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Figuren, Symbolik und Emblematik in Oetingers „signatura rerum“

S. Holtz-G. Betsch-E. Zwink (hrsg.), Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702-1782), Steiner, Stuttgart 2005, pp. 231-249.

Durch seine identitätsphilosophische Konzeption einer symbolischen Darstellung, in der das Allgemeine und das Besondere absolut eins sind, eines Sinnbildes, das nach dem Muster der griechischen Mythologie intransitiv und anschaulich, natürlich und lakonisch ist, setzt Schelling, vor allem in der Philosophie der Kunst, eine vom ontologischen Dualismus befreite Welt voraus und glaubt, sein Problem der Versinnlichung, der "Realpräsenz" der Ideen in Bildern lösen zu können. Im Gegenteil zum Schema und zur Allegorie bedeutet das Sinnbild nicht, aber ist, und dadurch sowohl der schlechten Unendlichkeit der Auslegung als auch dem logischen Konventionalismus ausweicht. Mit diesem Sinnbildbegriff -und Sinnbild ist genau das Wort, durch das die deutschsprachige Kultur das holländische Wort "Sinne-beeld", d.h. emblema übersetzt 1 -, macht er vielleicht unbewuβt einige wichtigen Wendepunkte nutzbar (z.B. das Primat des auβerdiskursiven Verstehens, die Traditionalisierung der emblematischen Bilder, die ideale Priorität und semantische Unabhängigkeit der pictura, usw.) und mindestens drei Traditionen zusammenfaβt 2 , d.h. die ontologische Vollkommenheit des Naturorganismus, den semantischen Selbstbezug der Naturzeichen (signatura rerum) und zuletzt die synästhetische Anschaulichkeit des (als Denkform und nicht nur als Kunstform verstandenen) barocken Emblems. Aber Schelling bezieht sich nicht sowohl auf die bekannten Quellen der emblematischen Denkform und der Imprese-Kunst (Heraldik-Mode und ponderacion misteriosa, Hieroglyphen-Kult und Tradition des mundus symbolicus, Hypostasierung des tropologischen Sinnes und in Realienbücher kristallisierte alte Ethik), sondern vielmehr auf die emblematische Theologie und auf den biblischen Realismus Friedrich Christoph Oetingers, dessen Werke er schon als Junge kannte, und auf den er sich ständig berief (besonders 1802-1815 unter Pregizers und Baaders Einfluβ), auch wenn er seine Quellen verheimlichte, indem er besonders in den Weltaltern unbestimmt von "Alten" sprach. 3 Offenbar ist, daβ Schelling durch diese Suche nach einem gleichsam gleichzeitig selbstdarstellenden und selbstauslegenden Zeichen eine schon seit Jahrhunderten obsolet gewordene analogische episteme geltend macht.

Tonino Griffero Figuren Symbolik und Emblematik in Oetingers “signatura rerum” Durch seine identitätsphilosophische Konzeption einer symbolischen Darstellung, in der das Allgemeine und das Besondere absolut eins sind, eines Sinnbildes, das nach dem Muster der griechischen Mythologie intransitiv und anschaulich, natürlich und lakonisch ist, setzt Schelling, vor allem in der Philosophie der Kunst, eine vom ontologischen Dualismus befreite Welt voraus und glaubt, sein Problem der Versinnlichung, der “Realpräsenz” der Ideen in Bildern lösen zu können. Im Gegenteil zum Schema und zur Allegorie bedeutet das Sinnbild nicht, aber ist, und dadurch sowohl der schlechten Unendlichkeit der Auslegung als auch dem logischen Konventionalismus ausweicht. Mit diesem Sinnbildbegriff – und Sinnbild ist genau das Wort, durch das die deutschsprachige Kultur das holländische Wort “Sinne-beeld”, d.h. emblema übersetzt Stegemeier, Henri: Sub verbo “Sinnbild”. In: Penkert, Sibylle (Hg.): Emblem und Emblematikrezeption. Vergleichende Studien zur Wirkungsgeschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert. Darmstadt 1978, S. 23-29. –, macht er vielleicht unbewuβt einige wichtigen Wendepunkte nutzbar (z.B. das Primat des auβerdiskursiven Verstehens, die Traditionalisierung der emblematischen Bilder, die ideale Priorität und semantische Unabhängigkeit der pictura, usw.) und mindestens drei Traditionen zusammenfaβt Griffero, Tonino: Senso e immagine. Simbolo e mito nel primo Schelling. Mailand 1994, S. 133-208; Moiso, Francesco: Idee in Schelling. In: Fattori, Marta/Bianchi Massimo Luigi: Idea. VI Colloquio Internazionale. Rom 1990, S. 375-81., d.h. die ontologische Vollkommenheit des Naturorganismus, den semantischen Selbstbezug der Naturzeichen (signatura rerum) und zuletzt die synästhetische Anschaulichkeit des (als Denkform und nicht nur als Kunstform verstandenen) barocken Emblems. Aber Schelling bezieht sich nicht sowohl auf die bekannten Quellen der emblematischen Denkform und der Imprese-Kunst (Heraldik-Mode und ponderacion misteriosa, Hieroglyphen-Kult und Tradition des mundus symbolicus, Hypostasierung des tropologischen Sinnes und in Realienbücher kristallisierte alte Ethik), sondern vielmehr auf die emblematische Theologie und auf den biblischen Realismus Friedrich Christoph Oetingers, dessen Werke er schon als Junge kannte, und auf den er sich ständig berief (besonders 1802-1815 unter Pregizers und Baaders Einfluβ), auch wenn er seine Quellen verheimlichte, indem er besonders in den Weltaltern unbestimmt von “Alten” sprach. Griffero, Tonino: Oetinger e Schelling. Teosofia e realismo biblico alle origini dell’Idealismo tedesco. Segrate 2000, S. 15-31. Offenbar ist, daβ Schelling durch diese Suche nach einem gleichsam gleichzeitig selbstdarstellenden und selbstauslegenden Zeichen eine schon seit Jahrhunderten obsolet gewordene analogische episteme geltend macht. 1. Biblischer Realismus und emblematische Theologie bei Oetinger Aber Oetinger selbst verteidigt eine antimoderne und antirationalistische Forderung nach altmodischen Lehren, wie Emblematik, Alchemie und Kabbalah, und hat 1776 anonym (wegen des infolge der Swedenborg-Affaire von Konsistorium auferlegten Publikationsverbots) ein riesiges Biblisches und Emblematisches Wörterbuch veröffentlicht, das die hermeneutische Unrichtigkeit aller Interpretationen zeigen wollte, die, wie die rationalistisch-neologische Hermeneutik Bes. Teller, Wilhelm Abraham: Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christlichen Lehre. Berlin 1772., die Hl. Schrift von jedem Verstöβ gegen die “gesunde” aufklärerische Vernunft reinigen sollten “Ich liebe die geometrische Accuratesse, aber nicht die Ueberdeutlichkeit, den sie thut Schaden” (Wörterbuch I: 161)., überhaupt von jeder Art von Sinnlichkeit, die Teller als eine überflüssige, rhetorische und jüdisch-orientalische Erbschaft und die Oetinger dagegen als die richtigste Ausdrucksart betrachtet (Metaphysic 601-15; SS II 6: 472). “Jesum ehrt man, wann man glaubt: er habe am vernehmlichsten geredt, und zwar in orientalischen kurzen Worten, die den Sinn nicht zerstreuen” (ibid.: 4). Aber das Projekt einer emblematischen Theologie übertrifft freilich diese kontingente Polemik, wie deutlich aus der Tatsache hervorgeht, daβ es sich auf zwei viel älteren (und besonders von van den Honerts Emblematik beeinfluβten) Entwürfe beruft Oetinger, Friedrich Christoph: Reden nach dem allgemeinen Wahrheits-Gefühl... Tübingen 1759, S. 899-1064. und auf ein Prinzip stützt, das ihm zwar sowohl gefestigt als auch allgemein zeitwidrig (Wörterbuch I: 83; Leben 720) scheint: “es wäre nichts erwünschters für die Liebhaber der Wahrheit, als daβ jemand eine ganze Theologiam emblematicam ausarbeitete, weil Gott seine an sich unbegreifliche Wirkungen meistens in der heiligen Schrift durch Sinnbilder abmahlt” (Wörterbuch I: 393). Seine Vorliebe für die (auch auf die Musik angewandte) Breymayer, Reinhard: Zu Friedrich Christoph Oetingers emblematischer Musiktheorie. In: BWKG [Blätter für württembergische Kirchengeschichte] 76 (1976), S. 130-75. emblematische Denkform, die er ausdrücklich gegen einen miβverstandenen Platonismus (Theologia I: 66; Wörterbuch I: 64) und den von Wolff und Leibniz repräsentierten Idealismus (nach denen