MASTERARBEIT / MASTER’S
THESIS
Titel der Masterarbeit / Title of the Master‘s Thesis
„Verbal/Non-Verbal: Theater-Texturen im PopStück Jeff Koons von Rainald Goetz“
verfasst von / submitted by
Kathrin Blasbichler BA
angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the
degree of
Master of Arts (MA)
Wien, 2016 / Vienna 2016
Studienkennzahl lt. Studienblatt /
degree programme code as it appears on
the student record sheet:
A 066 582
Studienrichtung lt. Studienblatt /
degree programme as it appears on
the student record sheet:
Theater-, Film- und Medientheorie
Betreut von / Supervisor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Meister
2
7. Das Glück
the rhythm, the message, the colour, the funk
the music, the city, the sound of words
the concept, the art, destruction of time
the echo, the dark, the mean and the dirty
the true and the real, the real and the slow
the fuckers, the suckers, the dick and the pussy
the sex and the flesh, the kiss and the ass
the clean and the true, the truth and the lie
the open and closed, the end and another
begin of beginnings, the death and the dark
the heavy, the slow, the lower, the higher
the better, the last, the rhythm, the messages
the colour, the funk, the music of word,
the word of the words, the music of time
of time, time, time, of time, time, time
time, time, time,
time1
1
Goetz, Rainald, Jeff Koons. Stück, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 12002 (Orig. 1998), S. 62f.
Im Folgenden: JK.
3
4
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
7
2 VORGEHENSWEISE
15
2.1 ZUM VERHÄLTNIS VON KÖRPERLICHKEIT UND SCHRIFT BEI RAINALD
GOETZ
15
2.2 FORSCHUNGSSTAND
17
2.3 PROBLEMSTELLUNG UND ZIELSETZUNG
23
2.4 METHODIK
27
3 THEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN
30
3.1 SCHREIBWEISEN DES POP: GEGENWART, VOLLZUG, KÖRPER
3.1.1 DAS POP-DEBÜT SUBITO UND DER AUFTRITT IN KLAGENFURT (1983)
3.1.2 RHETORIK UND STRATEGIEN DES POP
3.1.3 VITALISTISCH-SOZIALROMANTISCHE POPUTOPIE VS.
„ASOZIALITÄTSKUNST SCHRIFT“
3.2 TEXT, TEXTUR, INTERTEXTUALITÄT
3.3 INTERMEDIALITÄT
3.3.1 ZUM KONZEPT DER INTERMEDIALITÄT
3.3.2 THEATRALITÄT ALS INTERMEDIALES DISPOSITIV
3.3.3 TEXTTHEATRALITÄT
3.3.3.1 Mittelbare Texttheatralität
3.3.3.2 Unmittelbare Texttheatralität
3.4 TEXTSYSTEME UND AUTORSCHAFT
30
31
35
4 EINFÜHRENDES ZUM STÜCK JEFF KOONS (1998)
72
41
46
54
55
59
65
66
67
68
4.1 DER ZYKLUS HEUTE MORGEN UND SEINE TEXTLICHEN TEILSYSTEME
72
4.2 FORMALES UND INHALTLICHES VON JEFF KOONS IM ÜBERBLICK
77
4.2.1 SUJET
77
4.2.2 AUFBAU UND GLIEDERUNG
79
4.2.3 SERIALITÄT, VERFLECHTUNG UND RÄUMLICHKEIT ALS
STRUKTURGEBENDE FORMPRINZIPIEN
84
4.2.4 ZUSAMMENFASSUNG
87
5 SZENOGRAPHIE: ZUR VERQUICKUNG VON SZENE UND
SPRACHE
90
5.1 GENEALOGIE EINER SZENOGRAPHIE ALS SPRACH- UND
THEATERUTOPIE
91
5.2 THEATER UND LITERATUR ALS ORTE KRITISCHER SPRACHPRAXIS 99
5.2.1 BARTHES’ SZENISCHE SEMIOTIK
100
5
5.2.2 THEATRALE DEKONSTRUKTION ALS VERRÄUMLICHUNG
5.3 FAZIT
103
107
6 TEXTTHEATRALE FORMEN UND STRUKTUREN IM STÜCK
JEFF KOONS
110
6.1 INTERTEXTUELLE VERWEISE
110
6.2 EXKURS: JEFF KOONS UND DIE KOMMERZIELLE KÜNSTLERROMANTIK
– EIN DUNKLES POP-MÄRCHEN
113
6.3 DIE VERSCHRÄNKUNG VON POP, KOONS UND KUNST IM STÜCK
121
6.3.1 SOZIALE GRAUZONEN: KÜNSTLERTUM UND PREKARIAT
122
6.3.2 AFFIRMATIVE, AFFEKTIVE POP-ETHIK Á LA KOONS ALS ANTWORT? 124
6.4 NICHTLINEARITÄT UND ABSTRAKTE PERFORMATIVITÄT
130
6.4.1 KIPPFIGUREN UND VEXIERBILDER
131
6.4.1.1 Rede / Schrift
131
6.4.1.2 Kunstgenese / Theater / Schreiben
133
6.4.2 BILDKÜNSTLERISCHE VERFAHREN
140
6.4.2.1 Skulptur und Installation
140
6.4.2.2 Skizze
144
6.4.2.3 Holzschnitt
145
6.4.2.4 Wall of Words
147
6.4.2.5 Das Bild und die Vision
150
7 CONCLUSIO
154
8 MEDIOGRAPHIE
160
8.1 LITERATURVERZEICHNIS
8.2 VIDEO-AUFZEICHNUNG IM INTERNET
8.3 BILDERVERZEICHNIS
8.4 SYMPOSIUM
160
170
170
170
ANHANG
171
DANKSAGUNG
ABSTRACT
LEBENSLAUF
171
172
174
6
1 Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit dem Spannungsfeld Theater und Text
beziehungsweise Theatralität und Schrift im Schaffen von Rainald Goetz
auf Grundlage des theaterästhetischen Entwurfs im Stück Jeff Koons (1998).
In
Goetz’
literarischer
Auseinandersetzung
mit
Schrift
werden
Performativität und Theatralität zu Modellen für Körperlichkeit, was sich
nicht nur anhand seiner dramatischen Entwürfe zeigt, sondern sich durch
das gesamte gattungsübergreifende Oeuvre zieht, das der Autor über die
letzten dreißig Jahre geschaffen hat.
Mit diesem Körperlichkeitskonzept verknüpft ist ein Literaturverständnis,
Wirklichkeit nicht als Abbild einer außerhalb des Textes existierenden
Realität, sondern als autonome Sphäre an einem sinnlich erfahrbaren,
textlichen
Gegenstand
zu
erzeugen.
Der
Autor
mit
attestiertem
„unbedingte[m] Willen zur Zeitgenossenschaft”2 erhebt mit seiner
beharrlichen Umsetzung der performativen Maxime des unmittelbaren
Vollzugs den Anspruch das Schreiben als Kulturtechnik zu verstehen, um
Gegenwart zu erschließen und zugleich mit herzustellen. Nach etlichen
Auszeichnungen und Preisen (u.a. Berliner Literaturpreis 2012, Mühlheimer
Dramatikerpreis für alle drei seiner bisher geschriebenen Stücke Krieg
(1988), Katarakt (1993) und Jeff Koons (2000)) würdigte die Darmstädter
Jury in der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2015 Goetz als einen
Autor, „der sich mit einzigartiger Intensität zum Chronisten der Gegenwart
und ihrer Kultur gemacht hat [...]“.3
Thematisch gesprochen geht es seit Erscheinung seines Erstlingswerks, dem
Roman Irre (1983), bei Goetz um Sujets, wie etwa der institutionalisierte
2
o.A., Jurybegründung Berliner Literaturpreis 2012, www.fuberlin.de/presse/informationen/fup/2011/fup_11_358/, Stand: 21.11.2011, 22.10.2015.
3 o.A., Jurybegründung Büchner-Preis 2015,
www.deutscheakademie.de/de/akademie/presse/2015-07-08/buechner-preis-2015-geht-anrainald-goetz, Stand: 08.07.2015, 22.10.2015.
7
Umgang mit psychisch Kranken in der Gesellschaft, die mediale
Erinnerungskultur
in
Deutschland
nach
1945
und
generell
um
Kommunikation und Wahrnehmung von Wirklichkeit im Medienzeitalter,
wie etwa die Generierung neuer Rede- und Schreibweisen durch das
Internet. Weitere Interessensgebiete sind die Utopie Techno, das System
Kunst und, wie zuletzt im Roman Johann Holtrop (2012), die
Zusammenhänge von Subjektentwürfen und Macht im postfordistischen
Zeitalter des Kapitalismus.
Neben der Gegenwartsfixierung wird mit dem Namen Rainald Goetz seit
seinem skandalträchtigen Debüt bei den Ingeborg-Bachmann-Literaturtagen
1983 vor allem auch der Begriff Pop und damit eine radikale und forsche
Durchmischung von Codes und Schreibweisen verbunden. Dem Autor
Maxim Biller zufolge, etablierte Goetz mit dem Roman Irre (1983) eine
neue literarische Epoche, die von Biller als „Ich-Zeit“4 bezeichnet wird.
Charakteristisch für diese Popliteratur sei „das extreme Ineinandergreifen
von Werk und Leben des Autors”5. In diesem Sinne können sowohl die
aufsehenerregenden Auftritte eines leidenschaftlich polemisierenden Goetz
als auch seine ichbezogenen und von Hasstiraden erfüllten Texte als
Ausdruck
eines
öffentlichkeitswirksame
Autorenverständnisses
Zurschaustellung
des
gelten,
eigenen
dessen
Lebens
der
Inszenierung eines Popstars ähnelt.
Waren Goetz’ Texte in den 80ern noch stark polarisierend, ist in den 90ern
eine Wende hin zur Weltbejahung erkennbar. Das 1998 erschienene Stück
Jeff Koons wird von Goetz selbst als „Pop-Märchen“6 bezeichnet. Der
explizit als „Stück“7 ausgewiesene Text für das Theater kann demnach, wie
4 Biller, Maxim, Ichzeit, www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/unsereliterarische-epoche-ichzeit-11447220.html, Stand: 01.10.2011, 19.08.2015.
5 Ebd.
6 Goetz, Rainald, Jahrzehnt der schönen Frauen, Berlin: Merve 2001, S. 118.
7 „Jeff Koons ist ein Theaterstück über Kunst [...] Ein Stück in sieben Akten schön knapp
abgepackt“. Goetz, JK, Index.
8
auch die Assoziation zum zeitgenössischen Pop-Künstler Jeff Koons im
Titel suggeriert, als paradigmatische Umsetzung seines Pop-Programms und
konzeptorientierten Zugangs zum Genre und Kontext Theater gesehen
werden.
Aus Sicht des Pop-Autors Goetz, der eine ambivalente Position zwischen
Ablehnung und Zugehörigkeit gegenüber bürgerlichen Domänen einnimmt8,
gehen von der Bühne als tradiertem Ort der Bürgerlichkeit zugleich
„Faszination und Abscheu“9 aus. Diese Zerrissenheit gibt zugleich auch
Anreiz gerade Theatertexte zu schreiben: Zum einen stellt das Theater als
Inbegriff für „Bürgerlichkeit“10 und „Exklusivität“11 für die Anti-Haltung
im Pop-Gestus ein hermetisches System dar, das es zu durchbrechen gilt.
Die Verschränkung verschiedener Kontexte, wie etwa Literatur, Bildende
Kunst und Theater im Fall des Stücks Jeff Koons, resultiert aus dem PopAnspruch, diskursfähige Reibungsflächen bewusst aufzusuchen und so den
Dissens zu fördern.
Zum anderen hat er das Theater als „Ort, wo Worte Körper werden und
Bedeutungen agiert werden, wo Zeichen dicht und sinnlich greifbar sind“12
und gleichzeitig „die Perfidie des Scheins am weitesten getrieben“13 wird,
auf einer innerästhetischen Ebene als intermediales und körperliches Modell
für sein Schreiben vor Augen. Die Schrift soll an möglichst körperliche,
gegenwartsbezogene
und
multisinnliche
Schreibweisen
herangeführt
werden. Als scheinbar diametral gegenübergestellte Medien stehen Theater
und Schrift in einem dialektischen Verhältnis – auf gegenseitiger Anziehung
8
Vgl. Geer, Nadja, Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose. Westwärts. Studien zur
Popkultur 1, Göttingen: V&R Unipress 2012, S. 149.
9 Winkels, Hubert, „Krieg den Zeichen. Rainald Goetz und die Wiederkehr des Körpers“,
in: Einschnitte. Zur Literatur der 80er Jahre, Hg. Hubert Winkels, Köln: Kiepenheuer &
Witsch 11991 (Orig. 1988), S. 221-267, hier S. 254.
10 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 120.
11 Ebd., S. 142.
12 Winkels, „Krieg den Zeichen“, S. 254.
13 Ebd.
9
und Reibung basierend. Mittels der Annäherung an andere Medien und
Zeichensysteme, wie etwa das Theater, die weniger an Nachträglichkeit und
Referentialität und mehr an gegenwartsbezogene Intensitäten gebunden
sind, werden hiermit andere Ausdrucksweisen innerhalb der Schrift erprobt.
Mit diesen Voraussetzungen öffnet sich ein breites Feld an möglichen
Zugängen zum vorliegenden Theatertext Jeff Koons, der aufgrund seiner
intermedialen Ausrichtung eine genuine Schnittmenge aus den Feldern
Literatur-, Theater-, Medien und Performativitätstheorien erzeugt. Im Zuge
der Lektüre von Jeff Koons, Goetz’ bis dato letztem Stück, bin ich erstmals
in Berührung mit einem dramatischen Text des Autors gekommen.
Nachdem im Rahmen des Seminars Verhandlungen des Subjekts - Das
Subjekt im Wandel: Goethes Torquato Tasso und die Künstlerproblematik
in der europäischen Kultur das Stück Jeff Koons unter dem Aspekt
veränderter Produktionsbedingungen von Kunst im postfordistischen
Zeitalter behandelt worden war, wählte ich zunächst den naheliegenden
Zugang zum Theaterstück über die Diskursanalyse von Subjektentwürfen
und
Kunstproduktion
im
Zeitalter
eines
spekulativ
gewordenen
Kunstmarktes anhand des Prototypen Jeff Koons.
Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit anderen Texten von Rainald
Goetz, wie etwa Abfall für alle (1999), Irre (1983) und Hirn (1986)
eröffneten sich über Diskursanalysen hinausgehend grundsätzlichere
Fragestellungen zu Ästhetik, Sprachpraktiken und Medien. Bei seinen
Theatertexten schien mir Theatralität als Denkmodell zu fungieren, das es
ihm erleichtert, Sprache im Prozess des Niederschreibens auf allen
qualitativen Ebenen möglichst szenisch zu denken; das heißt, stets eine
Leserschaft als Publikum so vor Augen zu haben, dass der Verlust an
Unmittelbarkeit durch den Abstand zwischen Niederschrift und Lektüre
möglichst gering bleibt.
10
In Hinblick auf den Theatertext Jeff Koons interessiert zum einen, welche
theatralen und performativen Strukturen darin anzutreffen sind, die
Ausdruck eines Versuchs der Abstrahierung, medialen Überschreitung und
Vergegenwärtigung sein könnten. Des Weiteren war diese Arbeit auch von
der Frage geleitet, wie sich Goetz als dezidierter Pop-Autor gegenüber der
Pop-Auffassung eines Jeff Koons positionieren würde. Damit einher gingen
Fragen nach den Wesensmerkmalen einer Tradition von Pop als diskursive
Form und als ästhetischer Ausdruck sowie nach dessen subversiven
Potenzial
als
Sprachpraxis
und
Ästhetik
jenseits
der
virulenten
Begriffsverwendung von Pop für Praktiken oder Schreibweisen, die mit der
Pop-Gesinnung von Goetz wenig gemein zu haben scheinen.
Vor dem Hintergrund der Debatte rund um Labels wie etwa Postdramatik
und
der
Re-Definition
der
Dramentheorie
und
-praxis
ist
aus
theaterwissenschaftlicher Sicht vor allem Goetz’ kühne, künstlerische
Unterwanderung eben genannter Kategorien spannend, die der Autor
anhand seiner übergreifenden literarischen Methode der Vernetzung der
Diskurse, Sprech- und Redeweisen erzielt. Gleichzeitig stellte diese
ästhetische
Vorgehensweise
wegen
der
hohen
Verweisdichte
und
genreübergreifenden Schreibweise die Herausforderung dar, Diskurse und
Fragestellungen abzugrenzen. Eben diese hohe Anzahl der Querverweise,
deren Relevanz zunächst schwer einzuordnen war, machen einen klaren
methodischen Ansatz unumgänglich.
Dabei schien vor allem der von der französischen Theoriebildung geprägte
Ansatz der ‚écriture corporelle’ geeignet, da Goetz’ Zugang zur Theatralität
vor allem auf dem programmatischen Anspruch basiert die Schrift auf ihre
intermedialen Kompetenzen hin zu testen und sie im Sinne einer
Theatralisierung als Spiel der Zeichen aus dem Korsett der Referentialität zu
heben und die Signifikanten als eigenständige Körperzeichen freizusetzen.
11
Die folgende Arbeit gliedert sich in insgesamt sieben Kapitel, von denen die
Kapitel 2-5 theoretische und poetologische Voraussetzungen sowie
methodische Fragen und Ansätze erfassen und diskutieren. Anschließend
wird im Kapitel sechs das Stück Jeff Koons als exemplarischer
Untersuchungsgegenstand
für
Goetz’
intermediale
Popmethode
der
Vernetzung und Durchkreuzung am Beispiel Theater für eine Analyse
herangezogen. Darin wird nicht der Anspruch erhoben all jenen Fragen
nachzugehen, welche im Rahmen der theoretischen und historischen
Darlegungen aufgeworfen werden. Lediglich soll die zuvor erfolgte
Kontextualisierung eine fundierte analytische Lektüre ermöglichen, um das
Verhältnis von Körperlichkeit und Sprache im Rahmen der Diskurse Pop,
Text und Theater im Fall des vorliegenden Textes zu bestimmen. Dabei
wird vor allem der Frage nachgegangen, welche theatralen Strukturen der
Theatertext aufweist, um zu eruieren, wie Theatralität hier gedacht wird.
Genauer gesagt wird zunächst im zweiten Kapitel die Vorgehensweise
dargelegt. Nach einem Überblick zum derzeitigen Forschungsstand zu
Goetz’ Literatur wird auch auf die Problemstellung, Zielsetzung und
Methodik der vorliegenden Arbeit eingegangen werden. Das dritte Kapitel
schließt daran an und legt theoretische Voraussetzungen zum Konnex von
Schrift und Körperlichkeit bei Rainald Goetz dar. Im Rahmen dessen folgt
ein Unterkapitel zum Thema Pop und Popliteratur, welches die deutsche
Pop-Intellektuellen-Szene, ihre Rhetorik, Codes und Darstellungsweisen
beschreibt. Dies ist Voraussetzung, um anschließend speziell Goetz’
Popbegriff und die Charakteristika seiner Popliteratur zu umreißen.
Daraufhin werden jene Begriffe eingeführt und theoretischen Konzepte
näher definiert, welche für diese Arbeit verwendet werden und in Bezug auf
Goetz’ Verfahrensweisen und Methoden relevant sind, wie etwa Textur,
Intertextualität, Intermedialität und Textsysteme. Goetz’ interdisziplinäres
und gattungsübergreifendes Vorgehen bedeutet für die Herangehensweise in
12
dieser Arbeit, auch dramentheoretische Instrumente und Kategorien vorab
zu hinterfragen und auszuloten. Dementsprechend erfolgt in diesem Kapitel
zur methodischen Abklärung und theoretischen Fundierung gewissermaßen
auch eine kurze Bestandsaufnahme zu Theatralität als intermedialer Vorlage
und (Zeichen)-Modell für körper- und gegenwartsbezogenes Schreiben
sowie zum Konzept der Texttheatralität.
Die Einführung zum Stück Jeff Koons im darauffolgenden vierten Kapitel
soll anhand der Beschreibung der kontextuellen, formalen und inhaltlichen
Aspekte des Stücks zum Theatralitätskonzept als Szenographie im Sinne
einer körperlich, szenisch-graphischen Schreibweise überleiten. Indem das
Stück Jeff Koons in der Tradition dieses Schriftkonzepts und dieser
Sprachpraxis verortetet wird, kann eine Verknüpfung zwischen Pop, Schrift
und Theater hergestellt werden.
Deshalb wird im fünften Kapitel Szenographie als texttheatrales
Sprachkonzept näher erläutert, wobei auf Genealogie dieses Ansatzes und
insbesondere auf Roland Barthes’ Etablierung einer szenischen Semiotik als
Basis von Sprach- und Ideologiekritik sowie Julia Kristevas Fortführung
und Ausweitung derselben eingegangen wird. Anhand des Konzeptes der
‚écriture corporelle’, die bis zu Mallarmés Konzeption einer poetischen
Schreibweise zurückreicht, soll die Bedeutung von Theatralität und
Theatralisierung für die Zeichenproduktion und Bedeutungskonstitution von
Sprache veranschaulicht werden. Die szenisch gedachte Semiotik und das
Konzept der Szenographie sollen relevante Erkenntnisse für Goetz’
Körperkonzept
und
seine
intermedialen
und
performativen
Pop-
Verfahrensweisen in der Schrift mit sich bringen.
Daraufhin werden im sechsten Abschnitt die aus dem theoretischen Teil
gezogenen Erkenntnisse für die Lektüre und Analyse des Stücks Jeff Koons
herangezogen, bei dem das Stück auf intermediale und performative
Strukturen befragt werden wird, um speziell auch die Umsetzung seiner
13
„Popsemantik“14
als
theatrales
Konstrukt
mit
entsprechenden
Verfahrensweisen anhand gehaltvoller Beispiele zu illustrieren. Vor allem
soll das Kenntlichmachen sprachlicher Figuren und Mittel aufzeigen, wie
und wo es zu theatralen Figurationen kommt. Des Weiteren soll auch
reflektiert werden, was diese aufgefundenen szenischen Mittel in Bezug auf
den aktuellen Forschungsstand in der Dramen- und Literaturtheorie
aussagen.
Die Schlussbemerkungen (Kapitel 7) liefern ein Resümee der Erkenntnisse,
die aus Kontextualisierung und Textanalyse hervorgehen und schließen
damit die Untersuchung ab.
14
Geer, Sophistication, S. 150.
14
2 Vorgehensweise
Zunächst erscheint es sinnvoll, wesentliche Züge von Goetz’ Körperkonzept
für die Schrift im Rahmen seiner poetologischen Ausrichtung darzulegen.
Ausgehend davon werden anschließend Forschungsstand, Problemstellung
und
Zielsetzung
poetologische
dieser
Arbeit
Fragen
thematisiert,
bezüglich
um
des
ästhetische
und
vorliegenden
Untersuchungsgegenstandes, das Stück Jeff Koons, zu formulieren und mit
bisherigen Erkenntnissen zu Goetz’ Poetologie und zur Literatur- bzw.
Dramentheorie in Beziehung zu setzen.
2.1 Zum Verhältnis von Körperlichkeit und Schrift bei
Rainald Goetz
Theater und Text haben in der Literatur von Rainald Goetz ein besonderes,
scheinbar paradoxes Verhältnis zueinander. Als „der einzige Kunstort, für
den wirklich das LEBEN die Form der Kunst ist, [...] der Atem und die
Spucke, der Geruch der Körper und der Husten der Langeweile [Hervorh.
im Orig.]“15, geht von der Bühne eine große Faszination für seine
Beschäftigung mit der Schrift aus:
„Dass also die Bühne, und damit der Text fürs Theater, der schriftinternen Totheit
der Schrift, nicht auf der Ebene des Lebens, sondern genau auf der der KUNST, wie
vorhin gesagt, eine Lebendigkeits-Aufgabe stellt, die, wie es mir immer vorkommt,
doch eigentlich JEDEN Schreiber unendlich faszinieren muss“ [Hervorh. im
Orig.].16
Wie im Zitat beschrieben ist es die Gegensätzlichkeit der beiden
Zeichensysteme
oder
genauer
gesagt
die
Lebendigkeit
und
Gegenwartsbezogenheit der Bühne, die auf die Literatur eine starke
Anziehung ausübt. Nach Carsten Rohde resultiert diese Sehnsucht der
15
Goetz, Rainald, Abfall für alle. Roman eines Jahres, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 12003
(Orig. 1999), S. 271.
16 Ebd., S. 273.
15
Literatur nach der Hinwendung zu anderen, vermeintlich sinnlicheren
Künsten und Sphären aus folgendem Dilemma:
“Literature does not want to be literature because it suffers from its own
peripherality and the inadequacy of abstract expression. This causes the flight to
something else – in other supposedly more sensual arts, to nature, to ‘simple’ folk,
to religion, to politics. Goetz’s writing would only then be quite completed if, in
what appears to be a paradox, it stopped being literature.”17
Die im Zitat angesprochene Unzulänglichkeit der Schrift in Sachen
Sinnlichkeit und Abstraktion ist bezeichnender Fluchtpunkt und konstante
Grundfrage bei Rainald Goetz. In seiner Hinwendung zu einer
performativen Literatur gewinnt Goetz abseits vom selbstreferentiellen
fiktionalisierenden
Schreiben
ein
Alleinstellungsmerkmal
in
der
experimentellen Literatur der Postmoderne, so Stricker.18 Literatur soll
demnach über Text hinausreichen, Schreiben soll einen Überschuss an
Leben enthalten, zum „Sound“19 und „Rhythmus“20 werden, sich entgegen
ihrer Tendenz zum Geschlossenen und Starren den körperlichen Aspekten
zuwenden und „die ganze Musik der Sprache, die Worte, der Rhythmus,
Melodie und Sinn [...]“21 erschließen.
Das Programm der Verlebendigung von Schrift als „autistisches, reines, von
der Zeit selbst diktiertes Gekritzel [...], Atem“22 lässt sich deutlich am
Einbezug von authentischen und performativen Elementen erkennen. In
seiner Abkehr vom fiktionalisierenden Schreiben wendet er sich
autobiographischem und vorgefundenem Material zu. Der Distanz der
Schrift und dramatischen Mimesis wird eine performative, vom Furor
getriebene
Schreibweise
gegenübergestellt,
17
wobei
das
Körperliche,
Rohde, Carsten, „German Pop Literature – Rolf Dieter Brinkmann
and what came after“, in: German-Language Literature Today – International and
Popular? Hg. Arthur Williams et al., Oxford: Lang 2000, S. 295-308, hier S. 303.
18 Vgl. Stricker, Achim, Text-Raum. Strategien nicht-dramatischer Theatertexte. Gertrude
Stein, Heiner Müller, Werner Schwab, Rainald Goetz, Heidelberg: Universitätsverlag
Winter GmbH 2007, S. 270.
19 Goetz, Abfall für alle, S. 522.
20 Ebd.
21 Ebd.
22 Goetz, Rainald, Rave. Erzählung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 72013 (Orig. 1998), S. 262.
16
insbesondere der eingeschriebene Hass und Schmerz gegenüber dem Text
Evidenz von Wirklichkeit stiften soll.23 Die paradoxe Spannung zwischen
Textlichem und Lebendigem bringt ihn damit offensichtlich in die Nähe
theatraler Gegebenheiten, deren charakteristische Intensitäten auf die
„Asozialitätskunst“24 Schrift einwirken sollen: „Hier wird ein Text
leibhaftig. Hier ist die große Täuschung, Sinn könne Körper werden,
Grundgesetz.“25 Gegenwärtigkeit und Körperlichkeit werden hier dazu
eingesetzt, um Sprache als „Sprechereignis“ [Hervorh. im Orig.]26 zu
verwirklichen.
2.2 Forschungsstand
Die ältere, wie auch neuere Goetz-Rezeption greift die intermedialen und
performativen
Verfahrensweisen
der
medialen
Überkreuzung
und
energetischen Intensivierung in der Schrift des Autors auf. Dies lässt sich
oft auch an der Wahl des Vokabulars zur Beschreibung seiner Ästhetik
erkennen, um den Verknüpfungen und Anleihen zu literaturfremden
Rekursverfahren und Künsten Folge zu leisten.
Unter den zahlreichen Studien zur Bestimmung und Ausrichtung der
neueren deutschen Popliteratur, die sich im Speziellen ausführlich und
kontinuierlich mit Goetz’ Ästhetik seit Anbeginn seines literarischen
Schaffens
gewidmet
haben,
seien
exemplarisch
die
fundierten
Ausführungen des Literaturwissenschaftlers Eckhard Schuhmacher zu
Goetz genannt. Schuhmacher geht vor allem in Zusammenhang mit Goetz’
Gegenwartsobsession auf dessen Verfahren der Serialisierung ein. Dieses
Prinzip sei besonders gut anhand des Internet-Tagebuchs Abfall für alle
(1999) erkennbar, in dem die stetige Verwendung und Wiederholung des
23
Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 268f.
Goetz, Abfall für alle, S. 127.
25 Winkels, „Krieg den Zeichen“, S. 261.
26 Ebd., S. 258.
24
17
deiktischen
Verweises
„JETZT“27
in
Großbuchstaben
als
zeitstrukturierendes Element zum Einsatz kommt.28 Dadurch soll der
Moment als eine Art „Snapshot“29 schreibend eingefangen werden und Zeit
als permanentes Präsens wahrgenommen werden. Dadurch wird erkennbar,
wie sich die Textproduktion einer Praxis des Fotografierens annähert,
welche Goetz auch selbst aktiv betreibt, zumal er eigenes Fotomaterial auch
in seine Texte und Bücher einbaut. So wie Fotos als Indizien für eine
unmittelbare Momentaufnahme fungieren, soll auch der Schrift diese
Qualität zuteilwerden.
Ohne sie als direktes Zitat anzuführen knüpft Goetz mit seinen gattungsund medien- und diskursübergreifenden Schreibformen an die deutschen
Popliteraten erster Stunde, Hubert Fichte und Rolf Dieter Brinkmann an, die
solche Wege bereits in den 60ern bestritten.30 Betrifft das Verfahren der
Serialisierung vor allem die Bewusstseinswerdung von Zeitlichkeit, wird für
den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit vor allem die Konzeption und
Erfahrbarkeit von Räumlichkeit im Text relevant sein, die insbesondere
Assoziationen zu Brinkmanns literarischen Popentwürfen herstellt.31
Brinkmann plädiert in seinem Manifest für Pop-Literatur Der Film in
Worten (1982) für die Vermischung von Schreibweisen und Gattungen
sowie für eine lustbetonte, gegenwartsbezogene Literatur, die an das
schreibende Subjekt und das profane Erleben und sinnliche Empfinden
gekoppelt ist, wie es Pop-Art und die Beat-Autoren vorgemacht haben. In
seinem programmatischen Sammelband spricht er vom „Raumzeitalter“32
27
„Jedes ‚JETZT’ ist immer nur und immer schon Teil einer Serie, ein Moment des Textes,
das auf Vergangenes verweist und zugleich Fortsetzungen und Wiederholungen nach sich
zieht.“ Schuhmacher, Eckhard, Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart,
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 128.
28 Vgl. Ebd., S. 124.
29 Goetz, Abfall für alle, S. 200.
30 Schuhmacher, Gerade Eben Jetzt, S. 126.
31 Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 273f.
32 Brinkmann, Rolf Dieter, Der Film in Worten. Prosa, Erzählungen, Essays, Hörspiele,
Fotos Collagen 1965-1974, Reinbek: Rowohlt 11982, S. 245.
18
der Literatur, das sich in den USA vorzeitig durchgesetzt habe, während es
von europäischen Intellektuellenkreisen noch missbilligt werde. Seit Mitte
der 50er Jahre diene Literatur nicht mehr nur der Erhaltung akademisierter
Gattungen sowie nationaler Traditionen und Diskurse, sondern habe sich
stark erweitert:33
„Während die theoretischen Kritiker im Kreise gehen und ihre Gedanken von Satz
zu Satz fortschreiten, drückt sich das ‚andere’ Denken real in der Benutzung des
ungeheuren Formenreichtums aus, der heute zur Verfügung steht und entstanden ist
aus der Vermischung verschiedener Gebiete und Gattungen.“34
Brinkmanns Verfahren der literarischen Raumdurchkreuzungen anhand der
Zusammenführung verschiedener Schreibweisen sind zusammen mit den
Transkriptionen Andy Warhols, den literarischen Schnipseln, den ‚Cut-ups’,
von William S. Burroughs oder den Methoden der Dekontextualisierung
und Überlagerung von Wolf Vostell offenkundige Vorläufer von Goetz.
Deren Hinwendung zum vorgefundenen Material anstelle des imaginativen,
fiktionalen Schreibens, das sich in der Methode des Aufschreibens,
Transkribierens, sowie des Samplings und der Materialmontage äußert,
stellt bereits das in Aussicht, was Goetz der Realismus verpflichteten
deutschen Autorengeneration der 68er entgegensetzt35: Das „einfache wahre
Abschreiben der Welt.“36
Als Extrembeispiele für die konsequente Verfolgung oder vielmehr
Radikalisierung dieser Ästhetik des Montierens und Aufschreibens gilt sein
1500 Seiten-langer Materialband 1989. Material (1993) und das 864 Seitenlange Internet-Tagebuch, beziehungsweise in Buchform erschienene Abfall
33
Vgl. Brinkmann, Der Film in Worten, S. 227. „Das heißt: Dass es eine Bewegung ist, die
nicht mehr hauptsächlich durch Literarisierung bestimmt wird, doch auch keineswegs
Literarisches ausschließt. Vermischungen finden statt – Bilder, mit Wörtern durchsetzt,
Sätze, neu arrangiert zu Bildern und Bild-(Vorstellungs-)zusammenhängen,
Schallplattenalben, aufgemacht wie Bücher...etc.“ Ebd., S. 227f.
34 Ebd., S. 232.
35 Vgl. Buchwaldt, Martin, Ästhetische Radikalisierung. Theorie und Lektüre
deutschsprachiger Theatertexte der achtziger Jahre, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2007, S.
13.
36 Goetz, Hirn. Schrift, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 12003 (Orig. 1986), S. 19.
19
für Alle (1999). Während er bei erst Genanntem formal kaum in das Prinzip
des Ab- und Aufschreibens öffentlicher Diskurse eingreift, führt Abfall für
alle nach Schuhmacher mit seinen bereits erwähnten strukturierenden
zeitdeiktischen Formeln (Minutenindex, „JETZT“-Vokabel) und Samplings
anhand der Rhythmisierung und Montage der transkribierten Notationen
öffentlicher Diskurse vor, wie dem vermeintlich nicht originellen Material
in dieser Neuordnung sinnliche Qualitäten zukommen.37 In seinem
„Haltungsfanatismus und seinem Romantizismus“38 wird Goetz oft als
direkter Nachfolger von Brinkmann gesehen. Im Unterschied zu seinem
Pop-Vorläufer
seien
intermediale
Entgrenzungen
und
performative
Verdichtungstaktiken bei Goetz aber Ausdruck einer bewusst gelenkten
medialen Inszenierung.39
Ein neuerer Teil der Forschungsliteratur zu Rainald Goetz beschäftigt sich
im Zuge von Goetz’ Körperfixierung und seinem Faible für popkulturelle
Phänomene, wie etwa Techno, eingehend mit der Utopie Pop als diskursive
wie ästhetische Form mit kritischer und subversiver Implikation in Bezug
auf gewandelte politische Machtkonstellationen und Subjektwerdung.
Christoph Hägele beispielsweise, der primär Goetz’ Romane Irre (1983),
Kontrolliert (1988) und Abfall für Alle (1999) zum Gegenstand seiner
Analyse macht, geht darin den popkulturellen Aneignungen von Punk und
Techno auf den Grund. Im Anschluss an die Überlegungen von Deleuze und
Guattari bezeichnet er die literarischen Verfahren der Rhythmisierung und
Serialisierung
als
„deterritorialisierende
Soundästhetiken“40,
deren
Ereignisse und Intensitäten zum „Treibmittel der Autonomie und
authentischen Subjektivität“41 werden.
37
Vgl. Schuhmacher, Gerade Eben Jetzt, S. 134f.
Geer, Sophistication, S.17.
39 Vgl. Ebd.
40 Hägele, Christoph, Politische Subjekt- und Machtbegriffe in den Werken von Rainald
Goetz und Thomas Meinecke, Innsbruck: Studienverlag 2010, S. 141.
41 Ebd., S. 261.
38
20
Was die Rezeption seiner Theatertexte angeht, ist der Bestand an
Forschungsliteratur sehr viel überschaubarer. Franziska Schößler wählt in
ihrer Betrachtung der Raum- und Zeitfigurationen in den ersten beiden
Theaterstücken Krieg (1986) und Festung (1993) mit „Sampling“42 und
„Überlappung der Tonspuren“43 Bezeichnungen aus dem Fachjargon der
neueren
Popmusik
beziehungsweise
elektronischen
Musik,
deren
Produktionsweisen und Verfahren.
Johannes Windrich erkennt in seinem Versuch, Goetz’ und Thomas
Bernhards Stücke und andere Texte anhand der Subjekttheorie von Niklas
Luhmann zu lesen, in den Produktionsweisen von Techno, insbesondere im
Sampling der Tracks, strukturelle Parallelen zu Luhmanns Überlegungen
zur Latenz und zur Konstellation des Subjekts. Im Speziellen sieht er in
Goetz’ konzeptuellen und intermedial angelegten Theatertexten einen
Moment der Offenheit, wodurch die Möglichkeit zur Selbstbeobachtung
gegeben sei. Windrich versucht zu veranschaulichen, dass es sowohl bei
Luhmann als auch bei Goetz um die These gehe, dass Kommunikation nicht
primär vom Transport von Bedeutung handelt, sondern durch das
wechselseitige Durchkreuzen von Beobachtungen entsteht.44 Bereits in der
Erzählung Rave (1998) zeige sich Goetz’ Affinität zur Techno-Musik und
Clubkultur, in dem er jener Ästhetik des kollektiven, berauschenden
Rhythmus auch literarisch einen Ausdruck verliehen habe.45 Es interessiert
Goetz bei Techno vor allem das Entstehen endlos neu kombinierbarer
Techno-Tracks, die nur scheinbare Wiederholungen seien, sowie das
Wechselspiel von Abspielen der Nummern durch den DJ und die
darauffolgende Reaktion der Tänzer, die wiederum auf den DJ wirke. Diese
42
Schößler, Franziska, „Zeit und Raum in Dramen der 1990er Jahre – Elfriede Jelinek,
Rainald Goetz und Marlene Streeruwitz“, in: Soziale Räume und kulturelle Praktiken. Über
den strategischen Gebrauch von Medien, Hg. Georg Mein/Markus Rieger-Ladich,
Bielefeld: transcript 2004, S. 235-257, hier S. 243.
43 Ebd.
44 Vgl. Windrich, Johannes, Technotheater. Dramaturgie und Philosophie bei Rainald
Goetz und Thomas Bernhard, Paderborn: Wilhelm Fink 2007, S. 263f.
45 Vgl. Knörer, Ekkehard, „Virtuosenstück der Bejahung. Rainald Goetz’ Theaterstück ‚Jeff
Koons’“, www.jump-cut.de/rainaldgoetz.html, 22.10.2015.
21
interaktive Komponente sowie die permanente Abwechslung von sinnlicher
Ekstase bei gleichzeitiger Absenz von Diskursivität, sind nach Windrich
grundlegende Charakteristiken in Goetz’ Ästhetik des Wechselspiels von
Konkretion und Abstraktion.46
Achim Stricker hingegen setzt sich in seiner ausführlichen Untersuchung zu
theaterästhetischen
Raumentwürfen
in
den
„nichtdramatische[n]
Theatertexten“47 von Gertrude Stein, Heiner Müller, Werner Schwab und
Rainald Goetz ähnlich wie Schößler auf „referentielles Rauschen“48, das als
Resultat der Überlagerung von Kontexten eine hermeneutische Lektüre von
Sinn und Bedeutung bewusst verweigere. Stricker sieht in Rainald Goetz‘
alternativen dramatischen Figurationen eine Konzeption von Intermedialität
im Sinne einer „Entgrenzung des textuellen Zeichensystems“49 und plädiert
im Fall von Goetz für die These einer Texttheatralität als „Verräumlichung
von Text“50, wonach äußerer und innerer Bezugsrahmen ununterscheidbar
werden. In Anlehnung an Gerda Poschmanns Versuch der Differenzierung
der Theatralität in Texten als „impliziter szenischer Theatralität“51 einerseits
und Texttheatralität als „Eigenschaft der Sprache“52 andererseits, welche die
„performativen Dimensionen von Sprache“53 freilege, versucht er jene
Elemente ausfindig zu machen, wo Texttheatralität als Raum entstehen
kann, in welchem durch die „Interaktion von visuellen und sonoren
Signifikanten die Bewegung eines körperlichen Denkens“54 erkennbar wird.
Insofern will Stricker jene „Suchfelder“55 ausfindig machen, wo
46
Vgl. Windrich, Technotheater, S. 413.
Stricker, Text-Raum, Titel.
48 Ebd., S. 272.
49 Ebd., S. 271.
50 Ebd., S. 65.
51 Poschmann, Gerda, Der nicht mehr dramatische Theatertext. Aktuelle Bühnenstücke und
ihre dramaturgische Analyse, Tübingen: de Gruyter 1997, S. 44.
52 Ebd.
53 Ebd.
54 Finter, Helga, Der subjektive Raum. Band. 2. ... der Ort, wo das Denken seinen Körper
finden soll: Antonin Artaud und die Utopie des Theaters, Tübingen: Gunter Narr 1990, S. 6.
55 Stricker, Text-Raum, S. 325.
47
22
Texttheatralität
durch
intermediale
und
semiotische
Sinngebungsmodalitäten im Text resultiert.
2.3 Problemstellung und Zielsetzung
Die vorliegende Untersuchung ist vor allem von der Frage geleitet, welcher
Entwurf von Theatralität anhand des Stücks Jeff Koons hervorgeht und
welche
performativen,
bildlichen
und
musikalischen
Komponenten
hinsichtlich Texttheatralität hierfür eine Rolle spielen. Theatertexte, deren
dramatische Struktur sich nicht anhand des Dialogs der Figuren ausdrückt,
sondern wo sich das Dramatische auf die sprachliche Konstellation und „auf
den theatralen Repräsentations- und Wahrnehmungsprozess“56 verlagert,
befragen auch das Verhältnis zwischen Literatur und Bühne. Dahingehend,
dass Goetz’ Handlung klar zuzuordnenden Rollen sowie der klassischen
Aufteilung in Haupt- und Nebentext eine Absage erteilt, fordert er die
gegenwärtige Bühnenpraxis auch dazu heraus, Theatralität zu hinterfragen.
Mit den genannten Suspendierungen im Stück lenkt der Autor den Blick
folglich weg von gattungsspezifischen Kategorisierungen und hin auf die
Frage, inwiefern ein Text theatral ist, sprich was hier zur Aufführung
kommt.
Wie Theresia Birkenhauer erläutert war die Gattungsabgrenzung dramatisch
von rhetorisch und episch bereits in symbolistischen und lyrischen
Theatertexten des 19. Jahrhunderts obsolet geworden. Die Texte
Maeterlincks, beispielsweise, richteten ihre Wirksamkeit nicht primär auf
den Rollentext, sondern hauptsächlich auf eine autopoetische Funktion, und
wären so wegweisend für Alternativen der sprachlichen Darstellung und
Haltung gegenüber einer Darstellungspraxis und Rezeption lange vor einer
postdramatischen Epoche gewesen.57 Insofern sind Dramentheorie und
Literaturwissenschaft herausgefordert, den weitläufigen Theatralitätsbegriff
56
Vgl. Birkenhauer, Theresia, Schauplatz der Sprache – das Theater als Ort der Literatur.
Maeterlinck, Čechov. Genet, Beckett, Müller, Berlin: Vorwerk 8 2005, S. 16.
