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Die deutsche Sprache des Rechts

2020

In einem Aufsatz von 2011 schreibt Martti Koskenniemi, das Volkerrecht sei zwar durch ein europaisches politisches Vokabular gepragt, im Hinblick auf seine Problemfelder und seine Geschichte allerdings vornehmlich eine „deutsche Disziplin“: Deutsch(sprachig)e Volkerrechtstheoretiker hatten die Disziplin in einer Weise gepragt, wie es von englischen, franzosischen oder US-amerikanischen Juristinnen und Juristen nicht behauptet werden konne (Koskenniemi 2011, S. 45f.). Koskenniemis Beobachtung, nach der das moderne Volkerrecht und seine Wissenschaft von genuin deutschen Traditionslinien gepragt sei – es also so etwas wie eine deutsche Wurzel des Volkerrechts und entsprechend eine deutsche Volkerrechtsgeschichte geben konnte –, deckt sich mit Auserungen anderer WissenschaftlerInnen, die in Fachdiskursen zuweilen von genuin deutschen Traditionslinien des Volkerrechts und der Volkerrechtspolitik sprechen (vgl. Bogdandy 2006; Bianchi 2016, S. 44). Als Ausgangspunkt des vorliegenden Beitra...

Die deutsche Sprache des Rechts Ein völkerrechtspolitischer Sonderweg? Lothar Brock und Hendrik Simon 1 Einleitung: Eine deutsche Sprache des Rechts? Auf historisch-genealogischer Spurensuche im Wörterbuch moderner Gewaltlegitimationen In einem Aufsatz von 2011 schreibt Martti Koskenniemi, das Völkerrecht sei zwar durch ein europäisches politisches Vokabular geprägt, im Hinblick auf seine Problemfelder und seine Geschichte allerdings vornehmlich eine „deutsche Disziplin“: Deutsch(sprachig)e Völkerrechtstheoretiker hätten die Disziplin in einer Weise geprägt, wie es von englischen, französischen oder US-amerikanischen Juristinnen und Juristen nicht behauptet werden könne (Koskenniemi 2011, S. 45f.). Koskenniemis Beobachtung, nach der das moderne Völkerrecht und seine Wissenschaft von genuin deutschen Traditionslinien geprägt sei – es also so etwas wie eine deutsche Wurzel des Völkerrechts und entsprechend eine deutsche Völkerrechtsgeschichte geben könnte –, deckt sich mit Äußerungen anderer WissenschaftlerInnen, die in Fachdiskursen zuweilen von genuin deutschen Traditionslinien des Völkerrechts und der Völ© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Jäger und W. S. Heinz (Hrsg.), Frieden durch Recht – Rechtstraditionen und Verortungen, Gerechter Frieden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-28715-3_3 33 34 Lothar Brock und Hendrik Simon kerrechtspolitik sprechen (vgl. Bogdandy 2006; Bianchi 2016, S. 44). Als Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags lässt sich also fragen: Gibt es so etwas wie eine deutsche Tradition im Völkerrecht? Welche Charakteristika können ihr zugeschrieben werden? Inwiefern also gibt es typisch „deutsche“ Zugänge zum Völkerrecht? Und – weil von einem monolithischen, starren Diskurs nicht auszugehen ist – wie haben sie sich im Verlauf der Moderne entwickelt und verändert? Im vorliegenden Beitrag soll diesen Fragen nachgegangen werden, indem wir uns – freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit – deutschen Völkerrechtsdiskursen zu Krieg und Frieden im Sinne einer modernen Genealogie der völkerrechtlichen Gewaltlegitimation zuwenden. Anstatt aber die Existenz einer einzigen deutschen Sprache des Rechts zu behaupten, verweisen wir vielmehr auf die Gleichzeitigkeit konkurrierender (und teils weitgehend vergessener) Dialekte und Akzente der deutschen Sprache des Rechts in der Moderne – wenn nicht gar auf mehrere deutsche Sprachen des Rechts: Wie wir zeigen, haben sich diese zum Teil in klarer kommunikativer Abgrenzung voneinander herausgebildet und miteinander um diskursive Autorität konkurriert. Dabei wurden sie von einer grundlegenden Problematik in der deutschen Geschichte geprägt: dem Problem souveräner Staatlichkeit beziehungsweise gesamtstaatlicher Handlungsfähigkeit. Im Umgang mit diesem Problem kommen unterschiedliche Vokabularien und Argumentationsweisen zum Zuge. 2 Konzeptionelle Vorüberlegungen: Politik, Recht und Gewalt im Völkerrechtsdiskurs Wissenschaftsdiskurse konstituieren sich durch wiederholten Bezug auf bestimmte Vokabeln. Wie Riten und Dogmen sind sie auf wiederholte Anwendbarkeit im Diskurs angewiesen: Ohne Die deutsche Sprache des Rechts 35 diese wiederholte Anwendbarkeit ist, so Reinhart Koselleck (2000, S. 14), eine „Ordnung […] – wie gefährdet auch immer – nicht zu haben“. Mit anderen Worten: Ein Diskurs hat immer eine Geschichte (vgl. Foucault 1973) – so verhält es sich auch mit den verschiedenen Sprachen des Rechts. Will man die Charakteristika eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses und der in ihm gesprochenen Sprache herausarbeiten, bietet es sich also an, nach Ursprung und Genese, Tradition und Modifikation der in einer Disziplin verwendeten Begriffe und Vokabeln, also nach ihrer Genealogie, zu fragen. Es geht darum, Regelmäßigkeiten zu identifizieren, anhand derer versucht worden ist, Ordnung in das Chaos der sagbaren Dinge zu bringen. Dabei bietet es sich an, einen disziplinären Diskurs zunächst anhand seines Ursprungs zu betrachten und davon ausgehend seine Genese. Mit der Geschichtlichkeit von Diskursen lässt sich zugleich auf ihre Konfliktträchtigkeit verweisen. Die diskursive Autorität von Vokabeln, Subjekten und normativen Quellen verändert sich: „Worte sind Politik. Wenn Begriffe sich ändern, werden Dinge, die bisher nicht gesagt werden konnten, von allen ausgesprochen […]“, so fasst es Koskenniemi (2009, S. 395) zusammen. Völkerrechtliches „Wissen“ ist also zeitgebunden und darüber hinaus eng mit der Geschichte und einzelnen politischen Problemfeldern verbunden, denn Recht ist aus politologischer Sicht zwar eine Ressource der Macht. Es kann aber als solche nur wirksam werden, solange es von seinen Adressaten als Recht anerkannt wird. Es besteht also ein dialektisches, geradezu schicksalhaftes Spannungsverhältnis zwischen Politik und Recht (vgl. Brock und Simon 2018): Während es die Hoffnung der liberalen Rechtstheorie im Sinne Kants ist, dass das Recht Frieden durch Überwindung von willkürlicher Gewalt schafft, verweist die kritische Rechtstheorie – im Sinne einer tief verwurzelten Dialektik der Aufklärung – darauf, dass das Recht immer ein Produkt politischer Gewalt 36 Lothar Brock und Hendrik Simon ist. Weil das Recht ein Ergebnis sozialer, wirtschaftlicher und politischer Konflikte darstellt, brennt sich Gewalt „schicksalhaft“ (Benjamin 1965 [1920/21]; Menke 2012) in rechtliche Ordnungen und die sie begleitenden wissenschaftlichen Diskurse ein. Oder, in freier Bezugnahme auf Foucault: Recht