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Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie

1997

In einem südwestdeutschen Computerkonzern erzählte mir ein Angestellter folgende Geschichte:

A. Einleitung 1. Fragestellung und Untersuchungsfeld In einem südwestdeutschen Computerkonzern erzählte mir ein Angestellter folgende Geschichte: Es gibt da einen Witz von einem amerikanischen Manager, es könnte aber genausogut ein deutscher oder ein englicher Manager sein. Also der amerikanische Manager hat in einem Wirtschaftsmagazin gelesen, daß die Firmenkultur eine wichtige Sache ist. Daraufhin ruft er seine Mitarbeiter zusammen und gibt ihnen einen Auftrag: "Sucht mir irgendwo eine Firmenkultur. Sie darf soundso viel kosten. Ihr habt dafür ein halbes Jahr Zeit." Nachdem der Angestellte, der übrigens selbst Manager ist, mir diese Geschichte berichtet hatte, lachte er verschmitzt und kommentierte sie mit den Worten: Das ist natürlich keine Firmenkultur. So funktioniert es nicht. Bei uns ist sie gewachsen. Sie geht bis auf unsere Firmengründer zurück. Das macht sie zu etwas Besonderem, zu etwas ganz Speziellem. Geschichten, die mehrfach erzählt werden, lassen aufhorchen. Im Laufe meiner Feldforschung in dem Computerkonzern haben mir - unabhängig voneinander - drei verschiedene Beschäftigte von sich aus diesen Witz erzählt und ihn in ganz ähnlicher Weise kommentiert. Es scheint, daß die Geschichte im Betrieb kursiert und vielen Angestellten bekannt ist. Darüber hinaus ist zu vermuten, daß der Tenor der Geschichte, also der Verweis auf die Besonderheit der "Firmenkultur", in der Belegschaft eine breite Zustimmung erfährt und daß die Mehrheit der Beschäftigten stolz auf ihre "gewachsene Firmenkultur" ist. Mit diesem kommentierten Witz ist das Thema der vorliegenden Untersuchung bereits grob umrissen. Am Beispiel einer Fallstudie erkundet die Arbeit im Angestelltenbereich die Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie. Unter Firmenideologie verstehe ich ein Bedeutungssystem, mit dem dominante betriebliche Akteure Realität zu definieren versuchen. Etwas konkreter verstehe ich unter einer Firmenideologie die Gesamtheit der Strategien der Firmenleitung oder einzelner Managementvertreter zur Konstruktion eines betrieblichen Selbstverständnisses. Der Begriff Belegschaftskultur umfaßt alles, was sich die Beschäftigten eines Betriebs angeeignet haben, um ihren Arbeitsalltag zu bewältigen.1 Die Metapher von der 1  Für eine ausführliche Diskussion beider Begriffe verweise ich auf das Kapitel B4 (Firmenideologie: Konturierung eines Begriffs) und auf die Einleitung von Teil C (Belegschaftskultur). Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie soll dabei die Aufmerksamkeit auf den Umstand lenken, daß das kulturelle Image einer wirtschaftlichen Organisation bzw. das firmenoffizielle Wertesystem sehr sichtbar und plakativ ist, während Aspekte einer Belegschaftskultur tendenziell durch die Firmenideologie überdeckt werden und sich - wenn überhaupt - oft erst auf den zweiten Blick von ihr unterscheiden lassen. Ausgangspunkt der Arbeit ist die These von einem potentiellen Spannungsverhältnis zwischen Firmenideologie und Belegschaftskultur. Diese These basiert auf der Überlegung, daß jede Belegschaftskultur vertraglich nicht oder nur partiell abgesicherte, quasi gewohnheitsrechtliche Praxen enthält, welche sowohl individuellen Ansprüchen der Angestellten an ihre Arbeitsbeziehungen und ihre Arbeitsumgebung als auch der Aufrechterhaltung von Solidarbeziehungen dienen, die nun aber durch zunehmende Rationalisierung mittels neuer Bürotechnologie und Büroorganisation gefährdet sind. Im Zuge einer wachsenden "systemischen Rationalisierung" (BAETHGE/OBERBECK 1986) und einer damit einhergehenden Arbeitsverdichtung, aber auch infolge neuer Lebensstile und Berufsauffassungen (Individualisierung, Jobmentalität) unterliegen die traditionellen Formen von Belegschaftskultur einer Transformation und teilweise auch einer Erosion. Gleichzeitig vermehren sich die Bemühungen des Managements, eine primär zweckrationale, für die Gewährleistung von Wohlbefinden, Arbeitsbereitschaft und Betriebsbindung als unzureichend erkannte Betriebsführung durch kulturelle Maßnahmen zu ergänzen. Seit Anfang der 80er Jahre in der Wissenschaft und in der betrieblichen Praxis der Aufstieg japanischer Firmen nicht mehr ausschließlich mit dem Denkmodell einer technischen Überlegenheit erklärt, sondern als Folge ihrer spezifischen Kultur eingeschätzt wurde, setzte in den westlichen Industriegesellschaften ein ungeheurer Boom über Unternehmenskultur/Firmenkultur/Organisationskultur ein. "Unternehmenskultur" avancierte, so schien es, zum Garanten für 2 unternehmerische Erfolge. Die Studie untersucht nun im einzelnen, in welches Verhältnis Firmenideologie und Belegschaftskultur innerhalb dieser neuen Entwicklungen zueinander treten. Inwieweit und mit welchem Effekt vermag eine Firmenideologie Lücken zu füllen, die durch eine Ausdünnung von Belegschaftskultur entstanden sind? Welche Ansprüche der Angestellten an die Arbeit greift die Firmenideologie auf? Wo fördert sie z.B. die informellen Strukturen, die sich die Angestellten selbst geschaffen haben? Wo, andererseits, sucht sie diese Strukturen zu beeinflussen oder zu ersetzen? Inwieweit gelingt ihr dies und wo stößt sie auf Widerstände und Strategien der Besitzstandswahrung bei den Angestellten? Können die firmenideologischen Bemühungen gar eine Eigendynamik entwikeln, die ihre ursprüngliche Zwecksetzung übersteigt? Zugleich ist umgekehrt 2  Die Pionierbeiträge amerikanischer Managementexperten wie die von OUCHI 1981, PASCALE/ATHOS 1981, DEAL/KENNEDY 1982 und PETERS/WATERMAN 1982 haben mit ihren populärwissenschaftlichen Thesen über die "weichen Faktoren" von erfolgreichen Unternehmen, wie z.B. der "Geist" oder "Stil des Hauses", das "besondere Profil" oder die "Unternehmenskultur" - verstanden als die Summe der von den Organisationsmitgliedern geteilten Überzeugungen, Normen und Werte - diesen Boom ausgelöst und mit ihren Kulturratgebern fast schon Bestsellerstatus erreicht. Inzwischen sind die Veröffentlichungen zu diesem Thema sehr umfangreich. zu untersuchen, wie die Beschäftigten die Firmenideologie wahrnehmen, bewerten und wie sie mit ihr umgehen. Können sie diese zur Realisierung ihrer subjektiven Interessen mobilisieren, vielleicht sogar instrumentalisieren? Meines Wissens gibt es bislang noch keine Studie über das Verhältnis von Firmenideologie und Belegschaftskultur. Diese Tatsache ist um so erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, daß in der angelsächsischen Organisationskulturforschung, aber auch in der deutschen Betriebssoziologie die Frage nach der Machbarkeit und der intentionalen Planbarkeit von Kultur als Mittel zur Profitmaximierung über viele Jahre erörtert wurde und die Diskussion in diesem Forschungsfeld maßgeblich prägte. Zwei Grundpositionen kennzeichnen die Debatte: Die eine Fraktion, die "cultural pragmatics" (im deutschsprachigen Raum von SCHREYÖGG 1988 als Interventionisten bezeichnet), geht davon aus, daß man Kulturen, ähnlich wie andere soziale Phänomene, beeinflussen und verändern kann. Der Spielraum für solche Interventionen wird dabei sehr unterschiedlich veranschlagt. Diese Sichtweise weisen die "cultural purists" als naiv zurück. Dieser Fraktion zufolge kann Kultur nicht intentional gemanagt werden, sie entsteht. Nicht die Manager kreierten Kultur, sondern alle Mitglieder einer Organisation.3 Vielleicht lag es an der mangelnden empirischen Fundierung der theoretischen Debatte, daß diese Diskussion Anfang der 90er Jahre relativ ergebnislos versandete. Die vorliegende Untersuchung möchte an diese Diskussion anknüpfen, schlägt hierfür jedoch einen anderen Weg ein: Statt Aussagen über die managerielle Produzierbarkeit von Kultur zu machen, soll, etwas bescheidener in der Fragestellung, das Verhältnis zwischen den Bemühungen der Deutungselite zur Definition betrieblicher Realität und der belegschaftlichen Rezeption dieser Ideologie und ihrem Umgang damit beleuchtet werden. Die Arbeit thematisiert also Beziehungen und Spannungsfelder, die in der großen Frage nach der Herstellbarbeit von Kultur leicht verschüttgehen: Relationen zwischen Kultur und Ideologie, zwischen dem einzelnen Beschäftigten und der Organisation, zwischen Rhetorik und Realität, zwischen einem Soll-Zustand und einem Ist-Zustand, zwischen einem vorgegebenen Wertesystem und der in der vorbetrieblichen Sozialisation entwickelten "mitgebrachten" Kultur der Angestellten. Der Betrieb Für die Erörterung eines solchen Fragenkomplexes scheint mir eine Firma, die gemeinhin den Ruf genießt, mit einer - in der Sprache der Ratgeberliteratur - "starken", das heißt homogenen und innovativen "Unternehmenskultur" ausgestattet zu sein, besonders geeignet. Der gewählte Unter3  Beide Fraktionen greifen dabei auf recht unterschiedliche Kulturkonzepte zurück. Die jeweiligen Argumente, mit denen "cultural pragmatics" und "cultural purists" ihre Positionen untermauern, können hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß die gesamte Debatte bis auf wenige Ausnahmen (zu erwähnen sind hier MARTIN/SITKIN/BOEHM 1985 und SIEHL 1985) auf einer theoretischen Ebene geführt wurde. Und dies wohl notgedrungen. Weil unternehmenskulturelle Managementstrategien die kulturelle Realität in einem Betrieb, wenn überhaupt, keineswegs ad hoc zu beeinflussen vermögen, ließen sich die theoretischen Positionen auf die Schnelle nicht mit empirischen Ergebnissen unterfüttern. suchungsbetrieb, die südwestdeutsche GmbH eines internationalen Computer- und Elektronikkonzerns, genießt diesen Ruf. Dies wird schon in der eingangs erzählten Geschichte angedeutet, die ja vor allem über das betriebliche Selbstverständnis informiert: Nach Ansicht vieler Beschäftigten hebt sich der Konzern, der im folgenden mit dem Aliasnamen "General Technologies" oder kurz "GT" bezeichnet wird, von anderen Betrieben durch seine "gewachsene Firmenkultur" positiv ab. Auch in der praxisnahen Ratgeberliteratur gilt GT als eines der vorbildlichen Unternehmen. In mehreren (populär)wissenschaftlichen Büchern und in verschiedenen Managementmagazinen wurde GT für seine fortschrittliche "Unternehmenskultur" überschwenglich gelobt. Bei DEAL/KENNEDY (1982) und PETERS/WATERMAN (1982) gehört GT explizit zu den "strong culture companies". Während also die meisten großen Firmen in den westlichen Industrieländern auf der Suche nach ihrer "Unternehmenskultur" waren, wurde GT immer wieder bestätigt, bereits eine solche zu besitzen.4 In der Öffentlichkeit, das heißt in Zeitungen, Wirtschaftsmagazinen und Büchern wird der Konzern wie auch die südwestdeutsche GmbH seit etwa zwanzig Jahren im allgemeinen als ein unternehmerisches Vorzeigemodell mit modernen und innovativen Zügen beschrieben: als ein partnerschaftliches Unternehmen mit kooperativen Führungsstrukturen und einem informellen Umgang zwischen den Beschäftigten, das dezentral organisiert ist und seinen Angestellten ein hohes Maß an Eigeninitiative und Verantwortung überträgt. Der Konzern hat weltweit etwa 93.000 Beschäftigte und gehört mit einem Jahresumsatz von über 18 Mrd. Dollar (1993) zu den dreißig 5 größten Industrieunternehmen in den USA. An 52 Standorten in 18 Ländern werden über 18.000 verschiedene Produkte entwickelt, hergestellt und vermarktet. Der Konzern ist organisatorisch in produktorientierte Unternehmensbereiche aufgeteilt.6 Die südwestdeutsche GmbH ist mittlerweile die größte Konzerntochter. Auch die GmbH ist nach Produktgruppen gegliedert. In der südwestdeutschen GmbH sind sechs in sich geschlossene divisions (Werke) angesiedelt, unter anderem die Medizinelektronik. Das dezentrale System 4  Der eingangs erzählte Witz von dem Manager, der eine Kultur sucht und hierfür ein bestimmtes zeitliches und finanzielles Budget einplant, entspricht ja tragischerweise durchaus der Realität. Die meisten Betriebe sind natürlich erst durch das Aufkommen der Mode "Unternehmenskultur" auf das Thema aufmerksam geworden bzw., wie bei allen Moden: in Zugzwang geraten. Geschäftsleitungen und Firmenvorstände entwarfen entweder selbst am grünen Tisch - teilweise mit und teilweise ohne Einbeziehung von Betriebsräten - normative Konzepte und Modelle und nannten diese dann "Unternehmenskultur", "Firmenkultur", "Unternehmensethik" oder "Unternehmensphilosophie", oder sie beauftragten entweder eine Unternehmensberatung oder eine Werbeagentur mit ihrer Erstellung. Daß solche in ihrem Charakter hilflosen Kulturkonzeptionen, die mehr oder weniger auf einem Rezeptewissen basieren, von den Organisationsmitgliedern eher nicht angenommen werden, ist wenig 1995). verwunderlich (Vgl. hierzu HESSLINGER/WITTEL 5  Alle folgenden Angaben basieren auf der GmbH Jahresstatistik von 1993, dem Zeitpunkt meiner Feldforschung. 6  Diese sind: Computersysteme, Computerprodukte, Meßsysteme und elektronische Prüftechnik. sichert den einzelnen divisions eine relativ große Autonomie. Den Teilunternehmen wird eine weitreichende Verantwortung für Entwicklung, Vertrieb, Support, Marketing, Personal und Fertigung eingeräumt und übertragen. Die Organisationsstruktur wird im allgemeinen als flexibel bezeichnet und ist durch permanente Umorganisationen charakterisiert. Das Führungssystem kombiniert produktbezogene mit funktionalen Bereichen. In der GmbH arbeiten mehr als 6000 Beschäftigte, davon sind zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Der Anteil ausländischer Angestellter liegt bei acht Prozent. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten (57 Prozent) hat eine akademische Ausbildung. Hierzu gehören die leitenden Angestellten (1,7 Prozent), die Ingenieure und Techniker (42 Prozent) und die Kaufleute (13 Prozent). Der Anteil der in der Produktion Beschäftigten beträgt lediglich 13 Prozent,7 in der Sachbearbeitung sind 26 Prozent tätig. Der Altersdurchschnitt ist 36 Jahre. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von neun Jahren und eine Fluktuationsrate von 3,4 Prozent sind Indizien, daß die Beschäftigten mit der GmbH relativ zufrieden sind. Zur Charakterisierung der Beschäftigten eignet sich der bei BAETHGE (1991, S.9) beschriebene und von MACCOBY (1989) geprägte Begriff des "self-developers". Er bezeichnet damit eine neue Generation von Angestellten in Dienstleistungsberufen, die Subjektivität im Arbeitsleben einfordern und genau kalkulieren, inwieweit sie sich auf die Arbeit bzw. auf die Arbeitsanforderungen einlassen, die nur sachlich begründete Autoritätsverhältnisse akzeptieren, die ihre kommunikativen Fähigkeiten in die Arbeit einbringen wollen, die bereit sind, sich weiterzubilden und Neues zu lernen, die das Neue als 8 Herausforderung begreifen. Nur etwa vier Prozent der Beschäftigten sind nach Schätzungen der Personalabteilung gewerkschaftlich organisiert. Der Betriebsrat pflegt ein sehr distanziertes Verhältnis zur Gewerkschaft. Auf der anderen Seite ist die Geschäftsleitung aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Dies führt dazu, daß sich die GmbH zwar an den tariflichen Vereinbarungen orientiert,9 nicht jedoch an sie gebunden ist. So hat die GmbH ein eigenes Gehaltsfindungssystem und ebenso ein eigenes Arbeitszeitmodell. Die relative Befreiung von tarifvertraglichen Regelungen vergrößern auch den Spielraum für freiwillige betriebliche Sozialleistungen. Den Sozialleistungen kommt in puncto Mitgliederbindung an die Organisation eine wachsende Bedeutung zu.10 7  intern 8 Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten hat der Konzern aufgehoben. So werden auch die Beschäftigten in der Produktion als Angestellte bezeichnet.  Wollte man die bei GT Beschäftigten einem der von SCHULZE 1993 entworfenen fünf Milieus zuschreiben, was aufgrund der innerbetrieblichen Ausdifferenzierungen allerdings recht problematisch ist, käme am ehesten das Selbstverwirklichungsmilieu in Frage. 9  Die Regelungen von GT orientieren sich an dem Manteltarifvertrag der Metallindustrie des Tarifgebiets Nordwürttemberg-Nordbaden. 10  Die GmbH besitzt ein breit gefächertes Angebot betrieblicher Sozialleistungen. Hierzu gehören soziale Das Untersuchungsfeld ist ein Bereich im Marketing der medical division. Im Untersuchungs- und Beobachtungsbereich arbeiten etwa 40 bis 50 Angestellte. Die Beschäftigten in diesem Bereich sind für das Marketing von medizintechnischen Vorsorgeinstrumenten verantwortlich. Hier arbeiten Sachbearbeiterinnen, Sekretärinnen, Ingenieure und Ingenieurinnen mit sehr unterschiedlichen Aufgaben sowie Manager verschiedener hierarchischer Ebenen. Das Untersuchungsfeld umfaßt etwa vier Abteilungen mit je zehn Beschäftigten sowie die Arbeitsplätze von zwei functional managers und ihren Sekretärinnen. Die medical division ist in einem eigenen Gebäudekomplex untergebracht und räumlich deutlich von den anderen divisions getrennt. Der Produktionsbereich der medical division ist seit einigen Jahren ausgelagert, also nicht mehr im Gebäudekomplex integriert. In der medical division arbeiten etwa 500 Beschäftigte. Der Gebäudekomplex besteht aus zwei, durch eine Passage miteinander verbundenen Bauwerken, eines drei-, das andere zweistöckig, und hat - wie alle Gebäude der GmbH und des Konzerns - eine sehr offene Struktur: Etwas vereinfacht könnte man jede Etage als ein riesiges Großraumbüro bezeichnen. Abgesehen von dem Produktionsbereich sind sich alle Großraumbüros in ihrem strukturellen Aufbau, ihrem Design sowie ihrem Mobiliar, ja in ihrer gesamten Inneneinrichtung sehr ähnlich. Die Unterschiede sind geringfügig. Die Farben im Großraum sind dezent: beige Schreibtischplatten, olivgrüne oder braune Schubladen und Regale, ein brauner Fußboden, eine mattweiß melierte Decke. Das Mobiliar besteht aus Kunststoff. Es gibt keinen Ort, an dem das umherschweifende Auge verweilen möchte. Dafür ermöglichen riesige Fensterfronten einen Blick nach draußen. Alle Arbeitsplätze befinden sich in Großräumen, es gibt keine Zimmer. Die einzigen geschlossenen Bereiche sind Konferenzräume. Die Arbeitsplätze in den Großräumen sind durch 1.50 Meter hohe Stellwände teilweise voneinander abgetrennt. Auf diese Weise ergibt sich eine sehr flexible halboffene Struktur. Im Sitzen sind die einzelnen Arbeitsplätze relativ separat, im Stehen haben die Beschäftigten einen guten Überblick über den gesamten Großraum: Sie können sehen, wer sich an seinem Arbeitsplatz befindet und können bei Bedarf - über viele Stellwände hinweg mit Kollegen Kontakt aufnehmen, deren Arbeitsplatz fünf oder zehn Meter entfernt liegt.11 Innerhalb einer Abteilung stehen tendenziell wenig Absicherungen (u.a. Pensionsplan, Krankengeld), verschiedene Versicherungsleistungen, zusätzliche Geldzuwendungen (u.a. Aktiensparplan, Gewinnbeteiligung, vermögenswirksame Leistungen), Weiterbildungsangebote und sonstige Leistungen (u.a. Ferienzentren, Wohnungsvermittlung, Mitarbeiterberatungsprogramm, Jubiläumszuwendungen, Betriebsfeste). Die Gewinnbeteiligung ist recht hoch: So wurden 1993 knapp 90 Prozent eines Monatsgehalts zusätzlich zu Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld ausgezahlt. 11  Die Entscheidung über den Gebrauch der Stellwände liegt in den Händen der einzelnen Angestellten. Sie können auf Stellwände verzichten oder sie an den von ihnen gewünschten Stellen anbringen: Dies hängt von der gewollten bzw. notwendigen Intensität des (Arbeits-)Kontakts zu den benachbarten Kollegen ab. Stellwände, sodaß auch im Sitzen ein freier Blick auf zwei, drei oder vier benachbarte Arbeitsplätze Usus ist. Die Stellwände dienen nicht nur als Sicht-, sondern in erster Linie als Lärmschutz. Da die Beschäftigten - insbesondere in dem Marketingbereich - zumeist viel kommunikative Tätigkeiten zu verrichten haben, ermöglichen die Stellwände beispielsweise etwas geschütztere und ungestörtere Telefongespräche. Im Großraumbüro gibt es auf der einen Seite einen ständigen und viele Beschäftigten störenden Lärmpegel, auf der anderen Seite verhindert gerade dieser Lärmpegel, daß das Telefongespräch der benachbarten Kollegin allzu deutlich verstehbar ist.12 Die Arbeitsplätze sind sachlich, nüchtern und funktional gestaltet. Überall stehen Rechner, Bildschirme und Druker. Zwar haben die Angestellten die Möglichkeit, ihrem Bereich eine persönliche Note zu geben, etwa in dem sie Wandschmuck wie Fotos, Kalenderbilder oder Comics an der Innenseite der ihren Arbeitsplatz umgebenden Stellwände anbringen: Davon machen jedoch nur wenige Beschäftigte Gebrauch. Lediglich die Topfpflanzen, die vereinzelt zu finden sind, lockern den Großraum etwas auf. Ethnographie Ich habe den 40 bis 50 Beschäftigten im Untersuchungsbereich bei ihrer alltäglichen Arbeit zugesehen und mich mit den meisten von ihnen unterhalten. Damit komme ich auf den ethnographischen Charakter dieser Arbeit zu sprechen. Unter einer Ethnographie verstehe ich den Untersuchungs- und Textualisierungsprozeß einer Kultur mit relativ eindeutig definierten Zugehörigkeiten und Grenzen. Die Untersuchung beruht hauptsächlich auf Feldforschung. Die Analyse von Dokumenten ist also ein sekundäres Instrument. Zur Feldforschung gehört eine breite Palette von Beobachtungs- und Kommunikationstechniken. Vorraussetzung für die Beobachtung ist eine längere Periode des Verweilens im Feld. Die Stufen dieser Fallstudie sollen kurz skizziert werden.13 12  Die halboffene Struktur der Stellwände ermöglicht seitens der Beschäftigten eine breite Palette von Nutzungsformen und Umgangsweisen, aber auch von Zurichtungen. Zwei Beispiele: Wenn zwischen zwei benachbarten Kollegen eine Stellwand aufgebaut ist, reduziert diese ihre kommunikativen Möglichkeiten nur begrenzt. Beide können sich, ohne sich zu sehen, im Sitzen unterhalten und sich auf diese Weise über die Stellwandgrenze hinwegsetzen. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Blicke. Die Beschäftigten könnten im Stehen ihre Blicke relativ unverfroren über die Stellwände schweifen lassen. Dies geschieht in der Praxis nur sehr selten. Es wäre indiskret. Zwar ist es dieser Blick über die Stellwände hinweg, will man etwa sehen, ob eine Kollegin, die man aufsuchen möchte, sich am Platz befindet, hin und wieder notwendig. Der erlaubte Blick ist jedoch sehr kurz und unauffällig, er geschieht aus den Augenwinkeln heraus und er vermeidet freiwillig den Anschein von Neugierde. 13  Eine Ethnographie ist, wie SPRADLEY (1980, S.26f) bemerkt, kein linearer, sondern ein zyclischer Forschungsprozeß, weil die ethnographischen Hauptaufgaben, etwa das Befragen, das Aufzeichnen von Beobachtungen, die Analyse des Materials und das Schreiben des Berichts mehrfach wiederholt werden. Dennoch gibt es natürlich einen ethnographischen Weg mit verschiedenen Arbeitsstufen. Für mein Vorhaben war GT einer von zwei Präferenzbetrieben. Der erste Versuch eines Zugangs über die Hauptpersonalabteilung der GmbH mißglückte. Als ich dem Personalchef der GmbH am Telefon mein Anliegen erläuterte, fragte er mich nach dem Nutzen meiner Forschungen für den Betrieb. Darauf war ich in dieser Direktheit nicht vorbereitet und konnte ihn folglich nicht davon überzeugen, daß GT, wie er formulierte, aus meiner Untersuchung "Kapital schlagen kann". Nachdem ich mir eine Argumentationsstrategie für die Frage nach dem Profit der Organisation aus meiner Arbeit zurechtgebastelt hatte, wählte ich im zweiten Anlauf die Personalabteilungen der einzelnen divisions an, auf deren Eigenständigkeit hoffend.14 Die Personalchefin der medical division zeigte sich interessiert. Bei zwei persönlichen Treffen vereinbarten wir die Untersuchungsbedingungen. Ich durfte sieben Wochen teilnehmende Beobachtung machen und mit zwanzig Angestellten ein maximal einstündiges Interview führen. "Mehr Zeit", so die Personalleiterin, "kann ich Ihnen beim besten Willen nicht einräumen. Jede Stunde kostet die Firma viel Geld, wie Sie wissen." Dies entsprach weitgehend meinen Wünschen. Der zu wählende Zeitraum für die Beobachtung wurde mir überlassen, ebenso die Auswahl der Interviewpersonen: "Sie können sprechen mit wem, wann und wo Sie wollen. Das will ich auch gar nicht wissen. Allerdings müssen die Mitarbeiter einverstanden sein." Auch die Möglichkeit einer Teilnahme an meetings und sogenannten "Mitarbeitergesprächen" machte sie von den Beschäftigten abhängig: "Es kommt ganz darauf an, wie Sie sich integrieren und wie die Mitarbeiter auf Sie zu sprechen sind. Wenn Sie sich gut einfügen, könnte ich mir schon vorstellen, daß man Ihnen das zugesteht." Nicht wunschgemäß hingegen verlief meine Bitte, die Hälfte meiner Feldphase, also vier Stunden täglich, für die Firma zu arbeiten. Ich war daran interessiert, nicht nur eine "dabeistehende" (MULDER VAN DE GRAAF/ROTTENBURG 1989, S.30), sondern eine teilnehmende Beobachtung zu machen, also zumindest teilweise in den Arbeitsprozeß integriert zu sein. Zwar hätte die Personalchefin diesem Wunsch entsprochen, allerdings fand sich für mich keine Tätigkeit, die ich ohne längere Einarbeitungszeiten hätte ausführen können.15 In einem Arbeitsvertrag verpflichtete ich mich, "vertrauliche Informationen" geheimzuhalten. Darüberhinaus insistierte die Personalleiterin auf eine vertragliche Vereinbarung, nach der alle geplanten Veröffentlichungen, die den Firmennamen enthalten sollen, nicht ohne ihre Zustimmung publiziert werden dürfen. 14  Mit vor allem zwei Argumenten versuchte ich, den Personalabteilungen mein Anliegen schmackhaft zu machen. Erstens konstatierte ich - recht unbescheiden - für die GmbH einen kostenlosen Imagegewinn als Folge meiner Untersuchung. Mein zweites Argument stützte sich auf Schmeichelei: Ich hätte gehört, daß GT als ein sehr selbstreflexives Unternehmen gelte. Wenn dem so sei, dann müsse die GmbH ja ein eindeutiges Interesse an einer solchen Studie haben. 15  In der Diskussion über die "richtige" Feldforschung wird diese freiwillige Aufgabe der hundertprozentigen Forscherrolle zugunsten einer Beteiligung am Arbeitsprozeß im Unternehmen zumeist verworfen. "Der Feldforscher kann und darf hier nicht mitarbeiten", warnen MULDER VAN DE GRAAF/ROTTENBURG (1989, S.30). Ich teile solch eine Selbstbeschränkung in dieser generalisierenden und ultimativen Form nicht. Bei allen Schwierigkeiten, die mit solch einer Doppelrolle verbunden sind, hätte mir eine stärkere Beteiligung am Arbeitsprozeß viel genauere Informationen über Arbeitspraxen und -routinen geliefert. Darüberhinaus hat eine teilnehmende gegenüber einer lediglich dabeistehenden Beobachtung den Vorteil, daß man als Forscher wesentlich besser integriert werden kann, daß also Ängste, die auf beiden Seiten vorhanden sind, einfacher abgebaut werden: Als dabeistehender Beobachter ist man beispielsweise viel eher Kontrolleur denn als partizipierender Beobachter. Im Anschluß an diese vertraglichen Vereinbarungen erhielt ich einen befristeten Firmenausweis sowie ein Namensschild, das ich in der Firma tragen sollte. Diese formalen Einbindungszeichen wurden auch auf die Anredeform übertragen: "Andreas, Sie wissen ja, daß wir uns hier beim Vornamen ansprechen. Ich hoffe, Sie haben da nichts dagegen." Gerade das Entrée ins Feld enthält viele Hinweise auf den Stil des Hauses. Die beiden Treffen mit der Personalchefin waren in dreierlei Hinsicht aufschlußreich: Zunächst indiziert die Vereinbarung der Feldforschungsbedingungen, daß bei GT eine offene Kommunikation angestrebt und ein rigides Kontrollsystem vermieden wird. Die Organisation versucht nicht, die Wege meiner Informationsaneignung zu steuern. Sie überläßt ihren Mitgliedern die Entscheidung, welche Art von Interaktion diese mit mir eingehen wollen. Zweitens informieren die Vereinbarungen über die Relevanz eines guten Images in der Öffentlichkeit: Bei einer positiven Darstellung der Organisation darf der Firmenname erscheinen, bei einer kritischen kann die Personalleiterin auf Anonymisierung bestehen. Drittens läßt die angestrebte Integration eines Fremden die Vermutung keimen, daß die Organisation ein relativ geschlossenes System ist, das insbesondere neuen - Mitgliedern entsprechende Anpassungsleistungen und Verhaltenszumutungen aufzwingt. Nach dem Feldzugang vollzog sich der Forschungsprozeß in vier Etappen: Die erste bestand aus einer zweiwöchigen Sichtung von firmeneigenen Dokumenten in der PR-Abteilung der GmbH: Hierzu gehören vor allem die Ausgaben der seit dreißig Jahren existierenden Firmenzeitung sowie Videos und Broschüren, die die GmbH nach außen hin vorstellen. Während der Sichtung dieser Dokumente habe ich erste Eindrücke in die Arbeits- und Lebenswelt der PR-Abteilung gesammelt und diese in einem Tagebuch festgehalten. Die zweite Etappe ist durch eine zweiwöchige teilnehmende Beobachtung in meinem eigentlichen Untersuchungsfeld, dem oben beschriebenen Bereich in der medical division, charakterisiert. Diese zwei Wochen sollten die folgende Feldforschung vorbereiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir noch keine Schwerpunkte gewählt, den Forscherblick nicht fixiert und keine konkreten Fragen an die Beschäftigten im Kopf. Ich suchte nicht nach Antworten, sondern nach den richtigen Fragen. Ich schlenderte durch den 16 Großraum und versuchte, mit möglichst vielen Beschäftigten in Kontakt zu kommen. Ich erklärte mein Vorhaben und wartete auf die Reaktionen meiner Gesprächspartner. Zumindest am Anfang der Feldforschung waren meine Gespräche mit den Beschäftigten tendenziell unverbindlich. Sie hatten den typischen Small-Talk-Charakter: Die Beschäftigten behandelten mich 16  Eine grundsätzliche Bemerkung zu meinen Kontakten mit den Beschäftigten. Bei GT ist es sehr leicht, eine Kontaktaufnahme herzustellen. Man stellt sich selbst vor oder man wird vorgestellt. Hier gilt "das amerikanische System". Prinziell kann jeder auf jeden zugehen und sich kurz vorstellen, ohne daß diese Forschheit eine peinliche Situation entstehen läßt. Eine Vertiefung des ersten Kontakts ist jedoch bei weitem schwieriger - vor allem, wenn diese Vertiefung nicht über eine Arbeitskooperation aufgebaut werden kann. Da die Beschäftigten im Großraum sind, um zu arbeiten und nicht, um sich mit einem Kulturwissenschaftler über ihre Arbeit zu unterhalten, wurde mir schnell bewußt, daß ich mit einem Zeitproblem konfrontiert bin. Ich mußte mich damit abfinden, den Großteil der teilnehmenden Beobachtung unkommunikativ zu verbringen. Die für mich wichtigste Zeit waren die Phasen legitimer Nichtarbeit, sprich die Frühstücks- und die Mittagspause. Zwar waren auch zu anderen Zeiten Gespräche mit den Beschäftigten möglich, diese waren jedoch eher von kürzerer Dauer. interessiert, aber auch freundlich-distanziert und abwartend. Sie beschnupperten mich. Heikle und problematische Themen oder riskante Bemerkungen wurden vermieden. Diese zweiwöchige Vorphase diente als Orientierung zur Erstellung eines Interviewleitfadens und zur Strukturierung der Hauptbeobachtungsphase. Die Durchführung von qualitativen halbstandardisierten Interviews markierte die dritte Etappe.17 Insgesamt habe ich 22 auf Tonband aufgezeichnete Interviews geführt. Den Ort des Gesprächs bestimmten die Befragten - meine Bedingung war lediglich die Gewährleistung von Vertraulichkeit. Zumeist wurde eines der Konferenzzimmer gewählt; zwei Interviewte entschieden sich für einen Ort außerhalb des Betriebs. Die Dauer eines durchschnittlich langen Interviews liegt bei neunzig Minuten. Die Auswahl der Interviewpartner und -partnerinnen erfolgte vor allem entlang hierarchischer Kriterien. Ziel war es, mit der unteren Verwaltungsebene (Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen), der Ingenieursebene und der Managerebene drei hierarchische Levels 18 zu etwa gleichen Anteilen zu berücksichtigen. Unter den Interviewpartnern und -partnerinnen sind sechs Sekretärinnen, zwei Sachbearbeiterinnen, sechs Ingenieure und Ingenieurinnen sowie sechs Manager.19 Hinzu kommen ein Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden sowie eines mit einem externen Experten: dem für die Firma zuständigen Bezirkssekretär der IG Metall. Unter den 22 Befragten sind also 21 Angestellte von GT. Davon haben wiederum 18 ihren Arbeitsplatz im Untersuchungsfeld. Etwa vier Monate nach der Vorphase der teilnehmenden Beobachtung und nach einer ersten kursorischen Analyse der Interviews begann mit der fünfwöchigen Hauptphase im Feld die vierte Etappe. Wie bereits in der explorativen Phase zielte die teilnehmende Beobachtung auf einen intensiven Verständigungsprozeß mit den Angestellten. Sie war als kommunikative Feldforschung angelegt und beinhaltete zahlreiche Aktivitäten. In dieser Zeit habe ich die Beschäftigten beobachtet, manchmal belauscht, und mich mit ihnen in verschiedenen Formen und Genres und über die unterschiedlichsten Themen unterhalten: Hierzu gehören Kurzinterviews, Gruppengespräche, informelle Plaudereien am Kaffeepott, am Arbeitsplatz oder auf dem Gang über die Arbeit und die Firma, aber auch über Gott und die Welt. Ein weiterer Pfeiler der Feldforschung war die Teilnahme an Aktivitäten: Hierzu gehören verschiedene Meetings, Gruppenkonferenzen und Ansprachen, formelle und informelle Feiern (Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfeiern, beerbusts, Picknicks sowie die feierliche Verabschiedung des Chefs der 17 18  Der Interviewleitfaden befindet sich im Anhang.  Diese Verteilung entspricht nicht der tatsächlichen Verteilung der Berufsgruppen im Untersuchungsfeld, wo die Gruppe der Ingenieure etwa 80 Prozent der Beschäftigten stellt und damit deutlich dominiert. 19  Nicht alle der von mir angefragten Beschäftigten waren bereit, mit mir ein Interview zu führen. So lehnten zwei Ingenieure, die in ihren Abteilungen den Ruf hatten, ein "Arbeitstier" zu sein, und die mir gerade deshalb als besonders geeignet erschienen, das Interview mit dem Hinweis ab, "im Augenblick völlig im Streß" und "leider keine frei Minute" zu haben. medical division), die Frühstückspause an den Stehtischen beim Kaffeepott sowie das mittägliche Kantinenessen. Schließlich habe ich auch an einem dreitägigen Einführungsseminar für neue Beschäftigte teilgenommen.20 Neben der Beobachtung, der informellen Kommunikation und der Partizipation an arbeitsbezogenen und feierlichen Aktivitäten habe ich auch mit Hilfe eines Fragebogens Material erhoben.21 Diesen Fragebogen habe ich vielen Beschäftigten im Beobachtungsbereich (37 Angestellten insgesamt) vorgelegt und mit 28 ausgefüllten Bögen einen recht großen Rücklauf erhalten.22 Während dieser fünf Wochen war das Verhältnis zwischen den erforschten Beschäftigten und mir sehr widersprüchlich und komplex.23 Von denselben Angestellten wurde ich mal freundlich, offen und unterstützend behandelt, mal ignoriert oder gar vergessen, mal mißtrauisch beäugt. Immer wieder löste meine Gegenwart aber auch Aggressionen aus, die dann zumeist über das Genre "Witz" artikuliert wurden. So wurde ich etwa von verschiedenen Beschäftigten als "Spion", "spy" oder "Schnüffler" bezeichnet. Einmal saß ich tagebuchschreibend am PC, als sich ein Ingenieur hinter mich stellte: "Du weißt ja, hinter jedem spy sitzt noch ein spy." Oder eine andere Geschichte: Ich saß an meinem Arbeitsplatz, als ein Ingenieur, dessen Arbeitsplatz direkt neben meinem lag, von seiner Mittagspause zurückkehrte, sich hinsetzte und sich nach einigen Sekunden lachend mit der Bemerkung an mich wandte: "Du hast vergessen, abzuhaken, daß ich wieder hier bin." Auch der Grad an emotionaler Nähe bzw. emotionaler Distanz, den die Beschäftigten zu mir aufbauten - und, nicht zu vergessen, ich zu ihnen - schwankte erheblich.24 Etwas holzschnittartig 20  Die hierfür gewählten Dokumentationsformen mußten jeweils dem Anlaß angepaßt werden. Meistens habe ich direkt nach den Gesprächen an meinem Arbeitsplatz ein Gedächtnisprotokoll erstellt. Es gab jedoch auch Aktivitäten wie meetings oder Ansprachen, bei denen mein Notizbuch nicht allzu störend wirkte. Bei dem dreitägigen Einführungsseminar durfte ich sogar ein Tonband benutzen. 21 22  Der Fragebogen ist im Anhang abgedruckt.  Lediglich die Managementebene hat sich dem Fragebogen deutlich verweigert. Von sieben Managern haben ihn nur vier ausgefüllt. Die drei anderen reagierten auf den Fragebogen verärgert und ließen mir über ihre Sekretärinnen mitteilen, daß sie "für so etwas nun wirklich keine Zeit" hätten. 23  Ich begreife die Interaktion zwischen Forschern und Erforschten samt ihren potentiellen Konflikten und Mißverständnissen nicht als Unschärfe oder Störvariable, sondern als eigenständige Erkenntnisquelle, die zu interpretieren ist. 24  Die in der Literatur häufig diskutierte Frage nach der für die Forschung beste, das heißt produktivste Beziehung zwischen dem Ethnograph und den Erforschten - dies betrifft u.a. die Frage nach der emotionalen Distanz zum Feld - erscheint mir erstens hochnäsig und zweitens wenig sinnvoll. Hochnäsig deshalb, weil dem Forscher hier eine Kontrollmöglichkeit unterstellt wird, die er so nicht hat. Die Interaktion ist beidseitig und kann deshalb vom Forscher nicht einfach bestimmt oder festgelegt werden. Wenig sinnvoll, weil dies den Kern des Problems umschifft. Wichtiger als die Frage nach dem "richtigen" Verhältnis, das der Ethnograph zu seinem Feld nahm meine fünfwöchige Feldforschung folgenden Verlauf: Schon aus der explorativen Vorphase wußte ich, daß meine Arbeit ein hohes Maß an Eigeninitiative verlangt: Bei GT gilt für den Erwerb von Informationen die informelle Regel der Holschuld, das heißt die Beschäftigten müssen, um Informationen zu bekommen, aktiv werden und sich die Informationen selbst holen. Folglich habe ich zu Beginn der fünf Wochen die Beschäftigten angesprochen und sie gebeten, mich u.a. bei meetings einzubeziehen und das heißt auch: mich über das Stattfinden von meetings zu informieren. In den ersten beiden Wochen wurde ich auch in viele informelle Gespräche und Aktivitäten einbezogen. Dann passierte ein mir unerklärlicher Schwenk. Viele der Beschäftigten haben mich gemieden und mich nicht mehr informiert. Da ich mich selbst nicht immer aufdrängen wollte, verbrachte ich viel Zeit passiv, etwas gelangweilt und zugleich hilflos am Schreibtisch. In dieser Zeit ist mein Forschungstagebuch ein Sammelbecken der eigenen Ängste. Hier staut sich auch meine Wut über die eigene Schüchternheit.25 Meine dritte Woche war also relativ ereignislos und einsam, das heißt kontaktarm. Ich hoffte auf Veränderung seitens der Beschäftigten. Diese blieb jedoch aus, bis ich mich, zu Beginn der vierten Woche, entschied, mich ein wenig im "Garfinkeln" zu üben, also gezielte Regelverstöße und Provokationen zu begehen. Hierzu gehörte unter anderem eine dreitägige Arbeitsverweigerung: Statt zu forschen saß ich an meinem Arbeitsplatz und habe Computerspiele ausprobiert, was bei den benachbarten 26 Beschäftigten zuerst zu Irritationen und dann zu deutlichen Zeichen der Verärgerung führte. Ende der vierten Woche startete ich mit dem Fragebogen und mit thematischen Kurzinterviews eine neue Kontaktoffensive. Damit verbesserte sich wiederum auch das Verhältnis zu den Beschäftigten. Insofern war die letzte Woche die mit Abstand produktivste Zeit der Feldforschung. Noch eine kurze Bemerkung zur Textualisierung. Daß die Arbeit mit einem Zitat beginnt, hat einen programmatischen Charakter. Auf nahezu jeder Seite der Untersuchung stehen Zitate von Angestellten, mit denen ich gesprochen habe. Die vielen Zitate - immer in kursiver Schrift dienen dazu, den potentiellen Lesern das Quellenmaterial möglichst umfassend zur Verfügung zu einnehmen sollte, scheint mir, das eingegangene Verhältnis zu referieren und selbstreflexiv zu beleuchten, insbesondere im Hinblick auf die Wirkung, die dieses Verhältnis auf die Analyse und Interpretation des Materials, also auf die Ergebnisse des Forschungsberichts hat. 25  Zwischen diesen geballten Selbstbespiegelungen sind im Tagebuch zwei Überlegungen niedergeschrieben, die ich an dieser Stelle zitieren möchte. Die erste bezieht sich auf die Auswirkungen des Forscher-Erforschten-Verhältnisses für die wissenschaftliche Wahrnehmung der Organisation. Zitat: "Seit ich mich im Betrieb so richtig als Fremdkörper fühle, kommt mir GT viel geschlossener vor. Wahrscheinlich gibt es eine Korrelation zwischen eigenen Fremdheitserfahrungen im Feld und der wahrgenommenen Homogenität des Feldes. Erst eine gewisse Vertrautheit mit dem Feld ermöglicht einen Differenzen suchenden Blick." Die zweite Überlegung ist ein Problem, das ich nur zitieren kann, für das ich jedoch keine Lösungsstrategie gefunden habe: "Je mehr ich mich einfüge und anpasse, je mehr ich den GT'ler spiele, desto besser werden die interaktiven Bedingungen, um an Informationen zu kommen. Je mehr ich umgekehrt den Forscher spiele, desto eher verschließt sich das System vor mir." 26  Ausführlicher in Kapitel C2 (Individuelle Grenzziehungen). stellen. Nur so lassen sich, was eine der Grundschwierigkeiten von Ethnographien ist, die Prämissen der Interpretation sichtbar und bis zu einem gewissen Grad überprüfbar machen. Ausblick auf die Kapitel Die Arbeit ist in zwei Hauptteile untergliedert. Der erste Hauptteil (Teil B) behandelt die Firmenideologie. Dabei zeichne ich zunächst den Prozeß der Ideologisierung nach, analysiere anschließend ordnungserhaltenden Funktionen der Ideologie und benenne am Beispiel einer Interpretation des "GT-Firmenkultur"-Plakats einige ihrer zentralen Botschaften. Am Ende des ersten Hauptteils steht eine Definition des Begriffs. Im zweiten Hauptteil (Teil C) untersuche ich, wie die Beschäftigten innerhalb dieses ideologischen Systems agieren und interagieren. Dabei thematisiere ich zunächst verschiedene Aneignungsweisen der Firmenideologie und beschreibe anschließend individuelle Grenzziehungen zum Betrieb. In drei Minifallstudien beleuchte ich schließlich aus verschiedenen Perspektiven das Verhältnis der Belegschaft zur Firmenideologie. Die für die Minifallstudien ausgewählten Untersuchungsobjekte - Feiern, Kaffeetassen und Kleidung - gehören allesamt zum volkskundlichen Kanon. Vor dem ersten Hauptteil stehen noch zwei einleitende Kapitel. Das erste gibt einige Überlegungen zum Verhältnis von Volkskunde und Organisationskulturforschung wider, das zweite ist als ethnographische Einführung konzipiert: Die Analyse des Kaffeetrinkens soll einen ersten Einblick in die Firma und ihre spezifische Form der Herrschaftsausübung vermitteln und einige zentrale Aspekte ihres normativen Systems vorstellen. 2. Volkskunde meets Organisationskulturforschung Bislang ist ein weitgehendes Nebeneinanderherlaufen zwischen der Disziplin Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft (EKW) und dem Forschungsgebiet Organisationskultur zu verzeichnen. Die Dissertation ist ein Versuch, Volkskunde und Organisationskulturforschung zusammenzuführen. In diesem Kapitel skizziere ich zunächst kurz meinen fachspezifischen, diese Arbeit prägenden Orientierungsprozeß und formuliere im Anschluß daran drei Fragen und Vorüberlegungen zum Verhältnis von Volkskunde und Organisationskulturforschung. Nun ist es eine heikle Angelegenheit, auf wenigen Seiten über eine so heterogene Disziplin wie die Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft (EKW) zu sprechen.27 Ebenso kritisch und fettnäpfchenreich sind generalisierende Aussagen über ein so interdisziplinäres und aus28 differenziertes Forschungsgebiet wie die Organisationskultur. Noch zweifelhafter ist schließlich mein Vorhaben, auf wenigen Seiten ein Forschungsgebiet mit einer sozialwissenschaftlichen Disziplin zu verkuppeln, insbesondere dann, wenn sich beide Parteien im Prinzip überhaupt nicht kennen.29 27  Unter dem Dach der Volkskunde konstituierten sich zahlreiche "Bastarde" (BAUSINGER 1980, S.1) wie etwa die Empirische Kulturwissenschaft, die Kulturanthropologie, die Europäische Ethnologie. Die verschiedenen Fachbezeichnungen sind nicht nur unterschiedliche Namen für die gleiche Sache, sondern weisen in der Tat spezifische thematische Schwerpunkte und kulturtheoretische Ansätze aus. Die Brüche, die sich seit der Falkensteiner Arbeitstagung (vgl. hierzu BRÜCKNER 1971) durch das Fach ziehen, sind mehrfach beschrieben worden. Wenn ich im folgenden dennoch von der Volkskunde spreche und gar die in Tübingen konstituierte Empirische Kulturwissenschaft (EKW) als ein Synonym für Volkskunde verwende, bin ich mir um die damit verbundenen Schwierigkeiten bewußt. Ich tue dies, weil ich in den folgenden Überlegungen gerade nicht die fachimmanenten Spannungen diskutiere, sondern die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen muß. Jede vorgenommene Differenzierung zwischen Volkskunde und Empirischer Kulturwissenschaft würde von meiner Argumentation ablenken. Wenn ich im folgenden von der Volkskunde spreche, unterstelle ich den jeweiligen institutionellen Richtungen als kleinsten gemeinsamen Nenner eine Entwicklung "von der Altertumswissenschaft 1979). zur Kulturanalyse" (BAUSINGER 28  Für dieses Forschungsgebiet, das sich in den letzten fünfzehn Jahren immens ausgedehnt hat, hat sich kein dominierender Begriff etabliert: In der deutschsprachigen Literatur ist zumeist von der Unternehmenskulturoder der Organisationskulturforschung die Rede. In der angelsächsischen Literatur wird von corporate culture, corporate identity, organizational culture oder organizational symbolism gesprochen, um nur die wichtigsten Bezeichnungen anzuführen. Ich bezeichne im folgenden den gesamten Komplex als Organisationskulturforschung, weil dies der wohl gängigste Begriff ist. Noch eine zweite Anmerkung: In diesem Forschungsfeld tummeln sich zahlreiche Disziplinen. Dabei nehmen wirtschaftswissenschaftliche Fächer (angelsächsische Namen sind etwa: department of management, faculty of business) den größten Raum ein und stellen prozentual die meisten Vertreter. Weiterhin beackern Industriesoziologen, Ethnologen und Arbeitspsychologen das Feld. Die Volkskunde (folklore studies) ist, man gestatte mir die saloppe Formulierung, irgendwie auch ein bißchen dabei. 29  Hier stellt sich ein neues Problem. Es betrifft die Grenzziehung zwischen Volkskunde/EKW und den anderen sozialwissenschaftlichen Fächern. Seit sich zum einen die Volkskunde als Sozialwissenschaft versteht und konstituiert hat, seit sich zum anderen die Nachbardisziplinen mit wachsender Intensität kulturellen Belangen widmen, sich dem Alltag und dem Alltäglichen zuwenden und sich die weichen Methoden aneignen, wird es Mein eigener Zugang zum Thema Kultur in Betrieben vollzog sich über die Teilnahme an einem 1989 begonnenen, zweijährigen studentischen Forschungsprojekt, das die Formen und Inhalte von informeller Kommunikation im Büro untersuchte und die betrieblichen Bedingungen analysierte, die das Vorkommen und die Art solcher informellen Gespräche beeinflussen. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der deutschsprachigen Volkskunde noch keine anderen empirischen Studien zur Kultur ökonomischer Organisationen. Die Projektergebnisse veröffentlichte die Hans Böckler Stiftung in ihrer Reihe "Manuskripte" unter dem Titel: "Lebenswelt in der Arbeitswelt Informelle Kommunikation im computerisierten Büro". Sieben ProjektteilnehmerInnen haben zu Teilaspekten des Themas ihre Magisterarbeit geschrieben.30 Neben den aus diesem Projekt hervorgegangenen Arbeiten sind in letzter Zeit einige weitere kulturwissenschaftliche Annäherungen an Betriebe erschienen.31 Abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen gilt die Beobachtung von GÖTZ/MOOSMÜLLER (1992, S.5): Bei der Frage, welche Ansätze in der deutschsprachigen Volkskunde für die Erforschung von Industriebetrieben fruchtbar gemacht werden können, fällt auf, daß trotz der Erfahrung dieses Fachs mit der Untersuchung der industrialisierten Lebenswelt empirische (und gegenwartsorientierte) Arbeiten zur kulturellen Dimension von "modernen" Wirtschaftsorganisationen, z.B. von Industriebetrieben, bislang noch ausstehen. Zwar gibt es in der Volkskunde Forschungsbereiche, die auf den Betrieb in irgendeiner Weise Bezug nehmen, etwa die Handwerksforschung oder die Arbeiterforschung, beide Bereiche sind für die Erforschung moderner Unternehmen jedoch wenig anschlußfähig. In den usamerikanischen "Folklore Studies" dagegen sind seit den 80er Jahren immerhin einige Studien zur Kultur in Betrieben entstanden (NICKERSON 1983; MCCARL 1984; JONES/MOORE/SNYDER zusehends schwieriger, die "Spezifik volkskundlicher Arbeit" (BAUSINGER 1980) herauszudestillieren. Man sollte mit solch einer Fachkonturierung sehr vorsichtig sein. Dennoch gibt es weiterhin volkskundliche Forschungsfelder, Argumentationen und Herangehensweisen. Einige werden in den folgenden Überlegungen thematisiert. 30  SCHNEIDER (1992) fragt v.a. nach dem Verhältnis von arbeitsbezogener und persönlicher Kooperation und analysiert räumliche und zeitliche Bedingungen informeller Kommunikation. ULMER (1991) untersucht die kulturellen Dimensionen der Personalratsarbeit. Er problematisiert typische kulturelle Handlungsmuster von Personalratsmitgliedern und beleuchtet ihre Auswirkungen auf das Betriebsklima. HESSLINGER (1992) beschäftigt sich mit den geschlechtsspezifischen Aspekten der Belegschaftskultur. Ihr Schwerpunkt liegt auf den lebensweltlichen Praxen und kommunikativen Verhaltensweisen der weiblichen Beschäftigten. SCHAIBLE (1992) benennt formale und inhaltliche Aspekte des Bildbestands im Kleinraumbüro wie im Großraumbüro und analysiert die Funktionen von Wandbildern. Er unterscheidet insbesondere zwischen den Funktionen des "mitgebrachten" Wandschmucks der Beschäftigten und denen der offiziellen Firmenästhetik. SIEGLIN (1994) beschreibt einige typische Beziehungsformen, die Betriebsräte zu den Geschäftsleitungen unterhalten. BACHMANN (1994) liefert zwei ethnographische Fallstudien zum Kaffeetrinken in Betrieben. Meine eigene Magisterarbeit schließlich (1990) beschreibt die Auswirkungen der neuen Technologien auf das Gesprächsverhalten von Angestellten. 31  GÖTZ (1993) beschreibt die Arbeitswelt von Filialverkäuferinnen einer Großbäckerei und charakterisiert deren Unternehmenskultur. BECK (1994) analysiert den Zeitumgang und das Zeitbewußtsein von Arbeitern und Arbeiterinnen in der vollkontinuierlichen Chipproduktion bei IBM. HERGESELL (1994) untersucht Formen des Rassismus in Betrieben. 