die Dinge nichts anderes als phoenomena regulata und die geistige Ereignisse sogar nichts als neue Vorstellungen sind), gegen den Gnostizismus des Kerinth (nach dem der Leib Christi eine bloβe Erscheinung, ein corpus phantasticum ist) und eine vom Teufel veranlaβte und schwärmerische Neigung zur Bildlichkeit (Wörterbuch I: 33-34, 53; Swedenborg: 275; Theologia I: 186; Selbstbiographie 47) geltend macht, kurz gegen jenen Puritanismus der Einbildungskraft (Swedenborg: 363), der die geistleibliche Methode Gottes verkennt und die biblische Dinge nur als Schein-Dinge begreift (SS II 6, 473; Wörterbuch I: 403), ist übrigens schon in seiner Interpretation der sogenannten Turris Antonia erkennbar, d.h. einer von Antonia von Württemberg angeregten kabbalistischen Tafel (Dreifaltigkeitskirche, Bad Teinach), die freilich – sowohl von der tiefen Struktur Betz, Otto: Vom unerschaffnen Lichte. Die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia in Bad Teinach. Metzingen 1996. als auch vom Geist her, mit dem sie erschaffen wurde – auf die damalige emblematische, aber auch alchemische und kabbalistische Kultur zurückzuführen ist. Breymayer, Reinhard: Friedrich Christoph Oetingers Theologia Emblematica und die Lehrtafel der Prinzessin Antonia von Württemberg (Lehrtafel I: 2-3), sieht in der Tafel den Einfluβ von Alciatus, Andreas: Emblematum liber. Augsburg 1531; Spener, Philipp Jakob: Insignium theoria.… Frankfurt a. M. 1690; Hugo, Hermann: Pia desideria... Antwerpen 1624. Repr. Nachdruck hg. von E. Benz. Hildesheim-New York 1971, Saubert, Johann und Ebermaier, Johann: New Poetisch Hoffnungs-Gärtlein... Tübingen 1653. Ohne Zweifel ist die Gottheit “mehr einer lebendigen Quelle als einer gemahlten [stillstehenden] Tafel ähnlich”, und die Turris Antonia selbst nichts anderes als “ein dunckles Wort, ein stillstehend Gemähld”, aber “der Geist und die Begierde des Lebens muβ es in euch zu einer beweglichen springenden Quelle machen”, zu einer “sichtbare[n] Predigt” (Lehrtafel I: 90-91). Selbstverständlich ist jedoch diese emblematische Theologie keine Erfindung Oetingers; weder als die künstlerisch-didaktische Gattung, die die interkonfessionelle (sowohl monastische als weltliche, sowohl katholisch-jesuitische als reformierte) Neigung zur Meditation zu einem (obgleich zur unio mystica und visio nur propädeutischen) weniger instrumentalen Training als den ignatianischen exercitia spiritualia macht, noch als das autonome und ausdrücklich spekulative Projekt (z. B. Maximilian Sandaeus Sandaeus (Sandt), Maximilian van der: Theologia simbolica... Mainz 1626. , Antonius Driessen Driessen, Antonius: Diatribe de principiis et legibus Theologiae Emblematicae, Allegoricae, Typicae et Propheticae. Utrecht 1717. und besonders andere von Coccejus beeinfluβten Autoren Faulenbach, Heiner: Weg und Ziel der Erkenntnis Christi. Eine Untersuchung zur Theologie des Johannes Coccejus. Neukirchen-Vluyn 1973, S. 66-79. wie Henricus Groenewegen Gro[e]newegen, Henricus: Hieroglyphica... S’-Gravenhage 1693. ), das in der Regel im Rahmen des heterodoxen Protestantismus (sei es rosenkreuzerischen, Schenkfeldschen oder pietistischen) Höpel, Ingrid: Emblem und Sinnbild. Vom Kunstbuch zum Erbauungsbuch. Frankfurt a. M. 1987, S. 215-16, Anm. 364. sehr geschätzt war, und das auf die Kodifizierung in emblematischen Bildern der bis zu der Zeit noch flüchtigen Phänomenologie (Erlebnisse und Visionen) der alten und mittelalterlichen Mystik Benz, Ernst: Einführung in die emblematische Mystik und in das vorliegende Werk. In: Hugo (wie Anm. 10), S. X. gerichtet war, indem es angesichts pädagogisch-andächtiger Gründe der Gefahr des Ikonoklasmus zuvorkam (Daniel Cramer, Johann Mannich, Johann Saubert und Daniel Sudermann). Cramer, Daniel: Emblemata sacra... Frankfurt a. M. 1622; Mannich, Johann: Sacra Emblemata... Nürnberg 1625; Saubert, Johann: Duodekas Emblematum sacrorum. Nürnberg 1625-1630. Nachdruck mit einem Nachwort von D. Donat. Hildesheim-New York 1977; Sudermann, Daniel: Schöne auβerlesene Sinreiche Figuren... Frankfurt a. M. 1622-1628. Im Grunde genommen ist auch Oetingers vorwiegendes Interesse für den sprachlichen Bestandteil des symbolisch-emblematischen Motivs keine Neuigkeit Die emblemata nuda, die das rhetorische Prinzip der varietas delectat aufheben (Schöne, Albrecht: Emblematik und Drama. Im Zeitalter des Barock. München 1964, S. 19), sind noch Embleme, aber nur in einer “nachikonographischen Emblematik” (Breymayer, Reinhard: Friedrich Christoph Oetinger und die Emblematik) (Wörterbuch II: 63, auch 45)., d.h. für die ausschlieβlich dem im Wort versteckten Sinn zugeschriebene Sinnbildlichkeit. Es handelt sich dabei um eine weitverbreitete Einstellung, die nicht so sehr auf die aufgeklärte Furcht vor dem exzentrischen Potential der Bilder, sondern vielmehr a) auf finanzielle Schwierigkeiten der Verleger, b) auf die Norm, die die emblematische Allegorese mit der “ideeller Priorität” auch einer einzigen (abgebildeten oder nicht) res significans verbindet Warncke, Carsten-Peter: Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1987, S. 169. , aber besonders c) auf das Bedürfnis nach reiner mentalischen (mnemotechnischen) Funktionalität der Embleme zurückzuführen ist, deren mögliche textuelle Diskursivität auf jeden Fall vom Interpret in pictura, inscriptio und subscriptio umgewandelt werden soll. Nach Saubert, z.B., muβ man in einem “Gemähld / nicht zwar äusserlich / oder vor Augen / sondern innerlich in die Hertzen durch das Gehör” den Sinn abmalen. Saubert, Johann: Geistliche Gemaelde... Nürnberg 1652, Bl. VIIIr. Obgleich Oetinger die generelle reformierte Tendenz verfolgt, die die homiletische Handlung (subscriptio) in der synästhetischen Richtung verstärkt (Mimik, optische und klangvolle Wirkungen usw.) und das kunstvolle emblematische Buch in einem Erbauungsbuch verwandelt Peil, Dietmar: Zur «angewandten Emblematik» in protestantischer Erbauungsbüchern. Dilherr-Arndt-Francisci-Scriver. Heidelberg 1978., durch das der Prediger keine himmlische Dinge gleich ex abrupto beschwört (vgl. Lehrtafel II: 25), führt seine realistische Perspektive jedoch durch die Verwertung nicht der pictura als eines unabhängigen und gegebenenfalls “künstlerischen” Bestandteils innerhalb des Emblems sondern der allgemeineren signatura naturalis, dazu, daβ sie berechtigerweise unter jene Einstellung fällt, die in der Emblematik etwas mehr als die Fortsetzung der thomistischen analogia entis, d.h. die Entdeckung eines verborgenen und vom Schöpfer nach einem bestimmten heilsökonomischen Plan in einem Teil der Wirklichkeit (oder in etwas, das mindestens eine “potentielle Faktizität” hat) Schöne (wie Anm. 18), S. 27, und Daly, Peter M.: Emblem theory. Recent german contributions to the characterization of the emblem genre. Nendeln/Liechtenstein 1979, S. 41 und ff. eingeführten Sinnes sieht. In dieser heilsökonomischen Emblematik steht offenbar auch das Moment der Belehrung, der didaktischen Unterweisung durch Kopfembleme in Fragen der christlichen Lebensführung im Vordergrund. Im Gegenteil, was Oetingers Projekt wirklich zu einem Charakteristikum macht, ist seine allgemeine realistische Voraussetzung, die gründlich die Struktur selbst der reformierten Emblematik ändert, die normalerweise jeden autonomen bedeutungsvollen Wert des Reales widerrufen will Greschat, Martin: Die Funktion des Emblems in Johann Arnds “Wahrem Christentum”. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 20 (1968), S. 161. und eine hinreichend positive Funktion des irdischen Seins ablehnt. Nur innerhalb der anti-idealistischen Theosophie Oetingers in der Tat “hängen eng miteinander das Projekt einer emblematischen Theologie und die theologische Hochschätzung der Leiblichkeit zusammen”. Breymayer (wie Anm. 10) (Lehrtafel I: 1). Gerade das unterliegende Prinzip der ganzen barocken Emblematik (d.h. die Verleiblichung des Geistes und die Vergeistigung des Leibes) und seine Allgemeingültigkeit (nulla res est sub Sole quae materiam Emblemati dare non possit) Balbinus, Bohuslaus: Verisimilia Humaniorum Disciplinarum... Augsburg 1710, S. 234. ist bei Oetinger eng mit der unablässigen theosophischen Thematisierung der Geistleiblichkeit verbunden, die hauptsächlich biblisch “Die heiligen Männer fliehen die abstracte Erklärung wie Pest, sie geben ihren Ideen einen Leib, aber einen solchen, der nicht in die Sinnlichkeit führt” (SS II 6: 334)., aber auch natürlich und menschlich ist, weil sie den “mundus archetypus im göttlichen Logos und in der Sophia” mit “d[em] archetypische[n] Bild der Wahrheit” im Menschen verknüpft Häuβermann, Friedrich: Theologia emblematica. Kabbalistische und alchemistische Symbolik bei Fr. Chr. Oetinger und deren Analogien bei Jacob Boehme. In: BWKG 68-69 (1968-69), S. 224., so daβ Oetinger einer der emblematischen Denkform entsprungenen Anregung folgt, die in Holland von Johannes van den Honert Honert, Johann van den: Institutiones theologiae typicae, emblematicae et propheticae. Leiden 1730. und später von Jacobus Masen Masen, Jakob: Speculum imaginum veritatis occultae… (1650). Köln 1693. entwickelt wurde (ohne Zweifel zwei Bezugsfiguren für Oetingers realistische Auffassung des Emblems). Honert (wie Anm. 28), S. 168, und Masen (wie Anm. 29), S. 7. Gerade hier entstehen doch die ersten Schwierigkeiten, da der berechtigte Zweifel am symbolischen oder allegorischen Charakter der von diesen zwei Autoren Hardmeier, Ursula: Einleitung zu F. C. Oetinger, Biblisches und emblematisches Wörterbuch. Diss. Heidelberg 1973, S. 6. gesammelten Embleme unvermeidbar auch Oetingers Denkstruktur betrifft. Er führt zwar das Material der Embleme in erster Linie auf die Dingen und die Ereignissen des liber naturae (emblematica naturalis, die auch die natürlichen Ereignisse der Hl. Schrift umfaβt) und nur in zweiter Linie auf die biblischen Ereignissen zurück (emblematica artificialis scripturae sacrae). Auβerdem lehnt er im strengsten Sinne die Theorie des Emblems als aliquid excogitabile ab, die wahrscheinlich auf die Unfähigkeit des modernen Interpreten zurückführbar ist, einen unmittelbaren und natürlichen Hinweis hinter der scheinbaren Willkürlichkeit des Bildes zu sehen, und vertraut auf eine symbolische und relativ von der Bemühung des nachgrübelnden Subjekts unabhängige Offenbarung. Aber: obgleich sich dieser Ansatz der (schellingschen) Symbolik nähert, scheint die Breite und Bestimmtheit der sprachlichen subscriptio, die, gleichsam das Mögliche verwirklichend Tesauro, Emanuele: Il cannocchiale aristotelico... Venedig 1663, S. 613., die Bedeutung des im Wörterbuch fehlenden und allerdings an sich mehrdeutigen Bildes Le Moyne, Pierre: De l’art des devises. Paris 1666, S. 41. festsetzen will und durch die der Prediger daher die Anwendung seiner Grundsätze ihrem Schicksal nicht überlassen kann Innocenti, Loretta: Vis eloquentiae. Emblematica e persuasione. Palermo 1983, S. 95 ff., eher auf die Allegorie als auf die (nach der Auffassung der Goethe-Zeit) prinzipielle Unerschöpflichkeit des Sinnbildes anzuspielen. Trotz dieser Neigung zur sprachlich enträtselnden Tötung des Bildes, wenigstens seiner Mehrdeutigkeit Cherchi, Gavina: Tra le immagini. Ricerche di ermeneutica e iconologia. Siena 2002, S. 46-78. , betonen wir nicht vor allem das voraussehbare Schwanken Oetingers zwischen Sinnimmanenz und Sinntranszendenz. Der Prälat ist zwar weit davon entfernt zu sagen, daβ die Schrift kein emblematisches Rätsel und daher keine Allegorie enthält (Metaphysic 26; Wörterbuch I: 266; Abhandlung 17), und scheidet nur zu oft das Eigentliche und Wörtliche von dem, was wegen der menschlichen Dürftigkeit oder Überheblichkeit aber auch der inneren göttlichen Unbegreiflichkeit symbolisch-emblematisch notwendig ist “Wenn der Geist Gottes unsere Schwachheit voraus siehet, eine Sache nach dem innersten Grund zu begreifen, so nimmt er Sinnbilder und Gleichnisse zu Hülfe”. “Gott kan nicht alles mit klaren unverblümten Worten aussprechen, wie wir auch Bilder wählen uns verständlich zu machen, darum sind so viel Gleichnisse und Sinnbilder in heiliger Schrift”. “In der heiligen Schrift, die sonst sehr eigentlich redt, kommen viele rätzelhafte Worte aus. Petrus sagt: Wir sehen durch ein Glas im dunklen Ort und Wort. […] Jesu hat nicht auf alles directe geantwortet, um die Leute im Nachdenken zu üben. Also hat alle Rede Gottes etwas zuruck, das wir dorten erst ganz verstehen. […] Jesus redete viel durch Gleichnisse, nicht nur um des Volks willen, sondern weil gewisse Dinge nicht können ausgesprochen werden, wie sie seyn” (Wörterbuch I: 107, 348, 266)., unter (Wörterbuch I: 416 ff.). Tatsächlich schildert er z.B. in allen Details, was in der Offenbarung sinnbildlich oder eigentlich ist – eine Trennung, die leider die Eigenartigkeit seiner Lehre schon veringert. Aber sein eigenartiger Beitrag zur Emblematik darin besteht, daβ das Emblem als rhetorisches exemplum nach ihm ein Bild ist, das im Gegensatz zur Allegorie und Tropen überhaupt auf einen Sinn nicht verweist, sondern diesen Sinn selbst ist; es ist anders gesagt etwas, das seinen Sinn nicht stift, sondern ihn offenbart und daher die übliche intellektuelle Befriedigung und hybris der Entschlüsselung mildert. Es folgt daraus, daβ auch der bildliche Ausdruck, den die Schrift gleichsam wegen ihres semantisch-ontologischen Surplus “Es will also die Schrift lieber sinnbildlich mehr sagen, als mit den Philosophen ohne Bild zu wenig” (ibid.: 384). gebraucht und der nur al belehrende Wiederholung und zufällige Anwendung auf die verschiedenen Sehepunkten der Leser und neue historische Situationen verstanden wird, immer den eigentlichen voraussetzt, d.h. jenes unverblümte und deutliche Wort Gottes, das die “Hauptsache” selbst ist (SS II 6: 441-2) und sich auch hinter dem geheimnisvollsten Emblem versteckt (Wörterbuch I: 348). Also darf Niemand das Bildliche zum Vorwand seines Unverständnis nehmen, weil man sicher sein kann, “daβ die wichtigsten Dinge, welche durch Verblümung oder metaphorisch geschrieben sind, auch mit eigentlichen Worten anderswo […] vorgetragen seien” (SS II 6: 416). Mehr: gerade wo man das Buchstäbliche willkürlich metaphorisiert, so entwickelt sich der Antichrist (Theologia I: 186). Gegen diese eigentliche “Pestilenz unserer Zeit” (Swedenborg 298), diejenige allegorisierenden Interpreten, die im Jenseits “mit tausend eigenen Geburten ihrer Phantasie gestraft werden” (SS II 6: 473), verteidigt Oetinger eine heute als beschreibende und gemeinsinnliche Ontologie bestimmte Methode: O ihr Puritaner in eurer Einbildung! Machet nur eine Erklärung davon, daβ kein Bild hinein komme? Ihr könnt es nicht. Ihr müβt materialische Bilder haben […] Ihr müβt oben, unten, und mitten, Licht, Finsternis, auch in geistlichen Wesen concipiren, wie Jesus Christus. Könnet ihr sie gleichwol hernach noch reiner ausdrücken, so ist es gut, aber ihr gewinnt nichts damit. Ihr könnt, weil ihr Fleisch und Blut seid, doch ohne Figuren nicht reden. […] Inzwischen wenn man alle anthropopatischen Worte wollte in den reinen unbildlichen Verstand bringen, wo käme es hin? Es liefe zulezt alles auf ein Nichts hinaus. […] Wir sind Menschen, und haben keine Engels-Zungen (Swedenborg 363-4). Jesus braucht selbst solche Gleichnisse […], da es heiβt, ohne Gleichnisse habe er nichts geredt zu dem Volck, nicht als ob er dem Volck nicht auch gegönnet hätte, das Geheimniβ des Reichs der Himmel zu wissen, sondern weilen man nichts in die Leute bringen kan, wenn sie nicht vorher acht geben auf die Bilder der Natur, welche ihnen täglich in die Augen stossen (Wörterbuch