ist gewissermaßen „eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ (2009, S. 32). Besonders offensichtlich wird diese dialektische Verflechtung von Gewalt und Recht im Völker- und Verfassungsrecht: Das Verfassungsrecht hat sich aus der Legitimation von Herrschaft, das Völkerrecht aus der Legitimation einseitiger (willkürlicher) Gewaltanwendung entwickelt. Von der Lehre vom „gerechten Krieg“ (bellum iustum) bis zur UN-Charta ist die Frage nach der Legitimität von Gewalt die zentrale Frage des Völkerrechts geblieben. Dementsprechend drückt sich hier die Gewaltprägung des Rechts und seiner wissenschaftlichen Diskurse unmittelbar aus. Das gilt insbesondere und traditionell für deutsche Diskurse des Völkerrechts, die wie wohl keine andere nationale Rechtssprache von einem historisch begründeten Problemfeld betroffen waren: Der Realisierung von staatlicher Souveränität und, davon ausgehend, dem hochpolitischen Spannungsfeld zwischen nationaler Handlungsautonomie und internationaler normativer Ordnung. 3 Staatliche Souveränität als Grundproblem deutscher Völkerrechtsdiskurse In der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen gilt der dreigliedrige Westfälische Doppelfrieden von 1648 bekanntlich als Ausgangspunkt für das sogenannte „Westfälische System“ souveräner Staaten und damit als Beginn einer internationalen Ordnung im engeren Sinne. Mittlerweile ist dieses System und die These einer einschneidenden Zäsur von „1648“ in- Die deutsche Sprache des Rechts 37 und außerhalb der Disziplin aus guten Gründen hoch umstritten (vgl. Duchhardt 1999; Osiander 2001): Souveränitätslehren und -ansprüche finden sich weit vor den Friedensverträgen (vgl. Bodin 2005 [1576]), in letzteren allerdings weder eine positiv-rechtliche Festschreibung von staatlicher Souveränität noch der Nicht-Intervention. Eine klare Trennung zwischen staatlichem „Innen“ und „Außen“ lässt sich zudem erst im langen 19. Jahrhundert identifizieren (vgl. Vec 2016). Der Kontext des Westfälischen Friedens eignet sich aber dennoch – auch und gerade für die Herausbildung der deutschen Sprache(n) des Rechts – als ideengeschichtlicher Ausgangspunkt. Das Heilige Römische Reich war unfähig, die Zwischen-Mächte-Beziehungen (Steiger 2011) der deutschen Ständekorporationen effektiv zu ordnen und damit zu befrieden. Auch der Westfälische Frieden lieferte letztlich keine abschließenden politischen oder gar rechtlichen Antworten auf diese Problematik. In seinem Zentrum stand aber eben doch das für das moderne Völkerrecht so zentrale Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und internationaler Ordnung (Duchhardt 2018), und die Friedensverträge lieferten zumindest Ansätze für die Bearbeitung dieses Spannungsverhältnisses, indem sie einerseits die konfessionellen Parteien als gleichberechtigt anerkannten und andererseits reichsverfassungsrechtliche Vorkehrungen für die Befriedung neuer konfessioneller Streitigkeiten (die nicht lange auf sich warten ließen) trafen. Zudem behielten sich die Garantiemächte Frankreich und Schweden das Recht vor, im Falle einer scheiternden reichsinternen Befriedung erneuter Konflikte einzugreifen. Die Westfälische Gemengelage und die ihr zugrunde liegenden Konflikte waren für die Fortbildung der frühneuzeitlichen deutschen Rechtslehre entscheidend. Der Religionsfrieden steht also in erster Linie für eine „deutsche Friedenstradition“ (Westphal 2015) – auch wenn diese Friedenstradition im Reich Ergebnis der 38 Lothar Brock und Hendrik Simon Gewaltdynamik des Dreißigjährigen Krieges war (vgl. Tischer 2018, S. 35). Mehr noch, Koskenniemi zufolge erhielten die Europäer ihre „Sicht auf die internationale Rechtswelt“ aus dem Kontext der „Westfälischen Regelung“ (Koskenniemi 2006, S. 4). Als ersten Zeugen einer frühneuzeitlichen deutschen Rechtslehre lässt Koskenniemi den Lutheraner Samuel von Pufendorf (1632–1694) zu Wort kommen. Angesichts der „anarchischen Gesellschaft“ des deutschen Reiches als civitas composita (Koskenniemi 2006 unter Bezug auf Hedley Bull 1977) entwickelte Pufendorf im Anschluss an die westfälischen Friedensverträge eine Vernunftrechtslehre, die eine zunehmend rechtliche, ent-theologisierte Kooperation zwischen souveränen deutschen Fürsten in einer Rechtsordnung, die kein Staat war, in ihr analytisches Zentrum stellte. Pufendorf war – wie Koskenniemi (2006, S. 1) einräumt – keineswegs der einzige Autor, in dessen Schriften die ersten Spuren des modernen Völkerrechts identifiziert werden können. Die finden sich auch in der spanischen Spätscholastik, der vielleicht ersten völkerrechtlichen Denkschule überhaupt (Fassbender 2012, S. 2), und bei Grotius und Vattel. Für Koskenniemi boten Pufendorfs realistische Analysen des Heiligen Römischen Reichs aber ein erstes völkerrechtstheoretisches System im modernen Sinne: Menschliche Gemeinschaft, so Pufendorf, entwickle sich aus der vernünftigen Einsicht eigennütziger Akteure, ihre Ziele durch Kooperation effektiver erreichen zu können. Die Vokabeln für die notwendige Regulation stelle das Recht dar: „Recht, anstelle von Theologie oder Philosophie, erklärte die Realität einer fragmentierten Welt“ (Koskenniemi 2006). Die Analysen Pufendorfs und der ihm im 18. Jahrhundert nachfolgenden deutschen Juristen Thomasius, Pütter und Achenwall seien, so Koskenniemi (2011, S. 48), die ersten gewesen, die die Quadratur des Kreises von autonom handelnden Souveränen unter einer gemeinsamen Rechtsordnung hätten lösen können. Die deutsche Sprache des Rechts 39 In diesem Sinne „typisch deutsch“ war auch die Hinwendung zu einem an der Staatenpraxis orientierten Rechtspositivismus, den insbesondere der Göttinger Jurist Georg Friedrich von Martens (1756–1821) zu Beginn des „langen 19. Jahrhunderts“ (1789–1918) vertrat. Anknüpfend an Pufendorfs, Pütters und Achenwalls Arbeiten zum Reichsrecht systematisierte Martens das Völkerrecht, gegründet, wie er es nannte, auf „Verträge und Herkommen“ (von Martens 1796), also auf die rechtspolitischen Praktiken und diplomatischen Interaktionen der europäischen Souveräne. Als Reaktion auf die frühneuzeitlichen Konfessionsstreitigkeiten hatte sich in der Sprache der deutschen Völkerrechtslehre also ein grundlegendes Begriffspaar herausgebildet, das, wie oben bereits angedeutet, für die modernen rechtlichen Gewaltdiskurse konstitutiv bleiben sollte: Souveränität und übergreifende Rechtsordnung. Besonders deutlich zeigte sich dieses Spannungsverhältnis in (früh-)modernen Gewaltdiskursen. Weil in großen Teilen der rechtlichen ebenso wie der politischen Theorie die Lehre vom „gerechten Krieg“, jedenfalls im Hinblick auf das ius ad