57 Vgl. Ebd., S. 16f.
23
mit Blick auf zeitgenössische Dramatiker fortwährend einer Revision zu
unterziehen und Versuche der Einteilung wie etwa dramatisch und
postdramatisch oder die von Gerda Poschmann geprägte Kategorie der
„Texttheatralität“58 stets induktiv zu untersuchen.59
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung des Theatertexts Jeff Koons, der
auf den ersten Blick jegliche szenischen Verweise auf eine mögliche
Bühnenumsetzung zu ignorieren scheint, soll sich die Analyse vor allem auf
texttheatrale Strategien, sprich performative Gestaltungen im Text anhand
einer verbal-textuell geleiteten dramaturgischen Analyse fokussieren, um in
der textuellen Zeichenpraxis theatralische Potentiale zu eruieren. Es geht
also darum, zu zeigen, wo solch theatrale Wirkung im Text selbst verortet
werden kann; „in seiner Ordnung, Gestaltung und Funktionsweise als
Textmaschine.“60
58
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 242. Poschmann proklamiert in
der seit den 1960er Jahren entwickelten Begriffsdebatte rund um die Polemik Drama vs.
Theatertext die Neu-Ausrichtung des Verhältnisses Theater und Text und plädiert im Zuge
gewandelter Schreibweisen und Aufführungspraktiken für neue Begriffe rund um die
Konzepte und Formkriterien von Drama und Theatralität. Sie schlägt ‚Textträger’ anstatt
der Bezeichnung ‚Figuren’ vor oder ‚Sprech- und Zusatztext’ anstatt ‚Haupt- und
Nebentext’; auch bemüht sie sich um eine Klassifizierung verschiedener Arten von
Texttheatralität, die der Re-Theatralisierung von Literatur und Entliteralisierung des
Theaters Rechnung tragen wollen; allerdings zeigt sich, dass auch Poschmanns Dichotomie
‚dramatisch’ und ‚nicht mehr dramatisch’ zu kurz greift und wiederum die vermeintlich
zeitliche Sukzession und damit Überwindung des Dramas suggeriert, was die Problematik
des Begriffs ‚postdramatisch’ wiederum untermauert. Kritiker bemängeln dabei, dass diese
Kategorien eine grundsätzlichere Untersuchung des Verhältnisses von Literatur und
Aufführung sowie fallspezifische Analysen des Umgangs mit theatralen
Darstellungskonventionen, wie etwa die doppelte Achse Bühne-Zuschauerraum in der
Literatur und dem daraus entstehenden Spannungsverhältnis, vernachlässigen würden.
59 Im Rahmen des Symposiums Sinn egal. Körper zwecklos. Postdramatik – Reflexion &
Revision. Veranstaltet von der Forschungsplattform Elfriede Jelinek in Kooperation mit
dem Elfriede Jelinek-Forschungszentrum, den Wiener Festwochen und der Kunsthalle
Wien, 14.-18. Mai 2014, das den Schwerpunkt auf dem Verhältnis von Text und Theater,
Autor und Bühne setzte, zeigte sich vor allem in den Diskussionen rund um die Begriffe
‚Drama’, ‚Theatertext’ und ‚Texttheatralität’ die Enge dieser Begriffe als ästhetische
Kategorien aufgrund der im Wandel begriffenen Auffassungen von Bühnenpraktiken und
Theatralität allgemein.
60 Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 324.
24
Für diese Untersuchung von Goetz’ Theatertext Jeff Koons soll Achim
Strickers These einer „Sprach-Ausstellung“61 im Auge behalten werden,
wonach Intermedialität in dem Fall wesentlich durch die Annäherung der
Schrift an bildkünstlerische Prozesse und Darstellungsformen zu ergründen
wäre. Nach Stricker handle es sich bei den Szenen und Akten um
nebeneinander gereihte Sprach-Bilder, die aus der kontemplativen
Innenschau von Sprache entstehen und ihr Sinnpotenzial in Rhythmik, Bild
und Klang aufgehen lassen.62
Was die intertextuellen Verweise und Adaption bildkünstlerischer
Verfahren betrifft, soll anstelle des vollständigen Nachvollzugs erwägt
werden, welche Wirkung aus dem Spiel mit der Zitatfülle und
Intermedialität hervorgeht.63
Im Zuge eines untergeordneten Diskurses soll in der Analyse auch auf den
Pop-Begriff und die Pop-Kunst des Künstlers Jeff Koons eingegangen
werden, dessen Kunst und Werdegang Goetz als diskursiven Hallraum für
sein Stück benutzt. Insofern kann diese thematische Ausrichtung eine
Positionierung seitens Goetz zum Feld Pop, populäre Kultur und
Kunstkontext vermuten lassen. Was interessiert Goetz am Künstler Koons?
Ist dessen dominante Position in der Kunstszene die eines souveränen
Künstlersubjekts oder Effekt geschickt genutzter medialer Inszenierung und
damit Prototyp für den Selbstinszenierungs-Zeitgeist und Triumpf des
Kommerzes?
Welche
Pop-
und
Kunstposition
stellt
Goetz
dem
Gegenwartssubjekt Jeff Koons gegenüber, dessen selbstbestimmter und vom
Anspruch der Selbstverwirklichung geleitetes Lebensprinzip- und Stil im
gegenwärtig
postfordistischen
gesellschaftlichen
Zeitalters
Allgemeinplatz
und
geworden ist?
61
Stricker, Text-Raum, S. 287.
Vgl. Ebd., S. 295.
63 Vgl. Ebd., S. 274.
62
25
zum
auserkorenen
unfreiwilligen
Statussymbol
In Bezug auf Pop und seiner Nähe zu theatralen und performativen
Verfahren und Formen stellt sich die Frage, wie Goetz den Pop-Anspruch
der Durchkreuzung von ‚high’ und ‚low’, Heiligem und Profanem am
Modell Theater und am Genre Theatertext zur Geltung bringt. Zentrale
Aspekte der ästhetischen Pop-Verfahrensweise von Goetz wurden bereits
anhand der Ausführungen Schuhmachers in Hinblick auf den Umgang mit
Zeit anhand der Verfahrensweisen der ‚Jetzt’-Serialisierung sowie der
Überlagerung von Kontexten und Sprechweisen beschrieben. Diese
Gegenwartsfixierung
und
Emphase
auf
Vollzug,
Vorführung
und
Selbstbespiegelung tangiert damit auch die Konzepte Performance und
Performativität, welche als Instrumentarien der Kulturwissenschaft seit den
90ern im Zuge einer zunehmenden Medialisierung von Gesellschaft in der
Forschungsliteratur virulent sind.64 Zumal der Fokus dieser Arbeit auf der
Beschreibung und Analyse von Goetz’ theaterästhetischer Figuration liegt,
werden diese Konzepte theoretisch hier nicht näher theoretisch debattiert, da
sie in dieser Untersuchung lediglich zur Beschreibung der Wirkung von
ästhetischen Verfahrensweisen zum Einsatz kommen.65
64
Vgl. Hempfer, Klaus W./Jörg Volbers (Hg.), „Vorwort“, in: Theorien des Performativen,
Bielefeld: Transcript 2011, S. 7f. Exemplarisch für eine Vielzahl von Literatur zur Ästhetik
des Performativen sei dieser Sammelband genannt, in dem sich die Autoren um eine
kritische Bestandsaufnahme jener Konzepte als gängige kulturwissenschaftliche
Analysetools bemühen und die Anwendung dieser Konzepte an konkreten Beispielen
anbieten, um die Pluralität der Theorien aufzuzeigen. Es sei auch auf die Ausführungen von
Sybille Krämer verwiesen, welche die Beziehungen zwischen Medialität und
Performativität untersucht und das Performative als diskursive Praxis, die auch Materialität
und Körperlichkeit umschließt, begreift. Siehe Krämer, Sybille (Hg.), Performativität und
Medialität, München: Wilhelm Fink 2004.
65 Mersch führt die breite Diskussion rund um das Paradigma des Performativen darauf
zurück, dass es als Konzept die Beziehung zwischen Praxis und Handlung in ein neues
Licht stellt, zumal es sie um die „Aspekte der Auf- und Vorführung, der Präsentation und
des Vollzugs“ zusätzlich zum Symbolischen, dem Medium und der Medialität erweitere
und so eine Betonung des Ereignisses, der „Singularität“ einer Handlung, mit sich bringe,
was sich auch auf ein verändertes Verhältnis zu Macht und Gewalt auswirke. Vgl. Mersch,
Dieter, „Einleitung“, in: Performativität und Praxis, Hg. Jens Kertscher/Dieter Mersch,
München: Wilhelm Fink 2003, S. 8.
26
2.4 Methodik
Die Verwendung des theatralen Modells für eine intermediale und
körperliche Sprachpraxis seitens Geotz legt einen Entwurf von Theatralität
nahe, wie ihn Roland Barthes im Begriff der „Szenographie“66 denkt. In
seiner Kontextualisierung des Theatralen als kulturellem Dispositiv67 wird
Theatralität als Verquickung von Szene und Schrift („Schrift – graphe,
Graphem, greffier sowie Griffel, grapheion und der „In-Szene-Setzung“68)
dargestellt. Barthes’ theoretische Überlegungen im Rahmen seines Entwurfs
einer szenischen Semiotik sind am Begriffsmodell Theater orientiert, was
man auch an der Wahl theatereigentümlicher Topoi wie etwa Szene,
Vorstellung, Mimesis für seine semiotischen Ausführungen zum Text, zum
Bild oder zum Medienwechsel erkennen kann. Das theatrale Modell mit
seiner spezifischen Multimedialität und Prozessualität als Raum-Kunst
liefert für Barthes Anlass für den Entwurf intellektueller Figurationen, die
dem Zusammenwirken von Wirklichkeitskonstitution und Wahrnehmung
sowie dem Verhältnis von Repräsentation und Präsenz in verschiedenen
Medien und Zeichensystemen Rechnung tragen.69
Daher
sollen
vor
allem
Barthes’
theoretische
Überlegungen
zur
Theatralisierung der Sprache darüber mehr Aufschluss geben, auch weil
66
„La métaphore de la scénographie est encore féconde; elle n’est pas été exploité
complètment. Cela consisterait á donner un primat á celui qui met en scène par rapport á
celui qui joue. Notre théatre est un théatre d’acteurs, par tradition.“ Barthes, Roland,
Oeuvres Complètes, Édition établi et présentée par Éric Marty, Tome I 1942-1965, Tome II
1966-1973, Tome III 1974-1980, Paris: Éd. du Seuil 1995, hier II, S. 1485.
67 Vgl. Neumann, „Einleitung“, in: Szenographien. Theatralität als Kategorie der
Literaturwissenschaft, Hg. Gerhard Neumann/Caroline Pross/Gerald Wildgruber, Freiburg
im Bresgau: Rombach 12000, S. 11-35, hier S. 24.
68 Barthes, Oeuvres Complètes, II, S. 1335ff.
69 Barthes’ intellektuelle Stellungnahmen zum Theater kulminieren und enden gleichzeitig
mit dem Besuch von Brechts epischem Theater durch ein Gastspiel des Berliner Ensembles
in Paris 1960. Im Zuge dessen sieht er Brecht mit seiner neuen V-Formel eines Theaters
abseits der psychologischen Einfühlung als den Vertreter eines neuen Theater an und
ignoriert gleichzeitig jedoch andere zeitgenössische Visionäre, wie etwa das Living Theatre
oder dann auch Robert Wilson, die auch eine Theaterreform allerdings in der Tradition von
Artaud und Grotowski versuchen. Siehe Lehmann, Hans-Thies, Postdramatisches Theater,
Frankfurt a. M.: Verlag der Autoren 32005 (Orig. 1999), S. 42f.
27
sich seine medienübergreifenden Reflexionen zum Zusammenhang von
Wahrheit, Bedeutung und Sinn in der Sprache sowie seine Aufwertung des
Rezipienten als übergreifende Gedankenfiguren eignen, um Goetz’
texttheatrale und mediale Sprachkonstellationen in der Tradition der
‚écriture corporelle’ kontextualisieren zu lassen.
Es wird von folgender Prämisse ausgegangen: Wenn Theater als „ModellMedium für ein intermediales Wechselspiel der Künste“70 verstanden wird,
innerhalb dessen die verschiedenen Zeichensysteme und Medien als solche
organisch erhalten bleiben, ohne deren eigene Materialität und Medialität
aufzuheben71, kann Theatralisierung als „potenzierte Beweglichkeit der
Zeichen“72 zur metaphorischen Vorlage für eine plurimediale künstlerische
Verfahrensweise gedacht werden. Neben Helga Finters und Gerda
Poschmanns Anmerkungen zur Texttheatralität soll vor allem ausgehend
von Barthes’ Figurationen von Theatralität als sprachimmanentes Element
und Modell für eine Zeichenlehre aufgezeigt werden, inwiefern die theatrale
Vorlage Einfluss auf den Anspruch der Performativität und Körperlichkeit
durch die Schrift bei Goetz nimmt. Dabei interessiert vor allem die Frage,
ob
und
wie
Texttheatralität
als
„Autoreflexion
theatraler
Signifikantenpraxis“73 zum Vorschein tritt – also inwiefern Theater als
Situation und Raum oder Rahmung dazu genutzt wird, um „mit
körperlichen räumlichen oder zeitlichen Dimensionen der Sprache [zu]
arbeiten“74.
Bevor in der Analyse die spezielle theatrale Konstellation und die
intermedialen Verfahren des Stücks aufgeschlüsselt werden, also inwiefern
hier auch Texttheatralität als Intermedialität zum Tragen kommt, sollen
70 Meyer, Petra Maria, Intermedialität des Theaters – Entwurf einer Semiotik der
Überraschung, Düsseldorf: Parega 2001 (Zugl.: Mainz, Univ., Habil.-Schr. 1998), S. 52.
71 Vgl. Stricker, Text-Raum, 2007, S. 59.
72 Ebd.
73 Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 33.
74 Ebd., S. 179.
28
Poetizitätstheorien der Sprache und Schrift anhand des Konzepts der
‚écriture corporelle’ dargestellt werden. Das umfasst neben einer
Genealogie des Konzeptes einer körperlich gedachten Schrift oder eben
eines literarisch gedachten Theaters, wie sie Mallarmé oder Artaud
entwarfen, auch Barthes’ Überlegungen zu einer szenischen Semiotik und
das Konzept der Verräumlichung als sprach- und ideologiekritische
Methode, wie es Barthes antizipiert hat und von Theoretiker*innen, wie
etwa Julia Kristeva, im Sinne der Dekonstruktion weitergedacht wurde.
Texttheatralität in dieser theoretischen wie praktischen Tradition zu sehen,
schließt womöglich auch an Pop-Postulate an, die ebenso im Zeichen der
möglichst engen Verbindung von Diskurs und Praxis stehen.
Ausgehend davon verspricht sich die Untersuchung einen umfassenden und
möglichst offenen Blick auf das theatrale Dispositiv als Denkform für den
Konnex von Körperlichkeit und Schrift.
29
3 Theoretische Voraussetzungen
Bevor jene methodischen Ansätze zur Intertextualität, Intermedialität sowie
Texttheatralität vorgestellt werden, welche in dieser Arbeit kombiniert zur
Anwendung kommen, soll der für Goetz prägende Pop-Gestus näher
beschrieben werden. Indem Strategien und Charakteristika von Pop
aufgezeigt
werden
Vorgehensweise
oppositionellen
soll
der
eine
Verbindung
experimentellen
Reibungsflächen
zu
Goetz’
ästhetischen
Gegenüberstellung
hergestellt
werden.
Zumal
von
der
Literaturbegriff von Goetz stark vom Spannungsverhältnis zwischen Absenz
und Präsenz bestimmt wird erweist sich die Bühne als diametral dem
Schreiben entgegengesetzter Sehnsuchtsort: als Metapher für sein Schreiben
und als ein de facto existierender Kunstraum, in dem eine tatsächliche
mediale Übersetzung seiner Theatertexte stattfinden kann. Insofern soll die
theoretische
Fundierung
und
Begriffsabklärung
auch
eine
gute
Voraussetzung schaffen, um die Konzepte der Theatralität sowie
Texttheatralität für den weiteren Verlauf der Analyse möglichst
einzugrenzen.
3.1 Schreibweisen des Pop: Gegenwart, Vollzug, Körper
Das folgende Unterkapitel zu Pop soll die Verfahrensweisen und Haltung
des
Autors
Goetz
im
Rahmen
des
Literaturkontexts
und
der
popintellektuellen Szene in Deutschland kontextualisieren. Ebenso soll
verdeutlicht werden, inwiefern Pop mit ästhetischen Strategien operiert,
welche Theatralität, Inszenierungsmechanismen und Performativität mit
einbeziehen. Als diskursive Denkform, so wie sie von der deutschen
poptheoretischen Linken rund um Diedrich Diederichsen geprägt wurde,
stellt Pop mit seinen Posen, exklusiven Codes und seiner Verweigerung von
Kommunikation auch eine Form von ästhetischer Kommunikation dar und
wird damit auch Fragen um die scheinbare Abgrenzung von theoretischem
Diskurs und ästhetischer Praxis auf.
30
3.1.1 Das Pop-Debüt Subito und der Auftritt in Klagenfurt (1983)
Goetz‘ dringlicher Schreibgestus gegen die Anpassung an gattungsbezogene
Normvorgaben,
Rahmen
und
Sujets
ist
bereits
vor
seiner
aufsehenerregenden Subito-Lesung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
1983 in seinen literaturkritischen und essayistischen Publikationen für das
Feuilleton oder in den tagebuchartigen Formaten seit 1976 zu erkennen.75
Drückt sich in Titeln wie etwa „Ich lese, wie um mein Leben“ (1978) oder
„Ich muss um mein Leben schreiben“ (1983) noch eine anfängliche Flucht
in die Literatur und Sehnsucht nach Normalität eines von Einsamkeit
erfassten, nichtangepassten Studenten der Geschichte und Medizin76 aus,
wird der Widerspruch zwischen Wort und Wirklichkeit, Denken und Leben
für ihn bald schon programmatischer Impetus und Fluchtpunkt für seine
„Ästhetik der Lebensmitschrift“77. Der prekären Souveränität des Subjekts
angesichts
ubiquitärer
gesellschaftlicher
Verwertungszusammenhänge
begegnet er mit der Methode der „Fiktionsvernichtung durch scheinbare
Authentizitätsakribie“78, welche er erstmals anhand der zeitnahen Schriften
Subito (1983) und dem Roman Irre (1983) realisiert.
Goetz spricht davon, Literatur als „atmendes Schreiben“79 zu betreiben.
Dass er dabei permanent autobiographische Verweise in seine Texten
einfließen lässt und ebenso den eigenen Körper als erweiterte Textur seines
ästhetischen Programms ansieht, könnte auch als ironischer Kommentar
gesehen werden, dadurch ein Mehr an Authentizität in einem zunehmend
von Medialisierung geprägten westlichen Alltag zu suggerieren, in dem sich
75
Vgl. Kühn, Rainer: „Rainald Goetz“, in: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur (KLG – 10/04), Hg. Heinz Ludwig Arnold, München: 78.NIg. 2004,
S. 1-12, hier S. 1.
76 Goetz ist promovierter Historiker und Arzt. Doktor, Thomas/Carla Spies, „Rainald
Goetz“, in: Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts, Hg. Alo Allkemper/Norbert Otto
Eke, Berlin: Erich Schmidt 2000, S. 858-883, hier S. 868.
77 Kühn, „Rainald Goetz“, S. 2.
78 Ebd.
79 Goetz, Rainald, Kontrolliert. Geschichte, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988, S. 52.
31
„Künstler als Indizien für Wirklichkeit entdecken“80, was Einzug in
Happening, Performance wie auch den postmodernen Schauspielerkörper
hält.81
Mediales Aufsehen im literarischen Fachpublikum löst Goetz durch den
skandalträchtigen Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im ORFLandesstudio in Klagenfurt 1983 aus, als er Text und Geste, Darstellung
und Dargestelltes, Text und Körper, Autor und Werk in einem
performativen Akt oder Einpersonenstück zusammenzwingt. Während der
Lesung des Textes Subito fügt sich der ausgebildete Mediziner gegen Ende
der Lesung des eigens für diesen Anlass verfassten Textes Subito einen
sauberen Schnitt mit einer Rasierklinge auf der Stirn zu und ist anschließend
trotz starker Blutung nicht davon abzubringen, den Text bis zum Ende
vorzulesen.82 Es handelt sich dabei um den folgenden Abschnitt, der, mit
seinen provokanten Kraftausdrücken und der Nachahmung bayrischer
Mundart, bezeichnend für den Stil der Durchmischung der Redeweisen von
Goetz ist:
„Das ist doch ein Schmarren, sagte Raspe, das ist doch ein Krampf, denen was
vorzulesen, was eh in meinen Roman hinein gedruckt wird, eine tote Leiche wäre
das, die ich mitbringen täte und hier voll tot auf den Tisch hin legen täte, ich bin
doch kein Blödel nicht, ich lege denen doch keinen faulig totig sic stinkenden
Kadaver da vor sie hin, von dem sie eine Schlafvergiftung kriegen müssen, es muss
doch BLUTEN, ein lebendiges echtes rotes Blut muss fließen, sonst hat es keinen
Sinn, wenn kein gescheites Blut nicht fließt“ [Hervorh. im Orig.].83
Gegen die Erwartung nur Text vorzulesen, vollzieht Goetz also am eigenen
Körper die aus dem Text hervorgehende Konsequenz, wonach erst das
Sichtbarmachen des vollen Körpereinsatzes, sogar das Fließen des eigenen
Bluts, das Gesagte beglaubigt. Es scheint, als ob der Text durch die
80
Roselt, Jens, „Postmodernes Theater – Subjekt in Rotation“, in: Räume der literarischen
Postmoderne – Gender, Performativität, Globalisierung, Hg. Paul Michael Lützeler,
Tübingen: Stauffenberg 2000, S. 147-166, hier S. 163f.
81 Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 268.
82 Zusammenschnitt der Subito-Lesung des ORF, Ingeborg-Bachmann-Preis 1983,
www.youtube.com/watch?v=_BEjgp9MAEY, 0:53-09:17’, hochgeladen am 09.10.2010,
22.10.2015.
83 Goetz, Rainald, Hirn. Schrift, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 12003, (Orig. 1986), S. 9f.
32
Verquickung von Bezeichnetem und Bezeichnendem, gelesenem Wort und
ausgeführter
Aktion
sinnliche
Unmittelbarkeit,
Tiefenschärfe
und
Konkretion erfährt. Literatur wird hier zur „Aktionskunst“84, zum
„performativen, präsenzkulturellen Ereignis“85. Auch die Art und Weise der
vorgetragenen Prosodie in emotionaler wie hellwacher Erregung und der
zunehmend beschleunigende und laute Duktus beim Lesen, der mit
steigender Dringlichkeit um die Textzeilen peitscht, verstärkt den Effekt,
Zeuge eines „integrativen performative[n] Handlungszusammenhangs“86 zu
werden.
Seine zum medialen Ereignis mutierte Lesung in Klagenfurt wird zwar mit
keinem Preis versehen und von der Kritik beinahe unisono als
Effekthascherei und geltungseifrige Provokation abgetan, aber Goetz
bewirkt mit seinem skandalträchtigen Auftritt und dem anschließend medial
kursierenden Foto des blutenden Autors mit Punk-Frisur eine Bloßstellung
des literarischen Großevents und dessen medientheatralen Charakters. Goetz
sprengt mit seinem Auftritt, der Text, Lesung und Autor untrennbar in
diesem auf den eigenen Körper ausgeweiteten Text als (Sprech)-Akt, den
Rahmen Buch und demaskiert das latente, von Sensationsgier gelenkte
„aggressive Prinzip der Medientheatralität“87 hinter der Veranstaltung. Das
abwertende Urteil über ‚Klagenfurt’ im Text Subito, wo es nach Goetz
„nicht um die fade Literatur, sondern um die lustige Hüftenschusskritik“88
gehe, bezieht sich vor allem auf das Selbstverständnis und die
Selbstinszenierung der Kritiker*innen, die mit ihren Geschmacksurteilen
das vorrangige Literaturverständnis prägen.89
84 Gropp, Petra, „‚Ich/Goetz/Raspe/Dichter’“, in: Schriftsteller-Inszenierungen, Hg. Gunter
E. Grimm/Christian Schärf, Bielefeld: Aisthesis 2008, S. 231-247, hier S. 241.
85 Ebd.
86 Ebd.
87 Ebd.
88 Goetz, Hirn, S. 17.
89 Bei der mehrtägigen Veranstaltung Tage der deutschsprachigen Literatur wird jährlich
auch der Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt vergeben. Eine Jury gibt nach jeder
Lesung dem Autor oder der Autorin unmittelbar danach eine Kritik zum Text ab. Während
33
Mit dieser Lesung geht Goetz nicht nur als „Enfant terrible des
Literaturnachwuchses der achtziger Jahre“90 in die Literaturgeschichte ein,
sondern stellt als „Vertreter der Popsemantik“91 vor allem auch die Weichen
für eine neue Generation von Pop-Literaten. Die performative Lesung wird
sich als bezeichnendes Debüt für sein performativ-literarisches PopProgramm, in dem die Verzahnung von Leben und Schrift, Schreiben und
Körper, Medium und Autor konstitutiv sind, in die Rezeption des Autors
einprägen.92 Der erst nach der Lesung in Klagenfurt publizierte Text Subito
bildet einen Ausschnitt aus der Publikation Hirn (1986). Es liest sich als
prägnanter Abriss mit zahlreichen autobiographischen Anspielungen auf die
Transformation des Psychiatriearztes Raspe, potenzielles alter Ego von
Goetz, und Protagonist des 1983 erschienenen Romans Irre, der sich mehr
und mehr von seinen ärztlichen Vorbildern und Idealen verabschiedet.93
Fernab von der Münchner „Diaspora“94 trifft sich Raspe lieber mit seinen
Peers, seinen Szene-Kollegen, wie etwa Diedrich Diederichsen, dem
„Ultraheroe“95 und „geniale[n] Kulturkritiker Neger Negersen, genannt
Stalin“96 oder dem Maler Albert Oehlen (die Figur „Albert Gagarin“97) im
Szenetreffpunkt „Subito“98 in Hamburg.
der dreitägigen Lesungen vergibt die Jury den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis,
der zu den wichtigsten Literatur-Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum gehört.
90 Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 869.
91 Geer, Sophistication, S. 150.
92 Vgl. Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 868f.
93 Goetz, 1954 geboren in München, absolviert wie die Hauptfigur des Romans Irre (1983)
ein praktisches Jahr als Arzt in der Nervenklinik der Universität München. Während des
Studiums verfasst er Literatur- und Kulturkritiken u.a. für den SPIEGEL. 1981 erhält er
seine Approbation als Arzt, 1982 schließt er seine Promotion als Arzt zum Dr. med. ab. Mit
30 gibt er aber seine aussichtsreichen Karrieren als Arzt und als Historiker auf, um sich
ganz der schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Der Autor lebt in Berlin. Siehe o.A.,
Munzinger-Archiv online, „Rainald Goetz“,
www.munzinger.de/search/portrait/Rainald+Goetz/0/20872.html., Stand: KW 28/2015,
22.10.2015.
94 Goetz, Hirn, S. 15.
95 Gemeint ist Goetz’ Intellektuellen-Freund und Förderer Diedrich Diederichsen, der
Herausgeber der Popmusikzeitschriften SPEX, und SOUNDS ist; Diederichsen
veröffentlicht Texte in SPEX unter dem Pseudonym Stalin Stalinsen. Siehe Ebd., S. 14.
96 Ebd.
34
Goetz formuliert in diesem Text mehr oder weniger explizit auch sein an die
Poptheorie angelehntes Programm und die Kraftquellen seines literarischen
Schaffens. Angelehnt an die angloamerikanische Schule der Cultural
Studies
entsteht
Anfang
der
achtziger
Jahre
im
deutschen
Musikjournalismus, insbesondere im Musikmagazin SPEX unter dem
Chefredakteur Diedrich Diederichsen (ein Pseudonym) Pop als diskursive
Form und Kulturkritik, die „Phänomene der Alltagskultur und der Popkultur
theoretisch und politisch zu kontextualisieren versucht.99 Darüber hinaus,
entwickelt sich in diesem neuen Intellektuellenkreis Pop auch als distinkte
Rhetorik und Habitus mit eigenen Codes.
3.1.2 Rhetorik und Strategien des Pop
In der popintellektuellen Peergroup rund um den deutschen Pop-Theoretiker
Diedrich Diederichsen, den Goetz als „widerspruchreichste[n] Denker“100
bezeichnet, etabliert sich Pop als diskursives Phänomen zwischen legitimer
und subkultureller Kulturkritik. Auch Goetz schließt sich mit Credo „Alles
geht uns an, alles“101 an das von Leslie Fiedler 1968 proklamierte Motto
„Überquert die Grenze, schließt den Graben“102 als Forderung der
Aufhebung von ‚high’ und ‚low’ an, um einer Pop-Literatur zwischen
modernistischem Anspruch und Post-Moderne zur Legitimation zu
verhelfen. Anhand der Collagierung und Aneignung von Codes, Diskursen
und Zitaten verschiedener Wissens- und Zeichensysteme, aus der U- und EKultur, aus Akademia, wie auch Alltagskultur, beansprucht der Kreis der
Pop-Intellektuellen rund um Diederichsen damit die Etablierung eines
97 Vermutlich eine Anspielung auf seinen langjährigen Freund, den Maler, Albert Oehlen.
Goetz, Hirn, S. 15.
98 Ebd.
99 Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 881.
100 Goetz, Celebration, S. 268.
101 Goetz, Abfall für alle, S. 289.
102 Fiedler, Leslie A., „Überquert die Grenze, schließt den Graben! (1968)“, in: Texte zur
Theorie des Pop, Hg. Charis Goer/Stefan Greif/Christoph Jacke, Stuttgart: Reclam 2013, S.
79-103, hier S. 79.
35
popkulturellen Raums als dissidente Praxis, als subversive Strategie
„kultureller Dehierarchisierung“103. Diese Rhetorik setzt die Kenntnis der
verwendeten Verweise und Referenzen als Insiderwissen voraus und weist
dementsprechend einen exklusiven Charakter auf. Pop ist nach Diederichsen
„immer Transformation, im Sinne einer dynamischen Bewegung [...], bei der
kulturelles Material und seine sozialen Umgebungen sich gegenseitig neu
gestalten und bis dahin fixe Grenzen überschreiten: Klassengrenzen, ethnische
Grenzen oder kulturelle Grenzen“.104
In Diederichsens autobiografisch beeinflussten Pop-Pamphlet Sexbeat
(1985) reflektiert er die Stilmittel und Posen des Punk unter Zuhilfenahme
von poststrukturalistischen Begriffen und Denkfiguren, insbesondere unter
Berücksichtigung der französischen Theoretiker Baudrillard, Lyotard,
Deleuze und Guattari, deren unscharfe Begrifflichkeiten sich gemäß der
Pop-Methode für die Neuverwendung und Einbettung in neue Kontexte
eignen. Die neue Gegenkultur, die ‚Second Order Hipness’, wie
Diederichsen sie bezeichnet, folgt in ihren Ausdrucksweisen nicht
„Natürlichkeits-, Echtheits- und Originalitätsvorstellungen“105, wie sie
Vertreter sozialdemokratischer Gesellschafts- und Kulturpolitik vorsehen.
Stattdessen steht sie für eine Vorgehensweise der reflexiven, ironischen
Zeichenverwendung und Zitationspraxis. Pop wird zur Fluchtbewegung:
„Pop z.B. galt uns im günstigsten Fall als ein Kommunikationssystem, das nicht
abgehört werden konnte und das für einen schnellen Austausch von Nachrichten von
einer gelebten oder nur erträumten Eleganz der Existenz sorgte.“106
Mit ‚Second Order Hipness’ beschreibt Diederichsen das Aufkommen
jugendkultureller Rebellion von 1972 bis 1985 gegen das Establishment.
Damit ist eine linke Boheme wie jener Ende der 50er Jahre geborenen
103
Geer, Sophistication, S. 19.
Diederichsen, Diedrich: „Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch“, in: Texte zur Theorie
des Pop, Hg. Charis Goer/Stefan Greif/Christoph Jacke, Stuttgart: Reclam 2013, S. 185199, hier S. 188.
105 Diederichsen, Diedrich, Sexbeat, Köln: Kiepenheuer & Witsch 22010 (Orig.1985), S.
126f.
106 Diederichsen, Freiheit macht arm. Das Leben nach Rock’n’Roll 1990-93, Köln:
Kiepenheuer & Witsch 1993, S. 260f.
104
36
gemeint, die für Diederichsen eine fortschrittsabgewandte, desillusionierte
Generation darstellt:
„Es ist die Geschichte der ersten Bohemia-Generation, die sich auf eine zweite
Ebene begeben musste, um weiter zu kommen. Die die Wahrheit schlucken musste,
dass weiter nichts anderes ist als das Andere, von dem Ken Kesey bei dieser Rede
vor dem Vietnam Day Committee 1966 immer sprach, als er davor warnte, denen
ihr Spiel zu spielen“ [Hervorh. im Orig.].107
Den
Protagonisten
der
deutschen
Punk-Subkultur
galt
es,
dem
sozialdemokratischen Konsens, der Langeweile, die ein „gesichertes, aber
nicht lebenswertes Leben“ geprägt von „dem Doppelgesicht von Fun und
Erbauung“108 ausstrahlt, etwas dagegenzuhalten, ohne eine Alternative parat
zu haben. Demnach musste eine neue Gegenkultur als etwas auftreten, das
nicht durch jene restlichen Teile einer politisierten Kultur, „deren Vertreter
längst habituell nicht mehr von den Machthabern unterscheidbar waren“109
einverleibt
werden
konnte.
Der
Beitrag
dieser
jugendkulturellen
Gruppierung (‚Second Order Hipness’) bestehe darin, so Diederichsen,
„dem Weiter ein ganz besonderes, politisches Jetzt entgegengesetzt zu
haben.“110 Durch die Ablehnung des Bestehenden wäre „gleichzeitig alles
andere, alles, was es nicht gibt, als ein unendliches Reich der Zukunft für
sich offen.“111 Demnach besteht die Freiheit dieser Position auch darin,
selbst zu entscheiden, wann und ob dieser Moment der Zukunft, sprich eine
Veränderung, erfolgen soll.
Die Gruppierung rund um Goetz, der ebenfalls zu den freien Mitarbeitern
von SPEX zählt, sowie Diederichsen und einigen bildenden Künstlern, wie
etwa Albert Oehlen, Werner Büttner und Martin Kippenberger, setzt vor
allem auf das ironische Zitat in moderner Avant-Garde-Manier als Mittel
107
Diederichsen, Sexbeat, S. 18.
Diederichsen, Eigenblutdoping, Köln: Kiepenheuer & Witsch 22009 (Orig. 2008), S.
157.
109 Ebd.
110 Diederichsen, Sexbeat, S. 58.
111 Diederichsen, Eigenblutdoping, S. 159.
108
37
der Verfremdung in den jeweils verschiedenen Ausdrucksmedien ein.112 In
Goetz’ Textpraxis sind Bezüge zum Diskursgeflecht rund um die Peergroup
und zur Populärkultur immer wieder in Form von zahlreichen wörtlichen
und bildlichen Verweisen gegeben. Dazu gehören etwa Bilder von Albert
Oehlen, Zitate aus Popsongs, eigene Text- und Bildcollagen und
Fotografien. Goetz gibt an, dass „die Welt der Kunst [...] für mich im
Schreiben das größte und schönste Vorbild ist.“113 Goetz war bis zur
Prosapublikation Kronos (1993) noch ausgewiesenes Kind der Subkulturen
und Diskurse des Punk und New Wave und hat sich in der Tradition des
verrufenen Literaten, des „poète maudit der Historischen Avantgarde“114,
als „Punk und autoaggressiver Märtyrer“115 stilisiert.
Mit seiner Hinwendung zur Technokultur in den 90ern zeigt sich ein
Paradigmenwechsel in seinem Pop-Fokus, was in den Nullerjahren in die
Beschäftigung mit Kitsch, Oberfläche und medialer Selbstinszenierung
übergeht.116 Mit Jeff Koons als Titel und Assoziationsfläche zum Stück hat
Goetz ein Pop-Subjekt par excellence auserkoren. Der Künstler Jeff Koons,
„der lebende Vertreter Warhols auf Erden“117 und „the artist of our time“118,
ist besonders wegen seiner Position als kontroverse „Hassfigur“119
soziopolitische Projektionsfläche, die auch einen Zeitgeist spiegelt.
In Nadja Geers Untersuchung von Pop als potenziell subversiver politischer
und ästhetischer Erkenntniskategorie macht Geer Strategien der Abgrenzung
durch Geschmacksindikatoren ausfindig. Demnach richte sich Pop als
Habitus immer gegen etwas oder auf etwas.120 Zeitgenössische Literaten,
112
Vgl. Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 881.
Goetz, Abfall für alle, S. 233.
114 Stricker, Text-Raum, S. 269.
115 Ebd.
116 Vgl. Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 881.
117 Goetz, Abfall für alle, S. 258.
118 Ebd., S. 713.
119 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 117.
120 Vgl. Geer, Sophistication, S. 24.
113
38
wie etwa Goetz, aber auch Thomas Meinecke und Max Goldt überführten
diese „Semiotik der Distinktion“121 in eine intellektuelle Ästhetik und einen
literarischen Habitus (sophistication). Nach Geer betreiben diese Literaten
ein lustvolles „Vabanquespiel“122, um sich sowohl vom kultivierten
Bürgertum als auch der Vulgarität einer Massenkultur abzugrenzen.123
Als Gegenpol zu den etablierten alt-linken Literaten der Stunde der
Bundesrepublik Deutschland, den Vertretern der Gruppe 47, wie etwa
Heinrich Böll oder Günther Grass, wollten sich die deutschen
Popliteraten der 80er Jahre am amerikanischen Vorbild orientiert mit
Umkehrung und Ironie, der wesentlichen Verfahrensweise des Punk,
absetzen.124 Der bürgerlichen Kultur und dem arrivierten Stil des
Realismus setzten die Pop-Intellektuellen als „neue, hippe Intelligenz“125
das „Spiel mit vorhandenen Phänomenen“126 entgegen. Pop verstanden
als „postmoderne Bricolage“127 entnimmt Versatzstücke aus der
hegemonialen Kulturpraxis und codiert sie um. Gleichzeitig aber tritt so
Pop mit seiner ‚Hipness’ und seinen Sophistikationsposen in
Konkurrenz um die kulturelle und ästhetische Deutungshoheit mit den
etablierten Bildungseliten.128
Teil dieser Strategie sich abzusetzen ist auch, „Bildungsposing“129 und
Name-Dropping bewusst gegen maßgebliche Stellen des öffentlichen
Kultur- und Medienbetriebs einzusetzen und damit die Botschaft zu
vermitteln, dem Feuilleton immer einen Schritt voraus zu sein; seine von
121
Vgl. Geer, Sophistication, S. 17.
Ebd.
123 Vgl. Ebd.
124 Vgl. Ebd., S. 24.
125 Ebd., S. 17.
126 Ebd., S. 28.
127 Ebd., S. 131.
128 Vgl. Ebd., S. 24.
129 Ebd., S. 155.
122
39
Hasstiraden auf Personen öffentlichen Interesses gefüllten Schriften brachte
Goetz in den 80ern die Betitelung „Hassliterat“130 ein:
„Gehe weg, du blöder [sic!] Sausinn, ich will von dir Dummen [sic!] Langweiligen
nie nichts wissen. Den sollen die professionellen Politflaschen, die Staatsidioten,
diese ganzen fetten dummdreisten Kohls vertreten, [...] angeführt von den präsenilen
Chefpeinsäcken Böll und Grass, von Friedenskongress zu Friedenskongress, durch
die Zeitungsfeuilletons und über unsere Bildschirme in der unaufhörlichen
Peinsackpolonaise ziehen und dabei den geistigen Schlamm und Schleim absondern,
den das Weltverantwortungsdenken, das Wackertum, unaufhörlich produziert,
dieses ganze Geschwerl, dieses Nullenpack soll ruhig noch jahrelang den BIG SINN
vertreten“ [Hervorh. im Orig.].131
Als Präsentation eines Spezialwissens in Form von Posen und Haltungen,
vermutet Geer in der Popkommunikation und dem Popdiskurs wegen des
rhetorischen, selbstreferenziellen und anti-teleologischen Charakters auch
einen
inszenatorischen
Darstellungsweise
des
Aspekt.132
Pop,
ist
Pop
auch
oder
eine
besser
Art
der
gesagt,
die
ästhetischen
Kommunikation, sprich der Pop-Diskurs zeigt sich auch als Rhetorik und im
Auftreten. In diesem Sinne steht Pop nach Geer in der amerikanischen
Tradition der „sophistication“133, welche auch Ausdruck einer Haltung und
Reaktion ist und sich stets gegen etwas richtet. Als literarischer Ausdruck ist
sophistication, die „performative Inszenierung eines speziellen Wissens“134,
die so auch zum „geistigen Dresscode des Diskurses“135 wird. Pop erweist
sich so als Strategie der „kulturellen De-hierarchisierung“136, die sich
gekonnt zwischen Subversion und Affirmation bewegt und sich als distinkte
Ästhetik und distinkter Denkstil abseits von Mainstream und Subkultur mit
dem von Diederichsen geprägten Begriff der „Gegengegenkultur“137
subsumieren lässt. Ein wesentlicher Aspekt dieses Popverständnisses ist
130
Hage, Volker/Wolfgang Höbel, „Ein Hau ins Lächerliche“, in: Der Spiegel 50/1999,
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15239696.html, Stand: 13.12.1999, 18.05.2015.
131 Goetz, Hirn, S. 19.
132 Vgl. Geer, Sophistication, S. 30.
133 Ebd., S. 17.
134 Ebd., S. 28.
135 Ebd.
136 Ebd., S. 19.
137 Ebd., S. 132.
40
also auch ein bewusstes Sich-in-Szene setzen sowie das implizite Wissen
über Zugehörigkeit zu einem Underground nach dem Motto „[m]an wusste
mehr als die anderen“138.
3.1.3 Vitalistisch-sozialromantische Poputopie vs.
„Asozialitätskunst Schrift“139
Goetz, der die Begriffe Pop und Punk in seinem Programm synonym
verwendet, sieht in der Praxis der Popkultur ein demokratisierendes
Medium politisch-progressiver Aktivität und ein Instrument individueller
Ermächtigung. Vor allem in der Techno-Szene sieht der Apologet der
popkulturellen Demokratisierungsthese seine sozialromantische Utopie
einer inklusiven und egalitären Gemeinschaft verwirklicht, wonach vor
allem Mainstream-Techno mit seinem anti-diskursiven Charakter ein
soziales Auffangbecken angesichts sozialer Präkarisierung in postmodernen
Lebensverhältnissen
sei.
Den
sinnlichkeitsorientierten,
kurzweiligen
Intensitäten des berauschenden Nachtlebens, wie sie die Techno-Kultur
zelebriert, wird das Potenzial zugeschrieben, den Status quo zu
transzendieren und einen macht- und diskursfreien Raum zu konstituieren,
in dem noch autonom gelebte Subjektivität verortet werden kann. Ästhetisch
funktioniert die auf wiederholten Tracks basierende Technomusik über
nonverbale und anti-diskursive Prinzipien. Diese Qualitäten würden nach
Hägele den besonders beweglichen und inklusiven Charakter dieser Musik
begründen.140
Mit seiner Entdeckung der Rave-Bewegung und Techno-Szene in den
1990ern, wendet sich Goetz der Bejahung des Kollektiven, dem
Massenereignis der Technokultur zu. Im Zuge dessen verabschiedet sich
Goetz immer mehr von einem intellektuellen und meta-theoretischen
Zugriff auf Pop, dessen Fokus auf die darin transportierten Codes und
138
Geer, Sophistication, S. 23.
Goetz, Abfall für alle, S. 271.
140 Vgl. Hägele, Politische Subjekt- und Machtbegriffe, S. 146f.
139
41
Diskurse liegt, wie ihn etwa Diederichsen vor allem nach 1992 forciert, um
den
kritischen
Pop-Diskurs
von
den
dubiosen
und
teilweise
rechtsorientierten Praktiken und Aktionen jugendkultureller Szenen in
Deutschland abzugrenzen141.