I: 379). Jeder gemeiner Mann, der nicht studirt hat, hat das Recht, aus der vorleuchtenden Weisheit auf der Gasse, die Worte der heil. Schrift in den bekanten Dingen, dergleichen die Sprüche Salomo seyn, nach der gemeinsten Bedeutung im menschlichen Leben zu erklären. Die Weisheit gibt ihm diβ Recht, wie sie ihm das Recht gibt, ehe seinen eigenen als eines andern Augen zu trauen. Mit diesen Augen siehet er blau als blau, und grün als grün an, anderst kan er nicht (Abhandlung 18). Da ist alles determinirt, pünctlich, präcis zu verstehen; da ist ein Hund ein Hund und eine Kaze eine Kaze; da ist ein Wolf ein Wolf und ein Lamm ein Lamm. Wenn es heiβt: Wölfe werden bei den Lämmern wohnen, da ist es wahrhaftig so zu verstehen und nicht nur so, daβ ein Oberamtmann und ein Superintendent werden gute Freunde sein (SS II 6: 473). Aber natürlich diese anfangs gemeinsinnliche Auslegung läβt plötzlich einer übersinnlichen den Vortritt. Einen berühmten leibniz-wolffschen Beispiel anführend, ist der Regenbogen kein Scheinding und nicht einmal “nur ein Bild, sondern Gottes Offenbarung stellt uns dar die Originalien dieser Dingen in sich selbst, und so sind viele Bilder zu nehmen” (Wörterbuch I: 397). Eine Geistleiblichkeit, die ausserdem eine ganz andere Voraussetzung als die gemeinsinliche erfordert (“Es sind leiblich-geistliche Wesen […] Bist du im Geist, so wirst du es verstehen, bist du im Fleisch, so weichst du aus”) (ibid.: 418) und die jedoch prinzipiell als Trennwand von Göttlichem und Menschlichen nie und nimmer beseitigt werden kann, denn “wann wir auch Gott sehen, wie er ist […], so werden wir Gott doch nicht als unendlich, sondern immer unter körperlichen Gestalten sehen” (ibid.: 419). Kurz gesagt: man darf nicht metaphorisch etwas verstehen, das auch eigentlich, in wörtlichem Sinn verstanden werden kann (Abhandlung 24). Und um so weniger auf Befehl der Philosophie: “was nur nach der Philosophie unmöglich, das ist nicht gleich verblümt oder sinnbildlich zu nehmen” (Wörterbuch I: 425). “Wo man nicht auf der proprietate Verborum Dei besteht, so ist kein wahrer Fried in der Seele” (Lehrtafel I: 169). Das, was aber offenbar nicht immer für die menschliche und daher willkürlichere Bildlichkeit gilt, da wir z.B. Böhme nicht ganz eigentlich lesen müβen: “man nimmt [seine] grobe Bilder an und removirt sie hernach wieder, wenigst spiritualisiert man sie” (ibid.: 179). 2. “Daβ die Materie oder die Erde solle so viel zu bedeuten haben”: geistleibliche Figuren Im Bereich einer Philosophie, die mit der biblischen Hermeneutik übereinstimmt (“Exegesis ist die höchste Philosophie”) (Lehrtafel I: 152) und deren bedeutungsvollstes und zusammenfassendstes Lexikon aber das “Vaterunser” (Matth. 6, 9-13) bleibt, weiβ Oetinger, daβ er sein Wörterbuch nur als vorläufiges Hilfsmittel in einer dürftigen Zeit betrachten kann, und damit auch, daβ die “Dinge der Welt” nur als “Embleme der gereinigten Vorwürfe in jener Welt” (SS II 6: 210) fungieren. Wir sind nämlich in Erwartung der messianischen Wiederbringung aller Dinge, einer “reinen Sprach”, die “unter allen Nationen” (Zeph. 3, 9) (Wörterbuch I: 3) gemein ist, und eigentlich, wörtlich wie eine wahrhaftige signatura rerum gilt, d.h. wie “eine Wissenschaft, das Unsichtbare aus den sichtbaren Geschöpfen durch den Verstand zu ersehen, und die ewige Kraft und Göttlichkeit aus der Natur zu erblicken” (Metaphysic 17). Doch hat sich dieser nur “respectuese[…] Versuch, nicht mehr und nicht weniger zu denken, als wir im Wort sehen, bis die Zeit Rosen bringt” (Wörterbuch I: 6), als unentbehrlich erwiesen, um sich den “Spitzfindigkeiten der Partheyen” (ibid.: 3) und überhaupt den genau entgegengesetzten Forderungen zu widersetzen, einerseits spiritualistisch von dem “wörtlichen Verstand [der] heiliger Schrift” zu abweichen (z.B. die hieroglyphische Deutung Swedenborgs und der Schwärmer überhaupt) Griffero (wie Anm. 3), S. 149-247., andererseits die Hl. Schrift “nach der heutigen vermeintlich demonstrirten Art” (ibid.: 433) zu lesen. Hardmeier, Ursula: Friedrich Christoph Oetingers Kampf gegen “falsche Schriftauslegung” (Wörterbuch II: 108-28); Präger, Lydia: Die Auslegungsprinzipien Friedrich Christoph Oetingers nach seinen Predigten. In: Michel, Otto/Mann, Ulrich (Hgg.): Die Leibhaftigkeit des Wortes. Festgabe für A. Köberle. Hamburg 1958, S. 107-20. Da er hingegen gleichzeitig sowohl die natürliche paulinische Theologie als auch das alchemisch-hermetisches Prinzip der Hoch/Niedrig-Entsprechung “Sonsten haben wir aus Röm. I [1,19 ff.] wohl zu merken, daβ die unsichtbare[n] Dinge Gottes in den sichtbaren genau abgedruckt seyen. Das Obere ist wie das Untere, und das Untere wie das Obere; desswegen ist es so unbegreiflich nicht, Gottes Offenbarung aus dem Geschöpfen zu vernehmen” (Wörterbuch I: 246-7). hervorhebt, stützt Oetinger auf den Isomorphismus zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem – alchemisch: das opus verursacht innere und äuβere Prozesse der Materie – die Möglichkeit selbst der Emblematik “Die Unsichtbarkeiten Gottes seyn schon in den Geschöpfen abgebildet durch die Signaturen und Abzeichnungen in den Leibern; denn der Geist kan nicht gesehen werden als durch Figuren in den Leibern” (ibid.: 333-4)., indem er sowohl Bengel als auch Newton “Neuton, der gröste Philosoph, studirte mehr in diesen Emblematis der Schrift als in der Mathematic” (ibid.: 429). Griffero (wie Anm. 3), S. 249-304, und Breymayer (wie Anm. 18) (Wörterbuch II: 53-54). zu den Vorläufern der emblematischen Auslegung der Schrift zählt. Aber wie entwickelt sich eine richtige emblematische Exegese? 1) Zuerst muβ man wie Coccejus (Swedenborg 126) die vierfache Natur der Schrift in Betracht ziehen, d.h. ihre intensive (mikrokosmische Verdichtung), extensive (Übereinstimmung zwischen Ganzem und Teilen), protensive (künftige Gültigkeit), und geistige (Anwendbarkeit auf jede geistige Situation) Bedeutung; mehr: man muβ sie zugleich logisch und “ästhetisch” annehmen “Da wird Empfindung und Verstand ein einig Wesen” (Wörterbuch I: 8)., um die von Paulus geforderte (Ephes. 4, 3-5; aber auch Joh. 17, 21) und heutzutage von den “Idealisten, die die wesentliche körperliche Offenbarung verläugnen”, leider als “Schwärmerey” (Wörterbuch I: 5) stigmatisierte geistige Einheit zu erfüllen. 2) Ausserdem soll man in die “verborgenen Aussichten” eindringen, und schlieβlich 3) die “Aehnlichkeit der Consequenzen im Ganzen” (ibid.: 4) untersuchen, indem man darauf achtgibt, keinerlei Elemente zu beseitigen, z.B. die zahlreichen realistischen und sachlich-massiven Begriffe, die der “Wolffische[n] Vernunft” (ibid.: 416), dem intellectus purus derer, die “metaphorisch verstehen, das proprium für Sensus nihili halten” (Swedenborg 254), entgegengesetzt zu sein scheinen. Man könnte also behaupten, daβ die Akkomodationslehre bei Oetinger einer ontologischen Drehung darin entgegengeht, daβ sie sich mehr auf die sachliche Anpassung des Geistes der Leiblichkeit als auf die nur sprachliche Anpassung der Bedeutung dem Sprachgebrauch bezieht. Auf jeden Fall holt Oetinger stets die Überlegenheit des wörtlichen Prinzips, d.h. des biblischen Realismus, wieder: die bildliche Bedeutung wird nur dann zur Hilfe gerufen, wenn der eigene und buchstäbliche Sinn und die vorherige Begriffe unzureichend sind, m.a.W. nur wenn man sich deutlich auf ein noch nicht anschauliches “System der zukünftigen Welt” (Wörterbuch I: 431) beruft. Wenn aber die auszulegende Sache geistleiblich ist, soll auch die clavis hermeneutica geistleiblich sein. Es geht darum, Teil der göttlichen Natur zu werden, die Erbschaft des Leibes und des Blutes Christi zu empfangen, d.h. Teil jener Leiblichkeit, in der das Göttliche ohne ontologiche Verminderung erscheint, und die sich nicht, im Gegensatz zu