bellum, weitgehend aufgegeben wurde, allerdings kein positivrechtliches Kriegsverbot existierte, behaupteten Theoretiker nun zunehmend, dass ein europäischer Souverän in seinem politischen Willen zur Kriegsführung unbeschränkt sei (Spinoza 1677). Carl Schmitt (1888–1985) sah hierin später die Einführung eines „nicht-diskriminatorischen Kriegsbegriffs“, der den Beginn des „modernen Völkerrechts“ signalisiere (Schmitt 1950, S. 147). Er rekurrierte damit auf den „beiderseits gerechten Krieg“ (Gentili 1589), der in der frühen Neuzeit von Denkern in ganz Europa vertreten wurde. Während die Gerechtigkeit des Krieges in der Rechtstheorie also an Bedeutung verlor, lässt sich dies in der politischen Praxis der frühen Neuzeit gerade nicht beobachten: Kriege wurden weiterhin und regelmäßig mit Verweis auf einen „gerechten Grund“ legitimiert (Tischer 2012). Auch im 19. Jahrhundert bildete sich kein liberum 40 Lothar Brock und Hendrik Simon ius ad bellum heraus (Simon 2018), wie irrtümlich immer wieder behauptet wird. Vielmehr zeigte sich in der These vom „freien Recht zum Krieg“ eine „deutsche Wende“ im Völkerrecht, die im langen 19. Jahrhundert konkrete Gestalt annahm und zur Herausbildung zweier Linien des deutschen Völkerrechtssprechens führte. 4 Zwischen Kant und Clausewitz: Die Herausbildung zweier Linien des deutschen Völkerrechts-Sprechens im langen 19. Jahrhundert Die deutsche frühneuzeitliche Völkerrechtslehre meinte im natürlichen Vernunftrecht sowie, zunehmend, im positiven Recht das richtige Vokabular für die Regulation und Koordination der Zwischen-Mächte-Beziehungen im Reich und in Europa gefunden zu haben. Dabei ging allerdings (wie eben angedeutet) die Theorie an der politischen Praxis vorbei. Da die frühneuzeitliche Rechtslehre Souveränität und internationale Rechtsordnung für vereinbar und, mehr noch, für komplementär hielt, übersah sie die Notwendigkeit, an die Stelle der bellum iustum-Theorie eine rechtliche Befriedung zwischenstaatlicher Beziehungen durch völkerrechtliches Kriegsverbot zu setzen. So konnte von Martens (1796, S. 297) zwar mit guten Gründen die naturrechtlichen Rechtfertigungsnarrative revolutionärer Gewalt in Frankreich zurückweisen – ein neues rechtliches Vokabular zur Eindämmung der „Willkürfreiheit“ der Staaten im Umgang mit der Gewalt hatte er gleichwohl nicht anzubieten. Diese Innovation erbrachte an der Schwelle zum modernen Gewaltdiskurs wiederum ein Deutscher, nämlich Immanuel Kant (1724–1804), der im Gegensatz zu von Martens durchaus gewisse Sympathien für die Französischen Revolution hegte (wenngleich Die deutsche Sprache des Rechts 41 nicht mit ihrer gewaltsamen Expansion). Kant (2011 [1795]) konzipierte ein dreigliedriges öffentliches Recht, das das frühneuzeitliche Spannungsfeld zwischen staatlicher Handlungsautonomie und internationaler Ordnung zugunsten einer umfassenden Verrechtlichung zwischenmenschlicher Beziehungen auf staatlich-republikanischer, zwischenstaatlicher und kosmopolitischer Ebene auflösen sollte. In gewisser Hinsicht knüpfte Kant hierfür an die skizzierten deutschen Völkerrechtstraditionen der frühen Neuzeit an, indem auch er seinen Entwurf von 1795 in der typisch deutschen Sprache des öffentlichen (Verfassungs-)Rechts formulierte (vgl. Koskenniemi 2011, S. 64). Anders als die frühneuzeitlichen Völkerrechtler und anders auch als Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), der wiederum die staatliche Souveränität hervorheben sollte (1979 [1820]), glaubte Kant an die Möglichkeit, die willkürliche Gewaltanwendung durch positives Recht zu überwinden (ius contra bellum), also Frieden durch Recht zu schaffen. Von der Forschung bisher weitgehend verkannt, war Kants Entwurf eines „ewigen Friedens“ nicht erst für liberale deutsch(sprachig)e Völkerrechtler wie Hans Kelsen (1944) im 20. Jahrhundert, sondern bereits für liberale deutsch(sprachig)e Völkerrechtler im 19. Jahrhundert wegweisend. So strebte etwa der in Heidelberg lehrende Schweizer Johann Caspar Bluntschli (1808–1881), einer der Mitbegründer des Institut de Droit International (1873), wie Kant eine vollständige Verrechtlichung des Krieges im Sinne eines positiven ius contra bellum an: Krieg sei in „der Regel […] ein Rechtsstreit zwischen Staaten als Kriegsparteien über öffentliches Recht“ (Bluntschli 1868, S. 287). Zu rechtfertigen sei Krieg daher nur, so Bluntschli im Anschluss an Kant und gegen Clausewitz, „wenn und soweit die bewaffnete Rechtshülfe durch das Völkerrecht begründet ist“ (Bluntschli 1868, S. 287). Als bloßes Mittel der Politik sei der Krieg durchaus verwerflich. 42 Lothar Brock und Hendrik Simon Nicht nur ein genauerer Blick auf die völkerrechtlichen Gewaltdiskurse im 19. Jahrhundert, sondern auch auf die Staatenpraxis der Kriegslegitimation selbst zeigt, dass das sogenannte „freie Recht zum Krieg“ (liberum ius ad bellum) ein Mythos der Völkerrechtsgeschichte ist (Simon 2018). Mehr noch: Der völkerrechtliche Mainstream stand bereits im 19. Jahrhundert gegen den Krieg als Mittel der Politik – und für eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen im Sinne des deutschen Rechtsdiskurses nach Kant. Als Gegenentwicklung entstand aber eine zweite deutsche Sprache des Rechts, die sich ebenfalls zum Ende des 19. Jahrhunderts herausbildete: Verschrieben sich liberale Völkerrechtler einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen im Sinne Kants, so formulierten die Vertreter dieser zweiten Richtung eine eigene, auf Machtpolitik ausgerichtete Sprache des Rechts. Anlass für die Ausformulierung dieser realistischen Sprache des Rechts war die durch die deutschen Einigungskriege enorm gestiegene Machtposition des 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreichs. Bereits die gescheiterte Revolution von 1848 hatte eine Hinwendung einzelner deutscher Juristen wie Hermann Heller – sowie vornehmlich von deutschen Historikern – zum Machtstaatsprinzip und einer entsprechend konservativen Interpretation Hegels begünstigt: Die Schwäche Deutschlands in der „Westfälischen“ beziehungsweise „Wiener Ordnung“ sei durch eine starke, durch Krieg vereinte Monarchie zu überwinden (vgl. Carty 2008, S. 41). Nachdem diese Aufgabe mit den Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71 faktisch erfüllt worden war, spitzte sich in der Rechtslehre des Kaiserreichs das Spannungsverhältnis zwischen der nun gewonnenen Souveränität und politischen Macht einerseits und der internationalen Ordnung andererseits deutlich zu. Gut zu erkennen ist die Spaltung der deutschen Völkerrechtstheorie an zwei der einflussreichsten deutschen Lehrbüchern dieser Zeit: Auf der einen