Goetz spricht wohlwollend von der „Weltsprache Pop“142 als eine den
Erzeugnissen der internationalen Massenmedienkultur zugewandte Sprache;
er sieht Pop affirmativ als eine Sphäre an, in der nicht die intellektuelle
Prophezeiung, sondern das individuelle, unmittelbare Lustversprechen
zentral ist.143 Goetz tritt auch als Verfechter des Fernsehens und des
Mainstream-Technos auf. Letzteres ist für ihn Inbegriff von Enthemmung
und Lustzufuhr und Ausdruck einer Kultursphäre, in der demokratische
Prinzipien zu erkennen sind. Goetz steht für einen dezidiert positiv
konnotierten Kulturbegriff des Populären sowie des Trivialen und Banalen,
da er „keine Angst vor Verflachung [habe], wohl aber vor dem Sumpf der
Seriosität.“144
Pop bedeutet für Goetz also eine Haltung der affirmativen Weltbejahung
nach dem Motto „Pop ist alles, wo es erstmal keine Fragen gibt. Alles
klar.“145 Im Gegensatz zu Positionen eines bürgerlichen, elitären
141
Im Zuge des Überfalls eines rechtsradikalen Mobs auf ein Asylantenheim in Rostock,
das in Brand gesetzt wurde, fordert Diederichsen 1992 die Poplinke dazu auf, Distanz vom
Glauben an die emanzipatorischen Möglichkeiten der jugendkulturellen Szene zu nehmen,
denn „[s]ie scheinen nicht mehr in der Lage, die fundamentale Differenz, die allen
Projekten zugrunde liegt, die wir je in jugendkultureller Praxis gesehen haben,
festzustellen: den Unterschied zwischen Nazis und ihren Gegnern.“ Diederichsen, Freiheit
macht arm, S. 259f. Die Mitglieder des Mobs hatten Baseballmützen mit einem „X“
getragen, ein Verweis auf Malcom X, den Führer der afroamerikanischen
Bürgerrechtsbewegung, einer emanzipatorischen und antirassistischen Bewegung und
demnach ein völlig entgegengesetztes Symbol umcodiert und für den rassistischen
Gewaltexzess missbraucht.
142 Goetz, Abfall für alle, S. 511.
143 Schäfer, Martin Jörg, „Luhmann als ‚Pop’. Zum ‚ästhetischen System’ Rainald Goetz”,
in: Das Populäre der Gesellschaft. Systemtheorie und Populärkultur, Hg. Christian
Huck/Carsten Zorn, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage
2007, S. 262-283, hier S. 268f.
144 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 124.
145 Goetz, Abfall für alle, S. 654.
42
Kulturpessimismus, oder den Positionen von Vertretern der Frankfurter
Schule, wie etwa Theodor W. Adorno, der im Konsum von trivialer
Massenkultur nur den Ausdruck der Verdummung der Unterschicht und
einen kulturellen Verfallsprozess sieht, orientiert sich die Auslegung des
Populären bei Goetz an den Prinzipien allgemeiner Zugänglichkeit, der
Ausscheidung durch elitäre Exklusionsprozesse, die Hochkultur wie auch
Subkultur innehaben. Abgesehen davon ist die Frage, was das Populäre sei,
eine, die Goetz kontinuierlich in seinen Überlegungen stellt.
Dennoch konkretisiert Goetz nicht, wie dieser Pop-Zusammenhalt aussehen
könnte,
sondern
zieht
sich
als
solitäre
Erzählstimme
in
die
„Asozialitätskunst Schrift“146 zurück. Zur Absenz einer Handlung, die auf
einem zwischenmenschlichen Konflikt beruht, kommentiert der Autor: „Ich
kann keinen Konflikt darstellen, weil ich kein soziales Leben führe“.147
Demnach heißt dies für seinen Popbegriff ins Literarische übersetzt, dass
die Intensitäten der kollektiven, rauschhaften Momente, wie er sie
beispielsweise in der Musik verortet sieht, in den Körperlichkeiten der
Schrift befragt werden müssen. Wie so typisch für Goetz, zelebriert er
anhand
der
Konfrontation
der
Schrift
mit
anderen
Kunst-
und
Zeichensystemen eine regelrechte Abwertung der Schrift. Obwohl er sich
beinahe ausschließlich im Medium der Schrift bewegt, betont er unablässig
die
ungleich
besseren,
näher
an
der
Wahrheit
situierten
Ausdrucksmöglichkeiten der musikalischen Form. Die Musik erhält bei
Goetz das Primat der Unmittelbarkeit: „Das Sprechen ist vor der Schrift, vor
der Sprache aber ist die Musik.“148 Ungleich dem gesprochenen Wort, räumt
er dem Mündlichen, der Stimme und dem Klang die Fähigkeit der
Beweglichkeit und Offenheit ein:
146
Goetz, Abfall für alle, S. 271.
Ebd., S. 396.
148 Goetz, Hirn, S. 66.
147
43
„Die Worte, gleichermaßen das Urteil über sie, sind immer absolut terroristischen
Charakters und kennen nur Härte. / An der Abschaffung all dessen arbeitet die
Lesung, der Gesang, die Melodie, die Musik.“149
Goetz betreibt permanent den Versuch, die Textlichkeit zu durchbrechen
und die Schrift mit Agenten der Körperlichkeit wie etwa Authentizität,
Performativität, Gestischem, also A-Verbalem, anzufüllen. Deshalb stellt er
sich laut Hägele in die literarische Tradition des Phonozentrismus, die das
Sprechen und die Stimme als Zugang zum Metaphysischen oder Sinn
gegenüber
der
Schrift
privilegiert,
beziehungsweise
sich
an
den
Diskrepanzen und Dichotomien von Rede und Schrift, Körper/Buchstabe
und Geist, innen und außen, wörtlich und übertragen, abarbeitet.150
Schuhmacher präzisiert die Ausführungen von Hägele, dass Goetz in seiner
phonozentrischen Ausrichtung, in der die Hinwendung zur Rede als
Gegenpol zur Schrift-Totheit zum „Gegenstand“151 seines Schreibens
werde, nicht auf die vermeintliche Überwindung der „Geist-BuchstabeDichotomie“152
abziele.
Anstelle
eines
vom
Text
inszenierten
„Medienwechsels“153, der die Überwindung von mündlich und schriftlich zu
kompensieren beabsichtigt, gehe es vielmehr um ein „Verfahren der
Übersetzung“154, bei dem der „von einem spezifischen Interesse geleitete[n]
Blick auf das Material“155 wesentlich sei, und „semantische Zuordnungen
und Konventionen der Verständlichkeit“156 hingegen sekundär wären.
Rhythmik und Klang, also körperliche und sinnliche Qualitäten, seien für
Goetz in Hinblick auf Dimensionen des sprachlichen Ausdrucks
unabkömmlich:
149
Goetz, Hirn, S. 67.
Vgl. Hägele, Politische Subjekt- und Machtbegriffe, S. 149.
151 „Der Gegenstand dieser Schrift ist: das Leben der mündlichen Rede.“ Goetz, Abfall für
alle, S. 254.
152 Schuhmacher, Gerade Eben Jetzt, S. 139.
153 Ebd., S. 138.
154 Ebd.
155 Ebd.
156 Ebd.
150
44
„Es geht auch um Melodien, mehr vielleicht sogar manchmal als um Verstehen ganz
direkt, um ein Vertrauen in das Aufgehobensein im Wortgesang.“157
Insbesondere für die Schrift scheint diese Akzentuierung aufgrund des ihr
anhaftenden
Verweischarakters
ein
schwieriges
Unterfangen.
Als
nachträgliche Ausdrucksform hinkt sie dem Mündlichen als „Stimme des
Lebens“
158
in punkto Zugang zur Wahrheit und Welt hinterher. Es gehe
darum, zu erkennen, „[w]ie stark die Schrift führt. Wie eng sie noch ist. Wie
wenig nah an den realen Vielfaltformen der Sprache als Ganzes“159.
In
seinen
experimentellen
Versuchsanordnungen
der
medialen
Überschreitung sucht er obsessiv nach Mitteln und Methoden, um der dem
Medium der Schrift eigentümlichen Nachträglichkeit und Referentialität
zuwiderzulaufen. Die Ausdrucksweisen des Verbalen sind viel näher am
unmittelbaren, unverstellten Ausdruck der vielfältigen Aspekte von NichtSagbaren und Lückenhaften von Gegenwärtigkeit und Subjektivität als die
Schrift mit ihrem stets auf ein Vorher und auf ein Äußeres verweisenden
Charakter.160
Der Gebrauch von mündlichen Ausdrucksformen im Schriftlichen, der
Eigensinn bei Interpunktions- und Rechtschreibnormen sowie die Wahl von
anstößigen Sujets, die, wie in Klagenfurt der Fall, oftmals in Hasstiraden
ausufern, sind auch Mittel, um einer konformen Literatursprache, die ebenso
als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse agiert, zu entgehen. Inhalt und
Stil sind beispielsweise gekennzeichnet durch „obszöne Begriffe und
Beleidigungen, [...] Sprachverhunzungen, [...] Wiederholungen, Pleonasmen
157
Goetz, Abfall für alle, S. 289f.
Eagleton, Terry, Literary Theory. An Introduction, Oxford: Blackwell 21997, S. 113.
159 Goetz, Abfall für alle, S. 185.
160 Das Simulieren und Integrieren von Strategien der Übersetzung von Mündlichkeit in die
Form der Schrift drückt sich in seinen Texten beispielsweise anhand von elliptischen
Satzgefügen, wiederholtem Stottern und Stammeln in redundanter Länge sowie
wiederholten Wendungen aus.
158
45
und die Substantivierung von Verben und Adjektiven [...]“.161 Auch die im
Roman Irre häufig auftretenden sprachlichen Karikaturen, Tautologien und
„Wortungetümer“162, die jede Interpunktions- und Rechtschreibregel
ignorieren, seien „verzweifelte Behauptungsgesten der Souveränität und
Autonomie gegenüber den herrschenden Sprach- und Wertenormen.“163
3.2 Text, Textur, Intertextualität
In seiner Obsession eine schriftliche Sprachpraxis zu betreiben, die dem
Ideal folgt „nicht mehr Text zu sein, sondern volle Gegenwart“164, stellt sich
Goetz
in
eine
literarische
Tradition,
welche
die
medieneigenen
Gesetzmäßigkeiten der Schriftsprache, wie etwa die Sukzessivität sowie die
zeitliche Abkoppelung von Textproduktion- und Rezeption, unterlaufen
möchte. Dazu bedient sich Goetz unter anderem der Verfahren der
Vernetzung
Redeweisen,
und
Durchkreuzung
welche
die
von
Diskrepanzen
Gattungen,
Kontexten
schriftlich/mündlich
und
sowie
Text/Gegenwart aufheben und so einen unmittelbareren Umgang mit
Sprache bewirken sollen:
„Denken ist absolut dynamisch. [...] Schreiben heißt auch, das zu unterlaufen, das
Abgeschlossen-Sein des einen Geisteselements, das jeder Satz auch ist, heißt Sätze
machen, die nicht allein sein wollen, die zusätzliche Sätze um sich brauchen,
suchen, produzieren.“165
Wie im Zitat offenkundig wird, ist die intertextuelle Vorgehensweise im
Schreiben für Goetz unumgänglich und logische Konsequenz, zumal er das
Verhältnis zwischen Sprachgebrauch und Welt als interdependentes,
dynamisches Dialoggewebe sieht, in dem ein Wort stets auf ein
Vorhergehendes verweist und sich Sinn nur anhand der Differenz zum
Anderen ergibt:
161
Opel, Anna, Sprachkörper. Zur Relation von Sprache und Körper in der
zeitgenössischen Dramatik - Werner Fritsch, Rainald Goetz, Sarah Kane, Bielefeld:
Aisthesis 2002, S. 108.
162 Hägele, Politische Subjekt- und Machbegriffe, S. 77.
163 Ebd.
164 Goetz, Abfall für alle, S. 259.
165 Ebd., S. 786.
46
„Dass die Benutzung der Worte ohne all diese Hall- und Echoräume praktisch
undenkbar, unvorstellbar, unpraktizierbar ist, dass nur in Bezug auf dieses Hallen in
Allen, auf das so allseits Vorgesprochene also – das eigene Wort sich richtig finden
kann.“166
Nach den vorangegangenen Ausführungen zu Goetz’ Pop-Programmatik
und Körperkonzept in der Schrift sollen im folgenden Kapitel Begriffe, die
durchgängig verwendet werden, wie etwa Text und Textur, näher bestimmt
werden. In Zusammenhang mit Goetz’ literarischen Konzeptionen zwischen
Rede, Schrift und Theatralität scheint es diesbezüglich sinnvoll, die
Konzepte der Intertextualität sowie Intermedialität für die weitere
Vorgehensweise heranzuziehen.
Goetz selbst gibt im vorletzt genannten Zitat klare Hinweise darauf, dass
Text bei ihm als übergreifendes Kontinuum konstruiert wird, um der
schriftlichen
Disposition
zu
Linearität
und
Abgeschlossenheit
gegenzusteuern. Auch die Betonung der Bedeutung von Hall- und
Echoräumen im zuletzt genannten Zitat lässt die Konzeption von Text als
überspannendes Geflecht gemäß der Intertextualitätstheorie denken, die der
Entgrenzung des Textbegriffs Rechnung trägt. Als „Theorie der
Beziehungen zwischen Texten“167 geht die Intertextualitätstheorie von der
zentralen Prämisse aus, dass Text stets ein Dialoggewebe zwischen
mehreren Texten ist, sprich ‚Text’ geht über die „Existenz von
Einzeltexten“168 hinaus.
Noch radikaler als universaler „Intertext“169 gedacht, lassen sich
„individuelle Prätexte“170 nach Roland Barthes in solchen textlichen
Systemen auch nicht mehr isolieren. Barthes imaginiert Text als „Gewebe“,
166
Goetz, Abfall für alle, S. 290.
Pfister, Manfred, „Konzepte der Intertextualität“, in: Intertextualität. Formen,
Funktionen, anglistische Fallstudien, Hg. Ulrich Broich/Manfred Pfister, Tübingen: Max
Niemeyer 1985, S. 1-30, hier S. 11.
168 Ebd., S. 12.
169 Ebd.
170 Ebd., S. 13.
167
47
[das] durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet“171.
Das Subjekt wäre demnach die „Spinne, die selbst in die konstruktiven
Sekretionen ihres Netzes aufginge.“172 Folglich wird Text zum unendlich
ausdehnbaren Raum, der auch andere Medien und nicht-sprachliche
Ausdrucksmöglichkeiten mit einschließt:
„Und eben das ist der Inter-Text: Die Unmöglichkeit, außerhalb des unendlichen Textes
zu leben – ob dieser Text nun Proust oder die Tageszeitung oder der Fernsehschirm ist:
Das Buch macht den Sinn, der Sinn macht das Leben.“173
Gemäß der Vorstellung der Verstrickung aller Texte im Raum des
Universums sind die Prätexte eines Textes also nicht nur alle anderen
literarischen und schriftsprachlichen Texte, sondern „darüber hinaus das
Gesamt aller diesen Texten zugrundeliegenden Codes und Sinnsysteme.“174
In Bezug auf den Begriff Text bei Goetz stellt sich die Frage, ob im Zuge
seiner auf Intensitäten ausgeweiteten Literarizität Text und Textualität noch
als Eigenschaft von Produkten der Arbeit mit Wörtern, als Resultat von
Rede und Sprache verstanden werden können; oder muss sein Textbegriff
erweitert werden, und so, wie es von Julia Kristeva im Sinne einer
allgemeinen Kultursemiotik angedacht wurde, als potenziell „jedes
kulturelles System und jede kulturelle Struktur“175 verstanden werden?
Im Fall des sprachästhetischen Entwurfs in Goetz’ Texten wird
Intertextualität als ästhetische Verfahrensweise eingesetzt. Als Resultat von
Verdichtungsprozessen kommt Intertextualität hier als „Differenzqualität
ästhetisch überformter Sprache“176 zum Tragen. Anders gesagt wird
Intertextualität hier zu einem Charakteristikum von Literarizität oder
Poetizät, zumal hier Verfahren zum Einsatz kommen, die innerhalb eines
171 Barthes, Roland, Die Lust am Text, übersetzt von Traugott König, Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1974 (im Orig. Le plaisir du texte; Éd. du Seuil 1973), S. 94.
172 Ebd.
173 Ebd., S. 53f.
174 Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, S. 13.
175 Ebd., S. 7.
176 Ebd., S.13.
48
Textes Bezüge zu anderen einzelnen oder gruppierten Prätexten oder deren
zugrundeliegenden Codes und Sinnsystemen herstellen und diese Bezüge
somit in einen neuen Kontext einbetten.177
Was die verschiedenen Ausprägungen transtextueller Bezüge und Formen
angeht, operiert Goetz in seinem literarischen Schaffen mit folgenden, von
Gérard Genette geprägten Kategorien, die im Laufe dieser Untersuchung
zum Teil Verwendung finden:
1) Intertextualität als „Kopräsenz zweier oder mehrerer Texte“178 innerhalb
eines Textes
2) Paratextualität „als die Bezüge zwischen einem Text und seinem Titel,
Vorwort, Nachwort, Motto und dergleichen“179
3) Metatextualität „als den kommentierenden und oft kritischen Verweis
eines Textes auf einen Prätext“180
4) Hypertextualität, „in der ein Text den anderen zur Folie macht, wie etwa
im Fall von Imitation, Adaption, Fortsetzung, Parodie“181
5) Architextualität als „die Gattungsbezüge eines Textes“182.
Bei Goetz ist Intertextualität mit ihren verschiedenen Ausdifferenzierungen
aufgrund
des
zyklischen
Werkcharakters
voller
Querverbindungen
grundlegender Verfahrensmodus. Dies wird vor allem im Zyklus Heute
Morgen offenkundig, denn gerade darin gibt es den Anspruch, anhand der
parallelen Arbeitsweise an verschiedenen Formaten die zeitliche Nähe
zwischen Textgenese und Weltrezeption zu verwirklichen. Im Zuge dessen
kommt es unweigerlich vermehrt zu intertextuellen Querverweisen
zwischen den einzelnen Texten innerhalb eines Zyklus sowie zu
vorhergehenden eigenen ‚Büchern’.
177
Vgl. Pfister, „Konzepte der Intertextualität“, S. 15.
Ebd., S. 17.
179 Ebd.
180 Ebd.
181 Ebd.
182 Ebd.
178
49
Zusätzlich gibt es weitere intertextuelle Bezüge innerhalb seiner einzelnen
Texte, wie etwa durch den direkten Einbezug von markierten oder
nichtmarkierten Zitaten aus literarischen oder anderen Kontexten. Dies
umfasst
beispielsweise
Zeichnungen,
Kritzeleien,
Malereien
und
Photographien, Liedtexte aus der Popmusik, Lautmalereien aus der
Technomusik und Erlebnisse und Dialogfetzen aus der Nacht- und
Clubkultur; oder aber Theorien und Bezüge aus Wissensbereichen, wie etwa
der Philosophie, Geschichte, Medizin oder Politik. Diese Gleichsetzung von
schriftlichen, verbalen und nonverbalen Texten im Sinne von kodifizierten
Kulturerzeugnissen, die soziale und kommunikative Wirklichkeit erzeugen
und im Sinne einer Lektüre als solche dechiffriert werden können, bewirkt
eine Erweiterung seiner Literarizität um nonverbale, bildliche und
musikalische Komponenten. Wie Achim Stricker konstatiert, verortet sich
das ästhetische Programm von Goetz demnach „zwischen Literarizität und
energetischen Intensitäten wie Rhythmus und Musikalität“183.
Welche konkreten textuellen Bezüge es im Stück Jeff Koons gibt, wird
sowohl im darauffolgenden Kapitel der Einführung zum Stück, als auch
anhand der Analyse im fünften Kapitel dargelegt werden.
Werden Text, Textualität zu Konzeption von Werk und Autorschaft bei
Goetz in Verhältnis gesetzt, kommen weitere Komponenten zum Vorschein,
die Aufschluss über die Konzeption von Literarizität bei Goetz geben.
Grundsätzlich kann von zweierlei scheinbar zuwiderlaufenden Prämissen
ausgegangen werden, was dieses Verhältnis angeht: Zum einen weist sein
penibel angelegter, kryptisch durchnummerierter und von Zitaten und
Verweisen strotzender Werkzyklus auf eine autoritäre Autorfigur hin, die
die Deutungshoheit über seine Texte einfordert. Zum anderen sieht die
skizzenhafte
183
und
unabgeschlossene
Stricker, Text-Raum, S. 271.
50
Veranlagung
seines
gattungsübergreifenden und intermedialen „Integraltext[es]“184 eine aktiv
beteiligte Leserschaft vor. Abgesehen von der Konzeption einer aktiven
Rolle des Rezipienten weckt auch die zentrale Rolle der Zahlen in seinem
Werk Assoziationen zu Handlungsanleitungen und konzeptuellen Formen
der Concept Art.185
Anhand unterschiedlicher Formen und Rahmen realisiert Goetz seine
medialen Spracherkundungen jeweils anders, jedoch nicht im Sinne des
Gesamtkunstwerks, denn er lässt die Teilrealisierungen dennoch als
eigenständige Umsetzungen in ihrer Eigenheit stehen. Goetz’ PopProgramm erweist sich demnach als alles umspannende Zugriffsweise, die
garantieren soll, dass es nicht wie beim Gesamtkunstwerk um eine
konzeptuelle Totalität geht, der die Teilaspekte zuarbeiten, sondern um die
gegenseitige Durchdringung und Durchkreuzung jenes programmatischen
Bestrebens, das sich anhand seiner unterschiedlichen Medialisierungen
manifestiert.
Die als ‚Bücher’ angelegten Werkzyklen sollen so konzipiert werden, dass
Titel, Mottos und Zitate bereits all das aussagen, was im Buch vorkommt.
Goetz formuliert den penibel durchkonstruierten Werkcharakter eines
Zyklus nonchalant und autoironisch als Buch,
„[...] das man eigentlich nicht mehr lesen muss. Das einfach so rum liegt, in dem
man ein bisschen blättert, das einen angenehm anweht, fertig.“186
Des Weiteren steht der peniblen Ordnungsstruktur nach arithmetischen und
geometrischen Prinzipien seines Werkaufbaus der nichtlineare Aufbau und
gattungswidrige Formansatz seiner Texte gegenüber.
184
Weber, Richard, „‚...noch KV (kv)’: Rainald Goetz. Mutmaßungen über ‚Krieg’“, in:
Deutsches Drama der 80er Jahre, Hg. Richard Weber, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S.
120-148, hier S.141.
185 Vgl. Ebd., S. 145.
186 Goetz, Celebration. Texte und Bilder zur Nacht, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999,
Index ohne Paginierung.
51
Folgt man dem Textbegriff von Roland Barthes, demzufolge Text als
simulierte kommunikative Praxis zwischen Autor und Leser, als
signifikative Praxis zu verstehen ist, folgt die Konstitution von Sinn einer
nicht festlegbaren Dynamik.187 Die bewusste Streuung von möglichen
Bedeutungen wird durch die pluralen Stimmen, Aussagen und räumlichen
Überschneidungen in Goetz’ Texten unterstrichen, was dazu beiträgt, dass
vom
Rezipienten
Sinnkonstitution
eine
proaktive
abverlangt
wird.
Beteiligung
Diese
für
eine
vermeintlich
mögliche
zweigleisige
Ausrichtung von Goetz’ Textverständnis kommt insbesondere anhand des
Stücks Jeff Koons zum Tragen und soll im Laufe der Analyse näher
veranschaulicht werden.
Die starke Affinität zum Körperlich-Performativen, zu den Formen des
Mündlichen, zur Musik und zum Theater ist, wie zu Beginn bereits erwähnt,
vom Furor getrieben, das Schriftliche so zu durchdringen, dass auch nonverbale Aspekte von Sprache sichtbar und hörbar werden. Hinter diesem
Anspruch ist also auch die Überzeugung zu erkennen, dass diese eben
genannten
Aspekte
einen
beträchtlichen
Anteil
innerhalb
von
Kommunikation oder Sprache einnehmen. Gerade der große Anteil an nichtsprachlicher Mitteilbarkeit zeigt das Prekäre, oder anders gesagt die
Grenzen des schriftlichen Ausdrucks.
„Sicher gibt es wunderbare Untersuchungen darüber, ein wie großer Anteil an
Kommunikation im alltäglichen Sozialvorgang, im Supermarkt, im Kaufhof, überall,
nichtsprachlicher Art ist. [...] Der Großteil der Informationen, die im verbalen
Austausch übermittelt werden, ist nonverbaler Art. PRAXIS“ [Hervorh. im Orig.].188
Demnach kann also davon ausgegangen werden, dass Goetz im Schreiben
die Erkundung und Problematisierung von Textualität und Literarizität per
se zum zentralen Sujet hervorhebt, indem er jene in Schriftkulturen
dominante Auffassung von Textualität als Qualität von schriftlicher Sprache
187
Knobloch, Clemens, „Text/Textualität“, in: Ästhetische Grundbegriffe. Band 6, Hg.
Karlheinz Barck et al., Stuttgart: J.B. Metzler 2005, S. 23-47, hier S. 42.
188 Goetz, Abfall für alle, S. 147.
52
um Aspekte wie etwa „kontinuierlich und ereignishaft“189 erweitern möchte,
die tendenziell eher der Domäne der Rede zugesprochen werden.
Zur Annäherung an die ästhetischen Verfahrensweisen von Goetz wird für
die vorliegende Untersuchung die Vokabel der Theater-Textur gewählt,
worauf sich auch der Titel dieser Arbeit bezieht. Damit soll die für Goetz
bezeichnende
Körperlichkeits-Fixierung
im
Zuge
der
gewünschten
Überschreitung des Zeichensystems Schrift sowie für die Verknüpfung der
Schreibweisen und Auflösung der Gattungen eine begriffliche Entsprechung
finden.
Hans Thies Lehmann zieht den Begriff der Textur im Rahmen seiner
Ausführungen zu postdramatischen Verfahren und Stiltendenzen im Theater
heran, um für die Neubestimmung der sich auflösenden Hierarchie im
polarisierten Verhältnis von Inszenierung und Text ein adäquateres
Beschreibungsangebot zu liefern. Seinen Angaben nach entfaltet die Textur
als ästhetische Analogie eines Gewebes aus Fäden ihre Wirkung nicht aus
dem Zusammenspiel der Einzelteile, wie das beim Mosaik der Fall ist,
sondern wirkt als ein Ensemble erst in der spezifisch angewendeten
Gesamtbeleuchtung. Vor dem Hintergrund der Auflösung der Hierarchie
zwischen Text und Inszenierung weist die Textur explizit auf die
Verknüpfung von linguistischem und inszenatorischem Material zu einem
Stoff als Performance-Text hin, der sowohl verbale als auch nonverbale,
bildliche, gestische und musikalische Ausdrucksweisen und Elemente
umfasst. Das Bedeutungspotenzial eines Textes hängt nach Lehmann also
eher von der integralen Ausrichtung dieser Elemente ab.190
Die Annäherung von Schrift an Malerei, Musik, Theater oder an die
performative Lesung wird - wie auch die Schmerz- und Körperfixierung infolgedessen zu einer Möglichkeit, zu einer möglichst präsentischen
189
190
Knobloch, „Text/Textualität“, S. 45.
Vgl. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 145.
53
ästhetischen Erfahrung zu gelangen.191 Achim Stricker spricht in diesem
Zusammenhang davon, dass Goetz in seiner Körper-Fixierung eine
möglichst bildlich konkrete Sprache als Art „Hieroglyhphenschrift“192 zu
entwerfen versucht, um die „verbale Un-Präzision“193 zu vermeiden.
3.3 Intermedialität
Wie bereits angesprochen wurde erhofft sich Goetz durch die Annäherung
an andere Signifikantensysteme, wie etwa das Internet, Musik, Oralität,
Film oder Theater, eine Ausweitung der schriftlichen Ausdrucksgrenzen,
oder sieht diese Annäherung zumindest als Herausforderung für die Schrift.
So ist von der Adaption von Techno oder Popmusik bei seinen
Theaterstücken194 oder von der literarischen Anwendung filmischer
Verfahrensweisen beim Roman Irre (1983) die Rede. Philipp Löser
beispielsweise stellt in seinen Überlegungen zum Roman Irre (1983) von
Goetz mitunter die Frage, wie ein virtueller Medienwechsel vom
Schriftlichen ins Bildliche zu denken sei und ob „Mediensimulation als
Schreibstrategie“195 darin aufgehe.196
191
Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 275.
Ebd., S. 282.
193 Ebd.
194 Techno wird für Goetz mit seinen endlos neu kombinierbaren Tracks, die nur scheinbare
Wiederholungen sind, und dem interaktiven Wechselspiel zwischen Tanzpublikum und DJ
zur Projektionsfläche für sein Schreiben. Die Reibung und permanente Abwechslung der
Komponenten sinnliche Ekstase und Distanz oder Konkretion und Abstraktion ist nach
Windrich „ein Hauptmerkmal dieser Ästhetik“. Siehe Windrich, Technotheater, S. 413.
195 Löser, Philipp, Mediensimulation als Schreibstrategie. Film, Mündlichkeit und
Hypertext in postmoderner Literatur, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999.
196 Im Roman geht es um den Protagonisten Raspe, einem Psychiater, der sein erstes
praktisches Jahr in einer Psychiatrieabteilung in München absolviert. Seine manische Suche
nach dem Ekstatischen und Affektiven, um den alltäglichen Unzulänglichkeiten des
selbsterhaltenden, unverbesserlichen Systems der psychiatrischen Institution zu
entkommen, wird letztendlich zu seinem Verhängnis. Raspe selbst kippt immer mehr in
eine wahnhafte Parallelwelt, was sich buchstäblich dadurch bemerkbar macht, dass Bilder,
die er imaginiert, immer mehr Raum auch im Text einnehmen und sich die flüssige
Erzählung schließlich ganz in lose Schnipsel auflöst. Die anfangs noch positiv konnotierten
Bilder werden zunehmend mit dem nicht zu kontrollierenden Wahnsinn gleichgesetzt und
verlieren dadurch wiederum an poetischer Kraft: „Kein Wort hat gegen die Bilder nichts
genützt! [...] Mensch! [...] Da schüttelte es aus dem Schwächling Wort die Träne.“ Goetz,
Rainald, Irre. Roman, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, S. 286.
192
54
Auch wenn nach Goetz die Hinwendung zum Film oder zum Bild im Fall
von Irre zu keiner wirklichen Befreiung geführt hat, „[w]eil es ja immer die
saubläde [sic!] Literatur bleibt“197, wird er nicht müde, Annäherungen
zwischen verschiedenen medialen Systemen in der Literatur zu erproben.
Schon Roland Barthes plädiert in seinen Schriften zur Literatur für die
Abkehr vom eigenen Medium und die Hinwendung zu einem anderen.
Demnach soll der Schrifsteller „Cineast, Maler werden, oder umgekehrt,
[der] Maler, Cineast [...] [möge] endlose kritische Diskurse über den Film,
die Malerei entfalten.“198
Im Fall von Jeff Koons wird die Anziehung, die vom Bild, der Musik und
dem Raum ausgeht, Goetz dazu veranlassen, mediale Rekursverfahren zu
erproben, um Theatralität im Text als Intermedialität sprachlich umzusetzen.
3.3.1 Zum Konzept der Intermedialität
Es wurde bereits festgestellt, dass Goetz sich intertextueller Verfahren
bedient, was eng mit dem Konzept der Intermedialität verzahnt ist, zumal
Intertextualität eine intramediale Ausprägung ist und all jene Phänomene
betrifft, die sich innerhalb eines Mediums aufeinander beziehen.199 Das
Konzept der Intermedialität, das als Oberbegriff für eine Bandbreite von
unterschiedlichen
Definitionen
je
nach
Anwendungsgebiet
und
Theoriebereich fungiert, ist nach Irina Rajewsky „als Hyperonym für die
Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene“200 zu
verstehen. Es umfasst also all jene „Phänomene, die, dem Präfix ‚inter’
entsprechend, in irgendeiner Weise zwischen Medien anzusiedeln sind.“
[Hervorh. im Orig.].201
197
Goetz, Irre, S. 289.
Barthes, Die Lust am Text, S. 81.
199 Vgl. Rajewsky, Irina, Intermedialität, Tübingen: A. Francke 2000, S. 13.
200 Ebd., S. 12.
201 Neben dem Intermedialen und Intramedialen gäbe es noch als dritte Kategorie die
Transmedialität, wobei es in diesem Fall nicht um eine Bezugnahme eines bestimmten
medialen Systems auf ein spezifisches Ursprungsmedium geht, sondern um Formen, deren
198
55
Rajewsky differenziert prinzipiell drei Bereiche der Intermedialität. Zum
einen nennt sie die Kategorie der „intermedialen Bezüge“202, womit
„Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch
Bezugnahme auf ein Produkt (= Einzelreferenz) oder ein semiotisches
System
(=
Systemreferenz)
eines
konventionell
als
distinkt
wahrgenommenen Mediums mit den dem kontaktnehmenden Medium
eigenen Mitteln“203 gemeint sind. Nur das kontaktnehmende Medium sei in
dem Fall „materiell präsent.“204 Beim „Medienwechsel“205 hingegen geht es
um die „Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts bzw.
Produktsubstrats in ein anderes, konventionell als distinkt wahrgenommenes
Medium“206. Auch hier ist wiederum nur das bezugnehmende Medium
materiell vorhanden, wie das etwa bei einer Literaturverfilmung oder
Adaption zutreffen würde. Als dritte Form von Intermedialität ist von
„Medienkombination“207 die Rede, bei der es eine „Kombination
mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien, die
sämtlich im Produkt materiell präsent sind“208, gibt, wie etwa bei der Oper,
im Theater oder im Film.
Im Fall des Stücks Jeff Koons sind intermediale Bezüge zwischen Literatur
und Theater in zweifacher Hinsicht vorhanden. Zum einen ist der
Theatertext aufgrund seines zwitterhaften Wesens zwischen Entwurf und
Anleitung für eine konkrete Bühnenaufführung und eigenständigem
literarischen Kunstprodukt ein Setting intermedialer Bezüge per se, wobei
die Bühne nur textlich materiell präsent ist. Seine Vermittlerposition
Funktionsweise unabhängig vom Medium umgesetzt werden kann, wie etwa im Fall der
Parodie. Rajewsky, Intermedialität, S. 13.
202 Ebd., S. 19.
203 Ebd.
204 Ebd.
205 Ebd.
206 Ebd.
207 Ebd.
208 Ebd.
56
zwischen Bühne und Literatur prädestiniert ihn dazu, stets auch die
Diskrepanz zwischen Verbalem und Nonverbalem, Textlichkeit und
Körperlichkeit mit zu reflektieren: „Von dieser Frage handelt der
Theatertext, auch jedenfalls, diese Textform, im ganz äußerlichen, formalen,
vorinhaltlichen Sinn.“209 Demnach sind Theatertexte also Ausdruck dieses
Paradox’, nachdem sie so konzipiert sind, dass sie „ihre eigentliche
Bestimmung gerade durch das verfehlen [sollen], was sie allererst ausmacht
– die Bindung an die Sprache.“210
Goetz geht in seiner intermedialen Erkundung noch einen Schritt weiter und
eignet sich das theatrale Dispositiv als intermediales Modell für sein
literarisches Programm an, das multimediale und körperliche Schreibweisen
als Schrift vorsieht.211 Das heißt also, dass er bei der schriftlichen
Konzeption das theatrale Kommunikationsmodell, den theatralen Rahmen
und die Gegebenheiten des Theaters als „verschlungenes Ineinander aller
möglichen Mitteilungsarten“212, also die Verbindung von multiplen Medien
und semiotischen Systemen, konkret vor Augen hat:
„Man muss sein Zeug doch VORTANZEN wollen, körperlich, in Fleisch und Blut,
auf einer Bühne. Ich will aber lieber, dass alles, was da zu sehen wäre, IM TEXT
selber stattfindet, ganz direkt, im Vermittelten, dass alle Energie und Zeigelust,
ÜBERSETZT wird in die Maschinerie der Worte, dass die Live-Infusion und RealLebendigkeit da ins Tote rein geht, und dann da stehen würde, schriftlich, fertig“
[Hervorh. im Orig.].213
Die von Goetz eingeforderte Infusion von Lebendigkeit und Körperlichkeit
in die Schrift soll nicht erst durch die vorgetragenen, realen Körper ihre
Erfüllung erhalten, sondern bereits im Text selbst als körperlicher Ausdruck
209
Knobloch, „Text/Textualität“, S. 45.
Müller, Matthias, „Zwischen Theater und Literatur – Notizen zur Lage einer heiklen
Gattung“, in: Deutsches Drama der 80er Jahre, Hg. Richard Weber, Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1992, S. 399-430, hier S. 415.
211 Goetz betont, dass er seine Position gegenüber dem Theater als „reine Textposition“
sieht und in die Umsetzung seiner Stücke nicht involviert werden möchte, denn „[...] die
deutsche Sprache gibt da ein komplizierteres, antagonistischer gebautes Verhältnis
zwischen Autor und Theater vor“. Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 116.
212 Ebd., S. 124f.
213 Goetz, Abfall für alle, S. 668.
210
57
präsent sein. In seiner Anwendung der theatralen Konstituenten auf Sprache
als „Körperwissen“214 sei es Goetz nach Achim Stricker nicht daran
gelegen, Präsenz als rein sinn-entleertes “Klangmaterial“215 zu erzeugen,
sondern zu einer „Präsenz des Sinns”216 zu gelangen.
Hier wird bereits deutlich, dass der theatrale Bezug des Textes zur Bühne
eine Erkundung theatraler Konstituenten als schriftlicher Ausdruck ist.
Seine Theatertexte beschäftigen sich demnach also dezidiert mit der
folgenreichen Perspektivierung des Zeichen- und Kunstsystems Theater auf
Sprache in Schriftform.
Ausgehend vom literaturbasierten Anwendungskontext plädiert Rajewsky
dafür, bei intermedialen Bezügen den literarischen Text auf „Formen und
Funktionen eben der Bezugnahme eines bestimmten medialen Produkts auf
ein
anderes
mediales
System
beziehungsweise
ein
auf
diesem
fremdmedialen System zugehöriges Produkt“217 hin zu untersuchen. Hier ist
Intermedialität als unmittelbarer Nachbar der Intertextualität zu erkennen,
nämlich
als
ein
„kommunikativ-semiotischer
Begriff“218,
der
zur
Feststellung von „Rekursverfahren“219 zwischen medialen Systemen dienen
kann und somit konkret für die Untersuchung von Texten, Filmen,
Theaterstücken, etc. behilflich sein kann. Im Besonderen soll das Konzept
darüber Aufschluss geben,
„wie sich mit Hilfe der dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mittel Bezüge zu
einem anderen Medium herstellen lassen, wie also beispielsweise ein literarischer
Text Elemente und/oder Strukturen des filmischen, malerischen oder musikalischen
Mediums, über deren Mittel und Anordnungsstrukturen er einerseits ja nicht verfügt,
aufgreifen, bzw. sich diese ‚zu eigen’ machen kann“ [Hervorh. im Orig. ].220
214
Stricker, Text-Raum, S. 279.
Ebd., S. 278.
216 Ebd.
217 Rajewsky, Intermedialität, S. 25.
218 Ebd.
219 Ebd.
220 Ebd., S. 21.
215
58
Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit soll festgestellt werden,
welche Formen und Verfahren von Intermedialität im Text Jeff Koons zu
verorten sind. Im folgenden Kapitel wird zudem reflektiert, wie Theatralität
anhand des Intermedialitätsbezugs zwischen Bühne und Schrift bei Goetz
konzipiert wird. Vorab soll geklärt werden, welche theoretische Konzeption
von Theatralität aus theaterwissenschaftlicher Sicht zur Annäherung an
diesen Theatertext dienen kann.
3.3.2 Theatralität als intermediales Dispositiv
Ausgehend von Goetz’ Zugriff auf das Theater, bei dem Sprache nach
„Materialität, Verräumlichung und Performativität“221 im Text ausgerichtet
wird, scheint es sinnvoll vorab den Begriff der Theatralität zu klären.
In Erika Fischer-Lichtes vielzitiertem Postulat einer Ästhetik des
Performativen wird auch der seit den 1990er Jahren virulent gebrauchte
Theatralitätsbegriff in den Kulturwissenschaften neu ausgerichtet. Dies soll
jener Entwicklung Rechnung tragen, wonach sich Theatralität im Zuge
postdramatischer Theaterästhetiken seit der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts stetig der Performativität angenähert habe. Im Zuge dessen sei
die referentielle Funktion des Theaters zugunsten von Ereignishaftigkeit und
Prozesshaftigkeit gewichen, welche eigentlich traditionelle Aspekte der
Performance-Kunst darstellten. Fischer-Lichtes Theatralitätsbegriff, den sie
infolge
der
diagnostizierten
performativen
Wende
in
den
Kulturwissenschaften seit den 1990er Jahre neubestimmt und auch die
Metapher ‚Kultur als Performance’222 einführt, orientiert sich an den
Ausführungen von Nikolaj Evreinov, Michael Fried, Elizabeth Burns und
Helmar Schramm, nach welchen Theatralität als Prinzip maßgeblich an
kulturstiftenden Prozessen beteiligt ist.
221
Stricker, Text-Raum, S. 62.
Fischer-Lichte, Erika, Ästhetische Erfahrung. Das Semiotische und das Performative,
Tübingen: A. Francke 2001, S. 9.
222
59
Dies impliziert nun die Möglichkeit, die Kategorien ‚Theatralität’ sowie
‚Inszenierung’ in den verschiedenen theoretischen Kontextualisierungen
gleichzeitig als ästhetische wie auch als anthropologische Kategorien zu
sehen, also sowohl auf die Kunstform Theater als auch auf kulturelle
Prozesse anzuwenden. Dabei rückt auch der Aspekt des Ereignisses in den
Mittelpunkt und etabliert erneut einen Konnex zu ‚Aufführung’, sowohl als
kulturellen, als auch theatralen Text.223 Als Folge wird Theatralität also im
Zuge
dieser
Neubestimmung
als
„kulturelles
Modell“224
für
die
Kulturwissenschaften entdeckt.
Fischer-Lichte leitet aus den Überlegungen genannter Theoretiker vier
zentrale Komponenten ab, die Theatralität als breite semiotische Kategorie
etablieren: Wahrnehmung (bezogen auf den Zuschauer, seine Funktion und
Perspektive als Beobachter), Korporalität (der Darstellung und Präsentation
des Materials geschuldet), Inszenierung (betrifft Methoden und Strategien
der Zurschaustellung von etwas vor Publikum) und Performance (ist ein
Vorgang, der durch den Körper und die Stimme vor physisch anwesenden
Personen dargestellt wird und von dieser Situation auch beeinflusst wird).225
Theatrale Zeichen bestehen nach Fischer-Lichte nicht nur aus heterogenen
Materialien, sondern sind zugleich polyfunktional, da sie verschiedene
Zeichenfunktionen annehmen können. Mit anderen Worten ist ein theatrales
Zeichen sowohl mit Mobilität als auch Polyfunktionalität ausgestattet:
„Ein theatrales Zeichen ist also nicht nur imstande, als Zeichen eines Zeichens zu
fungieren, das es selbst darstellt, sondern darüber hinaus als Zeichen eines Zeichens,
das jedem beliebigen anderen Zeichensystem angehören mag: Es ist durch größte
Mobilität gekennzeichnet.“226
223
Vgl. Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung, S. 23.
Ebd.
225 Vgl. Fischer-Lichte, Erika, „Theatralität und Inszenierung“, in: Inszenierung von
Authentizität, Hg. Erika Fischer-Lichte/Christian Horn/Isabel Pflug/Matthias Warstat,
Tübingen: A. Francke 22007 (Orig. 2000), S. 9-28, hier S. 18.
226 Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung, S. 163.
224
60
Dieser Zugang bietet einen möglichen Zugang zur Erfassung wesentlicher
Merkmale des theatralen Zeichensystems. Theater ist aus diesem
Blickwinkel als modellhafte Anordnung für eine Palette von Möglichkeiten
zu sehen, in der das Spiel mit Formprinzipien anderer Künste innerhalb
eines
Rahmens
angelegt
ist.
Es
wird
zu
einem
künstlerischen
Operationsmodus, bei dem unterschiedliche Medien und Zeichensysteme
miteinbezogen werden können, wobei aber die „Zeichenhaftigkeit [...] von
Materialität und Medialität“227 nicht getrennt werden muss.