1988). Allerdings bleiben viele dieser Studien auf den shop-floor-Bereich, also auf die "unteren" Berufsgruppen beschränkt und sind insofern eher ein Beitrag zur Unterschichtsforschung.32 Ein Blick in die Register der Nachbardisziplinen zeigte, daß dort das Thema Organisationskultur eine weit höhere Popularität genießt. Da ich an dieser Stelle den Forschungsstand in den einzelnen Disziplinen und Ländern nicht wiedergeben kann, verweise ich zusammenfassend auf die Überblicksliteratur. Zunächst die deutschen Beiträge: GÖTZ/MOOSMÜLLER (1992) besprechen Ansätze der us-amerikanischen industrial anthropology sowie der deutschen und der us-amerikanischen Volkskunde; HELMERS (1993b) gibt einen Überblick über die ethnologische, TIEBLER/PRÄTORIUS (1993) über die ökonomische, KASCHUBE (1993) über die psychologische Literatur zum Thema Unternehmenskultur. Einen Überblick über die us-amerikanische Industrieethnologie geben BURAWOY (1979), HOLZBERG/GIOVANNINI (1981), GAMST/HELMERS (1991) und SCHWARTZMAN (1993). OUCHI/WILKINS (1985) und LAMMERS (1990) stellen zumeist nordamerikanische - soziologische Studien vor. Wichtige Beiträge über Organisationskulturtheorien kommen von SMIRCICH (1983a), ALLAIRE/FIRSIROTU (1984) und MEEK (1988). COOPER/BURRELL (1988) und LINSTEAD/GRAFTON-SMALL (1992) liefern eine postmoderne Kritik der modernen Organisationskulturtheorien, HEYDEBRAND (1980) und AKTOUF (1992) kritisieren sie von einer (neo)marxistischen Perspektive. Einen sehr detaillierten und interdisziplinären Überblick erstellen ALVESSON/BERG (1992) und CZARNIAWSKA-JOERGES (1992). Diese Auswahl an Überblicksliteratur zeigt immerhin, daß sich andere sozialwissenschaftliche Disziplinen dem Thema Organisationskultur mit großem Engagement angenommen haben. Für meine Untersuchung haben die volkskundliche Reserviertheit und die Aufgeschlossenheit anderer sozialwissenschaftlicher Fächer einen Brückenschlag zur Konsequenz: Auf der einen Seite steht der Versuch, sich an den Diskussionen der Nachbardisziplinen zu orientieren, auf der anderen Seite gilt es, sich einen dezidiert kulturwissenschaftlichen Ansatz zu bewahren. Mit anderen Worten sucht diese Studie einen interdisziplinären Anschluß auf einer klaren volkskundlichen Basis. Das Interesse der anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen am Thema evoziert die Frage, wie sich die volkskundliche Abstinenz erklären läßt. Zwei Vermutungen über die volkskundliche Abstinenz im Forschungsfeld Organisationskultur Über die Gründe für diese volkskundliche Zurückhaltung läßt sich nur spekulieren. Zwei Vermutungen, die sich mit den Stichwörtern "volkskundliche Anteilnahme am Feld" und 32  Eine ausführlichere Kritik dieser Studien liefern GÖTZ/MOSSMÜLLER 1992. "fehlende strukturelle Überlegenheit gegenüber den Erforschten" beschreiben lassen, scheinen mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu sein. Die erste Vermutung: Die volkskundlichen Beobachtungen sind in der Regel nicht nur teilnehmend, sondern Anteil nehmend. Diese Spezifik des Fachs wird immer wieder und in verschiedenen Variationen betont: In politischer Hinsicht, wenn konstatiert wird, daß die Volkskunde die Interessen der Erforschten zu berücksichtigen bzw. mit ihren eigenen Interessen in Deckung zu bringen habe (vgl. BAUSINGER 1980, S.20). In psychologisierender und Narzißmus entlarvender Hinsicht, wenn den Volkskundlern eine unreflektierte "Liebe zum Volk" (SCHARFE 1991, S.34) nachgewiesen wird. In fachreflexiver und wissenschaftstheoretischer Hinsicht, wenn die Sympathien für die benachteiligten Schichten und sozialen Gruppen eigenen Renommée-Anstrengungen geschuldet sind, wenn also, wie WARNEKEN (1995, S.20f.) konstatiert, die Volkskunde in "halsbrecherischen Liftungsaktionen" die Arbeiterklasse, die gemeinhin als "häßliches Entlein" gilt, zum "zukünftigen Schwan" "hinaufinterpretiert", weil sie sich hiervon "eine Verbesserung der eigenen Position im intellektuellen Feld" (WARNEKEN 1994, S.5) verspricht. Aufgrund ihrer notorischen Schwärmerei ist die Volkskunde weit davon entfernt, eine nüchterne und kalte Wissenschaft zu sein. In modernen Organisationen wie einem Computerkonzern wird Volkskundlern diese Anteilnahme allerdings schwer gemacht. Hier sitzen weder häßliche Entlein noch zukünftige Schwäne. Hier sitzen nicht nur Opfer der Industrialisierung, sondern auch ihre Antreiber - und meist läßt sich das nicht mehr so einfach trennen. Hier arbeiten, überspitzt formuliert, starke Sekretärinnen, die aufgrund von Gewinnbeteiligungen unternehmerisch denken lernen und schwache Manager, die nicht nur in der hierarchischen Leiter aufsteigen, sondern auch absteigen können und bei Nichterreichen der vereinbarten Ziele mit Degradierungen rechnen und leben müssen. Alle wissen, daß letztlich nur die erbrachte Leistung zählt und alle akzeptieren die Spielregeln. Es ist nicht einfach, hierzu persönlich Stellung zu beziehen und eine emotionale Haltung einzuneh33 men. Allerdings könnte in dieser Schwierigkeit auch eine Chance für die Volkskunde liegen. WARNEKEN (1994, S.4) hat mit dem Begriff der "wissenschaftlichen Strafaktionen" die Konsequenzen einer enttäuschten Liebe zu den Unterschichten auf den Punkt gebracht und auf die Gefährlichkeit einer unreflektierten emotionalen Nähe verwiesen. Der Volkskunde würde ein etwas distanzierteres Verhältnis zu ihren Untersuchungs-Subjekten gut tun. Die zweite Vermutung: Erfahrungen von struktureller Gleichrangigkeit oder gar Unterlegenheit im Feld. Die volkskundliche Scham gegenüber anderen Disziplinen, die zum einen aufgrund ihrer Vorliebe für Bagatellen resultiert (SCHARFE 1995, S.1), zum anderen aufgrund ihrer Zuwendung zu den Unterschichten (WARNEKEN 1995, S.20f), ist oft beschrieben worden. Die andere Seite dieser Scham, die strukturelle Überlegenheit der Forschenden gegenüber den Erforschten, wird dabei meist vornehm verschwiegen. In modernen wirtschaftlichen Organisationen muß der 33  In meinem Fall wird die Schwierigkeit einer normativen Verortung der Erforschten von der Schwierigkeit begleitet, die Bemühungen um "Unternehmenskultur" zu beurteilen. Sind solche Strategien als letzte Finte des Kapitalismus zu bewerten oder sind sie ein Markstein auf dem Weg in eine nicht entfremdete Arbeit? Und noch weiter: Ist es legitim, eine Strategie zu kritisieren, die, bis auf wenige Ausnahmen, von den Beschäftigten positiv bewertet wird? Forscher im Feld auf diese sehr bequeme strukturelle Überlegenheit verzichten.34 Der Betrieb ist potent, der output hoch, die Produkte greifbar. Die Angestellten sind zumeist hochqualifizierte 35 und nicht zu vergessen: gut bezahlte - Akademiker. Ihre Tätigkeiten entziehen sich einem schnellen kulturwissenschaftlichen Verständnis.36 Während also die Arbeit der Ingenieure und Manager sich einer Aneignung durch einen Kulturwissenschaftler tendenziell versperrt, sind umgekehrt das kulturwissenschaftliche Wissen und die Selbstreflexivität der Beschäftigten beachtlich.37 Dem Forscher schwimmt sein Informationsvorsprung weitgehend davon: Daß etwa das Kaffeetrinken informelle Kommunikation fördert, die wiederum für den Informationsfluß im Betrieb von zentraler Bedeutung ist, das wissen die Beschäftigten selbst sehr gut. Das kulturwissenschaftliche Expertenwissen ist Teil eines verbreiteten Alltagswissens über Kultur geworden.38 Die Position des Forschers, die bereits durch das kulturelle Wissen der Erforschten in die Defensive gerät, verschlechtert sich aufgrund der mehr oder weniger deutlich artikulierten Verachtung der Beschäftigten vor volkskundlichen Methoden und Blicken. Die auf Effizienz, Faktenorientierung und Eindeutigkeit gepolten Angestellten stehen der volkskundlichen Langsamkeit und ihrer hermeneutischen Herangehensweise eher skeptisch gegenüber.39 Eine Untersu34  Ich beziehe mich hier ausdrücklich nur auf das Machtverhältnis, das sich während der Interaktion im Feld konstituiert. Nach der Feldforschung, bei der Sichtung, Selektion und der thematischen Anordnung des Datenmaterials sowie während der Textualisierung wird die strukturelle Gleichwertigkeit natürlich zugunsten des Forschers aufgehoben. 35  Als statusarmer und mit einem aus der Sicht hochbezahlter Manager kargen Stipendium ausgestatteter Doktorand war ich wirklich dankbar, als mir der GmbH-Chef eine einstündige Audienz gewährte. 36  Im Unterschied zur Entwicklung medizintechnischer Geräte sind etwa das bäuerliche Pflügen und die Fließbandroutinen eines Schichtarbeiters für Kulturwissenschaftler leichter zu verstehen. 37  Eine Anmerkung zur Selbstreflexivität: Die Personalleiterin erzählte mir einmal nicht ohne Stolz folgende Anekdote: "Ein befreundeter Kollege, der in einer anderen Firma arbeitet, der aber unsere Mitarbeiter gut kennt und gut einschätzen kann, was das für Leute sind, hat mal zu mir gesagt, er hätte das Gefühl, daß alle Mitarbeiter bei GT eine Analyse gemacht hätten." 38  Vgl. hierzu die aktuelle, von HANNERZ (1993) und LINDNER (1994) angeregte kulturwissenschaftliche Debatte um den Transfer und die Diffusion von kulturwissenschaftlichem Wissen in das Alltagsleben. Eine larmoyante Position, die das Durchsickern kulturwissenschaftlichen Wissens und unerwünschte Nebeneffekte wie Verfälschung und Instrumentalisierung dieses Wissens beklagt, halte ich nicht nur für einen Zug wissenschaftlicher Selbstverliebtheit und Koketterie, sondern auch für elitär. Während also eine normative Auseinandersetzung mit dem konstatierten Kulturtransfer höchst problematisch ist, ist eine Analyse der Folgen dieses Diffusionsprozesses wie auch der eventuell einzuleitenden kulturwissenschaftlichen Reaktionen auf die Kulturalisierung dringend erforderlich: Zu diskutieren wären etwa die Folgen und Veränderungen für das Verhältnis zwischen Forschern und Erforschten. Verändert sich hierdurch in der direkten Interaktion das Machtverhältnis zuungunsten des wissenschaftlichen Feldes? Wenn ja, hätte eine solche Verschiebung des Machtverhältnisses Auswirkungen auf die Analyse des Feldes? 39 chung, die, anstatt klare und praktikable Handlungsanweisungen zu formulieren, "nur" nach Bedeutungen sucht, wird belächelt und süffisant kommentiert. Hierzu ein Beispiel aus dem Feld. Nachdem ich einen der Ingenieure über seine Kaffeetassen befragt hatte, meinte er am Ende zu mir: "So, Sie beschäftigen sich also mit Kaffeetassen. Das ist aber mal ein interessantes Thema. Ungeheuer wichtig. Jetzt weiß ich endlich, was Sie hier den ganzen Tag über tun." Zu dem kulturellen Wissen und der tendenziellen Verachtung vor einer hermeneutischen Methode und dem Blick für das Kleine gesellt sich noch ein drittes Moment, das dem Forscher das Gefühl von Unterlegenheit vermittelt. Die Beschäftigten haben wenig Zeit und viel Arbeit zu erledigen. Ein Kulturwissenschaftler ist in diesem Feld für die Angestellten nicht besonders wichtig. Die Erforschten fühlen sich durch die Anwesenheit eines Beobachters nicht besonders geschmeichelt: Sie ziehen ihre Befriedigung aus anderen Bereichen. Auf den oftmaligen, zumindest anfänglichen Vorteil eines volkskundlichen Forschers, der sich aus der Zuwendung zu Personen ergibt, die in ihrem Leben eher weniger Aufmerksamkeit erhalten und deshalb das wissenschaftliche Interesse an ihnen dankbar quittieren, konnte ich nicht rekurrieren. Als Forscher war ich im Betrieb geduldet, nicht willkommen. Es war offensichtlich, daß ich mich für die Angestellten interessierte und nicht umgekehrt.40 Die Erkundung von Bagatellen im Umfeld von hochqualifizierten Beschäftigten garantiert also keineswegs eine Stärkung des volkskundlichen Selbstbewußtseins. Eher ist das Gegenteil der Fall. Nach diesen Spekulationen über die Gründe für die volkskundliche Abstinenz drängen sich zwei Fragen auf. Erstens: Inwiefern würde die Organisationskulturforschung von einer volkskundlichkulturwissenschaftlichen Perspektive profitieren? Zweitens: Warum wäre eine Beschäftigung mit Organisationskultur für die Volkskunde/EKW nützlich und produktiv? Welche Impulse kann die Volkskunde/EKW der Organisationskulturforschung  Von den Beschäftigten wurde ich mehrfach gefragt, wie ich meine Beobachtungen zu "messen" gedenke und an welchen "objektiven Maßstab" ich diese Messungen anlege. Meine Antworten, die sich im wesentlichen in der Aussage verdichteten, daß man Kultur nicht messen kann, haben meine Gesprächspartner zwar akzeptiert, mir jedoch gleichzeitig signalisiert, daß sie es für wenig sinnvoll halten, etwas zu erforschen, das sich nicht objektiv messen läßt. 40  Die geringe Beachtung und Aufmerksamkeit, die mir als Forscher im Feld entgegenschlug, kann sehr unterschiedliche Formen und Schattierungen annehmen. Die wohl kränkendste Praxis ist das Vergessen bzw. das Übersehen des Forschers. Mit dieser Erfahrung wurde ich gleich zu Beginn mehrfach konfrontiert. Mit der Personalleiterin hatte ich einen Termin für den Beginn meiner Feldforschung vereinbart, mit der Chefsekretärin abgesprochen, daß sie dafür sorgt, mir während dieser Zeit einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Am ersten Tag meiner Feldphase erlebte ich einige Überraschungen. Sowohl die Personalleiterin wie auch die Chefsekretärin waren auf mein Kommen nicht vorbereitet. Beide erklärten mir: "Ooch, Sie habe ich ja ganz vergessen." Mit der Schilderung ähnlicher despektierlicher Begebenheiten ließen sich viele Seiten füllen. Der Einwand, dieses Vergessen des Forschers bzw. dessen Übersehen, Geringerachten etc. sei eine aus Angst vor dem Forscher entwickelte intentionale oder halbintentionale Strategie der Angestellten, um den Forscher zu demoralisieren, liegt nahe. Ich halte diesen Einwand für falsch. Er dient lediglich dazu, das angekratzte Ego des Forschers wiederherzustellen. geben? Die Volkskunde kann der Organisationskulturforschung in verschiedener Hinsicht dienlich sein: erstens durch ihre inhaltliche Ausrichtung, zweitens durch ihr spezifisches Empirie-TheorieVerhältnis, drittens in methodischer Hinsicht und viertens durch den volkskundlichen Blick. Um mit der inhaltlichen Ausrichtung zu beginnen: Die Volkskunde/EKW hat eine besondere Zuständigkeit für kulturelle Angelegenheiten. "Wenn es überhaupt ein systematisches Stichwort gibt," schreibt BAUSINGER (1980, S.9), "das für die Volkskunde konstitutiv ist, dann ist es Kultur." Die kulturelle Kompetenz der Volkskunde gilt natürlich auch in Bezug auf die Kultur wirtschaftlicher Organisationen. Dies mag vielen eine banale Herleitung erscheinen - die Tatsache, daß die Volkskunde bislang ein Forschungsfeld ignoriert, das sogar im Namen schon auf Kultur hinweist, während gleichzeitig die Nachbardisziplinen Lunte riechen, ist meines Erachtens so ungewöhnlich und erstaunlich, daß selbst der in der Tat wenig originelle Hinweis auf die kulturelle Kompetenz der Volkskunde geeignet erscheint, um im Fach Neugier zu wecken.41 Neben der grundsätzlichen Zuständigkeit des Fachs für Kultur gibt es einige weitere inhaltliche Überschneidungen zwischen der Organisationskulturforschung und der Volkskunde. Zum einen erstrecken sich die Bemühungen des Managements um Kultur auf Bereiche, die zum volkskundlichen Kanon gehören, etwa auf Feste und Feiern oder auf das Kaffeetrinken. Zum anderen, weil sowohl die Praktiker wie auch die Forscher die Kultur eines Unternehmens in dessen Mythen, Sagen, Legenden bzw. in dessen Geschichten und Erzählungen suchen. Aufgrund ihrer Vertrautheit mit diesen sakralen und säkularisierten Formen des Erinnerns könnte die Volkskunde nützliche Beiträge etwa in der Analyse betrieblicher Erzählungen leisten. Drittens schließlich gibt es wohl keine andere sozialwissenschaftliche Disziplin, der das rhetorische Besteck, das in der betrieblichen Praxis zur Produktion von Kultur benutzt wird, so vertraut ist wie der Volkskunde. Insbesondere zwei Begriffe seien hier erwähnt: Gemeinschaft und Identität bzw. 41  Hiergegen ließe sich einwenden, daß auch einige Nachbardisziplinen mit kultureller Kompetenz ausgestattet sind, insbesondere die Ethnologie und die Soziologie. Zweifelsohne hat die Volkskunde nicht die alleinigen Rechte an Kultur, ich meine aber dennoch, daß sie gegenüber den genannten Konkurrenzdisziplinen bei der Untersuchung von Organisationskultur im Vorteil ist. Gegenüber der Soziologie, weil deren Vertreter und Vertreterinnen mit wenigen Ausnahmen wie etwa Michailow entweder der Industrie- und Betriebssoziologie oder der Kultursoziologie angehören und es kaum zu Überschneidungen kommt. Wirtschaftliche Organisationen sind naheliegenderweise das Betätigungsfeld von Industrie- und Betriebssoziologen. Diese neigen meines Erachtens dazu, die Reichweite und die sozialen Bedeutungen von kulturellen Phänomenen zu unterschätzen. So schreibt etwa DEUTSCHMANN (1991, S.33), dessen Einschätzung wohl als repräsentativ für die Industriesoziologie gelten kann: "Skepsis in bezug auf die Leistungsfähigkeit des Organisationskultur-Konzepts ist also angebracht (...). Es kann die Kluft zwischen dem immer komplexeren Steuerungs- und Regelungsbedarf des Managements und den faktischen Macht- und Entscheidungsstrukturen nicht überbrücken. Aus soziologischer Sicht adäquater erscheint eine Rückbesinnung und eine Weiterentwicklung des ehrwürdigen Konzepts der Macht." Eine solche Dichotomie zwischen Kultur und Macht würde ein Kulturwissenschaftler wohl kaum konstruieren. Gegenüber der anderen Konkurrenzdisziplin, der Ethnologie, ist die Volkskunde insofern im Vorteil, als sie sich auf einem ihr halbwegs vertrauten Terrain bewegt. Ein wirtschaftlicher Konzern mag für die Forscher bis zu einem gewissen Grad durchaus fremd sein - doch ist er immer auch ein wenig vertraut. Die Volkskunde/EKW hat sich schon immer gern dem halbwegs Vertrauten gewidmet und hat deshalb bei der Erforschung von Kulturellem in Betrieben gegenüber der Ethnologie einen Erfahrungsvorsprung. korporierte Identität. Beide Termini waren über einen großen Zeitraum für das volkskundliche Selbstverständnis von zentraler Bedeutung. Das Fach hat sich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt; es hat, optimistisch formuliert, sich an ihnen abgearbeitet. Das Fach weiß inzwischen um die Tücken dieser Begriffe, kennt ihren ideologischen Charakter und ihre manipulativen Fallen. Es hat die richtige Ausrüstung, um dieses rhetorische Besteck zu dekonstruieren. Der zweite Bereich, in dem die Volkskunde ihre Stärken einbringen könnte, bezieht sich auf ihr besonderes Theorie-Empirie-Verhältnis. Die Theoriefeindlichkeit der Volkskunde wird seit der Falkensteiner Arbeitstagung oft und auch immer mit guten Argumenten kritisiert. Auch 25 Jahre später ist das Fach auf theoretische Anleihen bei den Nachbardisziplinen angewiesen. Hier [in der Volkskunde, A.W.] herrscht nicht nur ein Mangel an ausformulierten Theorien, sondern - in Verbindung damit - auch eine nachhaltige Aversion gegen jede theoretische Bemühung. BAUSINGERS (1970, S.55) Kritik an der Theoriefeindlichkeit der Volkskunde gilt - wenngleich nicht mehr in dieser Schärfe - noch heute. Ich beabsichtige nun nicht, die theoretische Distanz des Fachs zu rechtfertigen. Allerdings hat das Theoriedefizit einen angenehmen Nebeneffekt: Das Fach hat seine Stärke in der empirischen Forschung. Für die Organisationskulturforschung hätte sowohl das volkskundliche Theoriedefizit wie auch dessen empirisches Know-how insgesamt einen positiven Aspekt. Hierfür gibt es einen einfachen Grund: In der Organisationskulturforschung ist das Theorie-Empirie-Verhältnis umgekehrt proportional zu dem der Volkskunde. Es wäre wohl eine eigene Arbeit, die aktuellen Theorien in der Organisationskulturforschung vorzustellen und zu systematisieren. Ich behelfe mich mit dem Hinweis, daß, abgesehen von historischen Kulturtheorien, quasi alle gegenwärtig prominenten Konzepte auf das Gebiet der Organisationskultur übertragen worden sind. Dieser theoretischen Überladung steht ein Manko an empirischen Arbeiten gegenüber. Auf diese Diskrepanz wird zwar immer wieder, aber auch immer erfolglos hingewiesen (BERG/FAUCHEUX 1982, S.27; ALVESSON/BERG 1992, S.49). Die Mehrzahl der empirischen Arbeiten basieren zumeist auf wenigen narrativen Anekdoten und sind oft sehr oberflächlich angelegt. Oftmals wird dem Leser nicht einmal mitgeteilt, wie die Daten erhoben wurden. ALVESSON/BERG (1992, S.50) kommentieren diesen Umstand so: The absence of conscientious empirical research seems to be particularly characteristic of the (...) field. There is therefore some reason to regard the corporate culture field as a giant with clay feet - full of concepts, models, theories and speculations, but with a relatively weak empirical basis. In the light of what has been said so far, it is tempting to agree with the critics that the research field is empirically immature or at least empirically unexplored. Der dritte Bereich, in dem die Volkskunde Akzente setzen könnte, umfaßt das facheigene methodische Set. Zur Erforschung von kulturellen Phänomenen im Betrieb ist ein ethnographischer Ansatz zwingend. Vor kurzem hat KÖSTLIN (1995, S.51) etwas keck, aber in der Aussage durchaus richtig angemerkt: Immer häufiger wird die "ethnographische Methode" benannt, um die "volkskundliche", die eigentlich man meint, zu vermeiden. Was jetzt unter ethnographischer Forschung verhandelt wird, als Stichworte seien hier erstens weiche Methoden, zweitens Selbstreflexivität des Forschers über seine Bedingungen und seine Interessen und drittens subjektorientierte Forschung genannt, gehört seit langem zum Standard volkskundlicher Feldarbeit (vgl. hierzu ALBER 1984, JEGGLE 1984a, JEGGLE 1984b, LINDNER 1981 und LINDNER 1984). Auch das Prinzip einer dialogischen Forschung, zur Zeit ein ethnographisches Modethema (vgl. hierzu die Beiträge in BERG/FUCHS 1993), ist für Volkskundler gewissermaßen ein alter Hut. So hat etwa BAUSINGER schon 1980 "dialogische Erhebungsmethoden" (S.21) eingefordert. Der vierte und sicherlich wichtigste Aspekt, den die Volkskunde/EKW in die Organisationskulturforschung einbringen könnte, ist ihr Blick für "Bagatellen" (SCHARFE 1995). Keine andere sozialwissenschaftliche Disziplin interessiert sich so sehr für Nebensächlichkeiten, Überbleibsel, Geringfügigkeiten und Lappalien, für das Unbedeutende und Abseitige. Folgerichtig wird die Volkskunde/EKW von Vertretern der eigenen Zunft als "Brosamenwissenschaft" (LINDNER 1980, S.101) oder als "Resteküche" (WARNEKEN 1980, S.106) tituliert - durchaus mit Stolz: Denn "die Resteküche war schon immer eine gute Küche." Volkskunde ist die "Wissenschaft von den unbefragten Selbstverständlichkeiten" (KÖSTLIN 1995, S.54). Wenn überhaupt noch von einer volkskundlichen Spezifik die Rede sein kann, dann ist es ihre schon fast sprichwörtliche Andacht zum Unbedeutenden, ihr Sinn, wie auch der programmatische Titel einer 1991 erschienenen 42 Festschrift für JEGGLE zu dessen 50. Geburtstag heißt, für "Übriges". Dieser Blick auf das Kleine und Unwichtige hat eine lange Tradition: "Die Volkskunde", schreibt SCHARFE (1995, S.20) auf der Suche nach neuen Vätern, "beginnt mit einem Streit ums Bagatell." Für die Organisationskulturforschung ist der Blick auf das scheinbar Nebensächliche von entscheidender Bedeutung. Schließlich sind Betriebe kulturell umkämpfte Terrains. Die manageriellen Bemühungen um Kultur erstrecken sich ja nie auf alle, sondern immer nur auf die sichtbaren, auffälligen und ihrer Ansicht nach besonders wirkungsvollen Bereiche. Will man also über die kulturelle Konturierung eines Unternehmens mehr erfahren als das, was die plakativen und leuchtstiftfarbenen Inszenierungen verkünden, dann wird eine Inspektion abseitiger Details unumgänglich. Hinter den Kulissen der "offiziellen" Kultur liegt vieles im Verborgenen. Die Nebenschauplätze sind den intentionalen Bemühungen um kulturelle Veränderung weit weniger ausgesetzt und gerade deshalb besonders aufschlußreich. Von dem Mißtrauen in die kulturelle Fassade war bereits FREIHERR VON KNIGGE angetrieben. Sein Rat (zur Beurteilung der Menschen): Aber wähle zu Deinen Beobachtungen solche Augenblicke, in welchen sie [die Menschen, A.W.] von Dir unbemerkt zu sein glauben. Richte Deine Achtsamkeit auf die kleinen Züge, nicht auf die Haupthandlungen, zu denen jeder sich in seinen Staatsrock steckt.43 42  Die permanente Suche nach Bagatellen stößt allerdings auch auf Kritik aus den eigenen Reihen. In dem die Volkskunde sich dem Banalen zuwende, so KÖSTLIN (1995, S.54), verändere und zerstöre sie es. Insofern sei die Volkskunde eine "Agentur der Modernisierung". KÖSTLINS Entzauberungsvorwurf, der in dieser Form ja für jede Analyse und ganz besonders für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst gelten muß, basiert allerdings auf einer heiklen Prämisse: auf einer unterstellten Authentizität von banalen Dingen oder Situationen als würde die Analyse dem Banalen seine Unschuld rauben. 43  Zitiert aus Scharfe 1995, S.3. Für eine kritische Organisationskulturforschung gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste basiert darauf, um in der Kniggeschen Terminologie zu bleiben, die Haupthandlungen im Staatsrock jenseits ihrer repräsentativen Gesten zu betrachten. Die zweite Möglichkeit beruht eben auf der Analyse der kleinen Züge. Sicherlich haben auch schon andere Disziplinen in der Organisationskulturforschung die Vorzüge des Details entdeckt. Entscheidend ist jedoch nicht nur der Blick für Nebensächlichkeiten, sondern auch ein adäquater Umgang damit. In der Tat zeugen viele - zumeist wirtschaftswissenschaftliche - Studien von wenig Erfahrung im Umgang mit Bagatellen. Oft wird linear und verallgemeinernd vom Kleinen aufs Ganze geschlossen, oft sind die erzielten Ergebnisse fahrlässig affirmativ. Dann sind Weihnachtsfeiern integrationsfördernd (TRICE/BEYER 1984; DANDRIDGE 1986) und das freitägliche gemeinsame Biertrinken am Feierabend erhöht angeblich die Arbeitsmotivation (DEAL/KENNEDY 1982). Insofern hat ALVESSON (1993, S.61f) recht, wenn er die "coffee drinking studies" kritisiert.44 Allerdings sollte sich seine Kritik gegen konkrete Untersuchungen richten - als prinzipielle Kritik ist sie verfehlt: Phenomena such as jokes, stories and coffee breaks may be of marginal importance compared with, for excample, the organization's hierarchy (S.61). Es ist ja gerade der Vorteil kulturwissenschaftlichen Arbeitens, daß sich in solchen Witzen die hierarchischen Verhältnisse wesentlich informativer ausdrücken als etwa in einem formalen Organigramm. Informativer deshalb, weil sie hierarchische Ordnungen nicht nur abbilden, sondern kommentieren. Anders formuliert: Die Gefahr, daß Bagatellen oftmals unberechtigterweise aufgeladen werden, darf nicht dazu führen, sich enttäuscht von dem Kleinen abzuwenden. Der adäquate Umgang mit vermeintlichen Abseitigkeiten ist kompliziert: Auf der einen Seite gilt es, Sachfixierungen zu vermeiden und das Kleine nicht nur als süß und schnuggelig zu präsentieren, sondern es als Symptom oder Indiz für "Wichtigeres", also etwa für soziale Interaktionsmuster, in Anspruch zu nehmen. Das Kleine wird erst dann interessant, wenn es als Schnittstelle unterschiedlicher Logiken indienst genommen werden kann. Auf der anderen Seite lauert die Gefahr, am Beispiel des "pars" das "toto" zu erklären. Die am Bagatell vorgeführte Analyse ist also immer eine Gratwanderung. Um mit dem Bagatell arbeiten zu können, muß man um seine Paradoxie wissen: Um die Bedeutung wie auch um die Unbedeutendheit des weniger Bedeutungsvollen. Genau an dieser Paradoxie, das hat SCHARFE (1995, S.20) gezeigt, entzündete sich ja der erste volkskundliche Streit ums Bagatell. Die "Andacht zum Unbedeutenden", von BOISSERÉE als spöttischer Kommentar zur Tätigkeit der Gebrüder Grimm gedacht, verwandelte sich schnell ins Gegenteil und wurde als Lob interpretiert. Daß die schöne Formulierung "Andacht zum Unbedeutenden" zugleich Spott als auch Hochachtung transportiert, daß sich an der Hingabe ans Detail zugleich Scham und Koketterie ausdrückt, ist ein genuin volkskundlicher Erfahrungsschatz. Volkskundler wissen eben auch, daß sich die Sonne nur sehr selten im Kaffeelöffel spiegelt. Es ist sicherlich kein Zufall und für die Volkskunde ein gutes Zeichen, daß mit 44  ALVESSON verwendet die "coffee drinking studies" als Metapher für Untersuchungen, die am Beispiel von marginalen kulturellen Phänomenen wie Witzen, Geschichten, Ritualen und Feiern auf die gesamte Kultur einer Organisation schließen. WARNEKEN (1995) ausgerechnet ein Volkskundler vor schlüsselsymbolischen Überstrapazierungen warnt. Die Volkskunde könnte in der Organisationskulturforschung den adäquaten - und das heißt vor allem: bescheidenen - Umgang mit Lappalien vorführen. Warum sollte sich die Volkskunde in ihrem eigenen Interesse stärker auf dieses Forschungsfeld einlassen? Der erste Grund: Es wäre fatal, wenn der jüngst zu beobachtende Rückzug der Volkskunde aus der Arbeiterkulturforschung mit einem Rückzug aus der Arbeitskulturforschung korrespondiert. Damit würde sich die Volkskunde aus einem der Felder verabschieden, die schon immer für das facheigene Selbstverständnis über alle volkskundlichen Neubestimmungen hinweg zentral waren.45 Während der Abschied von der Arbeiterkulturforschung zwar bedauerlich, doch temporär vielleicht sogar notwendig ist, weil nur so eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem ehedem geliebten und verklärten Proletariat in Gang gesetzt werden kann (vgl. hierzu WARNEKEN 1994), wäre der damit verknüpfte Abschied aus der Arbeitswelt ein Akt volkskundlicher Selbstbeschneidung. Von der volkskundlichen Beschäftigung mit dem bäuerlichen Leben über die Handwerksforschung bis hin zur Entdeckung der Arbeiterkultur - das Feld der Arbeit spielte für das Fach immer eine maßgebliche Rolle. Der zweite Grund: Um sich vor Kulturalismus zu schützen. Seit kurzem wird in der Volkskunde vor einer kulturalistischen Interpretation sozialer Wirklichkeit gewarnt. So konstatiert KASCHUBA (1995, S.30): Man kann heute (...) von einem "Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs" sprechen, davon, daß in Teilen der wissenschaftlichen wie der öffentlichen Diskussion das Reden über Geschichte, Gesellschaft und Politik oft nurmehr "in terms of culture" stattfindet, ja, daß sich dies als eine regelrechte Diskursstrategie auffassen läßt, die "Kultur" gegen "Gesellschaft" auszuspielen versucht. Kulturalistische Strömungen und Tendenzen macht KASCHUBA nicht nur im öffentlichen, über Medien vermittelten Diskurs ausfindig, sondern - in einer "weichen" und "entschärfenden" (S.37) Form - auch in der Kulturwissenschaft.46 KASCHUBA steht mit dieser Auffassung nicht alleine.47 45  Möglicherweise ist das unter dem Stichwort Kulturalismus verhandelte Vergessen des Sozialen sogar eine Folge des Rückzugs aus der Arbeiterkulturforschung. Schließlich tritt bei Unterschichten die soziale Frage am deutlichsten hervor. Es wäre sicherlich ein lohnendes Unterfangen, dieser These genauer nachzugehen. 46  Wie berechtigt dieser Vorwurf an die Adresse der Volkskunde ist, kann hier nicht diskutiert werden. KASCHUBA selbst scheut davor zurück, volkskundliche Kulturalisten zu benennen und bleibt insgesamt sehr vage. 47  So klagt KÖSTLIN (1995, S.60) darüber, daß das Soziale ausgeblendet bleibt: "Wir reiben uns immer weniger an der ersten Wirklichkeit, an Arbeitslosigkeit, Ungerechtigkeit, Wohnungsnot etc. Stattdessen traktieren wir lustvoll kleine, hochsymbolisch verpuppte Partien." Auch WARNEKENS (1995) exemplarische Kritik an ethnologischen, kultursoziologischen und volkskundlichen Symbolanalysen basiert in zwei von drei Beispielen auf einem impliziten Kulturalismusvorwurf: Die GEERTZsche Hahnenkampfanalyse kaschiere sozialpolitische Ausein- Die aus diesem Umstand zu ziehende Schlußfolgerung ist denkbar simpel: Wenn die Volkskunde in der Gefahr schwebt, das Soziale aus den Augen zu verlieren, so sollte sie sich dem Geschehen in wirtschaftlichen Organisationen zuwenden. Denn hier lassen sich soziale Ungleichheiten und die daraus entstehenden Konflikte nicht mit Kultur zukleistern. Die klassischen Felder und Phänomene zur Analyse des Sozialen, also Macht, Autorität, Herrschaft, sind in ökonomischen Organisationen besonders präsent. Hier ist es kaum möglich, sich am Sozialen vorbeizuschummeln oder es gar zu übersehen. Organisationskulturforschung könnte für die Volkskunde ein Weg sein aus der von KÖSTLIN (1995) beklagten "geschützten Bucht" (S.61), in der die Volkskunde paddele, nach draußen, wo "die Stürme toben." Eine Möglichkeit, mit der die Volkskunde sich gegen kulturalistische Tendenzen immunisieren kann, ist eben diese Tendenzen zum Thema zu machen. Dies kann entweder in der Form einer kritischen volkskundlichen Nabelschau geschehen, oder im Aufspüren gesellschaftlicher Instrumentalisierungsformen von Kultur. Kaschuba hat am Beispiel von Rassismus, Fundamentalismus, Ethnisierung und Neo-Nationalismus vier solcher Strategien dargestellt. Ich bin nun der Auffassung, daß Kulturalismus ebenso am öffentlichen Diskurs über "Unternehmenskultur" entdeckt werden kann. Die betrieblichen Anstrengungen um Kultur sind, dies wird im Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein, Kulturalismus in Reinform. Die gesamte firmenideologische Praxis, aber auch Teile des wissenschaftlichen Diskurses über Unternehmenskultur, zielen auf eine Instrumentalisierung von Kultur. Oder mit KASCHUBA (1995, S.37): Sie zielen auf eine "unmittelbare Indienstnahme des moralischen Kapitals der Kultur für politisch-ideologische Zwecke." Und natürlich auch für ökonomische Zwecke. Schließlich stecken hinter allen firmenideologischen Anstrengungen nicht in erster Linie humanistische Beweggründe, sondern Orientierungen, die auf Profitmaximierung abzielen. Zusammengefaßt hätte ein stärkeres volkskundliches Interesse an Organisationskulturforschung also einen zweifachen Vorteil: Sie kann sich auf diesem Feld zum einen vor Kulturalismus besonders leicht schützen und kann zum anderen eine gesellschaftlich relevante Kulturalismusstrategie unter die Lupe nehmen. andersetzungen. Die Ergebnisse der Tübinger Bananenstudien seien vor allem Ausdruck der sozialen und geographischen Positionen der Adler-Forscher, die hoch "oben über dem Forschungsfeld" (S.16) kreisen, um dann auf ein Objekt niederzustoßen. Unter dem Stichwort "Kulturalisierung" wird in der Kultursoziologie (BERKING 1989; MICHAILOW 1994) eine ähnliche Diskussion geführt. Während jedoch "Kulturalismus" einen klaren (ab)wertenden Charakter hat und eine diskursive Strategie umschreibt, bezeichnet "Kulturalisierung" nichtnormativ eher eine Entwicklung denn eine Strategie: "Kultur scheint an die Stelle von Gesellschaft getreten zu sein, ein kultureller Code schiebt sich über die sozialen Erscheinungen" (MICHAILOW 1994, S.115). 3. Kaffeetrinken: eine ethnographische Annäherung Wenn Sie mich nach einem typischen Merkmal dieser Firmenkultur fragen, hier in meiner Hand: Kaffee. (Manager) Die folgende Ethnographie des Kaffeetrinkens bei GT soll einen ersten Einblick in die Firma vermitteln. Sie verfolgt drei Ziele: Erstens soll gezeigt werden, daß sowohl die Organisation wie auch deren Mitglieder dem Kaffee und der Art des Kaffeetrinkens einen hohen Stellenwert einräumen. Sie wissen, daß Kaffee ein Symbolträger ist und instrumentalisieren ihn zur Darstellung ihres normativen Systems. Das zweite Ziel bezieht sich auf eben dieses Wertesystem: Am Beispiel des Kaffeetrinkens sollen einige, für die Organisation und ihre Mitglieder zentralen Aspekte dieses Wertesystems herausgearbeitet werden. Schließlich möchte ich am Beispiel der Kaffeekultur Aussagen machen über die Form der Herrschaftsausübung bei GT. Inszenierung Während in den meisten bundesdeutschen Unternehmen die Beschäftigten das Kaffeetrinken selbst und selbständig organisieren - also Kaffeemaschinen mitbringen, eine Kaffeekasse anlegen, Arbeiten wie den Kauf von Kaffeepulver, Milch und Zucker aufteilen - sind hier Indizien einer "mitgebrachten" Belegschaftskultur nicht vorzufinden. Bei GT liegt die Inszenierung der Kaffeekultur nahezu ausschließlich in den Händen der Firma. Sie übernimmt quasi die Rolle eines Gastgebers. Statt der üblichen von den Beschäftigten mitgebrachten Filtermaschinen für acht bis zehn Tassen gehören hier hochmoderne und riesige Kaffeemaschinen zum festen Inventar der Großraumbüros. Der Kaffee ist gratis - Teil des Sozialleistungsbestands der Firma. Die Maschinen verlangen von den Mitarbeitern nur einen Knopfdruck und füllen dann die Tassen entweder mit Wasser (für Teetrinker) oder mit Kaffee automatisch auf. Das Unternehmen stellt selbst die Trinkgefäße zur Verfügung.48 Schon das räumliche Setting zeigt die firmenkulturelle Bedeutsamkeit des Kaffeetrinkens. In jedem Großraum befindet sich mindestens eine Kaffeeecke. Im Beobachtungsbereich steht sie an einer Schnittstelle des Verkehrs: direkt an einer Wegkreuzung, unweit des Treppenhauses, in der Nähe des Kopierers und für alle gut zugänglich in der Mitte des am häufigsten frequentierten Gangs. Durch diese zentrale Positionierung verleiht die Firma dem Getränk eine eminente Bedeutung. Sie gibt zu verstehen, daß das Kaffeetrinken wie selbstverständlich zur Firma gehört, daß es nicht nur toleriert, sondern geradezu erwünscht ist. Die Mitarbeiter kennen die Funktion, die der Konzern diesen Ecken beimißt, nur allzu genau. Eine Sekretärin erklärt:49 48 49  Vgl. hierzu das Kapitel C4 (Vom Zeichen- und Distinktionswert der Kaffeetassen). Du sollst dich quasi mit den Leuten unterhalten. Das wird sogar gewünscht. Und dazu sind diese Ecken da, diese Bistro-Ecken. Das hat man mir eindeutig gesagt. Verständigung und Kommunikation und so soll gefördert werden. Die typische Kaffeeecke sieht so aus: Den Kern bilden die zwei großen Kaffeemaschinen, darauf ragen mehrere Plastikbechertürme empor (die allerdings nur für Kunden und Besucher gedacht sind; die Mitarbeiter trinken aus ihren eigenen Keramiktassen), rechts und links neben den Maschinen stehen Zuckerstreuer, Kaffeesahneflaschen und drei verschiedene Sorten Beuteltee. Außerdem liegen Servietten und Holzstäbchen zum Umrühren bereit. Zu diesem Setting gehört auch ein Papierkorb, der für die leeren Plastikbecher vorgesehen ist. Im näheren Umfeld der Kaffeemaschinen steht eine Art Litfaßsäule, die von der Personalabteilung für firmenoffizielle Mitteilungen und von den einzelnen Mitarbeitern für diverse persönliche Aushänge in Anspruch genommen wird. Direkt gegenüber den Kaffeemaschinen, also auf der anderen Breitseite des Hauptgangs, befinden sich drei Stehtische, die zum Gang hin offen und ansonsten von Stellwänden umrandet sind. Die Stellwände dienen entweder als Informationsfläche oder zur Präsentation von Wandschmuck. Entsprechend der informellen Atmosphäre, die an den Stehtischen herrscht, werden dort zum Beispiel die Fotos des letzten Bereichsausflugs angeheftet. Dieses hier als Kaffeeecke definierte Gebiet ist im gesamten Großraum sowohl der am meisten bevorzugte als auch der wichtigste Ort für den Aushang von schriftlichen Informationen der Firma. Die hochautomatisierten Kaffeemaschinen müssen gepflegt und funktionsfähig gehalten werden. Diese Arbeit fällt jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Belegschaft. Eine für die Kantine zuständige Fremdfirma säubert die Maschinen und füllt täglich die riesigen Behältnisse mit frischem Kaffeepulver auf. Die Beschäftigten, befreit vom Kauf des Kaffees und der Filter, von den Zubereitungstätigkeiten selbst wie auch von der Verwaltung einer Kaffeekasse, müssen sich nur um die Reinigung ihrer Tassen selbst kümmern. Daß hochqualifizierte Angestellte ausgerechnet diese Tätigkeit, die ja im Vergleich mit der Kaffeezubereitung nur eine geringe symbolische Bedeutung hat, selbst ausführen müssen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Hier stößt die Fürsorglichkeit der Firma an ihre Grenzen. Während die Versorgung mit Kaffee perfekt organisiert und gewissermaßen total ist, hat die Firma an Spülmöglichkeiten nicht gedacht. Den Beschäftigten bleiben hier im Prinzip zwei Alternativen.  An dieser Stelle ist eine Erklärung über die von mir gewählten Berufsbezeichnungen notwendig: Um den Befragten die von mir garantierte Anonymität zu sichern, also eine Rückführung eines Zitats auf den Autor/die Autorin zu vermeiden, arbeite ich nur mit sehr allgemeinen Berufsbezeichnungen: Ich schreibe über Sekretärinnen, Ingenieure und Ingenieurinnen sowie Manager. Unter dem Begriff Sekretärin subsumiere ich auch die beiden interviewten Sachbearbeiterinnen. Für die Gruppe der Ingenieure, die sich in ihrem Status und in ihren Aufgaben sehr voneinander unterscheiden können, vermeide ich eine genauere Bezeichnung ihrer Tätigkeit. Auch der Begriff Manager ist ein Dachbegriff. Vereinzelt schien es mir nötig, eine Managementebene anzugeben: Hierfür unterscheide ich drei Gruppen: Zum einen das "untere Management" und meine damit eine Gruppenleiterebene, also Manager mit Personalverantwortung für etwa zehn Beschäftigte. Zum "functional management" gehört als Vorgesetzter der ersten Gruppe der Marketingmanager, dessen Vorgesetzter, sowie die Personalleiterin. Diese beiden Managergruppen arbeiten in meinem Beobachtungsbereich. Die dritte Gruppe schließlich, das Topmanagement, arbeitet nicht in meinem Beobachtungsbereich: Hierzu gehört der Leiter der medical division, der GmbH-Chef sowie hohe Manager auf der Konzernebene, die zu Besuch in der GmbH sind. Entweder sie säubern ihre Tassen mit dem - eigentlich für den Tee vorgesehenen - heißen Wasser und benutzen statt der fehlenden Spüllappen und Geschirrtücher die bereitliegenden Servietten. Nicht einmal ein Spülmittel steht hier bereit. Es würde das ansonsten klinisch saubere Ensemble empfindlich stören. Die andere Möglichkeit: Sie reinigen ihre Tassen in den Waschbecken der nicht allzuweit von der Kaffeeecke entfernten Toiletten. Beide Alternativen sind vielen Beschäftigten unangenehm. Auch ist auf diese Weise eine gründliche Reinigung kaum möglich. Deshalb nehmen fast alle Beschäftigten ihre Tassen hin und wieder zum Spülen mit nach Hause. Es ist bezeichnend, daß die Firma ausgerechnet die Spülmöglichkeit vergessen hat. Die Kaffeemaschinen fallen auf, sie stellen etwas dar. Das Spülen hingegen ist die Kehrseite, es gehört eher hinter die Kulissen als auf die Bühne und ist für die Selbstdarstellung ziemlich uninteressant. Das räumliche Setting und die sachkulturelle Inszenierung sind erste Indizien für die zentrale Bedeutung, die der Betrieb dem Kaffeetrinken zuweist. Sie werden sowohl in der Außen- wie auch in der Innendarstellung untermauert und finden dort zugleich ihre Fortsetzung. Kostenloser allgegenwärtiger Kaffee gilt als eines der zentralen Merkmale der "Firmenkultur" und dient dem Betrieb als Aushängeschild, als Profilierungsinstrument par excellence. Um mit der Außendarstellung zu beginnen. Verweise auf die informellen Kaffeetische, den Gratiskaffee und gemeinsame Kaffeepausen finden sich in einigen von der Public-Relations-Abteilung herausgegebenen Broschüren.50 Dabei wird der Kaffee immer im Zusammenhang mit "Unternehmenskultur" genannt. Auch an Hochschulen betreibt das Unternehmen mit Kaffee Werbung, indem es bei Vorträgen und Präsentationen über die "Unternehmenskultur als Instrument der strategischen Unternehmensführung"51 unter anderem auf den "freien Kaffee" und die "gemeinsamen Kaffeepausen" verweist. In der Innendarstellung spielt der Kaffee eine ebenso wichtige Rolle. Sowohl die Betriebszeitung als auch andere firmeninterne Broschüren stellen immer wieder die Besonderheiten der Kaffeekultur heraus. Und für Bewerber und neue Mitarbeiter zählt der Gang zum Kaffeepott zu den unverzichtbaren Bestandteilen der Initiation. So beschreibt eine Sachbearbeiterin in der Personalabteilung, wie sie gewöhnlich einen Bewerber in die Firma einführt: Das erste, wenn ich ihn abhole vom Empfang, das ist der Hinweis auf diese Regelung. Man spricht sich mit dem Vornamen an. Daß es eigentlich Pflicht ist, daß jeder sein Namensschild trägt, damit man weiß, mit wem man spricht. Dann kommt man meistens irgendwo an einem Kaffeepott vorbei. Dann wird das angesprochen, daß es kostenlos Kaffee gibt und daß man sich auch Kaffee holen kann, wenn einem gerade danach ist. Ein Ingenieur erinnert sich an sein vor zwanzig Jahren geführtes Einstellungsgespräch: "Das wurde 50 51   Etwa in der Broschüre: "Das Unternehmen im Überblick" (1993), S.8. Dies ist der Titel eines Vortrags vom September 1993, mit dem Mitarbeiter des Unternehmensbereichs Medizinelektronik die Firma nach außen hin darstellen können. Autor dieser Präsentation ist einer der führenden Manager im Bereich Medizinelektronik. damals als das große benefit verkauft, das kostenlose Frühstück und der Kaffee." Auch für die Beschäftigten hat der Kaffee diese besondere Bedeutung. Zwar wird dies im Arbeitsalltag nicht deutlich, sehr wohl aber im Umgang mit Kunden oder neuen Mitarbeitern. Kunden und andere Besucher werden in der Regel bereits kurz nach ihrer Ankunft mit der spezifischen Praxis vertraut gemacht. Und auf die Frage, wie sie denn einen neuen Beschäftigten in die Firma einführen würden, antworten viele Mitarbeiter: "Mit dem würde ich mich zuerst einmal an den Kaffeepott stellen." Auch nicht alltägliche Handlungen, etwa Feiern, informieren über den Stellenwert des Getränks für die Beschäftigten. So wurde bei den Weihnachtsfeiern 1992-1994 regelmäßig in Sketchen die Zeichenhaftigkeit des firmeneigenen Kaffeetrinkens thematisiert. Erster Sketch (1992): Praktikanten veranstalten einen Wettbewerb. Die von ihnen ausgesuchten neun Freiwilligen, zumeist hohe Manager, bekommen die Aufgabe zugewiesen, möglichst schnell eine heiße Tasse Kaffee zu trinken. Der Sieger erhält ein Päckchen Kaffeepulver. Mit dem Sketch stellen die Praktikanten unter Beweis, daß auch sie schon die Bedeutung des Symbols kennen. Sie zeigen auf diese Weise kulturelle Kompetenz und arbeiten an ihrer sozialen Integration. Zweiter Sketch (1993, über Sparmaßnahmen): Zwei Ingenieure unterhalten sich am Stehtisch, jeder hat einen Firmenbecher mit Kaffee vor sich. Der Kaffee ist nicht Thema der Sparmaßnahmen, aber Kulisse und kontextueller Rahmen, mit dem das "informelle Gespräch" verziert bzw. als solches kenntlich gemacht wird. Der Sketch besagt: Zur Unterhaltung gehört ein Tässchen Kaffee am Stehtisch einfach dazu. Dritter Sketch (1994, über Sparmaßnahmen): Diesmal ist der Kaffee nicht Kulisse, sondern Thema. Am Stehtisch stehen mehrere Ingenieure und reden über Sparmaßnahmen. Auf dem Tisch steht eine Thermoskanne, die zeigen soll, daß sich die Beschäftigten den Kaffee neuerdings selbst mitbringen. Alle teilen sich ein unbelegtes Brötchen und jammern über alte Zeiten, wo noch jeder ein ganzes belegtes Brötchen bekommen hat. Bislang sollte lediglich demonstriert werden, welche enorme Bedeutung das Unternehmen dem Kaffeetrinken verleiht: Es dient ihm als Mittel zur kulturellen Selbstdarstellung. Sowohl die sachkulturelle und räumliche Inszenierung des Kaffeetrinkens wie auch die Binnen- und Außendarstellung von Firma und Angestellten sind Erzählungen über die symbolischen Bedeutungen des Getränks und noch wichtiger - über firmenkulturelle Werte und Haltungen, die sich am Kaffeetrinken analysieren lassen. Im folgenden geht es um eine genauere Betrachtung derselben. Insbesondere vier firmenkulturellen Werte - (1) Großzügigkeit der Firma gegenüber ihren Beschäftigten, (2) flüssige Kommunikation, (3) Egalität und (4) Internationalität und american way - werden über das Kaffeetrinken konnotiert bzw. sollen konnotiert werden.52 Dabei sind die Werte (1), (2) und (3) für Firma und Angestellte besonders wichtig. Hiermit verglichen ist (4) von geringerer Bedeutung. 52  Die Repräsentationsfrage des Symbols Kaffee stößt hier zunächst auf eine Grenze: Es kann nicht geklärt werden, ob Kaffee bzw. das Kaffeetrinken vor allem auf existente Werte verweist oder ob hierin nicht vielmehr ein ersehntes Soll-Wertesystem seinen Ausdruck findet. Großzügigkeit Schon zu Beginn der Niederlassung des Konzerns in Südwestdeutschland war der Kaffee für die Beschäftigten kostenlos. Ob diese Vergünstigung auch in Zukunft Bestand hat, ist laut Firmenleitung nicht völlig sicher. Als die deutsche GmbH im Herbst 1993 die Kürzung einiger Sozialleistungen beschloß, blieb der Kaffee zwar tabu, allerdings kursierten Gerüchte, daß er und das kostenlose Frühstücksbrötchen auf dem Prüfstand gewesen seien.53 Ein solcher Schritt dürfte der Firmenleitung sehr schwer fallen, kennt sie doch die Vorzüge des Gratiskaffees nur allzu genau und weiß sie für sich nutzbar zu machen. Einer der langjährigen Produktingenieure berichtet: Ich muß sagen, es hat mich immer gewundert, daß in dem ganzen Auf und Ab, wo auch mal der Gürtel enger geschnallt wurde, ich glaube, es war Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, wo extrem viel gespart wurde, das war ein Element, das nie angepackt wurde. Das wäre ein Sakrileg gewesen, eine heilige Kuh. Das ist ja auch ein Haufen Geld, was das kostet. Das ist nie rausgenommen worden. Dieser Punkt verdient eine genauere Analyse. Welche Motive hat der Konzern, den Kaffee gratis anzubieten? Wie nehmen die Beschäftigten diese Sozialleistung entgegen? Wird sie als Geschenk begriffen? Darf das Unternehmen darauf hoffen, daß der Kaffee folglich die Anbindung an den und die Loyalität gegenüber dem Betrieb fördert? In Anlehnung an ein bekanntes deutsches Sprichwort ließe sich vermuten: Wes Kaffee ich trink, des Lied ich sing. Und wenn der Kaffee auch noch gratis ist, erschallt das Loblied vielleicht umso lauter und inbrünstiger. Bevor sich der Blick nun auf die Wahrnehmungen und Bewertungen der Beschäftigten richtet, ist eine Bemerkung über den Geschenkcharakter der Sozialleistung Kaffee geboten. Folgt man der strukturfunktionalistischen Analyse des französischen Anthropologen Marcel MAUSS (1978), so steht hinter jeder Gabe ein Interesse, das grundsätzlich anderer Natur ist als beim Handel und Tausch. Die Gabe verfolgt immer ein moralisches Ziel. Sie soll freundschaftliche Gefühle zwischen den beteiligten Personen hervorrufen: Die Themen der Gabe, der Freiwilligkeit und des Zwangs der Gabe, der Großzügigkeit und des Interesses, tauchen in unserer Gesellschaft wieder auf wie ein beherrschendes, doch lange vergessenes Motiv (S.126). Nun hat eine Firma, die freiwillige Sozialleistungen anbietet, zweifellos das Interesse, die emotionale Anbindung der Belegschaft an das Unternehmen zu forcieren. Man kann sogar sagen: Diese Funktion eines Geschenks wird vom Unternehmen bewußt und gezielt eingesetzt. Hier zeigt sich also eine strukturelle Gemeinsamkeit zwischen einem Geschenk und einer Sozialleistung. Auf der anderen Seite gibt es auch einen gewichtigen Unterschied. Nach MAUSS zieht jede Gabe zwei Verpflichtungen nach sich. Einmal die Pflicht, die Gabe anzunehmen "und 53  Im Vergleich zu anderen Sozialleistungen der Firma sind die Kaffeekosten relativ gering. Im Schnitt hat die Firma deswegen einen jährlichen Kostenaufwand von etwa vierzig Mark pro Angestellten. sogar zu preisen" (S.71), zum anderen die Pflicht, sie zu erwidern. "Die nicht erwiderte Gabe erniedrigt auch heute noch denjenigen, der sie angenommen hat" (S.123). Der Gratiskaffee kann, er muß nicht getrunken werden. Insofern ist diese Sozialleistung kein Geschenk, sondern ein Angebot. Erst in dem Augenblick, in dem die Beschäftigten dieses Angebot nutzen, kann der Kaffee für sie eine geschenkähnliche Bedeutung bekommen. Doch nun zu den Haltungen der Beschäftigten. Alle Beschäftigten begrüßen die Tatsache, daß der Kaffee gratis ist. Die Gründe hierfür sind mehrheitlich pragmatischer Natur, die Beschäftigten betonen immer wieder, "daß es einfach toll ist, wenn man sich um nichts kümmern muß." Eine Sekretärin erklärt: Das wäre schon sehr umständlich, wenn man jedesmal, wenn man sich einen Kaffee rauslassen will, eine Mark in der Tasche haben muß. Manche der Beschäftigten führen sogar Gründe an, die sich auf die Firmenideologie beziehen. Ein Produktingenieur meint: Der Gratiskaffee, das ist Voraussetzung. Wenn sie das nicht mehr machen, dann suche ich mir einen anderen Job. Frage: Tatsächlich? Nein, das war ein Witz, das war übertrieben. Aber der Gratiskaffee gehört einfach zur Firma dazu. Wenn man für den Kaffee bezahlen müßte, das wäre furchtbar. Das wäre wirklich nicht mehr dieselbe Firma. Die Bewertungen dieser kostenlosen Offerte fallen etwas heterogener aus. Hier gibt es drei verschiedene Haltungen, die sich mit Anspruch, nüchterner Akzeptanz und Dankbarkeit charakterisieren lassen. Die Anspruchshaltung, die schon im letzten Zitat anklingt, sieht im Gratiskaffee "ein Gewohnheitsrecht". "Das war schon immer so. Das gehört einfach dazu." Sie kann sich jedoch, wie im folgenden Zitat eines Ingenieurs deutlich wird, mit dem Gefühl von Dankbarkeit verbinden: Ich erwarte das. Ich finde einfach, daß die Firma das bezahlen muß. Ich weiß aber auch, daß das nicht alle Firmen machen. Deshalb bin ich schon dankbar dafür. Die zweite Haltung, die hier mit nüchterner Akzeptanz umschrieben ist, sieht den Kaffee als "eine von vielen Sozialleistungen", die den Beschäftigten ähnlich zustehen wie das Gehalt, die angenehm sind, aber in Zeiten einer Rezession durchaus gekürzt und gestrichen werden können. So erklärt eine Sekretärin: Also wenn es den Kaffee nicht umsonst gäbe, wäre das auch nicht so schlimm. Natürlich, es ist eine angenehme Begleiterscheinung. Ich hätte wenig Lust, hier auch noch Kaffee zu kochen. Aber der Kaffee hebt und senkt nicht in dem Maß die Arbeitsmotivation, wie es von außen gesehen wird. Mir wäre es zum Beispiel lieber, wenn man das kostenlose Frühstücksbrötchen abschaffen würde. Dann frühstückt man halt daheim und es müßten weniger andere Sozialleistungen gestrichen werden. Die bei weitem verbreitetste Haltung ist Dankbarkeit. Der Gratiskaffee war 1971 einer Angestell- ten sogar ein Gedicht wert, das sie für die Betriebszeitschrift verfaßte.54 Die Mehrzahl der Beschäftigten sieht den Gratiskaffee als Geschenk oder als Sozialleistung, wobei letztere für die Interviewten einen geschenkähnlichen Charakter hat. "Das wird von vielen nicht mehr so gesehen," meint ein Ingenieur, "weil es selbstverständlich geworden ist. Aber die Firma muß das ja nicht machen." Teilweise werden, nur um der Firma Großzügigkeit zubilligen zu können, komplizierte argumentative Pirouetten gedreht, wie der folgende Interviewauszug mit einer Chefsekretärin zeigt: Für den Kaffee bin ich wirklich dankbar. Ich meine, das geht eben auch von unserem Gewinn ab. Das muß man sehen. Das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit. Frage: Aber wenn es vom Gewinn abgeht, dann ist der Kaffee ja ein Verdienst der Mitarbeiter und kein Geschenk der Firma. Ja, das stimmt. So kann man das natürlich auch sehen. Aber ich finde trotzdem, daß das keine Selbstverständlichkeit ist, ich bin jedenfalls dafür dankbar. In wirtschaftlichen Organisationen ist im allgemeinen die dominante Form des Tausches die von Arbeit gegen Kapital. Sie ist hochgradig verrechtlicht und versachlicht, also zumindest definitorisch weitgehend unemotional. Dankbarkeit hingegen ist ein Gefühl, das in solch einem Kontext scheinbar deplaziert wirkt. Daß Dankbarkeit jedoch ganz ähnliche Wechselwirkungen hervorbringt wie andere Tauschbeziehungen, vermutet Georg SIMMEL (1907), wenn er die Dankbarkeit als die "Stellvertreterin des Rechts" (S.210) bezeichnet. Dankbarkeit beruht auf Wechselwirkung, sie verlangt immer eine Erwiderung der Wohltat. Insofern ist ihr der Zwang inhärent. Wo wir von einem anderen Dankenswertes erfahren haben, wo dieser 'vorgeleistet' hat, können wir mit keiner Gegengabe oder Gegenleistung - obgleich eine solche rechtlich und objektiv die erste überwiegen mag - dies vollkommen erwidern, weil in der ersten Leistung eine Freiwilligkeit liegt, die bei der Gegenleistung nicht mehr vorhanden ist. Denn zu ihr sind wir moralisch verpflichtet, zu ihr wirkt der Zwang. (S.215) Zur Dankbarkeit gesellt sich die Verpflichtung zu einer Gegengabe. Die Beschäftigten, so muß man nun vermuten, fühlen sich der Firma verbunden und reagieren mit Gegengeschenken, die sie für angemessen erachten, mit Loyalität und Treue, mit Eifer und Mehrarbeit. Viele Mitarbeiter machen - was zwar nicht unbedingt dem Gratiskaffee zuzuschreiben ist, aber ebenfalls die Gegengabe indiziert - gerade deshalb täglich unbezahlte Überstunden, "weil es bei uns so locker zugeht." Wenn man berücksichtigt, daß weit mehr als die Hälfte der befragten Angestellten angibt, für die Firma "mehr zu tun, als eigentlich von mir verlangt wird", bestätigt sich die Vermutung: Die relativ geringe Investition des Konzerns in das Kaffeepulver hat sich gerechnet. Trotz der immer wieder bekundeten Dankbarkeit verweisen viele der Befragten auch auf die Vorteile, die das Unternehmen aus der Regelung zieht. Dabei werden insbesondere drei Motive genannt: 1. Verbesserung des Informationsflusses: "Das kommt der Firma natürlich sehr zugute, weil so am 54 Uhr  Ein Auszug aus dem Gedicht ("puls", Dezember 1971, S.15): "Täglich ist bei uns im Hause/ um 9.15 Frühstückspause/ Kuchen, Brötchen, Kaffee, Tee/ alles gratis bei GT." Kaffeepott Kommunikation stattfindet." 