Seite stand das Standardwerk des Liberalen Die deutsche Sprache des Rechts 43 Franz von Liszt (1851–1919), auf der anderen Seite jenes von Emanuel Ullmann (1841–1913): Von Liszt beschrieb Krieg weiterhin, im Sinne von Bluntschli et al., als „ultima ratio zur Erledigung völkerrechtlicher Streitigkeiten“ (1898, S. 206), wobei er die Rationalität dieser „ultima ratio“ aber selbst bezweifelte. Auch für von Liszt konnte Krieg nicht aus machtpolitischen, sondern allein aus völkerrechtlichen Gründen legitimiert werden: Der wichtigste Grund war weiterhin Selbstverteidigung. Ullmann hingegen ging davon aus, dass kein souveräner Staat ein anderes Urteil über sein Vorgehen anerkenne als sein eigenes, und daher jeder Staat den anderen zur Herbeiführung des Krieges für befugt halte (Ullmann 1898, S. 313). Ullmann nahm also die Existenz eines „freien Rechts zum Krieg“ an. Entscheidend ist nun, dass Liberale wie von Liszt politisch weitgehend einflusslos blieben, während die konservative Völkerrechtspolitik des Kaiserreichs Juristen begünstigte, die den für die deutschen Diskurse seit Pufendorf typischen Dualismus von Souveränität und Rechtsordnung klar zugunsten eigenständiger Handlungsfähigkeit verschoben. Dabei handelte es sich häufig um Rechtswissenschaftler mit einer engen persönlichen und ideologischen Nähe zum deutschen Militär. Das zeigte sich praktisch darin, dass diese Juristen bei der Auswahl der beratenden oder diplomatischen Posten auf den Haager Friedens-Konferenzen (1899/1907) begünstigt wurden (vgl. Payk 2018, S. 58), und theoretisch darin, dass einige dieser Juristen aus einem empirischen Positivismus heraus Krieg mit direktem Bezug auf die Kriegskonzeption Carl von Clausewitz’ als Staatenduell definierten (in ihrem Kriegsenthusiasmus allerdings über Clausewitz deutlich hinausgingen). Der Krieg sei in der Tat eine Fortsetzung der Politik in anderer Form, schrieb der deutsche Völkerrechtler Karl Lueder (1834–1895). Er sei notwendig für die Erhaltung des Staates, mehr noch: er sei ein 44 Lothar Brock und Hendrik Simon „wahrer notwendiger Kulturträger“ (Lueder 1889, S. 203). Daraus entwickelte sich das Narrativ der Kriegsnotwendigkeit beziehungsweise der „Kriegsräson“, das in unterschiedlichen Ausprägungen (bei denen die Grenzen von ius ad bellum und ius in bello fließend sind) zu einem zentralen Vokabular nicht nur der realistischen deutschen Völkerrechtslehre wurde, sondern auch der von ihr beeinflussten deutschen Völkerrechtspolitik: Mit ihr wurden die völkerrechtswidrigen Angriffe auf Belgien und Luxemburg 1914 („Notstand“) ebenso wie die Verstöße gegen die Regeln des ius in bello, zum Beispiel in Gestalt der totalen Kriegsführung zur See oder in Südwestafrika, legitimiert, die im Ergebnis auf einen Völkermord an den Herero und Nama hinausliefen (Hull 2005; von Bernstorff 2018, S. 246). Wie es der deutsche Jurist Heinrich Rettich in einer Schrift von 1888 eindrücklich belegt, bildete sich die These vom liberum ius ad bellum erst in diesem Clausewitzianischen Umfeld des Deutschen Kaiserreichs heraus (vgl. Simon 2018). Erst durch ihre geschickte Weitergabe über Carl Schmitt, (den frühen) Hans J. Morgenthau (1904–1980) und Wilhelm Grewe (1911–2000) verschaffte sie sich als Mythos bis in die Gegenwart Eintritt in die völkerrechtshistorischen Diskurse. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch liberale Völkerrechtler des 19. Jahrhunderts Ideologien einer globalen Überlegenheit und Zivilisationsmission Europas anhingen. Sie gingen zudem in Abgrenzung vom Europäischen Konzert der Monarchien eine Liaison mit dem deutschen Nationalismus ein, wenn auch in moderater Form. So rechtfertigten liberale Völkerrechtler wie Bluntschli und Rudolf von Jhering die offensichtlich gegen die Normen der Wiener Ordnung verstoßenden deutschen Einigungskriege aus politischen Motiven – auch wenn sie damit im Grunde gegen ihre eigenen juristischen Lehren verstießen (Simon 2020). Das trug am Ende des langen 19. Jahrhunderts möglicherweise zur Dominanz der Clausewitzianer im Tauziehen Die deutsche Sprache des Rechts 45 zwischen denjenigen bei, die in der Tradition Kants ein Primat des Rechts vertraten, und denjenigen, denen es nach Clausewitz um den Primat der Politik ging. 5 Von der Rechtfertigung des Krieges zur Organisation des Friedens? Deutsche Rechtsdiskurse nach den Weltkriegen Grob gesprochen ließe sich argumentieren, dass die Herausbildung einer deutschen Rechtstradition zum Thema „Frieden durch Recht“ stark von der Position Deutschlands im internationalen System geprägt war und ist. Am Anfang war die Erfahrung der „anarchischen Gesellschaft“ (Bull 1977) des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Unter diesen Bedingungen war das große Thema, wie ein normativer Rahmen für eine „Staaten“-übergreifende Ordnung unter der Bedingung rivalisierender Autonomieansprüche aussehen könnte. Die Antwort war ein Pluriversum von prinzipiell gleichberechtigten Staaten, die sich als solche wechselseitig anerkannten und damit die Grundlage für eine Fortexistenz des Systems (auch im Krieg) schufen. Die Auflösung des alten Reiches und die Durchsetzung der deutschen Einigung im langen 19. Jahrhundert führten zu der geschilderten Aufspaltung des Rechtsdiskurses. Dabei gewann die Clausewitzianische Denkweise in der Politik des Deutschen Reichs – nicht aber in Europa – gegen Ende des langen 19. Jahrhunderts die Oberhand. „Not kennt kein Gebot“, so fasste Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in seiner Legitimation des völkerrechtswidrigen Einmarsches in Belgien den völkerrechtlichen Sonderweg Deutschlands zusammen. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die ihr folgenden Auseinandersetzungen um den Versailler Vertrag begünstigten die 46 Lothar Brock und Hendrik Simon Rückkehr zum Doppeldiskurs – jetzt in Gestalt eines Streits über die völkerrechtlichen Implikationen der Niederlage. Symbolfigur des einen Argumentationsstranges war Carl Schmitt. Er war ein scharfer Kritiker des Versailler Vertrages und der mit ihm (vermeintlich) einhergehenden internationalen Ordnungspolitik. Schmitt lehnte kosmopolitische Denkansätze in der Tradition Kants und universalistische Ordnungsansätze in der Form des Völkerbundes vehement ab, weil sie aus seiner Sicht einer Konsolidierung der Nachkriegsordnung als Herrschaft der Siegermächte dienten. Er plädierte nicht für die Rückkehr zur „Westfälischen Ordnung“, sondern trat für ein Arrangement ein, das die alte Staatenordnung durch ein Pluriversum von Großräumen mit einem Interventionsverbot für raumfremde Mächte ersetzen würde. Dieses Konzept, das er nach