traditioneller Emblematik, in eine bloβe Verweisungsfunktion auflöst. Der hermeneutische Zirkel (die “Analogie»”), der auf den ersten Blick die göttlichen Werke (das Buch der Natur) und Worte (das Buch der Schrift) auf die gleiche Ebene stellt, betrachtet streng genommen, wie der Biblizismus Bengels verlangt, das heilige Buch, das eigentliche und organische “Lagerbuch der Welt” oder mundus portabilis (SS II 6: 404), als einzigen autorisierten Interpret sowohl der Geschichte als auch der Natur (Wörterbuch I: 4; SS II: 1, 309; II: 4, 460). Dieser Zirkel, der nur von den Seligen im Himmel völlig verstanden werden kann, bleibt dennoch auf der Erde nichts weiteres als das Ziel einer ununterbrochenen exegetischen Bemühung, um der Hauptabsicht Gottes und deshalb der biblischen Sinnlichkeit “Weil Gott geoffenbaret ist im Fleisch, durch die Auferstehung JEsu alles körperlich und sinnlich vor aller Kreatur darzustellen, wie die Stadt GOttes Off. 21.22 ganz sinnlich ist” (ibid.: 9). zu entsprechen (aber ohne die Überforderung, die “Lücken alle Metaphysisch auszufüllen”; Wörterbuch I: 82). In diese allgegenwärtige Geistleiblichkeit, die in den sieben (nach Böhme und die kabbalah) innergöttlichen Quellgeistern und überhaupt in den zahlreichen leiblichen Gestalten der Offenbarung zu finden ist, und vor allem das “ästhetische” und sogar synästhetische Leben des Jenseits (“ein Schauspiel aller Ergötzlichkeiten”) (ibid.: 417-8) kennzeichnet “Sie denken, in der unsichtbaren Welt seye alles geistlich, da doch hören, schmecken, fühlen, riechen, essen, trinken, viel eigentlicher allda vorgeht, als in dieser untern Welt. Diese wissen nicht, was geistlich ist. Geistlich ist auch leiblich, aber unbefleckt, unverweβlich, unverwelklich (1Petr. 1, 4)” (ibid.: 417). Benz, Ernst: Urbild und Abbild. Der Mensch und die mythische Welt. Gesammelte Eranos-Beiträge. Leiden 1974, S. 131-195; Griffero, Tonino: Il paradiso dei «sensi». Geistleiblichkeit e millenarismo estetico. In: Un nuovo corso per l’estetica nel dibattito internazionale. Annali A.I.S.E. Turin 1998, S. 209-18; Ders.: L’ “estetica” teosofica di Friedrich Christoph Oetinger. Einl. zu Oetinger, Friedrich Christoph: Pensieri sul sentire e sul conoscere. Übers. und hg. von T. Griffero. Palermo 1999, S. 7-43., hat die leere Vernunft bestimmt keinen Zutritt. Notwendig ist dagegen ein geistiger Geschmack, der wie in der mystischen Tradition der geistigen Sinne Griffero, Tonino: I sensi di Adamo. Appunti estetico-teosofici sulla corporeità spirituale. In: Rivista di estetica 39 (1999), S. 189-206. immer in Beziehung zu irgendeiner Leiblichkeit gebracht wird. “Wann wir erkennen, wie wir von GOtt erkannt seyn, so werden wir GOtt doch nicht als unendlich, sondern immer unter körperlichen Gestalten sehen” (Wörterbuch I: 419). Nachdem wir den vom Stoizismus und Tertullian entlehnten Prinzip der emblematischen Theologie hervorgehoben haben – “es wäre auch unmöglich, Emblemata von unsichtbaren Dingen zu geben, wenn unsichtbare Dinge keine Leiblichkeit hätten. Man sage mir, ob man einen Geist als ein ganz immaterielles Wesen denken kan?” (ibid.: 405) –, bleibt es nicht anderes übrig als die konkrete Bedingung der Möglichkeit der Sinnbildlichkeit festzusetzen, wenn auch im Bewuβtsein, daβ sich die vier teilweise von Masen entlehnten Quellen (1. das Geschöpf als Abbild des Göttlichen, 2. Klassifikation durch Vergleich, 3. absoluter oder relativer Gegensatz, 4. zu der Gleichheit hinspielende Worte) Oetinger (ibid.: 427-8) entlehnt diese Quellen von Masen (wie Anm. 29), S. 662-670: 1) fons proportionatum, 2) fons oppositorum, 3) fons alienatum (aber Oetinger zieht die zweite und dritte Gruppe zu einer zusammen), 4) fons allusionum. Vgl. Hardmeier (wie Anm. 31), S. 831-834, und Wörterbuch II: 299. gegenüber der Allgegenwärtigkeit des Göttlichen immer als unzureichend erweisen. “Nun kan man gewisse Regeln von Sinnbildern zu geben versuchen, aber da der Geist Gottes alles in allem durchsieht, und sein perspectivisch Gemäld von A biβ O hinaus führt, so ist schwer vollständige Regeln zu geben” (Wörterbuch I: 429). Es ist demzufolge natürlich, daβ Oetinger dem Hyper-Symbolismus z.B. Swedenborgs, d.h. derjenigen, die letzten Endes zu sehr Rationalist sind, um sich nicht verpflichtet zu fühlen, alle die Elemente in die allegorisch-unkörperliche Dimension zu verbannen, die zu massiv sind, um philosophisch möglich scheinen (ibid.: 425), eine buchstäbliche Einstellung (ibid.: 421) und eine “wesentlich[e]” Auffassung (ibid.: 420) entgegensetzt, die notwendig sind, denn sie haben immer mit “geistleibliche[n] Gegenstände[n]” zu tun (ibid.: 422). Auch wenn Oetinger die allegorische und die realistisch-eigentliche Bedeutung des Sinnbildes nicht immer genau und konsequent unterscheidet (die Episode, in der Johannes ein Buch oder besser eine Buchrolle iβt (Hes. 2, 8 ff.), um zu prophezeien, z.B., wird manchmal als symbolisch und manchmal als überhaupt nicht symbolisch gehalten) (ibid.: 425, 422), ist es hinreichend klar, daβ die Sinnbilder etwas anderes als die “verblümte[n] Reden, Gleichnissen, Rätzeln, Fürbildern” (ibid.: 420) sind: obwohl die Sinnbilder von den Vorbildern eigentlich verschieden sind, weil sie “auf ein gegenwärtig vorliegenden Zustand” und nicht auf zukünftige Zustände gehen (ibid.: 430), können oft auch Vorbilder oder Typen sein; normalerweise sind sie allerdings Ausdrücke, die in einer besonders bündigen Weise imstande sind, sehr ausgedehnte Zeitperioden “in eine[m] kleinen Raum und Bild” zusammenzufassen (ibid.: 424), und die aber “mit sinnlichen Worten auf den wesentlichen physischen Grund” gehen (ibid.: 200). Überhaupt müβten die Sinnbilder oder emblemata, wegen ihrer “Uebereinkunft mit den Sachen” (ibid.: 428) von den viel willkürlicheren Hieroglyphen unterschieden werden, die “ex insitituto libero, ohne gewisse Gleichheit entstehen” (ibid.), und daher auch von den als Gestalten der individuellen und rhetorischen inventio begriffenen Impresen. Pinkus, Karen: Picturing silence. Emblem, language, counter-reformation materiality. Ann Arbor 1996, S. 129-158. Wo es klar ist, daβ die Kunst hier noch keine Fortsetzung der natürlichen Produktivität mit anderen Mitteln ist, da sie einen beschränkten menschlichen Symbolismus hervorbringt, die einem kosmischen Exemplarismus gegenüber notwendigerweise mangelhaft scheint. Überhaupt gesagt ist nach Oetinger endlich Gott selbst der Archiemblematiker Breymayer (wie Anm. 18), S. 52, Anm. 66. (und nicht nur nach der Schöpfung) Wie bei Harsdörffer, Georg Philipp: Frauenzimmer Gesprechspiele... Nürnberg 1643-1649 (Nachdruck Tübingen 1968-69), IV, S. 177. und die Wirklichkeit selbst Emblem. Piepmeier, Rainer: Aporien des Lebensbegriffs seit Oetinger. Freiburg/München 1978, S. 380. Die Sinnbilder oder Embleme müβten andererseits auch von den prophetischen Fürbildern unterschieden werden, nach einer Demarkationslinie, die sich denjenigen biblischen Bildern gegenüber als sehr problematisch erweist, die – gleichzeitig Gegenwart und Zukunft umfassend – einmal als Symbole und einmal als Beispiele dienen können (ibid.: 430-1). Kurz: die mehr oder weniger entwickelten und in die Traktaten der Emblematik des siebzehnten Jahrhunderts eingemündeten Vorschriften lösen sich daher in der tieferen theosophischen aber auch logisch mangelhaften Richtung Oetingers (“weil geistliche Sachen nicht geometrisch abgegrenzt, sondern ineinander fliessen”) (ibid.: 430). Da die Embleme die ontologische Verwandschaft zwischen den Bildern und den natürlichen Dingen zeigen, ohne Anlaβ zu ausgangslosen reflektierenden Schlüssen zu geben, weil sie ausserdem einfach und unmittelbar sind, “wie in der Architectur alles leicht gefaβt und in Arithmetica figurata alles im Augenblick verstanden wird” (ibid.: 432), da sie letzten Endes