19. Jahrhundert ..
46
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
4.2
Sprache und bürgerliche Lebenswelt(en)
Der >>vernünftige« Diskurs . . . . . . . . .
Die >>Mannichfaltichkeit« der Verkehrskreise ..
Veränderung familiärer Kommunikationskonstellationen
Sprache und »Bildungsreligion« . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sprache als Medium bürgerlicher Repräsentationskultur .
1.3
2.2
3.2
3.3
9
11
16
22
32
46
49
50
52
54
56
VIII
Inhalt
Teil II: Analysen
Einleitung . . . . . . . . . . .
5.
Leiblichkeit als Standeskultur: Körperbarrieren zwischen
Adelsgesellschaft und Bürgertum . . . . . . . . .
61
63
5.9.1
5.9.2
Bewegungskultur und adlige Standesrepräsentation
Die Exerzitien als Basis gentiler »Körperkunst«
Das Reiten >>nett nach der Mensur und Tact« .
Das >>zierliche« Fechten . . . . . .
Das >>violente« Voltigieren . . . . . . . . .
Das repräsentative Ballhausspiel ... .
Konfigurationen der Adelsgesellschaft
Der begehrliche Blick des Bürgers ...
Entwürfe einer bürgerlichen Bewegungskultur
>>Natur<< contra >>Afectation« . . . . . . . . . . . .
Dimensionen bürgerlicher Körpergestik .. .
Bewegungskultur und Mentalitätsgeschichte
Konfigurationsveränderungen . . . . . . . . . .
Vom tanzenden Höfling zur tanzenden Bürgerin: Die bürgerliche
Anverwandlung eines Bewegungszeremoniells . . . . .
Der Tanz als adliges Exerzitium und als »Hof=Kunst« . . . . . . . .
Der Walzer als »bürgerlicher« Tanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Redimensionierung, Abwertung und Umwertung des Körperlichen
im bürgerliehen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Delegation des Körperzeremoniells an die Bürgerin
Körpergestik im Dienst der Geschlechterinszenierung
100
6.
Vom Compliment zum Gruss: ein Exempel .....
104
6.1
6.2
6.2.1
6.2.2
Das Compliment als Höflichkeit >>in Worten und Ceberden«
Redirnensionierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Redimensionierung des »Wort-Compliments« . . . . . . . . .
Redimensionierung des >>Geberden-Compliments« . . . . . .
Vom Compliment zum Gruss: Entwicklungen im 19. Jahrhundert
Die >>Versprachlichung« des Compliments zur verbalen Geste ...
5.1
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.3
5.4
5.5
5.5.1
5.5.2
5.6
5.7
5.8
5.8.1
5.8.2
5.9
6.3
6.4
7.
7.1
7.2
7.3
7.4
>>Umgang« und >>Konversation« - ein begriffsgeschichtlicher
Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
>>Üb man in Conversation reden soll«
>>Conversation<< im 19. Jahrhundert ..
>>Conversationsstücke<< . . . . . . . . . .
Zu den ethisch-ästhetischen und sozial-ständischen Konnotationen von >Konversation< . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
67
67
67
68
69
70
72
77
77
80
8:3
87
90
90
95
98
98
104
108
109
113
120
129
132
132
135
138
142
Inhalt
IX
144
7.6
Die Assoziation von >Konversation< und •Bildung<
im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vom gesellschaftlichen Umgang zum gesellschaftlichen Gespräch
8.
Der Verlust der schönen Stimme ........ .
151
8.1
8.4
8.5
8.6
8.7
Die ästhetisch-sinnliche Dimension der Stimme .
Stimmqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . .
Die normative Dimension der Aussprache
Deutlichkeit .. .
Lautstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Geschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
Wahrnehmungswandel und Normenwandel
152
153
156
160
161
163
164
9.
Gesellschaft, Gespräch und bürgerliche Geselligkeit
170
9.1
170
175
178
186
191
191
196
203
207
212
212
9.8.2
Das Gesellschaftszimmer . . . . .
>>Geselligkeitsschwellen« ..... .
Die Visite als Gesellschaftsritual
Visitengespräche . . . . . . . . . .
Das >>Gespräch in Gesellschaft« .
Das Gespräch als Medium bürgerlicher Vergesellschaftung
Die Gesprächsthemen . . . . . . . . . .
Verbotene Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Gespräch als kollektive Leistung . . . . . . . . . . .
Die Rolle der Frauen im gesellschaftlichen Gespräch .
Sittenwächterin und Anstandslehrerin
Die Gesprächsarbeiterin . . . . . . . . .
Die Garantin für Gesprächsdisziplin .
Das Gespräch als Gesellschaftsspiel . .
Bürgerliche Gesprächsspiele . . . . . . .
Der unbürgerliche Versuch einer Leichtigkeit des Seins
Distinktion, Integration und herstellbare Harmonie
10.
Die Liebe im Dativ .......... .
231
10.1
10.2
10.3
10.4
Sprachliche Bildung als Bürgerpflicht .
Zur sozialen Hierarchisierung von Dialekt und Standardsprache
Dialekt und bürgerliehe Sprachsozialisation . . . . . . . . . . . . . .
Schreckgespenst und Hätschelkind bürgerlicher Sprachaufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Situationsadäquater Dialektgebrauch
Gesellschaftliche Unterhaltung ..
Geschlechterstereotype . . . . . . .
Zur Symbolfunktion des Dialekts .
7.5
8.2
8.3
9.2
9.3
9.4
9..5
9.5.1
9.5.2
9.5.3
9.5.4
9.6
9.6.1
9.6.2
9.6.3
9.7
9.8
9.8.1
10.5
10.6
10.7
10.8
149
214
217
220
224
224
227
234
238
241
244
247
249
255
260
X
Inhalt
11.
Zur sprachlichen Kodierung bürgerlichen Lebensgefühls
265
11.1
Zur sprachlichen Kodierung von Gefühlen . . . . . . . . . . . .
Tagebuchtexte: Privatheit, soziale Rolle und die >>Traditionen
des Sprechens« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ein bürgerliches Gesellschaftswort . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die sprachliche Aneignung und Entfaltung bürgerlichen Lebensgefühls . . . . . . . .
Gradierungen .... .
Selbstversicherung . .
peer-group-Funktion .
Das Amüsement als soziale Leistung- das >richtige< Reden
darüber als soziale Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Phraseologisierung als Festschreibung kultureller Konzepte?
Sozialsemiotische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sozialgeschichtliche Dimensionen: die Frage nach
denBürgerlichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265
11.2
11.3
11.4
11.4.1
11.4.2
11.4.3
11.4.4
11.5
11.6
11.7
267
270
275
278
279
281
282
285
286
288
12.
Sprachkultur und bürgerliche Kinderstube
291
12.1
12.2
Vom täglichen Schreiben . . . . . . . . . . . . . . .
Schreibrituale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sprachliche Leistung als Geschenk der Kinder an die Eltern
Briefe im Dienst der Beziehungspflege . . . . . . . . . . . . . .
Die emotionale Besetzung von Texten und Schreibprodukten
Sprachliche Kindheitsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
291
12.3
12.4
12.5
12.6
294
299
303
309
313
Schluss .....
317
Bibliographie
323
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351