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FINT-Münze des Monats (FINT Coin of the Month) Juni 2019

Münze des Monats der Forschungsstelle für islamische Numismatik Tübingen (FINT)

Sebastian Hanstein (Universität Tübingen): Münze des Monats Juni 2019 der Forschungsstelle für Islamische Numismatik Tübingen (FINT) FINT 1997-18-104 Der 1. Juni ist der Internationale Kindertag und auch sonst fallen in diesen Monat verschiedene Aktionstage, deren Anliegen das Kindeswohl ist (4.6.: Internationaler Tag der Kinder, die unschuldig zu Aggressionsopfern geworden sind; 10.6.: Kindersicherheitstag; 12.6.: Welttag gegen Kinderarbeit). Das erste Land, welches einen Kindertag einführte, war übrigens nicht etwa ein westlicher Staat, sondern 1920 die Türkei. Die FINT-Münze des Monats stammt allerdings aus einem viel weiter entfernten, tropischen Teil der islamischen Welt: aus Zentralindien. Sie wurde unter einem Herrscher geprägt, welcher schon als Kind auf den Thron kam, was in der islamischen (wie in der europäischen) Geschichte an sich keine große Seltenheit ist (s. etwa MdM April 2019); denn worauf es ankam, war die Legitimation, die grundsätzliche Bestimmung zur Herrschaft, für die das Alter keine Rolle spielte. Auf dem Dekkan gab es jedoch ein Sultanat, an dessen Spitze nicht ausnahmsweise, sondern gleich mehrfach hintereinander Minderjährige rückten – das 1347 begründete Sultanat der Bahmaniden-Dynastie. 1 Auf beiden Seiten der Münze (ex Sammlung Hans Herrli) finden sich ausschließlich Titel und Namen(sbestandteile), wobei auf der Rückseite mittig (2. Zeile) gut lesbar und weitgehend punktiert „Sohn des Humāyūn-Šāh“ steht. Dieser Humāyūn, der Vater des Münzherrn, war der 11. Bahmanī-Herrscher und ist als besonders grausam in die Geschichte eingegangen, womöglich aber zu Unrecht. Als er 1461 starb, folgte ihm planmäßig sein Sohn Aḥmad-Šāh (III.) auf den Thron, welcher allerdings erst acht Jahre alt war, sodass die Regierungsgeschäfte in seinem Namen von einem Rat aus drei Personen geführt wurden. Dies waren – ebenfalls gemäß Humāyūns Willen – die beiden obersten Würdenträger mit den Titeln ḫvāǧa-yi ǧahān bzw. malik at-tuǧǧār („König der Händler“) und die verwitwete Sultansmutter maḫdūma-yi ǧahān Nargis-Begam, mit der sich besagte Herren allmorgendlich berieten und welche sodann den kleinen Aḥmad aus ihren Gemächern in den Audienzsaal zu schicken pflegte. Ähnlich charakteristisch wie eine Vormundschaftsregierung ist, dass ein Kindkönig im Ausland als politische Schwäche gesehen wurde und damit als günstige Gelegenheit für eine militärische Intervention. Nachdem Aḥmad zum Sultan gekrönt worden war, fielen sogar gleich mehrere Nachbarmächte wiederholt ins Bahmanī-Territorium ein, v. a. der Gajapati-König von Orissa (im Osten) und der Sultan von Mālwā (im Norden). Alle Eroberungsversuche konnten letztlich aber abgewehrt werden, auch dank einem Bündnis mit dem Sultan von Gujarat. Für Aḥmad hatten diese Auseinandersetzungen wohlgemerkt bedeutet, dass er trotz seines Alters mit ins blutige Schlachtgetümmel genommen wurde, und auch sonst lassen die Chroniken oft erahnen, was minderjährigen Herrschern ganz selbstverständlich zugemutet wurde und wie traumatisierend frühe Gewalt- und Verlusterfahrungen für diese Kinder waren. Manchmal wird hiervon sogar ganz explizit berichtet. Unter den Bahmaniden war es ferner üblich, Prinzen schon sehr zeitig zu verheiraten. Auch für den achtjährigen Aḥmad hatte seine Mutter bereits eine Braut gefunden, doch war es 1463 ausgerechnet die Hochzeitsnacht, in der den jungen Sultan plötzlich der Tod ereilte. Auf den Thron folgte ihm sein jüngerer Bruder Abū l-Muẓaffar Muḥammad (III.), welcher damals neun Jahre alt war. Er ist es, von dem die Münze des Monats stammt; in der Zeile oberhalb der Filiationsabgabe ist dementsprechend Muḥammad-Šāh zu lesen. Die 3. Rev.