nützlich und notwendig sind, wie alles, was mehr dem sensus communis und der patriarchalen Physik als den angeblichen und ferner durch täuschende Geräte wie Mikroskope und Teleskope ausgeführten “neue[n] Decouverten” (ibid.) angehört, so sind die Embleme sinnlich-massiv und bündig “Emblema heiβt ein Bild, das dem Aug als eine Tafel und Gemähld vorgelegt wird, die Aehnlichkeit oder Uebereinkunft der Eigenschaften an dem Bild mit der Sache leicht zu behalten. Diese Bilder müssen bestimmte, der Natur anhangende, meistens allen bekannte Eigenschaften haben und nicht nur spielende oder veränderliche Gleichheiten der Worte und der Sache an sich tragen. Sie müssen durch weniges Nachsinnen eine wahren Sinn geben und eine Sache kurz und wohl zusammen gefaβt ins Gesicht stellen» (Wörterbuch I: 428-29). Z. B.: «Die Treue einer Mutter, die viel Mühe hat mit der Auferziehung ihrer Kinder, wird kurz und leicht vorgestellt, wenn kleine Hünlein der alten Henne über den Hals und Rucken laufen; da heiβt es dann: Dulce pati, es ist süβ diβ zu leiden» (ibid.). Vgl. Breymayer (wie Anm. 18) (Wörterbuch II: 62-4). genau wie die Zeichen der überhaupt nicht abstrakten hebräischen Sprache. Dessenungeachtet, gerade als Oetinger in der Lage gewesen wäre, das gerechte Verhältnis zwischen claritas und Rätselhaftigkeit Reimmann, Jacob Friedrich: Poesis Germanorum Canonica & Apocrypha... Leipzig 1703, S. 86. innerhalb des Emblems zu klären, bleibt Oetinger leider bei einem allzu allgemeinen Anspruch auf ein vernünftiges aber auch irenisches Wechselverhältnis. Er beharrt allenfalls auf der Tatsache, daβ die emblematische Kunst nicht nur aus zusammengedrängten Bilder besteht, die zeitlich und räumlich ausgedehnte Ereignisse darstellen; diese sei nur die Aufgabe der theologia emblematica artificialis scripturae sacrae, aber nicht der theologia emblematica naturalis (Metaphysic 17-19), d.h. der alten aber besonders von Paracelsus, Böhme und Crollius entwickelten (und zum Teil von Swedenborgs Theorie der correspondentiae widerrechtlich angeeigneten) Lehre der signatura rerum. Durch diese kann jeder grundsätzlich “die ewige Kraft und Gottheit aus der Natur [...] erblicken” (ibid. 17) “Alle Menschen haben die Sinnbilder vor Augen. Die Weiβheit auf der Gassen lehret alle Kinder des Lichts davon, und kommt ihnen zuvor” (Wörterbuch I: 392). , indem man die signaturae, die in allem sind (ibid. 24), als Bezeichnung der übersinnlichen “Originalien” und daher als Zeichen der kommunikativen und prinzipiell nicht metaphorischen Absicht Gottes erkennt. “Signatura rerum oder Scientia correspondentiarum ist eine Zusammenfassung von vielen Bildern, welche alle von Gott geordnet sind, daβ sie nicht nur den inneren Zusammenhang und [die] Harmonie der Dinge, sondern dabei die Endursachen auf das Sichtbare bezeichnen” (Metaphysic 18). Vgl. Bianchi, Massimo Luigi: Signatura rerum. Segni, magia e conoscenza da Paracelso a Leibniz. Rom 1987, und Griffero (wie Anm. 46), S. 127-89. Was nur die emblematische biblische Theologie betrifft, müβten die Embleme nach Oetinger drei Gattungen entsprechen: 1) das erste Emblem “ist ein aus den sichtbaren Geschöpfen genommenes Bild, welches theils unsichtbare, theils sichtbare Dinge bezeichnet” (ibid. 18), und sich auf die ganze Natur oder mindestens auf die die Natur betreffenden biblischen Textstellen bezieht; 2) das zweite bezeichnet “eine zusammenhängende Geschicht oder Umfang von langen Jahren” (ibid.) und bestimmt daher ein besonderes Verständnis (als Abkürzung) der zeitlichen Dimension; 3) eine dritte Möglichkeit sind die “emblemata moralia oder moralische Signaturen”, die, genau wie die moralische Handlungen der Patriarchen “Handlungen der Menschen oder der Intelligenzen höhere Handlungen in folgenden Zeiten” (ibid. 28) bezeichnen. M.a.W., sie berufen sich ausschlieβlich auf die typologischen Ereignisse der “Ökonomie Gottes”, die nur in der Stadt Gottes endgültig anschaulich sein werden. 3. Emblem und höhere Chemie Es reicht jedoch nicht, die Übereinstimmung dieser Auffassung mit der naturphilosophischen Tradition der Emblematik (van den Honert, Nicolaus Taurellus aber auch Johannes Daniel Mylius) Taurellus, Nicolaus: Emblemata physico-ethica... Nürnberg 1602; Mylius, Johannes Daniel: Hermetico-spagyrische Lustgärtlein. Frankfurt a. M. 1625. und ihre Entgegenstellung der künstlerischen Tradition von Johannes Sambucus Sambucus, Johannes: Emblemata... Antwerpen 1564. (Emblematik als Kunstbuch) zu betonen. Oetingers Grundauffassung ist, daβ sich das Emblem auf etwas Wirkliches beziehen soll. Man muβ nämlich – den van den Honerts auch einfluβreichen Gedanke berichtigend Der “zwar schön aber unvollkommen commentirt, weil er, wie die meisten Theologen, keine Chemie verstanden” (Metaphysic 24). – an der Oberfläche der Natur nicht bleiben, sondern sie wie die alten biblischen Weisen eindringen (“nam sapientes primaevi sapuere res ut sunt”) (Theologia I: 134), auf der Suche nach ihrem tieferen chemischen (alchemischen) Sinn, d.h. unter Berufung auf das einzige Wissen, das “auf die Essenz der Dinge” (Selbstbiographie 23) und daher auf die “Idee” zurückgeht. Nicht nur das erste und das letzte Buch der Heiligen Schrift wären ohne die Chemie unverständlich (Metaphysic 16), sondern zahlreiche weitere Textstellen und Ereignisse, wie z.B. das Rätsel von Samson (Richt. 14, 14) über das vom Löwen stammenden Hönig, das den Ursprung der Süβe in der Säure bedeutet “Das lehret uns die Chemie, die Aurea Catena von der Dulcification der corrosiven Dingen. Von dem corrosivesten Wesen wird ausgehen Süssigkeit” (Wörterbuch I: 429). Auch ibid.: 266, 403; Metaphysic 338. und als Sinnbild des Lebenswassers, der tinctura Griffero, Tonino: La Tinktur come corpo spirituale: l’estetica teosofica di Friedrich Christoph Oetinger. In: Rivista di estetica 41 (2001), S. 54-69. oder lapis philosophorum aber auch des Heilandes, gilt. Das Eigentümliche der emblematischen Theologie Oetingers besteht daher aus der Anwendung einer alchemischen Auslegung, d.h. aus der folgerichtigen Entwicklung der Theorie, die die Übereinstimmung der chemischen und theologischen (vor allem christologischen) “Es ist dieses Rätzel der Grund der ganzen Chemie, da man aus der schärfsten Bitterkeit die höchste Süssigkeit, aus dem Gift Arzney und aus dem Tod Leben zieht, wie JEsus Christus aus dem Tod, Herrlichkeit, Leben und Unsterblichkeit hervorgebracht zur Versönung für unsere Sünden und zur Erhöhung deβ Irrdischen ins Himmlische” (Wörterbuch I: 430). Prinzipien vertritt. Diese Grundauffassung, die vielen Theologen und auch Swedenborg “Es influirt auch viel bey Schwedenborg, daβ er weniger Chemist als Mechanicus gewesen, daher er die fixe Wesen der Stadt Gottes in Zweifel zieht, und sie pur metaphorisch erklärt, welches den klaren Verstand der Worte Gottes sehr verwirrt” (Reflexiones 196) “ein chemisches Abendtheuer und eine crasse Imagination” (Lehrtafel I: 241-2) scheint, hat den Grund darin, daβ nur die Chemie imstande ist das, was die Schrift bildlich und per modum allusionis anzeigt, zu verstehen (Wörterbuch I: 384-5). Ausserdem sind nach Oetinger die eschatologische Rolle Jesus, seine chemische Bedeutung und seine emblematische und für jede Ästhetik urbildliche Natur notwendig miteinander: “alle Sinnbilder sollen uns darauf weisen, daβ wir in allem die Liebe Gottes erblicken. Wenn der Zuschauer dadurch solte gerührt werden, so müssen diese Dinge als ein Schau-Platz von den abbildenden Schönheiten Gottes vorgestellt werden, wie es ehemal im Paradiβ gewesen” (ibid.: 408). In der Auffassung Christi als Voraussetzung der wiederhergestellten emblematischen Verständlichkeit sowohl der Schöpfung als auch der Heiligen Schrift erkennen wir die Oetingers relative Annahme der transzendierenden Weltanschauung und des