In Anlehnung an Helga Finters Trennung von analytischer und
konventioneller Theatralität, um zeitgenössische Erscheinungsformen
abseits vom repräsentationalen Drama aufzuspüren, ist Theatralität nicht nur
als Ergebnis von Codes und spektakulären Effekten einer theatralischen,
inszenierenden Praxis zu verstehen. Theatralität kann auch „ein Exzess an
Signifikanz, der auf die Materialität der Signifikanten und damit auf den
semiotischen Charakter einer Handlung verweist“228, bedeuten. Darin
komme analytische Theatralität im Gegensatz zur konventionellen
Theatralität zum Tragen, wonach Theater als Sinngebungsmodus wie auch
als multimediale Raum-Kunstsprache selbst zur Quelle und Instrument
autoreflexiver Betrachtung wird. Theatralität ist dadurch nicht mehr nur
„Raum der Repräsentation (Dar-Stellung), sondern kann stattdessen als Ort
der kritisch-analytischen Auseinandersetzung [...] genutzt werden.“229
In dieser ‚analytischen’ Konstellation resultiert Theatralität also erst aus
einem „Prozess einer Konstruktion (Her-Stellung) von Sinnbezügen“230.
Somit ist Theatralität hier weniger eine Qualität, die aus der Gesamtheit der
szenischen Vermittlung und Darstellung einer Geschichte hervorgeht,
227
Stricker, Text-Raum, S. 59.
Finter, Helga, Der subjektive Raum. Band 1. Die Theaterutopien Stéphane Mallarmés,
Alfred Jarrys und Raymond Roussels: Sprachräume des Imaginären, Tübingen: Gunter
Narr 1990, S. 14.
229 Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 46.
230 Ebd.
228
61
sondern wird zu einer Eigenschaft „des kognitiven Erlebnisses in der
Aufführungsposition: ein Wahrnehmungsmodus.“231 Finter verortet diese
analytische Theatralität bereits in den Avantgarden bei Mallarmé, Jarry und
Roussel als etwas, das auf das „Zwischen von Körper und Sprache“232
deutet und auf einen „Prozess, durch den Repräsentation präsent wird in
Körpern“233.
Stricker sieht die Qualität von Theatralität als Wahrnehmungsmodus in
intermedialen Rekursverfahren zwischen Theater und Schrift umgesetzt.
Demnach
sei
die
Zurschaustellung
von
Wahrnehmungs-
und
Rezeptionsprozessen das Ziel solcher Verfahren.234 Die intermediale
Annäherung der Schrift an die Bühne als Live-Kunst erfolgt über die an die
Präsenz und Ereignishaftigkeit gekoppelte Performativität, wobei die
Gleichzeitigkeit von Darbietung und Publikum auch auf die PerformanceKunst zutrifft, nicht nur auf Theater. Das heißt für die Schrift, dass hier auf
Theater vor allem als „installative Situation“235 [Hervorh. im Orig.] und
nicht als „in-szenierendes Medium des Dramas“236 [Hervorh. im Orig.]
Bezug genommen wird. Transformiert auf eine als Installation angelegte
Sprach-Situation
bedeutet
das,
dass
anstelle
der
sprachlichen
„mimetische[n] Darstellungs- und Verweisungsfunktion [...] vielmehr [die]
Dynamik einer szenischen, visuellen oder klanglichen Komposition“237 in
den Vordergrund tritt.
Von Repräsentation gelöste, autoreflexive Sprache lässt Theatralität zu
einem modus operandi für das Schreiben werden, bei dem unter
Zuhilfenahme der plurimedialen Anordnung des Theaters eine „‚Mobilität
231
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 46.
Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 14.
233 Ebd.
234 Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 60.
235 Ebd.
236 Ebd.
237 Ebd.
232
62
der Zeichen’ zwischen den Zeichensystemen und Medien“238 für die Schrift
appliziert wird. Infolgedessen geht es also um einen Wahrnehmungs- und
Operationsmodus, der Signifikationsprozesse in einen Zirkulationsmodus
bringt und so Körper und Sprache neue Ab- und Rückkoppelungsimpulse
verleiht.
Laut Patrice Pavis ist Theater der „Ort der Integration von Visuellem
(„visuel: jeu de l’acteur, iconicité de la scène, images scéniques“); und
Textuellem“239 („textuel: langage dramatique et textuel, symbolisation,
système de signes arbitraires“) schlechthin. Auch Finter spricht von Theater
als Konnex von „zwei Ordnungen der Wahrnehmung, um sie als Einheit
erfahren zu lassen. [...] Das Theater macht eine Einheit von Sprache und
Körper möglich, für die der Körper des Schauspielers steht“ [Hervorh. im
Orig.].240 Zeitgenössische ästhetische Verfahrensweisen würden an diese
ästhetische Theorie und Praxis der „Lektüre in actu“ [Hervorh. im Orig.]241
anschließen, den Text erst im Zuge der Lektüre, also im Vollzug, zwischen
Produktion und Rezeption, anknüpfen. Theatertexte in dieser Tradition
würden demnach Texttheatralität im Sinne einer Schrift als Theater und
umgekehrt denken.
Es wird also von der Prämisse ausgegangen, dass die Setzung der theatralen
Aufführung hier als Metapher und Modell für das körperbezogene
Schreiben von Goetz steht, um diese Problemstellungen anhand der Schrift
zu verhandeln und dennoch damit gleichsam eine potenzielle Umsetzung
auf der Bühne zu konzipieren, anhand derer sich das Szenarium des Textes
verwirklicht sieht. Goetz selbst beschreibt diese intermediale Verfasstheit,
238
Meyer, Intermedialität des Theaters, S. 63.
„[C]es deux éléments du theatre parlé sont les composantes fondamentales et
inspensables de la réprésentation theatrale.“ Pavis, Patrice, Dictionnaire du Théatre.
Termes et concepts de l’analyse théatrale, Paris: Éditions sociales 1980, S. 439.
240 Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 13.
241 Ebd., S. 6.
239
63
der sowohl Form als auch Inhalt entsprechen, am Beispiel seines
Theatertextes Jeff Koons folgendermaßen:
„‚Jeff Koons’ ist ein Schriftwerk, das von der Bildwelt handelt, sich gegen die
eigene Schriftlichkeit musikalisch wehrt, zur Bildwelt wieder hin will, und erst im
Bühnenvorgang sich erfüllt, wenn der Text selber in der Idee der Inszenierung so
aufgegangen ist, dass er praktisch egal geworden ist. [...] Und dann fragt man sich
nochmal: wie heißen diese Bilder der Kunst? Warum ist das Schöne oft so fern,
wenn die Sprache einbricht ins bildliche Leben? Und wird alles vielleicht gut durch
Sex und Liebe?“242
Als der kulturell tradierte Ort der Repräsentation, der Überlagerung von
Kontexten und als integrative mediale Schnittstelle stellt das Theater für das
Schreiben eine potenzierte Möglichkeit dar, auf die Unmöglichkeit der
objektiven theatralen Darstellung und Verkörperlichung hinzuweisen, da
Sprache selbst schon Ort der Verkörperlichung ist. Im Umkehrschluss
bedeutet das, dass solche dramatischen Entwürfe auf eine Inszenierung
abzielen, welche diese abstrakte Konstellation von Sprache mit Fokus auf
Materialität und Körper erproben, um die Repräsentation von Sinn als
Ergebnis
von
Aufschub
und
Nachträglichkeit
auszustellen.
Die
Durchkreuzung von Körper und Text wird also anhand der Vorlagen
unterschiedlicher medialer Konstellationen erprobt. Die an Sinn und an
Identität haftende Wortsprache soll performativ-energetischen Charakter
erhalten, sodass die Zeichen nicht länger sagen, wofür sie nicht stehen,
sondern das sagen, was sie zugleich auch sind, sodass das „Gesetz des
Aufschubs, die Sprache selbst“, ausgehebelt wird.243 Demnach wird das
Theater hier als „Kunst-Ort“244 für das Schreiben behandelt, als textlich
bereits antizipierter Moment der Medialität, der Darstellung und
Kommunikation von Redeweisen.245
242
Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 173.
Winkels, „Krieg den Zeichen“, S. 259.
244 Doktor/Spies, „Rainald Goetz, S. 870.
245 Ebd., S. 870f.
243
64
3.3.3 Texttheatralität
Mit der Konzeption einer Theatralität in der Schrift als Erweiterung und
Überschreitung eines Zeichensystems sowie die damit einhergehende
Erkundung der Differenzen und Übergänge zwischen Wort, Bild, Klang,
Bewegung und Geste, trifft Finter den Kern dieser intermedialen
Vorgehensweise, den sie bereits in den Theaterutopien von Mallarmé, Jarry
und Roussel umgesetzt sieht:
„Es schien mir deshalb notwendig, an den historischen Punkt zurückzugehen, wo die
Schrift anfängt, den Rahmen des Buches zu sprengen, wo sie das Theater fordert,
um räumlich zu werden, wo die Schrift als Theater und das Theater als Schrift
erprobt wird. Und dies ausgehend von der Frage, wie aus Worten, aus Klang und
Stimmen Bilder entstehen können, wie die Beziehung von Wort und Bild, die
Aktion, in die sie gestellt werden, möglich wird und werden kann.“246
Der Doppelcharakter des Theatertextes bringt die Notwendigkeit mit sich,
auch einen zweifach perspektivierten Blick bei der Lektüre im Auge zu
behalten. Nach Poschmann gibt es zwei Arten von Fragen der theatralen
Ausrichtung eines Theatertextes: Während sich implizite szenische
Theatralität als Übersetzung der Mittel der Bühne hinsichtlich einer
möglichen Aufführung im Text äußert, bezieht sich Texttheatralität auf jene
Aspekte oder Theatertexte, die die performative Qualität des Sprechens als
Text nutzen und erkunden. Demnach geht es bei der texttheatralen Lektüre
um die Frage nach „theatralischen Potentialen in der Zeichenpraxis des
Textes selbst“.247 Damit ist also der Vollzug von Theatralität anhand und in
der Schrift gemeint, sprich der theatrale Vollzug wird hier selbst sprachlich
umgesetzt und impliziert damit eine szenische Darstellung oder Aufführung
von Sprache durch den Text als Art Bühne selbst.
Finter
bezeichnet
Texttheatralität
als
„all
die
translinguistischen
Phänomene, die die Codes übersteigen und die Materialität des Sprechakts
246
247
Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 6.
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 322.
65
indizieren [...].“248 Finters Überlegungen lassen sich insbesondere zu
Poschmanns Unterkategorie der unmittelbaren Texttheatralität ergänzen, da
damit eine Art von Texttheatralität angesprochen wird, die vor allem auf
performative Verfahren einer Zeichenpraxis eingeht.
Wenn im Theatertext also die ästhetische Botschaft in den Zeichen des
Theatertextes selbst wirkt und infolgedessen Signifikanten autoreflexiv und
zusätzlich zur referentiellen Funktion mehrdeutig werden, wird Theatralität
im Zuge eines multimedialen, interaktiven Prozesses im Zuge der Rezeption
hergestellt:
„Der poetische Einsatz der Sprache ist als ihre Autoreflexion zugleich
metasprachlich und metatheatral, da der moderne Text die Welt nicht spiegelt,
sondern im Zusammenspiel mit der Rezeption erst erzeugt, mit dem
Repräsentationsprinzip auch die Grundlage des dramatischen Theaters in Frage
stellt.“249
Dies bedeutet also, dass sich im Theatertext abseits vom repräsentationalen
Drama
neue
Möglichkeiten
der
Erkundung
von
poetischen
Sprachfunktionen eröffnen.
3.3.3.1 Mittelbare Texttheatralität
In Poschmanns wegweisender Konzeption von Texttheatralität für die
jüngere Dramentheorie wird zwischen mittelbarer und unmittelbarer
Theatralität differenziert. Mit mittelbarer Texttheatralität seien jene
performativen, paralinguistischen Aspekte in Texten gemeint, die
Performativität als „Tauschwert für szenische Theatralität“250 mittels
„Pausen, Rhythmus, Intensitäten oder Polyphonie [...] auch in Schrift- und
Druckbild“251 suggerieren. So schreibt sie etwa zu Gisela von Wysockis
Theatertext Abendlandleben oder Anpollinaires Gedächtnis, dass er
248
Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 3.
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 323.
250 Ebd., S. 328.
251 Ebd., S. 331.
249
66
exemplarisch sei für Theatertexte, die „die Struktur des Dramas
dekonstruieren“252.
Es handelt sich hier also um Texte, die theatralen Raum gegen textlichen,
schriftlichen Ausdruck einlösen, also beispielsweise räumliche, akustische
oder optische Aspekte nicht ausformulieren, sondern beispielsweise visuell
und typographisch, d.h. anhand der Gestaltung des Schrift-Bildes oder
rhythmisch darstellen.
3.3.3.2 Unmittelbare Texttheatralität
Zusätzlich zur mittelbaren Texttheatralität weisen solche Theatertexte nach
Poschmann
aber
auch
unmittelbare
Texttheatralität
auf,
da
die
„autoreflexiven linguistischen Zeichen als innersprachliches Geschehen [...]
[zu] einer ‚eigenständigen Wirklichkeit’ und einem ‚performativen
Sprechakt’ [werden und somit] räumliche und zeitliche Dimensionen sowie
Performance-Qualitäten“ 253 aufweisen würden.
Theatertexte, die in ihrer Konstellation dazu tendieren die dramatische Form
zu unterwandern, indem sie „die Darstellungsebene [...] zugunsten der
Theatralität des sprachlichen Materials selbst und damit zugunsten der im
weitesten Sinne ‚poetischen’ Wirkung der Sprache zurücktreten lassen“254,
bilden nach Poschmann eine spezielle Form von Texttheatralität aus. Das
Poetische der Sprache ist in der strukturalistischen Schule in der
„Entautomatisierung der Zuordnung von Bezeichnendem (signifiant) und
Bezeichnetem (signifié)“
255
zu orten, wonach der Signifikant einen
semantischen Eigenwert erhält; abseits seiner kommunikativen Funktion
252
Nach Poschmann kann die „[...] Etablierung nichtdramatischer Texttheatralität [...] als
Fortführung episierender und absurder Tendenzen verstanden werden [...]“. Trotz
frappierender Unterschiede der Theatervisionäre Beckett und Brecht würde die beiden „das
Misstrauen gegen die Repräsentation auf der Bühne“ verbinden. Poschmann, Der nicht
mehr dramatische Theatertext, S. 95.
253 Ebd., S. 332.
254 Ebd., S. 177.
255 Ebd.
67
erhalte das Zeichen einen ästhetischen Eigenwert, was schließlich zur
Mehrdeutigkeit des Zeichens und dieser Sprache führe.256
Da in diesen Fällen dramatische Figuration und Narration trotz formaler
Beibehaltung präsent sind, jedoch radikal zur Nebensache erklärt werden,
kann dies zur Annahme führen, dass Autor*innen solcher Theatertexte
gegen das bestehende Theater anschreiben. Nur scheinbar werden die
Kriterien der Dramenkonventionen erfüllt, denn vor allem tritt das Wirken
der Theatralität der Sprache hier in den Vordergrund.
Im Zentrum des Erkenntnisinteresses dieses „Theaters des Textes“257, wie
Sybille Peters Goetz’ theatralisch konzipierte Textproduktion bezeichnet,
welche die „Arbeit an der medialen Differenz“258 als Ausgangspunkt für die
Zielsetzung der literarischen Performanz nimmt, steht also das Erkunden
von Medialität beziehungsweise von intermedialen Differenzen. Der Bezug
zum Theater ist insofern also ein dialektischer, als es sowohl die Öffnung zu
den darstellenden Künsten, des Theatralen und Performativen der Literatur,
als umgekehrt auch eine Rückbindung des Theaters an Textlichkeit und
Literarizität konstituiert. Dies bedeutet, dass Goetz Literarizität als Effekt
transmedialer Sprachprozesse denkt, die er in seinem Fall anhand des
Mediums der Schrift umsetzt, aber anhand der Öffnung zu Theater,
Performance, Musik, Bildkunst prinzipiell schriftübergreifend konzipiert.
3.4 Textsysteme und Autorschaft
Die Dopplung eines Textes aufgrund verschiedener Publikationsarten, etwa
wie im Fall des als per se intermedial angelegten Theatertextes oder aber
beispielsweise auch im Fall von Abfall für alle (1999), das sowohl als
256
Vgl. Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 177.
Peters, Sibylle, „Theater des Textes: Rainald Goetz’ Frankfurter Poetikvorlesungen und
das Stück Jeff Koons“, in: Vom Drama zum Theatertext? Zur Situation der Dramatik in
Ländern Mitteleuropas, Hg. Hans-Peter Bayerdörfer/Małgorzata Leyko/Evelyn DeutschSchreiner, Tübingen: Max Niemeyer 2007, S. 132-142, hier S. 132.
258 Ebd., S. 140.
257
68
Internet-Publikation als auch in Buchform erschien, rückt verschiedene
„Aufführungsrahmen“259 seiner Texte in den Vordergrund und betont
dadurch auch „die Eigendynamik intermedialer Codierungen und rahmender
Kontextualisierungen“.260 Auch die hohe Verweisdichte seiner zyklisch
angelegten Texte untermauert die These, dass sein „Integraltext“261 als
mehrdimensionaler Raum aufgebaut ist, dessen Zentrum der Autor selbst
einnimmt.
An
dieser
Stelle
soll
auch
auf
Niklas
Luhmanns
systemtheoretischen Entwurf von Medien und Textsystemen verwiesen
werden,
der
vielfach
als
Zugang
zu
Goetz’
Subjekt-
und
Körperlichkeitsentwürfen herangezogen wird, hier aber aufgrund des
limitierten Rahmens dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden kann.262
Goetz’ Textsystem beruht nach Nadja Geer auf dem Prinzip, dass der Autor
Material einer „Vergoetzung“263 unterzieht und wie „Bastelwerk um die
eigene Person zentriert“264. So behält der Autor als Drehmoment des
Medialen und Bindeglied zwischen den unterschiedlichen medialen
Realisierungen gewissermaßen die Oberhand gegenüber der Schrift und
System inhärenten Vernetzung und Streuung. In der aktuellen Epoche des
Ich-Kunstwerks, das auch als Reaktion auf die Ästhetisierung und
Medialisierung
von
Selbstverwirklichung,
Lebenswelt
gelesen
Querdenkertum
und
werden
kann,
Kreativität
ist
kein
Alleinstellungsmerkmal von Künstlern mehr und Inszenierung fester
Bestandteil des Alltags.
259
Doktor/Spies, „Rainald Goetz“, S. 880.
Stricker, Text-Raum, S. 274.
261 Weber, „‚...noch KV (kv)’“, S. 145.
262 Siehe Windrich, Technotheater; sowie Schäfer, „Luhmann als ‚Pop’”, in: Das Populäre
der Gesellschaft. Systemtheorie und Populärkultur, Hg. Christian Huck/Carsten Zorn,
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage 2007, S. 262-283.
263 Geer, Sophistication, S. 158.
264 Ebd.
260
69
Hier scheint die Rückkehr zum Werkbegriff und einer Autorschaft als
„Marketingstrategie“265
zu
fungieren,
um
sich
anhand
der
Selbstinszenierung, wie es im popmusikalischen Kontext üblich ist, als
Quelle von Originalität, als Marke oder Label zu etablieren.266 Der Autor
spielt als „Medienjongleur“267 gekonnt zwischen Formaten, Rahmen und
Genres und bleibt somit selbst gesteuertes Konstrukt. Aus Sicht der rasanten
jungen Entwicklung einer Literatur im Internet, die sich in ihren Formen
und Urheberquellen nicht mehr physisch oder anhand einzelner Personen
verorten lässt, wie es bei digitalen Hypertexten oder kollektiven
Autorschaften im Netz der Fall ist, wird Autorschaft als „reiner
Medieneffekt“268 inszeniert.
Goetz sieht sich in seiner Funktion als Autor auch als medialer Vermittler
zwischen Text und Leser, der zwischen der Diskrepanz zwischen Totheit
des Textes und Leben kommuniziert: „Übersetzer in Text. Ja, genau, passt.
Das bin ich, das ist mein Job, mein Leben.“269 Nach Menke und Lüthy sind
die Bücher von Rainald Goetz „nicht [...] Ausdruck eines Subjekts, sondern
[...] Schauplatz [...], auf dem sich der Prozess der Verhandlung zwischen
Subjekt und Medium zuträgt.“270 Form und Inhalt von Goetz’ Programm
bedingen sich in der Verschränkung von Autor-Subjekt und Medium
demnach gegenseitig oder bringen sich in dieser Anordnung dadurch erst
hervor:
„Subjekt und Medium erweisen sich so als ambivalente Schauplätze, die in
doppelter Funktion stehen: Sie sind, aufgrund ihrer spannungsvollen Verbindung,
beide zugleich der Ort der Aussage – an dem sich der Prozess des Kunstwerks
265
Künzel, Christine, „Einleitung“, in: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches
Werk im Kontext der Medien, Hg. Christine Künzel/Jörg Schönert, Würzburg:
Königshausen & Neumann 2007, S. 9-25, hier S. 15.
266 Vgl. Ebd., S. 15f.
267 Ebd., S. 20.
268 Ebd., S. 22.
269 Goetz, Abfall für alle, S. 516f.
270 Lüthy, Michael/Christoph Menke, „Einleitung“, in: Subjekt und Medium in der Kunst
der Moderne, Hg. Michael Lüthy/Christoph Menke, Berlin: Diaphanes 2006, S. 7-11, hier
S. 8.
70
entfaltet – und die Sache der Aussage – der Gehalt, um den es in dem Kunstwerk
geht.“271
Diese Verschränkung wird im Folgenden anhand der Einführung zum Stück
Jeff Koons erneut aufgegriffen. Als zentraler Text im Zyklus Heute Morgen,
der die Genese von Text nicht nur dokumentiert, illustriert oder fiktional
übersetzt, sondern buchstäblich performativ schriftlich umsetzt, kommt
diese flüchtige und dezentrierte Subjektkonstitution besonders gut zur
Geltung.
271
Lüthy/Menke, „Einleitung“, S. 10.
71
4 Einführendes zum Stück Jeff Koons (1998)
Nachdem zuvor Literarizität und das Autor-Werk-Verhältnis von Goetz
näher zu fassen versucht wurde, soll nun seine zyklische Arbeitsweise
anhand des textlichen ‚Systems’ Heute Morgen Goetz charakterisiert
werden. Daraufhin werden formale und inhaltliche Aspekte des Stücks Jeff
Koons aufgezeigt. Wie darin ersichtlich wird kommt sowohl der parallelen
Arbeitsweise an verschiedenen Texten als auch dem Sujet der Genese von
Kunst innerhalb des Zyklus besondere Bedeutung zu.
4.1 Der Zyklus Heute Morgen und seine textlichen
Teilsysteme
Als ‚Teilbuch’ des Zyklus Heute Morgen folgt das Stück Jeff Koons wie die
meisten seiner Texte einem peniblen, numerisch geordneten Werkzyklus,
dessen Logik nur dem Autor bekannt scheint.272 Der Zyklus Heute Morgen
umfasst insgesamt fünf Bücher, wobei das Theaterstück an zweiter Stelle
gereiht ist. Verbindendes Konzept der Bücherreihe ist die Idee, Gegenwart
festzuhalten, was an verschiedenen Formaten teilrealisiert wird:
„Was ist HEUTE MORGEN als Ganzes? [...] Es ist eben die Gegenwart, deren
Ganzes, das Ganze der Gegenwart. Was ich, verteilt auf einzelne Teile, sprechen
lassen will, zum Sprechen bringen will. [...] Bits and Pieces“ [Hervorh. im Orig.].273
Besonders der Zyklus Heute Morgen zeugt von der Arbeitsweise der
parallelen Texte als lebendiges In- und Übereinander der Formate. Den
Logiken der transtextuellen Durchkreuzung und Verschränkung folgend,
nutzt Goetz den fünften Zyklus für seine Verfahren der Vervielfältigung von
Aufführungsrahmen
und
Distributionskanälen
sowie
multi-medialen
272 Goetz selbst verweist bezüglich seiner peniblen Systematisierungen in seinen Werken
auf seinen Kontrollzwang: „[...] [I]nsofern haben meine Opus-Bezeichnungen natürlich
auch einen starken Hau ins Lächerliche. [...] Alle Ordnung ist wahnhaft: Das murmelt man
dauernd. Und macht dabei Ordnung wie verrückt.“ Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen,
S. 124.
273 Goetz, Abfall für alle, S. 114.
72
Realisierungen seiner Texte. Dabei geht es vor allem um den „re-entry der
Textzirkulation, um deren Spiegelungen und Reflexionen“274. Das heißt, die
jeweilige Umsetzung (Erzählung, Roman oder Theaterstück) bestimmt den
Modus der zu wählenden Performativität.
Die Idee, seine Texte in verschiedenen Aufführungsrahmen zu ‚installieren’
und somit einer medialen Erkundung zu unterziehen, hat ihn auch dazu
veranlasst, seine Frankfurter Poetikvorlesungen (April und Mai 1998)
teilweise in den als Papierform erschienenen Zyklus einzubringen. Parallel
zu der Erarbeitung des Stücks Jeff Koons hatte Goetz eine PoetikGastdozentur an der Universität Frankfurt inne, worin er in einer
Lehrveranstaltung unter dem Titel Praxis seine Textproduktion zum Thema
machte. Die fünf Themenkomplexe, die er im Rahmen seiner Vorträge an
den insgesamt fünf Abenden behandelte, nämlich Formphantasie, Thema,
Welt, Text und Kritik, hat er zunächst im Internet-Tagebuch Abfall für Alle
publiziert, wobei das Kapitel Formphantasie erst für die Druckfassung, also
nach den Vorlesungen, nachkonstruiert wurde, die im September 1999
erschien.275
Gemäß seines Popbekenntnisses, sich als Art Empfänger und Medium von
Welt vor den etwa 600 versammelten Hörerinnen und Hörern hinzustellen,
wollte er laut denkend die auf ihn einströmenden Reize verarbeiten, ganz
dem Präsens des Performance-Konzepts verpflichtet, und sehen, was dabei
herauskommt.276 Das Thema des Prozesses der Textgenese sollte von einer
theatralisch konzipierten Form des Vortrags, der Rede, der Vorlesung in
274
Stricker, Text-Raum, S. 288.
Goetz meint zur Genese des gegenwartsorientierten Zyklus Heute Morgen, der mit dem
Internet-Tagebuch Abfall für Alle begann: „Der Hauptkick kam durchs Internet.“ Goetz,
Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 142-159, hier S. 144. Daraus folgte laut Goetz eine
„sprach-orientierte Beobachtung über veränderte Schriftformen“. Ebd. Die zeitnahe
Mitteilungsmöglichkeit sowie die Vermischung von mündlichen und schriftlichen
Ausdrucksformen sowie textlicher und bildlicher Verknüpfung im Hypertext hätten ihn zu
intermedialen Schreib-Erkundungen angeregt. Vgl. Ebd.
276 Vgl. Peters, „Theater des Textes“, S. 132f.
275
73
actu geführt sein und so die Genese von Literatur live zur Aufführung
bringen.
In dieser theatralisch gestalteten Live-Vorführung von Rezeption, welche
letztendlich darauf aus ist, das Gegenwartsmoment dieser Situation in Text
zu übersetzen, ruft Goetz so immer wieder oppositionelle Redeweisen auf,
wie etwa mündlich und schriftlich, und rückt die Bedeutung von Kontexten
hervor.277 Durch die Ausweitung zum Performativen hin, indem
Entstehungsprozesse von Literatur als Szene vorgeführt werden, bindet
Goetz Literarizität immer wieder an die spezifischen sozialen und situativen
Gegebenheiten von Rezeption, was in diesem Fall die Form der freien Rede
im Rahmen eines wissenschaftlichen Vortrags mit der Inszenierung
desselben verbündet und so rückwirkend auch die Traditionen theatraler
Improvisationsformen unweigerlich tangiert.278
Goetz hat das Stück Jeff Koons vor und nach seinen Frankfurter
Poetikvorlesungen konzipiert, in denen das Ineinander von theatralisch
konzipierter Textgenese bei gleichzeitiger Reflexion dessen, also die
verschränkte Geste von Zeigen und Sagen im Hörsaal, nicht ganz
aufzugehen schien. Wie die Lektüre des Stücks zeigt, lassen sich Aspekte
darin als Spiegelung der PRAXIS-Vorlesung lesen. Vor allem manifestiert
sich dies thematisch am Sujet der Genese von Text beziehungsweise Kunst,
durchgängiges Sujet im Opus Heute Morgen, was im Fall des Stücks Jeff
Koons dessen Titel (Jeff Koons), dort vorkommende Orte (Die Eröffnung in
277
Vgl. Peters, „Theater des Textes“, S. 140.
Goetz verhandelt dabei im Laufe der Vorlesungen immer mehr anstelle der
Verarbeitung des von ihm rezipierten Materials den Interessenskonflikt zwischen der Praxis
der Rede und seinem Anspruch der Textgenese als Art Impromptu. Wie Peters konstatiert,
greift Goetz in diesem Performance-Szenario damit den Grundkonflikt zwischen Literatur
und Bühne auf, der die Theaterpraxis im 20. Jahrhundert deutlich prägte. Vgl. Ebd., S. 135.
278
74
der Galerie279, Im Atelier280) und bildkünstlerische Verfahren (z.B. 15.
Holzschnitt281, 16. Skulptur282) suggerieren.
Die erste Sitzung der PRAXIS-Vorlesung widmet sich dem Beginn des
Schöpferischen, der „Formphantasie“283, wie auch der Untertitel „HEUTE
MORGEN“ ausdrückt. Der Morgen ist die Zeit der frischen Gedanken, des
positiven, hoffnungsvollen Anfangs der Kreativität und „der Stille, [...]
zugleich eine revolutionäre Stimmung, kann man sagen, etwas sehr
Jugendliches. [...] Neuer Tag, neues Glück. Alles ist möglich.“284 Diese
Stimmung will sich bei seinem Versuch der unmittelbaren Produktivität in
der morgendlichen Vorlesung im Hörsaal nicht recht einstellen. Im Stück ist
im chronologisch 4. Akt die 3. Unterszene mit „heute morgen“285 betitelt.
Diese Szene spiegelt tatsächlich diese morgendliche Zuversicht des
Künstlers wider, der die morgendliche Frische für die kreative Ausarbeitung
einer „Formphantasie“ nutzen kann. In den darauf folgenden Unterszenen
bis einschließlich Szene 17, also bis zum 5. Akt, geht es um die kreative
Konzeption, aber auch um das Schreiben an sich und um dessen
Beobachtung.
Das ursprünglich als „Reflexions-Baustelle“286 und als ‚work in progress’
gedachte Buch Abfall für alle (1999), in dem die Inhalte der Frankfurter
Poetikvorlesungen anschließend auch in Druckform erschienen, hat Goetz
parallel zur Nachterzählung Rave (1998) begonnen und er hatte vor, das
Buch mit der Publikation der Tagerzählung Dekonspiratione (2000)
abzuschließen.287 Somit begleitet das Tagebuch auch die Entstehung und
279
Goetz, JK, S. 111.
Ebd., S. 78.
281 Ebd., S. 96.
282 Ebd., S. 98.
283 Goetz, Abfall für alle, S. 229.
284 Ebd., S. 230.
285 Goetz, JK, S. 74.
286 Goetz, Abfall für alle, Umschlagblatt.
287 Baisch, Martin/Roger Lüdeke, „Was kommt? Was geschieht? Was ergibt sich gleich?
Textgenese in Rainald Goetz’ Frankfurter Poetikvorlesung Praxis“, in: Textgenese und
280
75
Publikation zahlreicher anderer Texte aus dem Komplex Heute Morgen.
Wie die Bezeichnung „Baustelle“ bereits suggeriert, sollte das Tagebuch
vom „Leben eines Schreiber-Ichs in Berlin“288 als „tägliches Textgebet“289
berichten und sich von der Gestalt her an die „häppchenartige Form“290
internetgerecht halten und jederzeit auf www.rainaldgoetz.de aufrufbar sein.
Beide Formen, das Tagebuch wie auch die Vorlesungen, sind demnach als
zwei
miteinander
verschlungene
Making-Offs
einer
möglichst
gegenwärtigen Textgenese zu sehen, deren Inhalte sich permanent
durchdringen und dadurch verschieben.291
Aus der Feststellung heraus, dass das Schreiben an parallelen Texten im
Laufe des Zyklus von Heute Morgen eine „Eigendynamik“292 gewinnt, sieht
sich Goetz dazu veranlasst, Abfall schließlich als eigenständigen Text
gleichberechtigt mit dem im September 1998 erschienenen Theaterstück Jeff
Koons neben den beiden Stücken der Erzählung und den Interviews in Buch
5 Heute Morgen zu publizieren. Vor allem wird neben der Gleichwertigkeit
auch der enge Bezug zwischen Tagebuch, Vorlesung und dem Stück Jeff
Koons dadurch betont, dass der Autor zeitgleich mit dem Erscheinen des
Stücks die Texte der Poetikvorlesung auch im Tagebuch veröffentlicht.293
Dem literarischen Genre des Theaterstücks, dem die intermediale
Ausgerichtetheit und multiple Perspektivierung als solche bereits inhärent
sind, nähert sich Goetz als „Formphantasie“294 weitaus abstrakter im
Vergleich zu den anderen Texten des Zyklus. Jeff Koons nimmt in der
Erscheinungsordnung einen mittleren Platz im Zyklus ein. Letzt genanntem
Interpretation. Vorträge und Aufsätze des Salzburger Symposions 1997. Nr. 389, Hg. Adolf
Haslinger et al., Stuttgart: Hans-Dieter Heinz 2000, S. 139-173, hier S. 144f.
288 Goetz, Abfall für alle, Umschlagblatt.
289 Ebd.
290 Ebd.
291 Vgl. Peters, Theater des Textes, S. 141.
292 Baisch/Lüdeke, „Was kommt?“, S. 148.
293 Ebd., S. 147.
294 Goetz, Abfall für alle, S. 230.
76
Text voran gehen die dem Hedonismus und rituellen Charakter der PartyNacht im Club gewidmete Erzählung Rave (1998) und der tagebuchartige
Ich-Roman Abfall für alle (1999); sukzessiv im Zyklus folgt noch die
Erzählung Dekonspiratione (2000) als nüchterne Bestandsaufnahme eines
Lebens als Schriftsteller. Die mittlere Position im Zyklus begründet Goetz
folgendermaßen:
„[...] weil die Kunst die Mitte des Lebens des Künstlers ist. In der erwähnten, leicht
paranoiden Kollisionsstelle von Leben und Werk, also zwischen Tag und Nacht,
also sozusagen auch ganz am Anfang von ‚Heute Morgen’, im wörtlich
genommenen Sinn des langen, von Harald Schmidt der Welt gegebenen Titels:
‚Heute morgen, um 4 Uhr 11, als ich von den Wiesen zurückkam, wo ich den tau
aufgelesen habe.’ Normalerweise schläft man selber um diese Zeit, und die Kunst
tut in einem, in den Träumen, [...] ihre Arbeit. Gerade der Sprachmensch erfährt,
dass es eine Arbeit der BILDER ist, die Kunst da tut“ [Hervorh. im Orig.].295
Dieses Zitat unterstreicht einerseits die Bedeutung der Verschränkung von
Schrift und Leben für Goetz’ Werke und spricht andererseits bereits die
zentrale Thematik des Stücks an: Die Rede ist von der potenziellen
Schnittmenge von Bild und Schrift, von Zwischenräumen- und Formen, in
denen die bildlichen und lautlichen Anteile von Sprache noch keine
eindeutige Zugehörigkeit zu einem Zeichensystem erfahren haben. Dass die
Kunst diesen Vorgängen nachzuspüren vermöge und Überlappungen
sichtbar machen könne, wird hier ebenfalls suggeriert.
4.2 Formales und Inhaltliches von Jeff Koons im Überblick
Das anschließende Kapitel wird über Themen, die im Stück verhandelt
werden sowie über maßgebliche Charakteristiken bezüglich Form und
Aufbau des Theatertextes informieren.
4.2.1 Sujet
Augenscheinlich ist auf den ersten Blick, dass beim Stück die
Unterscheidung in Haupt- und Nebentext sowie die Aufteilung auf
eindeutige Sprecherinstanzen oder Figuren fehlt. Der Text ist in freien
295
Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 173.
77
Versen
geschrieben
fragmentarischen
und
größtenteils
Momentaufnahmen
in
Strophen
werden
drei
gegliedert.
Tage
In
eines
Künstlerlebens thematisiert, wobei der Titel mit Jeff Koons auf einen
Künstlertypus in der Tradition Andy Warhols, im Kunstkontext der 1990er
Jahre angesiedelt, verweist.
Dieser Kunstkontext als öffentlicher Raum umfasst dabei auch das Private:
So wird „die Idee des Glücks am Ernstfall Liebe getestet“296, was in der
Darstellung einer intimen Zweierbeziehung im Stück mit exzessiven Bettund Liebeszenen im trivialen Alltagsjargon gezeigt wird. Dies wiederum
liefert einen Hinweis auf Koons’ Künstlerbiographie, die eng mit seinem
künstlerischen
Programm
verbunden
ist.
Seine
Vorliebe
für
die
Vermischung von Kunsttraditionen, Selbstinszenierung und banalen Sujets
wird etwa anhand der Serie Made in Heaven (1989)297 offenkundig, in der
er und seine damalige Frau sich selbst als Protagonisten in einer Reihe von
pornografisch-kitschigen Liebes- und Sexbildnissen als Tableaus Vivants
verewigen.
Goetz
gibt
in
dem
Meta-Text
Abfall
für
alle,
in
dem
er
erkenntnistheoretische und ästhetische Reflexionen niederschreibt, selbst
auch noch einmal explizit den Hinweis, dass die Anlage des Stücks mit der
Idee des Schaffensprozesses von Kunst zu tun hat. Vordergründig gibt zwar
der Titel des Stücks Anlass dazu, eine „theatralisierte Biographie“298 über
den erfolgreichsten zeitgenössischen Künstler Jeff Koons als den
paradigmatischen Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts zu erwarten;
jedoch soll dieser explizite Verweis im Titel lediglich als Projektions- und
Reibefläche dienen:
296
Goetz, JK, Index.
Koons, Jeff, Made in Heaven, http://www.jeffkoons.com/artwork/made-in-heaven,
10.01.2016.
298 Huber-Lang, Wolfgang im Gespräch mit Rainald Goetz für „Format“, Österreich, in:
Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 138.
297
78
„Die Idee ist: Man gibt einen Namen vor, den Namen eines echten lebenden
Menschen, einer öffentlichen Figur. […] Ruft gezielt Assoziationen und
imaginären Text auf. Insofern ist der Titel schon das halbe Stück. Und im
Verhältnis dazu steht der reale Text des Stücks. Das ergibt tolle Aufladungen.“299
Dem entspricht die Tatsache, dass Koons in dem figurenlosen- und
handlungsarmen, skizzenhaften dramatischen Gerüst nie namentlich,
sondern höchstens als Anspielung über die Nennung der Titel von einigen
seiner Werke vorkommt. Koons dient als Exempel eines zeitgenössischen,
arrivierten Künstlertyps und dessen Lifestyles, der sich zwischen Galerie,
Presseinterviews, Party und Atelier abspielt. So heißt es im Stück im
chronologisch vierten Akt:
„Kunst / ein Wochenende Kunst / die Kneipe / und das Atelier/ die Galerie und die
Gebückten / die Gebückten vom Görlitzer Bahnhof / marschieren auf / ein Stück / in
sieben Akten / schön knapp abgepackt.“300
Jedoch wird im Laufe der weiteren Versabschnitte präzisiert, dass das Stück
sich nicht am Kunst-Sujet oder am soziopolitischen Diskurs rund um
prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen und scheinbar oppositionelle
soziale Sphären, Bohème und Gescheiterte, erschöpft. Denn, wie es weiter
heißt, geht es darüber hinaus
„um Liebe / du hast gesagt / es geht um Kunst / es geht um Reden / Bilder, Melodien
/ es geht um Streit / und Stimmigkeit / es geht um Menschen / die was sagen [...]“301
Goetz selbst präzisiert, dass ihn vor allem „sprachlich-musikalische
Fragen“302 und Konflikte, wie etwa „die Spannung zwischen Bild-Kunst
und Text“ sowie die „Sehnsucht nach Übersetzung“303 interessieren.
4.2.2 Aufbau und Gliederung
Trotz numerischer Anordnung der sieben Akte scheinen diese keiner fixen
Reihung zu folgen, sondern eher einem „abstrakten Assoziationsprozess“.304
299
Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 116.
Goetz, JK, Index.
301 Ebd.
302 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 128.
303 Ebd., S. 139.
300
79
Auch stimmt die Bezeichnung und Nummerierung der sieben Akte nicht mit
der chronologischen Reihenfolge überein. Der chronologisch dritte Akt
sowie der fünfte Akt sind nur mit einer Orts- oder Zeitangabe, aber keiner
numerischen
Bezeichnung
versehen.
Alle
Akte
sind
mit
einem
vorangehenden Motto oder Epigraf ausgestattet, die aus intertextuellen
Verweisen oder Zitaten bestehen oder einen intermedialen Bezug meist zum
Kontext der Bildkunst herstellen.
Es folgt die Aktanordnung und Strukturierung des Stücks als tabellarischer
Überblick:
Chronologie
Nummerierung
Titel
Motto / Zusatz
1. Akt
„Dritter Akt“
III. PALETTE
2. Akt
„Erster Akt“
I. IM BETT
„Saint
John
the
Baptist, New York,
1989“
Jeff Koons
„mmm hm, hm hmmm
if I could melt your
heart“
Madonna
3. Akt
„Draußen“
III. DIE
GEBÜCKTEN
VOM GÖRLITZER
BAHNHOF
MARSCHIEREN
AUF
„ist der Blick in eine
schöne Gegend,
Freund, Freund,
Freund“
Bertolt Brecht
4. Akt
„Zweiter Akt“
II. DIE FIRMA
„It had the aura of a
heroic and polemically
creative place“
Richard Meier
304 Seiler, Sascha, »Das einfache wahre Abschreiben der Welt«. Pop-Diskurse in der
deutschen Literatur nach 1960, 2006, S. 301,
www.books.google.at/books?id=dEVy8SBDXrMC&pg=PA301&lpg=PA301&dq=Jeff+ko
ons+Goetz+Abschreiben+Welt&source=bl&ots=CRWRuiLaYG&sig=rb3khcIHDJJp7gYj
SRd9ELDhylU&hl=de&sa=X&ei=w2N1VbvXIeLnygOi4D4Dg&ved=0CB8Q6AEwAA#v=onepage&q=Jeff%20koons%20Goetz%20Abschreiben
%20Welt&f=false, 22.10.2015.
80
5. Akt
„Nach
der
Pause“
IV. DIE
ERÖFFNUNG
„to anyone who ever
invited us anywhere“
Andy Warhol
and Pat Hackett
„Hand on Breast, 1990,
244 x 366“
Jeff Koons
and Pat Hackett
„Auf überwachsenen
Pfaden“
Knut Hamsun
6. Akt
„Sechster Akt“
III. PALETTE
7. Akt
„Siebenter Akt“
V. DAS BILD
Tabelle 1: Aktübersicht zum Stück Jeff Koons
Dies lässt darauf schließen, dass Text und Zitate und Verweise in einem
inter- und paratextuellen Bezugsgeflecht stehen und zusätzliche semantische
Ebenen beisteuern. Es gilt hier in der Analyse nachzugehen, welche Art von
paratextueller Beziehung sich daraus zwischen „Sprech- und Zusatztext“305
ergibt und was diese vorangestellten Mottos in Bezug auf die theatrale
Gestaltung bewirken.
Jeder Akt ist zusätzlich mit einer Ortsangabe und römischen Ziffer
versehen. Einige Orte mit derselben Angabe in römischen Ziffern werden
im Laufe des Stücks wiederholt angegeben. Insgesamt spielt sich das Stück
an den Orten Club, Galerie, Atelier und Zuhause des Künstlers ab. Die Akte
sind wiederum in zahlreiche Unterszenen unterteilt, die ebenso jeweils mit
einem Titel versehen sind, und ebenfalls häufig eine örtliche Angabe oder
ein thematisches Schlagwort beinhalten.
Exemplarisch wird die szenische Unterteilung des chronologisch 1. Aktes
mit
seinen
römisch
nummerierten
Stationen
samt
nummerierten
Unterszenen mit Titel nun angeführt:
Dritter Akt306
III. Palette
1. Davor, 2. An der Türe, 3. Drin, 4. Wall of words, 5.let the bass kick, 6.
Die Tanzfläche, 7. An der Bar, 8. Hinten, 9. Das Klo, 10. Am Boden, 11.