dem Zweiten Weltkrieg im „Nomos der Erde“ (Schmitt 1950) weiter ausarbeitete, berief sich auf die US-amerikanische Monroe-Doktrin von 1823, die aber – so Schmitt – durch die Gründung des Völkerbundes und speziell durch den Briand-Kellogg-Pakt von 1928 (trotz der Erwähnung der Doktrin in der Völkerbundsatzung) zugunsten eines global-imperialistischen Ordnungsansatzes zum Vorteil der Siegermächte aufgegeben worden sei. In Verbindung mit einer radikalen Kritik des Liberalismus und Parlamentarismus (Schmitt 1993 [1922]) führten Schmitts ordnungspolitische Vorstellungen letztlich in die völkerrechtliche Legitimation der nationalsozialistischen Großraumpolitik. Für die andere deutsche Sprache des Rechts (die sich in Österreich ausbildete und bald mit US-amerikanischem Denken verbinden sollte) stand Hans Kelsen (1881–1973) mit seinen Vorstellungen zu „Staat, internationale(r) Gemeinschaft und Völkerrecht“ (Brunkhorst und Voigt 2008). Während Schmitt den Krieg als notwendige Entscheidung unausweichlicher (wenn auch abgestufter) Feindschaften zwischen politischen Einheiten verstand, Die deutsche Sprache des Rechts 47 war er bei Kelsen einfach nur die „größte Schande unserer Kultur“ (Kelsen 1944, S. vii). Und er sah es als die vordringlichste Aufgabe an, diese Schande zu überwinden, da es so lange keinen wirklichen sozialen Fortschritt geben könne, so lange nicht eine handlungsfähige internationale Organisation entstehe, die den Krieg zwischen Staaten tatsächlich verhindern könne (vgl. Fassbender 2008, S. 127). Während der Völkerbund aus der Sicht Schmitts als Instrument zur dauerhaften Unterwerfung Deutschlands konzipiert worden war, sah Kelsen im Völkerbund einen vielversprechenden Anfang zur Konkretisierung der Idee Kants, Frieden durch Recht zu erreichen – aber eben nur einen Anfang, den es entschlossen auszubauen galt. Dazu gehörte als zentrales Element die Einrichtung einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit, in der er den Schlüssel zu einer Weltfriedensordnung sah. Seinen Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Völkerbundes lagen rechtstheoretische und -philosophische Überlegungen zugrunde, die in seine Lehre zum Völkerrecht als positivem Recht eingingen. Zentrale Botschaft dieser Lehre war, dass das Völkerrecht den Geltungsbereich des innerstaatlichen Rechts einschränke und darin die Hauptfunktion des Völkerrechts bestehe. Wie Kelsen später klarstellte, gelte dies sogar dann, wenn man den Vorrang des nationalen Rechts gegenüber dem Völkerrecht konzediere, da auch unter dieser Bedingung das Völkerrecht den Geltungsbereich des staatlichen Rechts beschränke und reguliere (dazu Hoss 2008, S. 153f.). Mitstreiter in der Sache wie Hans Wehberg (1885–1962) und Walter Schücking (1875–1935) teilten diese Auffassung Kelsens. Von der „realistischen“ Denkrichtung à la Schmitt wurde sie strikt zurückgewiesen. Auch methodisch wurde – wie schon im 19. Jahrhundert – wieder gestritten: Auf der einen Seite standen liberale Rechtspositivisten, auf der anderen Seite politisch und soziologisch argumentierende Juristen (vgl. Stolleis 2014, S. 100f.). Trotzdem gab es wie im späten 48 Lothar Brock und Hendrik Simon 19. Jahrhundert auch nach dem Ersten Weltkrieg Verbindungslinien zwischen den unterschiedlichen Denkrichtungen. Sie bezogen sich vor allem auf die Kritik einer einseitigen Zuweisung der Kriegsschuld an Deutschland durch den Versailler Vertrag und den sich daran anschließenden Paternalismus im Umgang mit Nachkriegsdeutschland. Auch Wehberg und Schücking erschien die Revision der Nachkriegsordnung als Voraussetzung für einen Wiederaufbau Europas (vgl. Lange 2017, S. 543). Darüber hinaus öffnete sich ein neuer Raum für die völkerrechtliche Kommunikation, wie Felix Lange (2017, S. 543) herausgearbeitet hat. Im Anschluss an Koskenniemi stellt er fest, dass bedeutende deutsche Völkerrechtler wie Georg Jellinek (1851–1911), Hans Kelsen und Erich Kaufmann (1880–1972) eher als ihre britischen oder französischen Kollegen geneigt waren, große rechts-philosophische Betrachtungen zum Völkerrecht anzustellen. Nach dem Ersten Weltkrieg, so beobachtet es Lange, setzte aber ein Wandel ein und zwar in der Form, dass sich neben den rechtstheoretischen und -philosophischen Kontroversen ein „practice turn“ in der deutschen Völkerrechtswissenschaft vollzog. Auch hier spielte die internationale Position Deutschlands eine wichtige Rolle. Es ging darum, die deutschen Interessen im Umgang mit den neuen Anforderungen der Nachkriegsordnung an die deutsche Politik wirkungsvoll zu vertreten (Lange 2017, S. 517). Man musste sich also mit der internationalen Völkerrechtspraxis vertraut machen, völkerrechtliche Entscheidungen sammeln und zugänglich machen sowie einschlägige diplomatische Korrespondenzen erfassen und Strategien zur Vertretung deutscher Interessen entwickeln. 1924 wurde zu diesem Zweck das Kaiser-Wilhelm-Institut für vergleichendes öffentliches Recht und Völkerrecht (KWI) gegründet, das nach dem Zweiten Weltkrieg wie andere Kaiser-Wilhelm-Einrichtungen zu einem Institut der Max-Planck-Gesellschaft mutierte. Die deutsche Sprache des Rechts 49 Die institutionelle Präsenz des deutschen Völkerrechts passte sich damit an die internationale Entwicklung an. Es erhielt eine Service-Funktion für die Politik, die eine Professionalisierung des Völkerrechts als Arbeitsfeld im Schnittpunkt zwischen Recht und Politik ermöglichte. Die Dienste des KWI wurden allerdings auch von den Nationalsozialisten in Anspruch genommen. Zudem hatte sein Direktor von 1944 bis 1946, Carl Bilfinger (1879–1958), der Weimarer Demokratie wenig freundlich gegenübergestanden – und das Reich neben Carl Schmitt und Erwin Jacobi im Prozess „Preußen gegen das Reich“ vertreten (vgl. Lange 2014, S. 705). Unter dem nachfolgenden Direktor, Hermann Mosler (1912–2001), gelang es dann offenbar, das KWI, nunmehr als Max-Planck-Institut, in die Neuordnung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg einzubringen. Im Windschatten dieser Entwicklung konnten sich auch Völkerrechtler, die sich dem Nationalsozialismus angedient hatten, neu etablieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg vervielfältigten sich die Anforderungen an das Völkerrecht im Vergleich zur Situation in den 1920er-Jahren. Und wieder ging es darum, die deutsche Position nach der Niederlage zu stärken. In diesem Sinne war das „unpolitische“ Völkerrecht hoch politisch: “By limiting oneself to strictly legal arguments, one tried to regain the trust of the Western world. […] For [Hermann] Mosler [the MPI director] the practice oriented method paved the way for the Federal Republic to become an equal international partner of the West” (Lange 2017, S. 554). Nach der erneuten Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde die Schmitt’sche Denkweise im Völkerrechtsdiskurs weitgehend marginalisiert. In leicht versteckter Form wirkte sie in der viel verwendeten Völkerrechtsgeschichte von Schmitts Schüler, Wilhelm Grewe, fort (vgl. Fassbender 2002; Simon 2018), während ein den Realismus neu begründender Denkansatz von dem vor den 50 Lothar Brock und Hendrik Simon Nationalsozialisten geflohenen Hans Joachim Morgenthau in den USA entwickelt wurde (Jütersonke 2010). Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Verbrechen verschob sich der Bereich des Sagbaren im Nachkriegsdeutschland aber eindeutig zugunsten von Rechtspositionen, die dem Gedanken des Friedens durch Recht (in Verbindung mit institutionalisierten Formen der internationalen Kooperation) verpflichtet waren (und eher jenen ebenfalls ausgewanderten Völkerrechtlern entsprach, die in den USA neu-kantianische Ansätze vertraten – allen voran Hans Kelsen). Das kam schon in der Arbeit des Parlamentarischen Rates und dem von ihm formulierten Grundgesetz zum Ausdruck. Im Einklang mit Kelsens Thesen zum Verhältnis von Völkerrecht und nationaler Rechtsordnung (s. o.) wurde das Völkerrecht durch Art. 25 Grundgesetz (GG) in die deutsche Rechtsentwicklung inkorporiert. Das heißt nicht, dass dem Völkerrecht Verfassungsrang (wie in Österreich) oder gar Überverfassungsrang (wie in den Niederlanden) zugewiesen wurde, wohl aber, dass „die allgemeinen Regeln des Völkerrechts […] unmittelbar Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden und dem deutschen innerstaatlichen Recht […] vorgehen“ (BVerfG 6, 309, S. 363). Dabei ging es nicht nur um die Berücksichtigung der einschlägigen normativen Vorgaben der UN-Charta, sondern auch um die Ausrichtung der deutschen Rechtsentwicklung an dem sich weiterentwickelnden Völkerrecht, einschließlich des Völkergewohnheitsrechts (vgl. Haedrich 2011; zu den Anwendungsgrenzen des Völkerrechts im deutschen Recht siehe Talmon 2013, S. 13ff.). Für die hier interessierende Thematik ist in diesem Zusammenhang das Verbot von Angriffskriegen (Art. 26, Abs. 1) von besonderer Bedeutung. Seine Aufnahme in das GG übersetzt die einschlägigen Bestimmungen des Kriegsächtungspaktes von 1928 und der UN-Charta (Art. 2, Abs. 4) in nationales Recht und leistet damit wiederum indirekt einen Beitrag zur Stabilisierung des ein- Die deutsche Sprache des Rechts 51 schlägigen Völkergewohnheitsrechts, in dem sich der Übergang des Völkerrechts vom Kriegs- zum Friedensrecht manifestiert (vgl. Bothe 2010). Darüber hinaus schreibt die Präambel des GG die Wahrung des Friedens als Rechtspflicht fest. Diese Rechtspflicht implizierte zunächst eine Abkehr vom nationalsozialistischen Denken; dann aber auch die aktive Teilnahme an der Friedensgestaltung jenseits des Rechts auf Selbstverteidigung. Diese Seite des Friedensgebotes als Staatszielbestimmung entwickelte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine erhebliche völkerrechtspolitische Brisanz wie im Folgenden in der gebotenen Kürze ausgeführt werden soll. 6 Die Entwicklung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: Verrechtlichung der internationalen Politik und Konstitutionalisierung des Völkerrechts Das friedliche Ende des Ost-West-Konflikts eröffnete neue Perspektiven für die Stärkung des Multilateralismus im Rahmen der Vereinten Nationen. Diese Perspektiven wurden vom UN-Generalsekretariat im Einvernehmen mit dem Sicherheitsrat in mehreren Agenden programmatisch ausformuliert. Dazu gehörte auch die „Agenda for Peace“, die darauf gerichtet war, die Handlungsfähigkeit der UN im Umgang mit nicht-internationalen Konflikten zu stärken, die nach dem Wegfall der militärischen Konfrontation zwischen den Supermächten als Hauptform militärischer Auseinandersetzungen gesehen und von einigen Beobachtern des Weltgeschehens übereilt als „neue Kriege“ klassifiziert wurden (vgl. Kaldor 1999; später Münkler 2002). An diesen Kriegen war wenig substantiell Neues, es handelte sich eher um alte Konflikte, die nach dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation sichtbar wurden oder 52 Lothar Brock und Hendrik Simon (insbesondere mit dem Zerfall des realsozialistischen Weltsystems) neu entstanden oder neu ausbrachen und, wie die meisten historischen Bürgerkriege, mit größter Grausamkeit geführt wurden. Diese innerstaatlichen Auseinandersetzungen wurden unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen zum Gegenstand einer breiten öffentlichen Debatte darüber, wie sich die internationale Gemeinschaft zu ihnen verhalten sollte. Sie verlangte auch vom vereinigten Deutschland einen Beitrag, von dem man sich nicht mehr durch eine bis dahin zuweilen praktizierte „Scheckbuch-Diplomatie“ freikaufen konnte. Wie dieser Beitrag aussehen sollte, war umstritten. Die Streitfrage, die die größte öffentliche Aufmerksamkeit fand, war inwieweit sich Deutschland an bewaffneten Auslandseinsätzen außerhalb des Verteidigungsfalles beteiligen dürfe, solle oder müsse. Eine Beteiligung an solchen Einsätzen erschien vielen als Bruch mit dem bis dahin vorherrschenden Selbstbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft als Nation, die ihre Lektion aus der eigenen Geschichte gelernt hatte. Aber aktiv zur Friedensgestaltung in der Welt beizutragen, wie es die Staatszielbestimmung verlangt, konnte (und kann) nur heißen, für eine angemessen institutionalisierte Weltordnung einzutreten, ohne dem tatsächlichen Konfliktgeschehen bis zur Erreichung dieses Ziels einfach nur zuzuschauen (vgl. Habermas 2000). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ging ziemlich weit in seinem Bemühen, die damit zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Fragen zu klären. Es verwies in seinem viel diskutierten Urteil von 1994 darauf, dass Art. 24 Abs. 2 GG dem Bund die Möglichkeit einräume, sich zur Wahrung des Friedens in Europa und in der Welt einem System kollektiver Sicherheit anzuschließen, also über den Geltungsbereich der direkten Selbstverteidigung hinaus sich notfalls mit Waffengewalt zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens zu engagieren (BVerfGE 90, 286 [355]). Die Crux war, dass das BVerfG nicht nur Die deutsche Sprache des Rechts 53 die UN, sondern auch die Nato als kollektives Sicherheitssystem identifizierte und damit den grundlegenden Unterschied zwischen einem kollektiven Sicherheitssystem und einem Bündnis ignorierte. Die Bedeutung dieses Unterschiedes kam im Kosovo-Krieg (1999) zum Ausdruck. Hier stellte sich die Frage, ob die Nato in Ersatzvornahme für die UNO handelte oder sich selbst eine Handlungskompetenz anmaßte, die die Autorität der UNO schwächte. Im deutschen Völkerrecht kursierte als Antwort auf diese Frage die Formel, der Kosovo-Krieg sei illegal, aber legitim gewesen (Simma 2000). Habermas bot die Möglichkeit an, den Krieg unter bestimmten Bedingungen als Vorgriff auf eine angemessen institutionalisierte Weltordnung zu begreifen (Habermas 2000). Es blieb aber in Fachkreisen wie in der Öffentlichkeit ein tiefes Unbehagen am Krieg gegen Serbien und an der deutschen Beteiligung an ihm – ein Unbehagen, dass auch im Bundestag artikuliert wurde und nur teilweise dadurch abgebaut wurde, dass die Organisation der Nachkriegsverhältnisse im Kosovo auf deutsches Drängen an den Sicherheitsrat zurück überwiesen wurde. Das Unbehagen steigerte sich im Kontext des von den USA angeführten Krieges gegen den Terror, der nach dem Einmarsch in Afghanistan zu einem heftigen Austausch zwischen US-amerikanischen (akademischen) Befürwortern des Krieges und kontinentaleuropäischen (überwiegend deutschen) Kritikern führte (vgl. Beestermöller et al. 2006). Die Kontroverse bewegte sich inhaltlich zwischen der vornehmlich von US-amerikanischer Seite betriebenen Wiederbelebung der Lehre vom „gerechten Krieg“ zur Legitimation unilateraler Gewaltanwendung (Elshtain 2002) und der von deutscher Seite betonten Notwendigkeit, den in der UN-Charta angelegten Multilateralismus zu stärken, wobei auch eine Kombination von beiden Positionen ins Spiel gebracht wurde. Nach dieser Vorstellung sollte die Lehre vom gerechten Krieg als Kriterienkatalog in die kollektive Friedenssicherung nach Kap. 54 Lothar Brock und Hendrik Simon VII UN-Charta zum Zuge kommen (Haspel 2017, S. 322). Die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 lehnte hingegen eine Berufung auf die Lehre vom „gerechten Krieg“ ausdrücklich ab und wies den mit dieser Lehre assoziierten Kriterien den Status einer allgemeinen Ethik der Gewaltanwendung (im Sinne „rechtserhaltender Gewalt“) zu (EKD 2007). Die unterschiedlichen Positionen trafen sich in einer relativ breiten Zustimmung zu der im Rahmen der UN formulierten Schutzverantwortung, soweit sie darauf ausgerichtet war, das friedenspolitische Dilemma humanitär begründeter Gewaltanwendung zugunsten einer Verfahrensweise zu entschärfen, bei der das militärische Eingreifen nur den letzten Schritt darstellen sollte. Vorrangig sind systematische Bemühungen um Prävention und nicht-militärische Hilfe für Regierungen, die ihrer Verantwortung zum Schutz der ihnen anvertrauten Menschen nicht nachkommen (vgl. Brock 2008). Es blieb aber letztlich dabei, dass von US-amerikanischer Seite eher der Einzelfall im Blick war, von deutscher Seite eher der Ausbau der kollektiven Friedenssicherung. Ein wenig plakativ ließe sich hier zwischen einer (US-amerikanischen) Auffassung unterscheiden, die das Völkerrecht vorrangig unter dem Gesichtspunkt einer Befähigung zum Handeln betrachtet, und einer ihr entgegenstehenden (deutschen) Auffassung, die eher die Eingrenzung des einzelstaatlichen Handelns durch das Völkerrecht im Blick hat. Diese zweite Perspektive setzte auf eine mit der Globalisierung voranschreitende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen bis hin zur Konstitutionalisierung des Völkerrechts. Als Illustration dieser Entwicklung sei hier auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im März 2019 zur Klage von drei Jemeniten gegen den Einsatz von US-amerikanischen Kampfdrohnen im Jemenkrieg verwiesen. Das Gericht entschied, dass die Bundesregierung künftig dafür Sorge tragen müsse, dass Kampfdrohnen, die über die US-Airbase im rheinland-pfälzischen Die deutsche Sprache des Rechts 55 Ramstein gesteuert werden, keine völkerrechtswidrigen Einsätze fliegen (Urt. v. 19.03.2019, Az. 4 A 1361/15). 7 Konstitutionalisierung des Völkerrechts – noch ein deutsches Idiom? Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen hat eine empirische und eine normative Seite. Was die empirische Seite betrifft, so beobachten ihre Vertreter eine fortschreitende Ausdifferenzierung des Rechts als Regulativ staatenübergreifender Beziehungen, die – in Übereinstimmung mit dem von Mosler im Max-Planck-Institut lancierten Ansatz (s. o.) – zunächst als Herausbildung einer faktischen internationalen Rechtsordnung verstanden werden kann (vgl. Lange 2017, S. 552f.). Die normative Seite der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen knüpft an das rechtspazifistische Konzept Kants an (vgl. Habermas 1996). Es wirft die Frage auf, inwieweit die Ausdifferenzierung der faktischen Rechtsordnung auch eine Annäherung an eine internationale Rechtsstaatlichkeit („International Rule of Law“) mit sich bringt und damit einzelstaatlicher Willkür wirkungsvolle Grenzen setzt. Es geht hier also um die Normativität des internationalen Rechts. Dieser Aspekt steht im Mittelpunkt der Konstitutionalisierungsdebatte (vgl. Klabbers et al. 2011). Armin von Bogdandy hat in einem Aufsatz darauf hingewiesen, dass es nicht angemessen wäre, in der Konstitutionalisierung des Völkerrechts eine spezifisch deutsche Idee erkennen zu wollen. Allerdings seien deutsche Völkerrechtler (und Vertreter der Internationalen Beziehung) besonders stark an der Idee interessiert (vgl. von Bogdandy 2006, S. 223f.). Er konstatiert für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts den Übergang von einer „gedämpften“ Form des Konstitutionalismus, wie sie von Mosler vertreten wurde, 56 Lothar Brock und Hendrik Simon zu einer normativ anspruchsvollen Version, etwa durch Christian Tomuschat (1999), „die für das Verständnis vieler Gelehrter in der deutschsprachigen Welt repräsentativ“ sei. Im Zentrum stehen hier Kernelemente des internationalen Rechts (Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit), die (wie bei Kelsen) alle Formen politischer Macht ansprechen und begrenzen. In der Gestalt von Rechtsnormen bilden sie ius cogens und gelten erga omnes. In welche Richtung die Entwicklung geht und welche konkrete internationale Ordnung solche Normen zur Geltung bringen kann, ohne demokratische Ansprüche an die Legitimation von Politik zu gefährden (vgl. Maus 2015), darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Das gilt sowohl für die Einschätzung der faktischen Konstitutionalisierung (vgl. Klabbers et al. 2011) als auch für ihre Chancen als normatives Projekt (vgl. zur Kritik Fischer-Lescano und Teubner 2006). Mit Blick auf die gegenwärtige Entwicklung scheint die Frage, ob die Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit auf