zeitspezifischen Daseinpessimismus des Barock. Aber auch diese christologische Emblematik hebt nicht ganz sein eigentümliches und geistleibliches Grundprinzip einer glanzvoller Diesseitigkeit auf, denn er “gibt damit eine Auffassung zu erkennen, die in der Welt aufgrund ihrer Schöpfung durch Gott eine Materialisation geistiger Wahrheiten und letztlich Gottes sieht”. Wie Schilling, Michael: Imagines mundi. Metaphrische Darstellungen der Welt in der Emblematik. Frankfurt a. M. et al., S. 13, von Abraham a Sancta Clara sagt. Von “Speiβ und Tranck im Himmel” redend, legitimiert Jesus selbst letzten Endes diese geistleibliche Philosophie: “Solle ich um der philosophischen Ubersinnlichkeit willen das Bildliche oder das Sinnliche aus JESU Worten auskehren? Nein, Gottes Wort ist gewiβ und wahrhaftig, obwohl nicht ohne Bilder; die ganze heilige Offenbahrung ist sinnlich” (Philosophie II: 170). Es steht auβer Zweifel, daβ “Gott wirklich und eigentlich hinab[fährt]” (SS II 6, 440). Nehmen wir Z.B. das Sinnbild/Emblem von “Licht und Finsternis”. “Die Welt-Weise können Licht und Finsterniβ nicht in eigentlichem Verstand nehmen, sondern nur in verblümten, weilen sie das Innerste der Natur nicht kennen und die Grade der äussersten Finsterniβ nicht erkennen” (Lehrtafel I: 231); dagegen dieses Sinnbild “muβ Physice in der Seele verstanden werden und nicht bloβ moraliter”; “wer das Physicum Jesu Christi aus den notionibus Scripturariis wegläβt, darum weil er nicht so plausible und deutlich machen kan, der bleibt nicht bey Jesu Methode” (ibid.: 227). Eben deshalb findet er jene alchemische Erklärung und experimentelle Wiederholung der sechs Schöpfungsstage Über die herkömmliche Deutung der Schöpfung als alchemischer Scheidung: Walton, Michael T.: Genesis and chemistry in the sixteenth century. In: Debus, Allen G./Walton, Michael T. (Hgg.), Reading the book of nature. The other side of the scientific revolution. Ann Arbor 1998, S. 1-14. besonders interessant, die von einigen holländischen Adepten vorgeschlagen wurde “Nun gehört dazu vor allem die Hohenpriester-Kunst von dem wiedergebohrnen Natur-Salz und von Urim e Tummim [die alle die Geheimnisse der Alchemie enthältenden Dinge, die die biblischen Hohenpriester verwenden], davon eine Societé in Amsterdamm die beste Urkunden und Beweise hat, sie können regenerationem Plantarum [siehe hierzu das berühmte Melissen-Experiment: vgl. Griffero (wie Anm. 62) und (wie Anm. 3), S. 33-60] und die 6 Tagwerke im Glas zeigen [d.h.: Sie stellen die sieben (!) Tagwerke in Glas vor durch sieben Körner von der Tinctur; Leben 826]. Gott gebe ihnen einen Sinn, daβ sie die neutestamentliche [!] Grundbegriffe mit ihrer hohen Wissenschaft verbinden, und zur Theologia emblematica das Ihre beitragen, um welches ich etliche mir bekannte Mitglieder ganz angelegentlich ersuche” (Wörterbuch I: 429). Und hier ist das Ergebnis: “am sechsten Tage erscheinet ein schönes kleines Bild, in Gestalt eines jungen Knaben, aus dessen Leibe ein anderes menschliches Bild wie ein kleines Aestlein herfürsproβet; welches allerdings nicht ohne Erstaunen anzusehen ist”, d.h. eine Art von homunculus (Patriarchalphysik, 52). (von den unbekannten Elliot und Petersen) (Leben 317, 821, 826) und die aber wohlverstanden die übersinnliche Natur der Schöpfung nicht erschöpft (SS II 6: 431-38). Sie “referiren alle Exempel auf die Erklärung der heiligen Schrift: und so gehört es sich für Propheten und Priester der Natur” (Leben 826); anders gesagt, versinnlichen sie alchemisch Oetingers emblematische Theologie selbst, die auf diese Weise, wie trefflich Breymayer sagt, in ihr Ursprungsland gewissermaβen zurückkehrt. Breymayer (wie Anm. 10), S. 10-11. Emblematische Theologie und höhere Chemie scheinen dementsprechend unauflösbar miteinander verbunden: “nun kann ohne höhere Chemie niemand die Embleme der heiligen Schrift erklären; darum habe ich meine Experimente darauf abgestellt”. So Oetinger. In: Divisch, Prokop: Längst verlangte Theorie von der meteorologischen Electricité…Hg. von F. C. Oetinger. Tübingen 1765, S. 169. Oetingers biblischer Realismus und das engverbündete Prinzip der Geistleiblichkeit haben zu einem guten Teil den Grund darin, daβ jede Kreatur und besonders die meschliche eine imago Dei ist. Daraus folgt, daβ die accomodatio oder Herunterlassung des Unsichtbaren in Sichtbares “Gott ist an sich unsichtbar, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kan, aber durch das Wort der Wahrheit lernen wir die Geschäfte und Gestalten der unsichtbaren Dingen, und jedes unsichtbare Wesen stellen wir uns unter einer Figur vor, sonst rühren uns die Dinge nicht” (Wörterbuch I: 333). nicht ausschlieβlich vertikal ist, d.h. daβ die Embleme oder die signaturae auch andere wirklichen, aber nicht weniger sinnbildlichen, geschöpften Dinge vorstellen können (“laβt uns eine welsche Nuβ betrachten, hat sie nicht die ganze Signatur des Haupts?”) (Metaphysic 20). Entscheidend für die Oetingersche emblematische Denkweise ist die fast völlige – und dennoch nicht ganz auf eine magische “Denkraumverlust” Gombrich, Ernst H.: Studi sull’arte nel Rinascimento. Übers. von R. Federici. Turin 1978, S. 180. und Verwechselung zwischen Bild und Urbild zurückführbare – Aufhebung des Unterschieds zwischen Bild/Zeichen und Sinn, beziehungweise die Grundauffassung, daβ wenn der Sinn (inklusive des körperlichen Sinnes) ohne Geist leer ist Obwohl Oetinger alle Versuche, göttliche Ereignisse nur quantitativ zu betrachten kritisiert (vgl. das mathematische Nachdenken Huygens über die “Auffart” Christi “über alle Himmel”) (Wörterbuch I: 139), liegt er vielleicht dem gleichen Irrtum unter, denn er sagt mit Whiston über den dritten und sechsten Tag der Schöpfung, daβ “so viel Geschäfte nicht in einem Tag habe geschehen können” und “der Schlaf Adams auch nicht nur etliche Minuten gewährt habe” (SS II 6: 433). Die buchstäbliche Auslegung hat vier Regeln: “1. Aus der Erklärung oder Definition 2. Aus Parallelen oder gleichlautenden Reden 3. Aus dem Endzweck 4. Aus dem gemeinen Gebrauch der Worte und Werke Gottes und aus dem Vorhergehenden und Nachfolgenden” (Wörterbuch I: 429)., ist auch der Geist ohne Sinn keiner Offenbarung fähig. Wie dem auch sei, rückt er allerdings von jeder oberflächlichen Anwendung der eigentlichen Auslegung ab. Der Buchstab ohne Geist, ohne Zusammenschluβ der Gedanken bringt den Menschen in Einbildung, daβ er meynet zu wissen, was er nicht weiβ. Das heiβt, der Buchstabe Es ist klar “daβ Paulus durch Buchstaben nicht das blose Gesez Mosis versteht, sondern alle scheinbare, theils einseitige Gründe aus nicht genungsamen Datis novi Testamenti, theils verkehrte Gründe aus Einmischung fremder entweder Welt- oder Juden Meinungen” (Wörterbuch I: 27). tödtet, daβ die Erkenntniβ keine Kraft und kein Leben hat. […] Aller Buchstab heiliger Schrift hat einen gewisen Sinn, der Sinn kan ohne Geist oder mit Geist seyn […] Geist ist etwas eingewickeltes, Sinn ist eine Auswicklung, Auseinanderlegung dessen, was aus dem innersten Punct sich ausbreitet. Es kan also ein Sinn seyn ohne Geist, es kan aber auch zuweilen Geist seyn ohne ausgewickelten Sinn. Damit dich der Buchstab nicht tödte oder […] dich gar in lügenhafte Meynungen der Wahrheit ganz entgegen einführe, so mache dich loβ von den Absichten auf die Welt (Wörterbuch I: 59, 27). Diese Denkform, die wir in einem Grundsatz der gegenseitigen Umwandelbarkeit des Geistiges und des Leibliches oder gar des Fleisches (“das Fleisch [!] ist auch Geist”) (ibid.: 113) zusammenfassen könnten – ein Grundsatz, der mit Ausnahme Gottes vor seiner manifestatio sui allgemein gültig ist –, hatte sicherlich eine eminente heuristische Wirkung und soll zwar einige bedeutenden Denker und Schriftsteller beeinflusst haben, aber sie bleibt unzweifelhaft in