305
Poschmann empfiehlt anstelle der Bezeichnungen Haupt- und Nebentext in solchen
Fällen von Sprech- und Zusatztext zu sprechen. Poschmann, Der nicht mehr dramatische
Theatertext, S. 296.
306 Goetz, JK, S. 13.
81
Die Wand, 12. Daneben, 13. Gästeliste, 14. Wer nichts wird, wird Wirt,
15. Türe, 16. Zapfhahn, 17. Tresen, 18. Bestellung, 19. Kleiner Rausch
Der
nicht-lineare
Aufbau
und
die
willkürliche
Reihenfolge
der
Aktkonstellation lassen darauf schließen, dass die zeitliche Abfolge von
geringer Bedeutung ist. So beginnt das Stück mit dem „Dritten Akt“, gefolgt
vom „Ersten Akt“. Die Betitelung des chronologisch dritten Aktes fehlt und
anstelle dessen folgt der „Zweite Akt“. Der numerisch aleatorische Aufbau
der Aktkonstellation lässt darauf schließen, dass die Anordnung oder
Rahmung des Textes in einem intendierten Wechselverhältnis zum Text
steht.
In den metatextuellen Reflexionen, wie etwa dem Internet-Tagebuch Abfall
für Alle (1999) oder der Erzählung Rave (1998), in denen Goetz ebenso
Reflexionen zur Kunstgenese anstellt, gibt Goetz Aufschluss über diese
strukturelle Anordnung, die auch Zugang zur thematischen Verhandlung des
Stücks liefern soll:
„Die Außenordnung gehört, [...] tief ins inhaltlich innerste der formalen
Vorphantasie des Ganzen einer Sache: [...] Oder eben ein Stück, das sich an einem
Wochenende, jedoch in sieben Akten abspielt, beispielsweise, wie Jeff Koons. Der
liebe Gott hat sich bei der Erschaffung der Welt auch von der Ordnung der Woche
inspirieren lassen, völlig normal. Zahlen, Geometrie, Musik und Schöpfung hängen
eben zusammen. Wenn räumliche und zeitliche Ordnung sich widersprechen, oder
zumindest miteinander interferieren, kann es sachlich richtig und ganz logisch sein,
mit dem Ort des zentralen Akts zu beginnen, dorthin zweimal zurückzukehren, und
doch zugleich die örtlich darum herum gruppierten anderen Akte in der ihnen
entsprechenden zeitlichen Reihenfolge zu benennen: erst die Liebe, dann die Kunst,
dann der nächtliche Exzess im Club. Und losgehen tut’s im Club, in der Palette
[...]“307
Diesem Abschnitt von Abfall für Alle, der als aufschlussreicher auktorialer
Metatext zu Jeff Koons und Paratext im Rahmen des Zyklus von Heute
Morgen fungiert, indem er sowohl Indizien zur Anordnung gibt, als auch
den Gegenstand des Stücks, der Genese von Kunst, kommentiert, bringt
ziemlich klar hervor, dass die verwendeten Nummerierungen und
Bezeichnungen keineswegs rein zufällig gewählt sind; vielmehr folgen sie
307
Goetz, Abfall für alle, S. 732.
82
einer ausgeklügelten aleatorischen Struktur, die nur den Anschein von
aleatorischer Reihenfolge erweckt.
Zudem bringt Goetz in dem Zitat die Zahlenfolge mit der göttlichen
Schöpfung gemäß der christlichen Lehre der Genesis in Verbindung,
wonach am 7. Tag in der Entstehungsgeschichte der Mensch von Gott
erschaffen wurde. Dies korreliert auch mit den sieben Akten, die eine
Analogie zu den sieben Tagen der Schöpfung darstellen, die mit der
Fertigstellung des Kunstwerks im 7. Akt „Bild“ des Stücks korrespondiert.
Ein weiterer Hinweis für die Parallele zwischen dem göttlichen
Schöpfungsakt und der Genese von Kunst ist durch die Vereinigung in der
Liebe, im sexuellen Akt, wie etwa durch den Akt „I. IM BETT“308 gegeben;
oder auch durch den Liebesakt als Basis für die Entstehung neuen Lebens
als Sinnbild für den kreativen Schöpfungsakt, wie etwa in der Liebesszene
„1. Konzeption“309 suggeriert wird.
Die in freien Versen gestaltete Sprache, in teils monologischen, teils
dialogischen Versatzstücken ohne jegliche Figurenzuteilung, trägt zu einer
formalistischen Strenge und hermetischen, weil stark abstrahierten Struktur
des Stücks bei. Gänzlich wird auf illusionistische Fiktionsdarstellung
verzichtet und trotz der Tatsache, dass das Stück Titel, Mottos,
Zwischenüberschriften und Orte und Situationen zwischenmenschlichen
Verhaltens ausweist, lassen sich dennoch keine klar zu identifizierenden
Sprechinstanzen oder Handlung erkennen. Der starke Fokus auf die
Angaben im Zusatztext, die mathematisch penible Strukturierung und
Betitelung der Szenen samt intertextuellen Verweisen gibt Grund zur
Annahme, dass die Sprecherzuweisung (wer hier spricht) durch den
Zusatztext und die Strukturierung des Textes bestimmt wird.310
308
Goetz, JK, S. 37.
Ebd.
310 Vgl. Stricker, Text-Raum, S. 298.
309
83
4.2.3 Serialität, Verflechtung und Räumlichkeit als
strukturgebende Formprinzipien
Innerhalb des Stücks Jeff Koons gibt es reziproke Bezugsfelder durch
Stationen oder Titel der Abschnitte, die wiederholt werden oder nur
minimal variiert auftreten. Anstelle von durchgängigen Figuren und
durchgehender Handlung gibt es also nur wiederkehrende Orte und
Stationen, die zumeist nur jeweils anders angeordnet werden. Damit wird
angedeutet, dass Orte und Kontexte die eigentlichen Protagonisten sind und
gesichtslose Subjekte darin eher beliebig auftreten.
Als Beispiel hierfür wird die Station mit der römischen Kennzahl III
angeführt, das Szenenlokal Palette, eine Ortsangabe, an der sich drei Akte
abspielen. Das scheint nicht weiter ungewöhnlich, jedoch weisen die Akte
auch eine sehr ähnliche Szenenfolge auf:
3. Akt311
„Draußen“312
6. Akt313
III. Palette
III. Die Gebückten vom
Görlitzer Bahnhof marschieren
auf
vor der Palette
III. Palette
1. Davor
2. An der Türe
3. am Boden
6. Die Tanzfläche
7. An der Bar
9. Das Klo
10. am Boden
11. Die Wand
15. Türe
2. davor
3. Am Klo
6. Beim Tanzen
7. An der Bar
9. Am Boden
10. An der Türe
11. Im Bettchen
Zusätzlich sind in den besagten drei Akten auch ganze Textabschnitte ident.
Dabei spielen alle drei an einem Ort im „Draußen“. So heißt es im „3. Akt“:
„Davor // Da kommen wir nicht rein. / Ich komme da rein. / Echt? / Klar,
komm“.314 Analog dazu spielt auch der Akt „Draußen“ (3. Akt) mit dem
311
Goetz, JK, S. 13.
Ebd., S. 53.
313 Ebd., S. 131.
314 Ebd., S. 15.
312
84
thematischen Untertitel „III. Die Gebückten vom Görlitzer Bahnhof
marschieren auf“ vor der Palette: „[W]as wollen die denn hier? / wo? / da /
keine Ahnung / die wollen hier rein / Quatsch / Doch, schau“.315 Und
ähnlich beginnt auch der 5. Akt „Nach der Pause“, der die Eröffnung der
Ausstellung beinhaltet, mit dem örtlichen Verweis eines „Draußen“: „wie
schaut’s aus? / Super / wollen wir mal rein gehen? / unbedingt“.316 Ebenso
wiederholt sich dieser Vorgang im 6. Akt, der wiederum vor der Palette
spielt: „lass mal schnell rein gehen / unbedingt / saukalt heute / Quatsch /
mich friert aber / Pussy“.317
Das liefert Grund zur Annahme, dass der Text auf einer „räumliche[n]
Planskizze“318 basiert und von dieser zugrundeliegenden Struktur bestimmt
wird: „Die Außenordnung gehört, [...] tief ins inhaltlich Innerste der
formalen Vorphantasie“319. Nicht nur Orte werden hier wiederholt, was
nicht unbedingt außergewöhnlich für einen szenischen Text scheint; jedoch
die gleichförmige Konstellation der Orte mit derselben Szenenfolge weist
genauso wie das darin analog vorkommende Sprachmaterial darauf hin, dass
hier Struktur und Gliederung als szenische Operatoren den Duktus für den
dramaturgischen Verlauf und den Sprechtext vorgeben. Anstelle von
Figuren, denen als Sprecherinstanzen Text zugewiesen ist, gibt es einen
Fokus auf wiederkehrende Situationen an denselben Orten, wo sich
Handlungen abspielen. Schlussfolgernd kann davon ausgegangen werden,
dass Orte hier als Figurationen anstelle von Sprechinstanzen fungieren.
Laut Anordnung der Akte wäre die zentrale Ortsfiguration die Palette, da sie
insgesamt dreimal im Stück vorkommt. Gleichzeitig ist die Zahl drei mit
Bedeutung aufgeladen, weil es jeweils drei Akte gibt, die sich vor dem 4.
Akt, der arithmetischen Mitte von sieben (Akten) sozusagen, abzeichnen.
315
Goetz, JK, S. 57.
Ebd., S. 109.
317 Ebd., S. 135.
318 Stricker, Text-Raum, S. 297.
319 Goetz, Abfall für alle, S. 732.
316
85
Jedoch scheint der ausgewiesene vierte und zentrale Akt zu fehlen. An
dessen Stelle gibt es die Akte „Draußen“ und „Nach der Pause“, die jedoch
schon allein aufgrund der andersartigen Bezeichnung nicht zur übrigen
Anordnung zwingend dazuzugehören scheinen, sondern nur von der
räumlichen und zeitlichen Logik der sich abspielenden Situationen an den
Orten Palette und Galerie her plausibel scheinen. Es bleibt also die Frage,
was Goetz mit dem Auslassen der Mitte intendiert und weshalb dem dritten
Akt vermeintlich mehr Bedeutung beigemessen werden soll.
Achim Stricker zufolge ist das Fehlen des dritten Aktes ein Anzeichen
dafür, dass Goetz den Text als „dreidimensionalen Hohlkörper“ [denkt], um
den man sich sprachlich herum bewegen kann.“320 Demnach sei das
Ausbleiben des dritten Aktes „keine (zweidimensionale) Leerstelle im Sinne
eines Aussetzens (xxxx xxxxxxx), sondern eine räumliche Tiefe.“321 Und
diese räumliche Vorstellung bedingt auch die Möglichkeit, zahlreiche
Querverbindungen zwischen einzelnen Positionen auszumachen, also den
Text eben nicht als sukzessiven Strang, sondern im Sinne einer installativen,
konstellativen Lektüre als begehbaren Raum wie einer Ausstellung zu lesen
und sehen.322 Dies würde mit der vorherigen Beobachtung hinsichtlich der
Gewichtung der Orts-Figuren insofern korrespondieren, als Text und
Sprechinstanzen sich nach der Außenordnung richten und im Gesamtbild
erst mal nebensächlich scheinen. Signifikant dagegen wirkt die textuelle,
zusammenhängende
Ausrichtung
nach
einer
implizierten,
zugrundeliegenden architektonischen Struktur einerseits und die scheinbar
beliebig organisierte Reihung der teilweise voneinander losgelösten
Unterszenen als Sprach-Bilder andererseits.
320
Stricker, Text-Raum, S. 294.
Ebd.
322 Vgl. Ebd., S. 294f.
321
86
4.2.4 Zusammenfassung
Insofern stellt das Stück Jeff Koons im Vergleich zu den vorherigen beiden
Stücken von Goetz eine Radikalisierung in Sachen Unterwanderung
dramatischer Konventionen dar. Bereits die dramatischen Vorgänger Krieg
(1988) und Festung (1993) markierten, dass sein Interesse für das Theater
zu schreiben nicht darin besteht, Stücke gemäß dem Regelwerk einer
konventionellen Dramatik zu schreiben. Jedoch im Unterschied zu seinen
Vorgängern sind in Jeff Koons die Sprecher nicht zugewiesen. Ebenso
fehlen Anweisungen für die Bühne und Handlung. Angesichts dessen
erscheint die Bezeichnung ‚Stück’ entweder ironisch oder sie ist als Hinweis
zu verstehen, dass Text hier nicht erst auf der Theaterbühne seine
Umsetzung erfährt, sondern bereits als textliche Inszenierung gelesen
werden soll.
Gerda Poschmanns vielzitierter Begriff des „Textträgers“323 könnte in
diesem
Zusammenhang
zur
Bezeichnung
der
lückenhaften,
fragmentarischen und rhythmisierten, mal monologhaften, mal dialoghaften
Sprechmomente von meist trivialem Inhalt in Jeff Koons hilfreich sein.
Ebenso wechseln Stil, Perspektive und Genre zwischendurch, was auch
typographisch auffällt. Manche Abschnitte sind wie lyrische Verse und
Strophen gestaltet, andere wiederum wirken wie Kurzprosa. Nach Franz
Wille ergibt sich auf den zweiten Blick auf das Popkünstlerdrama eine
komplexe,
vielschichtige
„Textkomposition“324,
die
von
Brüchen
durchwachsen ist:
„Goetz umkreist zwischen Lyrik, rhythmisierter Prosa und stream of consciousness
seinen Gegenstand, der sich in Sprache auflöst und gelegentlich wieder
zusammensetzt: Einen Künstler in seiner Gesellschaft.“325
323
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 296.
Wille, Franz, „Wo, bitte, geht’s hier zur Wirklichkeit?“, Theater heute Jahrbuch 2000,
S. 82-93, hier S. 89.
325 Ebd.
324
87
Die Annäherung an die Schnittstellen von Kunst und Leben wird im Stück
aus der gleichzeitigen Perspektive eines Beobachtenden wie auch eines
Teilhabenden, als Selbstversuch sozusagen, durchgeführt. Die ständigen
Perspektiven- und Stilwechsel sowie die Durchmischung von Rollenprosa,
Beschreibungen und Reflexionen der Beschreibungen und Kritik der
Reflexion der Beschreibung bewirken dieses Oszillieren zwischen einem
Drinnen und einem Draußen.326
Die mathematisch und architektonisch durchkomponierte Konstellation des
Stücks zeigt, dass hier den Angaben des Zusatztexts, wie etwa Ortsangabe,
vorausgehende Mottos und Nummerierungen eine beachtliche Gewichtung
zukommt. Auch gibt es bis auf die vorangehenden Mottos keine direkten
Zitate oder Versatzstücke aus anderen Kontexten, höchstens Anspielungen,
wie etwa auf den Lebensstil eines Künstlers. Damit könnte auch Goetz
selbst gemeint sein, der sich als bekannter Technoliebhaber gern in der
Clubszene aufhält und Ausstellungseröffnungen besucht, zumal sich auch
das Stück an den besagten Orten Club, Bett, Galerie abspielt.
Als skizzenartiger, handlungsanweisender Textentwurf, in dem das
Konzeptuelle und die Idee Vorrang haben, stellt dieser Text als Teil seines
„Integraltext[es]“327 (siehe 3.2) wiederum Bezüge zur Concept und Minimal
Art her. Das konzeptuelle Kunstwerk vollziehe sich, wie Achim Stricker
konstatiert, „[…] radikal individuell in der assoziativen Betrachtung des
Rezipienten“328. Die Rahmung und Vorgabe von Handlungsanweisungen
durch die Skizze oder durch Diagramme in Zahlensystemen seien hier nur
noch „Anlass-Ort für das Kunstwerk ‚Idee’, das jede beliebige Erscheinung
haben kann“ [Hervorh. im Orig.].329 So schreibt Goetz auch parallel in das
Tagebuch Abfall für alle: „Theatertext ist von der Grundaufgabenstellung
326
Vgl. Wille, „Wo, bitte, geht’s hier zur Wirklichkeit?“, S. 89.
Weber, „‚...noch KV (kv)’“, S. 141.
328 Vgl. Baisch/Lüdeke, „Was kommt?“, S. 147.
329 Stricker, Text-Raum, S. 279
327
88
her SKULPTUR, das ist dieses Energiemomentum“ [Hervorh. im Orig.].330
Der bildkünstlerische Terminus der Skulptur könnte, genauer betrachtet,
weitere Anhaltspunkte zu intermedialen Verfahrensweisen im Stück liefern.
Wie in der Textanalyse erläutert werden wird, geben die zusätzlichen
Angaben dem Sprechen nicht nur einen Ort und Rahmen wie im
traditionellen Drama, sondern stehen selbst untereinander in einem
kommunikativen, selbstreferenziellen Verhältnis und bieten zusätzliche
Schichten von Bedeutung an, sodass auch diese eine (meta)-poetische
anstatt referenzielle Funktion erfüllen. Ähnlich verhält es sich auf der Ebene
des Sprechtextes, wo die Redeweisen weder die binnenfiktionale Funktion
einer psychologisierten, noch rein diskursiven Sinnvermittlung erfüllen,
sondern ebenso wie der Zusatztext Teil der textimmanenten Evidenz einer
ästhetischen Botschaft sind.
In Anlehnung an Poschmanns Thesen zur Texttheatralität“331 und Finters
Überlegungen zur analytischen Theatralität kann davon ausgegangen
werden, dass im Stück Jeff Koons also demnach die performativen Aspekte
und kommunikativen Möglichkeiten innerhalb des Mediums Sprache
autoreflexiv erkundet werden. Sprech- und Zusatztext sind in Jeff Koons
also
gleichwertige
Reibungsflächen
innerhalb
der
ästhetischen
Konzeption.332 Das Auskundschaften der linguistischen Ebenen innerhalb
des Mediums Sprache, wie etwa das Verhältnis von Bildhaftem und
Sprachlichem sowie Konkretion und Abstraktion, weist erneut auf einen
intermedialen Theatralitätsbegriff bei Goetz hin.333
330
Goetz, Abfall für alle, S. 441.
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 44.
332 Vgl. Windrich, Technotheater, S. 424f.
333 Vgl. Ebd., S. 429f.
331
89
5 Szenographie: Zur Verquickung von Szene und
Sprache
Im Anschluss an die vorhergehenden Überlegungen soll nun versucht
werden, das enge Verhältnis von Theatralität, Sprache und Schrift, wie es
die körperlichkeitsorientierten Pop-Texturen von Goetz vorsehen, mithilfe
des Konzepts der Szenographie zu kontextualisieren. Dabei liegt der Fokus
auf dem Denkansatz der von Roland Barthes geprägten szenischen
Semiotik. Der Vertreter des französischen Strukturalismus und Vorläufer
poststrukturalistischer Theoriebildung legt in seinem Entwurf von Theater
und
Literatur
als
kritische
Sprachpraxen
den
Grundstein
für
poststrukturalistische Ansätze, die Texttheatralität als subversive Methode
der Verräumlichung und Vernetzung weiterdenken. In dieser Linie ist auch
Julia Kristevas Plädoyer für die Methode der Verräumlichung als
integrativer Sprachansatz anzusiedeln, die der ‚ecriture’ im Sinne Barthes
folgt
und
als
paternalistisch
dekonstruktivistische
verankerter
Methode
zur
Unterwanderung
Herrschaftsverhältnisse
in
der
Subjektkonstitution durch Sprache weiterdenkt.
Genannte Ansätze und ästhetische Entwürfe zum Spannungsverhältnis
zwischen Verbalem und Averbalem in der sprachlichen Sinnkonstitution
berühren unweigerlich auch den Metadiskurs rund um die Polarisierung von
Theater und Text und um die vollzogene ästhetische Dialektik im Theater
im Zuge der „Krise des Dramas“334, welcher im Rahmen dieser Arbeit
jedoch nur am Rande erwähnt wird.
334
Lehmann bindet die Polarität oder Unvereinbarkeit von Theater und Text oder Drama an
die frühe Avantgarde des 20. Jahrhunderts, die parallel zur ‚Krise des Dramas’ seit etwa
1880 nicht nur andersartige dramatische Formen entwickelte, die auf eine geänderte
Umwelt und einen neuen Subjektbegriff reagierte, sondern dem auch eine Auffassung der
Unvereinbarkeit von Theater und Literatur entgegengesetzte. So zeugten bereits etwa
Gertrude Steins Landscape Plays oder Artauds Theater der Grausamkeit von literarischen
90
5.1 Genealogie einer Szenographie als Sprach- und
Theaterutopie
Das Konzept, den theatralen Raum als Dispositiv neu zu denken, hat die
Historische Avantgarde und postmoderne Theaterästhetik auf die Schrift hin
ausgeweitet. In der Genealogie einer Texttheatralität, die das Körperliche als
das
Gestische,
Bildliche
(Grafische),
Lautliche
an
die
Schrift
beziehungsweise das Schriftbild rückkoppelt, wird der französische Literat
und Visionär Stéphane Mallarmé als Wegbereiter genannt. Er gilt heute als
zentrale Figur der Moderne des 19. Jahrhunderts und bedeutsamer Vertreter
des französischen Symbolismus.
Als einer der ersten Visionäre einer visuellen Poesie als Sprachutopie mit
dem Anspruch, Sprache von ihrer mimetischen Repräsentationsfunktion zu
befreien, führt bei Mallarmé der Weg über die Beschäftigung mit den
theatralen Raum- und Körperfigurationen, wie auch mit Musik, Ballett und
Pantomime zu einer Revision der Schreibpraxis und Theorie einer
kunstübergreifenden Poetik beziehungsweise Poetologie.335 Er ersinnt eine
Poesie als Ästhetik „nihilistischer Radikalität“336, die imstande ist, die
Qualitäten anderer Künste anhand der Möglichkeiten der Dichtkunst zu
ersetzen und zu transformieren.
theaterästhetischen Entwürfen, deren Lesbarkeit als „dekonstruierte[]“ Theatertexte erst
eine Entsprechung in der postdramatischen Theaterästhetik fanden, wie etwa im Fall von
Stein durch die Inszenierungen von Robert Wilson. Manche Entwürfe blieben hingegen
Vision und bezeugten dadurch die vollzogene Diskrepanz zwischen Text und Theater.
Infolgedessen resümiert Lehmann, stehe eine gängige Aufführungspraxis stets in einem
Spannungsverhältnis mit jenen literarischen Vorlagen, die für unspielbar gehalten würden.
Vgl. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 78f.
335 Vgl. Eckel, Winfried, „Mallarmé, Stéphane“, in: Metzler Lexikon Weltliteratur. 1000
Autoren von der Antike bis zur Gegenwart, Hg. Axel Ruckaberle, Stuttgart: J.B. Metzler
2006, S. 388f.
336 Eckel, Winfried, „Mallarmé, Stéphane (1842-1898)“, in: Poetiken. Autoren – Texte –
Begriffe, Hg. Monika Schmitz-Evans et al., Berlin: De Gruyter 2009, S. 267-269, hier S.
269.
91
Ausgehend vom Reflexionsgegenstand des Tanzes wird unter dem Begriff
der Szenographie bei Mallarmé eine visuelle Dramaturgie anhand einer
körperlichen Schreibweise konzipiert („écriture corporelle“337), in der die
Abstrahierung
des
vordergründig
Sichtbaren
im
Sinne
einer
Bedeutungserweiterung, Transzendierung und Überschreitung angestrebt
wird. Seine berühmte Feuilleton-Kritik Ballets (1886) über die Aufführung
des Ballets Viviane und insbesondere die Performance der Tänzerin Elena
Cornalba (erschienen am 1. Dezember 1886 in der Revue Indépendante) ist
Teil von Mallarmés Konzipierung einer ästhetischen Theorie, die er anhand
der Gegenstände seiner Publikationen metatextlich entwickelt.338
In dieser Kritik wird der Tanz metaphorisch zum Ausdruck einer poetischen
Schreibweise. Darin heißt es:
„A savoir que la danseuse n’est pas une femme qui danse, pour ces motifs
juxtaposés qu’elle n’est pas une femme, mais une élémentaire puissance résumant
un des aspects analysés de notre forme, glaive, coupe, fleur, etc., et qu’elle ne danse
pas, suggérant, par le prodige de raccourcis ou d’élans, avec son écriture corporelle
ce qu’il faudrait des paragraphes en prose dialoguée autant que descripitive, pour
exprimer, en la rédaction: poésie dégagée enfin de tout appareil du scribe“ [Hervorh.
im Orig.].339
Anstelle der Sicht auf eine tanzende Frau als konkretes weibliches
Individuum, das tanzt, suggeriert Mallarmé, die Frau als elementare Kraft
(„élémentaire puissance“) wahrzunehmen, welches einen Aspekte unserer
Gestalt erschließt („résumant un des aspects analysés de notre forme“), und
dadurch auch etwas anderes per se darstellt, wie etwa eine Blume („fleur“),
ein Schwert („glaive“) oder eine Schale („coupe“). Und dass sie eben nicht
tanzt („et qu’elle ne danse pas“), sondern ohne jedes Zutun eines
Schreibenden anhand von Verkürzungen oder Aufschwüngen („de
raccourcis ou d’élans“) mit ihrer Körperschrift („avec son écriture
337 Mallarmé, Stéphane, Oeuvres Complètes, II, Hg. Bertrand Marchal (Bibliothèque de la
Pléiade), Paris: Éditions Gallimard 2003, S. 171.
338 Steland, Dieter, Dialektische Gedanken in Stéphane Mallarmés ‚Divagations’,
München: Wilhelm Fink 1965, S. 29.
339 Mallarmé, Oeuvres Complètes, S. 171.
92
corporelle“) Poesie („poésie dégagée enfin de tout appareil du scribe“)
erschafft. Demnach soll das Vordergründige zugunsten des nicht Sichtbaren
also abstrahiert und metaphorisiert werden. Er beschreibt hier also einen
Vorgang des Imaginierens, des Transzendierens, sprich auch des Lesens.
Insofern wird aus der Szene eine Graphie, eine Schrift oder ein Gedicht und
aus dem Zusehenden ein Leser.
Die Kritik Ballets ist exemplarisch dafür, dass Mallarmé Poesie medienund zeichenübergreifend denkt. Indem er Techniken und Parameter der
Schrift mit dem Ausdrucksfeld des Tanzes verknüpft, hat Mallarmé auch
jenen Strang eines Theaters hin zur Abstraktion befördert, der später dieser
„visuellen Dramaturgie“340 folgen wird. Ferner sind Kritiken wie etwa
Ballets auch als Vorarbeit seiner poetologischen Umsetzung des
unvollendeten LIVRE zu sehen. Es handelt sich hierbei um die Umsetzung
seiner Utopie des absoluten Buches als Ausdruck des idealen Kunstwerks
schlechthin.341 Ein Buch ist in Mallarmés Konzeption die Verlängerung der
Buchstaben und „spirituelles Instrument“ („instrument spirituel“342), um den
Wörtern durch den ihnen bietenden Raum höchstmögliche, spielerische
Beweglichkeit zu ermöglichen:
„Le livre, expansion totale de la lettre, doit d’elle tirer, directement, une mobilité
[...] par correspondances, instituer un jeu“343.
Mit seinen Überlegungen zu einer integralen Poesie als Gesamtkunst,
welche die sprachliche Abstraktion mittels des Einbezugs von klanglichen
sowie graphischen, bildlichen und räumlichen Aspekten des Textes anstrebt,
wird Mallarmé auch Vordenker der Konkreten Poesie des 20. Jahrhunderts.
Als paradigmatischer Text, der diese Prinzipien einer abstrakten
340
Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 159.
Das Livre-Buch ist unvollendet geblieben; eine Sammlung von Mallarmés Notizen zu
seinem Großprojekt wurde erst aus dem Nachlass veröffentlicht. Vgl. Ebd., S. 28.
342 Mallarmé, Stéphane, „Quant au livre“, in: Poésies-Prose, Hg. Henri Mondor/G. JeanAubry (Bibliothèque de la Pléiade), Paris: Éditions Gallimard 1945, S. 369-387, hier S.
378.
343 Ebd., S. 380.
341
93
Textlichkeit via der Betonung von Visualität veranschaulicht, gilt sein in
freien Versen geschriebenes Gedicht Un coup de dés jamais n’abolira le
hasard.344 Der programmatische Titel „Ein Würfelspiel wird den Zufall
niemals
abschaffen
können“
greift
bereits
die
Kombination
aus
aleatorischen und penibel konstruierten Elementen im Gedicht vorweg.
Wörter, Sätze und Abschnitte sind darin nach unterschiedlichen
Schriftgrößen und -arten gestaltet, wobei jene Wörter des Titels, die im
Laufe des Gedichts immer wieder vorkommen am größten geschrieben sind.
Auf den weißen, karg bedruckten, deshalb leer wirkenden Buchseiten,
wirken die Wortgebilde wie Puzzleteile, die sich erst durch eine
schöpferische Leseart zusammenfügen lassen, wobei die räumliche und
schriftgraphische Gestaltung verschiedene Kombinationsmöglichkeiten
offen lässt. Wie in einer minimalistischen Partitur ergeben sich Melodien
und Rhythmen hier aus den graphischen und klanglichen Kontrasten
zwischen der Stille oder Leere der weißen Textseiten und den
unterschiedlich graphischen Formationen der schwarzen Wortgebilde.
Zugleich zur gegenständlichen Konkretion weist der Text räumliche
Tiefenwirkung auf und suggeriert damit ein über die Buchseite
hinausgehendes Vorhaben.
344
Mallarmé, Stéphane, „Un coup de dés“, in: Poésies-Prose, Hg. Henri Mondor/G. JeanAubry (Bibliothèque de la Pléiade), Paris: Éditions Gallimard 1945, S. 453-477.
94
Abb. 1: Mallarmé, Un coup de dés (Auszug)345
345
Mallarmé, Poésies-Prose, S. 472.
95
Abb. 2: Mallarmé, Un coup de dés (Auszug)346
In Mallarmés verknüpfender und doppelbödiger Leseart wird Schrift zur
„Körpergeste [und] Schauplatz (theatròn) von Bewegung“347. So wie die
Tänzerin durch den Hintergrund und den Lichteinfall in Szene gesetzt wird,
346
347
Mallarmé, Poésies-Prose, S. 473.
Stricker, Text-Raum, S. 76.
96
ihre Bewegungen dadurch den Raum strukturieren und akzentuieren, sprich
Orte und die Beziehung zu diesen ausweisen, wäre im Konzept der ‚écriture
corporelle’ ebenso das Weiß der Textseite ein solcher Rahmen. Dazwischen
läge eben dieser potenziell durch Bewegungen oder Handlungen
veränderbare Raum. Neben diesem zweidimensionalen Text-Raum als
Fläche erzeugt Schrift mit Wörtern auch einen rhythmischen Klangraum,
welcher dem Bildlichen des weißen Raums und des Schriftbilds
gegenübersteht. Nach Mallarmés Zusammenführung von Körper und Text
im Zuge seines metaphorisch gebrauchten Tanzes als Schrift, zeugt
‚écriture’
demnach
vom
Ineinandergreifen
und
Erfahrbarmachen
unterschiedlicher Räume (Bild und Schrift, Bewegung und Tiefe). Finter
bezeichnet diese räumliche Konzeption als „Schrift in Bewegung als Spiel
von Differenzen“348.
Aus der Entwicklung dieser Linie moderner Texttheatralität leitet Finter
schließlich ab, dass sich damit schlussendlich ein Ineinandergreifen von
performativen und theatralen Elementen zugetragen habe, was zur flexiblen
Umwandlung von Körper und Bewegung führte. Mallarmés Bezugnahme
auf den Tanz als Kunstform, die nach beiden Komponenten ausgerichtet
werden kann, wird ausgehend von einer ‚écriture corporelle’ so zum
„Modell intermedialer Zeichenbewegungen.“349
„Die tänzerische Figur der ‚Arabeske’350 avanciert zum Inbegriff einer abstrakten
sinnfreien Schrift-Literatur, die gleichsam als sachentbundene Bewegung der
Zeichenenergie auf andere Medien übertragen werden kann.“351
Durch die Rückkoppelung an ihre eigene Körperlichkeit und Medialität
entgeht die Schrift in Mallarmés Entwurf der ‚écriture corporelle’ der Falle,
minderwertiger, repräsentativer Ausdruck der Sprache zu sein.352 Derart
348
Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 95.
Ebd., S. 116.
350 Sowohl eine Figur des klassischen Balletts als auch eine graphische Figur, K.B.
351 Finter, Der subjektive Raum. Band 1, S. 116.
352 Vgl. Meyer, Intermedialität des Theaters, S. 99.
349
97
wird „Schrift [...] als Spur markiert, die als Verweisungs-Zug und
semiotisches Geschehen auf dieses Geschehen selbst verweist im potentiell
infiniten Verweisungsspiel.“353
Hans-This Lehmann nimmt die postdramatischen theatralen Formen, die
sich auf die multimediale Ausgerichtetheit des Theaters besinnen, als
direkte Nachfolger von Mallarmés szenographischer Poesie wahr. Nach
Lehmann hat in der Tradition Mallarmés das Konzept der Szenographie vor
allem jenen Strang in der postdramatischen Theaterpraxis seit den 70ern und
80ern geprägt, der sich vor allem am Visuellen orientiert und die
logozentrisch bestimmte Texthoheit in den Schatten stellen will. Darin
hätten vor allem a-verbale Elemente, die vor den Logos rücken, wie etwa
Atem, Rhythmus, das Jetzt der körperlichen, physischen Präsenz, an
Bedeutung gewonnen.354
Jene Entwicklung moderner Texttheatralität, die unter anderem die
Unterwanderung der mimetischen Hierarchie Text und Inszenierung
vorsieht, ist neben Mallarmés Visionen auch dem Vordenker Artaud
geschuldet. Artauds Setzung des Körperlichen gegen die Repräsentation
strebt danach, den Text zu öffnen und von einer Informationsübertragung
oder Botschaft zwischen Sender und Empfänger abzusehen. Vielmehr geht
es darum, die Hoheit und Logik, die vom Text ausgeht, zu unterbrechen und
zugunsten jener Magie umzulenken, die von der Sinnlichkeit der Worte und
nicht nur von ihrer Bedeutung und logozentrischen Ausrichtung ausgeht.355
So heißt es im Zweiten Manifest des Theaters der Grausamkeit:
„Doch neben diesem logischen Sinn werden die Wörter in einem zauberischen,
wahrhaft magischen Sinne aufgefasst werden – um ihrer Form, ihrer sinnlichen
Ausstrahlungen und nicht bloß um ihres Sinnes willen.“356
353
Vgl. Meyer, Intermedialität des Theaters, S. 99.
Vgl. Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 159.
355 Vgl. Ebd., S. 261f.
356 Artaud, Antonin, Das Theater und sein Double. Das Théâtre de Séraphin, Deutsch von
Gerd Henninger, Frankfurt a.M.: Fischer 1986 (im Orig. Le Théâtre et son double. Le
théâtre de Séraphin, Paris: Éditions Gallimard 1964), S. 134.
354
98
Auch Artaud plädiert in seinem Manifest für eine unmittelbarere Berührung
des Zuschauers durch den Einsatz von sinnlichen Intensitäten, die „von
einem Sinn zum andern, von einer Farbe auf einen Klang, von einem Wort
auf eine Beleuchtung, [...]“357 übertragen und analog zur HieroglyphenSprache reine Präsenz werden sollen. Diese umfassende, hypnotische
Theatersprache, „in der der Geist durch einen direkten Druck auf die Sinne
angesprochen wird“358, vermöge die trennende Grenze zwischen Theater
und Leben aufzuheben.359
5.2 Theater und Literatur als Orte kritischer Sprachpraxis
Die Konzeption einer „Schrift jenseits repräsentationaler Konzepte“360, die
die Entgrenzung und Erweiterung des eigenen Zeichensystems mithilfe
intermedialer Wechselspiele anstrebt, ist eng mit der Rolle von Theatralität
im strukturalistischen und poststrukturalistischen Schrift-Konzept nach
französischer Theoriebildung der ‚écriture’ verknüpft. Darin ist Theatralität
konstitutiv für eine Schreibweise, welche die Schrift mit der Materialität des
Sprechens
verknüpft
und
Theatralität
als
basales,
der
Sprache
innewohnendes Element kultureller Bedeutungsproduktion ansieht.
In diesem Kontext ist Roland Barthes’ Konzeption einer szenischen
Semiotik oder Theatralisierung des Textes als Denk-Vorlage für eine
kritische Sprachpraxis zu verstehen. Ebenso wird Julia Kristevas
dekonstruktivistischer Ansatz von Verräumlichung im Sinne einer
Rückführung der vom symbolischen Anteil dominierten Sprachbildung zum
körperlichen Aspekt in der Subjektkonstitution näher ausgeführt. Damit
sollen nützliche Rückschlüsse zu Goetz’ körperorientierten, subversiven
ästhetischen Verfahren in der Schrift ermöglicht werden.
357
Antonin, Das Theater und sein Double, S.134f.
Ebd., S.134.
359 Vgl. Ebd., S.135.
360 Stricker, Text-Raum, S. 62.
358
99
5.2.1 Barthes’ szenische Semiotik
Barthes’ Theorie einer szenischen Semiotik knüpft an Mallarmés diskursive
Denkform eines räumlich und körperlich konzipierten Schrift-Begriffes an.
Nach Roland Barthes ist Theatralisierung der Sprache als Ausweitung und
Entgrenzung von Zeichenhaftigkeit zu verstehen: „Qu’est-ce que c’est
théatraliser? Ce n’est pas décorer la répresentation, c’est illimiter le
langage.“361 Die Bühne oder Szene wird für Barthes Sinnbild und
Paradigma für eine literarische Praxis, die sich nicht als „Korpus oder eine
Folge von Werken“362 fassen lässt, sondern einzig aus der „auf die Sprache
wirkenden Arbeit des Verschiebens“363 hervorgeht. Diesem Verständnis
nach ist Theater also nicht nur „Ort der empirischen Realisierung von
Literatur, sondern es ist selbst eine literarische Praxis“.364
Barthes, dessen szenisch bestimmte Semiotik als „Theorie produktiver
Textkonstitution“365 fungiert, in der Text ein „Relationsgefüge“366 darstellt,
unterscheidet deutlich zwischen Sprache und Literatur. Er sieht demnach die
literarische Praxis als ein Tun, das Sprache ausstellt und so zum Gegenstand
von Reflexion macht:
„Weil die Literatur die Rede in Szene setzt, statt sie nur zu benutzen, bringt sie das
Wissen in das Räderwerk der endlosen Reflexivität: durch die Schreibweise
hindurch reflektiert das Wissen unablässig über das Wissen, entsprechend einem
Diskurs, der nicht mehr epistemologisch, sondern dramatisch ist.“367
Diese Praxis des Schreibens, die Sprache zum Protagonisten eines Textes
macht, weist aufgrund der doppelten Perspektivierung von selbstbezüglicher
361 „What
is thatricalization? It is not designing a setting for representation, but unlimiting
the language.” „Was heißt theatralisieren? Nicht die Repräsentation zu illustrieren, sondern
die Redeweisen zu entgrenzen.“ „Hinweis: übers. von K.B.“ Barthes, Roland, Sade,
Fourier, Loyola, Vorwort, übers. von Richard Miller, Baltimore: John Hopkins University
Press 1976 (Orig. Paris: Éd. du Seuil 1971), S. 5f.
362 Barthes, Roland. Leçon. Lektion. Französisch und Deutsch, Antrittsvorlesung im
Collège de France, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1980, S. 25.
363 Ebd.
364 Birkenhauer, Schauplatz der Sprache, S. 125.
365 Stricker, Text-Raum, S. 58.
366 Ebd.
367 Barthes, Leçon. Lektion, S. 29.
100
Bezugnahme nach innen einerseits und Perzeption durch ein potenzielles
Publikum nach außen andererseits, eine starke Analogie zum Theater auf.
Barthes’ Rekurs auf das Modell Theater für seinen relationalen
Literaturbegriff rückt ein anderes Verständnis von Literaturtheater abseits
jener gängigen Auffassung von Theater als Umsetzung und Interpretation
eines literarischen Werkkanons ins Blickfeld. In der Aufführungstradition
eines der Umsetzung literarischer Stoffe verpflichteten Regietheaters gerät
vielfach außer Acht, dass dramatische Rede nicht nur in Form von Dialog
und gesprochener Rede auf der Bühne zum Vorschein kommt, sondern sie
durch diese In-Szene-gerückte Schreibweise bereits grundsätzlich schon die
Eigenschaft einer zur Schau gestellten Sprache impliziert. Deshalb ist nach
Birkenhauer zu differenzieren „zwischen dramatischer Rede als szenischem
Ausdrucksmittel“ [...] „und Sprache auf der Bühne als Sichtbarwerden,
‚Zutagetreten’ der Sprache selbst.“368 Sprache wird in der dramatischen
Rede zur Darstellung von Inhalten benutzt und gleichzeitig wird jene
Sprache in der Zurschaustellung und Rückkoppelung der Rede an die
szenische Bewegung immer wieder als solche „überlistet“369 und
„durchkreuzt“370.
Zumal Sprache von sich aus Ort der „Unterwerfung und Macht“371 sowie
„Stereotypie“372 ist, bewirkt ein Text als „Gewebe der Signifikanten“373
durch das „Spiel der Worte“374, dass die Stereotypie der Sprache „in ihrem
Innern selbst bekämpft und umgelenkt“375 wird. Darauf macht Barthes
368
Birkenhauer, Schauplatz der Sprache, S. 125.
Leçon. Lektion, S. 23.
370 Ebd.
371 Ebd., S. 21.
372 Ebd.
373 Ebd.
374 Ebd., S. 24. „[...] par le jeu des mots dont elle est le théatre [...]“ „Hinweis: übers. von
K.B.“
375 Ebd.
369 Barthes,
101
anhand der Rückbesinnung auf die Tradition der griechischen, attischen
Tragödie aufmerksam:
„Man kann sagen, dass die dritte Kraft der Literatur, ihre eigentlich semiotische
Kraft, darin besteht, die Zeichen eher zu spielen als zu zerstören, das heißt, sie in
eine Sprachmaschinerie zu bringen, deren Sicherheitsrasten und Sperrbügel
aufgebrochen sind, kurz im Schoße der unterwürfigen Sprache eine Heteronymie der
Dinge zu schaffen“ [Hervorh. im Orig. ].376
Diese Praxis, nach der Sprache einer kontinuierlichen Aktualisierung oder
Revision unterzogen wird, versteht Barthes als „permanente Revolution der
Rede“377. Daraus folgt, wie Birkenhauer konstatiert, dass „das Theater Ort
der Literatur als […] Ort einer Sprachpraxis ist.“378 Die Verquickung der
Zeichensysteme Theater und Literatur im Sinne einer Schreibweise oder
Praxis von Sprache lenkt den Blick weg von Gattungsfragen und umso mehr
auf mediale Wechselbezüge. Theater als Sprachpraxis im Sinne eines
szenischen Sprachdenkens wird somit zum Ausdruck von Poetizität.
Barthes’ szenisches Denken von Sprache eröffnet also insofern die
Möglichkeit, die Konstellation des Theaters als poetische Sprachpraxis zu
denken, als auf diese Art und Weise das Verhältnis von Subjekt, Sprache
und Welt stets aufs Neue verhandelt wird. Indem die szenischen, raumzeitlichen Ausdrucksmittel des Theaters auf das Gesprochene einwirken und
verschiedene Perspektiven auf Sätze und Sprache multipliziert werden,
verschieben sich gegebenenfalls auch Bedeutungen und Konnotationen der
Wörter.379 Auf das Verhältnis von Inszenierung und Text bezogen heißt das,
dass Inszenierungen als Lektüren oder Schreibweisen die dramatischen
Texte fortschreiben und sich infolgedessen auch der Blick auf diese Texte
ändert. Auch in diesem Sinne sind Theater und Literatur eng miteinander
verknüpft:
376
Barthes, Leçon. Lektion, S. 41.
Ebd., S. 23.