2. Zeit- und Kostenersparnis: "Das würde ja von unserer Arbeitszeit abgehen, wenn wir den Kaffee selber machen müßten. Letztendlich käme das die Firma viel teurer." 3. Image: Ein Ingenieur spricht über die relativ einfache und billige Möglichkeit zur Selbstdarstellung: Ich erkenne das als eine der außertariflichen Sozialleistungen an. Sie ist zwar nicht die teuerste, aber sie hat viel Visibilität. In der Produktion, wo die Leute sich nicht so viel Gedanken machen, wird der Kaffee und das kostenlose Frühstück als die größte Sozialleistung der Firma gesehen. Im untersuchten Bereich ist nur ein Angestellter mit der kostenlosen Kaffeeofferte unzufrieden. Sein Argument bezieht sich jedoch eher auf gesundheitliche Faktoren: Es gibt hier eine unglaubliche Hetzkampagne gegen Raucher. Aber hier kann jeder hektoliterweise Kaffee trinken. Ich weiß nicht, warum das hier möglich ist. Aber vielleicht brauchen es einige, um sich auf Trab zu bringen. In der Tat ist der Kaffeekonsum bei den meisten Beschäftigten sehr hoch, was auch im nächsten Zitat zum Ausdruck kommt: Manche Leute hier sind immer mit einem Kaffee in der Hand zu sehen, die laufen ständig mit einer Kaffeetasse durch die Gegend und kommen sich damit unheimlich locker vor. Ich finde das affig und kulturlos. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn man sich einen Kaffee holt und damit in einen Konferenzraum geht. Aber manche sind immer mit der Tasse unterwegs. Kaum einer der kaffeetrinkenden Mitarbeiter bleibt in seinem täglichen Verbrauch unter drei großen mugs, das entspricht der Menge von sechs deutschen Tassen. Selbst die doppelte Menge, also etwa 12 kleine Tassen, ist beileibe nicht ungewöhnlich. Nach ihrem täglichen Konsum befragt, antworten denn viele Mitarbeiter: "Zu viel, leider." Sie bekennen, den Kaffee oftmals deshalb zu trinken, "weil er einfach da ist. Weil es keine Mühe macht, sich einen zu holen." Eine Sachbearbeiterin erklärt: "Am liebsten würde ich eigentlich Sprudel trinken. Aber dann müßte ich einen Stock tiefer laufen. Meistens bin ich dazu zu faul." So vielschichtig und different die oben beschriebenen Wahrnehmungen sind, kristallisiert sich doch folgende Tendenz heraus: Alle befragten Mitarbeiter sehen den freien Kaffee als ein wesentliches Merkmal der "Firmenkultur", die meisten empfinden Stolz und Dankbarkeit - ein Indiz der Wirksamkeit dieser unternehmenskulturellen Strategien, um die die Beschäftigten aber auch wissen. Allerdings müssen sie sich diese Dankbarkeit erst in Erinnerung rufen, wie folgende häufig gebrauchte Formulierung zeigt: "Das ist wirklich keine Selbstverständlichkeit, auch wenn viele das so sehen." Die Tatsache, daß ein Gros der Befragten den anderen Kollegen und Kolleginnen diese falsche, weil undankbare Haltung zuschreibt, ist bezeichnend: Während die Firma in ihrer Außendarstellung dem Kaffee die Aura des Besonderen verleiht, gehört er für die Mitarbeiter schlichtweg zum Arbeitsalltag. Er ist permanent verfügbar und erfordert von den Beschäftigten keinen Arbeitsaufwand. Während die Firma und ihre Beschäftigten die betriebsspezifische Kaffeekultur für die Außenwelt zum Ereignis stilisieren können, ist sie für die Mitarbeiter selbst das genaue Gegenteil: ein Anti-Ereignis und Anti-Erlebnis, eine Selbstverständlichkeit und ebenso unspektakulär wie der sprichwörtliche kalte Kaffee. Flüssige Kommunikation Zunächst eine allgemeine Bemerkung über die Semiotik des Getränks. Kaffee ist ein hochgradig symbolbeladenes Getränk. Die Symboliken des Kaffees sind mehrdeutig, teilweise gehen die kulturell vermittelten Bedeutungen sogar in konträre Richtungen. Für die folgende Analyse sind insbesondere zwei Bedeutungsebenen relevant: Auf der einen Seite ist er ein ernüchterndes, wachmachendes, anregendes Getränk, eine Arbeitsstimulanz. Er ist die, wie SCHIVELBUSCH (1983) es formuliert, "bürgerlich protestantische Ethik in verflüssigter Form." Doch ebenso ist er ein Zeichen der Gastfreundschaft, des gemütlichen und ausführlichen Sprechens, des Kaffeeklatschs; ein kultiviertes Genußmittel, das sorgfältig zubereitet und genüßlich getrunken werden sollte, ein Symbol des Heimes und der Festlichkeit zugleich - die Fernsehwerbung weiß das alles sehr genau. GT kennt, wie noch zu zeigen sein wird, diese Konnotationen ebenso.55 Wenn in Broschüren der Firma oder in der hauseigenen Zeitschrift vom Kaffee oder den Kaffeeecken die Rede ist, wird fast immer der Begriff "Kommunikation" ins Spiel gebracht. Diese Assoziation ist sicherlich naheliegend. Die Art und Weise, in der dieser Begriff eingeführt wird und seine Konnotationen verdienen eine genauere Betrachtung. Als Beispiel dient eine kleine Meldung im Januar 1991 in der Firmenzeitschrift "puls". Unter der zweiseitigen Rubrik "Freizeit Kommunikation - Umwelt" und der dicken handgeschriebenen Unterzeile "Come together!" finden sich neben Meldungen über firmeneigene Ferienhäuser und über den Freizeitclub des Unternehmens auch einige Zeilen über Kaffee. Die Überschrift lautet: "Kaffeestation - Cafeteria Kommunikation". Und so beginnt der Text: Für viele (...) führt morgens der erste Weg an die Kaffeestation ('Kaffeepott'). Beim Frühstück trifft man sich, man geht aufeinander zu, steht beieinander und redet miteinander - ein geradezu ideales Kommunikationszentrum. Anschließend folgt ein kurzer Bericht über die erfolgreiche Umstellung von Plastikbechern auf Keramiktassen. Der Artikel ist mit einer Fotographie illustriert, die zwei Gruppen junger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zeigt, die, an runden Bistrotischen sitzend, auf der Tischplatte die Kaffeetassen, in entspannter Atmosphäre miteinander plaudern. Das Foto könnte auch in einem "echten" Bistro aufgenommen worden sein, jedenfalls fehlen Hinweise auf den Kontext Firma. Die Bildunterschrift lautet schlicht: "Kaffee & Kommunikation". Die Konnotationen des Begriffs "Kommunikation", die sowohl der Text und das Photo als auch das semantische Umfeld suggerieren, sind beabsichtigt und eindeutig. Kommunikation steht hier nicht für Anstrengung und Arbeit, geschweige denn für Kontrolle und Konflikt. Es geht um die schöne Seite der Kommunikation, um Urlaub, Ferien und Freizeit, um Spaß und um all die anderen "Come toget55  Diese Überlegung zur Semiotik des Kaffees entstand in Zusammenarbeit mit Götz BACHMANN und ist unserem Vortrag auf dem Deutschen Ethnologenkongreß 1993 in Leipzig entnommen. Für eine ausführlichere Darstellung der Symbolebenen des Kaffees verweise ich auf die Tübinger Magisterarbeit von BACHMANN (1994). her"-Assoziationen, wenn sich in der Stuyvesant-Werbung fremde Menschen begegnen und eine prima Zeit miteinander haben.56 Im Gegensatz zu den schriftlichen Äußerungen der Firma entwerfen die Beschäftigten ein differenzierteres - und man kann wohl sagen: realistischeres - Bild der Kaffeegespräche. Sie schreiben der Kaffeeecke zwei Funktionen zu: Sie dient sowohl als Informationsbörse wie auch als Ort der kurzfristigen Entspannung. Nahezu alle befragten Mitarbeiter erwähnen beide Funktionen, allerdings führen viele dabei zunächst den Informations- und Kommunikationsaspekt an und kommen anschließend auf den Regenerations- und Pausencharakter der Kaffeeecke zu sprechen. Die Übergänge von eins nach zwei sind, wie das folgende Zitat einer Sekretärin zeigt, oftmals fließend und unmerklich: Der Informationsfluß ist am Kaffeepott sehr groß. Größer, als wenn man die ganze Zeit am Arbeitsplatz sitzt. Dort trifft man dann welche von anderen Bereichen und die erzählen dann, woran sie gerade arbeiten und wie es da so ist. Da erfährt man die meisten Dinge. Offiziell kommt das erst später. Die Gerüchteküche ist schneller. Organisationsänderungen oder so etwas, das sickert immer vorher durch. Und dann trifft man sich dort und dann geht das so automatisch. Das ist auch ganz witzig. Man lernt sich dort irgendwie besser kennen. Und es ist viel lockerer und es werden Witze gemacht. Bei mir hat sich das schon eingependelt, daß ich sage, jetzt könnte ich mal eine Pause gebrauchen. Und dann suche ich mir jemanden oder treffe dort jemanden. Ich finde das blöd, den ganzen Tag vor sich hinzuarbeiten. Da stumpft man ja total ab. Also die Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen sollten schon ein bißchen gepflegt sein. Wir lachen auch viel miteinander, muß ich sagen. In bezug auf die Informationskultur kommen in diesem Zitat zwei wesentliche Spezifika, zwei Stile des Hauses zum Ausdruck: Einmal die firmenoffizielle Anerkennung und Förderung dieser informellen und extrem effizienten Informationspraxen. Alle wissen um die unverzichtbaren Vorteile der "Gerüchteküche", wissen, daß inoffizielle Mitteilungen - wenn auch oftmals weniger gesichert schneller sind. Gerüchte über Maßnahmen und Vorhaben der Firma gibt es sicherlich in allen Firmen, eine Gerüchteküche braucht jedoch einen infrastrukturellen Rahmen, und was wäre dafür besser geeignet als eine Kaffeecke. Möglicherweise verändert sich damit auch der Charakter der Gerüchte: An der Kaffeeecke sind sie firmenöffentlich. Indem die Firma mit solchen Ecken den stets florierenden Klatsch als legitim anerkennt und ihm seinen Raum zuteilt, diszipliniert und entschärft sie ihn auch. Der auf der Bühne produzierte Klatsch ist harmloser als das Gemauschel hinter den Kulissen. 56  Die ursprünglichen Konnotationen des "Come-Together"-Slogans waren natürlich andere und sind inzwischen etwas in Vergessenheit geraten. 1969 trat der Drogenguru Timothy Leary bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien mit diesem Slogan gegen Ronald Reagan an. Der von Leary kreierte Slogan war doppeldeutig: Er bezog sich sowohl auf Menschen wie auch auf die Beziehungen, die Menschen zu Drogen unterhalten sollten. John Lennon, der Leary im Wahlkampf zu unterstützen versuchte, hat aus dem Slogan einen Song gemacht (vgl. hierzu das taz-Interview mit Leary vom 25.10.1995, S.17). Dadurch machte der Slogan Karriere und ging um die Welt. In seiner heutigen Bedeutung, die insbesondere die Zigarettenfirma Stuyvesant prägt, sind die ursprünglichen Assoziationen verlorengegangen. Das Zitat macht noch auf ein zweites Prinzip der Informationspolitik aufmerksam: auf die enge Verbindung der den Stehtischen zugeschriebenen Funktionen. Für sich betrachtet sind Information und Entspannung zwei eigenständige Bereiche ohne direkte Verbindung. Am Stehtisch jedoch verschwimmen sie. Die Sphäre der Arbeit (Information) und die Sphäre der Nichtarbeit (Pause machen, Entspannung) ist kaum noch zu trennen. Die Kommunikation kann witzig sein, das Lernen loker, die Kollegen und Kolleginnen präsentieren sich stärker von ihrer privaten Seite, und mit der Vertiefung des Zwischenmenschlichen gehen wiederum arbeitsdienliche Informationen einher. Die Stehtische fungieren hier als Konstitutionsorte informeller Netzwerke. Die Belegschaft nutzt dieses Angebot und erfüllt somit zugleich die Erwartungen der Firma. Die Stehtische sind ein Ausdruck der "flüssigen" Sozialbeziehungen: Hier bilden sich in der Regel keine starr festgelegten, nach außen hin abgeschlossenen Gruppen. Die Figurationen können sich schnell verändern. Auch geht kaum jemand alleine an den Kaffeepott, und noch seltener ist ein Beschäftigter ohne Begleitung an einem der Stehtische anzutreffen. Wer dort allein gesichtet würde, dem haftete das Stigma des verschlossenen Eigenbrötlers an, er begäbe sich quasi mitten auf der Bühne in Opposition zur herrschenden Firmenideologie. Wer also an einem der Stehtische weilt, sucht sich dafür einen Gesprächspartner. Daß die informelle Kommunikation dann nicht allzu gemütlich wird, dafür sorgt schon das Artefakt Stehtisch. Für den behäbigen Plausch braucht man eine Rückenlehne. Die Stehtischgespräche, hierzu zählen die privaten ebenso wie die arbeitsbezogenen, sind folglich schnell, konzentriert, schlagfertig und sie verlaufen im Bewußtsein der Zeitknappkeit.57 Im Stehtisch materialisiert sich somit ein wichtiger Zug der corporate identity. Das Unternehmen, dies sollte bislang gezeigt werden, kennt die beiden dominanten Assoziationsfelder des Kaffees, es bedient sie sogar und weiß sich ihrer zu bedienen. Es weiß also, daß der Kaffee einerseits als Aufwecker und Wachmacher betrachtet wird, daß er ein anregendes und die Konzentration förderndes Arbeitsmittel ist und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter unterstützt. Es weiß jedoch ebenso um die lebensweltlichen Zuschreibungen dieses Getränks: Kaffee begünstigt ein warmes Klima, produziert Informalität und Gemütlichkeit und symbolisiert ein Klima, das von allen Mitarbeitern als locker, offen und kommunikativ beschrieben wird. Entspannung und Leistung sind bei dem Computerkonzern zwei Seiten derselben Medaille. Mit dem Kaffee will die Firma sagen: Die Arbeit bei uns soll Spaß machen. Oder etwas zugespitzter: Die Arbeit bei uns macht Spaß. Bezeichnenderweise steht auf dem Plakat, das in Stichworten dreizehn Merkmale der "GT-Firmenkultur" benennt, als fünfter Punkt: "Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit." Egalität 57  Was für den Barhocker gilt - DEGREIF (1990, S.201) bezeichnet ihn als ein "Signum der knapp bemessenen Zeit" trifft auf den Stehtisch natürlich noch weit eher zu. Das Bild von der Sekretärin, die für ihren Vorgesetzten Kaffee macht, und dem Chef, der gar nicht wüßte, wie das geht, ist nicht nur ein gängiges Klischee. Kaffeekochen gehört schlechthin zu den zentralen informellen Tätigkeiten einer Sekretärin.58 Bei GT ist dieses, die Hierarchie hervorhebende Bild aus zweierlei Gründen nicht mehr vorzufinden. Zum einen ist die Maschine und nicht die Sekretärin für die Kaffeebereitung zuständig, zum anderen erfordert ein Knopfdruck wesentlich weniger Know-How als die übliche, mit Haushalt und Frau assoziierte Zubereitungsweise. Das klassische hierarchieindizierende Bild kann also in der betrieblichen Realität keine Entsprechung finden. Folglich wird das Kaffeetrinken von den Beschäftigten oftmals indirekt als Indiz einer egalisierenden Kultur angeführt, die keine hierarchischen Unterschiede macht. So fällt gegenüber Kunden, Besuchern und neuen Mitarbeitern fast regelmäßig die Formel: "Bei uns holen sich alle ihren Kaffee selbst." Manchmal wird, um die volle Tragweite dieser Habitualisierung zu verdeutlichen, auf eine konkretere Redewendung zurückgegriffen. Dann heißt es mit hörbarem Stolz in der Stimme: "Bei uns holen sich auch die Vorgesetzten ihren Kaffee selbst". Beide Formulierungen betonen allerdings nicht die sachkulturelle Voraussetzung, der die egalisierende Wirkung in erster Linie zu verdanken ist, sondern richten den Fokus auf die löbliche Haltung der Vorgesetzten. Obwohl die oben genannten Formulierungen im Arbeitsalltag sicherlich größtenteils zutreffen, beschreiben sie in einigen Fällen wohl eher eine Wunschvorstellung als die Realität. So erzählt eine Sekretärin eher beiläufig und unvermittelt, wie dieses Prinzip durchbrochen wird - ein Beispiel für die Kluft zwischen der offiziell propagierten Ideologie und Handlungen, die ihr nicht entsprechen: Frage: Werden die Frauen denn hier noch in ihre klassische Rolle gedrängt? Antwort: Also es gibt hier nicht mehr die typische Sekretärinnenrolle mit Kaffeekochen und Kaffeeholen. Frage: Kaffeekochen muß hier ja auch niemand. Antwort: Nein, aber einige Sekretärinnen müssen manchmal in die meetings Kaffee hineinbringen. Besonders, wenn hoher Besuch da ist. (...) Und das ist auch so etwas. Ich finde, daß sich jeder selbst seinen Kaffee holen könnte. Aber okay, wenn es der Vorgesetzte so will, dann muß man das mehr oder weniger befolgen. Frage: Das widerspricht doch der Firmenphilosophie, oder? Antwort: Ich weiß nicht, ob es in der job description drinsteht, daß man den Kaffee ins meeting bringen muß, ich glaube, das steht nicht drin. Aber manchmal macht man es halt lieber, bevor man deshalb Scherereien hat. Zuerst wird konstatiert, daß es die klassische Sekretärinnenrolle nicht mehr gibt. Zwei Beispiele, 58  In ihrer Studie über Sekretärinnen schreibt PRINGLE (1988, S.25): "The issue of making tea or coffee came up in just about every interview. It provoked more passion than repetitive strain injury or sexual harassment. It both mirrors and reproduces power relations." Wie sehr das Kaffeekochen die Sekretärinnen in ihrem Selbstwertgefühl verletzen kann, wird in einer Reportage von HELD (1982, S.97) deutlich. Eine der von ihr interviewten Sekretärinnen erzählt: "Ich gehe für ihn [den Chef, A.W.] zur Bank, ich telefoniere mit seiner Frau, mache auch sonst allerlei Privates nur den Kaffee will ich nicht holen, aus Prinzip." Kaffee kochen und Kaffee holen, sollen dies belegen. In dem Gespräch zweifle ich eines der Beispiele als Beleg an, worauf die Sekretärin, um ihr zweites Beispiel zu verteidigen, ihre ursprüngliche Aussage deutlich relativiert. Im Laufe der anschließenden Illustration einer prototypischen Frauenarbeit im Betrieb bekommt die erste Aussage den Charakter einer gut einstudierten Phrase. Der letzte Passus des Zitats leuchtet den Spielraum für die Vorgesetzten aus. Bei geschäftlichen Kontakten können sie also wieder auf die üblichen Präsentationen von Macht zurückgreifen. Solche Abweichungen von der Firmenideologie werden von den untergebenen Befehlsempfängern zwar nicht sanktioniert, aber dennoch sorgfältig registriert. In puncto Gastlichkeit und Kundenbewirtung scheint sich GT in seinen Geschlechterrollenzuschreibungen von anderen Firmen kaum zu unterscheiden. Das Bewirten gilt immer noch als etwas der weiblichen Sphäre Zugeordnetes und damit als etwas Niederes; hier zeigen sich noch die traditionellen geschlechtsspezifischen Asymmetrien. Im Zusammenhang mit der im Unternehmen praktizierten open-door-policy wird von fast allen Beschäftigten ein weiteres egalisierendes Moment der Kaffeekultur genannt: Da alle in einem Großraum sitzen, seien die Vorgesetzten leichter erreichbar. Man müsse oftmals nicht erst mühevoll um einen Termin bitten, sondern könne die Manager oft ganz informell am Kaffeepott treffen und sie dann ansprechen. Das Beispiel Kaffeepott, das für einen zwanglosen und weitgehend unhierarchischen Umgang mit Hierarchie steht, taucht in fast allen Interviews auf. Es wird benutzt, um einen der zentralen firmenkulturellen Werte zu illustrieren, den informellen Umgang, auch mit Managern. Ein besonders schönes Beispiel findet sich in der Betriebszeitung. In diesem Forum haben im Mai 1988 Schülerzeitungsredakteure ihre Ergebnisse eines zweitägigen Workshops über die Besonderheit der Firma im Vergleich zu anderen Unternehmen präsentiert. Zitat: 'Eberhard, kommen Sie mal mit auf'n Kaffee?' spricht die Tippse zum Topmanager, denn man redet sich beim Vornamen an.59 Der Name Eberhard steht hier nicht ganz zufällig.60 Es ist der Vorname des damaligen Vorsitzenden der GmbH. Allerdings zeigt sich auch hier, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen. Aus einem Interview mit einer Sekretärin: Antwort: Das Management ist kaum greifbar. Entweder sind sie in meetings oder außer Haus. Daß die sich mal an den Kaffeepott stellen, darauf kann man lange warten. Das kommt jedes Schaltjahr einmal vor. Frage: Aber man ist doch immer ganz stolz, daß hier auch die Vorgesetzten an den 59 60   puls 5/88 Eine Bemerkung zu meinem Umgang mit Namen. In einigen Kapiteln dieser Arbeit verwende ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit Namen. Im Text erscheinen nur Vornamen. Da in der Firma das Vornamensprinzip gepflegt wird, habe ich aus atmosphärischen Gründen beschlossen, diese Regelung in meinen Text zu übertragen. Sofern dies Vornamen der von mir beobachteten und interviewten Beschäftigten sind, habe ich für die Anonymisierung Aliasnamen verwendet. Da einzelne Kapitel, etwa das Kaffeetassenkapitel in der Firma sehr leicht eine Dekodierung der Aliasnamen ermöglichen, habe ich die Namen nicht kapitelübergreifend angepaßt und vereinheitlicht. Innerhalb eines Kapitels wird der Aliasname natürlich immer für denselben Beschäftigten benutzt. Stehtischen zu finden sind. Antwort: Ja, das sollten sie auch, aber das sind sie eben nicht. Wo die Beschäftigten über die Kaffeeecke sprechen, bescheinigen sie ihr, sich auf deren Funktion beziehend, einen egalisierenden Charakter. Wo sie über die leitenden Manager im Untersuchungsbereich sprechen, fallen Klagen, daß diese den Stil des Hauses oftmals ignorieren oder vernachlässigen. Internationalität und american way Der Konzern GT ist international präsent. In 16 Ländern hat er Fertigungsstätten und in 110 Ländern Geschäftsstellen. Auch die GmbH strahlt Internationalität aus. Die offizielle Sprache ist englisch, die inoffizielle, im Firmenalltag benutzte Sprache ist Pidgin-Englisch. Die GmbH ist stolz auf diese Internationalität. Gleich zu Beginn meiner Feldforschung erklärt mir die Personalleiterin, daß im Großraum Beschäftigte aus 16 verschiedenen Nationen arbeiten. Internationalität wird auch durch Sachsymbolik hergestellt. So hängen im Untersuchungsgebiet an einer Wand vier Uhren, die über die aktuelle Zeit in vier wichtigen Weltstädten informieren. Daß der Kaffee dem Konzern einen internationalen Anstrich - und bis zu einem gewissen Grad auch us-amerikanische Züge - verleiht, erschießt sich nur aus wenigen Aussagen und eher indirekt. Mit dem Getränkeangebot stellt sich der us-amerikanische Konzern in seinen zahlreichen Niederlassungen in anderen Nationen auf die jeweiligen landesspezifischen Gewohnheiten ein. Einer der Ingenieure schwärmt: In den USA kann man zum Beispiel auch kostenlos Coca-Cola trinken. Und in England gibt es ein Teeangebot, das ist unvorstellbar. Bestimmt zwanzig Sorten. Die bieten schon allein zwei unterschiedliche Sorten Darjeeling an. Nur der Kaffee bleibt von diesen landesspezifischen Regelungen ausgenommen. Man kann ihn in allen Niederlassungen des Konzerns trinken und überall ist er gratis. Ein anderer Ingenieur erklärt: Ob es ein Büro in Timbuktu ist, ich weiß gar nicht, ob wir da eins haben, oder eine Fabrik in Japan: Kaffee ist überall verfügbar. Kaffee, der ja auch ein sehr nationales Getränk sein kann - jedes Land hat seine eigene Zubereitungsart - steht bei dem Konzern weltweit als Symbol für eine "positive Unternehmenskultur". Er ist ein Text über die Multinationalität des Konzerns, er vermittelt, ohne eindeutig zu amerikanisieren, Internationalität mit nationaler Besonderheit (so ist die Zubereitungsweise in einigen ausländischen Niederlassungen den nationalen Vorlieben angepaßt). Allerdings hat das Kaffeetrinken in der Computerfirma unverkennbar us-amerikanische Züge: Mit der "bottomless cup", einer metaphorischen bodenlosen Tasse, bezeichnet man in den USA eine Tradition, die nur für den Kaffee gilt. Danach muß man in fast allen Gaststätten, Kneipen und Tankstellen nur die erste Tasse Kaffee bezahlen. Anschließend kann man sich dann immer wieder (kostenlos) einschenken beziehungsweise nachschenken lassen. Dieses Prinzip wird nun nicht nur kopiert, sondern durch den Gratiskaffee sogar gesteigert. Daß diese us-amerikanische Tradition mit den regionalspezifischen Konsumgewohnheiten nicht immer harmonieren muß, mag die folgende Geschichte eines schwäbischen Mißverständnisses illustrieren. Hinter vorgehaltener Hand mokierten sich im Untersuchungsbereich einige Engländer über den hohen Kaffeekonsum ihrer deutschen Kollegen. Sie führen den hohen Konsum darauf zurück, daß der Kaffee kostenlos ist und bezeichneten diesen Zusammenhang als "very swabian." Damit greifen sie das wohlbekannte Klischee eines Schwaben auf, der aus Geiz, selbst wenn er sie eigentlich nicht will oder nicht braucht, alle kostenlosen Offerten in Anspruch nimmt. Einer der deutschen Ingenieure, übrigens ebenfalls ein Schwabe, gibt den Briten indirekt recht: Hier in dieser Firma trifft mal wieder eine meiner Lebensweisheiten zu: Was nichts kostet, ist nichts. Ich meine, was nichts kostet, wird nicht geschätzt. Ich glaube, die meisten merken gar nicht mehr, wenn sie Kaffee trinken. Und ein anderer Ingenieur ergänzt: "Hier wird man dazu verleitet, zu viel zu trinken. Die Hälfte bräuchte ich nicht. Wenn ich ihn bezahlen müßte, würde ich viel weniger trinken." Die dem Prinzip der amerikanischen bottomless cups angelehnten Konsumpraxen scheinen also nicht ohne Schwierigkeiten auf schwäbische Gewohnheiten übertragbar zu sein. Arbeit und Lebenswelt Abschließend soll das Kaffeetrinken nochmals unter den Stichworten Kommunikation und Individualität analysiert werden und zu Aussagen über die spezifische Form der Herrschaftsausübung führen. In der Art und Weise, wie die Beschäftigten in dieser Firma Kaffee trinken und wie sie ihr Kaffeetrinken beschreiben, so die These, bestätigt zum einen die von HABERMAS (1988) konstatierte zunehmende Kolonialisierung der (nicht systemischen) Lebenswelt durch systemische Vorgaben. Zum anderen deutet sich in der Kaffeekultur die hohe Akzeptanz der Firmenideologie durch die Beschäftigten an. Daß GT, wie bereits erwähnt, beide dem Kaffee zugeordneten Assoziationsfelder bedient, also sowohl die Arbeit wie auch die Lebenswelt, zeigt sich wohl nirgends schöner als an einem der zahlreichen Gründermythen. Dieser Gründersaga zufolge begann alles in einer kalifornischen Garage. Dort haben Ende der 30er Jahre die beiden Firmengründer mit einigen weiteren Mitarbeitern ihre ersten elektronischen Meßgeräte entwickelt. Dem Mythos zufolge haben in Kalifornien die Ehefrauen der beiden Firmengründer ihre Männer und die wenigen weiteren Mitarbeiter tatkräftig unterstützt: Sie kochten Unmengen von Kaffee und brachten ihn in Thermoskannen in die legendäre Garage. In diesem Bild verdichtet sich die Symbolik, die die Firma dem Kaffee zuweist. Auf der einen Seite findet sich hier die Familienmetapher als Indiz der Lebenswelt: Die Frauen unterstützen ihre Männer, und die anderen Mitarbeiter gehören wie selbstverständlich zur Familie. Die Firma als Familie - das ist ein Bild, das sich selbst heute noch, wo der Konzern bereits weltweit unter den ersten hundert rangiert, einer großen Beliebtheit erfreut. Auf der anderen Seite steht die Garage für Arbeit, für die manische Arbeit im Kaffeerausch. Weiterhin ist in diesem Bild bereits der unternehmensphilosophische Kerngedanke der Gründungsväter enthalten, ein Gedanke, den beide über fünfzig Jahre hinweg mit großer Regelmäßigkeit öffentlich artikuliert haben: I am convinced that men and women want to do a good job, a creative job, and if they are provided the proper environment, they will do so.61 Der Kaffee, nüchterner Wachmacher und wohlschmeckender Erquiker, gehört zweifellos zu dieser adäquaten Umgebung. Daß der Kaffee, jedenfalls in großen Mengen genossen, ein sehr ungesundes Getränk ist, daß er Magen, Herz und Kreislauf angreift, war bei dem ansonsten sehr gesundheitsbewußten Computerkonzern noch nie ein relevantes Thema. Im Gegensatz zur Zigarette, die seit einigen Jahren mit großer Vehemenz vom Arbeitsplatz verbannt wird, ist das Thema Coffein und Körper ein Tabu. Der Grund dafür ist offensichtlich: Ein so ambitioniertes Unternehmen, das sich im internationalen Markt das Ziel ganz hoch gesteckt hat, und eine Belegschaft, die dieses Ziel voll unterstützt, eine Verschwörung von Leistungswilligen also, werden kaum auf ein Getränk verzichten wollen, das gemeinhin Schnelligkeit und Konzentration verheißt.62 63 Die Beschäftigten haben den Selbstzwang zur Effizienz verinnerlicht. Während der Leistungsbereitschaft keine Grenzen gesetzt sind und die Angestellten, wie ein Ingenieur kritisch anmerkte, "hektoliterweise" Kaffee trinken dürfen, um sich "auf Trab zu bringen", trifft dies für das andere Assoziationsfeld des Kaffees, für Entspannung und Wohlbefinden, nicht zu. Lebensweltlich ausgehandelte Praxen regulieren und begrenzen das gemeinsame Kaffeetrinken. Obwohl die Befragten betonen, "daß man jederzeit am Pott stehen kann, ohne daß es heißt, 'kuck mal, jetzt steht die schon wieder da'", ist ein Aufenthalt am Stehtisch nicht zu jeder Tageszeit gleich legitim. Die informellen Gruppen konstituieren sich entsprechend einem zwar unausgesprochenen, aber doch gültigen informellen Regelwerk. Offizieller Zeitrahmen für die Stehtischnutzung - und gleichzeitig die Stoßzeit - ist die Frühstückspause. Aber auch direkt nach dem Mittagessen und am Spätnachmittag zeigen sich einige Beschäftigte an den Tischen. Andere Zeiten dagegen, zum Beispiel morgens zwischen zehn und zwölf Uhr, sind insofern weniger legitim, als sich dann deutlich weniger Mitarbeiter ein Verweilen bei der Kaffeeecke gönnen. Sollte sich etwa am Spätvormittag doch eine Gruppe an den Stehtischen einfinden, dann riecht ihr Kaffee intensiv nach Arbeit. Auch die Verweildauer unterliegt informellen Gesetzen: Zehn Minuten sind Usus, dann ruft der Schreibtisch. 61 62  Zitiert aus der Firmenbroschüre: Das Unternehmen im Überblick, S.8.  Daß Kaffee diese Eigenschaften haben soll, ist ein weit verbreiteter Glaube. Selbst Heinrich Eduard JACOB (1964), der die erste Kulturgeschichte des Kaffees verfaßte - die Encyclopedia Americana empfiehlt ihn als das grundlegende Hauptwerk zur Geschichte des Kaffees - war davon überzeugt: "Kaffee ist (...) ein für den Arbeitsprozeß des Volkes unentbehrliches, unschätzbares Energetikum" (S. 208). 63 sicher  Im "puls" (3/1985, S.15) dichtete eine Angestellte: "Oh schau, da steht ein Kaffeepott/ der macht uns wieder flott." Daß selbst solche Praxen, die ja aufgrund der hohen Selbstkontrolle der Beschäftigten immer im Rahmen der informellen Regeln bleiben, durch formalisierte Vorschriften bedroht werden können, mag das folgende Beispiel illustrieren. Wie bereits erwähnt, dürfen die Beschäftigten, ihren eigenen Aussagen zufolge, zu jeder Tageszeit am Stehtisch eine kurze Kaffeepause machen. "Da sagt niemand was, denn die Zeit, in der ich am Kaffeepott stehe, die hole ich abends wieder rein. Ich muß ja meine Arbeit fertigmachen. Aber wann ich das mache, das ist allein meine Entscheidung." Das Frühstück dagegen ist zeitlich eindeutig reglementiert. Immerhin gab es dafür über viele Jahre hinweg einen kleinen Spielraum: Die Beschäftigten im Beobachtungsbereich konnten ihre viertelstündige Frühstückspause irgendwann zwischen 9 Uhr und 9.30 Uhr halten. Eine zeitliche Pausenkontrolle war nahezu unmöglich. Man hat, gemäß den firmenethischen Grundsätzen, den Mitarbeitern vertraut und auf ihre Selbstverantwortlichkeit gesetzt. Inzwischen hängt aber in der Kaffeecke ein Schild mit folgendem Wortlaut: Frühstückspause !!! morning break !!! 9.15 h - 9.30 h Die Anordnung wurde im Sommer 1993, einige Wochen nach der Amtsübernahme des neuen division managers, im Din A 4 Format über die Kaffeemaschinen gehängt. Die neue Verordnung ist für viele Beschäftigte ein Affront, schließlich stellt sie das Vertrauen in die Mitarbeiter zur Disposition. Einige der Kommentare: - Als ob er nichts Wichtigeres zu tun hat, als die Frühstückspause zu reglementieren. - Jetzt gibt es überhaupt keinen Platz mehr an den Tischen. Ein einziges Gedränge. Eine lächerliche Entscheidung und völlig sinnlos. - Uns schreibt er vor, wann wir frühstücken müssen, und er selbst sitzt die ganze Zeit in Genf. Trotz der Unmutsäußerungen akzeptieren die Beschäftigten die neue Regelung. Der Versuch, die lebensweltlichen Spielräume der Mitarbeiter zu reglementieren, wird zwar wahrgenommen und kritisiert, widerstehendes Verhalten bleibt jedoch aus. Mit der Kaffeeecke hat die Firma dem Bedürfnis der Beschäftigten nach Wohlbefinden, nach Lebenswelt in der Arbeitswelt zwar eine offizielle Form und einen öffentlichen Raum gegeben. Diese Leistung hat allerdings ihren Preis. Zum einen unterliegt, wie bereits gezeigt wurde, das Ausmaß, mit dem die Belegschaft dieses Bedürfnis befriedigt, der firmenöffentlichen Kontrolle. Zum anderen, und dies dürfte noch gravierender sein, bekommt diese Art von Lebenswelt selbst symbolische Züge. Je mehr die Firma das Kaffeetrinken als Symbol einer "positiven Unternehmenskultur" erfolgreich aufbauen kann, desto deutlicher fehlt dieser stilisierten Lebenswelt die Basis. Wahrscheinlich verbirgt sich eben dieses Unbehagen an der "Unternehmenskultur" in der folgenden Mutmaßung einer Sekretärin: "Vielleicht würde es die Kommunikation sogar verbessern, wenn man wieder selber Kaffee kochen würde." Es ist ein wenig paradox: Die Kaffeekultur, die ja immer als kommunikationsfördernd dargestellt wird, verhindert das Gespräch über Kaffee. Wo in Betrieben das Kaffeepulver noch selbst besorgt und der Kaffee in eigener Regie zubereitet wird, muß darüber geredet werden: über dessen Stärke, über die Qualität des Pulvers und über Aufgaben wie Einkauf oder Führung einer Kaffeekasse. Darüberhinaus kann der Kaffee auch ein Aufhänger für weitere Themen sein: Er bietet die Chance, sich individuell und als Privatperson zu präsentieren, mit persönlichen Vorlieben und Vorstellungen. Natürlich sollte das Bild nicht allzu idyllisch gemalt werden. Die Eigenorganisation des Kaffees in Betrieben ist ein konfliktträchtiges Feld. Wo solche Konflikte jedoch gar nicht mehr auftauchen können, konstituiert sich leicht eine geschönte Lebenswelt, eine Lebenswelt in Instant-Form. Die Kaffeekultur repräsentiert eine firmenideologische Strategie. Im Kaffeetrinken, dies sollte gezeigt werden, manifestieren sich die Anpassung an Unternehmensziele und die Integration in die Firma. Dabei bleibt für die Beschäftigten die lebensweltliche Seite des Kaffeekonsums immer eng an die Arbeit gekoppelt. Mit den beiden oppositionellen Symbolbereichen des Kaffees löst sich in der Computerfirma der Lebenswelt-Systemwelt-Gegensatz auf: Am Arbeitsplatz erzeugt der Kaffee Wohlbefinden und am informellen Stehtisch wird oft über Arbeit geredet. Allerdings deuten die beschriebenen Habitualisierungen an den Stehtischen auf Praxen, die auch einen zwanghaften Charakter haben und dem in der Unternehmensphilosophie angelegten Individualisierungsgedanken deutlich zuwiderlaufen. Daß das Gros der Mitarbeiter nicht auch mal alleine am Kaffeetisch steht, vielleicht sollte man sagen: nicht stehen kann, weil dieses Verhalten sofort als unkommunikativ und nicht offen geoutet würde, markiert die Grenzen der Individualität. Das Kaffeetrinken soll den Teamgeist forcieren und die Beschäftigten bemühen sich, diesem Anspruch gerecht zu werden. Es soll die Firma als vertraute Gemeinschaft, am besten als Familie ausweisen. Daß sich der Familienmythos in einem Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, verdankt er bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch den Kaffeetischen. Darüber hinaus verweist das Kaffeetrinken auf die Struktur dieser Kollektivität. Anstelle von Interessens- und Solidargruppen entlang der Trennlinie Arbeitgeber-Arbeitnehmer, bildet hier die Gesamtfirma das Kollektiv. Sie soll zweierlei überdecken: zum einen die doch eher gegensätzlichen Interessen einzelner Gruppen, zum anderen die sechstausend unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Individuum und Organisation. Die so verstandene Kollektivität wird nicht nur gefördert, sondern auch gefordert. Sie ist hochgradig instrumentell und verliert so den Charakter von Eigenständigkeit. Sie wird also nicht von unten und gegen oben entwickelt und kann es auch nicht. Die Erfahrung von Kollektivität reduziert sich auf den von der Organisation vorgegebenen Rahmen. Ein kurzes Fazit: Mit seiner Kaffeekultur präsentiert sich der Computerkonzern GT als eine postfordistische Firma. Er bietet seinen Beschäftigten ganz bewußt lebensweltliche Freiräume, weil er natürlich weiß, daß diese Großzügigkeit letztlich dem Unternehmen zugute kommt. Überspitzt formuliert benützt GT den Kaffee als einen weiteren Produktionsfaktor, als eine Ressource zur Gewinnmaximierung. Dieses Konzept verweist auf eine spezifische Form der Herrschaftsausübung: Bei GT herrscht tendenziell Selbstzwang. Die Firma kontrolliert nicht die direkten Arbeitsabläufe, denn jeder weiß von alleine, daß er Leistung bringen muß. Der Kaffee wird zu einem idealen Mittel, mit dem die Angestellten dem postfordistischen Zwang zum Selbstzwang genügen. Der extrem hohe Kaffeekonsum ermöglicht die adäquate Körper- konditionierung für Kopfarbeit: Er mobilisiert zusätzliche Energien und optimiert die Arbeitsfähigkeit. Entsprechend sind dann auch die Gespräche an den Kaffeetischen meist nur die informelle Fortsetzung formeller Arbeitsabläufe. Dies wiederum informiert über das firmeneigene Kontrollsystem. Der Zwang zum Selbstzwang bedeutet ja keineswegs, daß auf Kontrolle verzichtet wird. Sie ist ebenso vorhanden wie in fordistischen Betrieben, doch weniger sichtbar. Kontrolle wird über Kommunikation, oftmals über informelle Kommunikation ausgeübt: Die Kaffeeecke eignet sich hierfür hervorragend. B. Firmenideologie Die folgenden vier, aufeinander aufbauenden Kapitel beleuchten die Firmenideologie von GT. Das erste Kapitel zeichnet die Genese und den Konstitutionsprozeß dieser Firmenideologie nach. Das zweite Kapitel fragt nach den Funktionen der Firmenideologie und diskutiert dabei insbesondere ihren Nutzen als hegemoniales Instrument. Im dritten Kapitel sollen am Beispiel eines "GT-Firmenkultur"-Plakats implizite und bis dahin nicht erörterte Botschaften der GT-Ideologie analysiert werden. Auf der Grundlage dieser drei empirischen - vorwiegend textanalytischen Kapitel entwickle ich im vierten Kapitel eine Definition und eine Konturierung des Begriffs Firmenideologie. Ungeachtet der Tatsache, daß sich eine Firmenideologie auch in der mündlichen Kommunikation reproduziert, also in alltäglichen Face-To-Face-Gesprächen, in meetings, Ansprachen und Konferenzen, beschränkt sich die folgende Analyse ausschließlich auf die schriftlichen Fixierungen der Ideologie. Zweitens beschränkt sich die Analyse auf den Ideologisierungsprozeß in der 1959 gegründeten GmbH. Die Einflüsse der us-amerikanischen Konzernmutter finden nur insofern Berücksichtigung, als sie entweder im Schriftgut der GmbH auftauchen und dort reproduziert, das heißt übersetzt werden oder als eigenes schriftliches Material, das in der GmbH ausliegt und allen Beschäftigten zugänglich ist. Als Quelle zur Erforschung der Rhetorik über Kultur dient in erster Linie die Betriebszeitung 64 "puls", seit 1989 auch diverse Broschüren und ein Plakat. Sowohl die Betriebszeitung als auch die Broschüren werden von der etwa 10-köpfigen PR-Abteilung produziert. Die Betriebszeitung wird von einer Person redaktionell betreut und enthält größtenteils Berichte von anderen Beschäftigten. Sie erscheint in der Regel monatlich mit einer Auflage von 6000 Stück und wird über die einzelnen Personalabteilungen in allen Großraumbüros in Informationsregalen ausgelegt. Die rund 20-seitige Zeitschrift dient vor allem der innerbetrieblichen Kommunikation. Die Beschäftigten geben darin Auskunft über ihre Arbeitsbereiche: Sie stellen neue Firmenprodukte vor oder informieren über geplante oder abgeschlossene Projekte. In der Zeitschrift werden auch innerbetriebliche Regelungen wie das Gehaltssystem oder das Arbeitszeitmodell vorgestellt und erörtert. Externe Berater informieren hin und wieder aus ihren Spezialgebieten und schreiben über Streß oder diskutieren ergonomische Probleme. In der Betriebszeitschrift findet jedoch auch die informelle Seite der Arbeit ihren Platz. Hierzu gehört etwa eine Rätselecke und Berichte über den jährlichen Betriebspicknick oder Weihnachts- und andere Feiern. Eine Seite in jeder 64  zwischen Die Auswertung und Wahl der Zitate basiert auf einer kompletten Durchsicht der Betriebszeitung Januar 1966 und Mai 1994. Ausgabe bleibt für den GmbH-Chef oder den Konzernpräsidenten reserviert. Diese skizzieren zumeist die großen Entwicklungslinien der GmbH beziehungsweise des Konzerns. Im Vergleich zu diesen Themen ist von "Unternehmenskultur" oder "Firmenkultur" im wörtlichen Sinne verhältnismäßig wenig die Rede. Während die Autoren der oben vorgestellten Themen fast alle hierarchische Ebenen abdecken, scheinen öffentliche Äußerungen über "Unternehmenskultur" fast schon Chefsache zu sein. Der Kreis der Firmenideologie (re)produzierenden Autoren ist klein und beschränkt sich zumeist auf den Konzernpräsidenten, den GmbH-Vorsitzenden, auf Mitglieder des oberen Managements, wie den Arbeitsdirektor, auf Personalchefs sowie auf einige Beschäftigte in der PR-Abteilung. Ab Mitte der 80er Jahre finden Stellungnahmen zum Thema "Unternehmenskultur", wenngleich äußerst selten, auch von anderen Beschäftigten Eingang in die Zeitung. Insofern gibt es im Laufe des Ideologisierungsprozesses einen leichten trickle-down-effect. 1. Genese und Prozeß der Ideologisierung Bislang gibt es in der Organisationskulturforschung nur wenige empirische Textanalysen über Ideologie.65 Studien, die in wirtschaftlichen Organisationen den Ideologisierungsprozeß anhand von Firmendokumenten untersuchen, fehlen meines Wissens bislang vollständig. Hier tut sich eine erhebliche Forschungslücke auf.66 Es wurde bereits angesprochen, daß die Kontroverse um die Machbarkeit von Kultur in der Organisationskulturdebatte jahrelang von zentraler Bedeutung war. Um jedoch überprüfen zu können, ob und in welchem Ausmaß eine Kultur bewußt hergestellt werden kann, sind unter anderem Studien erforderlich, die solche Implementierungsprozesse historisch beleuchten.67 An eine solche entwicklungsgeschichtliche Perspektive knüpft etwa die Frage an, inwiefern Firmenideologien autarke Gebilde sind bzw. wie sehr sie von generellen gesellschaftlichen Prozessen abhängen. Im letzteren Fall wäre die Position der "cultural pragmatics", die ja eine Planund Steuerbarkeit von Kultur für möglich halten, deutlich zu relativieren. Die Ideologisierung bei GT läßt sich in vier Phasen einteilen: (1) die Vorphase, (2) der firmenideologische Beginn, (3) der erste Boom als Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen und schließlich (4) der zweite Boom als Folge steigender innerbetrieblicher Instrumentalisierungsbestrebungen von Kultur. Die hier gewählte Phaseneinteilung ist natürlich eine 68 Konstruktion und dient nur zur Strukturierung der Ergebnisse. 65  Die wenigen mir bekannten Textanalysen stammen von ABRAVANEL 1983, HUFF 1983, MARTIN/POWERS 1983, CZARNIAWSKA-JOERGES 1988 und 1990, FILBY/WILLMOTT 1988 sowie KUNDA 1992. 66  GAGLIARDI (1986, S.121) schreibt hierzu: "It is only recently that organization theorists have paid some attention to the ideological elements in organizations (Starbuck 1982) and current knowledge about the relationship between organizational learning and ideologies is weak and limited. In my opinion, the analytical reconstruction of the process by which organizational values and ideologies are born and consolidate themselves is of crucial importance in the definition of a more comprehensive and satisfactory conceptual framework." 67  nicht 68  Natürlich ist mit der Einnahme einer historischen Perspektive allein diese komplexe Frage noch längst zu beantworten. GAGLIARDI (1986, S.121f) erstellte eine idealtypische, also eine nicht am Einzelfall orientierte Phaseneinteilung firmenideologischer Prozesse. Er markiert vier Phasen: In der ersten Phase benutzt der Firmengründer seine "vision" als Referenzpunkt, um Ziele zu definieren. Nicht alle Mitglieder der Organisation müssen jedoch dessen Ideen und Werte teilen. Wenn in der zweiten Phase das an diesen Überzeugungen des Firmengründers orientierte Verhalten positive Auswirkungen hat und die gewünschten Ergebnisse hervorbringt, werden die Überzeugungen bald von allen geteilt. In der dritten Phase wendet die Organisation ihre Aufmerksamkeit nicht mehr den Auswirkungen, sondern den Ursachen zu. Die Überzeugungen werden nicht als Mittel zum Zweck, sondern als an sich wünschenswert und wichtig idealisiert. In der vierten und letzten Phase werden die Werte von den Beschäftigten nicht mehr hinterfragt und für selbstverständlich angesehen. Das GAGLIARDIsche Modell ist 1. Phase (1966-1969): Firmenideologische Vorphase Die erste Ausgabe einer firmeneigenen Informationsquelle der 1959 gegründeten südwestdeutschen Niederlassung des Konzerns, damals noch "Hauszeitschrift" genannt, erscheint im Januar 1966 unter dem Titel "puls". Die Zeitschrift ist ein Forum für Hausmitteilungen. Sie enthält vorwiegend Informationen über neue Produkte des Konzerns, über Mitarbeiter, Projekte und die ökonomische Situation des Unternehmens. Bis 1970 finden sich in der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift fast keine Stellen, die auf einen Ideologisierungsprozeß verweisen. Zwar steht bereits in der ersten Ausgabe - die Firma hat zu diesem Zeitpunkt etwa 300 Beschäftigte - die Metapher von der "großen GT-Familie" ("puls", Januar 1966, S.10), ein Begriff, der auf das angebliche Gemeinschaftsgefühl der Beschäftigten verweisen soll und sich noch heute einer relativ großen Beliebtheit erfreut; allerdings fehlt in den ersten fünf Jahren der Zeitschrift nicht nur ein Schlagwort zur Beschreibung von Organisationskultur - der ganze Komplex wird nicht explizit thematisiert. Insofern sind die 60er Jahre eher als eine Vorphase des Ideologisierungsprozesses zu betrachten. 2. Phase (1970 bis 1982): Beginn der Ideologisierung Flankiert von anderen Vokabeln, die eine spezifische Kultur bei GT bezeichnen sollen, tauchen in der Zeit zwischen 1970 und 1982 zwei firmenideologische Dachbegriffe auf: das "Betriebsklima" und der "GT-Stil". Anfang der 70er Jahre hat der Terminus "Betriebsklima" Hochkonjunktur. Im April 1970 (S.1) nimmt der Vorsitzende der GmbH-Geschäftsführung ihr 10jähriges Jubiläum zum Anlaß, im Editorial, das mit "Liebe Mitarbeiter" überschrieben ist, ausführlich über das "Betriebsklima" zu sprechen und stellt die Überlegung an, ob nicht unser Betriebsklima darunter leidet, wenn alles größer und dadurch vielleicht etwas unpersönlicher wird. In demselben Heft (S.10) werden erstmals die Zielsetzungen des Gesamtunternehmens - 1957 von beiden Firmengründern formuliert - übersetzt und abgedruckt. Die Zielsetzungen lauten im einzelnen: 1. Ertrag: Wir wollen den höchstmöglichen Gewinn erzielen, soweit er mit unseren übrigen Zielen vereinbar ist. 2. Kunden: Wir wollen unseren Kunden die bestmöglichen Produkte und Dienstleistungen anbieten. 3. Betätigungsfeld: Wir wollen unser Produktionsprogramm erst dann auf neue Gebiete ausdehnen, wenn wir sicher sind, daß unsere Ideen (...) ein lohnender Marktbeitrag sein werden. 4. Wachstum: Unser Wachstum soll nur begrenzt sein durch unsere Möglichkeiten, technische Produkte zu entwickeln und zu produzieren, die echte Kundenwünsche darstellen. zwar ein wenig glatt, mag als Folie jedoch durchaus nützlich sein. Für mein Vorhaben ist dieses Modell nicht übertragbar: Schließlich setzt die vorliegende Analyse nicht bei der US-Firmengründung 1939 an, sondern beginnt mit der ersten Ausgabe der Betriebszeitung der südwestdeutschen GmbH erst 27 Jahre später. 5. Unsere Mitarbeiter: Wir wollen die (...) Mitarbeiter am Firmenerfolg teilhaben lassen, der durch ihre Mitarbeit erzielt wird. Ferner soll ihnen der Arbeitsplatz gemäß ihrer Leistung sicher sein, ihr Erfolg soll anerkannt werden, und es soll ihnen die aus ihrer Leistung erwachsende persönliche Genugtuung zuteil werden. 6. Management: Die Initiative und schöpferische Kraft unserer Mitarbeiter zu fördern, in dem wir dem einzelnen einen weiten Entscheidungsspielraum lassen, um die definierten Ziele zu erreichen. 7. Gemeinwesen: Unsere Verpflichtungen als gute Staatsbürger wollen wir durch unser Mitwirken in den Einrichtungen unseres Staates und der Gesellschaft erfüllen. Etwa eineinhalb Jahre später, im Dezember 1971, nimmt das Schreiben über das Betriebsklima quantitativ zu. Wieder widmet der Vorsitzende der Geschäftsführung dem Thema ein Editorial (Dezember 1971, S.4f.) - diesmal klingt er wesentlich nachdenklicher. "Ich mache mir Sorgen ums 'Betriebsklima'. Das ist nichts Neues und ich bin auch nicht der einzige, der sich Gedanken darüber macht." Es sei nicht gelungen, "das ausgezeichnete 'Klima' des kleineren Betriebs von 100, 200 oder 300 Mitarbeitern auf unsere Abteilungen zu übertragen", die Kommunikation sei "nicht gut genug" und es werde zu wenig "konstruktive Kritik" geäußert. "Wir müssen den Mut haben, etwas zu sagen." Er schließt mit dem Hinweis: "Wir werden uns in nächster Zeit sehr eingehend mit dem Thema Betriebsklima beschäftigen." In derselben Ausgabe macht sich ein weiterer Autor, der Personalmanager, in einem das Editorial flankierenden Essay (S.8f.) auf zwei Seiten firmenöffentlich Gedanken über "'s Klima" - so der behaglich-schwäbisch klingende Titel. Seine Überlegungen - "Ich will heute mal versuchen, ein wenig über das Thema zu sinnieren, zu philosophieren" - weisen in dieselbe Richtung wie die des Vorsitzenden. Auch er konstatiert eine Verschlechterung des Betriebsklimas und fordert von den Beschäftigten mehr "Kameradschaft" ein. Einige Seiten später stellt ein weiterer Topmanager in großer Ausführlichkeit das GT-spezifische Führungsprinzip, das management by objectives (MBO) vor. Auf immerhin drei Seiten erklärt er die wesentlichen Merkmale dieses Führungsstils und benennt dessen Vorteile und Gefahren. Mit bemerkenswerter Offenheit schildert er bei der Entstehungsgeschichte die anthropologischen Grundannahmen des Konzepts. Ein längerer Auszug soll dies verdeutlichen: "Die Auffassung über die Beweggründe menschlichen Verhaltens bei der Arbeit haben sich gewandelt. Noch vor ein paar Jahrzehnten (...) bestand die allgemein akzeptierte Meinung, jeder Mitarbeiter habe eine angeborene Abneigung gegen Arbeit. Fast immer müsse er gezwungen, gelenkt, geführt und mit Strafe bedroht werden, um seine Arbeit zu tun (...). Mittlerweile hat man aber herausgefunden, daß genau das Gegenteil der menschlichen Natur sehr viel näher kommt (...). Körperliche und geistige Anstrengungen bei der Arbeit werden unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur als Last, sondern als genauso natürlich empfunden wie die Anstrengungen bei Hobby oder Spiel. Außerdem: Wenn der Mensch sich bestimmten Zielen verpflichtet fühlt, unterwirft er sich ganz automatisch der Selbstkontrolle und der Selbstdisziplin. Äußere Kontrollen werden überflüssig." Management by objectives - das ist die Reaktion von Führungskräften auf neue Erkenntnisse über "die menschliche Natur". Es ist die Geburt einer Leistungsideologie, die nicht nur das Führungspersonal, sondern die gesamte Belegschaft einschließen und die Trennlinie zwischen den Befehle erteilenden Verantwortungsträgern und den befehlsausführenden Lohnempfängern aufweichen soll. Dem Autor zufolge besteht inzwischen die allgemein akzeptierte Meinung, daß jeder Mitarbeiter eine angeborene Zuneigung zur Arbeit verspürt. Was als zivilisatorischer Prozeß von ELIAS, FREUD und FOUCAULT in historischen Studien nachgezeichnet wurde, eine Verlagerung von Fremd- zu Selbstzwängen, von Fremd- zu Selbstkontrolle, erscheint hier in anthropologisierender Form als neue Erkenntnis über die "menschliche Natur". Auf diese Weise wird Normalität definiert und Beschäftigte, die immer noch zwischen Arbeit und Hobby unterscheiden, geraten in einen Rechtfertigungszwang. Auf diese Weise definiert das Management Realität. Innerhalb der nächsten Jahre wird es wieder stiller um die Firmenideologie. Mitte der siebziger Jahre, die GmbH hat bereits mehr als tausend Beschäftigte, veröffentlicht der "puls" eine aktualisierte Version der Zielsetzungen, eine Übersetzung aus der us-amerikanischen Firmenzeitschrift "measure". Während die Firma bis Anfang der siebziger Jahre enorme Wachstumsraten zu verzeichnen hat (teilweise bis zu vierzig Prozent), ist in der ersten Hälfte der siebziger Jahre oftmals von "gedämpftem Optimismus" (Dezember 1974, S.1) die Rede. Die Firma, die nach eigenen Angaben "von der schwierigen Wirtschaftslage nicht ganz verschont geblieben" war, hat andere Themen. Zwar werden immer wieder firmenspezifische Eigenschaften wie "offene Kommunikation", "Leistungsbereitschaft" und "menschliches Miteinander" genannt, ein Dachbegriff wie ehedem "Betriebsklima" taucht jedoch nicht auf. Solch ein neuer Dachbegriff erscheint erstmals 1980: der "GT-Stil". Aus Anlaß einer Meinungsumfrage unter us-amerikanischen Beschäftigten äußerte sich der neue Präsident des inzwischen multinationalen Konzerns in "measure" über die "open-door-policy". Im "puls" (3/80, S.6) klärt er die Beschäftigten auf eineinhalb Seiten über die Bedeutung der "Politik der Offenen Tür" auf. Dabei bezeichnet er die "Politik der Offenen Tür" zunächst als "eine der wesentlichen Grundlagen des GT-Stils", später im Text als "ein fester Bestandteil des GT-Führungsstils 'Führung durch Zielvereinbarung' (Management by Objectives)." 