der Geschichte der Hermeneutik und der Philosophie überhaupt nur eine Nebenauffassung. Davon war Oetinger selbst selbstbewuβt, wie wir daraus schlieβen, daβ er einerseits immer kritische Unterscheidungen stellen muβ (“Gewiβ Gott hat Augen, Ohren, Hände, Füsse, Fühlung, Geruch, Geschmack ohne anthropopatische Art, aber nicht so grob, wie wir”) (ibid: 432) und anderseits zu dem Hinweisen auf eine höhere sowohl ursprüngliche als auch eschatologische Vollständigkeit Zuflucht nehmen muβ, daβ er sich sogar auf einen physisch-teologisch aber auch emblematisch und daher nicht ikonoklastischen künftigen regelmäβigen Zustand der Welt “Die Erde ist also nur eine anfängliche Präparation, eine ébauche, ein bloβer Entwurf, worinn viel irregulaires liegt, um etwas vollkommen regulaires in künftiger Zeit heraus zu bilden. […] Diesemnach muβ auch bey der signatura rerum noch viel unvollkommenes seyn […] Wenn aber die Erde […] in einen regulairen Stand versetzt wird durch eine kleine Verrückung von dem Polarstern, so daβ die Ecliptica dem Æquatori näher kommt, so muβ alsdenn erst die signatura rerum in ihren vollkommenen Stand kommen […] Die Erde wird sich aufthun und lauter Heil bringen, alles anch dem Litera, alsdenn wird man ohne viel Schlüsse die signaturas rerum mit Augen sehen” (Metaphysic 23). “Alle diese Fragen werden erst in der letzten Zeit klar beantwortet werden, wenn der leichteste und schönste allen Menschen verständliche Verstand der wahren Naturlehre mit allen Emblematis wird kund werden” (Wörterbuch I: 391-2)., und letztens auf die wesentliche Unergründlichkeit Gottes (“das thörichte Gottes ist weiser als die Menschen seyn”) (Abhandlung 27) beruft. Denn das Prinzip immerhin gilt, daβ es besser ist, “ein Wort Gottes nicht verstehen und es doch im Herzen behalten, als zu bald verstehen wollen und sich eine falsche Deutung darüber machen” (SS II 6: 443). Es geht um ein pansophisch-symbolisches Projekt, ein polyhistorisches und “archaisch-rudimentäres Verständnis der Emblematik” Breymayer (wie Anm. 18) (Wörterbuch II: 66)., das der relativen semantischen Unvollständigkeit der Welt und des Buches, allgemein dem Mangel (nach dem Fall des Urmenschen) an einer unmittelbaren und emblematischen Durchsichtigkeit, durch eine interpretative und darum schon relativ allegorisierende Aufeinanderfolge abhelfen muβ (vgl. z.B. Wörterbuch I: 43-44). Obwohl der Aspekt der Scheinhaftigkeit der Welt durch diese emblematische Denkform die üblich dominierende Rolle verliert, kann jedoch Oetinger selbst im Grunde der der allegorischen Deutung immanenten Schlechtunendlichkeit nicht ganz entgehen. Man könnte schlieβlich behaupten, daβ Oetinger in seinem Werk gleichsam den immanentistischen und den gnostischen Standpunkt gleichzeitig zusammenfasst, den Schelling hingegen aus wissenschaftlichen aber auch biographischen Gründen in zwei unterschiedlichen Phasen erleben und theoretisch-philosophisch ausdrücken muβte. Viel deutlicher und für uns wichtiger scheinen jedoch die das panästhetische Ergebnis betreffenden Verwandtschaften, die aus ihrem Ausweichen einer eindeutigen kunstwerklich-ästhetischen Perspektive hervorgehen: schön ist sowohl für Oetinger als auch für Schelling vor allem jene Durchsichtigkeit des Geistes im Leib, die die ganze Welt in ein ungeheueres Kunstwerk umwandelt, und damit eine physiko-theologische Ästhetik (Synästhesie) der menschlichen und natürlichen Leiblichkeit als Ersatz für die später nur als Philosophie der Kunst verstandene Ästhetik legitimiert. Das wichtigste finden wir aber darin, daβ Oetinger sich durch seine Ablehnung einer metaphorischen und spiritualistischen Philosophie sogar einer originellen sensualistischen Ontologie zuzuwenden scheint, für die die übliche theologische Stigmatisierung der Diesseitigkeit nicht gilt. Freilich, sollte er lieber die Kontinuität der morphogenetischen Prozesse von der Natur bis zur menschlichen Sprache berücksichtigen und auf diese Weise jede strenge Unterscheidung zwischen Eigentlichem und Bildlichem vermeiden. Moiso, Francesco: La natura e i simboli. In: Vattimo, Gianni (Hg.): Filosofia ’91. Rom-Bari 1992, S. 189-213. Aber wir können nicht zuviel von ihm verlangen und müssen mit seinen theoretischen Absichtserklärungen zufrieden sein, die letzten Endes gerade darum wichtig sind, weil sie gewagte und Einzelbehauptungen sind (und wie Lessing sagt: “zum Behaupten gehört vor allem ein Haupt”). Auf jeden Fall scheint Oetinger im Grunde ziemlich weit sowohl von der zeichenhaftigen Voraussetzung zu sein, die das Sinnbildliche zur des nur Zeichenhaftiges Nutzen aufhebt, als auch – obgleich nicht immer deutlich – von der sogenannten konkretisierenden Voraussetzung, nach der jede Distanz zwischem Zeichen und Sache aufgehoben ist, d.h. von zwei Konzeptionen, die mangelhaft sind, weil, während die ganze Willkürlichkeit des Zeichens jede semantische Intenzionalität beseitigt, jede Mitteilung ohne Distanz tatsächlich ganz unmöglich wird. Obwohl wir weit davon entfernt sind, eine euphorische Überschätzung der Emblematik als Denkform zu erlangen und in Oetingers Theosophie eine auβerordentliche gedankliche Leistung zu sehen – wegen ihrer stärkeren Zeitgebundenheit darstellen aber die kleineren Geister oftmals getreuere Spiegel ihrer Epoche als die zeitgenössische Ausnahmeerscheinung –, scheint sicherlich das herkömmliche Urteil über die episteme der sinnbildlichen und emblematischen Zeit mindestens kleinlich zu sein, nach dem die analogische Denkform (Foucault docet) Foucault, Michel: Le parole e le cose. Un'archeologia delle scienze umane. Übers. von E. Panaitescu, mit einem Beitrag von G. Canguilhem. Mailand 1978, S. 45. uns dazu verdammt haben sollte, uns ausschlieβlich in dem Kreis des Identischen zu bewegen. Besonders wenn wir zugeben, daβ wir die Auffassung der ganzen Welt als Emblem Gottes oder mindestens die Idee einer säkularisierteren Zeichenhaftigkeit der Welt aus Mangel an Beweisen noch freisprechen müssen. Abkürzungen (Oetingers Werke) Abhandlung = Abhandlung, wie man die Heil. Schrift lesen, und die Thorheit Gottes weiser halten solle, als allen Menschen Wiz… O. O. 1769. Leben = Ehmann, Karl Christian Eberhard: Friedrich Christoph Oetingers Leben und Briefe, als urkundlicher Kommentar zu dessen Schriften. Stuttgart 1859 Lehrtafel = Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia (Tübingen 1763). Hg. von R. Breymayer und F. Häußermann, 2 Bde. Berlin-New York 1977. Metaphysic = Die Metaphysic in Connexion mit der Chemie. Hg. von H. I. Oetinger. Schwäbisch Hall [1770]. Patriarchalphysik = Entwurf einiger Grundsätze der Gesellschaft von Verbreitung der Patriarchalphysik. [Langensalza] 1772. Philosophie = Die Philosophie der Alten wiederkommend in der güldenen Zeit. 2 Bde. Frankfurt-Leipzig 1762. Reflexiones = Reflexiones über diβ Buch. In: Swedenborg, Emanuel: Von den Erdcörpern der Planeten und des gestirnten Himmels Einwohnern… mit Reflexiones begleitet von einem der Wissenschaft und Geschmack liebt. Anspach 1770, S. 191-236. Selbstbiographie = Selbstbiographie. Genealogie der reellen Gedanken eines Gottesgelehrten. Hg. von J. Roessle. Metzingen 1961. SS = Sämtliche Schriften. Hg. von K. Ch. E. Ehmann. Stuttgart 1858-1864. Swedenborg = Swedenborgs und anderer irrdische und himmlische Philosophie. 2 Bde. Frankfurt-Leipzig 1765 (SS II 2) [Nachdruck hg. von E. Beyreuther. Stuttgart 1977]. Theologia = Theologia ex idea vitae deducta. Frankfurt 1765. Hg. von K. Ohly. 2 Bde. Berlin-New York 1979. Wörterbuch = Biblisches und Emblematisches Wörterbuch (Stuttgart 1776; Nachdruck Hildesheim 1969). Hg. von G. Schäfer in Verbindung mit O. Betz, R. Breymayer, E. Gutekunst, U. Hardmeier, R. Pietsch, G. Spindler. 2 Bde. Berlin-New York 1999. Tonino Griffero Piazza Statuto 24 14100 Asti t.griffero@libero.it 15