378 Birkenhauer, Schauplatz der Sprache, S. 125.
379 Vgl. Ebd., S. 125f.
377
102
„Wenn Literatur ein in-Szene-Setzen der Rede ist, dann sind dramatische Texte wie
Inszenierungen Ergebnisse einer fortgesetzten Praxis des Schreibens und Lesens.“380
In Anlehnung an diese Überlegungen Barthes’, die kenntlich machen, dass
das Spiel der Zeichen als operativer Vorgang sowohl bei Literatur als auch
Theater in Hinblick auf Sprache anzutreffen ist, wird noch einmal deutlich,
dass auch Gattungszuordnungen wie etwa episch, lyrisch und dramatisch
hinfällig werden. Diese seien lediglich verschiedene „Formen des
Verschiebens“381, deren Wirkungsweise lediglich anhand eines analytischen
Blicks aufs Detail im Bezugsfeld von Text und Inszenierung zu eruieren
sei.382
5.2.2 Theatrale Dekonstruktion als Verräumlichung
Die
an
Barthes’
anknüpfende,
sprach-
und
kulturkritisch
poststrukturalistische
gebundene
Theoretikerin
Julia
Semiotik
Kristeva383
beschäftigt sich in ihrem Buch Die Revolution der poetischen Sprache mit
den Mechanismen der Bedeutungskonstitution von Sinn und führt damit
Barthes Indienstnahme von Theatralität als ‚écriture’, als Verfahren
kritischer Sprachpraxis, fort. In ihren psychoanalytisch und feministisch
geprägten literaturtheoretischen Ausführungen wird das Verfahren der
Verräumlichung zur dekonstruktivistischen Methode, um logozentrisch
bestimmte Herrschaftsverhältnisse zu durchbrechen.
Nach Julia Kristeva sind Sinngebungsprozesse von zwei, in dialektischem
Verhältnis zueinander stehenden Prinzipien geprägt, nämlich „dem
Semiotischen“384 einerseits und „dem Symbolischen“385 andererseits. Sie
380
Birkenhauer, Schauplatz der Sprache, S. 127.
Ebd.
382 Vgl. Ebd.
383 Culler, Jonathan, Literaturtheorie. Eine kurze Einführung, Stuttgart: Reclam 2002 (im
Orig. Literary Theory. A very short Introduction, Oxford: Oxford University Press 1997),
S. 181.
384 Kristeva, Julia, Die Revolution der poetischen Sprache. Aus dem Französischen
übersetzt und mit einer Einleitung von Reinold Werner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1978
(im Orig. La révolution du langage poétique, Paris: Éd. du Seuil 1974), S. 35.
385 Ebd.
381
103
begreift die Wortsprache als Zeichensystem, dessen grundlegende
Konstitution stets beides, das Symbolische (begrifflich, einer statischen
Ordnung entsprechend) und das Semiotische (nichtsprachlich, zeichenhaft)
umfasst. Das Semiotische, das sie als Stadium der noch nicht erfolgten
Ablösung von Kind-Mutter ansieht, sei jene „Modalität der Sinngebung,
[...], in der das Sprachzeichen noch nicht die Stelle des abwesenden Objekts
einnimmt
und
noch
nicht
als
Unterdrückung
von
Realem
und
Symbolischem artikuliert“ 386 werde.
Sie formuliert die These, dass die symbolische Funktion, die sie im
Anschluss an Lacan mit dem Phallischen, Logozentrischen verbindet, auf
der semiotischen Anordnung, die bereits biologisch vermittelt wurde,
aufbaut.387 Im Laufe der Subjektkonstitution löse sich das Symbolische vom
Semiotischen ab. So wie das Kind im Spiegelstadium durch das
Gewahrwerden des „Anderen“388 durch das Bild (imago) im Spiegel eine
„Raumintuition“389 entwickelt, verhält es sich analog dazu in der
Sinngebung
der
Wortsprache
anhand
des
Satzgefüges
oder
der
Zusammensetzung eines Zeichens:
„Die Setzung des imaginierten Selbst bringt die Setzung des Objekts mit sich, das
seinerseits ebenfalls abgetrennt und bezeichenbar wird. Damit sind die beiden
Trennungen vollzogen, die die Entstehung des Zeichens vorbereiten.“390
Schließlich vollende das Kind, indem es den Kastrationsvorgang durchläuft,
den Abspaltungsvorgang von der Mutter, durch die Überführung von einer
semiotischen Bewegung in eine symbolische. Dies führt letztendlich zur
Subjektbildung.391 Dem sprachphilosophischen Entwurf Kristevas nach
386
Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 37.
Ebd., S. 40.
388 Ebd., S. 55.
389 Culler, Literaturtheorie, S. 55.
390 Ebd. S. 56.
391 Vgl. Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 56.
387
104
wird so der Bruch zwischen Signifikat und Signifikant auch zur Spur für
„die erste Zensur gesellschaftlicher Art“392.
Laut Kristeva ist jedoch der verdrängte, semiotische Anteil der Sprache stets
präsent und bedeutsam in Kommunikation und Alltagssprache geblieben. Er
werde vor allem in der Kunst wieder offenkundig:
„In den Praktiken der »Kunst« offenbart sich das Semiotische nicht nur als
Bedingung des Symbolischen, sondern auch als dessen Aggressor; insofern gibt die
Kunst auch Aufschluss über die Funktionsweise des Semiotischen.“393
Eine poetische Sprachverwendung weise durch den Fokus auf die
semiotischen Aspekte auf diese reziproke Beziehung hin und hole diesen
unbeachteten Anteil „der semiotischen chora im Apparat der Sprache“394
wieder hervor.395
Somit
kann
resümiert
werden,
dass
Kristeva
im
Sinne
einer
Unterwanderung der statischen Sprachverwendung argumentiert, zumal
diese
nichtsprachliche
Aspekte
außer
Acht
lasse
und
folglich
Sprachentwicklungen verhindere. Im Gegenzug dazu eröffne die Besinnung
auf die körperlichen oder sinnlichen Anteile von Sprache einen Gegenpart
zum Symbolischen. Dies würde damit auch die Rückgewinnung einer
vernachlässigten
Qualität
von
Sprache
bedeuten,
die
in
einem
vorsprachlichen Stadion noch das Unbewusste, Triebhafte und Körperliche
umfasste, bis sich der Logos als Kontrollinstrument und Ausdruck
paternalistischer Begriffssprache dagegen durchsetzte.
Lehmann
resümiert
im
Anschluss
an
Kristevas
Theorie
einer
Zusammenführung dichotomer Sprachwurzeln zugunsten der Aufwertung
jener sinnlich und triebhaft verankerten Anteile der Sprachprägung des
Menschen, dass der Prozess, bei dem Sprache einer „poetische[n] oder
392
Kristeva, Die Revolution der poetischen Sprache, S. 57.
Ebd., S. 59.
394 Ebd.
395 Vgl. Ebd., S. 60.
393
105
theatrale[n] Dekonstruktion“396 unterzogen wird, der Öffnung und
Erschließung eines Raumes gleichkommt:
„In einem solchen Zeichenprozess quer durch die Setzungen des Logos hindurch
geschieht nicht seine Destruktion, sondern seine poetische – hier: Theatrale –
Dekonstruktion.“397
Damit wäre die theatrale Dekonstruktion als Wiedererschließung „eines
Raums und einer Rede ohne Telos, Hierarchie, Kausalität, fixierbaren Sinn
und Einheit“398 zu denken und könnte somit das Semiotische als Widerpart
zum „logisch-ideologischen Identitätszwang“399 hervorheben.
Eine dekonstruktivistische Sprachpraxis, die im Zeichen der „Restitution
von Chora“400 im Sinne Kristevas steht, ist vor allem in einem den
historischen Avantgarden verpflichteten Theater zu erkennen, so Lehmann.
Sprache erfahre darin, wie alle Elemente des Theaters, eine „DeSemantisierung“401. Anstelle von Dialog werde „Vielstimmigkeit“402
angestrebt. Der Sinnzerfall und die Überlappung von Perspektiven oder
Stimmen erfüllen hier also auch den bestimmten Zweck, machtinhärente
Aspekte von stereotypischen Sprachverwendungen auszustellen. Dies
schließt wiederum an Barthes’ Überlegungen zur semiotischen Kraft
poetischer Sprachverwendung an, die die „enkratische Sprache“403, die
Sprache der Stereotypie, die „unter dem Schutz der Macht steht“404, anhand
von Verfahren, wie etwa der Durchkreuzung, Ver- und Aufschiebung oder
Ab- oder Umleitung, zu unterwandern versucht.
396
Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 262.
Ebd., S. 263.
398 Ebd.
399 Ebd.
400 Ebd.
401 Ebd.
402 Ebd.
403 Barthes, Die Lust am Text, S. 62.
404 Ebd.
397
106
5.3 Fazit
In diesem Kapitel wurde versucht aufzuzeigen, dass Theatralität als
Beschreibungskategorie im Zeichen der historischen Avantgarden für einen
Entwurf steht, der sich über die Grenzen von Zeichensystemen hinweg setzt.
Anhand des Sprachvisionärs Mallarmé, der mit seiner Konzeption einer
körperlichen, gestischen Schrift als Vorreiter der Concept Art405 gelten
kann, sind wesentliche Aspekte jener Konzeption von Texttheatralität
bereits
enthalten,
die
die
französischen
Strukturalisten
und
Poststrukturalisten in ihren sprach- und subjekttheoretischen Überlegungen
fortführen. Die Schriftphilosophie französischer Theoriebildung hat die
écriture
als
subversive
Sprachpraxis
weitergedacht,
welche
eine
Aufwertung der Schrift als Szene und Zurschaustellung für Sprache vorsieht
und hat damit auch den Konnex zwischen Literatur und Theater erneut
etabliert. Von Roland Barthes’ szenisch aufgebauter Denkpraxis von
Sprache und Sinngebungsprozessen ausgehend wurde aufgezeigt, dass die
theatrale Nutzung der Signfikanten auch eine poetische und auch
dekonstruierende Praxis ist, die Sprache einer stetigen Revision unterziehen
und einer auf der Dominanz des Logos gebauten Sprachpraxis
entgegenwirken soll.
Aus sprach- und literaturwissenschaftlicher Inanspruchnahme von Barthes’
szenischen Sprachfiguren wird Theatralität zum Sinnbild für die
Dynamisierung zwischen Sprache und Denken. Für Barthes’ leserzentrierte
Theoriebildung kommt das Theatrale auch als Metapher oder Denkform für
das Wechselspiel von Produktion und Rezeption zum Tragen, nach dem
sich Sinn und Bedeutung erst im Akt der Lektüre ergeben. Text und Sprache
werden hier als Kommunikationsmodell gedacht, das generell schon ein
405
Stricker, Text-Raum, S. 78.
107
mediales Element beinhaltet, d.h. einen potenziellen Leser und somit auch
eine Lektüre als Teil der Produktion bereits impliziert.406
Angelehnt an Roland Barthes’ Konzept der Szenographie und seiner
Kontextualisierung des Theatralen als kulturellem Dispositiv407, entdeckt
eine
Münchner
Forschungsgruppe
Theatralität
als
Kategorie
der
Literaturwissenschaft wieder. Im Sammelband Szenographien wird für eine
Revision von Sprach-, Literatur und Texttheorie zugunsten einer erneuten
Annäherung der abgekoppelten Sphären einer literarischen Textkultur und
einer
theatralen,
körper-
und
bewegungsorientierten
Kultur
des
Performativen plädiert.408 Entgegen der Tendenz seit dem performative turn,
den Text von der Theatralität zu lösen und anstelle dessen die Bewegung
des Körpers zum zentralen Bezugspunkt zu machen, wird Theatralität „als
Praxis der Bedeutungsproduktion propagiert, die als ein dynamisches
Muster der Sprache selbst innewohnt“409.
Es geht also darum, die Diskurse Text und Theater wieder zu koppeln und
Theatralität als der Sprache innewohnendes Element zu verorten, das
„Wahrnehmung, Darstellung und Erkenntnis“410 prägt. Sprache wird
demnach als „Zeichentheater“411 aufgefasst, das ebenso wenig repräsentativ
sei, wie das Schauspiel auf der Bühne. Dieser Konzeption nach, können
„Produktion und Rezeption von Sinn [...] erst im Rahmen einer genuin
szenischen Struktur gelingen“412. Aus dieser Sicht wird Theatralität als
406
Vgl. Wildgruber, Gerald, „Die Instanz der Szene im Denken der Sprache“, in:
Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft, Hg. Gerhard
Neumann/Caroline Pross/Gerald Wildgruber, Freiburg im Bresgau: Rombach 12000, S. 3563, hier S. 53. Wildgruber weist darauf hin, dass sich Barthes’ späterer Theatralitätsbegriff
von seinem früheren Verständnis von Theatralität als alles nicht-Sprachliche abweicht; ab
S/Z (1970) verstehe Barthes darunter ein Spiel mit Logik vom Intellekt ausgehend. Vgl.
Ebd., S. 52f.
407 Vgl. Neumann, „Einleitung“, S. 24.
408 Ebd., S. 11.
409 Ebd., S. 13.
410 Vgl. Ebd.
411 Ebd., S. 14.
412 Wildgruber, „Die Instanz der Szene im Denken der Sprache“, S. 46.
108
körperliche, räumliche und interaktive Anordnung zum verbindenden
Faktor, zum Tertium Comparationis, im Zusammenspiel von sprachlicher
Konstellation,
kulturellen
Repräsentationsmustern
Sinngebungsprozessen.
109
sowie
6 Texttheatrale Formen und Strukturen im Stück
Jeff Koons
Nachdem im vorigen Kapitel Texttheatralität als körperliche Schreibweise
und sprachkritische Methode der Verräumlichung konzeptualisiert wurde,
soll nun das Stück Jeff Koons dahingehend befragt werden. Es sollen
konkrete Formen und Strukturen dieser ‚écriture’ im Sinne von poetischen
Verfahren
der
Verräumlichung
Vernetzung,
anhand
der
Überlagerung,
Textanalyse
Durchkreuzung
herausgearbeitet
und
werden.
Ausgehend von der Diskursanalyse rund um den zeitgenössischen
Kunstkontext und den Künstler Jeff Koons sollen im Laufe der Textanalyse
rhetorische Figuren und sprachliche Verfahren innerhalb des Stücks
herausgearbeitet werden, die heterogene Formen und Ebenen theatraler
Strukturen herstellen. Dies umfasst all jene intertextuellen Strukturen und
intermedialen sowie performativen Verfahrensweisen, welche sowohl
potenziellen theatralen Tauschwert für Performativität und Körperlichkeit
auf der Bühne besitzen als auch durch die texttheatrale ‚Inszenierung’ sich
selbst als Spiel der Zeichen in der Schrift zur Ansicht oder ‚Aufführung’
bringen.
6.1 Intertextuelle Verweise
An intertextuellen Verweisen des Stücks, die Kontexte außerhalb des Stücks
aufrufen, lassen sich zum einen explizit jene ausmachen, welche als Zitate
den Akten vorangestellt sind und so als Mottos fungieren; zum anderen gibt
es auch indirekte intertextuelle Bezüge anhand von Anspielungen im Text,
die auf außertextliche Referenten und Diskurse mehr oder weniger deutlich
verweisen.
110
Im Fall vom 1. und vom 6. Akt, die beide im Club („Palette“) spielen, ist
dies jeweils der Titel eines Kunstwerks des Künstlers Jeff Koons: Im
chronologisch 1. Akt ist es der Titel des Kunstwerks „Saint John the Baptist,
New York 1989“413 und im Fall des 6. Akts die Nennung des Werks „Hand
on Breast, 1990, 244 x 366“414. Dem 2. Akt geht ein Zitat aus dem Pop-Lied
„Frozen“ von Madonna voran: („mmm hm, hm hmmm / if I could melt your
heart“415), der 3. Akt wird mit einem Zitat von Brecht („ist der Blick in eine
schöne Gegend, Freund, Freund, Freund“416) eingeläutet, der 4. Akt mit
einem Zitat des von Goetz bewunderten Architekten Richard Meier („it had
the aura of a polemically creative place“417); der 5. Akt mit einem Zitat von
Andy Warhol und Pat Hackett („to anyone who ever invited us
anywhere“418) und der 7. Akt mit einem Buchtitel des norwegischen
Schriftstellers Knut Hamsun („Auf überwachsenen Pfaden“419).
Neben Mottos und Titel ist augenscheinlich, dass sich am meisten
Anspielungen und Referenzen zum Künstler Jeff Koons sowie der Genese
und dem Kontext von zeitgenössischer Kunst ergeben. Dem entspricht auch
die Tatsache, dass alle ausgewiesenen Orte der Akte bis auf den 3. Akt, der
sich vor dem Club, der Palette, bei den „GEBÜCKTEN VOM GÖRLITZER
BAHNHOF“420 abspielt, nicht nur szenische Settings bezeichnen, sondern
413
Goetz, JK, S. 13.
Ebd., S. 133.
415 Ebd., S. 35.
416 Ebd., S. 55. Das vollständige Zitat lautet: [Der Blick in das Gesicht eines Menschen,
dem geholfen wurde], „ist der Blick in eine schöne Gegend, Freund, Freund, Freund.“ Das
Brecht’sche Zitat gilt als Parole für die von Brecht und Rosa Luxemburg propagierte
marxistische Haltung eines widerständigen Arbeiterproletariats und stammt aus dem
fragmentarischen Werk von Bertolt Brecht über Rosa Luxemburg mit dem Titel ½frau
lübeck von 1952. Siehe o.A., ZEIT ONLINE,
http://www.zeit.de/1997/37/Bertolt_Brecht_%C2%B4frau_luebeck_, Stand: 05.09.1997,
05.01.2016. Das Zitat hat beispielsweise auch der Aktionskünstler Christoph Schlingensief
im Rahmen des Wahlkampfes für seine Partei Chance 2000 als Parteihymne verwendet.
Vgl. Schlingensief, Christoph, Homepage, o.A.,
http://www.schlingensief.com/projekt.php?id=t024, 05.01.2016.
417 Goetz, JK, S. 71.
418 Ebd., S. 107.
419 Ebd., S. 153.
420 Ebd., S. 57.
414
111
zugleich auch Hinweise liefern, die mit dem Sujet der Kunstproduktion, der
Kunst von Jeff Koons oder einer Künstlerszene zusammenhängen:
III. „Palette“421:
Damit ist wohl der berühmte Künstlertreff in Hamburg gemeint, in dem
Goetz sich mit seinen Freunden traf;
I.
„IM BETT“422:
II. Vermutlich eine Anspielung auf Jeff Koons und seine Fotoserie
Made in Heaven (1989)
II.
„DIE FIRMA“423:
Möglicherweise Andy Warhols Factory
IV. „DIE ERÖFFNUNG“424:
Eine Vernissage in einer Galerie
V. „DAS BILD“425: und dessen einzige Szene lautend auf „Vision“426:
Spielt auf den abgeschlossenen Prozess des Kunstwerks und dessen
Betrachtung an
Diese Referenzen verknüpfen die Thematiken und Diskurse, auf die das
Stück Bezug nimmt: Auf den Künstler Jeff Koons und allgemeiner auf den
zeitgenössischen Kunstkontext, in dem die erfolgreichsten gegenwärtigen
Künstler, wie etwa Jeff Koons oder Damien Hirst, die Verzahnung von
Kommerz und Kunst in der Tradition Warhols potenzieren und international
ihr Image als erfolgreiche Selbstunternehmer des gegenwärtigen Zeitgeists
etabliert haben. Gleichzeitig geht es um Kunstproduktion an sich und
implizite Sozialkritik — Dauerthemen bei Goetz. Er selbst steht dem Zirkel
bildender Konzept- und Popkünstler rund um Albert Oehlen und Martin
Kippenberger nahe. Sie teilen die Beschäftigung mit dem Populären und der
421
Goetz, JK, S. 15.
Ebd., S. 37.
423 Ebd., S. 73.
424 Ebd., S. 109.
425 Ebd., S. 155.
426 Ebd.
422
112
Position des Künstlers in der Gesellschaft. Die Tatsache, dass das Stück aus
sieben Akten besteht, weist neben dem Titel („Vision“) der einzigen Szene
im Akt Nr. 7 zum einen auf die Erschaffung der Welt im Alten Testament
hin und zum anderen auf die Vision als Gottesschau, als göttliche
Voraussicht und Vorstellung.
Der Bezug zum zeitgenössischen Pop-Künstler Jeff Koons ist sowohl
explizit als auch indirekt durch den Text gegeben und scheint am
ergiebigsten als Assoziations- und Diskursfläche für das Stück. Der Exkurs
zum zeitgenössischen Kunstkontext durch Jeff Koons soll zum einen
Rückschlüsse zu Goetz’ Pop-Positionierung beziehungsweise Kunstbegriff
zulassen und zum anderen den Anlass für Goetz’ intermediale und
performative Verfahren der Übersetzung von bildlicher Pop-Kunst in
Sprache als Text nachvollziehbar machen.
6.2
Exkurs:
Jeff
Koons
und
die
kommerzielle
Künstlerromantik – ein dunkles Pop-Märchen
War Goetz in den Achtzigern noch Anhänger der Subkulturen Punk und
Rave, vollzieht er in den Neunzigern die Kehrtwende zum MainstreamTechno und der Pop-Art Koons‘. In Kronos (1993) schreibt er: „Ich glaube
meine Ethik hat die Gestalt der Kunst von Jeff Koons: (intersubjektiv
objektiver
Idealrealismus“)427.
Der
amerikanische
Künstler
ist
„lebende[r]Vertreter Andy Warhols auf Erden“428 in den Neunzigern, so
Goetz.
Koons ist gegenwärtig einer der international erfolgreichsten und
höchstdotierten Künstler, dessen Name für die höchst erfolgreiche
Verschränkung von Kunst und Kunstmarkt steht. Nach Philipp Ursprung,
für den Strategie der Schlüsselbegriff der Kunstdiskurse der 80er Jahre ist,
427
428
Goetz, Rainald, Kronos. Berichte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, S. 374.
Goetz, Abfall für alle, S. 258.
113
ist das Oeuvre von Koons so angelegt, dass es trotz Variation aufgrund von
wiederkehrenden, oftmals privaten Motiven, seiner Monumentalität und
seinem Hang zum Kitsch sofort erkennbar ist. Koons richte seine Kunst
nach den Erwartungen einer intellektuell anspruchsvollen Kunstszene aus,
indem er sich als Kenner der Rhetorik und Inhalte der akademischen
Kunstdiskurse zu erkennen gibt; gleichzeitig ist seine Kunst aber auch
massentauglich rezipierbar und lässt die Grenzen zur kommerziellen
Werbeindustrie in warholscher Manier verschwimmen.429 Die gängige und
lukrative Strategie der limitierten Auflage verfolgt auch Koons, sodass seine
seriell gefertigten Kunstwerke Gemäldepreise erzielen können.
Der Künstlerstar der Kunstszene der 1980er- und frühen 1990er Jahre gilt
als geschickter Provokateur, der sich selbst, seine Biographie und sein Werk
zu einer Marke etabliert hat.430 Seit den 70ern seien die Motive
„Außenhaut“431 und „Spiegelung“432 zentral bei Koons gewesen, wie seine
aus der Popkultur bezogenen aufblasbaren Figuren mit makelloser
Oberfläche suggerieren. Die Selbst-Inszenierungen mit deutlichem Hang
zum schrillen Kitsch sind genauso wie seine Bezugnahmen zu Ikonen und
Mythen
der
Gegenwart
sowie
kunsthistorischen
Traditionen,
fixe
Bestandteile seines Schaffens.433 Was das Bildrepertoire angeht, orientiert er
sich vor allem am Kontrastreichtum des Barock und den verspielten Formen
des Rokoko. Nach Marcel Duchamp und Andy Warhol führt er das
Vermächtnis der Verschränkung von Objekten aus der Alltags- und
Populärkultur mit dem Kunstkontext fort.434 Auf die Frage, weshalb Goetz
429
Vgl. Ursprung, Philipp, Die Kunst der Gegenwart. 1960 bis heute, München: C.H. Beck
2012 (Orig. 2010), S. 69.
430 Vgl. Weiss, Christina/Peter-Klaus Schuster, „Vorwort“, in: Jeff Koons. Celebration.
Ausstellungskatalog. Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, 31.10.2008 –
08.02.2009, Hg. Anette Hüsch, Ostfildern: Hatje Cantz 2008, S. 9.
431 Ursprung, Die Kunst der Gegenwart, S. 62.
432 Ebd.
433 Vgl. Ebd.
434 Vgl. Hüsch, Anette (Hg.), „Archetypen zum Überleben. Oder wie die Kunst trösten
kann“, in: Jeff Koons. Celebration. Ausstellungskatalog. Neue Nationalgalerie, Staatliche
2
114
Koons und nicht Warhol als Ausgangsfläche gewählt hat, kommentiert der
Pop-Literat:
„Warhols Kunst handelt von Depression, Arbeitslosigkeit, Armut, der großen
Weltkrise der 30er und 40er Jahre. Von der von da her bestimmten Sehnsucht nach
Glamour und Frieden. Warhola: Die Krieg-Holerin, das Loch. Jeff Koons schlägt
die Augen auf, da ist alles schon in Ordnung. Er spricht von der Abgründigkeit, aber
aus der Perspektive des Glücks. Das ist der Blickwinkel von 1962 bis 1991.“435
Mit der „Perspektive des Glücks“ könnte die Tatsache gemeint sein, dass
Jeff Koons vor dem Hintergrund der steigenden Prosperität nach der
wirtschaftlichen Stagnation in den 70ern sein privates Liebesglück mit dem
Pornostar Illona Staller nach außen zelebriert und zur Kunst erhebt. Koons
ist anerkannter Künstler und zugleich erfolgreicher Geschäftsmann und
entspricht damit jener aufstrebenden Generation der in den USA und
Großbritannien
bezeichneten
Yuppies
in
den
80er
Jahren,
den
Vertreter*innen einer jungen, großstädtischen, karrierebewussten oberen
Mittelschicht.
In den 80er Jahren führte die Politik Margaret Thatchers und Ronald
Reagans (Thatcherism und Reagonomics) aufgrund der Deregulierung von
Märkten und der Privatisierung staatlicher Betriebe zu einer ökonomischen
Prosperität von der vor allem die Oberschicht profitierte. Diese investierte
den neuen Reichtum in Kunstwerke und entdeckte Kunstwerke als
Kapitalanlage. Aufgrund der enormen Potenz der Kaufkraft wurde der
Kunstmarkt zunehmend spekulativ und Kuratoren mussten dadurch immer
schneller auf den Geschmack einer sichtbar einflussreichen Szene von
Sammlern, Museumtrustees und Händlern reagieren. Neue Galerien
schossen wie Pilze aus dem Boden und kurzlebige Turnusausstellungen
sollten
schnell
neue
Trends
generieren,
um
der
finanzkräftigen
Museen zu Berlin, 31.10.2008 – 08.02.2009, Ostfildern: Hatje Cantz 2008, S. 35-49, hier S.
36.
435 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, Goetz im Gespräch mit Wolfgang Huber-Lang,
(Orig. Erstabdruck in: Format, Österreich, 17.04.2000), S. 138-141, hier S. 138.
115
Besucherschaft auf den konkurrierenden Kunstmessen in Köln und Basel,
Paris, Madrid und London immer wieder neue Kaufanreize zu liefern.436
In diesem Klima glichen sich Finanzwelt und Kunstwelt immer mehr an:
Wenige Themen und Protagonisten gaben den Ton an und bestimmten wer
top und wer Flop war in rasanter und unberechenbarer Art und Weise.
Damit hat sich auch das Bild der Künstlerfigur gewandelt:
„Bis in die 1950er Jahre war das Image der Künstler, ob es sich um Bohemiens oder
Malerfürsten handelte, dasjenige von Produzenten, die sich außerhalb der
herrschenden Ökonomie befanden. Im Lauf der 1960er und 1970er Jahre hingegen
verschmolz der symbolische Wert eines Kunstwerks allmählich mit dem Marktwert.
Seither können Künstler nicht mehr auf die Nachfolge hoffen, die ihren Wert
entdecken wird, so wie einst Van Gogh. Ebenso wie es kein räumliches Draußen
mehr gibt, so gibt es kein zeitliches Danach mehr.“437
Die im Zitat angesprochene Raum- und Zeitlosigkeit ist charakteristisch für
einen Prozess, der die Entwicklung der Globalisierung in Folge des
neoliberalen Siegeszugs vom Spätkapitalismus der 1970er und 1980er zum
‚Empire’ ab den 1990ern abzeichnet. In der gleichnamigen Publikation
entwarfen Michael Hardt und Antonio Negri das Konzept des Empire, wie
Ursprung resümiert, als „weltumspannendes Reich, in dem räumliche und
zeitliche Grenzen aufgehoben waren, die Geschichte zu stagnieren und die
Welt stillzustehen schien.“438
Kennzeichnend für diese Entwicklung hin zum Informationszeitalter war
der Übergang von materieller zu immaterieller Arbeitsleistung in der
Nachkriegszeit sowie die zunehmende Technologisierung der Unternehmen,
der Kommunikation und Medien, was einen allumspannenden, vernetzten
Kapitalismus entstehen ließ. Nach den Beobachtungen des Journalisten
David Brooks gingen diese Entwicklungen auch mit der Entstehung einer
neuen sozialen Elite einher, die er als ‚Bohemien Bourgeoise’ oder kurz
436
Ursprung, Die Kunst der Gegenwart, S. 61.
Ebd., S. 62.
438 Ebd., S. 9.
437
116
„Bobos“439 bezeichnet; in ihr würden sich bürgerliche Werte und
unkonventioneller Lebensstil der Bohème verbinden. Vor allem steht diese
neue Klasse für den neuen Zeitgeist nach 1990, in dem die Kluft zwischen
einem Innen und Außen, einem Pro und Contra gegenüber etablierten
Werten und Systemnormen zunehmend schwindet, da auch Kreativität und
Kultur vom kapitalistischen Prinzip der Verwertbarkeit vereinnahmt
werden.
Die abnorme Künstlerbiographie und das Künstlerprinzip des Strebens nach
Selbstverwirklichung sind zum Allgemeinort geworden. Der Künstler, der
noch wenige Jahre zuvor die Verkörperung des Randständigen und
Exzentrischen gewesen war, rückt nun als Identifikationsfigur ins Zentrum.
Stararchitekten und Künstlerstars scheinen etwas zu verkörpern, wonach
unersättliche Nachfrage besteht, nämlich Anteil zu haben am „Realen“440,
an der „Präsenz“441, am „Ereignis“.442
Aus dieser Sicht unterscheidet sich das Künstlertum kaum noch von der
hedonistischen, jugendlichen Szene der gebildeten, urbanen Bobos in
Lebensstil und Positionierung zur herrschenden Ordnung. An einem
Wochenende pendelt der Künstlertyp im Stück von Goetz zwischen den
Orten Club (auch ein Verweis auf die aufkommende Club- und
Technoszene in den 80er Jahren, vor allem in Berlin), Atelier, Bett und
Galerie hin und her, was genauso gut auch den Lebensstil des erfolgreichen
Bankmanagers, der erfolgreichen PR-Frau oder eine gut situierte,
439
Brooks, David, Bobos in Paradise. The New Upper Class and How They Got There,
New York: Simon & Schuster 2000, S. 10. „I found that if you investigated people’s
attitude towards sex, morality, leisure time, and work, it was getting harder and harder to
separate the antiestablishment renegade from the pro-establishment company man. [...] So
the people who thrive in this period are the ones who can turn ideas and emotions into
products. These are highly educated folks who have one foot in the bohemian world of
creativity and another foot in the bourgeois realm of ambition and worldly success. The
members of the new information age elite are bourgeois bohemians. Or, to take the first two
letters of each word, they are Bobos.“
440 Ursprung, Die Kunst der Gegenwart, S. 103.
441 Ebd.
442 Ebd.
117
ambitionierte Studentin hier nachzeichnen könnte, der/die in der Freizeit in
der Szene bei angesagten Events, Partys oder Theaterpremieren netzwerkt,
zahlreiche Praktika und Hospitanzen absolviert und nebenbei das Studium
erfolgreich in Mindestzeit abschließt.
Dass die Kunst aber noch nie wirklich fernab vom Markt agiert hat und das
Künstlertum sich schon immer nach dem Geschmack und der Gunst seiner
Mäzene richten musste, merkt Goetz im 5. Akt des Stücks an:
„Vor vielen Jahren / lange ist es her / ein Künstlerglück / von solchen Graden / daß
der König sagte / schafft mir diesen / Künstler her / ich will ihn sehen / will ihn
mieten / fragen / was er denkt / und macht / wie er / die Welt sieht / solche Sachen /
[...] und es geschah natürlich / wie der König befohlen / der Künstler / ward herbei
gebracht“443
Die repressiven Zwänge und Abhängigkeiten des Künstlers am Hofe und
die
dargestellten
Motive
der
Kunstförderung
zum
Zwecke
der
verschönernden Selbstdarstellung sind zwar heute neben anderen Motiven
noch durchaus aktuell in Hinblick auf zeitgenössische Kunstsammler, wenn
man an Global Player der Sammlerszene, wie etwa Charles Saatchi, denkt.
Dennoch sind die Zeiten der Abhängigkeiten eines isoliert lebenden
Künstlerglücks bei Hofe längst vorbei: Galt Goethes paradigmatischer
Hofdichter Torquato Tasso als Inbegriff für den Künstler im Zwiespalt mit
der gültigen Ordnung, ist ein Künstlersubjekt, wie etwa Jeff Koons, der den
Status Quo als erfolgreiche Ich-AG propagiert, gegenwärtig selbst zur
gültigen Ordnung geworden. Das romantische Bild des Künstlers, der sich
außerhalb befindet und das Andere repräsentiert, musste aufgrund der
durchdringenden Ökonomisierung weichen und ist nun von ihr selbst
durchdrungen. Diedrich Diederichsen zufolge gehört im Zeitalter der
durchgängigen Ökonomisierung aller Teilbereiche des Lebens und der
engen Verflechtung von „Attraktion, Medium und Kritik“444, sogar die
bittere Erkenntnis des Warencharakters von Kunst bereits einer längst
443
444
Goetz, JK, S. 110.
Diederichsen, Eigenblutdoping, S. 264.
118
vergangenen Künstlerromantik an.445 Anders formuliert, wusste Torquato
Tasso bei Goethe noch genau, gegen wen er sich auflehnt und worin seine
Abhängigkeit
besteht,
ist
das
von
repressiven
Zwängen
freie
Künstlersubjekt im postmodernen, postdemokratischen Zeitalter des
anything goes völlig seiner eigenen Begrenzung und Bestimmung
überlassen. Goetz kritisiert diese trügerische Freiheit in Jeff Koons:
„Abstrakt gesagt: wo steht der Künstler momentan? / Irgendwo wohl, oder, klar, Da,
mitten drin, am Rand vielleicht, / vielleicht auch in der Mitte, ganz egal. / Der Witz
ist, seine Position ist völlig frei. / Noch nicht einmal die Kunst bestimmt die Stelle, /
wo der Künstler steht. / [...] Er kann im Kino stehen, im Pop, / er kann sich
soziologisch orten, literarisch, / oder in der Tradition des Neuen, er kann in alle /
Richtungen den Kunstkontext verlassen haben, / er kehrt dorthin zurück / nach
komplett eigener Bestimmung. / Und trägt mit dieser Freiheit / nur eines noch als
letzte Last, / die Position des Einzelnen dem Ganzen gegenüber, / das ist das Tolle
dieser neuen Position.“446
Die vermeintlich gewonnene Qualität der freien Selbstbestimmung ist
gleichzeitig also auch Kennzeichen für eine (Künstler)-Generation in der
Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sogar zum Preis der Prekarität
verfolgt werden. Dementsprechend erzeugt dieses System auch Verlierer,
die auf diesem Weg auf der Strecke bleiben, jedoch wird ihr Scheitern in
diesem Kontext zum selbstverschuldeten Ergebnis. Goetz spricht von
realsozialen Bereichen der Ein- und Ausgrenzung bereits in Hirn, Krieg
sowie in Abfall für alle und Festung. Seine Kritik bezieht sich zumeist
insbesondere auf jene meinungsbildenden gesellschaftlichen Orte, wie etwa
mediale Institutionen, die das System Gewinner/Verlierer förderten und
„Institutionskriecherlein-Existenzleins“447 ausbildeten, die „von Geburt an
gewissermaßen auf der richtigen Seite des Leben stehen“448, so Goetz.
In Jeff Koons fungiert die Kritik an der zeitgemäßen Verfasstheit des
Systems von „Gewinnern und Verlierern“ vorwiegend als konkreter
gegenwärtiger Hintergrund, der nicht nur den Kunstbetrieb mit seinen
445
Diederichsen, Eigenblutdoping, S. 69.
Goetz, JK, S. 117f.
447 Goetz, Hirn, S. 41.
448 Ebd.
446
119
prekären Arbeitsbedingungen, sondern die gesamte Gesellschaft nach und
nach erfasst hat. Erfolg und Nicht-Erfolg ist in der demokratischen
Multioptionsgesellschaft, in der die selbstbestimmte Lebensgestaltung nach
eigenen Wertvorstellungen und Bestrebungen suggeriert wird, eine Frage
der Eigenverantwortung geworden. Das Motto „Der Gegner ist meistens
man selbst“449, denn „auch du [...] [kannst] das Beste aus deinem Typ
machen“450, suggeriert, dass es eine Einstellungssache und Frage des
Willens ist, ob man zu den Gewinnern oder Verlierern gehört, also
gesellschaftlich drin oder draußen steht. Demnach wird die Begeisterung für
die Selbstoptimierung zum Richtmaß für Glück und zum kategorischen
Imperativ. So heißt es in Gewinner und Verlierer von Goetz:
„Jeden Morgen / Be A Success. Ein Letzter Wahrer Held Der Arbeit sein. Die neuen
richtigen Fehler neu und mutig machen, Korrektur, Korrektur, Korrektur der
Korrektur. Klug sein, glücklich sein, Spaß haben. [...] Die Schwäche erkennen,
bekämpfen.“451
Der These Zygmunt Baumanns nach ist dieses eifrige Streben nach Glück
durch die Tatsache des latenten Imperativs von „du musst ein anderer
werden“452 kein Akt der freien Selbstbestimmung, sondern „universelles
Schicksal“453. Wenn also das moderne und freie Subjekt an Autonomie
dadurch gewonnen hat, dass es sich seiner Selbstbestimmung über das
Leben bewusst wurde, heiße das nicht automatisch, dass dies immer
umsetzbar sei, wie in der Konsumgesellschaft jedoch verhießen wird,
argumentiert Baumann weiter.454 Die Last der Eigenverantwortung des
Einzelnen am Beispiel des paradigmatischen Menschen, dem Künstler, ist
auch in Jeff Koons ein Leitmotiv. Wie und ob sich ein Subjekt in der
Gegenwart konstituieren kann, bildet den Hallraum rund um den Künstler
449
Goetz, Hirn, S. 54.
Ebd., S. 55.
451 Ebd., S. 56.
452 Bauman, Zygmunt, Wir Lebenskünstler, aus dem Englischen von Frank Jakubzik,
Berlin: Suhrkamp 12010 (im Orig. The Art of Life, Cambridge: Polity Press 2008), S. 125.
453 Ebd., S. 92.
454 Vgl. Ebd., S. 126.
450
120
Jeff Koons, der als Inkorporation eines Zeitgeistes auch eine populäre
Kultur wiederspiegelt:
„Eine der Ideen war auf jeden Fall, dass man für die tragische Weltlage des
hochmodernen Menschen eine Theaterform findet. Tragisch insofern, als man sich
heute für sein gesamtes eigenes Leben verantwortlich fühlt. Auf jedem Einzelnen
lastet total die Produktionsverantwortung für Kultur als Gestaltung des
Lebens….Ende des 20. Jahrhunderts war diese Auflösung (des bürgerlich
Gesellschaftlichen) radikal fortgeschritten: Jeder steht dem Ganzen gegenüber
alleine da.“455
Demnach korrelieren Zeitgeist und Künstlertum in der postfordistischen, auf
Projektarbeit, Networking und „Pseudoindividualität“456 basierten Rankingund Castinggesellschaft in der sich jeder, inklusive dem Künstlersubjekt, so
Goetz, in „die Position des Einzelnen dem Ganzen gegenüber“457 begeben
muss. Jedenfalls wird in diesem zeitgemäßen Szenario Misserfolg und
Durchschnittlichkeit
dem
Individuum
als
Manko
an
Willen
zur
Selbstoptimierung zugerechnet und zugleich das Streben nach Glück zum
Imperativ.
6.3 Die Verschränkung von Pop, Koons und Kunst im Stück
Nachdem im vorangegangenen Kapitel Eckpunkte der Diskursfläche rund
um den erfolgreichen Künstler Jeff Koons, Ursachen und Folgen eines
spekulativ
gewordenen
Kunstmarktes
und
den
Zeitgeist
der
Selbstvermarktung markiert wurden, soll nun aufgezeigt werden, wie Goetz
mit diesen Voraussetzungen konkret im Stück umgeht. Einerseits nutzt er
die nur vermeintlich unterschiedlichen sozialen Sphären als metaphorische
Reibungsflächen für die sich abzeichnenden Konflikte während der Genese
von Kunst bzw. Text; andererseits stellt der Bezug zum Diskurs Koons und
Kunst anhand der Verweise zu seinen Werken und seiner Biographie im
455 Goetz, Rainald im Gespräch mit den Falter-Redakteuren Sebastina Fasthuber und
Wolfgang Kralicek, „Das Ding sollte knallen“, Falter-Interview von 27.4.2000, zit. nach
Windrich, Technotheater, S. 403, Fußnote 799.
456 Diederichsen, Eigenblutdoping, S. 255.
457 Goetz, Hirn, S. 117f.
121
Stück selbst auch einen Kommentar sowohl zu Koons’ Pop-Kunst als auch
zur gegenwärtigen populären Kultur dar.
6.3.1 Soziale Grauzonen: Künstlertum und Prekariat
Der Hallraum Jeff Koons lässt sich also in Bezug auf Goetz’ Stück auf
mehreren Ebenen orten. Einerseits stellt Goetz Koons als paradigmatischen
Künstler der sowohl das „Modell eines freien Unternehmers“458 als auch
den Künstler als „Inbegriff des Verrückten“459 darstellt und im Laufe seiner
Künstlerbiographie die Kurzlebigkeit von Erfolg am Kunstmarkt aufgrund
der wechselhaften Launen seiner spendablen Käufer und Gönner
(beispielsweise Charles Saatchi) kennenlernte. Im Stück ist diese Nähe und
Parallelität dadurch markiert, dass gesellschaftlich funktionale Bereiche, wie
etwa Kunstproduktion (Atelier) und Kunstevents (Vernissage in der Galerie)
neben prekären Sphären und Randzonen gesetzt werden, beziehungsweise
sich überlappen, wie etwa wenn die Außenseiter oder Gescheiterte als die
„Gebückten vom Görlitzer Bahnhof“460 betitelt auf die Vernissagebesucher
treffen; oder mehrmals auch die Exklusivität von sozialen Szenen
thematisiert wird, wie etwa anhand des Reinkommens in den Club.
Beispielsweise wird in der 15. Unterszene „Türe“, die sich vor dem Club
abspielt, auf Exklusivität verwiesen, die automatisch auch ein Draußen
markiert. Während Gäste abgewimmelt werden, weil sie nicht auf der
Stammgästeliste stehen, wird den Mitarbeitern von Burda oder Springer der
Eintritt gewährt. Im übertragenen Sinn übt Goetz hier auch Kritik an einem
gesellschaftlichen System, das klar den Vertretern der richtigen Stellen
vorbehalten ist:
„wie war dein Name? / Wagner / Wagner? / ja / tut mir leid, habe ich nicht da / [...]
von Burda?, [sic!] von Springer? Das ist ja geil / und jetzt hauen Sie mal ab hier
bitte / Sie stören mich nämlich / bei der Arbeit“461
458
Diederichsen, Eigenblutdoping, S. 182.
Ebd.