69 Was wiederum unter dem Begriff "GTStil" zu verstehen ist, wird in dem Artikel nicht gesagt. Der bereits hier entwickelte Unterschied 69  Was ist unter der "open-door-policy" zu verstehen? Der Begriff wurde in den zwanziger Jahren in einem völlig anderen Kontext geprägt: Er bezeichnet die unter Wilson mit besonderem Nachdruck vorangetriebene expansive Außenwirtschaft der USA und steht damit für die Gegenstrategie zum Isolationismus. Daß ein Konzern sich einen Begriff zu eigen macht, der den US-Wirtschaftsimperialismus euphemistisch umschreibt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Natürlich hat der Begriff im Konzern und in der GmbH eine völlig andere Bedeutung. Im allgemeinen will der Konzern mit diesem Begriff auf eine offene Kommunikation zwischen allen hierarchischen Ebenen verweisen. Die "Politik der offenen Tür", die viele Beschäftigten als eines der zentralen Elemente der "Firmenkultur" bezeichnen, gründet zum einen auf der Tatsache, daß alle Beschäftigten in Großraumbüros sitzen und zum anderen auf der firmeneigenen informellen Regel, daß jeder für jeden ansprechbar sein sollte. Nach diesem Prinzip können auch in der Hierarchie unten angesiedelte Beschäftigte ohne formale Hindernisse auf Topmanager zugehen. Bei den Beschäftigten hat der Begriff, wie noch zu zeigen sein wird, sehr verschiedene Bedeutungen. Vergleiche hierzu das Kapitel C1 (Berufsspezifische Aneignungsformen der Firmenideologie). zwischen Stil und Führungsstil, der schon Jahre früher bei der Formulierung der Zielsetzungen in der Trennung zwischen "Mitarbeitern" und "Managern" seine Entsprechung fand, bleibt, wie noch zu zeigen sein wird, bis heute von Bedeutung. In der Zeit zwischen 1970 und 1981 bilden sich in der südwestdeutschen Niederlassung einige firmenideologische Grundpfeiler heraus. Das Betriebsklima hängt vom "guten Willen" und der "Kameradschaft" aller Beschäftigten ab. In den Zielsetzungen des Unternehmens erscheint "höchstmöglichen Gewinn erzielen" an erster Stelle, mit "management by objectives" wird diese Leistungsideologie weiter zementiert und gleichzeitig humanisiert. Denn inzwischen gilt es für die Manager als wissenschaftlich erwiesen, daß Arbeit Spaß macht und Beschäftigte gerne Verantwortung übernehmen. Durch die "Politik der offenen Tür" sollen formale hierarchische Schranken aufgeweicht werden. Es ist von einem GT-Stil und einem GT-Führungsstil die Rede. Einige dieser Termini werden bereits definiert (management by objectives, Politik der offenen Tür, Zielsetzungen des Unternehmens), andere hingegen nur umschrieben (Betriebsklima) oder sogar, zum Beispiel der Terminus GT-Stil, ohne weitere Erklärung wie beiläufig eingeführt. Diese firmenideologischen Tastversuche werden auf einen Schlag beendet. 3. Phase (1982-1988): Der erste Boom - Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen Als Folge einer zunehmenden Marktbeherrschung durch japanische Firmen erscheinen in den USA zwischen 1981 und 1982 in schneller Folge vier populärwissenschaftliche Bestseller, die den Beginn der Debatte über "Unternehmenskultur" bzw. "corporate identity" einleiten (OUCHI 1981, PASQUALE/ATHOS 1981, DEAL/KENNEDY 1982, PETERS/WATERMAN 1982). Einstimmiges Credo der vier Untersuchungen: Der Erfolg japanischer Unternehmen hat nicht nur technische Gründe, sondern resultiert hauptsächlich aus deren unterschiedlicher "corporate culture". In diesen Büchern wird "Kultur" als eine Variable präsentiert, die erstens bewußt und gezielt hergestellt bzw. verändert werden kann und die zweitens in einem kausalen Verhältnis zum sozialen System in einer Organisation steht. Stark vereinfacht lautet die Botschaft so: Erfolgreiche Unternehmen brauchen eine starke Kultur. In einigen dieser Managementbücher wird der Konzern GT explizit erwähnt und für seine besonders gelungene, weil effiziente "corporate culture" gelobt. Im November 1982, der "puls" erscheint inzwischen schon zehn Mal pro Jahr, findet sich eine ins Deutsche übersetzte Kolumne des Konzernpräsidenten, in der er auf einige Bücher Bezug nimmt und mit großer Zufriedenheit das Lob referiert, das dem Konzern in einigen der Managementbücher ausgestellt wird: Dabei (bei "einer Reihe von Managementbüchern", A.W.) ist interessant, daß GT in diesen Büchern eine herausragende Rolle spielt, als Beispiel wie man es richtig machen kann. Es wird durchweg eine Thematik von den Autoren angesprochen, nämlich die GT-Bemühungen um die Mitarbeiter. Dies hebt uns von anderen hervor und hat sehr zur Stärke unseres Unternehmens beigetragen. Das meistverkaufte Buch dieser Art ist vermutlich "Theory Z" von William Ouchi (...). Ausschlaggebend für Ouchi sind die Unterschiede in der Mitarbeiterführung. Er erklärt ein spezielles amerikanisches Modell, das eine Kombination von zwei traditionellen Typen darstellt: Typ Z! GT ist das typische Typ Z-Unternehmen und unsere gesamten Unternehmenszielsetzungen sind in der Anlage A seines Buches aufgenommen (...). Sehr viel Einfluß auf die Management-Welt wird das Buch 'In Search of Excellence' von Tom Peters und Bob Waterman haben (...). Hier werden 15 Unternehmen als hervorragend genannt und zwar in Bezug auf Ergebnisse (Verkauf, Gewinn, Wachstum) und Wertschätzung durch ihre Zeitgenossen. GT gehört zu dieser Gruppe. (S.3) Am Ende des Artikels steht eine Bewertung des Lobs: Es ist schmeichelhaft für GT, als eines der führenden Unternehmen Amerikas aufgeführt zu werden. Dies macht uns stolz auf unsere Leistung. Aber noch wichtiger ist es, daß wir unsere Werte verstehen und weiterhin bewahren. Mit diesem externen Lob beginnt in der GmbH (und wahrscheinlich auch in der us-amerikanischen Konzernmutter) der firmenideologische Boom. Dabei wird ein Begriff, der sogenannte "GT-way", eine zentrale Rolle spielen.70 Während dieser Begriff, der in Anlehnung an den die nationale Kultur bezeichnenden "american way" den firmeneigenen Umgangsstil beschreiben soll, in den USA schon in den sechziger Jahren verwendet wurde und bereits bei PETERS/WATERMAN (1982) als "der berühmte GT-way" (S.152) geführt wird, taucht er im "puls" erst zu Beginn der 80er Jahre auf - anfangs noch in der übersetzten Variante des "GT-Stil". Die positive Erwähnung des Konzerns in den verschiedenen Managementbüchern ist für die inhaltliche Legitimation der Firmenideologie von entscheidender Bedeutung. Daß die in der Firma propagierten Werte, Ziele und Visionen auch extern akzeptiert und für wünschenswert erachtet werden, noch dazu von angesehenen, kompetenten und berühmten Autoren, festigt die Ideologie und stärkt sie gegenüber Zweiflern nach innen und außen. Innerhalb der nächsten drei Jahre ist dann immer wieder vereinzelt entweder vom "GT-way" oder vom "GT-Stil" die Rede. Neben diesen bereits vertrauten Bezeichnungen werden nun neue Begriffe wie "GT-Kultur" (5/1984, S.3) oder "GT-Philosophie" (5/1984, S.3) eingestreut. Alle Begriffe bleiben in der Regel undefiniert, werden quasi synonym verwendet oder lax als "das Herzstück von GT" (3/1985, S.1) oder als "familiäres Gefühl" (9/1983, S.2) bezeichnet. 1984 erhält der Ideologisierungsprozeß eine neue Dimension: Die Erzeugung einer auf die gesamte Firma 70  Der "way" in Verbindung mit dem Firmennamen suggeriert etwas sehr Firmenspezifisches. Er trennt zwischen innen und außen, er betont das das Spezifische, das Besondere der GT-Ideologie gegenüber anderen Firmen. Allerdings dient der "way" auch anderen amerikanischen Unternehmen zur Darstellung ihres spezifischen Stils. So gibt es etwa bei Tupperware den "Tupperware-way" und bei Philips den "Philips-way". Zumeist wird "way" implizit als Synomym für "Kultur" verwendet. So zitieren etwa DEAL/KENNEDY (1982, S.4) Marvin BOWER, ehedem "managing director" von McKinsey and Company und Autor des Buchs mit dem Titel "The will to manage". Darin bietet BOWER eine informelle Definition von Kultur an und beschreibt Kultur in einem Unternehmen als "the way, we do things around here." Das Buch von BOWER, das in Fachkreisen lange Zeit sehr populär war, erschien erstmals 1966. Es zeigt sich also, daß der "way" schon lange Zeit, bevor sich GT den Begriff aneignet und ihn in der GmbH erstmals öffentlich präsentiert, eine populäre Figur zur Umschreibung von Kultur war. bezogenen Kultur wird mit der Konstruktion einer Beschäftigtenidentität erweitert. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Individuum, auf das einzelne Mitglied der Organisation. Der "GTTyp", also der ideal- oder prototypische Angestellte, wird erfunden. In einer "puls"-Umfrage (8/1984, S.18) antworten sieben Personalmanager auf die Frage: "Gibt es den GT-Typ?" Alle Antworten sind zustimmend. Nach dem Erscheinen der vier Managementbücher kommt auch der zweite Anstoß für eine wachsende Beschäftigung mit dem "GT-way" von außen. Im Frühjahr 1985 befaßt sich das Topmanagement der GmbH in seinem jährlichen zweitägigen Meeting erstmals mit dem Thema "GTway". Um die Belegschaft über die Ergebnisse dieser Tagung zu informieren und ihr die inhaltlichen Akzente des "GT-way" stärker zu vermitteln, erstellt die PR-Abteilung im Mai 85 ihre erste "puls"-Sonderausgabe. Schon der Titel der Tagung - "Der Wertewandel in unserer Gesellschaft und seine Auswirkungen auf den GT-way" - zeigt, daß der Anstoß für diese intensive Beschäftigung mit unternehmenskulturellen Managementstrategien von außen kommt. Mitte der 80er Jahre sorgten in der Bundesrepublik Untersuchungen von SCHMIDTCHEN (1984) und KLAGES (1984) sowie eine Kontroverse zwischen NOELLE-NEUMANN und STRÜMPEL (1985) zur Arbeitsfreude für eine Belebung der von INGLEHART (1971) bereits in den 70er Jahren eröffneten Wertewandel-Diskussion. Die Wertewandel-Thesen signalisieren eine Verlagerung der Prioritäten in der Wertorientierung, die sich durch einen Bedeutungsverlust der sogenannten "Pflicht- und Akzeptanzwerte" und einen Bedeutungsgewinn der "Selbstentfaltungs- und Autonomiewerte" charakterisieren. Zu den "materialistischen" (INGLEHART) bzw. "Pflicht- und Akzeptanzwerten" (KLAGES) gehören traditionelle Tugenden wie Pünktlichkeit, Pflicht, Wohlstand, Ordnung, Sicherheit, Disziplin, Unterordnung und Fleiß. Zu den "postmaterialistischen" (INGLEHART) bzw. "Selbstentfaltungs- und Autonomiewerten" (KLAGES) gehören modernere Werte wie Individualität, Selbstverwirklichung, Partizipation, Lebensgenuß und soziale Kompetenz. Für die Arbeitswelt hat der Wertewandel insbesondere zwei Wirkungen: Erstens kommt der Freizeit als Sphäre zur Realisierung persönlicher Wünsche eine größere Bedeutung zu. Zweitens zeigt sich in der Arbeitswelt ein Bedeutungsverlust von rein materiellen Gratifikationen und eine wachsende Relevanz von Motivationsfaktoren wie persönlicher Entfaltung, Anerkennung und Mitbestimmung am Arbeitsplatz.71 Neben der ökonomischen Expansion Japans und einer zunehmenden Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien wird der Wertewandel als eine der zentralen Ursachen genannt für die Hinwendung zu unternehmenskulturellen Konzepten (BARDMANN/FRANZPÖTTER 1990; BAETHGE 1991). Während der Wertewandel und die sozialwissenschaftliche Diskussion darüber bei vielen bundesdeutschen Firmen die Implementierung einer offiziellen Firmenideologie begründet, sorgt er bei der untersuchten Firma GT für einen neuen Schub im Prozeß der Ideologisierung. Die GmbH-interne Wertewandel-Diskussion des Topmanagements hat für den Ideologisie71  Vgl. hierzu OPPOLZER (1994), S.351. rungsprozeß in dreierlei Hinsicht merkliche Konsequenzen, die sich alle wie ein roter Faden bis in die Gegenwart durchziehen werden. Erstens betont das Topmanagement auf einer normativen Ebene so die Aktualität und Modernität der firmengültigen Werte. Die Firma präsentiert sich als für den Wertewandel optimal gerüstet. So erklärt der Arbeitsdirektor, dessen Referat im "puls" (3/1985, S.2) zunächst zitiert, und in der späteren Sonderausgabe (5/1985, S.18f) vollständig abgedruckt wird: Mein Standpunkt zum Wertewandel ist, wie schon erwähnt, positiv. Ich meine, daß wir (...) auf viele der Fragen mit dem GT-way die beste Antwort haben (...). Wie Sie sehen, erfüllen wir in breitester Hinsicht die Anforderungen des Wertewandels. Auf diese Weise werden postmaterialistische Werte von der Firma aufgenommen, firmenideologisch verarbeitet und nutzbar gemacht. Im Zusammenhang mit wachsenden postmaterialistischen Ansprüchen an die Arbeit spricht BAETHGE (1991) von einer "normativen Subjektivierung der Arbeit." Die Firmenideologie von GT kann in Anlehnung an diese Formel als ein Versuch der normativen Objektivierung der Arbeit interpretiert werden. Zweitens dient die Diskussion über Wertewandel und GT-way dazu, eine "kritische Ist-SollAnalyse des vielzitierten GT-way" (4/1985, S.8) vorzunehmen. Sie soll "darüber Aufschluß geben, ob die einzelnen Elemente des GT-way praktiziert werden" (5/1985, S.2). Das Topmanagement bindet auf diese Weise die Diskussion über die Umsetzung der Firmenideologie an die erste weltweite Mitarbeiterbefragung des Konzerns an. Im Editorial einer "puls-Sonderausgabe Open Line" (10/1985, S.1) erklärt der Arbeitsdirektor: Die Ergebnisse der Untersuchung nehmen in der Firmenkultur (...) einen hohen Rang ein. Sie sollen uns nämlich Auskunft über die innere Situation des Unternehmens geben und vor allem auch Theorie und Praxis der Firmenzielerfüllung gegeneinander halten. Und dies nicht als Selbstzweck, sondern um anschließend entsprechende Aktionen vorzunehmen." Die Ergebnisse der Befragung sind für den Arbeitsdirektor bei den meisten Fragekomplexen überwältigend positiv. Mein Vertrauen in unsere Unternehmensphilosophie und in unseren Führungsstil wird vor allem durch eine Aussage bestätigt und bekräftigt: Fast jeder von Ihnen (98 %) würde GT als guten Arbeitgeber weiterempfehlen." Inzwischen ist offenkundig, daß es beim "GT-way" zwischen "Ideal und Wirklichkeit zuweilen eine Lücke" (3/1985, S.1) gibt, das Management diskutiert über "Theorie und Praxis des GT-Stils" (3/1985, S.2) und eine erste weltweite Mitarbeiterbefragung "soll eine kritische Ist-Soll-Analyse des vielzitierten GT-way" (4/1985, S.8) ermöglichen. Bereits ein Jahr vorher, im Frühjahr 1984, fragte sich der Präsident des Konzerns, ob "unsere besondere GT-Kultur verblassen und an Bedeutung verlieren" wird und sinnierte über die Überlebensfähigkeit der GT-Philosophie (...). Es ist für die einzelnen Führungskräfte des Gesamtunternehmens natürlich nicht mehr möglich, z.B. Management by walking around (durch Herumgehen) in Rein-Kultur zu betreiben oder die "open door policy" (Politik der offenen Tür) für jeden Mitarbeiter weltweit anzubieten, wenn die tägliche Arbeit auch gemacht werden soll. Aber wir haben in der Zwischenzeit über 50 Werke, 13 Verkaufsbezirke und 34 Vertriebsorganisationen, in denen es überall Manager gibt, die diese wichtige Aufgabe gemeinsam erfüllen. Auch der Begriff "Rein-Kultur" verweist auf den firmenideologischen Antagonismus zwischen Istund Soll-Zustand. Drittens beginnt nun eine Phase, in der sich die Firmenleitung zunehmend um eine Definierung ihrer "Firmenkultur" bemüht. Wenn der Anspruch an der Wirklichkeit gemessen werden soll, dann muß zumindest ein Ideal formuliert sein. Nur zwei Monate, nachdem in dem Bericht über die Managementtagung der GT-way noch vage als "das Herzstück der Firma" bezeichnet wurde, das ihr "Identität verleiht" (3/1985, S.2), erhalten die Beschäftigten in der "puls"-Sonderausgabe (5/1985) diverse, von einem Autorenteam erstellte Beiträge zum "GT-way", die alle ganz offensichtlich das Ziel verfolgen, den Terminus mit Sinn zu versehen. Trotz aller definitorischen Bestrebungen läßt sich die Vagheit der Begriffe nicht beseitigen. Im Gegenteil: Die steigende Inanspruchnahme von Begriffen wie "GT-way", "Firmenkultur" oder "Unternehmensphilosophie", um nur einige zu nennen, korrespondiert mit einer wachsenden semantischen Diffusität. In der Sonderausgabe (5/1995), dies ist auffällig, verorten die Autoren den "GT-way" zumeist im Spannungsfeld zwischen den Oppositionen Theorie/Praxis, Ideal/Wirklichkeit, bedienen beide Seiten oder betonen nur eine, werden jedoch, wie das folgende Zitat (S.3) beweist, nie wirklich konkret: GT-way ist greifbare Wirklichkeit. Voraussetzung für die vielfältige Praxis unserer Firmenkultur ist eine Philosophie, ein Bild vom Menschen und der Welt: GT-way ist die Identität unseres Unternehmens. In den einzelnen Artikeln sind die Anbindungen und Verortungen des "GT-way" kontrastreich und oftmals sogar widersprüchlich. Einerseits wird er mit der betrieblichen Lebenswelt assoziiert, andererseits mit dem Entwurf eines Regelwerks, das es zu beachten gilt. Einerseits soll er "verbessert" (S.17), andererseits soll er eingehalten werden. Einerseits wird behauptet, die Essenz des "GT-way" seien die Freiräume, die den Mitarbeitern zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit bereitgestellt werden, eine Kulanz des Betriebs also, andererseits wird konstatiert, "jeder Mitarbeiter (...) muß sich den GT-way erarbeiten" (S.11), eine Forderung der Firma. Auch die Frage, ob der "GTway" ein Stil oder ein Führungsstil ist, wird unterschiedlich beantwortet und bleibt somit offen. Während auf dem Titelbild der Sonderausgabe "GT-Führungsstil" steht, erklärt der Arbeitsdirektor im Heftinnern (S.19): Vorgesetzte meinten, der GT-way sei nur etwas für unsere Mitarbeiter und nicht auch für sie da. Und kurioserweise sagten uns unsere Mitarbeiter in einem Sketch bei der Weihnachtsfeier, daß der GT-way nur für die 'Oberen' von Bedeutung sei. Was stimmt denn nun? (...). Die Betonung liegt auf WIR, Delegation ist bei diesem Thema nicht erlaubt." Trotzdem gibt es zahlreiche Bemühungen um eine Konkretisierung des "GT-way". In der Sonderausgabe ist erstmals von den "Grundsätzen des GT-way" (S.3) die Rede. Zwar bleibt es unklar, welches diese Grundsätze sind. Ein am Ende des Artikels stehendes Kästchen, in dem, ohne Überschrift, dreizehn Punkte aufgelistet sind, die einige Jahre später als Plakat die bedeutendste Repräsentationsform der "GT-Firmenkultur" darstellen, legt allerdings die Vermutung nahe, daß es sich hier um die "Grundsätze des GT-way" handelt. Im Kästchen stehen folgende Merkmale: * Respektieren der Persönlichkeit * Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch Freiräume * Gegenseitiges Vertrauen und Helfen * Fehler machen dürfen * Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit * Anerkennung der Leistung und teilhaben am Erfolg * Mitverantwortung durch gemeinsame Rechte und Pflichten * Übersichtliche Bereiche durch Dezentralisierung * Führen durch Zielvereinbarung * Informeller Umgang und offene Kommunikation * Förderung und Weiterbildung * Beschäftigungssicherheit * Soziale Absicherung Ein Jahr später erscheint erneut eine von fast demselben Autorenteam erstellte "puls"-Sonderausgabe (6/1986), deren Funktion im Vorwort (S.2) als "eine Form der Selbstbeobachtung von GT" bezeichnet wird. Allerdings sei etwas anderes hinzugekommen (...): Die Vorgänge innerhalb des Unternehmens interessieren auch draußen. GT wird wie alle großen Unternehmen ständig von der Öffentlichkeit beobachtet, steht mehr oder weniger mittendrin. Vielleicht ist es das Bewußtsein, daß die Selbstbeobachtung zunehmend von einer Fremdbeobachtung begleitet wird, das in dieser Sonderausgabe den Definitionsbemühungen um den "GTway" einen neuen Auftrieb verleiht. Erstmals formuliert der Arbeitsdirektor "eine theoretische Einführung" in die Begriffe "Werte, Ziele und Kultur" (S.3) und flankiert dies mit mehreren Schaubildern. Trotz der "theoretischen Einführung" und dem Rückgriff auf ein neues Medium zur Illustration des Konzepts werden die Bestimmungsversuche des "GT-way" nicht weniger diffus. So zeigt das erste Schaubild drei konzentrische Kreise - der innerste Kreis steht für Ethik und Werte, der mittlere für Ziele und der äußere für Kultur. In der "theoretischen Einführung" findet sich ganz beiläufig ein Satz, der erklärt, wie das Schaubild zu lesen ist: "Wichtig ist dabei, daß sich alle im Unternehmen der Werte, Ziele und der daraus erwachsenen Kultur bewußt sind." Während das Schaubild mit "GT-way - Unsere Firmenphilosophie" überschrieben ist, steht eine Seite später ein Kästchen mit den bereits bekannten dreizehn Punkten. Dieses Kästchen trägt jedoch den Titel "GT-way - Unser Führungsstil". Die Begriffsverwirrung ist als Machtstrategie sehr funktional: Der "GT-way" bleibt inhaltlich unklar und somit flexibel. Auch in den folgenden Jahren erscheint einmal pro Jahr eine "puls"-Sonderausgabe. In diesen werden neben dem "GT-way" zunehmend andere kulturelle Phänomene im Betrieb behandelt. Sie enthalten etwa Berichte über das Mitarbeitergespräch,72 die sogenannte Freitagsansprache, 72  Das sogenannte Mitarbeitergespräch liefert den Rahmen für die praktische Umsetzung des management by objectives. Es findet ein bis zwei Mal pro Jahr als Vier-Augen-Gespräch zwischen der/dem einzelnen Beschäftigten und ihrem/seinem Vorgesetzten statt. In diesem Gespräch werden zum einen die Zielpunkte und Aufgaben für die kommenden Monate vereinbart, zum anderen werden die alten Zielvereinbarungen überprüft. Diese Leistungsbeurteilung hat einen großen Einfluß auf die individuelle Entlohnung. Kommunikation als Führungselement, interne informelle Informationskanäle und über die "aktive Betreuung von Mitarbeitern" durch die Personalabteilungen ("puls"-Sonderausgabe 6/1986). Viele dieser Beiträge sind Entwürfe zur Verbesserung der "Kultur". Während sich bislang jedoch ausschließlich die meinungsmachende Elite wie z.B. das oben erwähnte Autorenteam an der Gestaltung der Firmenideologie beteiligte, kommen seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre in der Betriebszeitschrift auch vereinzelt "Mitarbeiter" zu Wort, um einen Ausdruck zu gebrauchen, mit dem in der Firma die Beschäftigten bezeichnet werden, die nicht dem Management angehören. Allerdings haben diese Beiträge keinen ideologieproduzierenden, sondern lediglich reproduzierenden Charakter und zeichnen sich oftmals, wie noch zu zeigen sein wird, durch einen selbstanklagenden Unterton aus. Gegenüber der zweiten Phase hat sich der Ideologisierungsprozeß markant verändert. Inzwischen existiert mit dem "GT-way" ein unangefochtener Schlüsselbegriff. Die firmenoffiziellen Werte und Normen sind definiert. Es existiert ideologisches Gerüst, ein normatives Regelwerk, an dem Realität gemessen, beurteilt und kritisiert werden kann. Dieser firmenöffentlich geäußerte Vergleich zwischen Ist- und Sollzustand bleibt auch weiterhin zumeist den opinion leaders der GmbH vorbehalten. 4. Phase (1989 bis heute): Der zweite Boom - eine Folge wachsender Instrumentalisierungsbestrebungen von "Kultur" Konstant bleibt die definitorische Diffusität der zentralen Begriffe. Alle in Phase drei entwickelten Paradoxien, mit denen etwa der "GT-way" mit Sinn versehen wird, tauchen auch in den 90er Jahren wieder auf. Allerdings sind inzwischen viele Autoren noch stärker als bislang bemüht, dem "GT-way" eine klare und präzise Bedeutung zu attestieren. Teilweise ist sogar vom "GT-way" als einer "bewährten Formel" (4-5/1993, S.12) die Rede. Damit suggeriert der Konzernpräsident sowohl Exaktheit als auch bewiesene Gesetzesmäßigkeit. In formaler Hinsicht birgt die vierte Phase zwei Veränderungen. Erstens hinsichtlich der Quantität der firmenideologischen Aussagen: Das Reden über "GT-way", über "Unternehmenskultur" oder "philosophie", über "Firmenkultur", "Stil" und "Führungsstil", zählt man die Häufigkeit dieser sechs zentralen Begriffe, hat sich gegenüber den Jahren 1982-1988 fast verdreifacht. Konzentrierte sich in der dritten Phase die Präsentation der Firmenideologie insbesondere auf die einmal jährlich veröffentlichten Sonderausgaben, so erscheint seit 1990 nahezu keine Ausgabe der Betriebszeitschrift ohne zumindest einen Verweis auf den "GT-way". Eine zweite Veränderung betrifft die Veröffentlichungsmedien. Ab 1989 erweitert sich die sogenannte "graue Literatur": Zusätzlich zum "puls" erscheinen zumeist von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit herausgegebene Hochglanzbroschüren wie "Unternehmensziele" (erste Version 1990, zweite Version 1993), "Berufs-Bilder" (1991), "Studieren Sie uns" (1992), "Das Mitarbeiterberatungsprogramm" (1992), eine Broschüre über das Weiterbildungsangebot mit dem Titel "Alles ist in Bewegung. Gehen Sie Ihren Weg" (1992), "Das Unternehmen im Überblick" (1993), "Das Mitarbeitergespräch" (1993). Die in den USA produzierten Broschüren wie "The GT-way" (1989) oder die zum 50-jährigen Konzernjubiläum zusammengestellte Konzerngeschichte "The Test of Time" (1989) werden innerhalb der GmbH ebenso ausgelegt wie die Konzernzeitschrift "measure". Der Arbeitsdirektor veröffentlicht einen 16-seitigen Sonderdruck mit dem Titel "Führung durch innovative Unternehmenskultur bei GT" (1990), der Betriebsrat erstellt eine Broschüre über "Mitbestimmung und Mitverantwortung bei GT" und in den diversen Personalabteilungen liegen von Topmanagern erstellte Vortragsmanuskripte zur "Unternehmenskultur", auf die auch andere Beschäftigte zurückgreifen können. Zusätzlich zu diesen Broschüren illustriert die GmbH ihre Firmenideologie auf Plakaten. Unter der Überschrift "GT-Firmenkultur" vervielfältigt sie die bereits oben erwähnten dreizehn Firmengrundsätze zuerst im Din A 5, und seit 1992 sogar im Din A 1 Format auf Hochglanzpapier. In allen Großräumen hängen diese Poster gleich mehrfach an zentralen Stellen aus. Die Genese der Firmenideologie erhält in der vierten Phase jedoch auch in qualitativer Hinsicht neue Züge: Zum einen wird der "GT-way" immer deutlicher instrumentalisiert. Er dient zur Artikulation von Kritik und zur Legitimierung und Rechtfertigung von Meinungen und Entscheidungen. Zum anderen geraten als Konsequenz dieses Prozesses die Bedeutungen einzelner firmenideologischer Begriffe selbst zu einem diskursiven Feld. Der "GT-way" wird je nach Kontext unterschiedlich interpretiert und für verschiedene Ziele und Motive in Anspruch genommen. An der argumentativen Auseinandersetzung ist in gewissem Sinne sogar die Belegschaft beteiligt. Der Diskurs über die Firmenideologie erfährt somit eine leichte Pluralisierung. Der Konzernpräsident würdigt diese Entwicklung (8-9/1993, S.22): Gefreut hat mich besonders, daß die Mitarbeiter über unser Bestreben, den GT Way mit neuem Leben zu füllen, diskutieren. Jeder spricht darüber und - was noch wichtiger ist - die Leute wollen mehr über den GT Way erfahren und probieren neue Wege, zu motivieren, wahrzunehmen und zu loben. Solche Diskussionen müssen jedoch nicht notwendig im Sinne des Konzernchefs geführt werden. Das folgende Zitat zeigt, daß er gegen die inhaltliche Besetzung des Begriffs von Seiten einiger oder vieler Beschäftigter, dies bleibt unklar, anschreiben muß (4-5/1993, S.12): Wie oft bin ich in Gesprächen über GT-Wertvorstellungen auf geänderte Praktiken hingewiesen worden. In den USA hat man Kaffee und Brötchen (als freiwillige Sozialleistung, A.W.) gestrichen. Jetzt gibt es finanzielle Anreize für diejenigen, die freiwillig aus der Firma ausscheiden. So etwas hat es früher nicht gegeben. Solche Beispiele werden aufgeführt, wenn es darum geht, zu erklären, warum der GT-way keine Bedeutung mehr hat. Ich möchte Sie an den Sinn des GT-way erinnern. Wie ich ihn verstehe, bedeutet GT-way einfach, daß wir Vertrauen zu unseren Mitarbeitern haben, daß wir daran glauben, daß unsere Mitarbeiter ihre Arbeit or- dentlich erledigen wollen. Diese Definition enthält nichts über Kaffee und Brötchen, auch nichts über Abfindungen für freiwillig Ausscheidende. Eine Demonstration der Macht. Hier zeigt sich, wer definieren darf und wer letztlich die Begriffe mit Bedeutung versehen kann. Der Konzernpräsident schmiegt dabei "den Sinn des GT-way" an eine spezifische Situation an. In einer Zeit, in der der Konzern Sozialleistungen kürzt, "enthält" die "Definition" des "GT-way" nichts über Kaffee. "GT-way" heißt jetzt, daß "wir", also das Topmanagement, "daran glauben, daß unsere Mitarbeiter ihre Arbeit ordentlich erledigen wollen." Der Konzernpräsident fordert die Belegschaft mit Hilfe des "GT-way" dazu auf, die Arbeit ordentlich zu erledigen. Trotzdem gestaltet sich das management of meaning schwieriger als zu Beginn des Ideologisierungsprozesses. Der "GT-way" selbst, nicht nur dessen Einhaltung, Wiederentdekung oder Erneuerung ist inzwischen Gegenstand der Auseinandersetzung. Der Konzernpräsident definiert ihn anders als einige der Beschäftigten. Fast jede Kritik an firmeninternen Praktiken oder Entscheidungen kann mit der Allzweckwaffe "GT-way" untermauert und dieser mit flexiblen Sinnzuweisungen versehen werden. Dies ist der Preis, den die meinungsmachende Elite für die oftmals sehr vorteilhafte Vagheit der Firmenideologie zu zahlen hat. Während in den 90er Jahren eine Auseinandersetzung über die 'richtige' Interpretation des "GT-way" ("so wie ich ihn verstehe") beginnt, wird damit erstmals indirekt der Tatsache Rechnung getragen, daß nicht alle Beschäftigten diesen Begriff mit denselben Bedeutungen besetzen. Waren schon die offiziellen Definitionsbestrebungen Mitte der 80er Jahre wenig homogen, so gibt es jetzt erste Anzeichen für unterschiedliche Deutungen des "GT-way" in den Köpfen der Beschäftigten. Das letzte Zitat des Konzernchefs hat gezeigt, daß ein neuer Akteur, wenngleich eher indirekt, die Bühne betritt: "Die Mitarbeiter". Zur Erinnerung: In den ersten beiden Phasen des Prozesses bleibt der Kreis der Meinungsführer auf wenige Autoren im Topmanagement begrenzt. In Phase drei weitet sich der Kreis zwar aus, bleibt jedoch weiterhin zumeist für bestimmte Gruppen reserviert. Legitime Autoren, das sind Topmanager, Personaler und einige Beschäftigte der PRAbteilung. In seltenen Fällen ergreifen auch andere "Mitarbeiter" das Wort. Jetzt in der vierten Phase tauchen erstmals, zumeist als undefinierbares Kollektiv, "die Mitarbeiter" auf; zwar nicht als Autorenteam, aber in den Beiträgen anderer Autoren als Träger einer Meinung zum "GT-way". Wenn in den Texten verschiedener Konzernpräsidenten und GmbH-Geschäftsführern "die Mitarbeiter" oder "einige Mitarbeiter" oder "immer mehr Mitarbeiter" mit einer inhaltlichen Position zum "GT-way" angeführt werden, läßt dies zum einen darauf schließen, daß viele Diskussionen zur Firmenideologie außerhalb der Betriebszeitschrift geführt werden und daß diese zum anderen deutlich pluralistischer angelegt sind. Die Belegschaft, so scheint es, beteiligt sich an der Interpretation des "GT-way" und besetzt ihn mit Sinn. Trotzdem sollte das Bild nicht allzu optimistisch gezeichnet werden. Die wertebezogenen Ansichten der Belegschaft oder ihrer Subgruppen werden schließlich von Autoren im Topmanagement veröffentlicht. Die kulturelle Hegemonie bleibt bestehen, allenfalls erodiert sie ein wenig. Fazit Die Analyse des Ideologisierungsprozesses in der Betriebszeitung zeigt, daß die Firmenideologie nicht einfach da ist, sondern entwickelt und immer wieder neu hergestellt werden muß. Die Betriebszeitschrift dient hierfür als Medium. Folgende Entwicklungen sind zu beobachten. Erstens: Das Reden über Kultur nimmt zu. Gab es in den ersten beiden Phasen, also von 19661982, nur wenige Äußerungen zur Firmenideologie, so enthält in den 90er Jahren fast jede Ausgabe der Betriebszeitschrift einen oder mehrere Verweise. Daß der Stellenwert der Firmenideologie zusehends wichtiger wurde, läßt sich bereits an dieser quantitativen Häufung der hierzu erfolgten Äußerungen ablesen. Zweitens: Die dafür verwendeten Begriffe multiplizieren sich. War in den 60er und frühen 70er Jahren nur die Rede vom Betriebsklima, so haben sich, durch den ideologischen Boom Mitte der 80er Jahre, eine Reihe von Begriffen etabliert. Allerdings hat sich ebenfalls ein Schlüsselbegriff konstituiert. Der Terminus "GT-way" beansprucht die vorrangige und zentrale Stellung. Erstaunlicherweise wurde der Begriff nie eingeführt. Plötzlich war er da. Er wurde so selbstverständlich präsentiert, als habe es ihn schon immer gegeben. Drittens: Im Laufe der Genese wachsen die Definitionsbestrebungen. Dabei entsteht eine paradoxe Situation. Der Ideologisierungsprozeß erzeugt eine inhaltliche Konkretisierung und zugleich eine Diffusität und Verstreuung. Der Begriff "GT-way" wird einmal zusehends mit konkreten Bedeutungen versehen und mit vielfältigen Mitteln der Belegschaft veranschaulicht, zum anderen wird er so vielfältig, unterschiedlich und wenig verbindlich definiert, daß er alles sein kann, u.a. ein Wertesystem, eine Firmenkultur oder eine Führungsphilosophie. Diese Diffusität erweist sich als ein funktionales Machtinstrument. Viertens: Die Zahl der Autoren steigt ebenfalls an, allerdings nur sehr leicht. Obwohl die in der Betriebszeitschrift publizierenden Autoren nur in sehr geringem Umfang zunehmen, bildet sich in den 90er Jahren eine neue Situation heraus: Mehrmals fühlten sich Topmanager dazu veranlaßt, die Meinung der Belegschaft oder zumindest einer relevanten Gruppe wiederzugeben, um dieser dann die eigene Position entgegenzustellen. Diese Entwicklung ist natürlich kein Indiz einer Pluralisierung oder gar einer Demokratisierung, sondern ein klassisch paternatistisches Instrument. An dieser Stelle drängt sich der Gedanke an GRAMSCIs Hegemoniekonzept auf. Hegemonie bedeutet nach GRAMSCI gerade nicht die ideologische Dominanz von einer sozialen Gruppe über andere. Stattdessen verweist sein Hegemoniekonzept darauf, daß eine soziale Gruppe fähig ist, die Interessen anderer sozialer Gruppen zu ihrem eigenen Vorteil zu artikulieren.73 73 Wie verallgemeinerbar sind diese Ergebnisse? Die GmbH der Firma GT ist sicherlich kein ganz typisches Beispiel. Der Ideologisierungsprozeß begann nicht erst Mitte der 80er, sondern bereits in den frühen 70er Jahren. Ebenfalls im Unterschied zur Mehrheit der "Unternehmenskultur" als Strategie entdeckenden Firmen war dieser Prozeß bei GT keine Reaktion auf eine ökonomische Krise innerhalb der Firma. Die Propagierung des identitäts- und imagesichernden "GT-way" hatte immer offensive Züge. Trotzdem zeigt sich im Vergleich zu anderen Firmen eine erstaunliche Parallele: Die wesentliche Phase der Ideologisierung bei GT verläuft etwa zeitgleich zu den bei anderen Firmen zu beobachtenden Installationsbestrebungen von "Unternehmenskultur". Der Boom der Ideologisierung bei GT ist, ebenso wie in anderen Betrieben der "unternehmenskulturelle" Beginn, also eine Reaktion auf firmenexterne, allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen. Damit ist die GT-Ideologie längst nicht so autonom, wie dies die Ideologieproduzenten wohl vermuten.  und Zur Diskussion von GRAMSCIs Hegemoniebegriff verweise ich auf die Arbeiten von MOUFFE (1979) (1978). PAGGI 2. Firmenideologie als hegemoniales Instrument Das letzte Kapitel endete mit einem Verweis auf GRAMSCIs Hegemoniekonzept. In diesem Kapitel erörtere ich nun die hegemonialen Funktionen der Firmenideologie: Hierzu gehören die Vergemeinschaftung, die Artikulation von Kritik, die Legitimation von Entscheidungen und schließlich die Imagebildung. Die einzelnen Funktionen werden dabei, soweit dies möglich ist, spezifischen Phasen des firmenideologischen Entwicklungsprozesses zugeordnet. Diskutiert wird dabei insbesondere ihr Nutzen als Instrument zur innerbetrieblichen Machterhaltung und Machtstabilisierung. Es soll u.a. gezeigt werden, daß sowohl einige explizite Aussagen der Firmenideologie wie auch ihre generelle inhaltliche Vagheit und Flexibilität zur Festigung von Macht und zur Ausübung von Kontrolle dienlich sind.74 Der Zusammenhang zwischen Ideologie und Macht ist in der gesamten theoretischen Diskussion seit MARX nicht nur eines der am ausführlichsten erörterten Themen, sondern auch wenig umstritten. Deshalb wird dieser Zusammenhang hier nur kurz skizziert. Nach EAGLETON (1993) ist eine Ideologie ein diskursives Feld, das sich durch die Aktivitäten von dominanten Sozialkräften konstituiert, diese legitimiert und der Beförderung und Legitimierung von Gruppeninteressen dient. Ganz ähnlich argumentiert GIDDENS (1979): Er betrachtet Ideologie einmal als Mittel zur Legitimierung von Herrschaftsstrukturen und zum anderen als Medium, über das Macht ausgeübt wird, um Interessen zu sichern. GIDDENS stellt explizit einen Zusammenhang zwischen Ideologie und Interessen dominanter Gruppen her, reduziert jedoch, da er Macht nicht als eine statische Qualität begreift, sondern als etwas, das in der Interaktion produziert wird, die Instrumentalisierung von Ideologie nicht ausschließlich auf die dominanten Gruppen. Auf den Firmenkontext übertragen heißt dies: Das Management ist zwar am ehesten dazu in der Lage, eine seinen Interessen gemäße Firmenideologie zu produzieren und für sich zu nutzen. Das heißt aber nicht, daß weniger mächtige Akteure im Betrieb keine Möglichkeiten zur Umformung und zur Instrumentalisierung der Firmenideologie haben. Eine Firmenideologie fungiert also als eine spezifische Kontrollform im Betrieb. Nach CZAR74  Zwar hat sowohl die populärwissenschaftliche praxisorientierte Managementforschung wie auch die theoretisch orientierte Organisationskulturforschung in den letzten Jahren zahlreiche Beiträge zu den Funktionen und Wirkungen von "Unternehmenskultur" respektive Firmenideologie geleistet, allerdings gibt es hierzu nur wenige empirische Analysen. Besonders rar sind Studien, die Firmenideologien anhand von betriebseigenen Dokumenten untersuchen. Zu nennen wäre hier KRELL (1988), die moderne unternehmenskulturelle Manifestationen mit der Rhetorik der "Betriebsgemeinschaft" in den 20er Jahren vergleicht und erstaunliche Parallelen aufzeigen kann. DOUGHERTY/KUNDA (1990) legen am Beispiel einer Fotoanalyse das Glaubenssystem von fünf verschiedenen Unternehmen offen. Allerdings beziehen sie die in den Jahresberichten enthaltenen Fotos insbesondere auf das Bild, das sich die Firmen von ihren Kunden machen. HUFF (1983) macht zwar eine rhetorische Analyse von Dokumenten einer Organisation, will damit jedoch lediglich zeigen, daß dies eine probate Methode zur Rekonstruktion von Ideen ist, die die Organisation prägen. Machtverhältnisse bleiben in ihrer Analyse ausgeklammert. NIAWSKA-JOERGES (1988) zielt ideologische Kontrolle im Vergleich zu anderen betrieblichen Kontrollformen auf die Handlung strukturierende Wahrnehmung der betrieblichen Realität.75 Eine auf Vertrauen und Partizipation setzende Firmenideologie beinhaltet demnach keineswegs per se einen Machtabbau, sondern stellt im Vergleich zu Bürokratismus und Formalismus lediglich ein anderes, wenngleich subtileres Kontrollinstrument dar. Unter der Voraussetzung, daß ihre Werte von den Beschäftigten akzeptiert werden, eignet sie sich geradezu vorzüglich, um auf unaufdringliche Weise das Denken und Handeln einer Belegschaft zu beeinflussen. Diese "third order control" (WILKINS 1983, S.84f) ist deshalb eine so wichtige Ergänzung zu den formalen Kontrollformen im Unternehmen, weil sie indirekt und auf vielen verschiedenen Ebenen operiert - von kognitiven und ethischen bis hin zu ästhetischen und emotionalen Aspekten. Der jeweilige Grad einer solchen Einflußnahme ist sicherlich von Firma zu Firma unterschiedlich. Eines der grundlegenden Mittel, mit dem Firmenideologie implementiert wird, läßt sich mit dem von SMIRCICH/MORGAN (1982) geprägten Begriff "management of meaning" umschreiben. Mit diesem Begriff wollen die Autoren ein neues Verständnis von Führung erzeugen: To see leadership as the management of meaning is to see organizations as networks of managed meanings, resulting from those interactive processes through which people have sought to make sense of situations. (S.270) Führung verwirklicht sich nach SMIRCICH/MORGAN in dem Prozeß, der wenige Individuen dazu befähigt, die Realität von anderen ausrichten und definieren zu können. Indeed, leadership situations may be conveived as those in which there exists an obligation or a right on the part of certain individuals to define the reality of others. (S.258) Neben dieser Hauptfunktion, der Sicherung von Macht und Herrschaft, bin ich bei der Textanalyse auf folgende weitere Funktionen von Firmenideologie aufmerksam geworden, die natürlich alle indirekt zur Sicherung von Macht beitragen. Diese Nebenfunktionen, also die Vergemeinschaftung, die Indienstnahme für Kritik, die Legitimation von Entscheidungen und schließlich die Imagebildung, sollen jetzt etwas genauer betrachtet werden.76 An dieser Stelle sei nochmals darauf verwiesen, daß die Funktionen der Firmenideologie zunächst wenig über ihre Wirkungen aussagen. Wie erfolgreich sich etwa mit Hilfe der Firmenideologie eine "GT-Familie" herstellen läßt, dies kann mittels einer Textanalyse kaum geklärt werden. 75  Eine vorschnelle Gleichsetzung von Wahrnehmung und Verhalten sollte jedoch unbedingt vermieden werden. Es ist durchaus fraglich ob ein Wertesystem, selbst wenn es akzeptiert werden würde, bei den Beschäftigten das gewünschte Handeln auslöst. BERGER (1993, S.31f.) liefert drei Argumente gegen eine "feste Koppelung von Kultur und Handeln." Erstens garantiere die "unternehmenskulturelle" Vagheit, daß auch die Handlungskonsequenzen interpretierbar bleiben. Zweitens sei die "Unternehmenskultur" nicht als unentrinnbares Netz zu verstehen, das die Individuen fessele, sondern eher als Werkzeugkasten, aus dem sie sich relativ frei bedienen könnten. Drittens vernachlässige diese Gleichsetzung, "daß das Handeln durch andere als kulturelle Schranken konditioniert wird." Es gilt also zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu differenzieren. Ideologie zielt auf eine Verhaltenssteuerung bei Beschäftigten - ob sie diese auch bewirkt, ist eine andere Frage. 76  Wo in der Forschungsliteratur die Funktionen von "Unternehmenskultur" behandelt werden, ist zwar immer von der Gemeinschaftsbildung die Rede; daß die firmenideologische Rhetorik jedoch zur Artikulation von Kritik und zur Legitimation von Entscheidungen dient, wird nirgends erwähnt. Vergemeinschaftung Alle firmenideologischen Bemühungen zielen auf eine kulturelle Steuerung, auf die Herausbildung einer Organisationsidentität, die das Denken und Verhalten ihrer Mitglieder beeinflußt 77 und strukturiert. BERGER (1993, S.17), die solche Bemühungen für nicht realisierbar hält und von einem "Mythos der kulturellen Integration" spricht, schreibt über die Ziele von unternehmenskulturellen Managementstrategien: Eine "starke" Unternehmenskultur soll (...) die Leistungsmotivation und die Loyalität der Organisationsmitglieder gegenüber der Organisation maximieren helfen. Sie bezieht sich auf das Problem der Leistungszurückhaltung, das auch schon Taylor und die Human Relations-Forscher umtrieb, d.h. auf Organisationsmitglieder, die zwischen ihren persönlichen Interessen und denen der Organisation einen Unterschied machen. Die Welt "mit den Augen der Organisation sehen" meint in diesem Zusammenhang, daß sich die Mitglieder die Interessen der Organisation, unter Verleugnung eigener, abweichender Interessen, als persönliche Interessen zu eigen machen und sich in diesem Sinn mit der Organisation identifizieren. 78 Notwendig hierfür ist die Inszenierung einer "Betriebsgemeinschaft". Das Modell der Vergemeinschaftung bei General Technologies zielt jedoch nicht direkt, wie Berger vermutet, auf eine "Verleugnung" von Beschäftigteninteressen zugunsten von Betriebsinteressen, sondern auf eine scheinbare Vermittlung zwischen persönlichen Interessen und denen des Betriebs. So schreibt etwa der Arbeitsdirektor wiederholt gegen den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital an ("puls"-Sonderausgabe, Juni 1986, S.4f): In der industriellen Wirklichkeit von 1986 bieten die zeitlosen Werte und Ziele, die GT 1959 formuliert hat, eine Möglichkeit, den überkommenen Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu überwinden. Immer noch spricht man von diesem "klassischen" Konflikt und vergißt dabei, daß die Unternehmung eine Leistung zusammen aus Kapital und Arbeit erstellen muß. Die Firmenideologie von GT erweckt dabei den Anschein, als existiere keine Interessenkonkurrenz, als stärke die Wahrnehmung von Beschäftigteninteressen den Betrieb und als sei umgekehrt für die Beschäftigten ihr Engagement für die Firma von Vorteil. Das Modell der Vergemeinschaftung zielt nicht nur auf das Kollektiv, sondern auch auf das Individuum: Es suggeriert 77  In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird in diesem Zusammenhang von einer "In1987, S.152f). tegrationsfunktion" gesprochen (vgl. DILL/HÜGLER 78  Eine geeignete Definition dieses Begriffs liefert KRELL (1993, S.41): "Mit der Bezeichnung 'Betriebsgemeinschaft' soll in diesem Zusammenhang nicht nur versinnbildlicht werden, daß zwischen Betrieb und Beschäftigten über den Arbeitsvertrag hinausgehende, auf Traditionen und Gefühlen beruhende Bindungen bestehen. 'Betriebsgemeinschaft' steht für ein spezifisches Grundmuster von Arbeitsbeziehungen. 