staatenübergreifender Ebene sich in einer Phase des „rise or decline“ befindet (vgl. Krieger und Nolte 2016) im Sinne des „decline“ beantwortet zu werden. Zwar könnte die Kritik, dass es sich bei der Konstitutionalisierung um ein hegemoniales Projekt der liberalen Demokratien handele (vgl. Krisch 2010), angesichts der Fragmentierung des „Westens“ an politischer Bedeutung verlieren. Das würde dann aber möglicherweise auch heißen, dass die ganze Konstitutionalisierungsidee als solche an Bedeutung verliert. Bogdandy kommt zu dem Ergebnis, dass es keinen Grund dafür gibt, ein wissenschaftliches Projekt aufzugeben, nur weil es politisch als unattraktiv erscheint (vgl. von Bogdandy 2006, S. 241). Dem ist zuzustimmen. Es macht einen Unterschied, ob internationale Ordnungsvorstellungen an Schmitt und seine Idee einer globalen Großraumordnung anknüpfen oder an Kants Projekt einer globalen Friedensordnung. Im Lichte der grundlegenden Grenzen Die deutsche Sprache des Rechts 57 aller Bemühungen, dem Frieden durch Verrechtlichung auf die Sprünge zu helfen, erscheint es allerdings umso sinnvoller und dringlicher, das Konstitutionalisierungsprojekt mit dem Auf- und Ausbau ziviler Konfliktbearbeitung zu verbinden. Das ist in Deutschland unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft in beachtlichem Maße gelungen – zumindest was die Schaffung einschlägiger institutioneller Kapazitäten und die Einbeziehung der zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention in die „Hohe Politik“ anbelangt. Aber auch die zivile Konfliktbearbeitung ist kein Selbstläufer. Und dort, wo es um die Verbindung zwischen der zivilen Konfliktbearbeitung und der internationalen Rechtsordnung als normativem Projekt geht, sträubt sich die Bundesregierung hartnäckig, rechtsverbindliche Regeln für den Beitrag der Wirtschaft zur materiellen Friedenssicherung und zum Schutz der Menschenrechte zu akzeptieren. Daran hat die Verabschiedung des Aktionsplanes der Bundesregierung für zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung im Jahr 2004 (vgl. Debiel 2004, S. 259) offensichtlich nichts geändert. In den 2017 verabschiedeten außenpolitischen Leitlinien der Bundesregierung zum Thema „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden födern“ (die den Aktionsplan von 2004 ablösen), werden die Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern (Weltwirtschaft, Klimawandel) zwar angesprochen. Hier wie auch bei der Evaluierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr dominiert aber das bisherige Ressortdenken, das einer systematischen Reflexion der deutschen Rolle bei der Entwicklung von Krisen im Wege steht (Finck-Krämer 2017). 58 8 Lothar Brock und Hendrik Simon Fazit: Reflexiver Umgang mit einer in sich spannungsreichen Rechtstradition Gibt es also, wie einleitend gefragt, eine deutsche Tradition im Völkerrecht? Die Frage ist mit aller Vorsicht zu beantworten; denn, wie wir zu zeigen versucht haben, kann man im deutschen Sprachraum eher die Herausbildung eines mehrsprachigen Völkerrechtsdenkens beobachten. Das ist auch in anderen Länder so, die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Sprechtraditionen scheinen in der deutschen Tradition aber besonders groß, weil es in der Auseinandersetzung mit der sich wandelnden deutschen Position in der internationalen Politik immer wieder zu einer Polarisierung des Rechtsdenkens zwischen Kantianern und Clausewitzianern beziehungsweise Schmittianern gekommen ist. In dieser Polarisierung schlägt sich möglicherweise die historische Hypothek des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (mit dem besonders ausgeprägten Spannungsverhältnis zwischen Souveränität und internationaler Rechtsordnung) nieder. Im späten 19. Jahrhundert haben sich die Clausewitzianer im Wechselspiel mit der politischen Praxis durchgesetzt, nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verschob sich das Denken zugunsten von Ansätzen, die an Kant anknüpften. So hat der Diskurs über die Konstitutionalisierung des Völkerrechts, der durch einen starken philosophischen Kosmopolitanismus sekundiert wurde, in Deutschland ein besonders ausgeprägtes Echo gefunden. Das hat viel mit der Verarbeitung der deutschen Geschichte zu tun und der Notwendigkeit, die deutsche Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in der radikal veränderten weltpolitischen Situation neu zu verorten. Mit den sich heute vollziehenden globalen Machtverschiebungen auf der einen Seite, dem zunehmenden innerwestlichen Populismus und Nationalismus auf der anderen, ist das Vertrauen in die friedensstiftende Funk- Die deutsche Sprache des Rechts 59 tion einer fortschreitenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen erneut starken Belastungen ausgesetzt. Kritische Positionen aus demokratietheoretisch oder systemtheoretisch informierter Sicht stellen nicht das normative Anliegen der Konstitutionalisten in Frage, sondern kritisieren deren schwachen Begriff von Volkssouveränität (vgl. Maus 2015) oder die Vorstellung einer zunehmenden Einheit des Rechts unter einer Weltverfassung (vgl. Fischer-Lescano und Teubner 2006). Anders verhält es sich mit realistischen Einwänden, die den Anhängern der Idee eines Friedens durch Recht vorwerfen, sich Wunschträumen hinzugeben, die nur im Schatten der US-amerikanischen Hegemonie gedeihen konnten (vgl. Herdegen 2018). Thilo Marauhn und Judith Thorn (2017) plädieren demgegenüber für eine Anpassung der Erwartungen an das Mögliche, aber ohne Abkehr von dem Projekt einer „international rule of law“. In diesem Stand der Debatte manifestiert sich auch eine gewisse Unsicherheit über die Position Deutschlands in einer internationalen Konstellation, die durch Umbrüche ohne Aufbrüche in eine friedensdienliche Richtung gekennzeichnet ist. Sie verlangt eine Neubestimmung der deutschen Verantwortung als großes europäisches Land, das mit seiner in sich spannungsreichen Rechtstradition reflektiert umgeht, also die Ambivalenz des Rechts als unverfügbarer Schranke der Willkür und als essentiellen Teil von Machtbeziehungen anerkennt, statt das Recht auf den einen oder anderen Aspekt zu reduzieren (Brock und Simon 2018). 60 Lothar Brock und Hendrik Simon Literatur Beestermöller, Gerhard, Michael Haspel und Uwe Trittmann (Hrsg.). 2006. „What we ’re fighting for“ – Friedensethik in der transatlantischen Debatte. Stuttgart: Kohlhammer. Benjamin, Walter. 1965 [1920/21]. Zur Kritik der Gewalt. In Walter Benjamin. Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, 29–65. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 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