460 Goetz, JK, S. 57.
461 Ebd., S. 27.
459
122
Im chronologisch 3. Akt mit dem programmatischen Titel „Draußen“
mischen sich Sozialkritik mit breitgefassten Momenteindrücken und
Reflexionen. Von trivialen und saloppen Gesprächen und Streitigkeiten
darüber, wer von den unter Drogeneinfluss stehenden „Gebückten vom
Görlitzer Bahnhof“ den nächsten Wein besorgt, geht die Passage über in die
Sicht der Beobachtung dieser Szenen und mündet schließlich in abstrakte
Reflexionen über Sprache und Rede sowie Kunst seitens des Künstlers. In
der 2. Unterszene desselben Aktes „Die Gebückten vom Görlitzer Bahnhof
marschieren auf“ ist die Sprecherposition zunächst aus der Sicht derer
markiert, die sich „vor der Palette“, also vor dem Lokal aufhalten („was
wollen die denn hier? / wo? / da / keine Ahnung / die wollen hier rein /“)462
und dort auf die „Gebückten“, sprich eine Gruppe Drogenabhängiger,
treffen.
Die Sprechinstanzen gehen darauf über zur Perspektive Letztgenannter:
„[G]eh mal weg / du Penner / lass mich mal durch hier / du Arsch / willst du
was in die Fresse? / wie bitte, was? / das kannste [sic!] haben hier / bitte“463.
Schließlich wird wieder in eine beobachtende Sicht gewechselt („er tritt ihn
nieder / er haut ihn kaputt / er tritt auf ihn ein / er schreit und er röchelt
//464), bis der Akt von der Bewegung her immer mehr hin zu abstrakten,
verselbstständigten und traumhaften Gedankengängen tendiert, in denen die
Sprecherinstanz unklar ist, wie etwa in der 5. Szene „von unten“:
„Hat der Kosmos einen Sinn? / Von der Hölle her gesehen? / Schwer zu sagen, was
meinst du? / Ich dachte, die Hölle würde da dazu gehören, / ganz normal, zum
sogenannten Kosmos, / dass wir das praktisch wären hier. / [...] Nee, wieso denn,
Quatsch. Wir leiden doch nicht nur, / wir dichten uns doch ganz gut ab, / bis die
Distanzen stimmen, / [sic!] findst du nicht? / Kommt Weitblick auf die Art,
oder?“465
462
Goetz, JK, S. 57.
Ebd.
464 Ebd.
465 Ebd.
463
123
Schließlich wird gegen Ende des Aktes hin anhand der 9. Szene „Die
Nacht“ wieder die soziale Diskrepanz thematisiert, wobei immer weniger
klar nachvollziehbar ist, von welcher „Szene“ hier exakt die Rede ist, wenn
es beispielsweise heißt:
„So saßen sie da also da, genau. / So saßen sie und tranken, / sie tranken Bier und
Wein. [...] Sie sahen, wie die Leute aus der Oper kamen. / He [sic!] Cheff, hast du
vielleicht für uns ne Mark? / [...] Sie kriegten frisches Geld geschenkt, / sie
schenkten selbst dafür ihr Elend her, / als Gegengabe fürs Gemüt / der Reichen und
Begüterten. [...] Sie redeten und redeten, schau mal, / sagte einer. Wo denn? Da.
Ach der da. I. / Was ist denn das? / Der ist bestimmt ein Künstler, / sowas sehe ich,
ich seh das gleich, / dass das ein Künstler ist, / das sieht man denen an, / ich sehe
sowas, echt. / Ein Künstler, Gott, / du liebe Güte, Künstler. / Was muss das nur für
ein Leben sein?466
Dieses Aufeinandertreffen vermeintlich abgegrenzter sozialer Sphären
macht das Paradoxe der Überlappung sichtbar. Hier blitzen die Ränder des
Systems auf, indem die Perspektive sozial Außenstehender eingenommen
wird, die dem bürgerlichen und finanziell abgesicherten Publikum der
Hochkultur gegenüberstehen. Dazu gehört laut dieser Szene auch der
(erfolgreiche) Künstler, der hier keineswegs die Position eines Außenseiters
einnimmt. Dass die Selbstinszenierung als zentrales Wesensmerkmal dieses
postmodernen Künstlertypus hier angedeutet wird, kann als ironischer oder
zynischer Meta-Kommentar seitens Goetz gewertet werden, zumal dies auch
bei seiner Künstler-Persona eine relevante Rolle spielt.
6.3.2 Affirmative, affektive Pop-Ethik á la Koons als Antwort?
Die Verbindung und Wahl von Jeff Koons als Titel des Stücks ist zum einen
also durch das motiviert, was dieser als Künstlersubjekt hinsichtlich der
zeitgemäßen
Selbstvermarktungsmechanismen
der
Kunstproduktion
präsentiert und zum anderen auch durch Goetz’ Bezug zu einer dem Ethos
des Pop verpflichteten Kunst auf poetologischer Basis. Goetz und Koons
scheinen eine ähnlich sozialromantische und bejahende Auffassung der
Ethik von Pop-Kunst zu teilen. Koons sieht seine eigene Kunst als sinn- und
466
Goetz, JK, S. 66f.
124
kritikfrei, die dem Rezipienten von sich aus keine eindeutigen Botschaften
liefern soll. Viel eher geht es um einen sinnlichen, emotional geleiteten,
nicht intellektualisierten Kunstzugang, demzufolge Kunst in affektiver
Manier intuitiv Bilder und Archetypen aus dem Unterbewusstsein
hervorrufen und ein wohliges Gefühl der Harmonie beim Rezipienten
auslösen soll.467 Koons Kunstbegriff basiert auf der „Akzeptanz aller
Phänomene“468, was Andy Warhol ebenso propagiert hat und nach Koons
bereits in Duchamps Werken verankert ist:
„Duchamp würde hier von Indifferenz sprechen. Man hält Duchamps Werk, soweit
es um die Tradition des Ready-Made geht, für esoterisch, aber in Wahrheit geht es
um Akzeptanz, das Zurückhalten von Urteilen und die Befreiung der Dinge aus
einer Position, in der sie normalerweise, in einem bestimmten System abgelehnt
werden.“469
Diesem Kunstverständnis nach ähnelt der Pop-Begriff von Koons dem von
Goetz. Bei beiden sind in Bezug auf das Verhältnis von Kunst und Leben
die Bearbeitung und der Einbezug von bereits vorhandenen Ready-Mades
sowie der mediale Selbstbezug Ausdruck und Ausgangspunkt für einen klar
strukturierten und zugleich drastischen Formalismus mit idealistischer,
sozialromantischer Ausrichtung. Martin Jörg Schäfer bezeichnet die PopPoetik sowohl von Koons als auch von Goetz als „Fantasy Realism“470.
Die Ausstellung Jeff Koons. Celebration in Berlin (31. Oktober 2008 - 8.
Februar
2009,
Neue
Nationalgalerie,
Berlin)
im
gleichnamigen
Ausstellungskatalog zeigt Koons’ grellbunte Neo-Pop-Kunst verchromter,
überdimensionaler Spielzeugfiguren und jahrmarktüblicher Geschenkartikel
aus Stahl, die einen starken autobiographischen Bezug aufweisen.471 Die
467
Vgl. Hüsch, „Archetypen zum Überleben“, S. 43f.
Koons, Jeff im Gespräch mit Peter-Klaus Schuster, in Jeff Koons. Celebration.
Ausstellungskatalog. Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, 31.10.2008 –
08.02.2009, Hg. Anette Hüsch, Ostfildern: Hatje Cantz 2008, S. 16-31, hier S. 24.
469 Ebd.
470 Vgl. Schäfer, Martin J. „Fantasy Realism: Rainald Goetz, Jeff Koons, and the Ethics of
Pop Art“. Germanic Review 81(3) 2006, S. 255-268, Indexblatt.
471 Vgl. Hüsch, „Archetypen zum Überleben“, S. 41f.
468
125
Serie Celebration (1995-1998)472 wurde direkt im Anschluss an die Serie
Made in Heaven konzipiert und thematisiert vor allem den Sorgerechtsstreit
um den gemeinsamen Sohn von Koons und Illona Staller. Die Serie mit den
überdimensionalen Spielzeugfiguren wird nach Anette Hüsch durch die
große geografische Entfernung zwischen Vater und Sohn, welcher mit der
Mutter aus den USA weggezogen war und zum Zeitpunkt der Konzeption
der Serie in Italien lebte, zum mächtigen Symbol für die Sehnsucht des
Vaters nach seinem Kind. Goetz würdigte in einem Textbeitrag des
Ausstellungskatalogs diese Arbeiten Koons mit wortmalerischen Mitteln.
Darin bringt er sowohl seine Bewunderung für diese Weltbejahung sowie
den Wunsch nach maximaler Gegenwärtigkeit, in der sich Rezeption und
Produktion treffen, als auch die Betonung des Bunten und Vielfältigen der
Formen zum Ausdruck. Es geht letztendlich um die Feier der Kunst und des
Künstlers als affirmativen Spiegel der Welt. So heißt es in dem für Goetz
typisch in freien Versen verfassten lyrischen Text:
„ich nahm die hintere ausfahrt / der vorderen Rolle, den gelben Alarm / die trübere
Watte, gestrüpp im gebüsch / gewellt die bewegte, mit schlieren verziert // ich hatte
die tiefe von unten gehalten / die rote mit leichtsinn geführt / und die, die die nächste
bebriefte wäre / bestrichen, besaitet, berührt // den schluck gezwitschert, den jasatz
gesagt / den fernblick empfangen, die öffnung gefühlt / ich hatte die letzte sekunde
geleuchtet, geperlt / und den sie verpeilte, befeuchtet, zerwühlt // jetzt kleine
imperfekte verwiesen / den schlagbaum vor klage, noch einmal / nur diese wiesen
gepriesen, belaufen / den mai hier gefeiert, gelebet, geliebt //“473
Der flockig leichte Text liest sich als Feier der Opulenz, des Übergroßen
und der Oberflächen sowie des Heiteren und Leichten, wie sie die
verchromten, übergroßen, spielzeugähnlichen Figuren von Koons darstellen.
Dabei imitiert Koons nicht exakt wie Warhol Alltags- und Konsumobjekte
und stellt sie als Ready-Mades in einen Kunstkontext; bei Koons ändert sich
auch die Beschaffenheit des Objekts was Material und Größe angeht:
Beispielsweise wird aus einem aufblasbaren Hasen eine Hasen-Skulptur aus
472
Koons, Jeff, Celebration, http://www.jeffkoons.com/artwork/celebration, 10.01.2016.
Goetz, Rainald, „jeff koons“, in: Jeff Koons. Celebration. Ausstellungskatalog. Neue
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, 31.10.2008 – 08.02.2009, Hg. Anette Hüsch,
Ostfildern: Hatje Cantz 2008, S. 33.
473
126
Stahl und stellt so eine Diskrepanz zwischen der makellosen Oberfläche und
dem schweren Inhalt, also zwischen Sein und Schein, her. Skulpturen aus
der Serie Celebration, wie etwa Balloon Dog, werden zu einer „Metapher
für das pralle Leben, die den Moment des Einatmens als Ausdruck höchster
Vitalität fixiert“474. Andere wiederum, wie etwa Diamond oder Hanging
Heart, sollen den Betrachter mit ihrer leuchtenden Strahlkraft der Farben
und glänzenden Außenflächen, auf denen sich Bilder des Umfelds
anamorphotisch und kaleidoskopisch spiegeln, verführen. Mit dieser Serie
wird auch der Höhepunkt von Koons’ Drang nach Vitalität bei absoluter
Perfektion assoziiert, was zugleich durch die Schwere und Leere, die von
den übergroßen Objekten ausgeht, konterkariert wird.475
In Goetz’ Text zu Koons’ Kunst sind es vor allem Ausdrücke des haptischen
Erlebens und vielseitiger Sinneseindrücke („bestrichen, besaitet, berührt,
zerwühlt, befeuchtet“), die jene Sehnsucht nach Glanz, Opulenz und
Perfektion hervorrufen. Alliteration, klanglautliche Zuspitzung („gefeiert,
gelebet, geliebt“) und die Ausreizung tautologischer Varianten („bestrichen,
besaitet,
berührt“)
unterstreichen
dies.
Die
typographische
Gleichbehandlung aller Wortarten betont die Gleichstellung aller Formen
und zeigt derart Analogien zu Koons’ Selbstverständnis hinsichtlich der
bewussten affirmativen Verwendung und Gleichstellung von Konsum- und
Massenartikeln einerseits und tradierten Formen, Ikonen und Symbolen aus
der Kunstgeschichte andererseits.
Was wiederum das Stück Jeff Koons angeht, rufen die vorangehenden
Mottos zu den Akten im Stück konkrete Kunstwerke von Koons auf. Dabei
handelt es sich um die Kunstwerke „Saint John the Baptist, New York
1989“476 (Motto des 1. Aktes, „Dritter Akt“) sowie „Hand on Breast, 1990,
474
Hüsch, „Archetypen zum Überleben“, S. 47.
Vgl. Ebd., S. 46.
476 Goetz, JK, S. 13.
475
127
244 x 366“477 (Motto des „Sechsten Aktes“), welche im Folgenden versucht
werden in Bezug auf das Stück aufzuschlüsseln.
Das vorangehende Motto zum 1. Akt „Saint John the Baptist, New York
1989“478 bezieht sich auf den Titels eines Kunstwerk von Koons aus der
Skulpturen-Serie Banality (Köln, NY, Chicago 1988), deren Skulpturen sich
an der Bildsprache der Renaissance orientieren. Das Werk ist an der
Darstellung von Johannes dem Täufer von Leonardo Da Vinci angelehnt.
Koons übernimmt den Typus Johannes des Täufers aus einem Gemälde
Leonardo da Vincis für diese aus Porzellan gefertigte Skulptur, so zitiert er
die Pose und den auf das Kreuz deutenden Zeigefinger des Täufers. Koons
ergänzt diese Darstellung durch einen roten Pinguin und eine Sau, die der
Täufer neben dem Kreuz mit seinen Armen umfasst. In dieser Aufmachung
der Verquickung von religiöser Personifizierung der Erneuerung und
kitschigem Warenfetisch wird Koons’ Johannes der Täufer vom Propheten
der Endzeit und Wegbereiter der christlichen Religion zum Prediger der
„unbekümmerten und zugleich teuflischen Verbindung von Heiligem und
Profanem“479, so Kunstkritikerin Regina Hackett.
Das als Motto und Assoziation vorausgeschickt, changiert der erste Akt, der
vor und in einem Club spielt, zwischen der Darstellung von trivialen
dialogischen Passagen im lauten Techno-Club („Das ging aber schnell / Und
Jetzt? [sic!] / Bisschen eng. Ist doch schön.“) und Wortspielereien und
freien Gedankenassoziationen, die der vibrierenden, nächtlichen, nur mehr
halb nüchtern wahrgenommenen Clubatmosphäre nachempfunden scheinen.
Szenen, wie etwa „let the bass kick“480 unterstreichen die akustische
477
Goetz, JK, S. 133.
Koons, Jeff, St. John the Baptist,
www.jeffkoons.com/artwork/banality/st-john-the-baptist, 22.10.2015.
479 „The piece is an insouciant yet sinister conflation of the sacred and the profane“,
Hackett, Regina, „Restorer rescues ‚Saint John’ after Koons’ sculpture is damaged“,
www.seattlepi.com/ae/article/Restorer-rescues-Saint-John-after-Koons-1142488.php,
Seattle News, Stand: 18.04.2004, 02.10.2015.
480 Goetz, JK, S. 17.
478
128
Nachempfindung der Geräusch- und Musikkulisse im Club. Zwischen
lautmalerischer
Nachahmung
der
vibrierenden
Bass-Drum
sind
Gesprächsfetzen eingefügt:
„bum / tscha bum / tscha bumm tscha / bum // verstehe // tscha bumtscha bum / bum
bum / bum / tscha bumm //“481
Zwischen den Momentaufnahmen im Club mischen sich immer wieder
Reflexionen über Kunst, den Künstler und die Genese von Kunst. So heißt
es etwa in der 7. Unterszene „An der Bar“:
„Wir reden über / Technik, Graphik, Bau. / Konzept der Konkretion. / Kritik an
Politik. / Die Größe, welche Sprache, welcher Sinn. / Debatte, Diskussion.
Methodenstreit. / Gemalte Worte, welcher Farbe, welche Schrift. / [...] Wir reden
über Fragen und die Rede, / die sich so motorisiert. Vielleicht schon falsch. / Wir
sind nicht sehr präzise, das steht fest. / Es geht um ein Probieren, im Tasten und
Verwerfen, / um Zukunftsakte im Moment der Gegenwart. / Um etwas also, was wie
kommt, wenn wir uns / so und so nach dahin öffnen.“482
Dabei wird im Laufe des Aktes immer deutlicher, dass hier ein Künstler im
Fokus steht, der im Club vor sich her und mit anderen über Banales wie
auch Künstlerisches sinniert. Viele Club-Passagen gestalten sich als
Verschnitt des flüchtigen Lebensstils anhand von minimalistisch gehaltenen
Strophen
aus
freien
Versen,
die
anhand
von
Wiederholungen,
Aufzählungen, Kalauern („wer nichts wird wird Wirt483) und abgehackten
Sätzen rhythmisiert werden oder aus fragmentarischen flapsigen Dialogen
bestehen, die oft nur in der Art der Silbenanzahl der Versreihen variieren.
Es mischen sich saloppe Ausdrücke aus der Umgangssprache unter und
elliptische Satzkonstruktionen ahmen ebenso die Prosodie des Mündlichen
nach. So heißt es in Szene Nr. 10. Boden:
„Kippen und Asche / Dreck und Beton / Schuhe und Stiefel / Füße und Frauen [...]
gib mal das Koks / willst du schon gehen? / lass mal hier kiffen / hast du noch ne
Pille //““484
481
Goetz, JK, S. 17.
Ebd., S. 18f.
483 Ebd., S. 25.
484 Ebd., S. 21.
482
129
Ähnlich so auch in Szene 14.:
„Gesang vom Kummer / Gebet an die Nacht / Gebückt in die Jahre / Betrübnis
bedacht // Vergangen / Verhangen / verstört / und besaitet //“485
Diese Anordnung flapsiger Gesprächsfetzen lässt an eine schummrige
Partyatmosphäre im nächtlichen Club denken. Auf die Genese von Kunst
bezogen, könnten diese Szenen des ersten Akts auf das diffuse
Anfangsstadium eines kreativen Arbeitsprozesses hindeuten. Des Weiteren
stellt Goetz hier auch die Verschränkung von Profanem und Tiefsinnigerem
dar, was wiederum eine Verbindung zu Koons’ Täufer-Darstellung
suggeriert. Dies zeigen auch die Wortaufzählungen in den Dreierstrophen
der 13. Unterszene, deren Titel „Gästeliste“486 programmatisch wirkt. Es
wird hier wiederum auf Koons, seine Kunst und dessen marktnahen
Kunstkontext Bezug genommen. Des Weiteren bringt sich Goetz auch selbst
(„DER SCHREIBER“) ins Spiel:
„DER JUNGE / DER ALTE / DER MITTLERE MANN // DIE SÜSSE MAUS /
DAS WILDE HÄSCHEN / DAS BUSCHIGE KÄTZCHEN // DER HEILIGE
JOHANNES / DER ENGLISCHE BOBBY / DAS TIERCHEN AUS STOFF //
SCHREIBER / MALER / MUSIKER // PRESSE / GELD / PUBLIKUM // DAS
HOHE GERICHT / DER JÜNGSTE TAG / DER URTEILSSPRUCH // WELT /
ALL / KOSMOS“ [Hervorh. im Orig.]487
6.4 Nichtlinearität und abstrakte Performativität
Als zweiter Fokus der Analyse werden nun die sprachlichen Formen
abstrakter Performativität und Intermedialität im Stück Jeff Koons
eingängig geprüft und deren Verfahrensweisen dargelegt. Anhand von
verschiedenen Kippfiguren, rhetorischen Figuren der Inversion und der
intermedialen Annäherung an bildkünstlerische Verfahren soll gezeigt
werden, wie Diskrepanzen und Dichotomien dazu verwendet werden, um
mehrdeutige Szenarien und Lektüren zu schaffen. Es interessiert hier
485
Goetz, JK, S. 27.
Ebd., S. 24.
487 Ebd., S. 24f.
486
130
insbesondere, inwiefern diese Verfahren verschiedene Erscheinungsarten
von Theatralität als Bühne der Wahrnehmung für Sprache darstellen.
6.4.1 Kippfiguren und Vexierbilder
Die von Rhythmisierung und Lautmalerei durchzogene Sprache dient bis
zum chronologisch 3. Akt „Draußen“488 vorzugsweise der konkreten
Illustrierung
konkreter
Orte
(Club
und
Bett)
und
Darstellung
zwischenmenschlicher Interaktion und Atmosphäre. Ab dem 3. Akt kippt
sie zunehmend ins Abstrakte, wobei sie dennoch noch eine buchstäbliche
Ebene beibehält. Bereits der Titel des Aktes „Draußen“ kündigt die nun
verstärkt einsetzende Mehrdeutigkeit der wörtlichen Ebenen an. Wie bereits
zuvor in der Analyse erläutert wurde, ist mit „Draußen“ zunächst der Ort
vor dem Club gemeint, an dem sich die Fixerszene („DIE GEBÜCKTEN
VOM GÖRLITZER BAHNHOF“489) aufhält. Wie sich im Geplänkel über
Sinn und Unsinn des Kosmos herausstellt, sind Drogen ein altbewährtes
Mittel zur Bewusstseinsdistanzierung („Wir leiden doch nicht nur, / wir
dichten uns doch ganz gut ab, / bis die Distanzen stimmen, / findest du
nicht?“490). Die konkret umgesetzte Distanzierung erfolgt in der darauf
folgenden Szene, die als traumartige Sequenz an die vorhergehende Szene
anschließt („Gehst du schwimmen? / Nee, schlafen //“491) und in eine
Sprachreflexion- und Spielerei überführt wird.
6.4.1.1 Rede / Schrift
In diesem Abschnitt wird das zwiespältige, konkurrierende wie infektiöse
Verhältnis von Rede und Schrift, Mündlichkeit und Schriftlichkeit auf
gegenseitige Überschreitung getestet. In der chiastischen Durchkreuzung
verschränken sich die räumlichen Perspektiven Innen und Außen sowie
Sinnliches und Sinnhaftes. Es besteht dadurch sowohl die Möglichkeit einer
488
Goetz, JK, S. 53.
Ebd., S. 57.
490 Ebd., S. 60.
491 Ebd.
489
131
wörtlichen Leseart des Abschnitts als trivialer Lustszene oder aber auch eine
metaphorische Leseart, nach welcher die Szene das symbiotische Verhältnis
von Rede und Schrift darstellt. So heißt es in der darauffolgenden Szene “6.
rote grau”492
„Wer bist du? / Ich bins [sic!]. / Finde ich gar nicht. / Moment mal. / Das ging mir
jetzt zu schnell. // Dann kommt die andere dazu, sie sagt, / sie sei so rau. / Ach,
echt? Tut das denn weh? / Sie sagt, sie sage nichts, sie rede nur, / sie habe nichts zu
sagen hier. / Versteh ich nicht, meint er, wieso, und sie, das sei vom
Innenstandpunkt her / gesehen typisch dann. / Dann wird zu man, die braune grau, /
verstehe er, sie führt ihn ein, ins Au, / hinaus ins Aus, des äußeren der Laute Haut, /
geäußert so. Ein Ah, aha, verstehe, er und sie, / sie weiche nicht. Im schon ein
schön, / so ineinander, sie. // Die Sprache, sie brach sie, sie nahm sie, wie jede. / Sie
sagte zur Rede, sie lebe. / Sie gehe und laufe, sei nicht so fest, / sie lasse das Nasse,
sie trinke, er auch. / So sinke, sie weiche, er schweige schon offen / der Sprache
gefolgt, gebrochen, im Trieb. // Er nimmt die Puppe, / sie ist jetzt elf, / er findet das
toll, / er hat einen Finger. // Er dachte, er liebt sie, / sie fühlt sich berührt, / sie sind
jetzt alleine, / sie hat irgendwas. // Das ist doch eine schöne Sache. / Gefall ich dir? /
Und wie, mein Schatz, / mach mal / die Beine breit, / dann schau ich kurz genauer
nach. // Au ja, / toll.“493
Das buchstäblich körperliche Aufeinandertreffen und Ineinander von Schrift
und Rede, das genauso gut eine etwas stilisierte Fortführung der Szene des
vorhergehenden Aktes vom berauschenden Liebesglück im Bett sein
könnte, ist an dieser Stelle abstrahiert und stellt als solches die produktive
Verbindung von Schrift und Rede dar. Dabei betont die personifizierte
Stimme der indirekten Rede den Standpunkt der Flüchtigkeit und
Bedeutungslosigkeit vom mündlichen Sprechen („Sie sagt, sie sagte nichts,
sie rede nur, / sie habe nichts zu sagen hier. /“494). Die zunehmende
Verwirrung und Verwobenheit der konkreten und übertragenen Ebenen
mittels rhetorischer Figuren der gelockerten Wiederholung (Verschiebung)
sowie Umstellung (Überkreuzstellung der Satzglieder) und Weglassung
(Syllepsis: Worteinsparung) („verstehe er, sie führt ihn ein, ins Au, / hinaus
ins Aus, des äußeren der Laute Haut, / geäußert so. Ein Ah, aha, verstehe,
er, du sie, sie weiche nicht. Im schon ein schön, / so ineinander, sie. //“495)
492
Goetz, JK, S. 61.
Ebd.
494 Ebd.
495 Ebd.
493
132
führen zur Verdichtung der Satzglieder und semantischen Durchdringung,
aber auch zur semantischen Unschärfe als Effekt der von Sprache
durchdrungenen Rede, in dem Fall. Wie in der folgenden Strophe ersichtlich
wird, wirkt sich diese Durchdringung beflügelnd auf Sprache und Rede aus,
wie anhand der lautlichen Übernahme und sich wiederholenden
akzentuierten Emphase der Übernahme und Berührung gezeigt wird:
„Die Sprache, sie brach sie, sie nahm sie, wie jede.
Sie sagte zur Rede, sie lebe.
Sie gehe und laufe, sei nicht so fest,
sie lasse das Nasse, sie trinke, er auch.
So sinke, sie weiche, er schweige schon offen
der Sprache gefolgt, gebrochen, im Trieb.“496
Dieses verdichtete Ineinanderschieben lässt Doppelbedeutungen und
Mehrdeutigkeiten entstehen, die nicht vollständig aufgelöst werden
können.497
Als
skurrile
Verschränkung
der
thematischen
Motive
„körperliche Vereinigung“, „Durchdringung von Innen und Außen“ und
„Rede und Schrift“ sowie „Mensch im Rausch, der mit einer Puppe spielt
und auf sie sexuelle Gelüste projiziert“, stellt sich ein ironischer Effekt im
Ganzen her, da die Kontraste der Ebenen nicht größer sein könnten. Nach
Wolfgang
Groddeck
sind
solche
Kippbewegungen
dazu
da,
die
„Durchdringung ganz heterogener Texte“498 zu erzielen. Solche Figuren
seien vor allem vor dem Hintergrund der Intertextualitätstheorie
Paradebeispiele dafür, dass hier Stilfiguren über rhetorische Effekte
hinausreichen und semantische Mehrdeutigkeiten kreieren würden.499
6.4.1.2 Kunstgenese / Theater / Schreiben
Mehrdeutigkeit erzeugt im 4. Akt („Zweiter Akt“500) auch der häufige
Perspektivenwechsel. Viele Passagen können sowohl als dialogische wie
496
Goetz, JK, S. 61.
Vgl. Groddeck, Wolfgang, Reden über Rhetorik. Zu einer Stilistik des Lesens, Basel:
Stroemfeld 1995, S. 178.
498 Ebd.
499 Vgl. Ebd.
500 Goetz, JK, S. 71.
497
133
auch als monologische gelesen werden, was Grund zur Annahme gibt, dass
der Text hier sowohl einen potenziell inneren, als auch äußerlichen Konflikt
vorantreibt. Es geht um den Künstler, aber auch um das Vorantasten und
Verwerfen
im
kreativen
Schaffensprozess,
dessen
unterschiedliche
Entwicklungsstufen hier durchgespielt werden. Streckenweise weckt der
von Brüchen gezeichnete Schaffensprozess auch die Assoziation zu einer
kollektiven kreativen Arbeit, was beispielsweise an den Entstehungsprozess
einer Inszenierung am Theater denken lässt. Im Laufe des Aktes verdichtet
sich Sprache immer stärker, sprich, sie wird mit jeder Unterszene auch
immer körperlicher und abstrakter, was schließlich in der textlichsprachlichen Adaption bildkünstlerischer Verfahren kulminiert.
Der Akt beginnt damit, dass der Künstler in der Unterszene „heute
morgen“501 in der morgendlichen Frische im Studio eine Idee hat, die er
sogleich zu Papier bringt: „ich glaub / ich hab gerade / einen Einfall“502. Die
Passagen von Ich-Kommentaren und personaler Erzählsicht wechseln sich
dabei ab:
„er nimmt Papier zur Hand / man sieht ihn kritzeln / Frage: / was notiert der
Künstler da? / man sieht die Seide seines Morgenrocks / den feuchten Glanz des
Porzellans / das Schimmern der Karaffen“503
Die Beschreibung geht so weit, dass sie das Bild, die Sicht auf den
entwerfenden, feilschenden Künstlers fokussiert:
„der Künstler ist voller Tatendrang / er freut sich seines Lebens / sieht die Gestalt
des neuen Werks vor sich / ein neues Ding, der er schon ist / das nur noch schnell
durch ihn hindurch / für alle sichtbar werden muss / was heißt da: muss / er will es
halt, er denkt, das wäre toll / für alle und für ihn, das sieht man jetzt / man sieht
ihn dieses Denken denken // toll toll toll //“504
Am weiteren Ort des Ateliers folgt die Besprechung der Idee, was insofern
Rückschlüsse zu Jeff Koons liefert, als jener seine Kunstwerke nur
501
Goetz, JK, S. 74.
Ebd., S. 75.
503 Ebd.
504 Ebd., S. 77.
502
134
konzipiert, sie aber von einem Team an Angestellten anfertigen lässt („lässt
den angestellten Unterkünstler kommen / erklärt ihm neue Pläne, neue
Absichten, Ideen /“505). Bald wird präzisiert, dass es nebenbei auch um
„sieben riesen Bilder“506 geht, die zur Neuöffnung der „Hetzlergalerie“507
noch fertigzustellen sind. Passend zum Arbeitsalltag des Künstlers muss er
zwischendurch ein Interview geben, das jedoch nur angedeutet wird und
fragmentarisches Geplänkel bleibt: „nein aber / ich uns doch / wir sollten /
Sie haben // bis morgen // bestimmt“508. Es folgen Bilder und Gedanken, die
der Künstler im Traum hat, die auf eine noch unausgereifte Idee hinweisen:
„Der Künstler sucht in sich und findet nichts, er spürt den vorigen
Gedanken wieder, es ist ein Unsinn alles, was ich mache, Fehler, was hier
vorgeht, Quatsch, kaputt vorbei.“509 In der Hitze des Augenblicks oder im
traumhaften Zustande der 8. Szene „offener Garten“510 wird nun die
sexuelle Vereinigung des Künstlers und seiner Gefährtin geschildert, aus der
ein Sohn hervorgeht. Hier werden Bezüge zu Jeff Koons’ Serie Made in
Heaven (1989) offenkundig, wie etwa durch das als Motto am Anfang des 6.
Aktes zitierte Kunstwerk von Koons „Hand on Breast, 1990, 244 x 366“511,
welches wiederum starken biografischen Bezug aufweist: Aus der Ehe und
Beziehung zu Illona Staller alias La Cicciolina, einem italienischen PornoStar, ging ein Sohn hervor.512
Der Reifeprozess der Idee setzt sich in den folgenden Szenen „9. Bei
Tisch“, „10. Widerspruch“ und „11. Konzentration“ fort und das Ziel der
konkreten, technischen Umsetzung nähert sich, wovon die Szene „13.
Arbeit“ handelt:
505
Goetz, JK, S. 79.
Ebd., S. 81.
507 Ebd.
508 Ebd., S. 84.
509 Ebd.
510 Ebd., S. 85.
511 Ebd., S. 133.
512 Vgl. Hüsch, „Archetypen zum Überleben“, S. 41.
506
135
„Ziel wäre oder ist die Absicht / Perfektion und Fertigkeit / [...] die Meisterschaft
des Handwerks / zu dem Endpunkt bringen /“513.
Darin wird auch angegeben, wovon die Bilder handeln sollen:
„im Augenblick beschäftigt ihn / die Welt der frühen Jahre / die Zeit der Schau, des
Staunens und des Tastens / die Zeit von Angst und Kümmernis / Besänftigung und
Trost / die Zeit, wo Worte magisch wirken können / wo Ruhe wird in einem, wenn
einer / ganz ruhig Ruhe sagt / [...] die Bilder handeln nebenbei auch vom Format /
von Größe, Gegenteil und Rückbezug auf Potenzialität / im Sinne von Einsicht / [...]
es geht ja um die Sicht / aus einer allgemeinen Perspektive / um das, was jeder
kennt“514
Die Phase der Kunstgenese wird im Laufe des Aktes etwas intensiver, da es
um das Ausformulieren und Weiterentwickeln einer Idee geht. Es wechseln
sich nun monologische Abschnitte aus Sicht des Künstlers mit längeren
objektiven Beschreibungen der Szene ab:
„sie bringt das Frühstück
golden beginnt der Tag
herrlich, neu, leicht
er springt aus dem Bett
ein Riesenraum
die Morgensonne lacht
er lacht
wie sagtest du
so völlig richtig eben?
er hat die Zeitung in der Hand
[...]
er kratzt sich kurz am Kopf
kratzt sich am Hals
er ist erregt im Augenblick
Moment, er hat Idee, Idee?
Woher, wie viel, warum?, Moment
ich glaub
ich hab gerade
einen Einfall
was war das für ein Ding eben
der Einfall, die Idee?“515
513
Goetz, JK, S. 90.
Ebd., S. 92.
515 Ebd., S. 74f.
514
136
Der weitere Verlauf der 4. Unterszene zeigt jedoch, dass die längeren
Abschnitte ebenso als innere Monologe der Künstlerfigur und nicht nur als
Beschreibung von außen gelesen werden könnten. Dementsprechend wird
dadurch die Frage aufgeworfen, inwiefern diese Abschnitte das Geschehen
beschreiben, kommentieren oder durchkreuzen. Wie etwa, wenn es heißt:
„ä ä
sehr geil
sehr ja ja
ja
er nimmt Papier zur Hand
man sieht ihn kritzeln
Frage:
Was notiert der Künstler da?
man sieht die Seide seines Morgenrocks
den feuchten Glanz des Porzellans
das Schimmern der Karaffen
man sieht die Hektik, sieht die Gier
mit der der Künstler trinkt, Kaffee, Orangensaft
er setzt die Tasse ab, wie war das eben noch?
er hatte doch gerade, er schaut jetzt in die Luft
nach oben, er scheint da was zu sehen
er tritt ans Fenster, lacht
und grüßt da draußen,
grüßt den Baum, ruft aus
ich habs
ich habe es
genau genau
er eilt zurück zu den Papieren
er murmelt etwas wie notieren, notieren
er tuts, er tuts, er denkt an Kleist
er braucht mehr Licht, die Zeit, die Zeit
er fühlt sich gut jetzt, ja
er sieht sich selbst in einer Welt
die nun, wie soll man sagen?
er lacht, er zuckt, ein gutes Zeichen
ja ja
ja ja“516
Gerade dieser letzte Abschnitt ist entschieden vieldeutig. Die sich
abwechselnden Passagen zwischen Innen- und Außensicht der Szene, in der
516
Goetz, JK, S. 75f.
137
der Künstler seine Idee aufschreibt, weist von seiner Anordnung her
Elemente eines kollektiven Arbeitsprozesses auf.
Nach Sibylle Peters könnte dies auch als Dialog zwischen Regie und
Schauspieler*innen verstanden werden, die sich auf einer Theaterprobe
befinden.517 Dabei könnten die längeren Abschnitte Anweisungen der Regie
sein und die kürzeren, mündlichen Einschübe die Antworten eines Akteurs,
wie etwa eines Schauspielers sein, der auf die Vorgaben des Regisseurs auf
einer Probe reagiert und umgekehrt. Die Lücken zwischen diesem
perspektivischen Hin und Her suggerieren nonverbale Aktionen und
Handlungen, die sich zwischen den wörtlichen Passagen abspielen. Dies
wiederum würde an eine Inszenierung denken lassen, in der die verbalen
Lücken der weißen Textseite mit anderen Möglichkeiten der Darstellung,
wie etwa Körpersprache, Bilder und Mimik u.ä. gefüllt werden könnten.
Aus dieser Sicht reflektiert das Stück auch immer wieder die Frage nach der
impliziten Theatralität518, welche im Text im Hinblick auf eine potenzielle
Bühneninszenierung zu verstehen ist, und zeigt, dass abseits von
konventionellen Dramenstrukturen auch texttheatrale, performative und
intermediale
Sprach-Verfahren
als
szenische
Vorgänge
auf
der
Theaterbühne gelesen werden können.
In weiterer Folge des Aktes zeigt sich ein neuer Aspekt, nämlich dass hier
von der Außenbeobachtung auf das Geschehen der Kunstgenese ziemlich
direkt auf den Akt des Schreibens am Text oder eben des Lesens
übergegangen wird, der sich gerade in dem Moment vollzieht. Dem Verlauf
des Abschnittes nach kommt es nämlich zu einer Bremsbewegung: Der Text
stockt und wird verneinend kommentiert, anstatt die Überlegung zu Ende zu
bringen.
517
518
Vgl. Peters, „Theater des Textes“, S. 137.
Poschmann, Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 44.
138
„man wünscht sich, dass die Künstler glücklich
wären, würden, oder etwa nicht?
dass sie so alles, auch das Schreckliche
erkennen, sehen und begrüßen könnten
um es so und dann, von dort, dadurch
nee nee
nein nein
ä ä“519
Es kommt hier also zu einem Umschwung, der sich auch im verstärkten
Gebrauch mündlichen Kommentierens niederschreibt („nee nee ä ä“). Hier
kommt also eine weitere ‚Szene’ zum Vorschein, nämlich die des
Schreibenden an einem Text, der gerade am Entstehen ist, als Szene des
Schreibens. Demnach bezieht sich also der imaginäre Kontext und Raum
des Künstlers auf die Wahrnehmung des Schreibens am Stück selbst und
wird so zur „Spur seiner Entstehung“520. In dieser Umkehrbewegung der
Inversionsfigur liest sich der Text als „Performance des Schreibens“521, die
anhand von Vor-, Brems- und Rückwärtsbewegungen den Fluss eines
reflexiven, nichtlinearen Denkprozesses wahrnehmbar macht. Das äußert
sich durch das sprunghafte Wechseln der Perspektiven Beschreibung /
Kommentar und Stocken / Bremsen und den sich dann wieder
vorantreibenden Sprach-gesten.
Theatrale Vorgänge im Sinne eines gemeinsamen Entwickelns einer
Inszenierung und einer imaginären Bühne des Textes, auf die eine Szene des
Schreibens projiziert wird, koexistieren hier. Oder wie Sibylle Peters es
beschreibt:
„Das intrinsische Theater des Textes und die Bühnenrealität möglicher
Inszenierungen sind in dieser Figur der Inversion zugleich unterschieden und
verbunden – sie geben einander statt, statt einander auszustreichen.“522
519
Goetz, JK, S. 76.
Peters, „Theater des Textes“, S. 138.
521 Ebd.
522 Ebd.
520
139
Insofern lässt sich die Frage im Text „was notiert der Künstler da?“ auch als
rhetorische verstehen, zumal damit auch die darauf folgende geschriebene
Szene gemeint sein könnte.
6.4.2 Bildkünstlerische Verfahren
Das Sujet der Konzeption des Kunstwerks geht anschließend im vierten Akt
in die Endphase, in der es zur konkreten handwerklichen Umsetzung
kommt, wie etwa die Titel der Szenen „Holzschnitt“523 und „Skulptur“524
suggerieren. Infolgedessen kommt es zur sprachlichen Umsetzung der
programmatischen Szenentitel: Die bildkünstlerischen Verfahren werden
anhand der lautsprachlichen und schriftgraphischen Gestaltung im Text
nachvollzogen. Hier kommt die Performativität des Bildkünstlerischen am
Text
verdichtet
zum
Tragen.
Verschiedene
bildkünstlerische
Formatvorgaben und Stadien, die der Genese von Kunst entsprechen, lassen
sich so als experimenteller intermedialer Ausgangspunkt sehen, um ein
jeweils
neues
„Formabstraktum“525
für
die
Schrift
zu
erproben.
Dementsprechend wird im Folgenden illustriert welche Entsprechung die
bildkünstlerischen Vorgaben Skulptur und Installation, Skizze, Holzschnitt,
wall of words und schließlich das fertige Bild (samt dessen Betrachtung) im
Text finden.
6.4.2.1 Skulptur und Installation
Im
16.
Abschnitt
„Skulptur“526
suggeriert
die
Sprachgestaltung
szenographisch eine Rundumbetrachtung, also eine räumliche Bewegung
um einen dreidimensionalen Gegenstand, wie etwa eine „Skulptur“:
„es geht
es geht
es geht
es geht
523
Goetz, JK, S. 96.
Ebd., S. 97.
525 Goetz, Abfall für alle, S. 66.
526 Goetz, JK, S. 98.
524
140
Moment
es hängt
es hängt gerade
okay
ich warte
Augenblick
wie stehts?
Momentchen noch
Moment
noch hängts
und jetzt?
wie gehts?
wie stehts?
es hängt
es hängt noch
jetzt
jetzt geht’s
es geht?
es geht
es geht
es geht
es geht527
Die räumliche Bewegung wird durch die Gleichheit von Anfang und Ende
sowie durch den Abstand zwischen einem blockartigen Absatz zum
nächsten unterstrichen. Gleichzeitig könnte es sich hier auch um das
Nebeneinander mehrerer ‚Bilder’ handeln. Genauer gesagt suggeriert der
Textinhalt, dass an der Stelle Bilder montiert werden durch das sich
wiederholende „es geht“ sowie durch den Satz „es hängt“. Das wiederholte
„es geht“ im Sinne des Kommentierens eines durchgeführten Vorgangs
könnte auf die Vorbereitung einer Ausstellung hindeuten, in der Bilder oder
Kunstwerke im Raum installiert werden. Auch der Platz zwischen den
Strophen und die vertikale Anordnung deuten auf verschiedene Etappen des
Installierens hin, die der Abfolge von Handlungsanweisungen folgen. Dieser
527
Goetz, JK, S. 98f.
141
Vorgang wird in der Szene nicht nur durch den Sinn der knappen Sätze in
der Szene angedeutet, sondern wird vor allem durch die sprachliche
graphische und rhythmische Anordnung performativ dargestellt.
Insofern ist die Assoziation eines „begehbaren Sprachraum[s]“528 oder die
These, dass dieser Akt als „Bilder einer Sprach-Ausstellung“529 gelesen
werden kann, durchaus nachvollziehbar. Dies wird auch durch die
Architektur der Aktstruktur geltend gemacht. Denn der chronologische 3.
Akt „Draußen“ und der 5. Akt „Nach der Pause“ scheinen sowohl aufgrund
inhaltlicher Abweichung, als auch durch die fehlende Nummerierung der
Akte eine Sonderrolle im Stück einzunehmen. Tatsächlich spielen sie für die
Entwicklung der Genese des Kunstwerkes im Stück keine Rolle. Dies
bedeutet, dass es laut jener Entwicklung also nur fünf relevante Akte gibt
und aus dieser Sicht wäre der chronologische vierte Akt (als „2. Akt“
betitelt) als arithmetische Mitte von fünf also Zentrum des Stücks. Der
räumlichen Vorstellung des Stücks nach würden die übrigen Akte demnach
um den 2. Akt kursieren. Ebenfalls könnte davon abgeleitet werden, dass es
gar keine Mitte im Stück gibt und die leere Mitte eine räumliche Tiefe
bedeutet. Jedenfalls kreiert diese Aktanordnung und Bezeichnung ein
Szenario,
das
dynamische
Bewegungen,
Vernetzungen
und
Querverbindungen evoziert und somit zu einem weiteren intratextuellen und
dramaturgischen Stilmittel wird. Zudem lässt das die Genese von Kunst
auch als zirkulären Prozess denken, der, kaum abgeschlossen, wieder zu
einem Anfang hinstrebt.