'Vergemeinschaftung' - so Max Weber (...) - ist 'der radikale Gegensatz' zum Kampf. Gemeinsamer Nenner aller Konzepte vergemeinschaftender Personalpolitik ist ein dementsprechender Appell an die Beschäftigten und deren Interessenvertretung." dabei, es gebe kein Spannungsfeld zwischen den beiden antagonistischen Polen. Mit folgenden Mechanismen und Strategien bemüht sich General Technologies um die Konstruktion einer "Betriebsgemeinschaft". * Begriffe und Metaphern Neben Begriffen wie Betriebsklima, Stil, Way, Werte, Kultur und Philosophie und ihren zahlreichen Variationen in Verbindung mit anderen Substantiven (etwa Firmenphilosophie, Unternehmensphilosophie, Führungsphilosophie, Gehaltsphilosophie, Mitarbeiterphilosophie u.a.) erscheinen im "puls" zahlreiche gemeinschaftsindizierende Begriffe und Metaphern, etwa "GT-Spirit" (2/1992, S.2), "GT-Gemeinschaft" (5/1991, S.2), "kosmopolitisches Völkchen" (4/1990, S.2), "GT-Geist" (2/1992, S.2), "gute GT-Mannschaft" (6/1993, S.2) und "GT-Familie". Die Metapher der "GT-Familie" verdient eine nähere Betrachtung. "Das Schlagwort 'Ein Unternehmen - eine Familie'", schreibt KRELL (1993, S.42f), "wurde um die Jahrhundertwende geprägt, um die gemeinsamen Interessen von Stammbelegschaft und Arbeitgebern hervorzuheben. Es gilt als entscheidender ideologischer Anstoß für die Herausbildung des unternehmensorientierten Arbeitsethos." Bereits in der ersten Ausgabe der Betriebszeitung - die GmbH hat zu diesem Zeitpunkt etwa 300 Beschäftigte - findet sich die Formel der "großen GT-Familie" (Januar 1966, S.10). Diese Metapher ist bis heute nicht verschwunden und taucht im Laufe des Ideologisierungsprozesses in verschiedenen Varianten auf, mal englisch als "GT-family", mal als "familiäres Gefühl" (9/1983, S.2) oder "familiäres Beisammensein" (9/1983, S.2). Dabei zeigen sich zwei Auffälligkeiten. Erstens: Oftmals wird der Terminus "GT-Familie" zwar konstatiert, muß jedoch in demselben Atemzug entweder angepaßt oder als zutreffend verteidigt werden. Ein Beispiel für die Anpassung ist der häufig gebrauchte Ausdruck "große GT-Familie": Die dem Vergleich zwischen einem Unternehmen mit mehr als 6000 Beschäftigten und einer Familie innewohnende Komik wird durch das Attribut "groß" zumindest entschärft. Ein Beispiel für die Verteidigung der Metapher: Ein "puls"Redakteur schreibt, daß das "familiäre Beisammensein" noch existiere, "trotz mancher gegenteiliger Meinungen" (9/1983, S.2). Die Infragestellung der Familienmetapher führt natürlich nicht zu einer Dekonstruktion dieses Bildes. Sie verweist nur auf ein Problem. Daß der Diskurs über die Gleichsetzung von Familie und ökonomischer Organisation geführt wird, ist entscheidend, nicht dessen Inhalt. Zweitens sorgt die Metapher nicht nur für eine Ideologisierung der sozialen Beziehungen im Unternehmen - auch die Familie wird in einer äußerst beschönigenden Verzerrung präsentiert. Anders ausgedrückt: Die Familie selbst erfährt eine Ideologisierung. Sie erscheint nie als soziale Gruppe, die auch Leid und aufreibende Konflikte kennt. Sie wird immer als Sinnbild der Geborgenheit und Harmonie präsentiert. Ein vorzügliches Beispiel hierfür liefern die Reflexionen eines Personalmanagers über das Betriebsklima (Dezember 1971, S.8): Ist es (das Betriebsklima, Anmerkung A.W.) vergleichbar mit Nestwärme? Könnte sein! Wohl fühlen, geborgen sein, gut behandelt und anerkannt werden: man ist jemand - wie ein Kind in der Familie! Oder wie ein kleiner Spatz im warmen Nest. Schon die Familienmethapher indiziert eine paternalistische Firmenideologie und der Begriff "Nestwärme" unterstreicht diese Sichtweise. Es wäre sicherlich lohnend, nach den Motiven zu forschen, die eine ansonsten Modernität ausstrahlende Firma dazu veranlaßt, sich auf diese Weise einen offen paternalistischen Anstrich zu geben, der Assoziationen von Firmengründern als Väter und von Beschäftigten als Kinder bzw. als junge Vögel evoziert. Bislang habe ich auf diese Frage keine befriedigende Antwort gefunden. Eine Vermutung: Die Familienrhetorik macht aus einer weitgehend verrechtlichten eine emotionale Beziehung. Dies erschwert es den Beschäftigten=Kindern, Grenzen zur Firma=Eltern zu ziehen. Auf diese Weise werden Distanzierungen oder Verweigerungen moralisch illegitim. Mit dem Kniff der Familienmetapher, so meine These, können autoritäre Beziehungen wirkungsvoller installiert werden als unemotionale, verrechtlichte Machtverhältnisse.79 * Thematisierung von kulturellem Wandel Ein zweites Instrumentarium zur Vergemeinschaftung und besonders zu ihrer Stabilisierung ist die Thematisierung von kulturellem und sozialem Wandel. In rund dreißig Jahren ist die GmbH von ursprünglich zehn auf über 6000 Beschäftigte gewachsen. Das rapide Wachstum impliziert rasche, kontinuierliche und enorme Veränderungen. Im "puls" - bereits der Name der Zeitung ist eine Metapher für permanente Bewegung und verweist somit auf Veränderung - wird dieser Wandel zum einen als positiv und zum anderen als eine Überlebensnotwendigkeit dargestellt, als ein gesellschaftliches Erfordernis, dem sich die Firma zu stellen hat. "Wer rastet, der rostet" (10/1992, S.2), warnt die "puls"-Redakteurin und beschwört die Relevanz von Anpassungsfähigkeit und Flexibilität für das Unternehmen. Unter der Überschrift: "Veränderungen darf man nicht erleiden, man muß sie gestalten", widmet der Konzernpräsident dem Thema eine ganze Seite (6/1993, S.11): Eines ist sicher: Auch in Zukunft werden wir weiterhin Veränderungen erleben und zwar in noch größerem Ausmaß und in immer kürzeren Zeitabständen, denn wir arbeiten in einer Branche, deren Motor der Wandel ist. Wir tragen doch selbst durch unsere neu entwickelten Technologien mit dazu bei, den Wandel in unserer Welt in aggressiver Art und Weise voranzutreiben. Der Konzernpräsident betont, daß General Technologies "Veränderungen vorangetrieben hat und nicht Opfer von Veränderungen geworden ist." Daß die geforderten technischen und organisatorischen Veränderungen von den Beschäftigten bewältigt werden können und handhabbar bleiben, dafür sorgen laut Firmenideologie die spezifi79  ROSEN (1984) sieht in der häufigen Verwendung des Familienbegriffs einen Versuch, durch die Gleichsetzung von elterlicher Autorität mit der von Managern die Machtstrukturen im Unternehmen zu legitimieren. Ich halte diese Argumentation nicht für zwingend, da die gesellschaftliche Legitimität von betrieblicher Autorität wohl kaum viel geringer sein dürfte als die von elterlicher Autorität. Daß die beiden Institutionen Unternehmen und Familie durchaus vergleichbar sind, sei unbestritten. Die psychoanalytisch orientierte Organisationsforschung etwa widmet sich der Erkundung von Interaktionsmustern von Firmenmitgliedern und vergleicht diese mit den Interaktionsmustern von Familienmitgliedern (vgl. hierzu: KETS DE VRIES/MILLER 1985; MACCOBY 1989; 1991; SELVINI PALAZZOLI u.a. 1988). MERTENS/LANG schen Werte und Ziele, die gemeinsame Kultur und die eigene Philosophie. "Der GT Way legt die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Veränderungen fest und gibt uns eine Orientierungshilfe" (6/1993, S.11). Schon seit Mitte der 80er Jahre betonen die Meinungsführer im "puls" die "Zeitlosigkeit der Werte und Ziele" ("puls"-Sonderausgabe 6/1986, S.4), die Kontinuität der Kultur und ihre Funktion als Grundlage für betriebliche Veränderungen. Auf der Erfahrungsebene dagegen greift die Betriebszeitung das Thema kulturellen Wandel des öfteren auf. An verschiedenen Stellen wird ein Vergleich zwischen früher und heute gezogen - mit zumeist ähnlichen Ergebnissen. In fast all diesen Vergleichen spielt die Floskel der "guten alten Zeit" eine zentrale Rolle. Das 10jährige Jubiläum diente erstmals als Aufhänger, um Vergangenheit zu bearbeiten und Veränderung zu thematisieren. Im Editorial schreibt der GmbH-Chef (April 1970, S.1): Bei vielen der langjährigen Mitarbeiter wurden dabei (beim Jubiläum, A.W.) Erinnerungen an die "gute alte Zeit" wach und oft ist in diesem Zusammenhang die Frage aufgetaucht, ob nicht unser Betriebsklima darunter leidet, wenn alles größer und dadurch vielleicht etwas unpersönlicher wird. Der GmbH-Chef beantwortet diese Frage mit einem Nein. Das Wahrnehmungsmuster früherkleiner-aber-besser taucht hier zwar auf, wird jedoch durch die "gute alte Zeit" ironisiert. Außerdem steht die Floskel in Anführungszeichen. Der Chef einer expandierenden Firma (1970 zählte die Belegschaft bereits mehr als 700 Beschäftigte), signalisiert mit diesen Distanzierungsfiguren deutlich, daß er das Problem zwar ernst nimmt, sich jedoch nicht auf die Seite der Nostalgiker und fortschrittskritischen Verklärer zu schlagen gedenkt. Eineinhalb Jahre später widmet er dem Thema erneut ein Editorial (Dezember 1971, S.4f): "Ich mache mir Sorgen ums 'Betriebsklima'. Das ist nichts Neues und ich bin auch nicht der einzige, der sich Gedanken darüber macht." Es sei nicht gelungen, "das ausgezeichnete 'Klima' des kleineren Betriebs von 100, 200 oder 300 Mitarbeitern auf unsere Abteilungen zu übertragen", die Kommunikation sei "nicht gut genug" und es werde zu wenig "konstruktive Kritik" geäußert. "Wir müssen den Mut haben, etwas zu sagen." Wieder thematisiert er Vergangenheit mit Hilfe der Formel: früher-kleiner-aber-besser. Diesmal jedoch mit einer anderen Diagnose. Inzwischen konstatiert er eine Verschlechterung der Zustände und kritisiert die Abnahme von konstruktiver Kritik. Der ehemalige, als ideal geschilderte Zustand scheint passé. Eine solche Interpretation bleibt jedoch ungewöhnlich. Zumeist dient die Floskel der "guten alten Zeit" als Brücke, die zwei konträre Sichtweisen zu verbinden versucht, wie der Bericht über ein Workshop zum Thema GT-way zeigt ("puls"-Sonderausgabe Mai 1985, S.17): Von der "guten alten Zeit" schwärmen des öfteren langjährige GT-Mitarbeiter. Die jüngeren fragen sich, was damit wohl gemeint sein mag. Scheinbar hat sich die Atmosphäre im Unternehmen verändert. Wenn wir für die Veränderungen der innerbetrieblichen Atmosphäre lediglich das starke Wachstum von GT und damit die Tatsache, daß wir nun ein "richtiger Industriebetrieb" geworden sind, verantwortlich machen würden, dann machen wir es uns wohl zu leicht. Der erste Teil negiert die konstatierte Veränderung der Atmosphäre: Es gibt sie nur "scheinbar" und die "gute alte Zeit" steht erneut in Distanz signalisierenden Anführungszeichen. Der zweite Teil dagegen stellt atmosphärische Veränderung fest, betont jedoch gleichzeitig, daß sie nicht ausschließlich dem Wachstum der Firma entspringt. Erst später im Text erklärt sich das Motiv dieser Argumentation: Wenn die behauptete atmosphärische Veränderung nicht nur aus der gewachsenen Firmengröße resultiert, dann gibt es Korrekturmöglichkeiten, um die frühere Atmosphäre wiederherzustellen. Während sich also laut "puls" auf einer abstrakten und theoretischen Ebene Kultur, Werte und Ziele nicht verändern, thematisiert die Vergangenheit mit Gegenwart vergleichende Erfahrungsebene kulturellen Wandel in zumeist paradoxer Form: mal existiert die gute alte Zeit, mal wird sie als Phantom aufgebaut, mal als Phantom dekonstruiert. Das Paradox wird oftmals in der folgenden Argumentationsstrategie aufgelöst. Erstens: Es gibt die gute alte Zeit tatsächlich. Zweitens: Wir wissen jedoch ebenso um ihren Mythos. Drittens: Die Atmosphäre im Betrieb hat sich zwar verändert, ist aber nicht schlechter geworden. Letztlich hat die Floskel der "guten alten Zeit" die Funktion einer Mahnung an einen Zustand, der, ebenso wie der "GT-way", fiktiv ist, aber immer das große Ziel bleibt. * Betonung der Menschlichkeit Durch die emotionale Einbindung der Beschäftigten sollen die Humanressourcen im Unternehmen besser ausgenutzt werden (vgl. ALVESSON/BERG 1992, S.141f). Sätze wie: "Im Mittelpunkt des GT-way steht der Mensch" oder "GT-way heißt für mich, jedem Mitarbeiter Freiraum für die Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit im Betrieb zu lassen" (3/1985, S.2) - sie gehören sicherlich zu den im "puls" am häufigsten genannten Phrasen. Sie sollen auf das menschliche Antlitz der Gemeinschaft verweisen. Im Mittelpunkt des GT-way steht der Mensch. Die Beziehungen zwischen den Menschen und den Produkten, die sie herstellen, sowie dem Gewinn, den sie erwirtschaften, sind komplexer Natur, sie sind eine Wechselwirkung. Die Priorität muß jedoch bei aller Komplexität klar sichtbar bleiben: Erst die konsequente Achtung der Würde des Menschen macht uns frei für die Leistungen, die ihrerseits Lebensqualität sichern. ("puls-Sonderausgabe, 5/1985, S.3) Zwar ist der Widerspruch dieser Sichtweise zu den Zielsetzungen des Unternehmens ganz offenkundig,80 allerdings wird dies in der Betriebszeitung nie erwähnt, geschweige denn problematisiert. Die propagierte Menschlichkeit erscheint nicht als Selbstzweck. Vielmehr steht sie in einem sehr funktionalen und instrumentellen Kontext. An erster Stelle steht die Würde des Menschen, diese ermöglicht Leistung und einen materiellen Gewinn der Firma, der dann 80  In den Zielsetzungen steht, begleitet von dem Argument, daß ohne ausreichenden Gewinn die anderen Ziele nicht erreicht werden können, der Profit an erster Stelle: "Profit: To achieve sufficient profit to finance our company growth and to provide the resources we need to achieve our other corporate objectives." (Broschüre: "The GT way") wiederum den Beschäftigten Lebensqualität ermöglicht. Eben diese funktionale Betonung des Menschen als bedeutender Faktor der Gewinnmaximierung ist der Kerngedanke des Human Resource Management. Die Gewichtung der Menschlichkeit bei General Technologies geht jedoch über die Grundprinzipien des Human Resource Management, wie etwa der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen, hinaus. Sie konzentriert sich nicht nur auf den Menschen als Arbeitskraft, sondern, wie das folgende Zitat ("puls"-Sonderausgabe 5/1985, S.2) zeigt, auf den "durchgängigen Menschen": Durchgängig meint in diesem Zusammenhang, keinerlei Unterschiede zwischen der privaten Lebens- und beruflichen Arbeitseinstellung zu machen. Dies ist entscheidend, denn es verlangt, daß wir dem gesamten dynamischen Prozeß Wertewandel in den Unternehmen voll gerecht werden. Wir können nämlich nicht erwarten, daß Mitarbeiter beim täglichen Betreten der Firma ihre Einstellung und Meinung beim Pförtner abgeben und nach Arbeitsschluß wieder abholen. Diese Mitarbeiter müßten an diesem Konflikt zerbrechen. Und die Konsequenz davon wäre die innere Kündigung. Das Zitat korrespondiert mit dem Sinn der Familienmetapher. Der ganze bzw. der "durchgängige Mensch" mit all seinen Einstellungen und Meinungen, seinen Gefühlen und Sehnsüchten, seinen privaten Sorgen und Nöten ist das Idealbild eines Beschäftigten der Firma GT. Die Trennung zwischen Privatsphäre und Arbeit soll aufgehoben werden: eine fast schon unmenschliche Forderung. Ziel ist es, "den ganzen Tag derselbe Mensch (zu) sein (...). Den Arbeitsplatz kann man da nicht ausklammern" (3/1985, S.2). Damit wird zum einen gegen eine in anderen Betrieben offenbar notwendige Selbstverleugnung angeschrieben und gleichzeitig die Privatsphäre der Beschäftigten zerstört. Dies bedeutet dann, daß auch nach Feierabend der Arbeitsmensch nicht vom Freizeitmenschen abgelöst werden soll. In dem Nachruf (10/93, S.19) über einen der Mitbegründer der GmbH, den der Firmenchef als einen "GTler, wie ich ihn mir vorstelle" charakterisiert, steht als letzter Satz: "GT war für ihn nicht nur ein Beruf, es war ein elementares Stück seines Lebens." Die Menschlichkeit wird in der Firmenideologie ganz besonders von der Führung eingefordert. Führungskräfte sollen sich nicht als kalte und herzlose Herrscher präsentieren. Gefragt ist stattdessen ein Führungsstil, der sich nicht autoritär, sondern kommunikativ gibt, gefragt ist der Chef als Mensch. Nach dem Wechsel an der GmbH-Führungsspitze porträtiert der "puls" (6/1993, S.4f) den neuen Vorsitzenden. Titel: "Der neue GmbH-Chef (...) mal ganz persönlich". Unterzeile: "Einer aus der GT-Mannschaft eben". Im Text ist dann zu lesen: Was ihm wichtig ist? "Der Kontakt zu den Mitarbeitern", betont der engagierte GTler. "Managing by Desking around" ist denn auch das Führungsmotto (...). Immer wieder mit dem Schreibtisch umziehen in andere Abteilungen, vor Ort sich eingliedern, bedeutet das in der Praxis (...). Wie er sich in seiner neuen Aufgabe sieht? Nicht als über allem stehender Boss. "Ich empfinde mich eher als derjenige, der von GT mit der Aufgabe betraut wurde, voranzugehen." Einer aus der GTMannschaft eben. In demselben Heft schreibt der "puls" (S.12) über einen Angestellten und dessen Erlebnisse als "VIP-Fahrer bei GT." Im Zentrum des mit zahlreichen Zitaten unterlegten Porträts steht dessen Fahrt mit einem der beiden Firmengründer und dessen Ehefrau: "Er (der Firmengründer, A.W.) wußte auf dieser Schweiztour genau, wo er lang wollte", erinnert sich Manfred (der Fahrer, A.W.). "Dabei kehrte er aber nie den 'Firmengründer' heraus. Beide (...) behandelten mich so herzlich, als würden wir uns schon ewig kennen." Und man merkt ihm an, daß diese Fahrt wirklich einen besonderen Eindruck hinterlassen hat. "Die sind schon fast zu normal", überlegt Manfred, "die machen sich nichts aus Reichtum, lachen und schwätzen wie jeder...Alles halt nur in Englisch." Schon 1971, der Zenit der in der Betriebszeitung geführten Diskussion über die konstatierte Verschlechterung des Betriebsklimas ist erreicht, erteilt der Personalmanager Anregungen für ein gutes Betriebsklima und illustriert dies anhand einiger Beispiele (Dezember 1971, S.9): Jeder Mitarbeiter will einfach mal von seinem direkten oder höheren Vorgesetzten angesprochen werden, etwa so: Na, was macht dein Auto, mußt du immer noch Benzin abzapfen,wenn du länger gefahren bist? Oder: Na, Mädchen, wenn du noch mal in den Regen kommst, kannst du die Höschen auch nicht mehr anziehen. Sie wissen ja, was ich meine: Von Mensch zu Mensch, alles andere sei einmal vergessen. Das sexistisch durchtränkte, vom Ideal einer kumpelhaften Atmosphäre beseelte Bild eines positiven Betriebsklimas soll jedoch die Aufmerksamkeit nicht von der Tatsache ablenken, daß der Personalmanager hier suggeriert, gerade nicht Faktoren wie Firmengröße oder wachsende Leistungsdichte seien für eine behauptete Verschlechterung des Betriebsklimas verantwortlich, sondern ein ominöses Schwinden des "Menschlichen". In diese Richtung zielen dann auch seine Forderungen an die Vorgesetzten und die anderen Beschäftigten. Erstens: Der "liebe Vorgesetzte" soll zugeben, daß auch er Fehler hat und macht, er soll "sorry" sagen, einmal lachen und sich nicht wie ein "Halbgott", sondern wie ein "Mensch" gebärden. Zweitens: Der "liebe Mitarbeiter" habe ebenfalls Schwächen, sei nicht "der Unschuldigste". Er soll "Verständnis für den Vorgesetzten" aufbringen und sich in "Kameradschaft" üben. Mit dem Verweis auf Menschlichkeit werden strukturelle Schwierigkeiten, die wohl allen hierarchischen Beziehungen inhärent sind, ausgeklammert. * Konturierung sozialer Normen Ein weiteres Moment zur Inszenierung der GT-Gemeinschaft ist die Konturierung eines normativen Regelwerks. Schon zu Beginn der 80er Jahre ist im "puls" von GT-spezifischen Werten die Rede, zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ohne Konkretisierungen. Der Begriff "Grundsätze des GT-way" fällt erstmals in der "puls"-Sonderausgabe 5/1985 (S.3). In einem Kästchen neben dem Fließtext stehen die bereits erwähnten dreizehn Merkmale, die später in das "GT-Firmenkultur"-Plakat Eingang finden werden. Besonders die ersten sieben Punkte ("Respektieren der Persönlichkeit; Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch Freiräume; Gegenseitiges Vertrauen und Helfen; Fehler machen dürfen; Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit; Anerkennung der Leistung und teilhaben am Erfolg; Mitverantwortung durch gemeinsame Rechte und Pflichten") tragen zur Konturierung sozialer Normen bei. Ein Jahr später veröffentlicht der Arbeitsdirektor unter dem Titel "Partnerschaft durch Vertrauen" ("puls"-Sonderausgabe 6/1986, S.3f.) eine dreiseitige "theoretische Einführung" in die "GT-Unternehmensphilosophie", entwickelt einen Prioritätswert und entwirft eine Werteliste: Unsere Firmengründer (...) waren sich bei ihrem Start in der Garage der theoretischen Zusammenhänge der Grundsätze ihrer gemeinsamen Arbeit sehr wahrscheinlich nicht bewußt. Beim gemeinsamen Anfang mußte aber jeder zum anderen Partner Vertrauen haben. Dieses Grundvertrauen in die andere Person wurde beim Wachsen des Unternehmens auch in die neuen Mitarbeiter gesetzt. Vertrauen ist die ethische Grundlage von GT. Vertrauen ist der Grundwert, die Basis für unsere Firmenziele und -kultur, aufbauend auf - Sicherheit - Ehrlichkeit - Offenheit - Würde - Partnerschaft - Toleranz Ein Vergleich dieser Werteliste mit dem oben zitierten Dreizehn-Punkte-Katalog zeigt zwar einige Analogien, jedoch keine völlige Übereinstimmung. Bis heute gibt es zahlreiche andere Versuche, das firmeneigene Wertesystem zu formulieren - jeweils mit neuen normativen Konstellationen. In der Broschüre "The GT way" etwa wird unter "organizational values" mit "trust and respect", "uncompromising integrity", "high level of achievement and contribution", "teamwork", "flexibility" und "innovation" wiederum ein neuer Wertekanon kreiert, der sich mit den beiden oben präsentierten normativen Systemen nur begrenzt überschneidet. Bislang hat sich das Wertesystem als relativ flexibel erwiesen. Trotzdem gibt es eine Konstante: Immer wieder machen die meinungsbildenden Autoren die Belegschaft auf die Vorrangstellung des Werts Vertrauen aufmerksam. Daß die im Laufe des Ideologisierungsprozesses genannten Werte, abgesehen von dem Grundwert Vertrauen, relativ austauschbar erscheinen, weist auf die Funktionalität der Werte hin. Noch wichtiger als ihr Inhalt ist ihre Anbindung an ökonomischen Erfolg. Bei GT hat das Wertesystem ebenso eine instrumentelle Ausrichtung wie der notorische Verweis auf den im Mittelpunkt stehenden Menschen.81 Äußerungen im "puls", die auf die Funktionalität der Werte verweisen, sind in den 80er Jahren noch relativ selten zu finden. In den 90er Jahren erfolgt die Propagierung spezifischer Werte unter instrumentellen Gesichtspunkten immer offener. Selbst der Grundwert Vertrauen wird von den Ideologieproduzenten als funktionales Erfordernis 81  Eine solche Tendenz hin zur Funktionalisierung von Werten beleuchtet DEUTSCHMANN (1993) in einem allgemeineren Kontext. Sich auf die Terminologie von HARTMANN berufend, konstatiert er im gegenwärtigen Management und bei der Consulting-Industrie eine Abkehr vom kreditiven, d.h. quasi selbstverständlichen und keiner weiteren Begründung bedürfenden Charakter der Werte, und eine wachsende Ausrichtung auf ihre Funktionalität. Während das in den 50er Jahren maßgebliche Wertesystem in Unternehmen sich gerade nicht durch ökonomische Erfolgsträchtigkeit auszeichnete, sei mit dem Aufkommen der Unternehmenskultur-Debatte die Funktion der Werte wichtiger als ihre Botschaft. präsentiert. Der Vorsitzende der GmbH-Geschäftsführung etwa fordert die Einhaltung des "GTway", erwartet vom Management die Reaktivierung "alter Tugenden wie Glaubwürdigkeit, Bescheidenheit, Mut und Verantwortungsbewußtsein", und bringt ausschließlich organisatorische und ökonomische Gründe ins Spiel: Vertrauen, so ist in dem Porträt über den neuen GmbHChef zu lesen, sei "in einer turbulenten Umgebung das bessere Organisationskonzept, ein so komplexes Unternehmen (...) zu managen" (7/93, S.5). * Konturierung einer Beschäftigtenidentität Mitte der 80er Jahre erhält der Ideologisierungsprozeß eine neue Dimension: Das Kollektiv wird mit der Konstruktion einer Beschäftigtenidentität stabilisiert. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Individuum. Der "GT-Typ", also der prototypische Mitarbeiter, wird erfunden. In einer "puls"Umfrage (8/1984, S.18) antworten sieben Personalmanager auf die Frage: "Gibt es den GT-Typ?" Hier die Antworten: (1) Das einzig Typische am GT-Typ ist, daß er untypisch ist. Und das ist gut so. (2) Selbstverständlich. Und das Schöne und Interessante dabei ist, daß wir GT-Typen unsere persönliche Note haben. (3) Ja, natürlich. Wenn es ihn nicht gäbe, würden wir uns in einem Punkt weniger von anderen Unternehmen unterscheiden. (4) Die Älteren sagen: "Früher hatten wir fast nur solche." Wenn wir GT-Typen aber auch künftig in größerer Zahl einstellen, dann werden sie hoffentlich auch nicht aussterben. (5) Der GT-Typ ist kontaktfreudig. Er versteht es, größere Probleme in kleinere Fragestellungen zu zergliedern und dafür praxisbezogene Antworten zu finden. (6) Es gibt momentan ca. 3700 GT-Typen in Deutschland. Soviele wie Mitarbeiter. Wenn ich schon stereotyp urteilen soll, akzeptiere ich für die meisten Mitarbeiter die Attribute engagiert, aufgeschlossen, hilfsbereit und kollegial im Gegensatz zu jung, dynamisch, flexibel. (7) Nimmt man die Gesamtbelegschaft von GT, so gibt es sicherlich einige Persönlichkeitsmerkmale, die sich verdichten. Gerade dies erleichtert die Zusammenarbeit und ist ein Grund für den Erfolg von GT. Auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen würde ich die Frage verneinen und finde das auch gut so. Trotz der Bedeutung einer Firmenkultur sollte das Individuum dabei nicht auf der Strecke bleiben. Nun kann man sicherlich die Ernsthaftigkeit der Antworten in Frage stellen. Einige wirken eher wie lockere Sprüche und Versuche, sich aus der Bredouille herauszumanövrieren. Trotzdem zeigen sich einige bemerkenswerte Tendenzen. Erstens: Von den sieben Personalmanagern bejahen alle die Frage nach dem "GT-Typ", die letzten beiden allerdings mit deutlichen Einschränkungen. Zweitens: Zwar existiert der "GT-Typ", die Umfrage zeigt jedoch, daß er noch keine ausgeprägten Konturen hat. Nur die Antworten (5) und (6) versehen den "GT-Typ" mit konkreten Eigenschaften. Die Antworten (1) und (2) tragen mit "untypisch" und "persönliche Note" wenig, die Antworten (3), (4) und (7) überhaupt nicht zu einer Konturierung bei. Drittens: Die Antworten (1), (2), (6) und (7) thematisieren das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen personaler Identität und Firmenidentität. Dabei suchen sie beide Bezüge zu wahren. Einerseits konstatieren sie die Existenz eines "GT-Typs", andererseits betonen sie die Individualität der Mitarbeiter. Das wohl gegenwärtig charakteristischste Paradox der Firmenideologie, die gleichzeitige Beharrung auf Individualität und Kollektivität, ist hier bereits entwikelt. Es sind zwei sich gegenseitig bedingende und ergänzende Seiten einer Strategie. Das Paradox wird nicht aufgelöst, sondern entworfen. Wir sind ein Kollektiv von Individuen, so lautet ihre Botschaft. Auch die Vermittlung von Anerkennung und das Lob der Beschäftigten tragen zur Konstruktion einer Beschäftigtenidentität bei. Kaum ein Satz steht so häufig im "puls" (u.a. 1992/1993, S.4) wie: "Unsere größte Stärke sind unsere Mitarbeiter." Schon nach dem Erscheinen der vier Managementbücher zu Beginn der 80er Jahre haben der Konzernpräsident und andere Meinungsführer die Beschäftigten mit dem Nimbus des Besonderen versehen. Dieses Lob setzt sich nicht nur fort, sondern nimmt mit der vierten Phase sowohl im Ausmaß als auch in der Intensität zu. Dies ist wohl zu einem beträchtlichen Teil das Verdienst des Konzernpräsidenten, der anläßlich des 50jährigen Konzernjubiläums die Mitarbeiter mit positiven Zuschreibungen geradezu überschüttet. "Was GT-ler so besonders macht: Sie sind erfolgreich, innovativ, engagiert und risikobereit" - so ist seine ganzseitige Hymne auf die Belegschaft überschrieben (2/1989, S.4). Im Text stehen dann zahlreiche weitere Charakterisierungen der Beschäftigten. Demnach sind sie weltweit "sehr stark durch Gemeinsamkeiten verbunden", sie sind "Gewinner", "respektieren einander", "ziehen an einem Strang", "erzielen Spitzenergebnisse", sind "offen für Veränderungen", haben eine "ausgezeichnete Qualifikation", sind "kreativ und risikobereit", "engagieren sich bis zum äußersten", "legen keinen Wert auf Statussymbole", "sind bescheiden" und sind "selbstverständlich" motiviert. Der Konzernpräsident bemerkt abschließend, er sei "stolz darauf, Teil des GT-Teams zu sein." All diese Zuschreibungen sind weitere Bausteine zur Modellierung des einzelnen Beschäftigten. Was in der "puls"-Umfrage: "Gibt es den GT-Typ?" eher spielerisch begann, setzt sich hier bereits auf einer anderen Ebene fort. Die Eigenschaften, mit denen der Konzernpräsident die Beschäftigten konstruiert, sind für ihn mehr als nur typisch: Sie sind idealtypisch. Fast schon beschwörend konstatiert er mit diesem Lob den idealen Beschäftigten. Insbesondere in den folgenden zwei Jahren erscheinen in ganz ähnlicher Weise weitere pauschalisierende Selbstbestätigungsformeln. So bescheinigen unterschiedliche "puls"-Redakteure den "GT'lern", "ein kosmopolitisches Völkchen" zu sein (4/1990, S.2), attestieren der "GTGemeinschaft", sie sei "locker" (5/1991, S.2), loben "die GT-Familie" als "dynamisch" und "flexibel" (11/1990, S.2), und beschreiben den Prototyp als einen, der "eher Individualist als Konformist" ist, "aufgeschlossen, anspruchsvoll und unkompliziert, liest die FAZ oder die Stuttgarter Zeitung und trägt seine Hemden offen" (10/89, S.2). Ein neuer Redakteur lobt an seinen Kollegen "das stets offene Ohr (...) sowie die freundliche Hilfestellung bei der Einarbeitung" und sieht dies als den "besten Beweis, daß der GT-way kein frommer Wunsch, sondern praktizierte Firmenkultur ist" (9/1990, S.2). Ein Managementtrainer bescheinigt den "GT-Managern (...) eine Vision", die da lautet: "Wir sind etwas Besonderes durch unseren GT-way" (8/1990, S.4). Ein freier Berater der Firma redet völlig unironisch von der "Harmoniewelt von GT" (3/1994, S.17) und der Leadsänger der Popgruppe "Scorpions", die das Abendprogramm einer Veranstaltung gestalteten, wird im "puls" mit den Worten zitiert: "Ich habe noch nie so viele lustige Schlipsträger auf einem Haufen gesehen" (2/1994, S.7). Drei französische Praktikanten loben am Ende ihrer Tätigkeit "die gute Stimmung bei GT" und zeigen sich "angenehm überrascht (...) von der informellen Bekleidung vieler GT'ler" (9/1991, S.11). Selbst die Kinder von Beschäftigten werden dabei instrumentalisiert. So veröffentlicht die Redaktion den Leserbrief eines 11-jährigen Kindes im Authentizität suggerierenden, handgeschriebenen Original (1/1991, S.7): "Liebe Leser! Ich bin sehr stolz, wenn ich erzählen kann, daß mein Vater bei GT arbeitet. Der Name ist für die meisten sehr bekannnt (...). Die Feste von GT, auf denen ich schon war, fand ich toll. Dort waren nette Leute. Die Firma GT spielt sonst keine große Rolle in meinem Leben, aber so wie es mein Vater beschreibt, ist es sehr schön. Manchmal wünsche ich mir, mein Vater wäre öfters zuhause." Der Brief ist eine von vielen Antworten, die die Redaktion zum Thema: "Was verbinden Sie mit GT?" veröffentlicht. Im Vorspann steht: "In einer Mini-Umfrage baten wir verschiedenste Personen um einen kurzen Beitrag." Aus der Quelle geht nicht hervor, ob sich die Redaktion an den 11jährigen Jungen oder dessen Vater wandte und auch die weitere Entstehungsgeschichte des Leserbriefs ist unbekannt. Neben dem peinlichen Mißbrauch eines Kindes zur Verherrlichung des Unternehmens ist der Brief noch in einer zweiten Hinsicht aussagekräftig: Er bedient die Vorstellung von der Firma GT als "Harmoniewelt": Weder schimpfen die Beschäftigten nach Feierabend über ihre Firma, noch sind sie müde. Stattdessen erzählen sie ihren Kindern, wie schön der Arbeitstag war. Neben der Vergemeinschaftung hat die demonstrative Präsentation von selbstbestätigenden Äußerungen noch eine weitere Funktion: Sie soll Enthusiasmus generieren und die Motivation und das Engagement der Beschäftigten beflügeln. Forderungen werden als Lobesaussagen artikuliert. Statt eines rüden "GT'ler sollen Gewinner sein", heißt es wesentlich schmeichelhafter: "GT'ler sind Gewinner." Dann ist es die Sache der Beschäftigten, die in sie gesteckten hohen Erwartungen zu erfüllen und den Konzernpräsidenten nicht zu enttäuschen. Das Lob bestätigt nicht nur, es fordert auch, indem es Maßstäbe setzt. Im Gegensatz zur ersten Hälfte der 80er Jahre hat sich nun jedoch die Form der selbstbestätigenden Formulierungen gewandelt. Während die positiven Erwähnungen der "Unternehmenskultur" in der dritten Phase des Ideologisierungsprozesses oftmals von außen kamen - so zum Beispiel die Managementbücher von OUCHI (1981) und PETERS/WATERMAN (1982), oder der von der Stiftung "Sozialer Wandel in der unternehmerischen Wirtschaft" verliehene "Partnerschaftspreis 1985" an die GmbH - und in der GmbH-Zeitschrift sicher mit einigem Stolz präsentiert und zitiert wurden, haben die seit 1989 anschwellenden Selbstbestätigungsrituale zumeist keinen erkennbaren äußeren Anlaß. Wo das Lob als Eigenlob erscheint und die Selbstbestätigung fast schon selbstbeweihräuchernde Züge annimmt, liegt die Vermutung nahe, daß solche identifikatorischen Maßnahmen dringend benötigt werden, weil der GmbH in der Selbstwahrnehmung der Beschäftigten einige Eigenschaften einer Familie oder einer Gemeinschaft entschwunden sind. Tatsächlich häuft sich in demselben Zeitraum auch Kritik. Artikulation von Kritik Mit der zunehmenden Herausbildung der Firmenideologie hat sich das Reden über den "GT-way" verändert. War er in der ersten Hälfte der 80er Jahre fast ausschließlich ideologischer Identitätsleim, begann in der zweiten Hälfte ein Wandel hin zu Kritik. Bei der Artikulation von Unmut sind zwei Prozesse zu beobachten. Erstens: Richtete sich die Kritik zunächst (d.h. in der dritten Phase des Ideologisierungsprozesses) auf die Nichtbeachtung bzw. auf die mangelnde Umsetzung des "GT-way", so wird später der "GT-way" selbst als Argument zur Kritik an Beschäftigten(gruppen), Zuständen oder Entscheidungen herangezogen. Dieser firmenideologische Bezug sichert der Kritik ein höheres Maß an Legitimität. Zweitens vollzieht sich im Laufe der Ideologisierung eine Tendenz von zunächst abstrakter und allgemein gehaltener Kritik hin zu einer Konkretisierung der Beanstandungen. Die erste deutliche Kritik an einer Beschäftigtengruppe, genauer am Management, findet sich erst Mitte 1984 im "puls". Das enorme Wachstum des Konzerns verursacht Probleme, die das "Familiengefühl" der weltweit 74.000 Mitarbeiter (1984) betreffen. Die "Politik der offenen Tür", von den Gründervätern eingeführt, scheint in den über 50 Werken nicht mehr zur Zufriedenheit der Konzernspitze praktiziert zu werden. In einem im "puls" (5/1984, S.9) veröffentlichten Brief, der an alle Manager adressiert ist, beschwört einer der beiden Firmengründer die Einhaltung der "Politik der offenen Tür" und betreibt in ungewöhnlich harscher Form Managerschelte. Jeder Versuch, dieses "wesentliche Element des GT-Stils" zu unterbinden, laufe der Unternehmenspolitik diametral entgegen. Eine solche Handlung wird als ernstzunehmende Verletzung der Management-Verantwortlichkeit betrachtet und entsprechend geahndet werden. Es ist wichtig, daß diese Tatsache innerhalb Ihrer Abteilung in voller Tragweite zur Kenntnis genommen und verstanden wird. Mit der Mitte der 80er Jahre geführten Debatte über Theorie und Praxis des "GT-way", mit seiner Anbindung an Ideal/Wirklichkeit, an Ist- und Sollzustand, eröffnet sich eine neue Dimension: Der "GT-way" dient jetzt als Instrument der Kritik, als Maßstab zur firmenöffentlichen Artikulation von unerwünschten Praktiken und Zuständen. Die Kritik etwa an den Arbeitsbedingungen in der Produktion - hier ist der Verantwortungsbereich sicherlich beträchtlich niedriger als bei den hochqualifizierten Beschäftigten etwa im Marketing oder in der Entwicklung - kann jetzt mit Hilfe des "GT-way" untermauert werden und erhält somit mehr Legitimität. Ein Artikel der "puls"Redakteurin über die Arbeitsplätze in der "weitgehend automatisierten Fertigung" ist denn auch mit den Worten "Für mehr GT-way in der Produktion" betitelt (7/1988, S.4). Auch für die Bilanz der Mitarbeiterbefragung greift die Formel "GT-Stil - Theorie und Praxis" ("puls-Sonderausgabe Open Line", 6/1986, S.4). Zwei Autoren der zentralen Personalabteilung summieren den "Unter- schied zwischen dem, was ganz offensichtlich jeder GT'ler so unter dem GT-Stil zu verstehen scheint, und dem, wie GT-Stil im Arbeitsalltag gelebt und erlebt wird." Hauptkritikpunkte der Belegschaft seien: Die Vorgesetzten lobten zu wenig, das "management by wandering around"82 werde seltener praktiziert, Zielvereinbarungsprozesse seien unklar und gesellige Veranstaltungen seien in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Die meisten Kritikpunkte beziehen sich also auf den Führungsstil, Adressat des Unmuts ist hier das Management. Allerdings muß sich auch die Belegschaft Vorwürfe gefallen lassen. Im Frühjahr 1993 widmet der neue Konzernpräsident dem "GT-way" eine ganze Seite (4-5/1993, S.12f). Er hält den Beschäftigten vor, den Begriff falsch zu verstehen. Ein neues Beispiel nicht nur für management of meaning, sondern auch für den einsetzenden Kampf um Bedeutungen. "Immer mehr Mitarbeiter", klagt er, "sind der Meinung, daß der GT-way nicht mehr existiert oder seinen Sinn verloren hat." Ursachenforschung anstellend, kommt er zu dem Ergebnis, "daß sich viele unserer Mitarbeiter schwer tun, zwischen den Kernprinzipien von GT und deren Umsetzung in die Praxis zu unterscheiden", plädiert dann dafür, den "GT-way" als eine "bewährte Formel" zu begreifen, "die wir manchmal etwas zu sehr in Vergessenheit geraten lassen" und fordert schließlich die Beschäftigten zwecks Leistungsoptimierung dazu auf, "wieder zum alten Geist zurückzufinden", "den GT-way wieder(zu)entdecken (...). GT ist dann wirklich eine Firma, in der das Arbeiten Spaß macht." Blieb in der dritten Phase des Ideologisierungsprozesses die Kritik an unerwünschten Erscheinungen oftmals abstrakt - zumeist reduziert auf die Klage, es gebe eine Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit - so zeichnet sich seit Beginn der 90er Jahre eine zunehmende Konkretisierung der Kritik ab. Der "GT-way" dient hierbei als Ausgangsbasis für die Formulierung von Unmut erregenden Zuständen, er sichert die Legitimation für kritische Äußerungen. Mit dem "GT-way" betreibt beispielsweise ein ausscheidendes Mitglied der Geschäftsleitung in dezenter Form Kollegenschelte. Auf die Frage, welche Eigenschaften für einen Manager unabdingbar sind, antwortet er: Offen und aufrichtig zu sein, Mitarbeitern, Kollegen und Chefs gegenüber. Dann muß man Neuerungen gegenüber aufgeschlossen sein und sollte sich selbst nicht ständig vordrängen. Also kurz, den GT-way leben. Und der wird nicht immer sehr beherzigt. (3/1990, S.10) Eine "puls"-Redakteurin konstatiert eine Tendenz zur Bürokratisierung (2/1992, S.2): "Der GT- Spirit (scheint) nur noch als Schatten seiner selbst durch das Dickicht der Vorschriften und Gewohnheiten zu schimmern, die in den GT-Etagen zunehmend gang und gäbe sind." Der Konzernpräsident kritisiert, viele Manager hätten "dem Personalmanagement nicht die erforderliche Aufmerksamkeit" entgegengebracht und betont: "Feedback von den Mitarbeitern ist lebenswichtig für gutes Management (...). Setzen Sie ein wichtiges Kennzeichen des GT-way jeden Tag 82  Mit dem Begriff "management by wandering around" wird ein Führungsprinzip beschrieben, demzufolge das Management sich nicht hinter Schreibtischen verschanzen, sondern durch Umhergehen in den Großraumbüros den Kontakt zur Belegschaft herstellen soll. Das "management by wandering around" findet nach Ansicht der meisten Beschäftigten zwar immer weniger Anwendung, gehört jedoch zu den firmenideologischen Kernprinzipien. um, indem Sie Kollegen Respekt entgegenbringen" (7-8/1992, S.17). Auch sein Nachfolger, der ein Jahr später die Personalpolitik kritisiert - "offensichtlich tun wir in unserem Unternehmen nicht genug, um qualifizierte Frauen als neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen, sie auszubilden, zu fördern und auch zu behalten" (10/1993, S.13) - benutzt den "GT-way" und den "Respekt vor dem einzelnen Menschen" als Ausgangsbasis seiner Argumentation. Während sich zunächst ausschließlich die meinungsmachende Elite an der Gestaltung der Firmenideologie beteiligt, kommen seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre in der Betriebzeitschrift auch vereinzelt "Mitarbeiter" zu Wort, um einen Ausdruck zu gebrauchen, mit dem in der Firma die Beschäftigten bezeichnet werden, die nicht dem Management angehören. Diese von "Mitarbeitern" geäußerte Kritik bewegt sich in der Regel auf einem sicheren Terrain - ein Widerspruch gegenüber den Beanstandungen ist nicht zu erwarten. Ein Beschäftigter moniert etwa die Diebstähle im Betrieb (3/1990, S.14): Im Vergleich zu anderen Firmen liegen wir zwar laut Aussage der Kriminalpolizei (...) deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber auch bei der 'geringen' Anzahl sind diese Fälle bei GT-Werten wie Offenheit und Vertrauen nicht zu tolerieren. Das Zitat ist noch in einem weiteren Gesichtspunkt aussagekräftig. Hier offenbart sich deutlich die Kontrollfunktion der Firmenideologie: Vertrauen avanciert zu einem Machtfaktor. Ein Diebstahl bei GT ist mehr als ein strafrechtliches Delikt, er ist eine Mißachtung des Vertrauens. Er stellt den firmeneigenen Wertekanon in Frage und ist deshalb doppelt verwerflich. Sichere, Widerspruch vermeidende Kritik kann neben der Wahl einer mehrheitsfähigen Position - gegen Diebstähle sind alle - auch durch die Wahl des Adressaten hergestellt werden. So fragt sich beispielsweise einer der Beschäftigten in der Überschrift: "Was kann ich zur GT-Firmenkultur beitragen?" (5/1987, S.6), und beantwortet sich und anderen die Frage wie folgt: Gerade heute früh hab' ich mich doch dabei ertappt, daß ich einen Kollegen (...) belehrt habe, wie er seinen Job besser machen könnte (...). Da muß ich mir wirklich an den Kopf fassen und mich fragen, wie ich eigentlich auf die Idee komme, daß andere GT-Mitarbeiter ihren Job auch nur im geringsten weniger ernst nehmen als ich selber? (...) "Die Persönlichkeit eines Kollegen respektieren" heißt doch, daß ich ihm z.B. keine Unterstellungen mache (...). Wenn sich alle daran hielten, dann tät ich's auch (...). Warum mach' ich nicht selbst den Anfang? (...) Das ist doch wirklich eine tolle Challenge für mich! Ich will doch mal sehen, ob ich's nicht schaffe, diese Woche meine Vorhaltungen und Unterstellungen am Kaffeepott sein zu lassen! (...) So mach' ich's. Da komme ich bestimmt mit jedem besser klar in der Firma. Hier erscheint Kritik vorwiegend als Selbstkritik. Wer schreibt so etwas? Dem beigelegten Foto nach zu urteilen, ist der Autor ein etwa dreißigjähriger Mann. Seine Kleidung - Anzug, weißes Hemd und Krawatte - läßt darauf schließen, daß er nicht in der Produktion arbeitet, eher im Marketing oder im Verkauf. Da fast alle jungen männlichen Beschäftigten eine akademische Ausbildung haben, ist der Autor vermutlich noch nicht sehr lange bei GT angestellt. Wie kann es zu solch einer befremdlichen Selbstanklage kommen? In der Quelle findet sich hierzu leider nichts. Tatsache ist, daß dieser Beschäftigte, der seinem Status nach weniger legitimiert ist, über "Firmenkultur" zu schreiben, sich völlig anders äußert als die meinungsbildende Elite. Zwar wirkt er an einer Stabilisierung der Firmenideologie mit, benutzt hierzu jedoch andere Mittel: Er zementiert Werte wie "Respektieren der Persönlichkeit", indem er sie von eigenen Unzulänglichkeiten abgrenzt. Zwar formuliert er indirekt eine Kritik an Zuständen in der Firma, sprich an einer zu wenig vertrauensvollen Atmosphäre, verhüllt sie jedoch mit so viel Selbstkritik, daß die Kritik dabei fast unsichtbar wird. Hier bekennt und kritisiert ein Beschäftigter firmenöffentlich seine Umgangsformen gegenüber anderen Angestellten. Legitimation von Entscheidungen Neben der Äußerung von Kritik kann der "GT-way" auch zur Rechtfertigung und Legitimierung von (Management)Entscheidungen instrumentalisiert werden. Diese Funktion der Firmenideologie gewinnt jedoch erst in der vierten Phase an Bedeutung. Um Entscheidungen mit Hilfe der Firmenideologie rechtfertigen zu können, müssen deren Inhalte weitgehend etabliert und vor allem auch von der Belegschaft akzeptiert sein. Im "puls" finden sich sogar Hinweise auf eine Legitimitätsfunktion der Firmenideologie bei Entscheidungen, die an sich keiner Rechtfertigung bedurften, weil sie auf einem großen Konsens basierten und nie kontrovers diskutiert wurden. Hierzu ein Beispiel. 1989 führt die GmbH ein neues Gehaltsfindungssystem ein, das "ranking". Glaubt man den zahlreichen Äußerungen in der Betriebszeitung, so ist das neue Modell in der Belegschaft auf breite Zustimmung gestoßen. Der Leiter der für die Einführung zuständigen Projektgruppe bezeichnet es dennoch als einen "wichtigen Aspekt unserer Gehaltsphilosophie" (4/1989, S.4). Der Betriebsrat erklärt, warum das "ranking" eingeführt wurde: "Um das 'o.k.-Gefühl' trotz Leistungsdifferenz zu fördern" (Sonderpuls 9/91, S.6). Drei Jahre später wird ein neues Modell implementiert, eine modifizierte Form des bisherigen "ranking". Es wird als "leistungsorientierte relative Einstufung" (Sonderpuls 9/1991, S.1) bezeichnet und unterscheidet sich von seinem Vorgänger durch eine stärkere Differenzierung der Einstufungsgruppen. Wiederum stößt es, dies ergibt eine Umfrage des Betriebsrats, bei der Mehrheit der Beschäftigten auf Zustimmung. Erneut binden die Initiatoren das neue Modell an die Firmenideologie an. Der Vorsitzende der Geschäftsleitung legitimiert das neue Modell mit zwei Argumenten. Zunächst zitiert er eines der Unternehmensziele: "Alle GT-Mitarbeiter sollen am Unternehmenserfolg, den sie miterwirtschaften, teilhaben", und schreibt dann: "Ein wesentlicher Teil davon ist die leistungsgerechte Bezahlung." Im nächsten Absatz bringt er die "Unternehmensphilosophie" ins Spiel: "Die Motivation zur Leistung" sei das "zentrale Element der Unternehmensphilosophie" (Sonderpuls 9/1991, S.2). Obwohl also das neue Modell von den meisten Beschäftigten gewünscht wird, eine Rechtfertigung also gar nicht nötig wäre, verzichtet der GmbHChef nicht auf eine firmenideologische Anbindung. Zwei Jahre später dagegen kann "die Motivation zur Leistung" nicht mehr als "zentrales Element der Unternehmensphilosophie" bezeichnet werden. Obwohl die GmbH 1993 trotz allgemeiner Rezession hohe Gewinne erzielt, kürzt das GmbH-Management einige freiwillige Sozialleistungen. Die Mehrheit der Belegschaft akzeptiert die Kürzungen.83 In einem Interview fragt "puls" den GmbH-Chef (10/1993, S.6): "Machen wir mit diesen Sparmaßnahmen Abstriche am GT-way?" Dessen Antwort: Ich sehe diese Verbindung nicht. Der GT-way ist eine Zusammenfassung von Werten (...). Da geht es um Vertrauen, um Verantwortung, gegenseitigen Respekt, um Geschäftsethik, um Flexibilität, Innovation, Teamerfolg und auch Leistung. Natürlich hat er damit indirekt auch eine materielle Seite. Die beiden Beispiele zeigen, daß die Definitoren den GT-way relativ beliebig und je nach Kontext unterschiedlich zur Legitimierung ihrer Argumente und Entscheidungen einsetzen können. Hier erweist sich das in den Phasen zwei und drei entwickelte flexible firmenideologische Begriffs- und Interpretationssystem mit seiner definitorischen Elastizität von großem Vorteil. Im Unterschied zu diesen beiden Fällen birgt das folgende Beispiel ein enormes Konfliktpotential. Im Herbst 1990 beschließt die Firma, eine von dem südwestdeutschen Standort etwa 200 Kilometer entfernt gelegene Vertriebszentrale aufzulösen, um somit zwei Hauptverwaltungen vereinen zu können. Zwar gibt die Firma den Mitarbeitern des aufzulösenden Vertriebs eine Beschäftigungsgarantie innerhalb der Firma, diese müssen dann jedoch einen Jobwechsel und einen Umzug in Kauf nehmen. Die Entscheidung selbst wie auch die Art und Weise, in der die Entscheidung bekanntgegeben wurde, lösen innerhalb der GmbH große Kontroversen aus. Viele Mitarbeiter sind der Ansicht, daß der "GT-way" verlassen wurde. Hierzu vom "puls" (12/1990, S.5) befragt, antwortet der GmbH-Chef zunächst einlenkend: "Ich kann verstehen, wenn sich Mitarbeiter angesichts zum Teil gravierender Veränderungen diese Fragen stellen", stellt anschließend jedoch klar: Daraus zu schließen, daß der GT-way nicht mehr gilt, ist falsch. Er hat nach wie vor Gültigkeit (...). Wir müssen (...) daran denken, daß sich der GT-way nicht nur auf unsere mitarbeiterbezogenen Grundsätze bezieht. Er ergibt sich aus allen GTWerten und Unternehmenszielen. Hier stehen Gewinn, Kunden, Betätigungsgebiet, Wachstum und Gemeinwesen gleichbedeutend neben Mitarbeitern und Führungsstil. Wo die Kritiker der umstrittenen Entscheidung auf einen fairen Umgang mit den Mitarbeitern pochen und deshalb die Auflösung der Vertriebszentrale als nicht vereinbar mit der Firmenideologie betrachten, betont der GmbH-Chef die Gleichwertigkeit aller Unternehmensziele. Der Gewinn der Firma sei ebenso wichtig, deshalb habe der "GT-way nach wie vor Gültigkeit." Es komme darauf an, "alle Ziele in einem ausbalancierten Verhältnis zu halten." Es kommt zu einer Auseinandersetzung über die "richtige" Deutung. Beide Parteien, die Kritiker wie auch die Befürworter der Entscheidung, beanspruchen dabei den "GT-way" zur Unterstützung ihrer Argumentation. Letztlich überlagern beide Instrumentalisierungen den eigentlichen - öffentlich nicht formulierten - Zielkonflikt zwischen Mitarbeiter- und Gewinnorientierung, der ja gerade durch die oben analysierten, Interessengrenzen verwischenden Kollektivierungsformen dieser Ideologie stets verschleiert wird. 83  Dies geht aus meinen Gesprächen mit den Beschäftigten hervor. Nicht nur das letzte Beispiel zeigte, daß die Beschäftigten, wenngleich sehr vermittelt und indirekt, in der vierten Phase eine Stimme erhalten. Eben dieser Schwenk macht GIDDENS' Ideologiekonzept, nach dem auch weniger dominante Akteure die Ideologie für eigene Zwecke nutzen können, so interessant. Um dem GT-way "nach wie vor Gültigkeit" attestieren zu können, muß der GmbH-Chef auf diesbezügliche Zweifel innerhalb der Belegschaft eingehen. Zwar hat er weiterhin die Deutungshoheit, muß diese jedoch verteidigen. Macht ist eine relative Größe. Sie entsteht in Abhängigkeitsverhältnissen, die in der Interaktion ausgehandelt werden. Imagebildung Ab 1989 beginnt ein neuer definitorischer Schub, der sich neben dem im "puls" praktizierten management of meaning zusehends auf Hochglanz- und andere Broschüren erweitert. Hat die Firmenideologie in der an die Mitarbeiter gerichteten Betriebszeitschrift "puls" eher eine nach innen orientierte identifikatorische Funktion, so kommt in den nach 1989 verfaßten Broschüren ihr Zielpublikum ist zumeist eine außerbetriebliche Öffentlichkeit, also Kunden, Medien und interessierte Bewerber - dem PR-trächtigen Image eine maßgebliche Bedeutung zu. "Unternehmenskultur" ist inzwischen zu einem maßgeblichen Element der Public Relations geworden und dient in der zum 50jährigen Konzernjubiläum herausgegebenen Broschüre "The test of time" (1989) als Objekt einer hegemonialen und expansiven Machtphantasie. In der farbig bebilderten Firmengeschichte steht zu Beginn in großen Lettern: A half-century from now, circa 2039 AD, the beliefs and practices that make up what is known as 'the GT way' may be in wide and even universal use. Imagine: profit sharing, flexible hours and management-by-objectives in the Ukraine! Such innovations and adaptations in people-oriented practices and values have brought a special kind of loyalty to GT, plus a good degree of recognition. In fact, GT is probably known as much for its management philosophy and style as for technology. Diese Funktionsverschiebung von Identifikation zu Image beinhaltet zwei Folgewirkungen: Zum einen ensteht eine neue definitorische Qualität der Firmenideologie, zum anderen erfolgt eine, verglichen mit der Darstellung im "puls", zusätzliche Schönung derselben. Zunächst zur ersten Folgewirkung: Die Bemühungen um eine Sichtbarmachung und inhaltliche Bestimmung der Ideologie erreichen eine bis dahin unbekannte Qualität. Erstmals ist die "Unternehmenskultur" in der öffentlichen Präsentation nicht nur ein Gesichtspunkt neben anderen, sondern ein eigenständiges Thema. 1989 veröffentlicht die Konzernmutter ein sechsseitiges DinA4 Faltblatt zum "GT-way" und ein Jahr später benötigte der Arbeitsdirektor der GmbH bereits 16 engbedruckte Seiten, um die "Führung durch innovative Unternehmenskultur bei GT" in einer Schriftenreihe des Stuttgarter Schäfer Verlags vorzustellen. Trotz der zahlreichen Klärungsversuche blieben die verwendeten Begriffe und deren Bedeutungen weiterhin diffus und teilweise in sich widersprüchlich. Noch immer werden die Begriffe "Unternehmenskultur", "Unternehmensphilosophie", "Unternehmensziele", "Wertesystem", "GT-way" und "Führungskultur" quasi synonym verwendet. Mal ist, wie zum Beispiel in der gleichlautenden Broschüre, "the GTway" ein Konglomerat von Werten, Zielen und Strategien, mal ist er, wie in "The test of time" lediglich "the inner core of shared values (S.2). Mal ist er "Firmenkultur" oder "Unternehmenskultur" (Das Unternehmen im Überblick, S.8), mal "Führungssystem" (GT in Bildern) oder "Führungsphilosophie". Mal ist Vertrauen der zentrale Grundwert (Führung durch innovative Unternehmenskultur), mal einer unter anderen gleichwertigen Werten (Firmenkulturplakat, The GT-way). Selbst innerhalb einzelner Broschüren finden sich irritierende Antagonismen. So sind in der Broschüre "Führung durch innovative Unternehmenskultur bei GT" die Werte zunächst Bestandteil der Unternehmenskultur (S.2-5), und einige Seiten später konstatiert der Autor: "Die Unternehmensphilosophie nimmt als Wertesystem des Unternehmens Einfluß auf die Unternehmenskultur" (S.14). Wohl nicht ganz zufällig ist in dieser Broschüre auch von "Bausteinen der GT-Unternehmenskultur" (S.13) die Rede. Die "GT-Kultur" als ein an Legoland und Fischertechnik erinnerndes Baukastensystem: "Stein muß auf Stein passen", so stellt sich der Autor eine "vernetzte" und "gewachsene Unternehmenskultur" (S.16) vor. Die zweite Folgewirkung der Funktionsverschiebung hin zum Image, die Schönung der Firmenideologie, erscheint in zweifacher Hinsicht. Erstens ist in den Hochglanzbroschüren nie von dem Unterschied zwischen Utopie/Theorie und Wirklichkeit/Praxis die Rede. Vielmehr implizieren sie alle eine Beschreibung der Betriebswirklichkeit. Selbst die Broschüre "Unternehmensziele", die im Titel auf einen Soll-Zustand verweist, ist so verfaßt, als seien die gewünschten Ziele längst realisiert. Keine Konjunktive, die Sätze sind im Indikativ geschrieben. Auch Modalverben, die ja eine bestimmte Haltung zu Tätigkeiten indizieren sollen, fehlen an den entscheidenden Stellen. Nicht "Das Betriebsklima soll geprägt sein", oder gar "sollte geprägt sein", sondern es heißt: "Das Betriebsklima ist geprägt" (In: "Unternehmensziele", unter "Mitarbeiter"). Zweitens tritt in den Broschüren die Arbeit deutlich in den Hintergrund. Daß die Firmenideologie in erster Linie die Leistungsbereitschaft der Belegschaft sichern und ankurbeln soll, fehlt bei einem Großteil der Broschüren völlig und kommt bei einigen nur sehr indirekt zum Ausdruck. Um nochmals die "Unternehmensziele" zu zitieren: "Wir sind stolz auf unsere Mitarbeiter, ihre Leistung und ihre Einstellung zur Arbeit und zum Unternehmen." Die Leistungsbereitschaft wird hier nicht mehr eingefordert, sondern bereits vorausgesetzt. Anscheinend erwartet die Firma keine Leistung, sie freut sich lediglich darüber und ist stolz darauf. Weiter unten im Text steht ein weiteres Beispiel dieser beschönigenden Rhetorik: Gelegentlich kann es vorkommen, daß persönliche Probleme vorübergehend die Leistung oder das Verhalten eines Mitarbeiters beeinträchtigen. Es ist wichtig, daß die Kollegen und Vorgesetzten einen Mitarbeiter, der sich in dieser Situation befindet, besonders verständnisvoll und entgegenkommend behandeln, um ihn bei der Lösung seiner Probleme zu unterstützen." Im Vordergrund steht der einzelne Mitarbeiter und sein Wohlergehen. Der Firma liegt das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter anscheinend um ihrer selbst willen am Herzen und nicht aus ökonomischen Gründen. Dieser Eindruck verdichtet sich in der Broschüre "Das Unternehmen im Überblick". Der Text über die "GT-Unternehmenskultur" beginnt mit folgendem Satz: Aufgrund der humanistischen Überzeugungen der beiden Firmengründer entstand bereits in den Anfangsjahren von GT eine eigene Unternehmenskultur. Nicht neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen ist demnach die "Unternehmenskultur" geschuldet, sondern "humanistischen Überzeugungen". Die Lücke zwischen dem hier gezeichneten Bild und der Passage im "Sonderpuls" (9/1991, S.2), in der ein wortführender Manager ganz offen die "Motivation zur Leistung" zum wesentlichen Element der "Unternehmensphilosophie" erhebt, ist beträchtlich. Fazit Die Textanalyse hat gezeigt, daß eine Firmenideologie neben der Sicherung von Macht noch weitere Nebenfunktionen aufweist, die natürlich alle zur Machtsicherung beitragen: Hierzu gehören die Vergemeinschaftung, die Äußerung von Kritik an Zuständen oder Personengruppen, die Legitimation von Entscheidungen und schließlich die Imagebildung. Oftmals überlagern sie sich oder wirken gleichzeitig. Klare Trennungen sind selten möglich. So hat ein überschwengliches Lob an die Adresse der Beschäftigten neben der Gemeinschaftsbildung und der Motivation zugleich einen sehr kritisch-appellativen Charakter. Trotz dieser funktionalen Überschneidungen lassen sich einige sehr generalisierte Aussagen machen über die geschichtliche Entwicklung der Funktionen im Kontext der im ersten Kapitel behandelten vier Phasen. 1. Die identifikatorische Anbindung an das Unternehmen und die Erzeugung einer "Betriebsgemeinschaft" spielen während des gesamten Ideologisierungsprozesses eine bedeutende Rolle. Dies geschieht mit zahlreichen Mitteln und Maßnahmen, etwa mit gemeinschaftsindizierenden Metaphern, der Thematisierung von Veränderung und der Bearbeitung von Vergangenheit, der Betonung von Menschlichkeit und der Konstitution eines normativen Regelsystems. Notwendig war ebenso die Konstruktion eines Firmenmenschen. "Der GT'ler" drängte andere identitätsstiftende Kategorien wie Geschlecht, Alter, Beruf und Stellung in der Firma in den Hintergrund und trug so zu einer Kaschierung von Interessengegensätzen bei. 2. Zur Firmenidentifikation, die sich auf den Binnenraum des Unternehmens bezieht, gesellte sich Ende der 80er Jahre das nach außen wirkende Image. Dies war erst zu einem Zeitpunkt möglich, als "Unternehmenskultur" auch außerhalb des Betriebs zu einem wichtigen und vieldiskutierten Thema geriet. Imagebildung ist also eine Reaktion auf ein wachsendes gesellschaftliches Interesse an "Unternehmenskultur". 3. Die beiden Funktionen Kritik und Legitimierung tauchen in der firmenideologischen Genese erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre auf, sind dann jedoch von enormer und stetig wachsender Relevanz. Daß sich diese Funktionen erst am Ende der dritten und insbesondere in der vierten Phase formieren konnten, hat zwei Gründe: Um die Firmenideologie als Instrument der Kritik oder der Legitimierung einzusetzen, muß sich erstens ein Wissen um ihren hohen Stellenwert herausgeschält haben. Zweitens müssen ihre Inhalte von einem Großteil der Belegschaft akzeptiert werden. Erst wenn sie sich als ein von allen geteiltes normatives Regelwerk konstituiert hat, kann sie in ein Verhältnis zur Betriebswirklichkeit gestellt werden. 4. Die Kritik reduzierte sich zunächst, also in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, auf wenige Formen. Zumeist kritisierte das Topmanagement allgemeine betriebliche Zustände. In seltenen Fällen kritisierte es das mittlere Management. Dagegen bildeten sich in den 90er Jahren weitere Formen heraus. In den Beiträgen des Topmanagements erscheint indirekt auch eine Kritik der Belegschaft an betrieblichen Zuständen und als Reaktion hierauf kritisieren Topmanager dann die Wahrnehmungen und Bewertungen der Belegschaft. 