-Zeile enthält (neben einem Ornament) noch den Sultanstitel über einer Linie, unter der sich in diesem Fall nur noch minimale Spuren eines in (arabisch-indischen) Ziffern angegebenen Prägejahres erhalten haben (wohl 870er H.). Als Prägeort darf sicher die rund 40 Jahre zuvor von Gulbargā (Aḥsanābād) nach Bīdar (Muḥammadābād) verlegte Bahmanī-Kapitale angenommen werden. Auf der Vorderseite findet sich oben ein Ehrenname, bei dem man eigentlich sofort an einen 2 Kalifen denkt: al-Muʿtaṣim / bi-llāh – „der bei Gott Zuflucht Suchende“. Der damals amtierende ʿAbbāside in Kairo hieß jedoch anders und so gehört jener Name offenbar ebenso dem 13. Bahmaniden-Herrscher wie der in Zeile 3 und 4 folgende: [Š]ams ad-Duny[ā] / [wa]-d-Dīn – „Sonne der Welt und der Religion“. (Man beachte wieder die Setzung diverser orthographischer Hilfszeichen.) Das Kupfer-Stück ist bei einem Durchmesser von ca. 2 cm typischerweise sehr dick – etwa einen halben Zentimeter – und dementsprechend schwer: 16,3 g. Die Bezeichnung einer solchen Münze lautete gānī. Neben vollen gānīs wurden unter Muḥammad III. auch ⅔-, ½-, ⅓-, ⅙- und 1 /12-gānī-Stücke geprägt sowie große Gold- und Silbermünzen (tankas). Wie Schatzfunde zeigen, kursierten auf dem gesamten Bahmanī-Territorium zudem die gewohnt kleinen und damit praktischeren Goldmünzen des südlichen, hinduistischen Nachbarn Vijayanagar und als Handelsmünze spielte bald auch der silberne lārī eine wichtige Rolle. In Anbetracht von Muḥammads Alter blieb es anfangs bei besagtem Dreierrat, bis die darin tonangebende Sultansmutter beschloss, den ḫvāǧa-yi ǧahān Malik-Šāh Turk zu beseitigen. Hierzu benutzte sie ihren minderjährigen Sohn, indem sie ihn während einer Audienz durch ein Zeichen die sofortige Tötung des ḫvāǧa-yi ǧahān befehlen ließ. Malik-Šāh wurde daraufhin vor den Augen des Sultans niedergestochen; seinen Titel erhielt der bisherige malik at-tuǧǧār Maḥmūd Gāvān – ein hochgebildeter, kultivierter und in der ganzen islamischen Welt vernetzter Großkaufmann und Literat aus Gīlān, welcher den Bahmaniden bereits seit Humāyūn als Wesir diente (und u. a. für das dauerhafte Bündnis mit Gujarat verantwortlich war). Dank seiner herausragenden Qualitäten als Staatsmann und Feldherr erlebte das Sultanat nun sowohl eine kulturelle Blütezeit als auch seine maximale Ausdehnung. Im Westen wurde an der Konkan-Küste u. a. Goa erobert (das zuvor zu Vijayanagar gehört hatte) und im Osten (gegen Orissa) bis an den Golf von Bengalen (Krishna-Delta) expandiert, womit die stark vom Fernhandel profitierende Bahmanī-Herrschaft von Meer zu Meer reichte. Der fähige Wesir ging in der Folge eine radikale Verwaltungsreform an, nach der jede der bislang vier (mittlerweile zu groß gewordenen) Provinzen in zwei neue Provinzen geteilt und die Macht der Zentralregierung in Bīdar (auf Kosten jener der Gouverneure) gestärkt werden sollte. Gleichzeitig war der Iraner Maḥmūd Gāvān um eine Balance zwischen der eingesessenen dekkanischen Elite einerseits und der Gruppe der (wie er selbst) erst neu ins Land gekommenen und teilweise (auch von ihm selbst) gezielt angeworbenen iranischen, türkischen oder arabischen „Fachkräfte“ andererseits bemüht. Die Spannungen zwischen diesen beiden riva3 lisierenden Fraktionen nahmen jedoch weiter zu und da auch die Reformen des übermächtigen Wesirs bei Manchen Unmut erzeugten, kam es 1481 schließlich so weit, dass einige der Fremdenhasser dem Sultan einen gefälschten Brief zeigten, aus welchem eine Verschwörung Maḥmūd Gāvāns mit dem König von Orissa hervorging. Nun war Muḥammad damals – wie so oft – betrunken und so lag es wohl hieran, dass er den übersiebzigjährigen ḫvāǧa-yi ǧahān ohne eine Prüfung der Anschuldigungen umgehend hinrichten ließ – was er schnell bitter bereute; er selbst starb (alkoholbedingt) nur exakt ein (Mond-)Jahr später. Nach Maḥmūd Gāvān hielt den Staat niemand mehr zusammen und die Bahmanī-Herrschaft verfiel zusehends, bis aus ihr um 1500 schließlich fünf unabhängige Sultanate hervorgingen. Muḥammad III. wurde als Sultan 1482 von seinem Sohn Maḥmūd beerbt. Dieser war damals 12 Jahre alt, weshalb man ihn bei seiner Krönung an beiden Armen auf den für ihn noch zu hohen Türkis-Thron der Bahmaniden hob. Wieder regierte zunächst ein Rat, dem die Sultansmutter vorstand, und wieder wurde der Junge instrumentalisiert, etwa als ihn der Anführer der Dekkaner-Fraktion ein Massaker an Tausenden Türken anordnen ließ. Maḥmūd-Šāh blieb auch als Erwachsener eine Marionette rivalisierender Würdenträger, hinsichtlich deren Dominanz schon sein Vater während der Regelung der Thronfolge häufig gesagt hatte: „Wenn sie nicht einmal mir gehorchen, der ich viele Jahre lang ruhmreich geherrscht und mit meinem Schwert Nationen unterworfen habe, wie sollten sie sich da einem Kind fügen?“ 4