Von daher weist auch die Szene der „Skulptur“ neben ihrer intermedialen
Ausrichtung wiederum eine Kippfigur auf, die raumzeitliche Grenzen
aufhebt. Auch in diesem Abschnitt kommentiert sich der Text nach dem
viermalig wiederholten „es geht“ selbst („Moment / es hängt / es hängt
528
529
Stricker, Text-Raum, S. 295.
Ebd., S. 287.
142
gerade“) und beschleunigt damit deskriptiv die Schreibperformance. In
Anbetracht der Tatsache, dass in der Szene von „heute morgen“, in der die
Beschreibung des inspirierten Künstlers noch innerhalb derselben Szene in
einen
autokritischen
Kommentar
umschwappt,
zeichnet
sich
die
unterschwellige Mehrdeutigkeit hier erst als Folge der im anschließenden
Akt sich abzeichnenden Ausstellungseröffnung ab. Der doppeldeutige Satz
„es hängt gerade“ liefert einerseits den naheliegenden zeitlichen Bezug zum
Kunstwerk, das im Zuge der Ausstellung aufgehängt und begutachtet wird;
andererseits lässt sich das Wort „gerade“ auch als räumlicher Indikator
lesen, womit auch die graphische Strukturierung und Präsentation des
Textes ins Auge fällt.
Das heißt also, dass gemäß der intermedialen Sichtweise der Auslegung des
Abschnittes „Skulptur“ als Sprach-Raum nicht nur die These der BilderAusstellung durch die horizontalen und vertikalen Differenzen besonders
naheliegend scheint. Zentrum der Szene könnte auch der Künstler selbst
sein, zumal am Ende des Abschnitts, ähnlich wie in der Szene „heute
morgen“, die Rückkehr zur Situation der Schreibszene folgt, die also den
Schreibenden selbst als Mitte des Geschehens vermuten lässt. Das wird
auch durch die graphische Gestaltung untermauert, die das Kursieren um
einen Gegenstand oder ein Objekt suggeriert, das auch der Schreibende
selbst sein könnte, der gerade in diesem Abschnitt preisgibt, den Text der
Skulptur vorher verfasst zu haben, was im vorigen Abschnitt „heute
morgen“ bereits angeklungen war („was notiert der Künstler da?“530):
„das wäre also die Skulptur hier
so in etwa dargestellt
und sie zeigt ihn
momentan im Augenblick
wie er sich eben sieht, in dem Moment
da hängt ja was, an einer Hand
ein Stück Papier, beschrieben offenbar
mit den bekannten Zeichen, die aus Worten Sinn
aus Sinn Erscheinung machen
530
Goetz, JK, S. 75.
143
leuchtend, diese Dinger
kann man gar nicht anders sagen
äußerst einleuchtend den Sinnen, Text
mit andern Worten, ein Stück Text hängt da
tatsächlich, ja, und zwar die Skizze ist das, ja
da hängt doch echt die Skizze
an der einen
Hand und winkt im Wind“531
Nach den Beobachtungen in dieser Konzeptions- und Produktionsphase des
Künstlers lässt sich die Aussage von Goetz „Theatertext ist von der
Grundaufgabenstellung her SKULPTUR“ [Hervorh. im Orig.]532 derart
begreifen, dass der Text selbst schon „immer auch die Situation seiner
Aufzeichnung bezeugt und so eine szenische Qualität entwickelt, die der
szenischen
Arbeit
gerade
auch
qua
Leerstelle
zahlreiche
Anschlussmöglichkeiten bietet, die aber dennoch und gerade darin eine
eigene szenische Qualität des Textlichen bleibt.“533
6.4.2.2 Skizze
Das doppelte Spiel der Szenerien geht bis zum Ende des Aktes weiter. Der
nun folgende Abschnitt „Skizze“534 scheint nach den vorangegangenen
räumlichen und zeitlichen Perspektivenwechsel und Kippmomenten jener
Textabschnitt zu sein, der den Kontext des eben beschriebenen Künstlers
rahmt („Kunst / ein Wochenende Kunst / die Kneipe / und das Atelier“535)
und damit auch wiederum an die Ausstellungseröffnung anknüpft;
gleichzeitig ist auch dieser Abschnitt ein weiteres ‚Bild’, das für die
„Ausstellung“ bereitgestellt wird, nämlich eines, das skizzenhaft, wie der
Titel besagt, geradlinig und vereinfacht die Eckdaten für den gesamten Text
des Stücks umreißt:
531
Goetz, JK, S. 100f.
Abfall für alle, S. 441.
533 Peters, „Theater des Textes“, S. 139f.
534 Goetz, JK, S. 101.
535 Ebd.
532 Goetz,
144
„ein Stück / in sieben Akten / schön knapp abgepackt // du hast gesagt / es geht um
Liebe / du hast gesagt / es geht um Kunst / es geht um Reden / Bilder, Melodien“536
6.4.2.3 Holzschnitt
Die materialmimetische Umsetzung bildkünstlerischer Vorgänge wird in
diesem Akt bis an die Spitze getrieben. Derart gestaltet sich auch der 15.
Abschnitt „Holzschnitt“537, der sich auf ein aus einem zweidimensionalen
Verfahren resultierendes Bildgenre bezieht. Dabei wird zunächst eine
Zeichnung auf einer Holzplatte eingeschnitten. Die zweidimensional
herausgearbeitete ‚Skulptur’ wird darauf als Druckstock verwendet, sprich
mit Druckfarbe überzogen und auf Papier gepresst, sodass eine Druckgrafik
entsteht.
In diesem Textabschnitt wechselt die anfängliche Perspektive eines „er“
sogleich nach den ersten beiden Zeilen zum „ich“, das vor sich hin sinniert.
Der uniforme, auf Anapher basierende harte Rhythmus, der die Sätze vor
sich her peitscht, suggeriert hier einen brachialen, puristischen Umgang mit
dem Material. Der ohne Pause und Zeilensprünge durchgängige Textblock
mit seinen einfachen, kurzen Hauptsätzen wirkt auf den ersten Blick wie
eine triviale Aneinanderreihung zusammenhangsloser Gedankensplitter.
Erst auf den zweiten Blick lässt sich erkennen, dass die Sätze nicht
zusammenhangslos aneinandergereiht sind, sondern trotz mäanderartigen
Verlaufs einer Logik von teils phonetischen, teils morphologischlexikalischen Ähnlichkeiten folgen. Mal ist es die lautähnliche Gestaltung
zumeist der Verben, die unreine oder reine Reime (wie etwa Endreime)
ausbilden, mal der lexikalische Anschluss zum Vorherigen, was
Korrespondenzen
hervorbringt;
Wiederholungsfiguren,
wie
etwa
vor
allem
Homonyme,
in
Form
Synonyme,
von
Figura
etymologica oder Paronomasie. Diese erzeugen Sinnsprünge durch kleine
536
537
Goetz, JK, S. 101.
Ebd., S. 96.
145
Verschiebungen des Signifikanten und erwecken den trügerischen Eindruck,
dass klangliche oder dem Wortstamm nach ähnliche Wörter auch
homogenen Sinn transportieren. Tatsächlich bilden sich auf den zweiten
Blick durch diese Figuren aber Sprünge und semantische Abweichungen,
die manchmal auch den Sinn einer Behauptung ins Gegenteil verkehren.
Dadurch öffnet sich ein Raum zwischen Text und Lektüre, der eine
musikalische Qualität freigibt:
„Er sitzt da und trinkt. Er kommt von draußen. Er redet. Er schweigt. [...] Ich kotze.
Ich stinke und rauche, spucke und rotze. Ich schreie, ich gröle, bin saugut drauf. Ich
hasse euch alle. Ich finde mich toll. Ich stinke und trinke, ich spucke dich an. Ich bin
Verbrecher, bin Oma, bin Student. Ich bin bei der Stadt. Ich gehe zum Bund. Ich
komm von zuhause. Ich ziehe noch weiter. Ich kehre hier ein. [...] Wems hilft, hilfts.
Ich schnarche beim Schlafen. Mir doch egal. Ich schlafe im Freien. Ich fliege. Ich
denke. Ich rede beim Sprechen. Und trinke, was geht. Ich muss manchmal brechen.
Ich wasch mir den Mund. Ich kämme den Bart. Und singe und bück mich. Ich knie.
Ich rufe. Ich lebe. [...] Ich höre Musik. Ich spiele die Geige. Ich spiele Klavier. Ich
spiele mit Platten. [...] Ich kratz mich am Knie. Mich juckts am Popo. [...] Ich sag
irgendwas Weiches. Ich sage Genuss. Ich sage die Liebe. Sag Sagen von früher.
Lang her auch, die Kindheit. [...] Ich tropfe. Es klopft. Die Türe geht auf. Ich schau
aus dem Fenster. Ich sitze am Fluss. Ich treibe im Wasser. Ich krieg keine Luft. Ich
schluck einen Schluck. Ertrinken kann jeder. [...] Dabei fällt mir ein. Ich wollte doch
vorhin. Ich glaube, die Traube. Der Wein und das Bier. Das Boot und der Schinken.
Die Laube und wir. Ich glaube wir haben. Ich sinke nach hinten. Ich sink wie ich
singe. Ich gröle ein bisschen. Ich liege am Rücken. Ich liege am Bauch. Ich bin nicht
betrunken. Ich bin nur berauscht. Ich rausche und lausche und tausche die Dinge.
[...] Ich denke, das war’s. Ich sage, mach’s gut. Ich rufe, bis dann. Ich lache, die
Lache.“538
Anhand
der
Verschiebungen
im
Wortlaut,
den
lexikalischen
Wiederholungen und den Binnenreimen lässt sich hier ein Vorgang der
Wegnahme, des Abtragens feststellen. In Hinblick auf das Verfahren des
Schnitzens, das erst nach und nach durch das Abtragen der Holzschicht eine
Form in das Material bringt, kann hier ein analoges Verfahren beobachtet
werden. Beispielsweise lassen Bewegungen, wie etwa von „rausche“ zu
„lausche“ und „tausche“ durch die phonetische Vorwärtsbewegung eine
steigende Klarheit zu, zumal die Lautproduktion sich vom hinteren
Mundraum immer weiter nach vorn verlagert. Das Material der Sprache
wird einer Art Schnitzen unterzogen, das mit dem „Herausarbeiten und
538
Goetz, JK, S. 96ff.
146
Konturieren eines immer schärfer werdenden Profils“539 einhergehe, so
Stricker.
6.4.2.4 Wall of Words
Die 4. Unterszene des 1. Aktes, „wall of words“, welche im Club spielt,
dient wie etwa auch die Szene „let the bass kick“ der performativen
sprachlichen Umsetzung der narkotisierenden, schummrigen und lauten
Clubatmosphäre, wie bereits in Kapitel 6.3.2 angeführt wurde. Der Titel
„Wall of words“ ist erneut programmatisch für den darauffolgenden
Textblock und weckt Assoziationen zur Atmosphäre und Räumlichkeit der
Clubszene in mehrerlei Hinsicht.
Zum einen lässt die rhythmische und syntaktische Anordnung des Textes an
die Live-Arbeit eines DJs am Mischpult denken, der sich unter anderem des
manuell eingesetzten Equalizers zur Modulation und Gestaltung der
Techno-Musik bedient: Der entzerrende, ausschweifende Höhen und Tiefen
ausgleichende Filter in der elektronischen Musik hat eine normalisierende
Wirkung auf die Tongestaltung; sprich, dieses Mittel kann so eingesetzt
werden,
dass
die
einzelnen
Klangeinheiten
dem
harmonischen
musikalischen Gesamtkonstrukt angepasst werden und so extreme
Ausschweifungen oder Verzerrungen verhindert werden. Auch können
einzelne Elemente hervorgehoben werden, ohne dass der Gesamteindruck
negativ beeinträchtig wird. Die sprachliche Gestaltung dieser Szene
präsentiert einen Text als Schrift-Block ohne Absätze oder Leerstellen und
weist von der Dynamik her eine zunehmende Verdichtung gegen Mitte der
Unterszene auf.
Die anfangs noch kurzen Sätze, die lautliche Harmonien erzeugen, werden
zur Mitte hin immer länger und eindringlicher im Rhythmus. Dabei werden
jedoch angerissene klangliche Ausschweifungen sofort wieder eingedämmt
539
Stricker, Text-Raum, S. 299.
147
und nach einem längeren, in sich geschlossenen Satz folgt meist ein
kürzerer, der inhaltlich sofort wieder Haken schlägt und so mit dem Vorigen
bricht. Dennoch bleibt durch die syntaktische konstante Holprigkeit ein
Rhythmus erhalten, der eben mal beschleunigt und dann wieder mal
ausgebremst wird. Äquivalent dazu oder als sprachlich umgesetzter Ersatz
wird hier die auf die Variation von Rhythmen und repetitiven Klangmustern
basierte, synthetisch produzierte elektronische Tanzmusik des Techno
veranschaulicht, die aus den Lautsprechern im Club kommt.
Neben
der
klanglichen
Assoziation
zu
Instrumenten
und
Gestaltungsmöglichkeiten aus dem Techno ist „wall of words“ auch aus
typographischer Sicht interessant. Der blickdichte Wandblock weist
ähnliche stilistische Mittel wie „Holzschnitt“ auf. Hier wird vorgeführt, wie
Sprache auf der Stelle treten kann und zum blickdichten Vorgang werden
kann:
„Schon toll, so voll. So viel, so leicht. Beschmiert mit mir, zerkratzt ganz heiß. Die
weiten Schriften, eingeniedet, die hohen Lieder abgestimmt. Jetzt ausverstaut,
entsaut, betaut. Weiß nicht, wie falsch, wie wenig ohne. Weiß nur die Farbe und den
warmen Mantel. Weiß deine Frage, gegen Ende, und nicht den Bruch im Klaren, die
Verschiebung. Wir gehen kurz, wir liegen, wir träumten, trinken, trieben. Die Steine
an der festen Wand, die Augen, Stahl, und hart auch die Gesichter, irgendwie zu
hart. Kommt rüber, er, auch sie, in ihre Gewölle, zum Teppich, an der Schnur.
Weicht aus ins Weichere der Flüssigkeit, nimmt neben sich die leise Haut, baut Bild
und Form aus Plastilin. Den Streit ermüden, böse Sachen tilgen. Den Glanz
abwaschen mit betrübten Sorgen, den Trotz kaputten und die Stränge wecken, das so
Erweckte weg verstecken, dann ausentleiben und besorgen. [...] Musik im engen
Dach, am Hirn erhellt, erst rund, zurück, jetzt wieder vor. [...] Nicht viel, tu weg.
Nur dass du mich, wir uns, wie es. Es müsste dann, auch mit, auch deine, und wenn
ich spüre, eine kleine, weiß nicht, wie wir, auch sie bereits, wir auch, in früheren
beschalt. Schon so was wie, und dann? Betraute Aufsicht, unbehütet.“540
Auffällig ist, dass es beim kleinsten narrativen Aufbau eine Verschiebung in
den Signifikanten gibt, sodass jeglicher scheinbarer Sinnzusammenhang
sofort vom Vorigen abgekoppelt oder neu durchmischt wird. Achim Stricker
sieht in den in Sackgassen endenden Text-Bewegungen, die ins Leere
führen oder sich in Widersprüchlichkeiten verstricken „ein körperlich540
Goetz, JK, S. 16f.
148
räumliches Vor und Zurück.“541 Das heißt, dass anstelle einer sprachlichen
Entwicklung, die auf Kommunikation abzielt, jeder initiierte Sinnaufbau
hier sofort wieder verhindert wird. Derart eignet sich diese Schreibweise
eine Art der Konkretion von Sinn an, was eigentlich eher den Qualitäten des
Bildes zugerechnet wird.
Die Besonderheit des Bildes gegenüber der Sprache wird in der
Bildwissenschaft nach G. Boehm mit dem Begriff der „ikonischen
Differenz“542 beschrieben. Demnach stelle das Bild seinen Überschuss an
Zeichenhaftigkeit bei gleichzeitiger Präzision des Zeichens offen aus im
Gegensatz zur Wortsprache, deren Bedeutung der Signifikanten sich nur aus
der Differenz zu anderen Signifikanten generiert und so verschleiert, dass es
hinter einem Signifikanten ein klares und präzise festzulegendes Signifikat
gebe.
Dem Strukturalisten Ferdinand Saussure zufolge, nach dem sich ein Zeichen
aus der arbiträren Verbindung zwischen Signifikat (Signifié, Bezeichnetes)
und Signifikant (Signifiant, Bezeichnendes) zusammensetzt, entsteht
Bedeutung in der Sprache grundsätzlich nur über Differenzen. Saussure
behauptet zudem, dass es im Grunde keine klare Grenze zwischen einem
Signifikanten und einem Signifikat gibt; es reiche ein Blick in das
Wörterbuch, wo immer nur auf etwas anderes verwiesen wird, das nichts
anderes als ein anderer Signifikant beziehungsweise ein anderes Signifikat
ist. Folglich kann die Bedeutung eines Zeichens auch nie eindeutig
festgelegt werden, weil das Zeichen selbst aus vielen verschiedenen
Differenzen besteht, die zwischen den Signifikaten, also Konzepten
existieren und so selbst nicht den Endpunkt im Zeichensystem darstellen.543
Die Aussage des Zeichens bleibt also technisch gesehen unscharf. Im
541
Stricker, Text-Raum, S. 299.
Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag. Hg. Achim Trebeß,
Stuttgart: J.B. Metzler 2006, S. 66.
543 Vgl. Eagleton, Literary Theory, S. 110f.
542
149
Gegensatz dazu wird in der zuvor beschriebenen Szene im Stück kraft der
materialorientierten
Verwendung
von
Signifikanten,
alles
dafür
unternommen diese 1:1-Entsprechung von Signifikat und Signifkant zu
erreichen.
Mehr noch als zu einer Sinnlosigkeit kommt es in den sprachlichen
Verfahrensweisen der Szene „wall of words“ zur Vergegenwärtigung von
Sinn, zumal Bedeutung hier nur von den Signifikanten ausgehend
determiniert wird und nicht von metaphysischen, vom Text losgelösten
Konzepten. Anders als Hägeles Vermutung (siehe 3.1.3), dass Goetz
aufgrund seiner Hinwendung zum Gesprochenen in der Tradition des
Phonozentrismus
stehe,
lässt
sich
anhand
der
performativen
Sprachverwendung, in der jede Art von Glauben an eine zugrundeliegende
Wahrheit, Essenz oder Wirklichkeit eines transzendenten Sinnes verhindert
wird, nicht wirklich auch eine logozentrische Ausrichtung finden, was auch
mit phonozentrischer Schreibtradition verbunden wird.544
6.4.2.5 Das Bild und die Vision
Trotz aleatorischen Charakters der Reihenfolge der Akte im Stück scheint
eine zirkuläre Ordnung erkennbar, welche das Sujet der Genese von Kunst
abbildet. Der 4. Akt („Zweiter Akt“) durchläuft die Stufen der Schöpfung
des Kunstwerks in sich anhand der verschiedenen Orte und jeweiligen
Prozessphasen (Zuhause, Atelier, Pressetermin, Konzeption, an der frischen
Luft, Holzschnitt, Skulptur und Skizze). Der 7. und letzte Akt stellt
schließlich das Ende des Schaffensprozesses dar. Die Zahl 7 lässt an die
sieben Tage der Schöpfung denken und weiter gedacht an den Künstler als
göttlichen Kreator. Als Ort des 7. Abschnitts wird nur der Titel „DAS
BILD“ ausgewiesen und die einzige Szene hat den Titel „I. Vision“. Im Akt
geht es um die eingekehrte Ruhe nach dem Schaffensprozess und den
Moment der Betrachtung des Kunstwerks:
544
Vgl. Eagleton, Literary Theory, S. 113.
150
„dann ging ich raus
plötzlich war es still
und diese Stille
Ruhe
auch in mir
und ich atmete ein
ich blieb stehen, ich lauschte
und dachte: ja, genau
sehr geil jetzt, diese Ruhe plötzlich
die Stille, das auch mich zu
von den Nichtworten her“545
In der morgendlichen Ruhe an der frischen Luft, also in einer Bewegung
nach draußen zum ersten Mal im Stück, scheint der Künstler keinen
Konflikt mehr im Sinne eines „Nie der Harmonie“546 auszutragen, sondern
zum Abschluss der Genese gekommen zu sein, wie mit dem letzten Akt als
siebtes Bild der Reihe suggeriert wird:
„eine schöne Sache
ein Tag Leben und drei Nächte
die sieben Bilder in der Galerie
nicht übergroß, gerade richtig
so dass man denkt, wenn man das sieht,
ja, doch, das passt“547
Passend zum Titel geht es nun um eine meditative Beschauung oder
Besinnung auf das Kreierte als Resultat der angelegten Zyklushaftigkeit der
Kunstgenese. Zugleich resümiert hier Goetz auch sein poetologisches
Vorhaben, stets das Andere im Identen zu suchen und fruchtbare Reibungen
zu produzieren:
„und ich sah
die Welt vor mir
eine Kunst, sah eine Malerei, die
ich sah Menschen und ihre Gesichter
sah unser einander, das gleiche
wie es sich trennt, weil es spricht
sich da bricht, argumentiert und
545
Goetz, JK, S. 155.
Ebd., Index.
547 Ebd., S. 156.
546
151
verliert und wieder gewinnt
neu“548
Hier kommentiert der Künstler die Herausforderung, die er der Schrift
unterzogen hat, um der „Sehnsucht“549 nach dem Bild nachzugehen, die er
in diesem Stadium vorübergehend erreicht zu haben scheint:
„da waren Trost und Präzision
und mehr, als man verstehen kann
da war Ballung, Wucht, Totale, irre viel
Gesagtes
und Ruhe zugleich
da war das alles
irgendwie zusammen noch“550
Diese abschließende Reflexion lässt vermuten, dass die konfliktreiche
intermediale Begegnung von Bild und Schrift, die durchaus fruchtbar war
und zur Annäherung und medialen Überschreitung, ja Ausreizung, geführt
hat, mit dem Resultat des Stillstands, der Formfindung auch wieder zur
Ruhe
gekommen
ist
und
sich
die
Zeichensysteme
nun
wieder
auseinanderdividiert haben.
Das bis dato stets changierende Erzählverhalten wechselt nun im letzten
Abschnitt von der Außenperspektive der Beobachtung des Künstlers („ihn“)
in die Innenperspektive des lyrischen Ichs, was den Aspekt der Harmonie
als Resultat einer Vollendung unterstreicht und zugleich auch einen
Subjekt-Findungsprozess mit sich bringt:
„und sah ihn das sehen
und aufatmen, nicken und gehen
und ging also heim
nach Hause
schon müde beinahe
und hörte es bumpern im Herzen
ba dum, ba dum
hielt still
kurz, und lauschte“551
548
Goetz, JK, S. 157.
Ebd.
550 Ebd., S. 158.
551 Ebd., S. 158f.
549
152
Die ausgeklügelte Struktur des Stücks, mitsamt seinen mathematischen,
geometrischen
und
numerischen
Rahmungen
sowie
komplexen
Verdichtungen anhand von Mottos und intertextuellen wie auch
intermedialen Verschränkungen, kann demnach als „Gebrauchs- und
Handlungsanweisung“552 für die szenische Umsetzung verstanden werden.
Wie Sibylle Peters daraus schlussfolgert, bedeutet dies, dass „in der Lektüre
[...] ständig die Möglichkeit szenischer Entscheidungen präsent [ist]“553,
jedoch werden diese nicht vorweggenommen, sondern bleiben lediglich ein
Angebot für die Leserschaft. Trotz eines peniblen Ordnungssystems lässt
dieser Theatertext vermuten, dass der dramatische Text bei Goetz auch ‚nur’
Material für das inszenatorische Bühnenhandwerk sein soll, zumal er als
Autor eine selbst festgelegte „reine Textposition“554 einnimmt. Gerade aber
die minimalistische Anlage des Stücks mit seinen losen, sich überlagernden
Räumen, lassen Platz zum Ausfüllen, was wiederum für die angedachte
Fortschreibung dieses Textes als Inszenierung in einem theatralen Raum
spricht.
552
Peters, „Theater des Textes“, S. 136.
Ebd.
554 Goetz, Jahrzehnt der schönen Frauen, S. 116.
553
153
7 Conclusio
In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, sich dem Verhältnis von
Körperlichkeit und Schrift bei Rainald Goetz über seinen Theatertext Jeff
Koons anzunähern und diesen auf intertextuelle, performative und
intermediale
Strukturen
hin
zu
untersuchen.
Goetz,
dessen
Körperlichkeitskonzept an die Parameter Gegenwart, Intensität und
Unmittelbarkeit gebunden ist, nähert sich den Raum-, Zeit- und
Bildkünsten, um die präsenzfeindliche und logozentrisch geprägte Schrift zu
transformieren. Für seinen medienkritischen Anspruch nutzt Goetz im Fall
des Stücks Jeff Koons auch die Konstituenten des Theaters, als der Ort der
Unwiederholbarkeit und Präsenz schlechthin, das für das Dazwischen von
Mündlichkeit und Schriftlichkeit, An- und Abwesendem, steht.
In diesem Testlauf für die Schrift werden diese eben genannten
Unterscheidungen radikal vermischt und vorhandene Lücken in den
normierten Verbindungen zwischen Signifikanten und Signifikaten durch
maximale Konkretion bis auf die Spitze getrieben. Zugleich wird
Konkretion hier zur Kippfigur für Abstraktion, da beide Arten der Lektüre
in
dieser
Sprachbearbeitung
gleichermaßen
präsent
und
oftmals
ununterscheidbar sind. Daraus entsteht ein Theatralitätskonzept, das weit
über den unmittelbaren Bezug eines Theatertextes als Vorlage für die Bühne
reicht. Theater oder Theatralität bilden hier umgekehrt selbst ein
intermediales Modell mit metaphorischem Charakter für die Schrift,
welches die paradoxe Gleichzeitigkeit von Präsenz, Körperlichkeit und
Repräsentationsanspruch bei aller Zeichendichte in sich vereint und das
Verhältnis von Vorstellung und Verkörperung immer wieder ausstellt und
befragt:
„Denn das Theater ist der Ort, wo Körper Worte werden und Bedeutungen agiert
werden, wo Zeichen dicht und sinnlich greifbar sind. Andererseits ist hier die
154
Perfidie des Scheins am weitesten getrieben, bedient sich die Suggestion von
Gegenwärtigkeit des Menschenkörpers als Zeichenträger, werden dem toten
Sprechen lebendige Leiber beigestellt.“555
Theater wird demnach zu einer Metaebene für Goetz’ Schreiben, um das
Material Sprache der Ereignishaftigkeit und Unmittelbarkeit anzunähern
und dadurch „Sprach-Ereignisse“556 zu evozieren. Goetz’ Arbeit mit den
materiellen Qualitäten von Schrift erschließt sich als räumlich-szenische,
klangliche und visuelle Komposition. Es lässt darauf schließen, dass er von
einer
synästhetischen
Disposition
menschlicher
Sinneswahrnehmung
ausgeht und Sprache derart intermedialen und performativen Verfahren
unterzieht, die sich eben nicht auf verbale Komponenten beschränken,
sondern auch nonverbale, sprich körpersprachliche, visuelle wie auch
akustische Elemente mit einbezieht.557 Dieser Anspruch von Goetz
thematisiert damit auch Sprache und Kommunikationsformen im digitalen
Zeitalter,
in
dem
die
Grenzverwischung
mündlich/schriftlich,
schriftlich/bildlich, wie etwa im Hypertext, der Verbales mit Visuellem
vereint oder beispielsweise in den Formaten E-Mail, SMS und Blogs, in
denen die Geschwindigkeit der Kommunikation eher einer Situation eines
face-to-face-Sprechen gleichkommt, allgegenwärtig ist.
Der abstrakte und doch streng kompositorische Charakter des Theatertextes
Jeff Koons lässt eine breite Annäherung und viele Lesearten zu. In Hinblick
auf den Theatertext wurde festgestellt, dass Aleatorik und Serialität
maßgeblich den Aufbau bestimmen. Anhand der sich abwechselnden
Sprechperspektiven sowie der mathematisch strukturierten Silben, Wortund Satzgebilde zu dichten Bildflächen, lädt sich das Textmaterial
energetisch auf und gewinnt an Intensität. Ein ebenfalls bedeutsamer Faktor
spielt das Stilmittel der Wiederholung, das Goetz durch verschiedenste
Arten und Weisen einsetzt, wie etwa anhand sich wiederholender identer
555
Winkels, „Krieg den Zeichen“, S. 254.
Stricker, Text-Raum, S. 279.
557 Vgl. Ebd., S. 60.
556
155
Orte, Situationen, Titel und ganzer Textabschnitte oder auch in Form
rhetorischer Figuren, wie etwa Reimen, Wort- und Satzfiguren. Dies erzeugt
vor allem den Effekt, dass jeglicher potenziell symbolischer oder narrativer
Gehalt unterbrochen und somit auf einen Nullpunkt zurückgeführt, sprich
vergegenwärtigt wird.
Die Rede ist von der Präsenz einer Texttheatralität, einer autopoietischen
Qualität, wonach performative oder inszenatorische Dimensionen im Text
selbst vorhanden sind. Hier wird der Text selbst also zu einer Bühne für die
Sprache. In der Analyse wurden Verfahren der Rhythmisierung,
Musikalisierung sowie der bildgraphischen Textgestaltung aufgezeigt. Auch
Kippfiguren und Vexierbilder, die mehrdeutige Lesearten zur Folge haben
und Triviales zur abstrakten Projektionsfläche werden lassen, bilden
wesentliche Stilmittel dieser Poetik der „Engführung von Realem und
Symbolischen zur physischen Tatsache“558. Dabei wird vor allem klar, dass
eine Unterteilung in Form und Inhalt keinen Sinn macht, denn das
vermeintliche Sujet des Künstlertypen, wie durch Jeff Koons angedeutet, ist
selbst nur Oberfläche für den Text. Tatsächlich gibt es im Stück gemäß des
Pop-Anspruches keine Unterscheidung in Innen und Außen, profan und
sakral, buchstäblich und metaphorisch. Alle Elemente stehen zueinander in
einer Art demokratischen Gleichberechtigung.
Die intertextuelle Diskursanalyse zu Jeff Koons und dem Kunstmarkt hat
gezeigt, dass der Künstlertypus im gegenwärtigen Zeitgeist universell
geworden ist und die Selbstverwirklichung auch den Preis einer allgemein
größeren Akzeptanz von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen mit sich
bringt. Die im Stück angedeutete Nähe sozialer Grauzonen signalisiert auch
Kritik an der Vorstellung des Künstlers als unabhängige Ich-AG angesichts
gegenwärtiger prekärer neoliberaler Lebensbedingungen, was sich als
gesamtgesellschaftliche Tendenz hin zur Prekarisierung und Untergrabung
558
Stricker, Text-Raum, S. 268.
156
von Freiheit und Selbstbestimmung in Wohlstandsgesellschaften ausweiten
lässt.
Trotz der Konstatierung dieses Dilemmas am Rande belässt es Goetz nicht
bei der Ideologiekritik, so ist Jeff Koons trotz des Einblicks in die Abgründe
dieser neurotischen Künstlerbiographie dennoch ein lebensbejahendes
Statement zur populären Kultur der Gegenwart. Dies ist vermutlich seinem
letztendlich positiv geprägten Begriff von Pop und/als Kunst geschuldet.
Kunst nähert sich hier dem Populären der funktional ausdifferenzierten
Gesellschaft
und
kaleidoskopischen
rein
gegenwartsbezogenen
Blicks,
der
sowohl
Kultur
die
anhand
Augen
vor
eines
den
Wirklichkeitsverhältnissen nicht verschließt, als auch die Distanz vom
Blickwinkel der Kunst aus, wahrt:
„Man kann Jeff Koons als Aneinanderreihung von Gemälden sehen, als
Momentaufnahme eines »Pop-Zustands«, als »öffentlicher Raum«, in dem sich die
Gesellschaft bewegt und den Rainald Goetz in seinem Heute Morgen-Zyklus
darstellen möchte. [...]
Der Künstler Jeff Koons kann als beides verstanden werden: als populäre Kultur und
als deren ironische Brechung anhand seiner Kunstwerke.“559
Gemäß seines Popbekenntnisses, das stets durch Schlupflöcher versucht,
sich einen Zugang zu den meinungsbildenden, intellektuellen Autoritäten zu
verschaffen, ist Jeff Koons auch der provokative Versuch, Theater abseits
einer traditionellen, sprich bürgerlichen Theaterpraxis neu auszurichten oder
zumindest herauszufordern. Mehr noch strebt Goetz’ romantischer,
lebensbejahender Popbegriff danach, Sprache in energetischen Intensitäten
aufgehen zu lassen und die Barrieren der Gattungen und Rahmen hinter sich
zu lassen. Wie die Analyse gezeigt hat, benutzt er dafür intertextuelle,
intermediale und performative Verfahren.
In diesem Zusammenhang wurde Goetz’ Pop-Methode in der Tradition der
Szenographie und dem Entwurf einer körperlichen Sehreibweise gemäß der
559
Seiler, »Das einfache wahre Abschreiben der Welt«, S. 301.
157
‚écriture corporelle’ sowie im Rahmen der von Roland Barthes geprägten
szenischen Semiotik kontextualisiert. Goetz’ Popbegriff, der sich stark an
Gegensätzen sowie Gegenwart und Körperlichkeit orientiert, hat sich mit
dem Stück Jeff Koons als radikalen theatralen und sprachlichen Entwurf
realisiert, der die Suspendierung dramatischer Konventionen zugunsten
einer Inszenierung der Sprache vorzieht: Die Bühne oder die Szene wird in
diesem Theater zu einem Ort der ‚Écriture’. Sein Theatertext liest sich
sowohl als potenzielle Vorlage, wie auch als autonomer Text, als theatral
entworfene Poesie, die Teil eines ästhetischen Programms ist. Insofern geht
es Goetz nach Schößler um ein „Theater der Potenzialität, [das] mögliche
Dramen und mögliche Sprechweisen“ [konzipiert und] die sprachlichen wie
darstellerischen Konventionen des Theaters ausstell[t]“.560
Goetz selbst hat sein Theater des Textes als eines formuliert, das Produktion
und Rezeption von Text immer wieder zum zentralen Thema macht.
Performativität und Medialität werden als konzeptuelles Zusammenspiel für
sein Texttheater konstitutiv, womit er den Grundkonflikt des modernen
Theaters, die Polarisierung Text und Aufführung, anhand seiner Entwürfe
mit aufgreift. Der Reiz dieses Schreibens besteht also darin, „die klassischmoderne Polarisierung zwischen Performance und Text gar nicht erst
aufkommen zu lassen“561, wie Sybille Peters resümiert. Das wäre auch die
mit dem Schreiben generell und für die Bühne sich stellende
„Lebendigkeitsaufgabe“562 für die Schrift.
Demnach würde hier Theatralität als konzeptueller Zugriff und formaler
Unterbau für das Schreiben genutzt, ohne jedoch eine mögliche Aufführung
vorwegzunehmen, zumal die Texte für die Bühne von Goetz ausgewiesene
‚Stücke’ sind und für eine Aufführung gedacht, nur eben für die doppelte,
könnte man sagen: Als theatral konzipierte textliche Inszenierung einerseits
560
Schößler, „Zeit und Raum in Dramen der 1990er Jahre“, S. 244.
Peters, „Theater des Textes“, S. 135.
562 Goetz, Abfall für alle, S. 271.
561
158
und als Text, der sich in seiner Hinwendung zur Bühne eine mögliche
Bühnenumsetzung nicht negiert. Letztendlich entspricht dieser Probe der
Schrift aufs Exempel Theater auch dem poptheoretisch geprägten
Kunstverständnis von Rainald Goetz:
„Kunst muss den Umweg reicheren Weg zum Verstanden werden gehen, über die
Abstoßung, die der Schreck auslöst, den Kunst speichert, in ihrer Weltsicht, ihrer
Transformationen des Realen als Ganzen, mit allem Horror, in etwas letztlich doch
unweigerlich Schönes. PRAXIS.“563
Demzufolge bleibt Distanzierung von Welt mittels einer ästhetischen
Erkenntniskategorie, die sozusagen eine „Beobachtung der Beobachtung“564
unternimmt und dabei den blinden Fleck der eigenen Perspektive mit
reflektiert, wie sowohl von der deutschen Poptheorie rund um Diederichsen
als auch von der Goetz affinen Systemtheorie Luhmanns angedacht, eine
Qualität von Kunst.
563
564
Goetz, Abfall für alle, S. 162.
Schäfer, „Luhmann als ‚Pop’“, S. 269.
159
8 Mediographie
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8.2 Video-Aufzeichnung im Internet
Zusammenschnitt der Subito-Lesung des ORF, Ingeborg-Bachmann-Preis
1983,
www.youtube.com/watch?v=_BEjgp9MAEY,
0:53-09:17’,
hochgeladen am 09.10.2010, 22.10.2015.
8.3 Bilderverzeichnis
Koons, Jeff, St. John the Baptist,
http://www.jeffkoons.com/artwork/banality/st-john-the-baptist,
22.10.2015.
Koons, Jeff, Made in Heaven,
http://www.jeffkoons.com/artwork/made-in-heaven, 10.01.2016.
Koons, Jeff, Celebration,
http://www.jeffkoons.com/artwork/celebration, 10.01.2016.
8.4 Symposium
Sinn egal. Körper zwecklos. Postdramatik – Reflexion & Revision.
Veranstaltet
von
der
Forschungsplattform
Elfriede
Jelinek
in
Kooperation mit dem Elfriede Jelinek-Forschungszentrum, den Wiener
Festwochen und der Kunsthalle Wien, 14.-18. Mai 2014.
170
Anhang
Danksagung
Zunächst gilt mein besonderer Dank meiner wissenschaftlichen Betreuerin
Ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Meister, die immer mit Rat und Kritik zur Seite
stand.
Ebenso herzlich bedanken möchte ich mich bei Mag. Johannes Pitschl, der
liebenswerterweise den Großteil dieser Arbeit redigiert hat sowie bei
Sebastian Brunner, Alexandra Freya Issel, Benjamin Block, David
Ruggiero, Nina Roser und Raimund Rosarius für das Lektorat und die
konstruktive Kritik. Der gegenseitige Austausch mit meiner wertgeschätzten
Peergroup hat mich stets aufs Neue inspiriert. Ich werde diese intensive
Studienzeit in Wien sehr vermissen.
Sehr dankbar bin ich auch meinen Eltern und Geschwistern für die
großzügige Unterstützung während meines gesamten Studiums.
171
Abstract
Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit texttheatralen Elementen im
Theaterstück Jeff Koons des Autors Rainald Goetz. Der explizit als Stück
ausgewiesene Theatertext, in dem traditionelle Dramenkonventionen absent
sind, wie etwa Rollenzuteilung oder die Unterscheidung in Sprech- und
Zusatztext, lässt einen alternativen Zugang zum Genre Theatertext und
Theatralität
vermuten.
Der
genretrotzende Pop-Autor Goetz nutzt
Theatralität als Metapher für sein der Aktualität und Körperlichkeit
zugewandtes Schreiben. Es wird also der Frage nachgegangen, was hier zur
Aufführung kommt und es wird versucht, jene textuellen Strukturen
ausfindig zu machen, welche sinnliche und performative Qualitäten
aufweisen und per se nicht mit dem Medium der Schrift assoziiert werden.
Die Analyse zeigt, dass Goetz’ Text stark von Polaritäten bestimmt wird
und der Schriftsteller sich dabei intertextueller, intermedialer sowie
performativer Verfahrensweisen bedient, um eine Vielfalt an diskursiven
Räumen zu durchkreuzen und somit auch zu vernetzen. Obwohl das Stück
mit seiner streng durchkomponierten, dichten Form Züge einer Partitur
aufweist, bleibt es durch seine zirkuläre und doppelbödige Struktur
gleichzeitig offen für verschiedene Lesearten. Letztendlich fordert dieses
vielschichtige literarische Werk mit seiner Spannung zwischen Konkretheit
und Abstraktheit sowie seiner intermedialen Herangehensweise auch
normativ gebrauchte Kategorisierungen von Literatur, Theater und
Performativität heraus.
172
Abstract
This master thesis is concerned with performative elements in Rainald
Goetz’s text Jeff Koons. Despite being explicitly called a play by the author,
traditional, dramatic conventions are absent, such as the distribution of roles
or the clear division of text into dialogue and stage directions, leading to the
assumption of an underlying alternative concept of theatricality. Goetz,
known for defying genres and definitions, uses theatricality as a vehicle for
his policy concerned with the presence and physicality of written language.
The objective of this thesis is therefore to identify, what is being performed
in Jeff Koons and which textual structures have sensible and performative
qualities usually not associated with written language.
The analysis shows that Goetz’s text is strongly determined by the friction
resulting from juxtaposed oppositions. He applies intertextual and
performative techniques as well as inter-media approaches in order to cross
and thus interconnect different discursive spaces. Despite the strict and
dense composition of the text, which shows traits of a musical score, its
circular and ambiguous structure offers room for multiple interpretations to
the reader. In the end, this multi-layered and complex literary work,
meandering between concreteness and abstraction, challenges normative
categorizations of literature, theatre and performativity.
173
Lebenslauf
Kathrin Blasbichler
Geboren 1985 in Brixen, Italien.
Kontakt: kathrin.blasbichler@hotmail.com
Bildungsweg
Maturadiplom, Sprachengymnasium J.PH. Fallmerayer, Brixen, Italien
(1999-2004)
Bachelorstudium Theater-, Film-, Musik- und Kunstgeschichte, „Corso di
Laurea in DAMS“ (Discipline delle arti, della musica e dello spettacolo),
Universität Bologna, Italien (2004-2005)
Bachelorstudium Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement, FH
Kufstein, Bachelor of Arts in Business, B.A., Kufstein, Österreich (20052008)
Auslandssemester an der Fakultät Bellas Artes, Universidad Mayor,
Santiago de Chile, Chile (07-12/2007)
Auslandsaufenthalt in Aberdeen, South Dakota, USA (09-12/2008)
Bachelorstudium der Anglistik & Amerikanistik, Universität Wien,
Bachelor of Arts, B.A. (2010-2014)
Masterstudium der Theater-, Film- und Medientheorie, Universität Wien,
seit 2010
Lehramtsstudium UF Englisch, UF Spanisch, Universität Wien, seit 2014
Praktika/Hospitanzen
Journalistisches Praktikum bei der Südtiroler Wochenzeitung „FF“, FF
Media GmbH Bozen, Italien (2003)
174
Hospitanz im Bereich Produktionsdramaturgie und Presse im Rahmen des
Festivals „Brazil em cena“, HAU-Theater Hebbel am Ufer unter der
Intendanz von Matthias Lilienthal, Berlin (2008)
Regie-Hospitanz im Rahmen der Produktion „Undine geht an Land“ (Regie
& Buch: Elisabeth Augustin), KosmosTheater, Wien (2013)
Dramaturgie-Hospitanz im Rahmen der Produktion „Das Geisterhaus“
(Regie: Antú Romero Nunes), Burgtheater, Wien (2013/14)
Mitverantwortliche Organisatorin des Foto-Wettbewerbs „scharfsicht –
Wettbewerb für Fotografie im sozialen Raum“, unter der Betreuung von Dr.
Hannah Stegmayer, in Kooperation mit Galerie Ainberger, Kufstein (2007)
Arbeitserfahrung
u.a. selbstständige Reiseleiterin (seit 2011), verschiedene organisatorische
und vermittelnde Tätigkeiten in den Bereichen Sprachen, Bildung,
Verwaltung
sowie
Kunst
und
Kultur
(seit
2009),
u.a.
als
Projektmitarbeiterin für den Dramatikerinnen-Wettbewerb Mutterland
(KosmosTheater
Wien
2014),
Nachhilfe-Lehrerin
(Lernquadrat,
MobileNachhilfe Wien 2012-2013), Theater- und Filmrezensentin für das
Online-Magazin www. kulturwoche.at (seit 2011), Textübersetzerin für die
Web-Agentur TrendMedia GmbH (2010-2011), Verwaltungsassistentin im
EU-Büro von MdEP Dr. Herbert Dorfmann (Brixen 2009-2010).
Derzeit Lehraufträge an den Wiener Volkshochschulen sowie am Phönix
Realgymnasium in Wien (seit 2015).
Sprachkenntnisse
Deutsch: Muttersprache, Englisch: Verhandlungssicher, Italienisch:
Verhandlungssicher, Spanisch: Sehr gut, Französisch: Gut, Latein:
Maturaniveau (5 Jahre)
175