5. Die 80er Jahre sind dabei eine funktionale Schnittstelle. Während dieser Zeit finden die entscheidenden oben angeführten Richtungswechsel, Brüche, Neuerungen und Funktionsverschiebungen statt. In der industrie- und betriebssoziologischen Literatur werden unternehmenskulturelle Managementstrategien oftmals nicht als ernst zu nehmende Macht- und Kontrollinstrumente analysiert. Entweder wird in diesem Zusammenhang von einem Hierarchie- und Machtabbau gesprochen,84 oder die Wirksamkeit von "Unternehmenskultur" als Steuerungsinstrument wird grundsätzlich angezweifelt. BERGER (1993) etwa spricht von einem "Mythos der kulturellen Integration". Um mit dem "entweder" zu beginnen. Die Analyse der Betriebszeitung von GT bestätigt diese Vermutung nicht. Unternehmenskulturelle Managementstrategien können sehr wohl ein effektives Herrschaftsinstrument sein. Neben anderen Kontrollformen sind in wohl allen wirtschaftlichen Organisationen Formen ideologischer Kontrolle verankert, die auf die Wahrnehmungen der Beschäftigten zielen. Zweifellos ist Selbstkontrolle die wirkungsvollste - und in der Arbeitswelt natürlich auch die billigste - aller Kontrollformen. Der wachsende Bildungsgrad einer Belegschaft läßt Handlungs- oder Verhaltenskontrollen zunehmend fragwürdig erscheinen. CZARNIAWSKA-JOERGES (1988, S.122): Well educated members of a welfare state do not want to be told what to do. They would much rather do what they think is right. Hence, whoever want to control their doing must control their thinking. Die oben beschriebene, auf Selbstzwang und auf Autonomie setzende Leistungsideologie bringt keineswegs einen Machtabbau hervor, sondern sichert und stabilisiert sie. Allenfalls könnte man von einer Verschiebung der Mittel zur Legitimation von Macht sprechen. 84  DEUTSCHMANN (1991), der prinzipiell die Leistungsfähigkeit des Organisationskulturkonzepts zur Analyse von Macht- und Herrschaftsstrukturen in Frage stellt, plädiert für eine "Rückbesinnung und Weiterentwicklung des ehrwürdigen Konzepts der Macht" (S.33) und schreibt: "Die Gefahr ist groß, daß sie (die OrganisationskulturDebatte, A.W.) beim Management die alte Illusion nährt, es sei beides zu haben: Mehr Macht und zugleich mehr Vertrauen, mehr Partizipation und Konsens der Untergebenen. Wer mehr Macht will, wird sie mit mehr Bürokratie und Formalismus erkaufen müssen." (S.34) Zum "oder", also der These von einer nur geringen Steuerungskapazität der "Unternehmenskultur", läßt die Analyse der Betriebszeitung noch keine sicheren Schlußfolgerungen zu. Firmenideologien können ein effektives Herrschaftsinstrument sein, dies wurde klar. Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, gibt der im "puls" geführte Diskurs genaue Auskunft über die Funktionen der Firmenideologie und über die Intentionen der Ideologieproduzenten, jedoch nur begrenzte Auskunft über deren Wirkungen. An dieser Frage sollten Folgeuntersuchungen ansetzen. Dennoch gibt es bereits auf der diskursiven Ebene einige Hinweise, die eine hohe ideologische Steuerungskapazität vermuten lassen. So scheint das Wertesystem auf einem breiten Konsens zu beruhen und von der Mehrheit der Belegschaft akzeptiert zu werden. Wenn im "puls" steht, viele Beschäftigte bezweifelten die Existenz des "GT-way", ist dies eine Kritik der betrieblichen Wirklichkeit, nicht jedoch eine Kritik des "GT-way". Das Wertesystem selbst wird von den meisten Beschäftigten akzeptiert und für bewahrenswert erachtet.85 Es liegt nahe, daß eine unzeitgemäße Ideologie, die etwa auf Normen wie Ordnung, Fleiß und Disziplin rekurrierte, von den Beschäftigten nicht angenommen würde. Auf der anderen Seite sind die Beschäftigten dem "management of meaning" keinesfalls ohnmächtig ausgeliefert. Sie können, wie die Textanalyse am Ende der vierten Phase gezeigt hat, gewissermaßen Ideologiekritik betreiben, also die betrieblichen Zustände oder Managemententscheidungen mit Hilfe des dominanten Wertekodex kritisieren. Die Firmenideologie ist ein legitimes Instrument in der Hand der Beschäftigten, um eigene Interessen einzuklagen. Der "GTway" ist ein zweischneidiges Schwert: Er ist zum einen Waffe im Kampf des Managements zur Steigerung des Profits, zum anderen eine Waffe im Kampf der Beschäftigten um ihnen gemäße 86 Arbeitsbedingungen. Das Management, auch dies wurde deutlich, muß in der vierten Phase alle relevanten Entscheidungen an die Firmenideologie anbinden und sie so rechtfertigen. THERBORN (1980, S.125), der in seinem Ideologiekonzept die Ebene des einzelnen Akteurs betont, schreibt hierzu: Ideologies not only cement systems of power; they may also cause them to crumble and set them drifting like sandbanks, still there though not in the same place and shape. Hiervon ist die Firma GT jedoch weit entfernt. Das THERBORNsche Bild paßt nicht auf die aktuelle Situation der GmbH. Zwar können die Beschäftigten den "GT-way" zur Äußerung von Kritik für ihre Belange instrumentalisieren, allerdings indiziert dies noch keine konkreten Konse85 86   Dies geht aus den von mir geführten Interviews mit Beschäftigten deutlich hervor. Vgl. hierzu ADORNOs Bilanz der "human relations-Maßnahmen": "Gewiß, nur die sture Unvernunft könnte der Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der technifizierten und organisierten Welt sich in den Weg stellen. Während der Fortschritt von Technik und Organisation, zu dessen Sparte heute die Menschenbehandlung wird, vorweg zugunsten von Produktion und Absatz sich realisiert, hat er immer auch sein Gutes für die Subjekte, an denen er sich betätigt." In: Gesammelte Schriften, Band 8, S.453. quenzen. Die Analyse des "puls" legt jedenfalls die Vermutung nahe, daß die öffentlich wiedergegebene Beschäftigtenkritik bislang weitgehend folgenlos blieb. Auf der anderen Seite müssen Topmanager zwar wichtige Entscheidungen mit der Firmenideologie legitimieren, dies fällt ihnen jedoch nicht allzu schwer. Das flexible Begriffs- und Bedeutungssystem gewährt ihnen hierfür viel Spielraum. Solange es nicht dazu kommt, daß Bedeutungen ausgehandelt werden müssen, solange also der "GT-way" nur von oben mit Sinn versehen werden kann, behält das Topmanagement die kulturelle Hegemonie. 3. Die Botschaften des Plakats Dem Individuum kann nicht dadurch geholfen werden, daß man es begießt wie eine Blume. (ADORNO, GS, Bd. 8, S.454) Die vorigen Kapitel rekonstruierten die Genese und den Entwicklungsprozeß der Firmenideologie und betonten deren hegemoniale Funktion. Stand also bislang der Prozeß im Vordergrund, so soll jetzt das Ergebnis dieses Prozesses betrachtet werden. Wie sieht das aktuelle firmenideologische Gebilde aus? Was sind seine inhaltlichen Merkmale und Botschaften? Zwar wurden auch in den ersten beiden Kapiteln die Inhalte der Firmenideologie schon tangiert - wenngleich unter dem Gesichtspunkt ihrer Vagheit und semantischen Flexibilität -, eine umfassendere Analyse der expliziten und vor allem der impliziten firmenideologischen Botschaften steht noch aus. Da unmöglich alle aktuellen verfügbaren Quellen zur inhaltlichen Skizzierung der Ideologie herangezogen werden können, ist eine Auswahl des umfangreichen Materials erforderlich. Als 87 Quelle verwende ich ausschließlich das "GT-Firmenkultur"-Plakat. Zum einen, weil es die komprimierteste und kompakteste Repräsentationsform der Firmenideologie darstellt. Das Plakat ist ein geeignetes Medium, um die Firmenideologie möglichst schnell und einprägsam zu transportieren. Man könnte es als ein firmenideologisches Konzentrat bezeichnen. Zum anderen, weil es eindeutig das bekannteste Medium zur kulturellen Selbstdarstellung ist. Bei GT kommt dem Plakat ein herausragender Stellenwert zu. Es stellt für die Beschäftigten die exponierteste und damit auch die prominenteste Repräsentation der Firmenideologie dar. In jedem Firmengebäude hängen zahlreiche Exemplare. Im untersuchten Großraum verzieren allein sechs dieser Plakate die 1,50 Meter hohen Stellwände. Das Plakat, 1991 von einer Werbeagentur im Auftrag der Firma entworfen, ist noch relativ neu, nicht jedoch dessen Text. Er entstand im Jahr 1975 als Produkt eines GmbHManagementmeetings und sollte den "GT-way", so der Titel der urspünglichen Fassung, skizzieren. Der Text fand zu diesem Zeitpunkt noch keine große Verbreitung, er wurde erst zehn Jahre später, im Mai 1985 in der Firmenzeitschrift abgedruckt. In derselben Ausgabe findet sich, diesmal unter dem Titel "GT-Führungsstil" die überarbeitete und heute noch aktuelle Textversion. Einige Zeit darauf verbreitete die GmbH ihr erstes "Firmenkultur-Plakat" im Din A 4 Hochformat. Bildhafter Textrahmen war die Computergraphik eines Kopfprofils. 87  Ich betrachte das Plakat hier ausschließlich als Repräsentationsform und als Ausdruck der Firmenideologie. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es darüber hinaus auch als aussagekräftiges Symbol spezifischer kultureller Phänomene gelesen und gedeutet werden kann. Diese Diskussion setzt allerdings, will sie den Vorwurf der Tautologie vermeiden, eine Kenntnis der belegschaftlichen Plakatrezeption voraus. Für eine ausführliche Erörterung dieses Problems verweise ich auf den von HESSLINGER (1995) und mir verfaßten Aufsatz. Das aktuelle Plakat unterscheidet sich von seinem Vorgänger zwar nicht im Text, jedoch umso mehr auf der visuellen Ebene. So ist der technisch anmutende Kopf einer Pflanze und einer Gießkanne gewichen. Aber auch die äußere Gestaltung wirkt üppiger: Es ist jetzt mehrfarbig und im Din A 1 Querformat auf Hochglanzpapier gedruckt. Der Firma, so läßt das kostspielige Design vermuten, ist die plakative Verbreitung ihrer "Firmenkultur" einiges wert. Das Plakat hat einen weißen Rahmen, in dem oberen Teil des Rahmens steht die unterstrichene Überschrift, unten rechts das Firmenlogo. In der Mitte des Plakatbildes befindet sich der Text, links davon die Darstellung eines grünen Pflanzenschößlings mit einem türkisfarbenen, wohl Wasser andeutenden Hintergrund. Rechts vom Text die Darstellung einer gelben Gießkanne. Der Pflanzenschößling und die Gießkanne sind im Comic-Stil gezeichnet. Der Bildhintergrund ist violett. Alle Farben sind poppig, das Plakat fällt auf. Die sprachlichen und die visuellen Anteile des Plakatbildes haben etwa gleich viel Raum. Vor dem violettfarbenen Hintergrund und zwischen den kräftigen Farben grün und gelb wirkt die schwarze Schrift des in der Bildmitte zentrierten Texts sehr sachlich. Sie vermittelt Neutralität und Seriosität. Entlang der formalen Anordnung teilt sich der Text in einen im weißen Rahmen stehenden Titel und in einen Grundtext in der Bildmitte. Der Grundtext besteht aus dreizehn Merkmalen oder Kennzeichen der "Firmenkultur", welche jeweils links mit einem fetten Punkt eingeleitet werden. Im Gegensatz zu einer fortlaufenden Numerierung heben die Punkte die Gleichwertigkeit der einzelnen Merkmale hervor. Jeder dieser dreizehn Punkte macht auf ein Spezifikum der "Firmenkultur" aufmerksam. Auf dieser rein formalen Ebene denotiert der Text zwei Botschaften. Erstens: Unsere Firmenkultur ist beschreibbar und definierbar. Zweitens: Unsere Firmenkultur besteht aus den aufgelisteten Eigenschaften, sie ist ein Dreizehn-PunkteKatalog. Der Sprachstil: Bei der Beschreibung der "Firmenkultur" dominieren Substantive. Verben und Adjektive hingegen haben die Autoren verhältnismäßig sparsam eingestreut. Nur vier Adjektive geben der insgesamt eher trockenen Beschreibung etwas Farbe. Und die Hälfte der ebenso selten benutzten Verben können auch als Substantivierungen (Respektieren, Führen) gelesen werden. Läßt schon der geringe Rückgriff auf Verben und Adjektive eine unbestimmte Sprache vermuten, verdichtet sich dieser Eindruck bei einer genaueren Betrachtung der Substantive: Sie gehören allesamt zur Gruppe der abstrakten Substantive. Wo sich abstrakte Substantive so häufen, bleibt die inhaltliche Aussage wenig präzise. Insofern zeigt sich hier ein Gegensatz zu der Botschaft, die die formale Textgestaltung signalisiert. Einmal der formale Versuch, "Firmenkultur" anschaulich, klar, präzise und konkret darzustellen, zum anderen der Rückzug in ein Gestrüpp abstrakter, aber wohlklingender Substantive wie Freiräume, Selbstverwirklichung, Kommunikation und Vertrauen. Der Grundtext besteht aus vier Themengruppen. Er macht erstens Aussagen, die für alle gelten; zweitens Aussagen, die als Angebote an die Beschäftigten verstanden werden können; drittens eine Handlungsanweisung an Mitarbeiter mit Personalverantwortung (Führen durch Zielvereinbarung) und viertens eine Aussage über die Struktur der Arbeitsorganisation (Übersichtliche Bereiche durch Dezentralisierung). Die dreizehn Merkmale haben zwar keine Numerierung, aber dennoch eine Reihenfolge. Ganz oben und damit an erster Stelle stehen die an alle adressierten Aussagen (Respektieren der Persönlichkeit, Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch Freiräume, Gegenseitiges Vertrauen und Helfen, Fehler machen dürfen, Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit, Anerkennung der Leistung und teilhaben am Erfolg, Mitverantwortung durch gemeinsame Rechte und Pflichten, Informeller Umgang und offene Kommunikation). An letzter Stelle der Liste befinden sich die arbeitnehmerorientierten Angebote der Firma (Förderung und Weiterbildung, Beschäftigungssicherheit, Soziale Absicherung). Zu den beiden Bildelementen: Auch wenn die Pflanze etwas mehr Raum beansprucht, dominiert keines der beiden Elemente. Sie sind etwa gleichwertig. Obwohl sie in ihrer inhaltlichen Aussage deutlich aufeinander bezogen sind - die Gießkanne bekommt erst durch die Pflanze Sinn und die Tatsache, daß die Pflanze nicht allein, sondern mit Gießkanne erscheint, indiziert auch umgekehrt eine Abhängigkeit - stehen sie getrennt und allein, die Pflanze auf der linken, die Gießkanne auf der rechten Bildhälfte, durch den Text separiert. Das visuelle Umfeld ist sehr karg. Lediglich Wasser wird angedeutet. Gerade diese Herauslösung der Bildelemente aus einem visuellen Kontext konstituiert ihren deutlichen Symbolcharakter. Wo ein visueller Bezugspunkt fehlt, liegt es nahe, den kontextuellen Referenten im sprachlichen Feld zu suchen. Die beiden Bildelemente lassen sich nur mit Hilfe des Texts richtig deuten und könnten dementsprechend in einem anderen linguistischen Kontext leicht als Werbeelemente für eine ökologische Anzeige, eine Gießkannenmarke oder eine Gärtnerei angesehen werden. Die schematische Darstellung der Pflanze, nur als Kontur und ohne Details, verstärkt zum einen ihren bereits oben indizierten Symbolcharakter und verengt zum anderen den konnotativen Rahmen des Symbols. Die Art des Pflanzenschößlings bleibt wohl absichtlich unbestimmt: Eine Palme wäre ebenso denkbar wie der im Büro besonders beliebte Gummibaum. Im Plakat wird das Verhältnis zur Außenwelt nicht thematisiert. Das Unternehmen scheint ein Inseldasein zu führen. Adressat sind in erster Linie nicht Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner, sondern die eigenen Angestellten. Es geht also weniger um Image denn um Identität und Identifikation. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen, die ihre "Unternehmenskultur" stark als imagebildendes Werbeprodukt gegenüber firmenexternen Gruppen konzipieren, ist das GT-Plakat nur nach innen gerichtet. So lesen sich die einzelnen Merkmale denn auch eher als eine firmenkulturelle Verfassung, als handlungsanleitende Richtschnur. Dies findet im rhetorischen Stil eine Entsprechung. Der Text ist wenig persuasiv formuliert. Er will nicht in erster Linie werben und Überzeugungsarbeit leisten, sondern fungiert als normatives Regelsystem. Neben den expliziten firmenideologischen Merkmalen macht das Plakat auch weniger ausdrückliche und eindeutige Aussagen. Im folgenden sollen sechs wichtige Botschaften des Plakats thematisiert werden. Da die Botschaften einer symbolischen Entschlüsselung bedürfen, sind sie, wie die Symbole selbst, nicht immer eindeutig.88 Kultur Die Symbole Pflanze und Gießkanne haben die Funktion, "Firmenkultur" zu vergegenständlichen. Insofern transportieren sie auch ein spezifisches Verständnis von Kultur. Das Symbol Pflanze konnotiert im weitesten Sinne Leben und im engeren Sinn zum einen Natur und Natürlichkeit, zum anderen Wachstum und Entwicklung; sie ist ein Sinnbild des natürlichen Werdens. Die mit der Gießkanne verbundenen Assoziationen kontrastieren deutlich mit denen 88  Hierzu zwei Bemerkungen: Erstens verfolgt die Analyse nicht das Ziel, alle im Plakat enthaltenen Botschaften herauszuarbeiten. Relevant sind ausschließlich solche Botschaften, die sich auf bislang nicht oder nur peripher thematisierte Bereiche der Firmenideologie beziehen. Die zweite Bemerkung fragt nach der Interpretation. Wie beliebig, wie subjektiv und kontextabhängig sind Interpretationen? In der jüngst zwischen ECO (1994) und RORTY (1994) geführten Debatte zur Rezeption von Texten (Vgl. hierzu ECO 1994) erscheint mir RORTYs Position, es sei abwegig, daß es etwas gebe, wovon ein Text (oder ein Werk) eigentlich handele, nicht überzeugend. Im Unterschied zu RORTY, der den jeweiligen Sinn nie im Werk selbst, sondern ausschließlich bei den Rezipienten verortet, argumentiert ECO - sozusagen gegen RORTY und den "frühen" ECO, der den Begriff des "offenen Kunstwerks" prägte - daß es neben der Absicht des Autors und der Absicht des Rezipienten noch ein maßgebliches Drittes gebe, das er die Absicht des Texts (des Werks) nennt. Mit Bezug auf den "späten" ECO möchte ich bei der folgenden Analyse einige Absichten des Plakats freilegen. der Pflanze. Sie ist kein natürliches Gewächs, vielmehr eine - wenn auch kleine - zivilisatorische Errungenschaft, ein technisches Produkt, aber ein Instrument zur Pflege des Natürlichen. In der Gießkanne materialisieren sich positive Werte wie Fürsorge, Betreuung und Zuwendung. Die durch Pflanze und Gießkanne repräsentierte "Firmenkultur" bezieht sich also erstens auf einen Kulturbegriff, der Kultur in ein Verhältnis zu Natur stellt. Kultur entspricht der mit technischen Hilfsmitteln bearbeiteten Natur, der Kultivierung des Natürlichen. Zweitens betont die PflanzeGießkanne-Symbolik den Prozeßcharakter von Kultur. Kultur erscheint nicht als statisches, sondern als ein dynamisches, lebendiges, sich veränderndes Gebilde. Organisationskultur In dem Plakat konstituieren die beiden Bildelemente Pflanze und Gießkanne eine Metapher, die CZARNIAWSKA-JOERGES/JOERGES (1990) als "gardening-metaphor" bezeichnen. Sie scheint in vielen Unternehmen verbreitet zu sein. CZARNIAWSKA-JOERGES (1988) untersuchte eine schwedische Firma, die sich zur Zeit der Ölkrise in einer bedrohlichen Rezession befand. Daraufhin implementierte der Firmenpräsident eine neue Ideologie, koppelte sie mit einem Personalentwicklungsprogramm und erklärte seine "Philosophie": There are two basic philosophies about development. One is the so-called engineering philosophy and the other is the gardener philosophy. If you have an engineering philosophy about development, you look upon people as pieces of metal. (...) The only mistake with that particular philosophy is that it is poorly wrought. There is no way that I can develop you. (...) Therefore, it is much better to take the gardener attitude. You look upon the company as a garden with plants all around. Then it is the responsibility of the gardener to walk through this garden and water the plants, give them little extra soil, perhaps fertilizer sometimes. (...) If you look upon the company this way, then things start to happen. (S.61f.) Die "gardener philosophy" entspricht in wesentlichen Zügen einem Organisationskulturkonzept, das eine Organisation als Organismus beschreibt. Nach SMIRCICH (1983a, S. 340-346) steht die Organismusmetapher für ein organisationstheoretisches Konzept, das Organisationen als geschlossene aber adaptive Systeme betrachtet, das neben Waren und Dienstleistungen, quasi als ein Nebenprodukt, eine spezifische Kultur in Form von Werten, Symbolen, Ritualen, Mythen, Geschichten, Feiern u.a. produziert. Das Organismuskonzept basiert demnach auf einem Kulturbegriff, der sich an den Strukturfunktionalismus anlehnt - Kultur wird dann innerhalb eines sozialen Systems als abhängige Variable gesehen. Hierarchie Der Grundtext weist darauf hin, daß das Unternehmen hierarchische Strukturen enthält: "Führen durch Zielvereinbarung" steht etwas unterhalb der Mitte als Handlungsanweisung für Mitarbeiter mit Personalverantwortung. Hiermit wird zusätzlich die Art des Führungsstils erläutert. Im Gegensatz zu der tayloristischen Variante ist hier von einer modernen Führungsund Kontrolltechnik die Rede, die nicht mehr den gesamten Arbeitsablauf, sondern nur das Ergebnis eines vorher genau festgelegten Ziels überprüft. Mit dem Begriff "Zielvereinbarung" wird Reziprozität thematisiert: Die Vereinbarung indiziert Aushandlungsprozesse zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Auf der anderen Seite steckt in der Formulierung "Führen durch Zielvereinbarung" bereits der Hinweis auf einen hierarchiefreien Raum: In der Zeit zwischen den einmal pro Jahr stattfindenden Zielvereinbarungen ist Hierarchie unsichtbar. Auch die bildhaften Symbole können Egalität betonende Assoziationen hervorrufen. Man denke etwa an das Gießkannenprinzip, das auf Gleichheit, insbesondere auf gleicher Verteilung beruht. Arbeit Der Bezug zur Arbeit fehlt entweder völlig oder er wird indirekt hergestellt und mit positiven Eigenschaften versehen. Schon eine flüchtige Betrachtung des Gesamtplakats suggeriert deutliche Urlaubs- und Freizeitassoziationen. Hier wäre zunächst die Sonne konnotierende Licht- und Schattenmetaphorik zu nennen, aber auch das türkisfarbene Wasser und die Pflanze, die in diesem Kontext leicht als Palme denotiert werden kann, erzeugen fast schon eine SüdseeStimmung. Auch in der gardening-Metapher ist der eigentliche Zweck des Unternehmens, sprich die mit Arbeit verbundene Herstellung und Vermarktung industrieller Güter, nicht enthalten. Die Arbeit am Produkt scheint kein wesentliches Merkmal der Firmenkultur zu sein. Die Arbeit ist gewissermaßen im Wachstum der Pflanze integriert. Die gardening-Metapher beliefert nur die eine Seite: Den Beschäftigten wird Pflege, Wachstum und Entfaltung versprochen. Betont wird die Gratifikation. Die andere Seite hingegen, das Fordernde, bleibt versteckt. Entfaltung und Wachstum heißt eben auch Früchte tragen, etwas leisten für die Firma. Die Pflege soll sich schließlich bezahlt machen. Die gardening-Metapher suggeriert eine Entfaltung der Persönlichkeit aus bloßem Selbstzweck. Sie operiert mit einer intrinsischen Gleichsetzung von Entfaltung und Selbstentfaltung und unterstellt somit allen Beschäftigten ein Arbeitsethos, das sich unabhängig von ökonomischen Zwängen herausbildet. Nur im Grundtext steht ein Hinweis auf die Firmenkultur als einer Arbeitskultur: "Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit". Allerdings wird hier Arbeit in ein semantisches 89 Umfeld eingebettet, das sie nicht als beschwerliche Mühsal, sondern als Genuß präsentiert. Insgesamt wird Arbeit eher verschleiert denn thematisiert. Verhältnis zwischen Individuum und Organisation 89  Diese Formulierung konnotiert nationalsozialistische Propaganda: Die inhaltlichen und formalen Homologien zu Parolen wie "Arbeit macht frei" oder "Kraft durch Freude" liegen auf der Hand. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Beschäftigten und der Firma als Ganzes wird relativ offen gehalten. Schon der Text bietet interpretatorischen Spielraum. Statt auf syntaktisch vollständige Sätze griffen die Autoren auf Stich- und Schlagworte zurück. Es heißt dann also "Informeller Umgang und offene Kommunikation" und der Leser kann sich die fehlenden Satzglieder selbständig und subjektiv hinzu interpretieren, etwa: "Wir fordern von unseren Mitarbeitern einen informellen Umgang und eine offene Kommunikation" oder mit einer anderen Betonung "Wir bieten unseren Mitarbeitern ..." Oder neutral: "Es gibt hier...". Viele dieser Merkmale sind so verfaßt, daß sie sowohl als Forderung an die Beschäftigten wie auch als Gratifikation der Firma zu lesen sind. "Respektieren der Persönlichkeit" heißt für die einzelnen Beschäftigten beides. Zum einen: Hier arbeite ich in einer Umgebung, die meine Persönlichkeit respektiert. Zum anderen: Ich muß die Persönlichkeit meiner Kollegen respektieren, wenn ich hier nicht aus dem Rahmen fallen will. Bezeichnenderweise steht denn auch in der Mitte der dreizehn "firmenkulturellen" Kennzeichen: Mitverantwortung durch gemeinsame Rechte und Pflichten. Lediglich vier Aussagen sind frei von diesem Doppelsinn und eindeutig als Gebot bzw. als Angebot zu lesen. Leistungsbereitschaft durch Freude an der Arbeit - das hat für die Beschäftigten einen kaum zu überhörenden imperativen Charakter. Die unteren drei Merkmale (Förderung und Weiterentwicklung, Beschäftigungssicherheit, soziale Absicherung) sind dagegen eindeutige Offerten des Unternehmens. Auch die beiden Bildelemente lassen zunächst zwei fundamental divergierende Interpretationen zu. Sie haben einen unterschiedlichen Standpunkt und einen unterschiedlichen Blick. In Interpretation eins wächst die Pflanze namens Firma durch die Aktivität ihrer Mitarbeiter. Diese arbeiten quasi für die Firma, wässern sie. Interpretation zwei dagegen sorgt für die umgekehrte Lesart. Die Pflanze, das ist der einzelne Mitarbeiter. Er ist die Hauptfigur, soll sich optimal entfalten können, soll wachsen und gedeihen. Die Firma als Gärtner hat hierfür die Verantwortung. Mit Hilfe der Gießkanne und anderen Instrumenten des "Human Resource Management" gießt und nährt sie ihn, bis er reife Früchte trägt. Nach dieser Deutung symbolisiert die Metapher die in der Firma praktizierte Personalentwicklung. Nun wissen wir bereits vom oben zitierten Präsidenten der schwedischen Firma, daß die gardening-metapher die zweite Interpretation bedient. Die gardening-Metapher thematisiert das von der Organisation konstituierte Verhältnis zu ihren Mitgliedern und betont dabei den Aspekt der Mitarbeiterpflege - im Gegensatz zur "engineering-philosophy", die die Beschäftigten bestenfalls als gut geölte Rädchen im Firmengetriebe wahrnimmt. Für diese Lesart, Firma gleich Gärtner, spricht auch der kontextuelle Plakatrahmen: Direkt unterhalb der Gießkanne befindet sich das Firmenlogo. Insgesamt vermittelt das Plakat den Eindruck einer Firma, die sich für ihre Beschäftigten engagiert. Bild vom Organisationsmitglied Die Bedeutung der Beschäftigten wird betont. Ein Großteil der Merkmale bezieht sich auf Kompetenzen, die die Beschäftigten haben dürfen beziehungsweise haben sollen. Das Plakat zeichnet dabei einen neuen, modernen Typus von Beschäftigten. Sie haben, dies steckt bereits in der gardening-Metapher, ein entwicklungsfähiges Potential. Sie dürfen Fehler machen, weil die Differenz zwischen richtig und falsch längst ihre scharfen Konturen eingebüßt hat und das Unternehmen auf den Experimentiergeist der Beschäftigten angewiesen ist. Sie dürfen offen kommunizieren, sich selbst verwirklichen, sie werden gefördert und weiterentwikelt, ihre Persönlichkeit respektiert. Dabei stellt das Plakat die individualistischen Ansprüche der Beschäftigten in den Vordergrund: Stichworte wie "Freiräume", "Persönlichkeit" und "Selbstverwirklichung" verweisen auf einen ausgeprägten institutionalisierten Individualismus, der sogar nonkonformes Handeln akzeptiert und protegiert. Diese Fixierung auf den einzelnen Beschäftigten ist einer der wesentlichen Kennzeichen des "Human Resource Management", ein Führungskonzept, das die Bedeutung des Menschen als Produktivfaktor betont und mit heterogenen Techniken wie management by objectives (Führen durch Zielvereinbarung) Supervision, Leistungsanreizen, Gewinnbeteiligung (teilhaben am Erfolg), und spezifischen Trainings- und Auswahlverfahren eine Steigerung der Effektivität ansteuert. Das Plakat zielt weiterhin auf eine Überwindung von Gruppenkulturen. Die Beschäftigten sind in erster Linie Angehörige einer Firma, andere Identitäten werden im Plakat nicht thematisiert und erscheinen so sekundär. Die eigentliche, wenngleich codierte Botschaft des Texts lautet so: Bei uns gibt es weder alters- noch berufs-, abteilungs- oder geschlechtsspezifische Gruppen. Wir sind eine Großgruppe von Mitgliedern dieser Organisation. Eine besonders deutliche Verwischung anderer Identitäten, in diesem Fall dem Arbeitnehmerbewußtsein, findet sich am unteren Ende des Plakats. Mit den letzten drei Merkmalen (Förderung und Weiterentwicklung, Beschäftigungssicherheit, soziale Absicherung) schreibt sich das Unternehmen Inhalte auf das Plakat, die eigentlich zum Forderungskatalog von Arbeitnehmern gehören. Mit dieser firmenkulturellen Besetzung, Einverleibung und Inanspruchnahme von klassischen Zielen der Arbeiterbewegung löst die Firma gruppenspezifische Interessen weitgehend auf. Was seit Jahrzehnten zum Forderungsbestand gewerkschaftlicher Interessenvertretung gehört, erscheint hier als Element der "Firmenkultur". Eine kurze Schlußbemerkung: Auf den Dualismus zwischen dem Bemühen um Präzision und Definition einerseits und andererseits dem Ergebnis dieser Bemühungen, der permanenten Reproduktion von Vagheit, wurde bereits mehrfach hingewiesen. Dieser Dualismus findet in dem Plakat seine Fortsetzung. Nicht alle seine Botschaften sind eindeutig. Insbesondere die beiden Bildelemente öffnen es für verschiedene, teilweise sogar für gegensätzliche Interpretationen. Es wird also noch danach zu fragen sein, wie die Beschäftigten das Plakat lesen, betrachten und interpretieren. Dennoch gibt es eine primäre Aussage des Plakats: Es präsentiert Kultur als mentale und symbolische Fabrikation der Organisationsrealität und zeichnet die Organisation als geschlossenes, aber adaptives und lebendiges System. Es symbolisiert die Firma als fürsorglichen Gärtner und die Beschäftigten als entwicklungsfähige Individuen mit modernen Ansprüchen an ihre Arbeit und an sich selbst. 4. Firmenideologie: Konturierung eines Begriffs Abschließend noch einige Anmerkungen zum Begriff Firmenideologie. Zunächst werde ich erklären, warum ich diesem Begriff gegenüber anderen Termini den Vorzug gebe und einige der in der Organisationskulturforschung verwendeten Definitionen vorstellen. Dann sollen, nachdem im letzten Kapitel am Beispiel der Plakatanalyse die inhaltlichen Merkmale der GT-Firmenideologie vorgestellt wurden, ihre wesentlichen formalen Merkmale und Kennzeichen benannt werden.90 Zum Schluß möchte ich eine Definition vorschlagen. Firmenideologie statt Unternehmenskultur Anstelle des von mir präferierten Begriffs der Firmenideologie werden in der Forschungsliteratur üblicherweise die Begriffe "Unternehmenskultur", "Firmenkultur" oder "Organisationskultur" verwendet. Alle drei Begriffe scheinen mir aus zwei Gründen ungeeignet zu sein: Zum einen weisen sie alle, dank des Substantivs "Kultur", ein immenses Bedeutungsspektrum auf. Kultur ist ein so komplexer und vielsagender Begriff, daß die Wahl eines alternativen Begriffs wo dies möglich ist - oft die einfachere und präzisere Variante darstellt. Noch wichtiger für meine Vorbehalte gegenüber den obigen Begriffen ist jedoch ein zweiter Grund: Alle diese Begriffe sind eben nicht nur wissenschaftliche Analysekategorien, sondern werden von GT und natürlich auch von anderen Unternehmen selbst verwendet; sie sind also emische Begriffe. Nun ist die Ersetzung eines emischen Begriffs durch einen etischen keineswegs ein unumgängliches und zwangsläufiges Gebot und schon gar kein Garant für mehr Wissenschaftlichkeit.91 In diesem Fall wäre die unreflektierte Übernahme eines emischen Begriffs jedoch fatal: In den vorangegangenen Kapiteln sollte ja gerade gezeigt werden, daß ein Begriff wie "Unternehmenskultur" von der GT-Deutungselite als ein strategisches, auf Handeln ausgerichtetes Instrument zur Formung betrieblicher Realität benutzt wird. Wenn man nun, was ich ja anstrebe, instrumentelle Managementstrategien zur Herstellung von Kultur analysieren will, dann kann dies nicht mit einem Begriff geleistet werden, der gleichzeitig sowohl instrumentell-funktional als auch deskriptiv und analytisch ist. Wenn "Unternehmenskultur" von Praktikern als Ressource zur Gewinnmaximierung gesehen und benutzt wird, eignet sich dieser 90  Ich schreibe zwar nur über die formalen Merkmale der GT-Ideologie, es ist jedoch anzunehmen, daß im formalen Bereich große Ähnlichkeiten zwischen GT und anderen Firmen vorzufinden sind, insbesondere solchen mit einer "gewachsenen" Firmenideologie, also einer Ideologie, die bereits vor dem "Unternehmenskultur-Boom" Anfang der 80er Jahre im Unternehmen präsent war. 91  Für eine ausführlichere Erörterung des Begriffspaares etisch und emisch verweise ich auf die 1983. Ausführungen von Ernst MÜLLER Begriff nicht mehr als Beschreibungskategorie. Etwas polemisch formuliert: Mit der Übernahme des Begriffs "Unternehmenskultur" als ethnographische Kategorie würde ich den Intentionen der Firmenideologie auf den Leim gehen. Der Ideologiebegriff, der seit FOUCAULT heftig umstritten, fast schon ein wenig diskreditiert 92 ist, hat eine lange Geschichte und wurde für eine Vielzahl von Phänomenen und Argumentationen verwendet. Die sicherlich wichtigste Kontroverse entzündete sich an der Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Ideologie (vgl. hierzu BOUDON 1988, S.25-95). Wenn man Wissen nicht mehr als Erkenntnis bzw. Repräsentation von Realität, sondern als ein Produkt gesellschaftlich dominanter Diskurse betrachtet, kann man Ideologie nicht mehr als Entsprechung für das Unwahre, für "falsche Vorstellungen" (MARX/ENGELS 1958) oder für "Abweichungen von der wissenschaftlichen Objektivität" (PARSONS 1959) in Anspruch nehmen. Den Gegenpol dieser Kontroverse besetzt GEERTZ (1964), der, um dem Begriff seine Polemik zu nehmen, Ideologie als ein System symbolischer Handlungen bezeichnet. Diese Definition halte ich allerdings für zu zahnlos, denn so wird alles zur Ideologie. Eine Mittelposition zwischen diesen beiden Polen erscheint mir am produktivsten. Der Ideologiebegriff, den ich im folgenden anwende, hat folgende Eigenschaften: Er bezeichnet (1) ein in sich konsistentes und über einen längeren Zeitraum dauerhaftes Ideengebilde, das für eine bestimmte sozial bedeutsame Gruppe charakteristisch ist. Er betont (2) die intentionale Produktion von Bedeutung, von Symbolen, Zeichen und Werten. Das in der Ideologie verankerte normative System hat (3) einen legitimatorischen Charakter und dient der Beförderung von Gruppeninteressen. Eine Ideologie wird (4) von dominanten Sozialkräften konstituiert und dient einerseits als Mittel zur Legitimierung von Herrschaftsstrukturen, andererseits als Medium, mit dessen Hilfe Macht ausgeübt wird. Diese Definition, die zwar nicht auf dem falschen Bewußsein beharrt, den Begriff jedoch eng an Macht und Herrschaft anbindet, entspricht in groben Zügen den Ideologiekonzepten von GIDDENS (1979), THERBORN (1980) und EAGLETON (1993). In der Organisationskulturforschung ist der Begriff Firmenideologie im Vergleich zu anderen Termini zwar deutlich seltener, aber keineswegs unüblich. Allerdings habe ich keine Definition gefunden, die mit den Ergebnissen meiner empirischen Analyse deckungsgleich wäre. Die in der Organisationskulturforschung verwendeten Ideologiedefinitionen zusammenfassend, konstatieren ALVESSON /BERG (1992, S.87): 92  FOUCAULTs (1971, S.292-299) Kritik setzt an einem Machtbegriff an, wonach Macht immer und überall verortet ist, omnipräsent, nicht mehr an Akteure bzw. an Institutionen gebunden. Seine Kritik der Ideologiekritik beruht auf einer Archäologie der Humanwissenschaften, die sich nur auf die epistemologische Ebene einläßt. Er schlägt deshalb vor, den Ideologiebegriff durch Diskurs zu ersetzen. Für eine nicht historische Analyse von ökonomischen Organisationen ist Foucaults Machtverständnis allerdings zu fein. In diesem Feld sind Machtverhältnisse immer und deutlich sichtbar personal. Deshalb halte ich die vorgeschlagene Substitution von Ideologie durch Diskurs für wenig sinnvoll. Dies würde die betrieblichen Machtverhältnisse verschleiern, weil entpersonalisieren. On the whole, ideology is by most authors considered to denote something less than a culture - it illustrates certain limited aspects of culture. Solche Definitionen greifen für die Firmenideologie von GT meines Erachtens zu kurz. Die GTIdeologie ist zu omnipräsent, um gegenüber der "Kultur" in die zweite Reihe gestellt zu werden. Der wohl größte Fehler wäre es deshalb, sie als ein Potemkinsches Dorf abzutun, als bloße Kulisse, die mit der "Realität" oder mit der "eigentlichen Kultur" nichts oder nur wenig gemein hat. KUNDA (1992) übernimmt weitgehend die Definition von GEERTZ (1973), die, so meine Kritik, erstens nicht deutlich genug die Interessen der Ideologieproduzenten betont und die zweitens Ideologie als ein Subsystem von Kultur betrachtet. Zwei Definitionen sind für meine Analyse sehr brauchbar. Zum einen wäre hier die von SMIRCICH/MORGAN (1982, S.258) entwickelte Formulierung des "management of meaning" zu nennen. Leadership is realized in the process whereby one or more individuals succeed in attempting to frame or define the reality of others. Indeed, leadership situations may be conceived as those in which there exists an obligation or a right on the part of certain individuals to define the reality of others. Zwar taucht in ihrem Konzept der Begriff Ideologie nicht auf, ihr "management of meaning" ist dem Ideologiebegriff sehr nahe. Die Formulierung beschreibt quasi die Technik, mit der eine Firmenideologie produziert wird und sie benennt die Ideologieproduzenten. Allerdings beinhaltet ihr Konzept keine Aussagen über die formalen Merkmale des "management of meaning". Für mein Anliegen am produktivsten ist der Ideologiebegriff von CZARNIAWSKAJOERGES (1988, S.7), die mit ihrem Konzept vor allem die Kontrollfunktion einer Firmenideologie aufzeigt: We can say, then, that an organizational ideology is a set (system) of ideas describing the organization-relevant reality, projecting a desired state of affairs, and indicating possible ways of reaching the desired state. Die Ambivalenz einer Firmenideologie, die immer zwischen beiden Ebenen pendelt und letztendlich beide Ebenen bedient, kommt darin hervorragend zum Ausdruck. Doch auch ihre Definition skizziert meines Erachtens nicht ausreichend die wesentlichen formalen Merkmale einer Firmenideologie. Formale Kennzeichen der GT-Firmenideologie Die Firmenideologie von GT ähnelt in gewisser Hinsicht der Struktur einer mittelgroßen deutschen Stadt: auf der einen Seite in einer permanenten Entwicklung begriffen, auf der anderen Seite über große historische Perioden Kontinuität ausstrahlend; einerseits mit einem chaotischen, nach außen jedoch klar umrissenen, beständigen und formschönen Altstadtkern als Zentrum, andererseits mit wohlstrukturierten Randgebieten, deren sich permanent in Veränderung befindenden Grenzen jedoch große Ausuferungen und Zerfaserungen aufweisen. Sie hat Architekten, Planer, Bauingenieure und Handwerker. Sie wächst mal schnell, mal langsamer. Um das Bild der Stadt zu verlassen: Die GT-Firmenideologie ist durch vier formale Kennzeichen charakterisiert. Sie ist (1) ein dynamisches Gebilde, sie ist (2) inhaltlich ambivalent und vage, (3) weist sie sich durch Grenzziehungen nach außen und durch Grenzverwischungen nach innen aus, (4) ist die GT-Firmenideologie ein Bedeutungssystem mit einer totalen Präsenz.93 (1) Der prozessuale Charakter der GT-Ideologie wurde bereits im ersten Kapitel aufgezeigt. Die GT-Ideologie ist ein dynamisches Gebilde, das sowohl auf firmeninterne wie auch auf gesellschaftliche Transformationen reagieren können muß. Dadurch unterliegt sie selbst Entwicklungen und Veränderungen. Ihr dynamisch-prozessualer Charakter macht zugleich aufmerksam auf ihre begrenzte Autonomie: Die zeitliche Übereinstimmung zwischen dem wachsenden gesellschaftlichen Interesse an "Unternehmenskultur" und dem firmenideologischen Boom bei GT zeigt ihre Abhängigkeit von äußeren Faktoren. (2) Auch die inhaltliche Ambivalenz und Vagheit als Grundprinzip der GT-Ideologie wurde in den letzten Kapiteln immer wieder thematisiert. Erinnert sei hier nur an die Bildelemente Pflanze und Gießkanne aus dem "GT-Firmenkulturplakat", die für völlig unterschiedliche Deutungen offen sind. Teilweise sind solche Unschärfen bewußt und intentional, teilweise sind sie ein ungewünschtes Nebenprodukt. Zu nennen wären hier etwa die zahlreichen Bemühungen der Deutungselite um terminologische Präzision, die immer eine Scheinpräzision zum Ergebnis haben. Eine technische Firma will eine exakte Klärung von Kultur und produziert dabei ein enormes Ausmaß an Vagheit und Widersprüchlichkeit. Diese Vagheit ist für die hegemoniale Funktion der GT-Ideologie jedoch von entscheidender Bedeutung. Es gehört zum Wesen der GT-Ideologie, auch widersprüchliche Aussagen integrieren zu können. Eine der zentralen Ambivalenzen der GT-Ideologie steckt in der Frage nach ihrer gültigen Bezugsebene. Ist sie vor allem ein Ausdruck des faktischen Ist-Zustands oder spiegelt sie eher den erwünschten Soll-Zustand wider. Hier sei nochmals auf die oben zitierte Definition von CZARNIAWSKA-JOERGES (1988) verwiesen, die ja gerade die gleichzeitige Besetzung verschiedener Ebenen als das zentrale Merkmal einer Ideologie betrachtet. Die GT-Ideologie erklärt Realität und wirkt somit auf einer kognitiven Ebene, sie bedient mit ihrem Wertesystem zweitens eine normative Ebene und strukturiert drittens Handlung, indem sie indiziert, was möglich und erreichbar ist. (3) Ein weiteres Grundprinzip der GT-Ideologie ist ihre Grenzziehung nach außen bei gleichzeitiger Grenzverwischung nach innen. Zunächst zu den äußeren Grenzen. Die strikte Grenze zwischen GT und den anderen ist die entscheidende Voraussetzung, um die Besonderheit der "Kultur" zu thematisieren. Hinter zahlreichen firmenideologischen Äußerungen steckt der Satz: 'Wir sind anders als die anderen Betriebe.' Schon die in der Einleitung zitierte Geschichte beruht auf einer scharfen Grenze zwischen innen und außen: Der Witz über Manager, die schnell nach einer billigen Kultur suchen und der anschließende Kommentar "Bei uns ist sie gewachsen." Die GT-Ideologie konstruiert die Welt als duales System: Es gibt GT und es gibt die 93  verwoben. Natürlich sind dies künstliche Trennungen. In der Realität sind die vier Merkmale eng miteinander anderen. Diese Konstruktion findet schon in dem zentralen firmenideologischen Begriff, dem GT-way, seinen Ausdruck: Der GT-way soll nicht nur irgendeine "Firmenkultur" bezeichnen, sondern eine ganz besondere und einzigartige "Firmenkultur", nämlich und um den Begriff zu übersetzen: die Art von GT. Während die GT-Ideologie zwischen Innen und Außen deutliche Unterschiede konstruiert, arbeitet sie gleichzeitig an einer Verschleierung der innerbetrieblichen Grenzen. Dies geschieht zweifach: Zum einen verwischt die Ideologie Interessensunterschiede zwischen abteilungs-, geschlechts-, oder berufsspezifischen Gruppen innerhalb des Betriebs, zum anderen negiert sie die Interessensunterschiede zwischen dem einzelnen Beschäftigten und der Firma. 'Sei wie Du willst', flüstert die Firmenideologie den einzelnen Beschäftigten ins Ohr, 'aber sei so, wie wir Dich haben wollen. Wenn Du Dich so verhältst, wie wir Dich haben wollen, profitierst Du am meisten von unserer Organisation, weil Du dann Deine Subjektivität und Deine Individualität voll entfalten kannst.' Diese Verschleierung des Interessengegensatzes zwischen der/dem Einzelnen und dem Unternehmen macht GT für die Beschäftigten durchaus attraktiv: Da die Firma per Ideologie die Persönlichkeit der Beschäftigten schätzt und achtet, schätzen und achten, so wäre zu vermuten, die Beschäftigten umgekehrt die Firma. (4) Das vierte formale Merkmal der GT-Ideologie ist ihre totale Präsenz. Sie ist ein Bedeutungssystem, das die gesamte soziale Realität definiert bzw. das Realität ist. Niemand kann sich der Firmenideologie entziehen, niemand kann sie ignorieren. Mit dem Betreten der Firma werden bei GT alle Beschäftigten mit der Ideologie konfrontiert und dazu gezwungen, sich auf irgendeine Weise zu ihr zu verhalten und auf sie zu reagieren. Insofern ist die GT-Ideologie mit dem deutschen Weihnachtsfest vergleichbar. Die totale Präsenz ist vermutlich nur deshalb möglich, weil die meisten Beschäftigten ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Ideologie haben. Alle Beschäftigten, so meine These, profitieren in irgendeiner Form von der Aufrechterhaltung der GT-Ideologie und können sie sich in irgendeiner Weise nutzbar machen.94 Diese These wird im folgenden Teil der Arbeit noch zu prüfen sein. Definition Ich schlage also folgende Definition vor: Mit dem Begriff Firmenideologie bezeichne ich ein autoritäres und hegemoniales Bedeutungssystem zur Definition von (betrieblicher) Realität. 94  Differenzierend und relativierend sollte ich hier hinzufügen, daß die Interessen und der Nutzen der Ideologieproduzenten sicherlich höher sind als die der Ideologiekonsumenten bzw. -rezipienten. Die These von einem Interesse (fast) aller Beschäftigten an der Aufrechterhaltung der Ideologie klingt sehr gewagt und könnte als affirmativ fehlinterpretiert werden. Dies ist jedoch nicht meine Absicht. Allerdings liegt es mir ebenso fern, die Ideologiekonsumenten und -rezipienten als die Opfer der Ideologie zu präsentieren, als diejenigen, die der Ideologie ohnmächtig ausgeliefert sind. Dieses Bedeutungssystem, das intendiert und interessengeleitet von zumeist wenigen dominanten betrieblichen Sozialkräften produziert wird, ist in formaler Hinsicht charakterisiert durch Dynamik, Ambivalenz, durch eine Betonung äußerer und eine Negierung innerer Grenzen und schließlich durch eine totale Präsenz im Betrieb. C. Belegschaftskultur Der zweite Dachbegriff dieser Arbeit heißt Belegschaftskultur. Die wohl hinterhältigste Frage, die man einem empirischen Kulturwissenschaftler/Volkskundler stellen kann, ist die nach seinem Kulturbegriff. In dem 1978 publizierten programmatischen Reader "Grundzüge der Volkskunde" stellt KORFF (S.17) fest: In der Volkskunde meint nicht jeder dasselbe, wenn er von Kultur spricht. Lediglich über eins herrscht Konsens: ein zu enger, ein zu eingeschränkter Kulturbegriff, der sich nur auf eine geisteswissenschaftliche Definitionstradition beruft, reicht nicht aus (...). Nicht zufällig wird deshalb immer wieder auf anthropologische und soziologische Entwürfe zurückgegriffen. Der Dissens über den Kulturbegriff ist knapp zwanzig Jahre später sicherlich nicht geringer 95 geworden. Er spiegelt sich im Forschungsfeld der Organisationskultur wider. Unabhängig voneinander haben SMIRCICH (1983a) und ALLAIRE/FIRSIROTU (1984) darauf hingewiesen, daß die diversen Organisationskulturkonzepte einigen dominanten anthropologischen Kulturtheorien wie etwa dem Funktionalismus, dem Strukturfunktionalismus, dem Strukturalismus, der 96 kognitiven und der symbolischen Schule entsprechen. Die Organisationskulturkonzepte, die seit dem Aufkommen dieser Forschungsrichtung in den 80er Jahren entwickelt wurden, sind so zahlreich und heterogen, daß eine ausführliche Typologisierung immer schwerer wird und viel Platz benötigen würde.97 Meines Erachtens gibt es seit 1983 drei prominente und weithin 95  Ist Kultur ein Komplementärbegriff zu Gesellschaft oder ist er Teil des sozialen Systems? Ist ein materialistischer oder ein idealistischer Kulturbegriff von Vorteil? Bezieht sich Kultur eher auf Konsens oder auf Konflikt, eher auf das Ganze oder eher auf einen Teil des Ganzen, eher auf das Alltägliche oder eher auf das Besondere, eher auf das Ideal oder eher auf das Tatsächliche, eher auf Akteure oder auf institutionelle Systeme? Ist Kultur ein kritischer oder ein affirmativer Begriff? Empfiehlt sich ein wertender oder ein nicht wertender Kulturbegriff? Und die wohl wichtigste Frage: Wie eng und spezifisch (im extrem: Kultur als das Gute, Wahre und Schöne) bzw. wie weit und offen (im Extremfall: Kultur ist alles) soll der Begriff sein? 96  ALLAIRE/FIRSIROTU stützen sich auf die von KEESING (1974) entwickelte Typologie anthropologischer Kulturtheorien und verbinden die Organisationskulturkonzepte mit diesen Theorien. So basiere etwa die Human Relations School um MAYO und ROETHISBERGER auf dem von MALINOWSKI entwickelten funktionalistischen Ansatz, während sich der symbolische Interaktionismus, die Phänomenologie, Ethnomethodologie sowie die interpretative Soziologie vorwiegend auf die Symboltheorie von GEERTZ beziehe. Ein ganz ähnliches Zuordnungsmodell entwickelt SMIRCICH (1983). Sie weist jedoch zu Recht darauf hin, daß viele Autoren sich auf verschiedene Kulturtheorien beziehen. Dies steigert die Verwirrung zusätzlich. 97 JOERGES  Ich verweise hier auf die sehr guten Überblickswerke von ALVESSON/BERG (1992) und CZARNIAWSKA(1992). akzeptierte Versuche, sich aus dem Dilemma des kulturtheoretischen Verwirrspiels zu befreien. Der erste Versuch stammt von SMIRCICH (1983a). Sie schlägt vor, nicht die Kultur, die eine Organisation ist oder hat, zu beschreiben, also nicht Kultur als Forschungsgegenstand zu beschreiben, sondern stattdessen Kultur als Sichtweise bzw. als "root metaphor" zur Konzeptionalisierung von Organisationen zu benutzen. Diese Sichtweise definiert Kultur nicht als interne oder externe Variable einer Organisation, sondern betrachtet Organisationen als Kulturen. Culture as a root metaphor promotes a view of organizations as expressive forms, manifestations of human consciousness. Organizations are understood and analyzed not only in economic or material terms, but in terms of their expressive, ideational and symbolic aspects (S.347f). Die Vorzüge und Nachteile dieses Konzepts sind zugleich die Vorzüge und Nachteile von Metaphern: Sie sind wenig explizit. Sicherlich ist es gegenüber älteren Organisationskulturkonzepten ein großer Fortschritt, nicht die Kultur, die sie haben bzw. sind, ins Visier zu nehmen, sondern sie als Kultur zu analysieren. Dieses Konzept kommt jedoch nicht um die Erklärung, wie man sich eine kulturelle Sichtweise respektive die Metapher Kultur vorstellen muß. Der zweite Versuch von ALLAIRE/FIRSIROTU (1984) ist ein integratives Konzept, das die geläufige Trennung zwischen Kultur und sozialem System aufhebt und drei Komponenten vereinigt. Ihr Organisationskulturkonzept beruht auf drei sich aufeinander beziehenden Komponenten: (1) Das sozialstrukturelle System: Es setzt sich aus formalen Strukturen, Strategien, und Prozessen zusammen, etwa aus formalen Zielen, aus Machtstrukturen und Kontrollmechanismen, aus Belohnungs- und Motivationsstrategien, aus Rekrutierungs-, Selektions- und Bildungsprozessen. (2) Das kulturelle System: Es beinhaltet die expressiven und affektiven Dimensionen in einem System geteilter und Bedeutung tragender Symbole, die sich in Mythen, Ideologien, Werten und Artefakten manifestieren. Hierzu gehören unter anderem Rituale und Bräuche, Metaphern, Begriffe und Slogans, Sagen, Geschichten und Legenden sowie Architektur, Design und Logos. (3) Der individuelle Akteur: Er ist kein bloßer passiver Rezipient einer vorfabrizierten Wirklichkeit, sondern ist - abhängig von seinem Status und seiner hierarchischen Rolle - beteiligt an der Konstruktion von Bedeutungen. Dieses Konzept hat zwei Schwächen. Zum einen basiert es auf einem konsensorientierten Kulturkonzept. Es vernachlässigt Konflikte, Widersprüche und Antagonismen, es verschleiert letztlich Machtverhältnisse und Unterwerfungspraktiken. Damit wird eine pluralistische Sicht auf ein kulturelles System aufgegeben zugunsten einer eher harmonisierenden Zeichnung. Zum anderen nimmt es eine unzulässige Hierarchisierung der Untersuchungsebenen zugunsten der Organisationsebene vor. Relevant ist das kulturelle System des Gesamtbetriebs, weniger relevant sind berufliche, hierarchische, geschlechts- und abteilungsspezifische Subkulturen in einem Unternehmen. Ebenso wird auf einer Makroebene die Spezifik und Einmaligkeit einer Organisationskultur überbetont. Auf diese Weise bekommen viele kulturellen Phänomene auch dort, wo sie einen allgemeinen, für viele Betriebe gültigen Charakter haben, den Anstrich des 98 Besonderen. Diese Hierarchisierungen sowohl gegenüber den somit marginalisierten Subkulturen einer Organisation wie auch gegenüber der Makroebene lassen sich weder empirisch noch theoretisch begründen. Der dritte und inzwischen wohl populärste Versuch heißt "organizational symbolism". Diese Forschungsrichtung läßt sich nicht wirklich von der Organisationskulturforschung abgrenzen. Viele Autoren benutzen beide Begriffe als Synonym. In der Literatur ist zu beobachten, daß der Mitte der 80er Jahre beliebte Begriff "organizational culture" seit Anfang der 90er Jahre von "organizational symbolism" mehr und mehr verdrängt wurde. Mit der Substitution von Kultur durch Symbol wird die kulturtheoretische Verwirrung jedoch nur scheinbar umschifft. Vertreter der symbolischen Organisationstheorie operieren mit dem GEERTZschen Kulturbegriff und verstehen Kultur als fabric of meaning in terms of which human beings interpret their experience and guide their action. It is an ordered system of shared and public symbols and meanings which give shape, direction and particularity to human experience (GEERTZ 1973, S. 145). Im übrigen gilt für das Konzept des organizational symbolism die gleiche Kritik wie für das von ALLAIRE/FIRSIROTU. Es hierarchisiert die Organisationsebene und erweckt den Anschein, daß die Organisationssymbole von allen geteilt und ähnlich bewertet werden. Der in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriff "Belegschaftskultur" ist ein weiterer Versuch, Klarheit ins kulturtheoretische Gestrüpp zu bringen. Natürlich ist auch der Begriff Belegschaftskultur nur ein Konstrukt, ein, wenn man so will, propagandistischer Gegenbegriff. Er hat jedoch gegenüber den anderen Alternativen drei analytische Vorzüge: Erstens sehe ich nicht im Terminus Kultur das Hauptproblem, sondern in der Anbindung von Kultur an eine Institution. Während Organisationskultur zwangsläufig die systemische Ebene in den Vordergrund rückt, betont der Begriff Belegschaftskultur die Ebene der Akteure. Damit ist ein Perspektivenwechsel markiert. Nicht mehr die Kultur einer Organisation, sondern die der Organisationsmitglieder ist Gegenstand der Analyse. Dieser Perspektivenwechsel ist von weitreichender Konsequenz: Es geht nicht mehr generell um die Erforschung von Normen, Symbole, Mythen, Sagen, Legenden, Rituale und Erzählungen in einer Organisation, sondern um die den Beschäftigten bekannten Legenden, Sagen, Erzählungen, um ihre Normen, um ihre Symbolkonstruktionen. Die einzelnen Elemente von Kultur hängen somit nicht mehr im organisationalen Vakuum, sondern sind bei konkreten Akteuren zu verorten. Wenn man nun jedoch, um ein Beispiel zu nennen, eine Erzählung von Belegschaftsmitgliedern untersucht, liegt es quasi auf der Hand, die erzählenden Subjekte genauer in Augenschein zu nehmen. Womöglich kennen nicht alle die Geschichte oder halten nicht alle die Geschichte für erzählenswert. Womöglich wird die Geschichte nicht immer gleich erzählt. Vielleicht hat sie auch nicht für alle Beschäftigten dieselbe Bedeutung. Der 98  Um ein Beispiel zu nennen: In fast allen Betrieben kann man von der Größe des Arbeitsplatzes auf hierarchische Positionen schließen. Wenn man nun diese Zusammenhänge als Spezifikum einer Organisationskultur verkaufen will, ist dies nur dann überzeugend, wenn die beobachteten Korrelationen nicht ohnedies für die Mehrzahl aller Betriebe gelten. Perspektivenwechsel von der Organisation zu ihren Mitgliedern führt fast zwangsläufig zu Differenzierungen. Damit habe ich bereits den zweiten Vorteil angesprochen. Der Begriff Belegschaftskultur sperrt sich gegen einen konfliktfreien, harmonisierenden und differenzlosen Blick auf die Belegschaft. Der dritte Vorteil schließlich liegt in einer Relativierung des Managements als der primär relevanten Gruppe innerhalb einer Organisation. Leider ist die deutsche und englischsprachige Unternehmenskulturforschung, da wo sie sich den Akteuren zuwendet, oftmals eine Unternehmerkulturforschung. Sie konzentriert sich, im festen Glauben, daß das Führungspersonal der Kultur den entscheidenden Stempel aufsetzt, auf die Gruppe der Mächtigen in einem Betrieb. Andere Gruppen werden tendenziell marginalisiert. Unter einer Belegschaft stellt man sich jedoch nicht nur die Spitze der Organisationsmitglieder vor. Zur Belegschaft gehören alle. Damit relativiert der Begriff den Stellenwert der Organisationselite. Noch ist nicht geklärt, was unter Belegschaftskultur zu verstehen ist. In Anlehnung an die weite und elastische Definition von TYLOR, der all das zur Kultur rechnet, was sich der Mensch als Glied der Gesellschaft angeeignet hat, um mit seinen Alltagsproblemen fertig zu werden (vgl. hierzu KORFF 1978, S.17), bezeichne ich Belegschaftskultur als die Summe dessen, was sich die Beschäftigten als Mitglieder eines Betriebs angeeignet haben, um ihren Arbeitsalltag zu bewältigen. In dem folgenden Teil werden nicht alle Anteile einer Belegschaftskultur thematisiert, sondern nur solche, die sich auf die Firmenideologie beziehen. Die Interaktion der Beschäftigten oder ihr Umgang mit materiellen Dingen stehen also nicht generell im Vordergrund, sondern nur dann, wenn sie über das Verhältnis zwischen Belegschaftskultur und Firmenideologie informieren. 99 Wie lassen sich nun in der Praxis die beiden Begriffe Firmenideologie und Belegschaftskultur voneinander unterscheiden? Zunächst gilt: Unter der Bedingung, daß sich zwischen den Inhalten der Firmenideologie und den belegschaftlichen Aneignungsweisen eine Kluft bildet, wenn also die Beschäftigten den firmenideologischen Kanon nicht akzeptieren, gegen ihn opponieren, ihn lächerlich machen oder ignorieren, fällt eine Unterscheidung nicht schwer. Wenn jedoch die Beschäftigten eine grundsätzlich positive Haltung zur Firmenideologie einnehmen, sind klare Trennlinien nicht mehr zu ziehen. Was sich in der Praxis vermischt, muß aber in der Analyse zumindest formal unterschieden werden können. Die formale Unterscheidung erfolgt nicht nach den inhaltlichen Kategorien einer Aussage, sondern ausschließlich nach dem Kontext, in dem eine Aussage steht. Dies bedeutet: Belegschaftliche Aussagen können mit der Firmenideologie 99  Noch eine Anmerkung zum Untersuchungsfeld: Wenn ich also im folgenden von Belegschaftskultur spreche, beziehe ich mich dabei zumeist auf die etwa 40-50 Angestellten im Untersuchungsfeld, also der Marketingabteilung im Bereich Medizintechnik. Der Begriff Belegschaftskultur ist insofern ein wenig irreführend. Er läßt vermuten, daß von der gesamten Belegschaft, also von allen 6000 Beschäftigten die Rede ist. Der Begriff "Abteilungskultur" wäre im Prinzip eine weitaus korrektere Umschreibung. Allerdings hat er den unvermeidlichen Nachteil, daß er auf die kulturelle Spezifik eben dieser Abteilung im Vergleich zum Gesamtbetrieb oder auch zu anderen Abteilungen verweist, was ja genau nicht intendiert wird. Am Untersuchungsfeld "Marketing" ist nicht dessen kulturelle Spezifik etwa im Vergleich zu "Research and Development" oder zu "Administration" von Interesse. Die Marketingabteilung hat vielmehr eine Stellvertreterfunktion: Sie repräsentiert einen kleinen und überschaubaren Teil der Gesamtbelegschaft. inhaltlich völlig identisch sein und werden hier trotzdem als Belegschaftskultur präsentiert. Jetzt stehen also die belegschaftlichen Reaktionen auf die Firmenideologie im Vordergrund: Untersucht werden soll also, wie die Beschäftigten sich die Ideologie aneignen und wie sie mit ihr umgehen. Konkret: Wie nehmen die Beschäftigten die Firmenideologie wahr? Wie beschreiben sie selbst die "Kultur" ihres Betriebs? In welchem Ausmaß konvergieren bzw. divergieren ihre Beschreibungen der "GT-Kultur" mit der Firmenideologie? Akzeptieren sie die Firmenideologie oder distanzieren sie sich von ihr? Wie arbeiten, interagieren und feiern sie im Schatten dieser Ideologie? Können die Beschäftigten die Firmenideologie gar zur Durchsetzung eigener Interessen instrumentalisieren oder bleibt dies nur den Ideologieproduzenten vorbehalten? Da "die Belegschaft" natürlich keine kognitive und handelnde Einheit darstellt, werde ich zur Beantwortung dieser Fragen in den folgenden Kapiteln unterschiedliche Zugänge mit je spezifischen Differenzierungen wählen. Im ersten Kapitel untersuche ich vor allem die firmenideologischen Aneignungen verschiedener sozialer Gruppen: Wie beschreiben Sekretärinnen den GT-way, wie beschreiben ihn Ingenieure und Ingenieurinnen, wie Manager? Das zweite Kapitel nimmt nicht in erster Linie soziale, sondern graduale Differenzierungen vor. Es untersucht zeitliche, soziale und motivationale Grenzen, die die einzelnen Beschäftigten gegenüber ihrem Unternehmen ziehen. Das dritte Kapitel differenziert nach Anlässen und Situationen. Ein Vergleich von drei betrieblichen Feiern geht der Frage nach, wie Ideologie von Sprache in Praxis transformiert wird, wie also zentrale firmenideologische Themen in den jeweiligen Feiern zum Ausdruck gebracht werden. Das vierte Kapitel nimmt objektspezifische Differenzierungen vor: Es analysiert den Zeichen- und Distinktionswert von Kaffeetassen vor allem im Hinblick auf soziale Ungleichheit sowie auf das Verhältnis, das die Beschäftigten als Tassenbesitzer zur Firma einnehmen. Das fünfte Kapitel thematisiert, alle Differenzierungen hinter sich lassend, eine gemeinsame diskursive Strategie der Beschäftigten am Beispiel des Sich-Kleidens. Diese diskursive Strategie beinhaltet eine Widerspruchseliminierung zwischen dem Anspruch der Beschäftigten auf Individualität einerseits und spezifischen Zwängen und Konventionen andererseits. Eine Analyse dieser Strategie soll zeigen, wie die Beschäftigten die Firmenideologie aufrecht halten. 1. Berufsspezifische Aneignungsformen der Ideologie Nachdem unter dem Begriff Firmenideologie gezeigt wurde, welches Bild - stellvertretend für die GmbH - die GT-Deutungselite von der Kultur ihres Unternehmens entwirft, ist nun zu untersuchen, welches Bild die Beschäftigten von der Kultur ihres Unternehmens zeichnen. Die Summe dieser belegschaftlichen Wahrnehmungen und Beschreibungsweisen, also ihre Konstruktion der firmeneigenen "Kultur" bezeichne ich vorerst als "Realitätskonzept Kultur". 100 Die Beschreibung des Realitätskonzepts Kultur zielt dabei in zwei Richtungen: Erstens soll untersucht werden, inwiefern das belegschaftliche Realitätskonzept Kultur inhaltlich mit der Firmenideologie konvergiert oder divergiert. Anschließend soll im Hauptteil des Kapitels eruiert werden, ob sich die Aussagen der Beschäftigten sozialen Gruppen, insbesondere Berufsgruppen, zuordnen lassen. Das Realitätskonzept Kultur und die Firmenideologie: Ein Vergleich Wie konstruieren die interviewten Beschäftigten ihre Vorstellungen von der Kultur ihres Betriebs? Wie nehmen sie diese Kultur wahr, wie beschreiben sie sie, welche Begriffe benutzen sie hierfür? Diese Beschreibungen erhalten ihre eigentliche Bedeutung erst vor dem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Firmenideologie: In welcher Beziehung stehen die firmenkulturellen Skizzen der Beschäftigten zur Ideologie? Wo deken sich ihre Beschreibungen der Kultur ihrer Firma mit der Ideologie, wo zeigen sich markante Unterschiede? Wie abhängig sind die Beschäftigten von der firmenideologischen Rhetorik? Haben sie überhaupt eine eigene Sprache zur Beschreibung ihrer Kultur oder müssen sie auf das Vokabular der Firmenideologie rekurrieren? Hinter all diesen Fragen steht das Bestreben, die Wirkungskraft der Firmenideologie zu taxieren. In welchem Ausmaß kolonialisiert die Ideologie das Denken der Angestellten, wie sehr prägt sie deren Wahrnehmungen und strukturiert ihr Wahrgenommenes, welchen Einfluß hat sie auf die Sprache der Beschäftigten, kurz, wie mächtig ist die Ideologie? Die Äußerungen der Beschäftigten sind also relevant in Bezug auf ihr Verhältnis zur Firmenideologie. Es interessiert der Grad an Nähe und/oder Distanz zur Ideologie, durch den sich die Befragten mit ihren Äußerungen plazieren. Das Nähe-Distanz-Verhältnis zur Firmenideologie läßt sich hauptsächlich auf zwei Feldern überprüfen: zum einen auf dem Feld der Rhetorik, hierzu gehört vor allem das vergemeinschaftende Vokabular; zum anderen auf dem Feld der impliziten firmenideologischen Botschaften. 100  Das Realitätskonzept Kultur zielt also auf das emische System, auf das kulturspezifische Begriffs- und Klassifizierungsreservoir der Untersuchten. Das Verhältnis zwischen dem belegschaftlichen Realitätskonzept Kultur und den Inhalten der Firmenideologie ließe sich an zahlreichen Interviewfragen skizzieren. Stellvertretend seien die Antworten auf vier Fragen vorgestellt: (1) Wie war ihr erster Eindruck von der Firma? Gibt es aus dieser Zeit ein Erlebnis, das Ihnen noch in Erinnerung ist? (2) Was sind Ihrer Ansicht nach die drei Merkmale der Firmenkultur? (3) Wie würden Sie den typischen GT'ler bzw. die typische GT'lerin beschreiben? (4) Welche Bedeutung und welche Funktion hat bei GT der Betriebsrat? (1) Auf die Frage nach dem ersten Eindruck von der Firma greifen viele auf folgende Umschreibungen zurück: offen, locker, informell, kommunikativ, flexibel, chaotisch und familiär. Es fallen also ausschließlich Begriffe, die dem firmenideologischen Kanon angehören. Ganz vorne rangieren hier die Worte "offen" und "Offenheit". Etwa zwei Drittel der Befragten berichten von einer "Offenheit, die mich sehr beeindruckt hat", von "offenen Kollegen", einem "offenen Umgang untereinander", einer "offenen Atmosphäre", einem "offenen environment", einem "offenen Betriebsklima" und einem "offenen Bewerbungsgespräch". Insgesamt gehört das Adjektiv "offen" in den Interviews zu den am häufigsten verwendeten Wörtern. Auffällig ist dabei, daß die Äußerungen oftmals mit einer einleitenden Bemerkung versehen werden, die von anfänglichem positiven Erstaunen berichtet und den Vergleich zu anderen Firmen herstellt, also - genau wie Ideologie - Grenzen nach außen zieht. Auf diese Weise erhält die Firma den Nimbus des Besonderen. So erinnert sich eine Angestellte: Die ersten Tage waren echt locker. Ich habe ja schon in anderen Betrieben gejobbt und da war es immer recht steif. Da bist du morgens reingekommen und dachtest: Setzt du dich jetzt hin? Und trinkst du Kaffee? Wahrscheinlich wird das nicht gern gesehen. Aber bei GT war das locker, muß ich sagen. Da habe ich immer gesagt: "Ehrlich? Macht das nichts? Ist das nicht schlimm? Kann ich mich wirklich an die Stehtische stellen?" Dann hieß es: "Klar doch. Weißt du, bei uns ist das nicht so." Die Befragten erinnern sich häufig noch an besonders markante Erlebnisse aus der Anfangszeit. Auch in diesen Geschichten werden firmenideologische Grundaussagen reproduziert. Insbesondere zwei Aussagen werden in den Erzählungen transportiert. Die erste ist die der fürsorglichen und toleranten Firma, die am Wohlergehen ihrer Mitarbeiter interessiert ist und bereit, hierfür auch die nötigen Voraussetzungen zu gewährleisten: etwa Stehtische und Gratiskaffee. Die zweite bezieht sich auf die Beschäftigten und deren Leistungsbereitschaft. Dieser Aussage zufolge legt die Firma großen Wert auf Mitarbeiter, die bereit sind, "alles zu geben" und "eine Extrameile zu gehen", um zwei gängige Redewendungen zu verwenden. Die Metapher von der Extrameile betont erstens den intrinsischen Ansporn: Die Extrameile ist die Strecke, die über den arbeitsvertraglich festgelegten Zielpunkt hinausgeht. Zweitens verweist sie auf die Fähigkeit und die Bereitschaft der Beschäftigten bei GT, nicht nur bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit zu gehen, sondern diese Grenzen auch zu überschreiten. Das folgende Zitat zeugt von dem Kampf gegen die eigenen Grenzen. Ein Manager berichtet über sein Einstellungsgespräch: Plötzlich sind sie einfach ins Englisch geswitched. Mein Englisch war zu diesem Zeitpunkt miserabel. Aber ich habe es probiert. Ich habe solange nachgefragt, bis ich die Frage verstand. Dann habe ich stotternd in gebrochenem Englisch geantwortet, mit Händen und Füßen gestikulierend. Das hat man mir hoch angerechnet, wie ich später erfahren habe. (2) Besonders gut für einen Vergleich des belegschaftlichen Realitätskonzepts Kultur mit dem firmenideologischen Jargon eignen sich die Antworten auf die Frage "Welche sind Ihrer Ansicht nach die drei wichtigste Merkmalen der Firmenkultur von GT?"101 Die Übereinstimmungen sind geradezu frappierend: Am häufigsten genannt wurde die "open-door-policy" (neun Nennungen). Es folgte "Offenheit" und "Mitarbeiter im Mittelpunkt" 102 mit je sechs Nennungen. "Kommunikation" und "Vertrauen" wurde je fünf Mal erwähnt. Die Kombination "management by objectives" und "Führungsstil" erhielt insgesamt vier Nennungen, ebenso die Kombination "Verantwortung" und "Selbständigkeit". Je dreifach angeführt wurden "Großraumbüros", "die Vornamensregelung", "das Arbeitszeitmodell" und "kein Hierarchiedenken". Doppelt genannt wurden "die Kaffee- und Frühstückspause", "Flexibilität", "GT-way", "Profitorientierung" und "Erfolgsorientierung". Und schließlich die Merkmale, die nur einmal genannt wurden: "das Mitarbeitergespräch", "die Werte und Ziele der Organisation", "Fehler machen dürfen", "Respekt vor der Andersartigkeit der anderen", "Kreativität", "viele Nationalitäten" und "soziale Absicherung". In der Tat gehören alle Charakterisierungen, die hier aufgeführt sind, zum Tenor der Firmenideologie. Alle Befragten bewerten dabei die von ihnen benannten Merkmale als sehr wichtig. Drei der zwanzig Interviewten kommen auf einen Widerspruch zwischen offizieller Meinung und persönlicher Ansicht zu sprechen: (1) Was heißt das? Die Firmenkultur, so wie ich sie sehe oder der Geist? Ich meine, es gibt da so eine gewisse Erwartungshaltung. (2) Meinst du damit die Firmenkultur, die man auch selbst bemerkt oder die, die auf dem Blatt geschrieben ist? Einer erklärt lachend, nachdem ihm nach längerer Überlegung kein drittes Merkmal eingefallen ist: (3) Denkst du eigentlich bei deiner Frage an die zehn Gebote? Ich muß gestehen, daß ich die nicht auswendig kann. Auf der einen Seite belegen diese Äußerungen eine kritische Beurteilung der offiziellen 101  Für die Auswertung wurden die zentralen Begriffe, die die Befragten zur Charakterisierung der "Firmenkultur von GT" anführten, aufgelistet und gezählt. Dabei wurden ähnliche Charakterisierungen vereinheitlicht. 102  Hier wurde zum Zweck der Vereinheitlichung und der einfacheren Darstellung ein wenig geglättet. Unter diesen Dachbegriff fallen Äußerungen wie: "für die Mitarbeiter etwas tun", "die Mitarbeiter hegen und pflegen", "ein gewisses Mitbestimmungsrecht der Mitarbeiter", "people", "die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Gut", "die Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt". Meinung, ja eine Entlarvung derselben als Ideologie. Auf der anderen Seite basieren auch die von ihnen im Anschluß benannten Merkmale auf einer von der Ideologie okkupierten Sprache. Selbst nachdem im Interview wiederholt darauf hingewiesen wurde, daß nicht die offizielle Meinung, sondern die persönliche Ansicht der Befragten von Interesse ist, sind die Antworten so formuliert, daß sie der offiziellen Meinung entsprechen. (3) Wie konturieren die Befragten den typischen GT'ler und die typische GT'lerin? Gefragt wurde nach dessen/deren Erscheinungsbild, nach der Persönlichkeit, den Umgangsformen und dem Arbeitsstil. Etwa die Hälfte der Befragten macht zunächst darauf aufmerksam, daß es diesen Prototyp nicht gebe und begründet diese Ansicht entweder mit einem Verweis auf die verschiedenen Bereichs- und Abteilungskulturen oder mit der Betonung der Individualität der Beschäftigten. Im Anschluß an diesen Einspruch zeigen sie sich jedoch ebenso willens wie die zweite Hälfte, sehr spezifische und konkrete Zuschreibungen zu formulieren. Das im folgenden Abschnitt gezeichnete Bild des typischen GT'lers und der typischen GT'lerin - die Befragten machen mehrheitlich keine großen Unterschiede zwischen Frauen und Männern - ist ein Mosaik, das sich aus den von den Befragten ins Spiel gebrachten Eigenschaften formiert: Alle Formulierungen und verwendeten Adjektive basieren auf Zitaten. 103 Nach ihrer Ansicht ist das Wesen des typischen GT-Mitglieds positiv. Es ist ein selbstbewußt auftretender Mensch mit offenen und lockeren Umgangsformen, nett, natürlich, leger, umgänglich, wenig eingebildet und auf keinen Fall konservativ. Es ist relaxed. Es hat Persönlichkeit und einen spezifischen Stil, der sich auf der ganzen Welt von den Angestellten anderer Firmen unterscheidet. Es ist relativ jung, ledig, ehrgeizig, dynamisch, fleißig, sehr motiviert und bestrebt, bei GT Karriere zu machen. Es hat eine sehr hohe Leistungsbereitschaft und ist erfolgreich. Es ist wenig formell und unbürokratisch. Es arbeitet viel, ist flexibel, kommunikativ, aufgeschlossen, teamorientiert und hilfsbereit, wenn Kollegen oder Kolleginnen Probleme haben. Es ist bereit, die Extrameile zu gehen. Es ist vielseitig interessiert, spontan, kritisch und kreativ. Ein Vergleich dieses Bildes mit den Modellierungen des Firmenmenschen im "puls"104 zeigt, daß beide Konstruktionen nahezu identisch sind. Es existiert eine große inhaltliche und terminologische Übereinstimmung. So tauchen alle Adjektive, die in der Betriebszeitung plaziert sind, in dem von den Befragten gezeichneten Bild wieder auf. Auch die anfängliche, von einigen 103  Um das Bild zu verdichten, werden nur solche Eigenschaften wiedergegeben, die von mindestens drei Interviewten erwähnt werden. 104  Hierzu zählen insbesondere die Antworten der Personalchefs auf die Umfrage "Gibt es den GT-Typ?" (puls, 8/1984, S.18) sowie die anläßlich des 50jährigen Konzernjubiläums vorgenommene Skizzierung einer Beschäftigtenidentität seitens des Konzernpräsidenten (puls, 2/1989, S.4). Zusätzliche Quellen sind: puls 1/1991, S.1 und 9/1991, S.11. Für eine ausführliche Darstellung verweise ich auf das Kapitel B2 (Die hegemonialen Funktionen der Firmenideologie). Befragten formulierte Leugnung eines typischen GT-Mitglieds hat bereits einen Vorläufer in der Betriebszeitung: Schon die Personalchefs haben in der "puls"-Umfrage auf die Individualität und die Unterschiedlichkeit der Beschäftigten hingewiesen. (4) Die letzte Frage, die für den Vergleich zwischen dem Realitätskonzept Kultur und der Firmenideologie herangezogen wird, ist die nach der Relevanz und Funktion des Betriebsrats. Die Antworten hierzu reproduzieren eine der zentralen Botschaften der Firmenideologie: die Betonung des Einzelnen und die damit einhergehende Leugnung von gruppenspezifischen Interessengegensätzen. Die meisten der Befragten gestehen, "eigentlich nicht viel vom Betriebsrat zu wissen." Man höre wenig von ihm. Man würde "vielleicht gerne mal zu einer Betriebsversammlung gehen," habe jedoch keine Zeit dazu. "Soweit ich weiß, gehen meine Kollegen da auch nie hin." Eine britische Ingenieurin erklärt: "Ich weiß nicht mal, wie mein representative heißt. Niemand ist zu mir gekommen und hat sich vorgestellt." Trotzdem existieren Bilder vom Betriebsrat: Die einen "mutet er ein bißchen bürokratisch an", für andere besteht er aus "Witzfiguren" oder "aus langweiligen GT'lern". Denn: "Es finden sich keine qualifizierten Leute für den BR." Die Mehrzahl der Befragten unterstellt ihm eine "Klüngelei mit der Geschäftsleitung" und sieht ihn als "hörig" gegenüber derselben. Einige wenige glauben, er sei "mit der Gewerkschaft verheiratet". Diejenigen Befragten, die Erfahrungen mit dem Betriebsrat gemacht haben, vertreten stark divergierende Ansichten. Das Spektrum reicht hier von "sehr informativ" und "vertrauensvolle Zusammenarbeit" bis hin zu "eher lästig als supportive", "eine nervige Sache" oder gar "eine Tortur". Aus solchen Erfahrungen und Negativbildern speisen sich wohl auch die Ansichten der Befragten zur Rolle und Funktion des Betriebsrats. Nur wenige Befragte meinen, daß der Betriebsrat innerhalb der Organisation eine "große Rolle" spielt. Für viele "ist er halt da. Er ist eine Institution, die an sich nicht groß gebraucht wird. Ich glaube, daß er niemanden interessiert." Einige bezeichnen ihn sogar als "grundsätzlich überflüssig". Drei Argumente werden als Beleg für dessen Funktionslosigkeit angeführt. Das erste Argument ist die umfassend gute Betreuung der Firma. Dabei werden oft klare Grenzen zu anderen Betrieben gezogen. (1) Hier haben wir doch alles. Es geht uns doch gut. GT tut doch was für seine Mitarbeiter. Ich sehe gar nicht ein, daß sich der Betriebsrat überall einmischt und immer dagegen wettert. (2) Ich kann mir gut vorstellen, daß andere Firmen, die hire and fire machen, einen Betriebsrat brauchen. Aber wir nicht. Hier stört er mehr. Häufiger ist das zweite Argument. Es verweist auf die spezifischen Konfliktregelungsmechanismen bei GT. Viele der Befragten erklären, bei Problemen Lösungswege einzuschlagen, die nicht über den Betriebsrat führen. In der Regel konsultieren sie ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Das folgende Zitat eines Ingenieurs steht exemplarisch für viele Äußerungen: Bisher konnte ich alles mit meinem Chef regeln. Sollte das mal aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, dann würde ich mich an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden. Im äußersten Fall die Personalabteilung. An den Betriebsrat? Sicher nicht. Das dritte Argument wendet sich gegen die Delegation von Zuständigkeiten und Verantwortung und gegen die Einschaltung einer Vermittlungsinstanz: Der Gang zum Betriebsrat ist einfach nicht GT-way. Wenn man hier ein Problem hat, versucht man das direkt zu lösen. Mit der betreffenden Person oder mit einer, die es lösen kann. Nicht jedoch mit einem Fremden aus dem Betriebsrat. Der von den Beschäftigten bewußt praktizierten Individualisierung von Konflikten und Konfliktlösungen einerseits und ihrer Wahrnehmung der Firma als problemfreie Zone andererseits entsprechen wesentliche Botschaften der Firmenideologie: Hierzu gehören die Betonung der Besonderheit von GT sowie eine im Vergleich zu anderen Firmen positive Beurteilung des Betriebs. Hierzu gehört die Konstruktion der "GT-Firmenkultur" als ein geschlossenes, einheitliches und konsistentes Ganzes und damit verbunden die Ignorierung von hierarchischen, beruflichen, geschlechts- oder abteilungsspezifischen subkulturellen Gruppen. Hierzu gehören schließlich die Bemühungen der Firma um eine Desoziation von gesamtgesellschaftlichen und außerhalb des Unternehmens geführten Interessengegensätzen: Der Gegensatz von Arbeit und Kapital ist ja laut Firmenideologie längst überwunden. Die das Individuum betonenden Konfliktlösungspraktiken der Befragten decken sich nicht nur mit dieser Botschaft, sie legitimieren sie sogar. Das Ergebnis ist recht deutlich: Alle vier Beispiele zeigen eine hohe Übereinstimmung zwischen dem belegschaftlichen Realitätskonzept Kultur und der Firmenideologie. Die Wahrnehmungen und Beschreibungen der Beschäftigten sind auf Kurs der Ideologie. Die Beschäftigten bleiben in ihren Äußerungen dem firmenideologischen Vokabular verhaftet. Sie haben keine eigene Sprache zur Beschreibung der "Kultur", kein von der Ideologie unabhängiges Begriffssystem. Auch die impliziten firmenideologischen Botschaften, etwa die Betonung von Individualität oder die Nichtbeachtung von gruppenspezifischen Interessendivergenzen innerhalb der Belegschaft, spiegeln sich in den Antworten wider. Es scheint, als habe die Ideologie die Wahrnehmungen der Beschäftigten kolonialisiert. Die These von einer Kolonialisierung ist jedoch etwas genauer zu prüfen. Als eines der wesentlichen formalen Merkmale der GT-Firmenideologie wurde unter anderem ihre totale Präsenz genannt. Geht man von der konstatierten totalen Präsenz aus, so ist das obige Ergebnis wenig überraschend: Niemand kann sich der Firmenideologie entziehen. Dies bedeutet, daß es der Belegschaft gar nicht möglich ist, ein von der Ideologie unabhängiges Realitätskonzept Kultur zu entwickeln. Etwas das nicht entwickelt werden kann, kann folglich auch nicht kolonialisiert werden. Die These von einer Kolonialisierung ist unzutreffend, weil es ganz offensichtlich keine Alternative zum firmenideologischen Bedeutungssystem gibt. Nur innerhalb dieses Systems können die Beschäftigten wahrnehmen, beschreiben, beurteilen und handeln. Für den Fortgang meiner Arbeit hat diese Erkenntnis zur Konsequenz, die konstruierte Opposition zwischen der Firmenideologie und dem belegschaftlichen Realitätskonzept Kultur aufzugeben. Aufgrund der festgestellten hohen inhaltlichen Konvergenz ist diese analytische Unterscheidung sinnlos geworden. Im folgenden wird deshalb von der belegschaftlichen Aneignung der Firmenideologie die Rede sein. Die Integrationsperspektive und die Perspektive der Differenz Das bisherige Ergebnis steht in der Tradition der "integration perspective". In der Organisationskulturforschung beschreibt und analysiert eine große Fraktion von Autorinnen und Autoren die Kultur einer Firma als einheitliches Ganzes. Eine solche Perspektive legt die Betonung auf die kulturelle Spezifik eines Unternehmens im Vergleich zu anderen. Sie vernachlässigt dabei kulturelle Unterschiede und Widersprüche. Diese Perspektive, MARTIN/MEYERSON (1988) bezeichnen sie als Integrationsperspektive, ist zum einen durch ihre Betonung von Konsistenz gekennzeichnet. Als zweite wesentliche Eigenschaft der Integrationsperspektive bezeichnen die beiden Autorinnen den Konsens. "Organisationskultur" ist demzufolge das, was alle Mitglieder teilen. SMIRCICHs' (1983b) oft rezipiertes theoretisches Konzept ist mit dem Titel "organizations as shared meanings" überschrieben. Sie definiert Organisationen als Systeme kollektiv geteilter Bedeutungen. Nach SMIRCICH sind geteilte Bedeutungen die Grundlage für jegliche Form kollektiver Handlung. Diese Konsens und Konsistenz hervorhebende Perspektive wird von VAN MAANEN/BARLEY (1985, S.33) überzeugend in der Forschungsdisziplin der klassischen Ethnologie verortet: Unitary culture is primarily an anthropological idea, while the notion of subcultures is predominately sociological. Die Integrationsperspektive stützt sich auf einen Kulturbegriff, der, in Anlehnung an GEERTZ (1973), Kultur zum einen als etwas einheitliches und nach außen hin deutlich abgrenzbares Ganzes konstruiert, zum anderen als etwas Integratives, als einen Leim, der eine Gruppe von potentiell unterschiedlichen Individuen mit einem Set von gemeinsamen, geteilten und konsistenten Werten, Ansichten, Überzeugungen, Handlungen und Symbolen zusammenhält. 105 Für Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen mit der ihnen eigenen Vorliebe für Unterschiede ist ein Ergebnis im Fahrwasser der Integrationsperspektive wenig erfreulich. Allerdings entspricht dieser theoretische Blick in methodischer Hinsicht dem ersten Blick des Forschers auf ein fremdes Feld. Dieses Feld wird zunächst als ein einheitliches Ganzes wahrgenommen. Zwar weicht der holistische Blick mit zunehmender Aufenthaltsdauer im Feld einem differenzierenden Blick, er verschwindet jedoch nie ganz. Und noch wichtiger: Er hat einen immensen, kaum zu überschätzenden Einfluß auf den Wahrnehmungsapparat des Forschers, auch dann, wenn der ganzheitliche Blick längst nicht mehr dominiert. Über einen sehr langen Zeitraum war mein erster Eindruck von den Beschäftigten der einer homogenen Gruppe. Bei der Auswertung der Interviews war es lange nicht möglich, die Aneignung der Firmenideologie entlang von sozialen Gruppen zu spezifizieren. Dies wurde mir vor allem durch 105  Als wichtige Arbeiten, die von der Integrationsperspektive inspiriert sind, wären zu nennen: BARLEY (1983), BERG/KREINER (1990), DEAL/KENNEDY (1982), MARTIN (1982), MCDONALD (1988), PASCALE/ATHOS (1981), PETERS/WATERMAN (1982), PETTIGREW (1979), PONDY (1983), SCHEIN (1983 und 1985), SOWIE Smircich (1983b). oben festgestellte Nähe des Realitätskonzepts Kultur zur Firmenideologie erschwert. Nach und nach stellte sich bei mir die Erkenntnis ein, daß nicht Nähe bzw. Distanz zur Ideologie das Kriterium für die Verortung sozialer Gruppen sein kann, sondern sich die Gruppen, wenn überhaupt, durch verschiedene Formen von Nähe charakterisieren; daß also alle innerhalb des firmenideologischen Systems wahrnehmen und denken, sich aber möglicherweise verschiedene Teile dieses Systems herauspicken. Anders formuliert: Das firmenideologische System ist, wie bereits festgestellt, inhaltlich ambivalent und vage. Die Tatsache, daß die Beschäftigten dem firmenideologischen Vokabular verhaftet bleiben, bedeutet keinesfalls, daß sie diesen Jargon alle in gleicher Weise wahrnehmen und deuten. Damit bin ich beim eigentlichen Ziel dieses Kapitels angelangt: Der durch die Firmenideologie konstruierte Gemeinsamkeits- und Gemeinschaftsmythos soll am Beispiel der Rezeption der Firmenideologie aufgeknackt werden. Eine solche Vorgehensweise steht in der Tradition der "differentiation perspective" (vgl. hierzu: MARTIN/MEYERSON 1988). Sie will kulturelle Brüche, Grenzen, Inkonsistenzen und Unterschiede porträtieren. Zwar gibt es auch hier Konsens sowie gemeinsame und geteilte 106 Bedeutungen, diese gelten jedoch vor allem innerhalb der einzelnen subkulturellen Gruppen. Den theoretischen Rahmen, den die Integrationsperspektive also für Organisationen als Ganzes anwendet, benutzt die Perspektive der Differenz für die jeweiligen Subkulturen innerhalb einer Organisation.107 Der mentale Zoo Daß sich bei der Aneignung der Firmenideologie soziale Gruppen herausbilden, wurde mir erstmals bei der Auswertung des Fragebogens deutlich. "Wenn die Firma ein Tier wäre, welches würden Sie wählen, um GT zu beschreiben? Warum?" Und: "Wenn die Firma ein/eine _________ (Ihr gewähltes Tier) ist, dann bin ich _________." Beide Fragen entstammen einem Fragebogen, der acht Sekretärinnen, zwanzig Ingenieuren und sieben Managern vorgelegt und von fast allen Sekretärinnen und Ingenieuren, jedoch nur von vier Managern beantwortet 106  Als wichtige empirische Untersuchungen, die in der Organisationskulturforschung die Unterschiede zwischen Subkulturen analysieren, wären zu nennen: die Ethnographie eines multinationalen Chemieproduzenten von NICHOLS/BEYNON (1977), VAN MAANENs (1991) Untersuchung über die "smile factory" Disneyland, YOUNGs (1989) Studie über die Beziehungen zwischen zwei Arbeiterfraktionen in einer Kleiderfirma, ROSENs (1985) Analyse des jährlichen "Breakfast at Spiro's", BARTUNEK/MOCH (1991), die die Reaktionen verschiedener Subkulturen einer Bäckerei auf die Intervention von "change agents" nachzeichnen, KUNDAs (1992) Ethnographie einer kalifornischen Computerfirma; die Arbeitsplatzuntersuchung von ROSEN/ORLIKOWSKI/SCHMAHMANN (1990), die Untersuchung von FILBY/WILLMOTT (1988) über die Instrumentalisierung der Firmenideologie durch die PR-Abteilung, und schließlich die Analyse des Neinsagens von IZRAELI/JICK (1986). 107  Hierin liegt auch die Schwäche dieser Perspektive begründet: Die einzelnen Subkulturen werden als Inseln der Eindeutigkeit konstruiert. Ambiguitäten und Widersprüche innerhalb der Subkulturen werden ausgeblendet. Dies ist der Preis, der bezahlt werden muß, um möglichst deutlich die Unterschiede zwischen den Subkulturen zu markieren. 108 wurde. Die folgende, nach Berufen geordnete Tabelle gibt die Antworten auf die zweite Frage wieder. Die Tabelle ist wie folgt zu lesen: Das Tier vor dem Gedankenstrich beschreibt die Organisation, die Angabe nach dem Gedankenstrich bezieht sich auf das Verhältnis, das die Befragten zur Organisation einnehmen. Ein Beispiel: "Wenn die Organisation eine Krake ist, dann bin ich ein kleiner Fisch." Sekretärinnen Krake - kleiner Fisch Eule - Elefant Schaf - Knochen Raubtier - unbedeutende Fliege Dino - Eichhörnchen Chamäleon - Krebs Katze - Maus Affe - kleiner Affe Ingenieure Fuchs - Kaninchen Rassehund - Sohn des Herrchens Elefant - Elefantenboy Uhrwerk - Zahnrad Leopard - irgendein kleines Tier Elefant - Maus Nilpferd - Vogel Chamäleon - Chamäleon Rudel Wildgänse - eine Wildgans Bär - Teil des Bären Katze - Katzenfutter Kuh - Knochen Delphin - Delphinbaby Elefant - Immunsystem Manager Polyp - Nerv Jaguar - kleiner Jaguar Bär - junger Bär Löwe - Teil des Löwen Es wäre sicherlich eine launige Angelegenheit, sich diesem mentalen Zoo mit Hilfe von sozialpsychologischen Methoden und Instrumentarien zu nähern. Ich möchte mich hier jedoch auf einen Aspekt beschränken und die Antworten nur selektiv auswerten. Schon ein flüchtiger Blick auf die Tabelle zeigt, daß die in den Tierkombinationen ausgedrückten Beziehungen der Befragten zu GT in den drei Gruppen sehr verschieden ausfallen. Nur zwei von acht Sekretärinnen, also nur ein Viertel, definieren sich als Teil der Firma (Schaf - Knochen; Affe - kleiner Affe). Die anderen sechs Sekretärinnen verorten sich außerhalb der Organisation (Krake kleiner Fisch; Eule - Elefant; Raubtier - unbedeutende Fliege; Dino - Eichhörnchen; Chamäleon - Krebs; Katze - Maus). In der Ingenieursspalte halten sich die integrativen (Uhrwerk - Zahnrad; Chamäleon - Chamäleon; Rudel Wildgänse - eine Wildgans; Bär - Teil des Bären; Kuh Knochen; Elefant - Immunsystem) und die trennenden Beziehungen (Fuchs - Kaninchen; Rassehund - Sohn des Herrchens; Elefant - Elefantenboy; Leopard - irgendein kleines Tier; 108  Die vier Manager gehören alle der Abteilungsleiterebene an. Die höhere Ebene, also das functional management, hat sich der Beantwortung des Fragebogens teilweise verweigert, teilweise mit dem Hinweis auf Zeitmangel entzogen. Elefant - Maus; Nilpferd - Vogel; Katze - Katzenfutter) die Waage. Bei den Managern schließlich sehen sich alle als Teil der Firma (Polyp - Nerv; Jaguar - kleiner Jaguar; Bär - junger Bär; Löwe - Teil des Löwen). Die trennenden Verhältnisse verdienen eine nähere Betrachtung. Sortiert man die Kombinationen in a.) Beziehungen, die eine strukturelle Unterlegenheit der Organisation indizieren, b.) neutrale Beziehungen und c.) Beziehungen, die auf eine strukturelle Unterlegenheit der Befragten verweisen, so sind die meisten Antwortkombinationen in der C-Gruppe anzusiedeln. Nur zweimal, beide Male bei den Ingenieuren, sind die Befragten mächtiger - und das heißt in beiden Fällen intelligenter - als die Organisation (Elefant - Elefantenboy; Rassehund - Sohn des Herrchens). Auch neutrale Beziehungen (Nilpferd - Vogel; Eule - Elefant) sind selten. Der überwiegende Anteil zeugt von einem Gefühl von struktureller Unterlegenheit gegenüber der Organisation. Diese kann sich in der harmloseren Variante in Kleinheitsphantasien ausdrücken (Raubtier - unbedeutende Fliege; Dino - Eichhörnchen; Elefant - Maus; Leopard - irgendein kleines Tier) oder sogar in existentiellen Bedrohungen: Die Katze frißt wahlweise das Katzenfutter oder die Maus, der Fuchs erlegt das Kaninchen, die Krake tötet den Fisch. Das kleine Psychospiel soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Es ist deutlich, daß die Befragten sehr unterschiedliche Positionen einnehmen und unterschiedliche Beziehungsformen zu GT entwerfen. Es ist ebenfalls deutlich, daß die Beziehungsformen in den drei Berufsgruppen sehr verschieden ausfallen. Alle Manager, die Hälfte der Ingenieure, doch nur wenige Sekretärinnen beschreiben sich als Teil der Firma. Wo sich die Befragten außerhalb der Firma verorten, dominiert bei den Sekretärinnen strukturelle Unterlegenheit gegenüber GT, während es in der Ingenieursgruppe auch zwei Beispiele von struktureller Überlegenheit gibt. Wenn die Art und Weise, in der die Organisationsmitglieder ihr Verhältnis zur Organisation konstruieren, so deutliche berufsspezifische Unterschiede offenbart, wäre zu untersuchen, ob sich auch die Aneignung der Firmenideologie entlang dieser Kategorien ordnet. Warum die Unterscheidung zwischen Berufsgruppen und nicht etwa zwischen Geschlechtern,109 Altersgruppen, divisions, Abteilungen, oder funktionalen (Forschung&Entwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb) Tätigkeiten? Ich halte die Unterschiede zwischen den Berufsgruppen für 109  Das Augenmerk auf geschlechtsspezifische Unterschiede zu richten, wird dadurch erschwert, daß Frauen bei GT überwiegend in unteren Positionen arbeiten, als Sachbearbeiterinnen oder Sekretärinnen. Nur wenige Frauen sind Ingenieurinnen, und im Management ist die Dominanz der Männer noch drastischer. Dies klingt zunächst ein wenig zynisch. Schließlich sind den Berufskulturen Geschlechterkulturen inhärent. In den Berufskulturen sind die Geschlechterkulturen bereits eingebaut. HOLTGREWE (1989) zeichnet etwa die historische Entwicklung des Sekretärinnenberufs nach. Die Tatsache, daß Frauen bei GT überwiegend als Sekretärinnen arbeiten, verweist insofern natürlich erstens auf die GT-Männerkultur, zweitens auf die Sekretärinnenkultur als einer weiblichen Subkultur, die als Reaktion auf eine strukturell männliche GT-Kultur zu verstehen ist. Dies festzustellen ist wichtig, aber wenig überraschend für eine Computerfirma. Geschlechtsspezifische Analysen, die über die Konstatierung einer strukturellen Benachteiligung von Frauen hinausgehen, sind aufgrund eben dieser Geschlechter-Berufe-Homologien jedoch problematisch. Lediglich in der Ingenieursgruppe wären solche weiterführenden Analysen möglich und fruchtbar. Hierfür habe ich aber zu wenig Quellenmaterial. besonders aussagekräftig, weil die drei Berufsgruppen mit drei hierarchischen Ebenen korrespondieren, weil sie also über unterschiedliche Machtanteile und -ressourcen verfügen. Letztlich verwende ich den Begriff Berufsgruppen als Dachbegriff, der drei soziale Kategorien enthält: erstens die berufliche Tätigkeit, zweitens verschiedene hierarchische Ebenen und drittens - zumindest bei Sekretärinnen und Managern - Geschlechterunterschiede. Zur Vorgehensweise: Zunächst werden am Beispiel von drei Untersuchungsfeldern die berufsspezifischen Rezeptionsweisen der Firmenideologie vorgestellt.110 Diese werden anschließend mit den berufsgeleiteten Interessen in Verbindung gebracht. Daraufhin wird geprüft, ob die jeweiligen Interessen auf der Handlungsebene berufsgruppenspezifische Umgangsformen und Instrumentalisierungen der Firmenideologie evozieren. Zur berufsspezifischen Wahrnehmung der Firmenideologie: drei Stichproben 1. Die drei wichtigsten Merkmale der "GT-Firmenkultur" Zunächst soll eruriert werden, inwiefern sich die Beschreibungen der "Firmenkultur" bzw. der "drei wichtigsten Merkmale der Firmenkultur" - so lautete eine Frage - zwischen den einzelnen Berufsgruppen unterscheiden. Da die Antworten sich nicht ohne Bedeutungseinbußen clustern oder kategorisieren lassen, erfolgt die Auswertung in einem analytischen Dreischritt: Erst werden in Zitatform alle vorgebrachten Merkmale der Firmenkultur schlagwortartig extrahiert und hintereinander aufgezählt.111 Anschließend werden sie in themenorientierte Antwortgruppen gebündelt. Diese Antwortgruppen werden schließlich miteinander verglichen. Die von den Sekretärinnen angeführten Merkmale: (1) daß alle gleich sind; (2) die Kommunikationsforderungen miteinander; (3) der freundschaftliche Umgang und das tolle Vertrauensverhältnis; (4) das Legère; (5) kaum Kontrolle; (6) die open-door-policy; (7) die legère Atmosphäre und der offene, unkomplizierte Umgangston; (8) die gegenseitige Hilfe; (9) die 110  An dieser Stelle sei erwähnt, daß nicht alle Interviewfragen eine Auswertung entlang von Berufsgruppen ermöglichen. Ich bin hier also sehr selektiv vorgegangen. Es wäre sicherlich interessant, diesem Problem genauer auf den Grund zu gehen, also alle Interviewfragen, die kein berufsspezifisches Antwortverhalten indizieren, denjenigen Fragen gegenüberzustellen, die eine berufsspezifische Auswertung nahelegen. 111  Teilweise haben die Befragten nur zwei Merkmale, teilweise vier oder auch fünf Merkmale genannt. Ich behandle für die Analyse alle angegebenen Merkmale gleichwertig. In der folgenden Aufzählung gibt es viele Mehrfachnennungen. Viele nennen etwa "kein Hierarchiedenken", allerdings sind die Kontextformulierungen oftmals unterschiedlich. Beispiel: (15) daß es, mit wenigen Ausnahmen, kein Hierarchiedenken gibt; (28) es soll angeblich kein Hierarchiedenken geben. Da in den beiden Zitaten recht unterschiedliche und für die Interpretation wichtige Bewertungen zum Ausdruck kommen, habe ich zunächst alle Merkmale, die genannt wurden, wiedergegeben. Anrede mit dem Vornamen; (10) die Mitarbeiter zu pflegen und zu hegen; (11) sich mit dem Vornamen ansprechen; (12) die open-door-policy; (13) die Sozialleistungen; (14) die offene Kommunikation; (15) daß es, mit wenigen Ausnahmen, kein Hierarchiedenken gibt; (16) daß versucht wird, die Mitarbeiter an allem zu beteiligen, nicht nur am Gewinn, sondern daß auch Informationen fließen; (17) daß die Mitarbeiter ein gewisses Mitbestimmungsrecht haben; (18) daß es keine geschlossenen Türen gibt; (19) die lockere Atmosphäre; (20) daß man ein bißchen lockerer miteinander umgeht; (21) die Hierarchie und das Obrigkeitsdenken sind nicht so extrem; (22) sich mit dem Vornamen ansprechen; (23) das Frühstück; (24) die Sozialleistungen; (25) die open-door-policy; (26) das Ansprechen mit Vornamen; (27) alles, was im sozialen Bereich angeboten wird: also die finanziellen Dinge und die Freizeitangebote; (28) es soll angeblich kein Hierarchiedenken geben; (29) daß einem Vertrauen entgegengebracht wird und daß man nicht kontrolliert wird; (30) daß GT versucht, viel für die Mitarbeiter zu machen, also Picknick, Feste und beerbusts. Die von den Ingenieuren und Ingenieurinnen angeführten Merkmale: (31) die Arbeitszeitregelung; (32) die Verantwortung, die dem Arbeitnehmer für seinen Bereich übertragen wird; (33) die Selbständigkeit des Einzelnen; (34) das Großraumbüro und damit verbunden die Möglichkeit, auf Vorgesetzte und Kollegen direkt zuzugehen; (35) zeitliche Flexibilisierung; (36) die Kooperation und die Teamarbeit; (37) die Beurteilung, also das Ranking; (38) das Mitarbeitergespräch; (39) die Kaffee- und Frühstückspause; (40) GT ist sehr dynamisch, in jeder Hinsicht: bei Zielsetzungen, bei Umzügen und anderen Sachen; (41) die Flexibilität; (42) die offene Kommunikation und die offene Umgebung; (43) das Großraumbüro; (44) die lockere Atmosphäre; (45) die vielen benefits für die Mitarbeiter, die Extrasachen; (46) die open-doorpolicy; (47) die Freiheit, den Job so zu machen, wie man es für richtig hält; (48) die Vermeidung von Konflikten um jeden Preis; (49) daß Individualmeinungen nicht akzeptiert werden; (50) it is based on the concept of initiative and self-motivation; (51) you are flexible in your working arrangements; (52) it's open: you can go around and easily meet people. Die von den Managern und einer Managerin angeführten Merkmale: (53) daß wir eine profitorientierte Firma sind; (54) people, also die Mitarbeiter, die sind unser wichtigstes Gut und für die müssen wir natürlich das entsprechende Umfeld schaffen; (55) die Politik der offenen Tür; (56) die Orientierung am Erfolg der Firma; (57) die Möglichkeit, Fehler zu machen: aber bitte den gleichen Fehler nur einmal; (58) Respekt vor der Andersartigkeit des anderen: hier gilt dieser Rosa-Luxemburg-Satz, daß Freiheit immer auch Freiheit des anderen heißt; (59) trust, also Zutrauen in die Person und in seine Kompetenz; (60) management by objectives; (61) das zielorientierte und erfolgsorientierte Arbeiten; (62) daß man innerhalb der allgemeinen Regeln individuelle Freiheiten hat, die einzelnen Arbeitsschritte festzulegen; (63) die Offenheit der Firma in Bezug auf ihren Status und ihre finanzielle performance, die Offenheit bei Problemen und bei Sachen, die gut laufen; (64) der Führungsstil; (65) die Werte und Ziele; (65) die open-door-policy; (66) das Vertrauen in die Mitarbeiter; (67) management by objectives; (68) daß man für die Mitarbeiter ein Umfeld schafft, damit sie ihre Arbeitsmöglichkeiten entfalten können; (69) das gegenseitige Vertrauen; (70) die offene Kommunikationsphilosophie; (71) daß die Kultur Verantwortung gibt; (72) Kreativität. Es ergeben sich folgende Gruppen: Bei den Sekretärinnen wird an erster Stelle mit sieben Nennungen (10, 13, 16, 17, 24, 27, 30) das Engagement der Firma für ihre Beschäftigten genannt, hierzu gehören auch die guten finanziellen Sozialleistungen. Es folgen die open-doorpolicy (2, 6, 12, 14, 18, 25) und das gute informelle Klima (3, 4, 7, 8, 19, 20) mit jeweils sechs Nennungen. Jeweils viermal weisen die Sekretärinnen auf die relativ geringe Bedeutung hierarchischer Strukturen (1, 15, 21, 28) und auf die Vornamensregelung (9, 11, 22, 26) hin. Dreimal erwähnen sie das Vertrauen in die Beschäftigten und die geringe Kontrolle (3, 5, 29). Auch das Frühstück (23) taucht auf als Merkmal der Firmenkultur. Bei den Ingenieuren ist das am häufigsten erwähnte Thema die Freiheit bei der Arbeitsgestaltung und die Verantwortung für den Arbeitsplatz (32, 33, 47, 50, 51, auch 49 bezieht sich hierauf, wenngleich in negierender Form). Fast ebenso oft wird die Kooperation und die offene Kommunikation genannt (36, 38, 42, 48, 52). Es folgen die open-door-policy/Großraum (34, 43, 46) und die flexible Arbeitszeit (31, 35). Je einmal verweisen sie auf die lockere Atmosphäre (44), die Sozialleistungen (45), die Kaffee- und Frühstückpause (39), die Dynamik (40) sowie die Flexibilität (41). Bei den Managern stehen zwei Themenbereiche mit jeweils vier Nennungen an erster Stelle: zum einen der Führungsstil und das management by objectives (60, 63, 64, 67), zum anderen der Respekt vor und das Vertrauen gegenüber Kollegen (58, 59, 66, 69). Knapp dahinter werden jeweils dreimal Profit- und Erfolgsorientierung (53, 56, 61) sowie die open-door-policy genannt. Die Merkmale Kreativität (72), Verantwortung geben (71), einen Fehler machen dürfen (57) sowie individuelle Freiheiten innerhalb eines vorgegebenen Rahmens (62) werden je einmal angeführt. Bereits an dieser Stelle wird klar, daß die einzelnen beruflichen Gruppen tendenziell unterschiedliche Aspekte und Themen der "GT-Firmenkultur" für wichtig erachten. So sind einige der aufgelisteten Themenbereiche nur in einer der drei Berufsgruppen verortet. Die Sekretärinnen sind die einzige Gruppe, die erstens das Merkmal Gleichheit/kein Hierarchiedenken/kein Obrigkeitsdenken und zweitens die Vornamensregelung als zentral erachten - bei den beiden anderen Gruppen taucht dies gar nicht auf. Auch der häufig geäußerte Verweis auf die "Pflege der Mitarbeiter" und auf die Sozialleistungen ist nahezu ausschließlich in dieser Gruppe zu finden. Die Ingenieure dagegen sprechen weit häufiger als die beiden anderen Gruppen von der Verantwortung für den Arbeitsplatz und von individuellen Freiheiten der Arbeitsgestaltung. Die Manager schließlich betonen als einzige Gruppe zum einen den Führungsstil, zum anderen die Profitorientierung. Einige Themen, etwa die offene Kommunikation, tauchen zwar bei allen drei Berufsgruppen auf, werden jedoch unterschiedlich bewertet und gewichtet: Während die Sekretärinnen die offene Kommunikation oftmals mit Informalität und einer lockeren Atmosphäre in Verbindung bringen, verknüpfen die Ingenieure und auch die Manager die offene Kommunikation eher mit arbeitsbezogenen Aspekten (34, 36, 52, 54, 70). Zusammengefaßt: Die Sekretärinnen heben in ihrer Beschreibung der "GT-Firmenkultur" vor allem die informellen und gleichheitindizierenden Aspekte hervor. Die Vornamensregelung bedient dabei sowohl das Thema "gutes informelles Klima" wie auch das der "Gleichheit". Für die Ingenieure ist das Thema Selbstverwirklichung in der Arbeit besonders relevant: gute Bedingungen, Verantwortung für den eigenen Bereich und hohe individuelle Freiheiten. Die Manager greifen das Ingenieurthema auf, koppeln es jedoch mit dem Interesse der Organisation, mit Profit und Erfolg. Die individuellen Freiheiten sind, wie Zitat 62 treffend beschreibt, nur innerhalb eines bestimmten Rahmens möglich. Das einzige Merkmal, dem alle drei Berufsgruppen einen hohen Stellenwert zuschreiben, ist die open-door-policy. Dieses Merkmal soll im folgenden genauer unter die Lupe genommen werden. 2. Die open-door-policy Eine gedruckte oder offiziell gültige Definition des Begriffs open-door-policy existiert nicht. Was also diese Politik der offenen Tür auszeichnet, bleibt den Beschäftigten überlassen. Im folgenden versuche ich, über die Bewertungen der open-door-policy seitens der Befragten verschiedene berufskulturell geprägte Bedeutungssysteme und Umgangsweisen aufzudecken. Wie Sekretärinnen über die open-door-policy sprechen, soll stellvertretend an zwei Zitaten veranschaulicht werden: (1) Die open-door-policy, daß man also zu seinem Chef kommen kann, mit allem, was einen positiv oder negativ berührt, man kann mit ihm reden oder er kommt an den Kaffeepott und man redet da miteinander. (2) Hier hast du wirklich offene Türen. Man kann hier im Großraumbüro irgendwelche Menschen ansprechen, ohne daß man da gleich um Entschuldigung bitten muß, wenn man eine Auskunft haben will. Guck dir mal die Firma Kriegbaum an, da ist die Chefetage also wirklich streng bewacht, sage ich mal. Bis du mal als kleines Rädchen irgendwo zum Kriegbaum durchkommst, da werden schon einige Mühlen heißlaufen. Das ist hier halt alles lockerer. In Zitat (1) wird die open-door-policy in einen Zusammenhang mit Informalität gestellt. Sie erscheint hier als eine Regel, die es den untergebenen Beschäftigten gestattet, sich auch mit persönlichen Sorgen und Nöten an ihre Vorgesetzten zu wenden. Auch der angeführte Kaffeepott ist ein Zeichen für Informalität. Zudem verweist er auf einen weiten Begriff der open-doorpolicy: Die Politik der offenen Tür beschränkt sich nicht nur auf den durch Stellwände abgeschirmten Arbeitsbereich, sondern schließt auch Gemeinschaftsbereiche wie den Flur oder den Kaffeepott mit ein. Dieser weite Begriff ist auch in Zitat (2) vorhanden. Hier ist die opendoor-policy fast schon ein Synonym für das Großraumbüro. Im Unterschied zum ersten Zitat wird die open-door-policy nicht nur mit Informalität (nicht um Entschuldigung bitten müssen), sondern auch mit Hierarchie bzw. mit fehlender Machtsymbolik assoziiert: keine Chefetage, die streng bewacht wird. Folglich muß man sich auch nicht als kleines Rädchen fühlen. Die folgende Geschichte, die eine Sekretärin auf die Frage nach der Anwendung der open-doorpolicy im Alltag erzählt, unterstreicht diese Konnotation: Klar hat man ein bißchen Hemmungen. Aber das kommt ganz auf die Person an. Beim Benno [dem derzeitigen GmbH-Chef, A.W.] habe ich keine Hemmungen. Der saß auch mal bei einem beerbust neben mir. Da bin ich zuerst ganz erschrocken. Ich war noch ganz frisch bei GT. Ich bin total erschrocken. Er setzte sich neben mich und ich wußte im ersten Moment gar nicht, was ich schwätzen sollte. Also mir war zuerst heiß und kalt. Ich dachte: Oh Gott, jetzt reiß dich zusammen, du kannst ganz normal reden. Und er hat geredet wie ein Buch. Ich dachte, das ist der Karl Müller von nebenan. Ganz normal. Das war toll. Ich kann mir vorstellen, daß ich zu ihm hinlaufe und sage: "Also Benno, da ist mir einiges aufgefallen, das mag ich überhaupt nicht. Ist das im Sinne der Firma, kann man da nichts dagegen machen?" Ich würde auch nicht mit einer Kleinigkeit zu ihm laufen. Nur wenn mir was Gravierendes auffallen würde. Wenn ich jetzt ins Sekretariat müßte und anklopfen, ich brauche einen Termin, da würde mir das Herz klopfen. Wenn ich ihn aber spontan an der Kaffeeecke sehe, dann ist die Möglichkeit doch eher gegeben. Wie sieht der alltägliche Umgang mit der open-door-policy aus? Alle Sekretärinnen geben an, daß diese Regelung gut funktioniert, jedoch selten in Anspruch genommen werden muß: Üblicherweise lassen sich alle Angelegenheiten mit den direkten Vorgesetzten besprechen. Die open-door-policy, so ist mehrfach zu hören, sei eher etwas für die Produktingenieure oder für die Produktmanager. Für einige Sekretärinnen existieren unsichtbare Türen, die den Gang an den Tisch eines Managers erschweren können. "Ob man solche Schwellenängste leicht oder schwer überwindet, hängt von der Persönlichkeit der Manager und von einem selbst ab." Der Zugang zu Vorgesetzten werde zusätzlich häufig durch deren körperliche Abwesenheit oder durch eine ausgestrahlte Unnahbarkeit erschwert: Zu seinem direkten Vorgesetzten kann man natürlich immer gehen. Die höheren Chefs sagen das auch. Das Problem ist nur: Triffst du sie überhaupt an? Im Normalfall triffst du sie nicht an, weil sie gar nicht da sind. Und wenn sie doch mal da sind, sind sie nicht alleine oder telefonieren gerade oder sind in einem meeting. Manchmal sind sie alleine und man hat dennoch das Gefühl, daß es besser ist, sie jetzt nicht zu stören. Sie sehen immer furchtbar beschäftigt aus. Ich bilde mir ein, daß ich inzwischen recht gut beurteilen kann, ob einer gestört werden will oder nicht. Während also Sekretärinnen, wenn sie nicht stören wollen, sich bei der Anwendung der opendoor-policy Kompetenzen in der manageriellen Körpersprache erwerben müssen, ist dies umgekehrt nicht der Fall. Viele Sekretärinnen beklagen sich über Störungen durch andere, weniger sensible Beschäftigte. Dahinter steht die Klage, daß ihre Tätigkeiten oftmals weit weniger geachtet würden: (1) Es gibt mehrere hier, die sehr militärisch sind. Die Art, wie die mit Sekretärinnen umgehen, finde ich einfach unverschämt. Ich kann nicht, wenn jemand am Telefon spricht, einfach unterbrechen. Manche wollen das. Sie denken: Ich bin der Chef und wenn ich komme, hast du gefälligst aufzuhören. Das gehört sich nicht. Da fehlt einfach der nötige Anstand. Ich meine, das hat was mit der Person selber zu tun, da wurde einfach in der Erziehung was versäumt. Ich laufe auch nicht zu Leuten hin, die sich grade unterhalten, wenn ich von einem von beiden was will und fang einfach an drauf loszuschwätzen, dann warte ich. (2) Mich nervt's halt, wenn so einer reingestürmt kommt, der sieht, daß ich mit meiner Chefin im Gespräch bin, daß wir sogar in der Besprechungsecke sitzen. Und der kommt reingestürmt, schneidet mir das Wort mitten im Satz ab, spricht meine Chefin an und die gibt ihm auch noch eine Antwort, anstatt daß sie zu ihm sagt: "Lieber Soundso, wir haben grade ein Gespräch, komm in einer Viertelstunde nochmal." Was manche sich erlauben können, das würde ich mir nie erlauben. Das erwarte ich dann von den Leuten auch. Also, das hat, das hat auch was mit Takt und Anstand zu tun. Während Sekretärinnen unter der open-door-policy ganz allgemein die Ansprechbarkeit von Vorgesetzten verstehen, hat der Begriff bei den Ingenieuren eine etwas andere Bedeutung: (1) Open-door-policy heißt eigentlich nichts anderers, als in einem Großraumbüro zu arbeiten. Man hat keine Einzel- oder Zweierzimmer, man muß nicht anklopfen. Es gibt auch keine Vorzimmer, durch die man sich erst durchkämpfen muß, man steht auf von seinem Arbeitsplatz und schaut, ob derjenige da ist, von dem man etwas will. Wenn ja, dann stiefelt man los. (2) Der große Vorteil der open-door-policy ist, daß man jederzeit Kollegen ansprechen kann. Daß man einfach hingehen kann und etwas fragen und nicht immer einen Termin ausmachen muß. Das fördert die Zusammenarbeit. (3) Daß man, wenn man bei dem direkten Vorgesetzten nicht mehr weiter kommt, eine Stufe höher gehen kann. Hier entfaltet der Begriff seine Bedeutung nicht in Richtung Hierarchieabbau und Informalität, sondern in Richtung informelle und daher teamorientiertere, effektivere Arbeit. Das Großraumbüro ermögliche eine einfachere Kommunikation und Kooperation. In Bezug auf Hierarchie (Zitat 3) ist die open-door-policy ein nützliches Instrument, das die Abhängigkeit vom direkten Vorgesetzten mindert. In der Praxis sehen die Ingenieure viel mehr Hürden als die Sekretärinnen. Zunächst existiere oftmals eine Schwellenangst: Sicher gibt's solche Schwellenängste, jede Menge. Bei einem direkten Kollegen natürlich nicht. Da ist es ziemlich egal, wenn einer sauer reagiert, weil man ihn stört. Das läßt einen kalt. Man stört wahrscheinlich regelmäßig Leute. Wenn ich mit dem Martin [der General Manager, A.W.] reden muß, ist das für mich immer blöd. Dann geht das Telefon bei ihm und dann ist er wieder für fünf Minuten am Telefon und dann fragt er mich wieder, was ich eigentlich wollte. Das ist unangenehm. Und ich denke, der Martin hat mit seiner persönlichen Art auch Barrieren aufgebaut. Man kann schlecht auf ihn zugehen. Er gibt einem nicht die Chance, daß man ihn kennenlernen kann. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich ihm Kleinigkeiten zumuten kann. Und dann kommt mir fast alles wie eine Kleinigkeit vor. Außerdem sitzt er hinter seiner Sekretärin versteckt. Bei einer Sekretärin macht's mir natürlich nichts aus, wenn ich sie störe. Da läßt man sich sogar gerne mal anraunzen. Da spielt man dann ja auch damit. Da geht man sogar noch grundlos vorbei. (lacht) Oftmals ziehen die Ingenieure von sich aus Grenzen: Ich würde nicht zum Chef meines Chefs gehen, sondern zu meinem Chef. Es gibt schon ein Protokoll, das man befolgen sollte. Ich habe eigentlich keinen Grund, dieses Protokoll nicht zu befolgen. In der Regel sind solche Grenzziehungen Reaktionen auf einen vom Führungspersonal gepflegten Umgangsstil. Ein Ingenieur (Zitat 1) berichtet über eine negative Erfahrung mit der open-door-policy, ein anderer (Zitat 2) zweifelt grundsätzlich die Bereitschaft des Managements an, mit Ingenieuren zu kommunizieren: (1) Wenn man wirklich ein ernsthaftes Problem hat, wenn man sich genügend Gedanken gemacht hat und das durchsetzen will und niemand konnte mir bis jetzt helfen und ich bin meinen sogenannten Dienstweg gegangen zu meinem nächsten Vorgesetzten und es reicht nicht, dann muß man meiner Meinung nach weiter gehen. Da hab ich auch ein Erlebnis (lacht): Mein Chef hat mir geraten, seinen Chef anzusprechen. Das habe ich gemacht und dann habe ich auch eine Abfuhr gekriegt: Ich solle doch erst mal mit anderen sprechen. Er hat's in einer ganz netten Form gemacht, aber unterschwellig war schon drin: Warum behelligst du mich damit? Seither bin ich vorsichtig. Ich glaube, daß sich viele Mitarbeiter zweimal überlegen, ob sie wegen jedem Mist gleich wohin rennen. (2) Viele im Management schirmen sich mit ihren Stellwänden komplett ab. Außerdem verstecken sie sich hinter ihren Sekretärinnen. Meist sind sie sowieso nicht an ihrem Arbeitsplatz. Viele würden sich lieber in der Beletage rumtreiben. Deshalb flüchten sie in teure Hotels und halten offsite-meetings ab. So wird die Beletage nach außen verlagert. Eine im Untersuchungsjahr durchgeführte Mitarbeiterbefragung ergab u.a., daß viele mit der praktischen Umsetzung der open-door-policy unzufrieden sind. So wurde im Untersuchungsbereich die "approach ability" als eines der vorrangigen Problemfelder definiert. Das Management weist dem Begriff "open-door-policy" keine klar umrissene Bedeutung zu. Einerseits wird, wie bei den Ingenieuren, auf Großraum und Kooperation verwiesen, andererseits betonen sie, ähnlich wie die Sekretärinnen, die Ansprechbarkeit des Managements "nicht nur für sachliche, sondern auch für persönliche Dinge". Nur in einem Punkt sind die Aussagen auffällig. Während die Ingenieure die Option, den eigenen Vorgesetzten zu umgehen, für ein besonderes Spezifikum der open-door-policy erachten, wird dies bei den Managern deutlich relativiert: Das ist ein anderer Teil der open-door-policy: Ich würde meinen Chef nicht übergehen. Wenn ich ein Problem hätte, würde ich das mit ihm abmachen. Ich habe das noch nie gemacht in meinem Leben und würde es auch nicht tun, wenn es nicht absolut notwendig wäre, wenn es nicht irgendwo eine Katastrophe gibt. Für viele Manager ist der Gang zum nächsthöheren Vorgesetzten nicht mit den Spielregeln vereinbar. Dieses Verständnis der open-door-policy beinhaltet eine sichtliche Reduzierung ihrer Anwendungsmöglichkeiten. Auf die Frage, ob es denn beim Gang zum Arbeitsplatz eines Managers unsichtbare Schwellen gebe, attestieren sie solche Hemmungen, führen diese jedoch entweder auf einzelne Führungspersonen (Zitat 1 und 3) oder sogar auf "die Mitarbeiter" (Zitat 1 und 2) zurück. (1) Viele haben da schon eine Schwelle. Aber das hat mehr mit Persönlichkeit zu tun, als daß es mit offizieller policy zu tun hat. Ich muß ehrlich sagen, es gibt open-doorpolicy, aber nicht jeder stimuliert das optimal. Die Leute haben ab und zu Angst. Deswegen funktioniert die Kommunikation von unten nach oben so schlecht. (2) Die Schranke gibt es, aber sie ist beim Mitarbeiter drin, die ist nicht physikalisch bestimmt. Die Schranke kann auch die Sekretärin sein. Der Mitarbeiter kommt harmlos angetröpfelt und will nach einem Termin fragen und die Sekretärin erzählt dem, wie der rumviechelt und rumhektiziert oder sie signalisiert dem Mitarbeiter durch ihr Verhalten, was er denn für ein kleines Würstchen ist, dann hat er wieder eine Schranke. (3) Es gibt Manager, die sind leichter anzufassen als andere. Fast alle befragten Manager berichten von negativen Konsequenzen der open-door-policy in Form von Störungen: (1) Dieses offene Umfeld behindert mich bei der geistigen Arbeit. (2) Auf mich selbst bezogen, muß ich sagen, man wird auch sehr leicht gestört und kann weniger effektiv und konzentriert an etwas arbeiten. (3) Das stört mich manchmal ein bißchen in dem Laden: Dieses Großraumbüro gibt doch genügend Einblicke. Man sieht doch, wenn jemand arbeitet und nicht gestört werden will. Und dann muß man einfach auch mal wegbleiben können. Und dieses Wegbleiben-Können, das müssen die Leute noch lernen. Um solche Störungen einzugrenzen, haben fast alle Manager Strategien entwickelt, die von den Ingenieuren wiederum als Abschirmung kritisiert werden: (1) Ich hab mich ein bißchen abgetrennt von der Abteilung. Ich habe früher mittendrin gesessen, aber ich konnte absolut nicht arbeiten. Und irgendwo braucht man ein bißchen Ruhe, wo man nachdenken kann oder etwas Vertrauliches aufschreiben kann. (2) Daß ich mich in unserer Abteilung hinter der Sekretärin verschanzt habe, das ist Selbstschutz. Sonst würde ich permanent quasseln. Die open-door-policy enthält also für die jeweiligen Berufsgruppen verschiedene Bedeutungen. Auch die Ansichten über ihre Anwendung differieren deutlich.112 Während die Sekretärinnen mit der open-door-policy Informalität und einen Abbau hierarchischer Strukturen verbinden, ist sie für die Ingenieure ein nützliches Instrument, das eine bessere Teamarbeit gewährleistet. Im Unterschied zu den Ingenieuren wollen die Manager die open-door-policy auf den direkten Vorgesetzten eingeschränkt wissen. Als einzige Berufsgruppe führen die Manager die für sie nachteiligen Folgen der open-door-policy ins Feld. Daß schon die open-door-policy als ein 112  Totz aller unterschiedlichen Bedeutungszuweisen vereint die Aussagen aller drei Gruppen eine Gemeinsamkeit: Beim Stichwort open-door-policy thematisieren alle permanent die zu überwindenden Grenzen. Dieses Paradox informiert vortrefflich sowohl über die Ideologiehaltigkeit der "open-door-policy" wie auch über Schwierigkeiten, die entstehen, wenn ein Begriff Realität definieren soll. Merkmal der "GT-Firmenkultur" mit unterschiedlichen Konnotationen besetzt ist und zu verschiedenen Beurteilungen führt, läßt vermuten, daß die dem viel umfassenderen Terminus "GT-way" zugeordneten Definitionen sich ebenfalls entlang der beruflichen Trennlinien zuordnen lassen. 3. Der GT-way Alle Interviewten wurden nach ihrem Verständnis des GT-way befragt. Da hier nicht alle Antworten wiedergegeben werden können, muß eine Auswahl getroffen werden: Aus jeder Berufsgruppe werden exemplarisch vier Definitionen vorgestellt. Der GT-way im Verständnis der Sekretärinnen: (1) Daß alle gleich sind. Daß das Topmanagement sich nicht abschottet und einen Stock höher ist. Daß keiner bevorzugt oder benachteiligt wird. Aber das ist Theorie. (2) Das ist alles, worüber wir bisher gesprochen haben: Daß man morgens sein Brötchen und den Kaffee umsonst bekommt, daß es keine Stempeluhren gibt, daß man sich mit dem Vornamen anspricht, daß die Mitarbeiter wichtig sind, daß es ein freundliches Klima gibt. (3) GT-way heißt, daß jeder zu seinem Boss hingehen kann und daß er und ich gleich sind, auf einer Ebene. Also GT-way heißt hauptsächlich, daß es keine Hierarchie gibt und daß er mit mir nicht wie mit einem Wurm umgehen kann, der irgendwo rumkriecht. Daß er mich respektvoll behandelt und mich nicht nieder macht, wenn ich etwas zu sagen habe. (4) Daß mehr oder weniger alle gleich sind. Management by walking around und was immer für Schlagworte sie da haben. Daß die Vorgesetzten sich für die Interessen ihrer Mitarbeiter einsetzen. Daß man nicht Angst haben muß und sich ducken muß, wenn der Chef kommt, sondern daß jeder trotzdem aufstehen und seine Meinung sagen kann, auch wenn die vielleicht nicht der Meinung des Chefs entspricht und man damit aneckt. Der GT-way sagt, daß man generell alles sagen kann und daß man deshalb nicht zu Schaden kommt. Aber das ist in Wirklichkeit nie so. Eine Definition, so scheint es, fällt niemandem schwer. Die vier Zitate zeichnen sich sogar durch eine bemerkenswerte Übereinstimmung aus: In drei Antworten (Zitat 1, 3, 4) betonen die Sekretärinnen den Gleichheitsaspekt. Dabei wird in den Zitaten (1) und (4) zwischen Ideal und Wirklichkeit unterschieden. In den Aussagen wird zumeist die symbolische Seite der Gleichheit herausgestellt: Keine Chefetage, keine bevorzugte Behandlung für Vorgesetzte, Respekt und Anerkennung aller Berufe, keine Angst vor Vorgesetzten zu haben, freie Meinungsäußerung, ohne Sanktionen zu befürchten. Diese symbolischen Gleichheitsaspekte sind Voraussetzung für das in Zitat 2 angesprochene freundliche Klima, also für Informalität. Das dritte, ebenfalls in Zitat 2 erwähnte Merkmal des GT-way ist die Verantwortung der Organisation für das Wohlergehen ihrer Mitglieder. Der GT-way im Verständnis der Ingenieure: (1) Es ist nicht ganz einfach, den zu definieren. Er ist ein Keywort in der GT-Welt. Er soll bezeichnen, wie die Mitarbeiter miteinander umgehen und wie die Manager mit den Mitarbeitern umgehen: also offen, konstruktiv, nicht intrigenmäßig, und vor allem kooperativ. Wenn Probleme entstehen, redet man gemeinsam darüber und sucht gemeinsam nach Lösungen. (2) Das sollen die zehn Gebote sein. Aber die gibt es schon lange nicht mehr. Meine Erfahrung mit dem GT-way ist weniger gut. Den benutzen viele als Ausrede dafür, daß sie nichts arbeiten. Oder sagen wir mal: daß sie ihren Anforderungen nicht mehr nachkommen. (3) Das ist eben diese offene Atmosphäre, dieses management by walking around, das ich jedoch nicht so oft sehe (lacht), die informelle Anrede. Daß man das Gefühl hat, daß die Mitarbeiter wirklich geschätzt werden, wegen der benefits. Daß man ihnen das Gefühl gibt, selbst etwas machen zu können und erfolgreich sein zu können. (4) Darunter verstehe ich das unbürokratische Anpacken einer Aufgabe, überzeugt sein von der Sache, motiviert sein. Ich habe eine Idee, an die glaube ich und die setze ich durch, egal, was um mich herum passiert. Dabei muß man stark kommunikativ wirken. Man sucht sich mit den Mitteln, die vorhanden sind, den effektivsten Weg. Das macht einen zum Kämpfer. Nicht gleich aufgeben, wenn etwas nicht klappt. Das ist die fachliche Seite. Dann gibt es den GT-way auch im persönlichen und im sozialen Bereich: einen nicht hintenrum schlecht machen. Aber das ist auch im öffentlichen Leben nicht der Stil, der sich gehört. Deswegen würde ich sagen, vielleicht versteht man unter dem GT-way all die guten Eigenschaften, die man haben sollte. Auch bei den Ingenieuren gibt es, abgesehen von Zitat 1, klare Meinungen über die Bedeutung des Begriffs. Allerdings fallen die Antworten im Vergleich zu den Sekretärinnen weniger homogen aus. Der zweite Unterschied: Hier sucht man vergeblich nach Gleichheitsäußerungen. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen wird zwar thematisiert (Zitate 1 und 3), doch ebenso wichtig ist das Verhältnis unter den Kollegen. Drittens: Im Unterschied zu den Sekretärinnen wird der GT-way bei den Ingenieuren wesentlich funktionaler wahrgenommen. Zwar ist auch hier von Informalität die Rede, allerdings dient sie einer Optimierung der Arbeitsbeziehungen. Neben einer Optimierung der Kooperation dient der GT-way noch einem anderen Zweck: der individuellen Selbstverwirklichung. Er legitimiert ein grenzenloses Dranbleiben, ein Sichdurchsetzen um jeden Preis (Zitat 4). Die in demselben Zitat getroffene Unterscheidung zwischen der fachlichen und der sozialen Seite des GT-way markiert den funktionalen Bruch: die soziale Seite wird nicht nur nicht funktionalisiert, sondern fast schon ein wenig belächelt. Auch das angesprochene Verhältnis der Organisation zu ihren Beschäftigten ist weitgehend funktional, wie Zitat 3 zeigt: Man schätzt die Beschäftigten, damit diese erfolgreich arbeiten können. Der GT-way im Verständnis der Manager: (1) Der GT-way beruht im wesentlichen auf der Führung durch Zielvereinbarung und auf Vertrauen. Einer unserer Firmengründer hat den GT-way so beschrieben, daß die Menschen im Prinzip bereit sind, gute Arbeit zu leisten. Voraussetzung hierfür ist, daß man sie a.) entsprechend behandelt und b.) gute Rahmenbedingungen schafft. So kann man es ausdrücken. Wenn die Leute sich gut behandelt fühlen, wenn man ihnen entgegenkommt und sie auch mal da oder dort ein wenig lobt, wenn man ihnen Verantwortung überträgt, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig, dann ist das GT-way. (2) Was man darunter versteht? Oje. Erst mal ist der GT-way etwas, was über Jahre sehr viel Eigenleben entwickelt hat und nie ganz schwarz auf weiß in Stein gemeißelt wurde, sondern sehr viel von der Interpretation gelebt hat. Es gibt jetzt des öfteren Poster, die darüber etwas aussagen. Es gibt auch handouts für Vorgesetzte, die das beschreiben. Und es ist vielleicht auch nicht falsch, daß es lebt, ja, daß es nicht wie die zehn Gebote in Stein gemeißelt ist, weil eben das Umfeld sich ja auch ein wenig verändert. Zum GT-way gehört auf jeden Fall der Führungsstil der Firma. Daß man diese Planungsprozesse macht bis hin zum Mitarbeitergespräch, wo der einzelne Mitarbeiter seine individuellen Ziele mit dem Vorgesetzten abstimmt. Das ist schon ein wichtiges Wort: abstimmt. Und da muß man als Vorgesetzter, und das gehört wiederum zum GT-way, dem Mitarbeiter ein gutes Umfeld schaffen. (3) Das sind die Grundwerte, die values. Was leider sehr oft damit assoziiert wird, ist die Art und Weise, wie sie gelebt werden. Und da ist es beim einen oder anderen so, daß das, was man am Anfang als Eindruck mitgekriegt hat, für einen den GTway darstellt. Und wenn sich der Umgang damit ändert, dann hast du manchmal auch das Gefühl, daß er nicht mehr da ist. So wie ich am Anfang GT-way als sehr sozial erlebt hab, als Toleranz von schlechter Leistung, könnte ich jetzt auch sagen, Mensch, der ist ja weg, denn wir sind nicht mehr so tolerant. Aber ich denk nicht, daß deshalb der GT-way weg ist. (4) Darüber kann man viele Stunden diskutieren. Der GT-way hängt viel von der Interpretation der Persönlichkeit ab. Er ist die Freiheit, die einem zur Verfügung steht als Individuum, die gesteckten Ziele zu erreichen, innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen. Dieses management by objectives heißt nämlich, das ist der Punkt auf der Landkarte, wo du lang mußt, wo du hin mußt und wie du dort hin kommst und mit wem und womit, das ist dir weitgehend selber überlassen. Der augenfälligste Unterschied im Vergleich zu den beiden anderen Berufsgruppen ist der Verweis auf die Deutbarkeit des GT-way. Diese Interpretationsmöglichkeit wird entweder positiv (Zitat 2), negativ (Zitat 3) oder neutral bewertet, teilweise sogar, wie im folgenden Interviewdialog, heftig kritisiert: "Ich weiß ja nicht, wie man Ihnen den GT-way erklärt hat." "Den hat mir bislang jeder anders erklärt." - "Also das verstehe ich nicht. Das verstehe ich wirklich nicht. Der GT-way ist genau definiert. Es gibt genügend interne Literatur, genügend viele Quellen, wo man das nachlesen kann." Trotz des Verweises auf das Bedeutungsspektrum konturieren die Manager den Begriff. Sie ordnen ihn dabei immer der Sphäre der Arbeit zu. Fast alle assoziieren mit dem GT-way den firmeneigenen Führungsstil (Zitate 1, 2, 4). Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die den Beschäftigten zur Verfügung stehende relative Freiheit zur Erledigung ihrer Arbeit. Dieses Merkmal taucht schon in der Ingenieursgruppe auf, wird bei den Managern jedoch weniger verabsolutiert. Hier ist die Freiheit nicht mehr grenzenlos, sie kann nur innerhalb eines bestimmten Rahmens gewährleistet werden. Wahrnehmung und Interesse Die Materialauswertung zeigt, daß sich die skizzierten organisationskulturellen Interpretationen und Wahrnehmungsmuster zwischen den drei Berufsgruppen relativ deutlich voneinander unterscheiden. Es liegt nun nahe, die jeweiligen (kulturellen) Deutungen mit den spezifischen (sozialen) Interessen der drei Gruppen in Verbindung zu bringen. Genauer: Die Wahrnehmungen als Produkte dieser Interessen zu begreifen. Die Ausgangsthese ist dabei, daß die jeweiligen Berufsgruppen die Firmenideologie selektiv und je spezifisch wahrnehmen und daß sie deren Aspekte und Merkmale so gewichten und interpretieren, daß die Firmenideologie entweder mit dem eigenen Selbstverständnis und der eigenen Arbeitskultur harmoniert oder gar die berufliche Positionierung zu stärken versucht. Wenn im folgenden von Sekretärinnenkultur, Ingenieurskultur und Managerkultur die Rede ist, haben diese Begriffe eine doppelte Bedeutung. Zum einen verweisen sie auf die Firmenideologie im Blick dieser drei Gruppen, zum anderen auf das jeweilige berufliche Selbstbild. Das berufliche Selbstbild wiederum ist ein Produkt der spezifischen Arbeitskulturen einerseits und der jeweils unterschiedlichen Machtpositionen andererseits. Sekretärinnenkultur Faßt man die von den Sekretärinnen genannten Merkmale und Interpretationen zusammen, so ergeben sich drei Schwerpunktthemen. Das erste Thema läßt sich wohl am ehesten mit dem Begriff der symbolischen Gleichheit umschreiben: Großraumbüros, keine Chefetage, open-doorpolicy, kein Hierarchiedenken, wenig Statussymbole, sich beim Vornamen ansprechen. Das zweite Thema heißt gutes informelles Klima: offene Kommunikation und ein unkomplizierter Umgangston, Kaffeeecke, freundliches, teilweise sogar freundschaftliches Miteinander, legèrer Umgang, tolles Vertrauensverhältnis, gegenseitige Hilfe, sich mit dem Vornamen ansprechen. Das dritte Thema schließlich heißt Engagement der Organisation für ihre Mitglieder: Sozialleistungen, Gratiskaffee, Frühstück, Freizeitangebote, Feiern, respektvolle Behandlung der Beschäftigten, Anerkennung ihrer Leistungen. Zur Erklärung und Herleitung dieser Orientierungen ist eine Kenntnis des Berufsbilds von Sekretärinnen und von ihren Tätigkeiten hilfreich. Doch was genau ist eine Sekretärin? Die Frage ist schwer zu beantworten. In der industriesoziologischen Forschungsliteratur wird sie gemeinhin mit einer Beschreibung ihrer Tätigkeiten umschifft: Nicht was sie ist, sondern was sie tut, ist Gegenstand der Betrachtung. Der Beruf Sekretärin gehört zu den wenigen Berufen, die nicht durch eine geschützte Bezeichnung definiert und abgegrenzt sind. Um die Tätigkeit der bei GT angestellten Sekretärinnen zu beschreiben, muß man zwei Aspekte hervorheben: Verwaltung und Kommunikation. Sie haben die Aufgabe, die Kommunikation zwischen der eigenen Abteilung und dem Rest der Organisation wie auch die zwischen Abteilung und Außenwelt (Kunden, Zulieferer) zu organisieren und zu erleichtern. Sie telefonieren, arrangieren Treffen, tippen, erledigen die Korrespondenz, organisieren Termine, buchen Flüge, reservieren Hotelzimmer, rechnen die Reisekosten ab, kopieren Papiere und verwalten den Bürobedarf. Das besondere Merkmal ist in erster Linie ihre persönliche Zuordnung zu einer Abteilung oder zu einem Vorgesetzten. Sie machen vor allem Zuarbeit. Ihr Aufgabengebiet ist die Entlastung eines oder mehrerer Chefs, die Übernahme und Erledigung aller Arbeiten, mit denen sich die Vorgesetzten nicht belasten können oder wollen. Zusätzlich zu diesen klaren und eindeutigen Aufgaben kommen bei allen Sekretärinnen weitere Tätigkeiten hinzu, die PINTO (1990) als Komplex von schwer formalisierbaren Tätigkeiten und PRINGLE (1988, S.24) als "intuitive" Aufgaben bezeichnet. In diesem Bereich verschwimmen die Grenzen: Was ist Teil des Jobs und was sind (weibliche) Extratätigkeiten? Sekretärinnen, so PRINGLE are reputed to be the 'ears' of their bosses, providing them with information they would not have access to, warning them about things they need to know. They are part of an informal communications system without which the formal bureaucratic structure would come grinding to a halt. (S.24) Neben diesen informativen Extraleistungen wird ihnen eine besondere Zuständigkeit für das Betriebsklima zugeschrieben. Oftmals schließt dies "emotionale Arbeit" (HOCHSCHILD 1990) ein: Sie sollen freundlich bleiben, ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Chefs mitbringen und wenn möglich, gute Ratschläge und Tips parat haben. Des weiteren werden von Sekretärinnen auch gastgeberische Eigenschaften erwartet: Sie sollen Besucher am Empfang abholen, Konferenzzimmer für meetings präparieren, Blumen gießen, Kaffee kochen und vieles mehr. Schließlich sind Sekretärinnen oftmals zuständig für private Dienstleistungen für ihre Vorgesetzten: Fahrdienste, die Erledigung von Einkäufen, der Anruf bei dessen Ehefrau, wenn es im Büro später wird. Man kennt diese Klischees. Die Sekretärinnen von GT müssen nun im Vergleich zu anderen, insbesondere zu traditionelleren Organisationen mit klassischen hierarchischen Strukturen solche intuitiven Tätigkeiten sicherlich zu einem geringeren Ausmaß übernehmen. Dennoch sind diese Dienstleistungen nicht völlig verschwunden. Inwiefern sie bei GT vorzufinden sind, ist von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich und hängt entscheidend von den Abteilungsleitern ab. Mit der Beschreibung ihrer Tätigkeiten ist die Frage, was Sekretärinnen sind, jedoch noch nicht 113 zufriedenstellend beantwortet. Zur Annäherung an diese Frage greife ich ein Zitat auf, mit dem PRINGLE ihr erstes Kapitel einleitet: I think the word 'secretary' means a girl or a woman that works for another man in the company, no matter what she does. (S.1) 113  PRINGLE nähert sich dieser Frage, indem sie Bilder und Repräsentationen von Sekretärinnen untersucht. Sie arbeitet mit "office wives", "sexy secretaries" und "career women" drei vorherrschende Bilder heraus und beschreibt die Bedeutungen, die in diesen Bildern eingelagert sind. In diesem Zitat eines älteren australischen Managers wird zwar ein sehr konventionelles Bild von Sekretärinnen gezeichnet, es ist jedoch ein Bild, das weithin akzeptiert ist und das zahlreiche Motive birgt, an denen modern denkende Sekretärinnen sich abzuarbeiten gezwungen sind. Erstens: Sekretärinnen sind Frauen, Sekretärin sein ist eine geschlechtliche Kategorie, ihre Tätigkeit wird als weiblich definiert. Zweitens: Sie arbeiten für Männer. Drittens: Ihre Arbeit wird nicht an sich definiert, sie erhält ihre Bedeutung erst durch die Beziehung zur Tätigkeit ihres Chefs. Die Beziehung zum Vorgesetzten oder zu der Abteilung ist also für das Selbstverständnis von Sekretärinnen von grundlegender Bedeutung. Die vielschichtige und oft widersprüchliche Beziehungsstruktur zwischen männlichen Vorgesetzten und weiblichen Sekretärinnen - und diese Variante ist bei GT dominant - verdichtet PRINGLE in drei Bilder: erstens die Herr-Sklave-Beziehung, zweitens die Sohn-Mutter-Beziehung und drittens die Team-Beziehung. Der dritte Diskurs, die Team-Beziehung, ist für die Sekretärinnen von GT, aber auch für andere Beschäftigte und für die Organisation insgesamt die angemessene und anzustrebende Beziehung. Die Team-Beziehung wird laut PRINGLE durch die Themen Reziprozität und Gleichheit definiert. Sie ist scheinbar geschlechtsneutral und beruht im Unterschied zu den beiden anderen Bildern nicht auf festgelegten Subjekt- und Objektpositionen. In diesem Bild arbeitet die Sekretärin nicht für den Boss, sondern mit ihm. Unterstrichen wird dies, wenn eine Sekretärin nicht nur für eine Person, sondern für mehrere Personen bzw. für eine Abteilung arbeitet, was ja bei GT der Fall ist. Eine eigene Sekretärin dürfen nur höhere Manager beanspruchen. Die Team-Beziehung ist durch Gegenseitigkeit gekennzeichnet. Für ihre Leistungen erwartet die Sekretärin die Unterstützung ihres/ihrer Vorgesetzten und seinen/ihren Schutz. Sie erwartet darüber hinaus, daß ihre Tätigkeit von den anderen entsprechend gewürdigt wird.114 Nach diesen Vorüberlegungen können die firmenkulturellen Schwerpunktthemen der Sekretärinnen mit ihren Interessen in Verbindung gebracht werden. Der Verweis auf die symbolische Gleichheit ist eine Folge von strukturellen Ungleichheiten zwischen Sekretärinnen und ihren Vorgesetzten. Solche strukturellen Ungleichheiten wie Gehalts-, Status- und Machtunterschiede werden von den Sekretärinnen zwar anerkannt, jedoch hin und wieder beklagt. In den Interviews thematisieren die Sekretärinnen solche Unzufriedenheiten mehr oder weniger offen. So wäre es etwa einer Sekretärin, die davon träumt, "gewisse Arbeiten delegieren zu können", lieber, wenn man sie "Assistent zum Manager" nennen würde. Eine andere möchte einen "Job haben, der zwischen Sekretärin und Ingenieur liegt". Viele bedauern es, "letztlich doch wenig, eigentlich keine Verantwortung" zu haben und haben "es satt, immer für die anderen in der Gegend rumzuspringen". Wenn die strukturellen Ungleichheiten so klar verteilt sind, die Arbeit jedoch in ein Klima eingebettet ist, das symbolische Gleichheit herzustellen versucht, ist es naheliegend, 114  Natürlich hat die Team-Beziehung immer einen utopischen Charakter. Angesichts der nach wie vor existenten Machtverhältnisse zwischen Chef/Mann und Sekretärin/Frau ist der Begriff "Team-Beziehung" fast schon ein wenig komisch. Zumindest ist er Ausdruck eines Widerspruchs. daß diejenigen, die unter der strukturellen Ungleicheit am meisten zu leiden haben, die symbolische Gleichheit am stärksten begrüßen und auch einfordern. Ein zweites Motiv, aus dem sich das Bedürfnis nach symbolischer Gleichheit speist, liegt in dem Selbstverständnis der GTSekretärinnen und der Abgrenzung von konkurrierenden Diskursen. Sie erwarten eine Teambeziehung, die ja gerade durch Gleichheit und Reziprozität charakterisiert ist. Wenn sie also betonen, daß "die Hierarchie- und das Obrigkeitsdenken nicht so extrem sind", distanzieren sie sich von klassischen Sekretärin-Chef-Beziehungen, in welchen der Vorgesetzte typischerweise das handelnde Subjekt und seine Sekretärin bloß dessen exekutiver Spielball ist. Das zweite Schwerpunktthema, der Verweis auf das gute informelle Klima, resultiert aus der angesprochenen besonderen Zuständigkeit von Sekretärinnen für informelle Zusatzarbeit. Erstens machen sie so auf diese zusätzlichen intuitiven Tätigkeiten aufmerksam. Zweitens, dies scheint mir noch wichtiger, rücken sie Informalität gerade deshalb in den Mittelpunkt, weil sie im informellen Bereich Einfluß haben und Macht ausüben.115 Die tatsächlichen Machtbeziehungen in Betrieben lassen sich ja nicht ausschließlich aus der hierarchischen Struktur ablesen. Erinnert sei hier etwa an die im vorigen Kapitel beschriebene Geburtstagsfeier, die vor allem in der Regie der Sekretärinnen lag. Es wäre jedoch unzureichend, die informelle Macht der Sekretärinnen nur bei Festen und Feiern zu verorten; sie gilt ebenso für die Arbeit und die Zusammenarbeit. So sind in allen Organisationen die Angestellten auf die sekretäriellen Informationskanäle angewiesen. Je höher die Position der Angestellten, desto wichtiger können solche Informationen werden. 116 Mit der Betonung der Informalität als einem zentralen firmenkulturellen Merkmal stärken die Sekretärinnen also ihre Machtposition. Allerdings bringt diese Betonung auch einen entscheidenden Nachteil mit sich. Die Betonung von Informalität birgt die Gefahr, daß auf diese Weise die intuitiven Extraleistungen zementiert und legitimiert werden. Eine kritische Problematisierung dieser Zusatztätigkeiten wird auf diese Weise erschwert. Das dritte Schwerpunktthema, das Engagement der Organisation für ihre Mitglieder, erklärt sich ebenfalls durch das auf Reziprozität beruhende Team-Verständnis. Die Tätigkeit von Sekretärinnen ist in erster Linie Zuarbeit und insofern denkbar ungeeignet für Statusgewinne. Gerade deshalb sind die Anerkennung ihrer Arbeit und der Respekt ihrer Persönlichkeit für das Selbstverständnis so enorm wichtig. Sie sind auf Beweise der Aufmerksamkeit angewiesen (vgl. PINTO 1990). Dies wird auch in den Interviews deutlich: Fast alle Sekretärinnen beklagen sich 115  Zunächst ist es wohl richtiger, für Frauen/Sekretärinnen nur eine Zuständigkeit für Informelles und Atmosphärisches zu konstatieren. Aus diesen Zuschreibungen und dieser Zuständigkeit resultiert dann eine gewisse Macht. 116  In einer ausgezeichneten Reportage von HELD (1982, S.81-89) läßt sich nachlesen, wie ein solches Informationsnetzwerk zwischen Sekretärinnen funktioniert, wie es genutzt und am Leben gehalten wird, wie kompliziert es ist, diese Klaviatur fehlerfrei zu beherrschen. Ebenfalls wird geschildert, welch hohe Bedeutung eine gute Chefsekretärin hat und wie wichtig sie für die Karriere ihres Chefs ist. darüber, im Job zu wenig Anerkennung zu bekommen. Da die Arbeit Zuarbeit ist, also nicht der individuellen Selbstverwirklichung dient, können Sekretärinnen wohl am wenigsten Anerkennung aus dem Ergebnis der geleisteten Arbeit ziehen. Sie sind auf Anerkennung angewiesen, die von außen kommt. Alle sozialen und finanziellen Leistungen, die die Organisation für ihre Mitglieder bereit hält, sei es das kostenlose Frühstück oder das firmeneigene Freizeitangebot, seien es beerbusts und andere Feiern, können als spezifische Formen von Anerkennung interpretiert werden. Je stärker die Organisation ihre Mitglieder fördert und unterstützt, desto eher empfinden die Sekretärinnen ihre Zuarbeit als gewürdigt und für wichtig erachtet.117 Ingenieurskultur Im Vergleich zu den Sekretärinnen ist die soziale Lage und die berufliche Identität von Ingenieuren weitaus besser erforscht. Trotz diverser Heterogenitäten in Bezug auf Klassen-, Funktions- und Statuszugehörigkeit kann man in einem beruflichen Sinn von den Ingenieuren als einer "sozialen Einheit" sprechen (LAATZ 1979, S.85). Für die folgende Skizzierung der beruflichen Identität von Ingenieuren beziehe ich mich vor allem auf die Ergebnisse der Berufssoziologie. Die Berufssoziologie sieht die berufliche Arbeit als "Kern sozialer Identitätsbildungsprozesse" (PAUL 1989, S.20). Laut ULLRICH (1979, S.272f.) bietet die Ingenieursarbeit im Vergleich zu den meisten anderen Angestelltentätigkeiten ein hohes Maß individueller Freiheiten. Durch ihre privilegierte Stellung können sie sich eher als Subjekt denn als Objekt des Produktionsprozesses fühlen. Dies heißt jedoch nicht, daß die Ingenieure in ihrer Tätigkeit völlig freie Hand besäßen. Die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit werden von höheren betrieblichen Instanzen festgelegt. Innerhalb dieses Rahmens, der bei GT weitgehend durch das management by objectives strukturiert wird, verfügen die Ingenieure bei der Durchführung und der zeitlichen Einteilung ihrer Aufgaben über ein beträchtliches Maß an Autonomie. Eng verbunden mit dieser Autonomie ist die Möglichkeit, Selbstwert über die Anwendung der beruflichen Qualifikationen zu gewinnen. Schließlich haben persönliche Erfahrungen von Kompetenz einen positiven Einfluß auf das Selbstwertgefühl. In der neueren berufssoziologischen Literatur steht die These von der Rationalisierung der Ingenieursarbeit im Zentrum der Debatte. Es stellt sich die Frage, inwiefern die von BAETHGE/OBERBECK (1986) konstatierten Tendenzen einer zunehmenden systemischen Rationalisierung 117  Natürlich gibt es für den besonderen Stellenwert, den die Sekretärinnen diesen Sozialleistungen zuschreiben, auch eine andere, einfachere Erklärung: Die Sekretärinnen werden, verglichen mit Ingenieuren und Managern, schlechter bezahlt. Deshalb haben sie ein größeres Interesse an solchen Sozialleistungen. Diese Erklärung basiert weniger auf einem symbolischen, denn auf einem materiellen Interesse der Sekretärinnen an den Sozialleistungen. für die Arbeitssituation von Ingenieuren zutreffend sind. Konkret: Werden durch wachsende Standardisierungen und Normierungen die Freiheiten der Ingenieure eingeschränkt? LAATZ stellt bereits 1979 (S.318) eine "Formierungstendenz des Kapitalismus" fest, die eine "wachsende formelle Subsumption der Ingenieursarbeit unter das Kapital" nach sich ziehe: "Die Chance zur selbständigen Tätigkeit wird reduziert, die Konzentration von Ingenieursarbeit in Großbetrieben verstärkt." Die Computerfirma Control Data geht sogar davon aus, daß die Ingenieure nur zu 30 Prozent ihrer Tätigkeiten kreativen Aufgaben nachgehen, während 70 Prozent der Arbeit Routinetätigkeiten seien (vgl. hierzu PAUL 1989, S.114). PAUL (1989) stellt zwar relativierend fest, daß "die Rationalisierung der Ingenieursarbeit noch in den Anfängen steckt" (S.118), kommt jedoch in seiner Studie über die Bedeutung von Arbeit und Beruf zu dem Ergebnis, daß die Ingenieure diese Rationalisierungstendenzen negativ bewerten: Zentrale berufliche Werte wie Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit bei der Aufgabenund Arbeitsgestaltung, fachliche Herausforderung und Kreativität bestimmen die Beurteilung von Arbeit und Beruf. Bei vielen Ingenieuren sind hohe Ansprüche an die Inhalte der Arbeit feststellbar, die die generelle Einstellung zu ihr prägen und die innere Bindung an die Arbeit oder die Distanz dazu bestimmen. Wird die Arbeit überwiegend als routinisierte oder bürokratisch "fachfremde" wahrgenommen, sinkt die Motivation. "Innerer Abschied" und eine distanziertere Arbeitshaltung sind die Folgen. (S.265) Bündelt man nun die Aussagen der Ingenieure und Ingenieurinnen zum GT-way, zur open-doorpolicy und zu den drei wichtigsten Merkmalen der GT-Firmenkultur, ergeben sich zwei Themenschwerpunkte: Der erste Schwerpunkt läßt sich mit dem Dachbegriff "individuelle Arbeitsgestaltung" beschreiben. Er schließt Merkmale wie Verantwortung für den eigenen Arbeitsbereich, Flexibilität, Selbständigkeit, Initiative, Eigenmotivation, Freiheit bei der Arbeitsorganisation mit ein. Diese Komponenten dienen im weitesten Sinn zur Selbstverwirklichung in der Arbeit. Daß die Ingenieure dieses Schwerpunktthema als zentral erachten, liegt zunächst an ihrem beruflichen Selbstverständnis, das ja gerade auf diesen Werten basiert. Allerdings können solche Zuschreibungen auch als Instrument einer Besitzstandswahrung gedeutet werden. Daß berufliche Freiheiten schwinden, ist den Ingenieuren bewußt und wird in den Interviews mehrfach zur Sprache gebracht und oftmals, wie im folgenden Zitat, beklagt: Von wegen Fehler machen dürfen. Das steht nur noch auf dem Plakat. Das ist ein Problem. Früher durfte man Fehler machen, mehrere auf demselben Weg. Man wurde sogar ermuntert, weiterzugehen. Man wurde ermuntert, kreativ zu sein. Heutzutage haben die Kreativen hier ein Problem. An dieser Stelle muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß das Gros der unter dem Schwerpunktthema "individuelle Arbeitsgestaltung" subsumierten Aussagen eher moderat ausfällt. Lediglich das vierte Zitat der Ingenieure über die Bedeutung des GT-way enthält ein extremes Pochen auf Selbstverwirklichung. Die moderaten Töne sind meines Erachtens auf den Arbeitsbereich der Ingenieure zurückzuführen. Die Marketingtätigkeit ist durch eine ausgeprägte Kundenorientierung gekennzeichnet. Hätte ich die Interviews etwa mit Ingenieuren in der Forschung und Entwicklung geführt, wären die Selbstverwirklichungsaspekte wohl deutlicher formuliert worden. In der Marketingabteilung existiert denn auch eine prinzipielle Kritik an den in der Forschung und Entwicklung beschäftigten Ingenieuren: Diese hätten noch ein sehr traditionelles und inzwischen antiquiertes Verständnis der Ingenieurstätigkeit. Sie seien in erster Linie darauf bedacht, ihren Spieltrieb auszuleben und seien nicht genügend bereit, ihre Kreativität den Anforderungen des Marktes anzupassen und unterzuordnen. Das zweite Schwerpunktthema läßt sich mit dem Begriff "informelle Arbeitsbeziehungen" umschreiben. Im Unterschied zu der "individuellen Arbeitsgestaltung" ist dieses Schwerpunktthema nicht ich-orientiert, sondern relational. Es betont die Teamarbeit. Hier gehören etwa das offene Klima, der informelle Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten, das Mitarbeitergespräch, das Großraumbüro. All diese, die informellen Arbeitsbeziehungen prägenden Komponenten werden oftmals instrumentell bewertet, als dienliche Funktion einer optimierten Produktivität. Folgt man den Ergebnissen der Berufssoziologie, korrespondiert auch dieses Schwerpunktthema der GT-Kultur mit den das berufliche Selbstverständnis prägenden Zuschreibungen von Ingenieuren. Die Ingenieure bei GT arbeiten in einem engen Kooperationsgeflecht, sowohl horizontal als auch vertikal. Der Betrieb ist vor allem ein sozialer Raum. Gruppenarbeiten in Form von Projektteams sind üblich und als dominante Arbeitsform institutionalisiert. Oftmals bilden sich zeitlich befristete Projekte mit Ingenieuren aus verschiedenen Abteilungen und Bereichen. In der auf einer großen Erhebung basierenden Studie von PAUL (1989) wird deutlich, daß das kollegiale Arbeiten einen wesentlichen Pfeiler der beruflichen Identität darstellt und von den meisten Ingenieuren als charakteristisch für ihre Tätigkeit betrachtet wird. Dabei wird von den Ingenieuren das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen als enorm wichtig erachtet. PAUL (S.143) stellt fest, daß die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz in der Regel sehr unproblematisch sind: Nur wenige haben Probleme mit Vorgesetzten oder Kollegen. In sich kohärente Arbeitsgruppen zeigten eine hohe Arbeitsqualität. PAUL (S.149) kommt zum Ergebnis, daß - obwohl das Leistungsprinzip in die sozialen Beziehungen eindringt und für zunehmende Konkurrenz und für strategische Beziehungsformen sorgt - die Ingenieure die große Bedeutung der kollegialen und informellen Struktur betonen. Dies ist wenig überraschend. Schließlich ist es gerade die Kenntnis und Nutzung von informellen Kooperationsstrukturen, die den Ingenieuren bei GT ihre relative Autonomie sichert. Das informelle Kollegengespräch und der offene Informationsaustausch sind der beste Schutzwall gegen die Herausbildung von Bürokratie und Formalisierung. Nur durch gute informelle Kooperationsbeziehungen können die Ingenieure ihre individuellen Ansprüche an die Arbeit realisieren. Während bei den Sekretärinnen Informalität an sich einen hohen Wert hat, denn sie ist die Kompetenz der Sekretärinnen, ist Informalität für die Ingenieure eher ein Mittel, um die erworbene professionelle Kompetenz gegen Formalismus und Routine zu verteidigen. Managerkultur Alle Beschäftigten von GT siedeln die Bewahrung und die Gewährleistung von Kultur primär im Zuständigkeitsbereich des Managements an. Kulturarbeit ist somit eingebettet in die allgemeine Managementarbeit. Diese Sichtweise schlägt sich deutlich in den manageriellen Interpretationen der "GT-Firmenkultur" nieder. Vier Grundzüge dieser Sichtweise: Erstens: Manager sind Führungspersonen und bewerten ihre Tätigkeit in erster Linie als Führungsarbeit. Wenn also die Manager, überspitzt formuliert, den GT-way mit Führungsstil gleichsetzen, ist dies eine eindeutig berufsgeleitete Sicht der Dinge. Zweitens: Die managerielle Sicht auf Kultur entspricht am ehesten den Definitionen der beiden Firmengründer. Im ersten Zitat zum GT-way stellt der Befragte sogar einen expliziten Bezug zu den Firmengründern her. Wie kann man diese strukturelle Ähnlichkeit erklären? Entweder haben die Manager im Unterschied zu den Sekretärinnen und den Ingenieuren die Ausführungen der Firmengründer am ehesten internalisiert, oder die Ähnlichkeiten resultieren aus der schlichten Tatsache, daß eben auch die Firmengründer als Manager die Kultur eines Unternehmens in erster Linie als Unternehmerkultur bzw. Führungskultur begreifen. Wahrscheinlich erklärt sich die Ähnlichkeit durch eine Kombination beider Vermutungen. Drittens: Die manageriellen Blicke auf Kultur sind durch eine Hinwendung zum Organisationsinteresse, zumindest durch eine Vermittlung zwischen Organisations- und Mitgliederinteressen charakterisiert. Als einzige Berufsgruppe bringen sie Merkmale wie Erfolgsorientierung und Streben nach Profit ins Spiel. Die Vermittlung zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern drückt sich aus in Bemerkungen wie "den Mitarbeitern ein gutes Arbeitsumfeld schaffen". Die Manager relativieren als Anwälte der Firma per GT-way die arbeitsbezogenen Freiheitsansprüche von Ingenieuren und betten sie in einen Rahmen, wie das folgende Zitat illustriert: Es hat hier in den letzten Monaten immer wieder konkrete Fälle gegeben, wo wir aufgrund einer starken Orientierung bezüglich Qualität Standardisierungen einführen mußten. Solche Prozeßverbesserungen bringen nun mal eine Formalisierung unserer Arbeit mit sich. Wir sind dazu auch gezwungen gewesen aufgrund der Maßnahmen im Zusammenhang mit ISO 9000. Das hat zu Konflikten mit Mitarbeitern geführt, die gesagt haben: Das beschränkt mich in meiner Freiheit, das ist ein Verlassen des GT-way. Das ist es natürlich nicht. Viertens: Als einzige Berufsgruppe erwähnt das Management, daß "der GT-way ein Eigenleben entwickelt hat." Das Wissen um die multiplen Bedeutungen des GT-way und die unterschiedlichen firmenkulturellen Schwerpunktsetzungen könnte nun als eine besondere kulturelle Sensibilität des Managements gedeutet werden, als ein Zeichen für die Zunahme an Selbstreflexivität bei der Führung. Meines Erachtens resultiert dieses Wissen jedoch aus der Tatsache, daß das Management als Deutungselite gezwungen ist, sich mit konkurrierenden Definitionen und Ansichten der Beschäftigten auseinanderzusetzen und auf interessengeleitete Instrumentalisierungsversuche zu reagieren: Sie müssen dann etwa den Sekretärinnen entgegenhalten, daß "die Sozialleistungen nichts mit dem GT-way zu tun haben", und den Ingenieuren, daß eine Beschränkung ihrer Freiheit nicht als kultureller Wandel, sondern als eine Folge der ISO 9000 zu betrachten ist. Sie müssen die sogenannten falschen Ansichten korrigieren, die sich in die Belegschaft eingeschlichen haben. Sie korrigieren sie, indem sie diesen "falschen" Sichtweisen ihre eigene gegenüberstellen, die jedoch, wie die ersten drei Charakteristika zeigen, ebenso ein Spiegel wie auch ein Ergebnis ihrer spezifischen Berufsgruppe sind. Instrumentalisierungsweisen Vorab eine kleine Geschichte aus der Zeit meiner Feldbeobachtungen: Üblicherweise bin ich, wie die meisten Beschäftigten, morgens gegen 8.30 Uhr gekommen und abends gegen 18 Uhr gegangen. An einem Tag habe ich jedoch schon am frühen Nachmittag, etwa gegen 15 Uhr, meine Tasche gepackt, die Jacke überzogen und den Ausgang des Großraumbüros angepeilt. Auf dem Mittelgang kam mir eine Sekretärin entgegen und fragte mich: "Sie gehen schon?" Ich bejahte. Daraufhin entgegnete sie mir mit einem etwas gefrorenen Lächeln: "Das ist aber nicht GT-way." Ich fragte sie, wie das gemeint sei und sie erklärte, ihren ersten Angriff abwiegelnd: "Sie können ja ruhig gehen. Aber normalerweise bleiben wir bis abends hier. Auch wenn wir mal nichts mehr zu tun haben." Die Sekretärin vermutete offenbar, der Grund meines vorzeitigen Weggangs resultiere in mangelnder Arbeit für mich. Sie war über mein in ihren Augen illegitimes Verhalten irritiert und verärgert. Um es zu rügen, griff sie zur Allzweckwaffe GTway. Wenn die firmenideologischen Wahrnehmungen verschiedener beruflicher Gruppen mit ihren jeweiligen beruflichen Interessen korrespondieren, liegt die Vermutung nahe, daß die Interessen nicht nur auf einer kognitiven, sondern auch auf der Handlungsebene gesichert werden. Tatsächlich gibt es zahlreiche Belege, die solche Instrumentalisierungen der Firmenideologie indizieren. So berichtet der Betriebsratsvorsitzende in einem Expertengespräch: GT ist irgendwann mal zu einem Selbstbedienungsladen verkommen. Das war leider auch in Führungsetagen so, man hatte den Eindruck, daß die Leute nur noch für sich arbeiten und die Dinge nur für sich an Land ziehen, egal ob das jetzt der Firma wehtut oder nicht. Und das sehen natürlich die Mitarbeiter auch und die machen's dann genauso. Das ist Gottseidank jetzt wieder besser geworden, durch ein paar personelle Entscheidungen. Was die Mitarbeiter wünschen, ist immer noch dieser GT-way, diese Firmenkultur, die möchten wir schon beibehalten. Und dann versucht doch jeder, der einigermaßen vernünftig denkt, das auch wieder dort hin zu kriegen. Und bei den Mitarbeitern hört man sehr häufig, wenn was nicht so läuft, dann melden sie sich und sagen: "Hey, das ist aber nicht GTway!" Daß der Betriebsratsvorsitzende so redet, als ob er die Arbeitgeberseite und nicht die Arbeitnehmerseite vertritt, ist ein anderer Aspekt. Seine Klage über die "Selbstbedienung" macht ihn gerade in seiner Funktion als BR-Vorsitzender zu einem besonders glaubwürdigen Informanten. Ein zweites Indiz für belegschaftliche Inanspruchnahmen der Firmenideologie liefert ein Topmanager. Er berichtet auf die Frage nach "Veränderungen in der Firmenkultur" ein Erlebnis, das ihm vor etwa zwanzig Jahren wiederfuhr, zu Beginn seiner Zeit bei GT. Nachdem er aus seinem zweiwöchigem Urlaub kam, war sein Schreibtisch nicht mehr da: Er war einfach weg. Mein Aufgabengebiet hatte gewechselt, ohne daß man mich informiert hatte, ohne daß jemand bei meinem Erscheinen mich abgefangen und mich vorgewarnt hätte: Ein zufällig vorbeilaufender Kollege - es gab eine Freifläche, wo vorher mein Schreibtisch stand - sagte auf meine Frage hin ganz lapidar: "Ja, wir haben dieses Gebiet nicht mehr. Ich glaube, du sollst jetzt was anderes machen." Das war aus meiner Sicht mit dem GT-way nicht vereinbar. Etwas Gleiches heute von mir, als Vorgesetzter veranlaßt, würde wahrscheinlich zu einem Tumult führen. Die Mitarbeiter heute sind viel offener und viel freier, als sie es vor 20 Jahren waren. Die würden sich so etwas nicht mehr bieten lassen. Vereinzelt, dies ist ein weiterer Beleg, ist in den mit Managern geführten Interviews davon die Rede, daß "der GT-way mißbraucht wird", daß er "leider häufig falsch verstanden wird" oder daß "die Firmenkultur gefährdet ist durch überzogene Forderungen von Mitarbeitern". Schon die Analyse der Firmenzeitung - das Topmanagement muß seit einigen Jahren gegen ein sogenanntes falsches Verständnis des GT-way anschreiben (vgl. hierzu Kap. ?????) - führte zu der inzwischen bestätigten Vermutung, daß die Belegschaft der Deutungselite nicht ohnmächtig gegenübersteht, sondern selbst die Ideologie zur Wahrung und Legitimierung ihrer Interessen heranzieht. Lassen sich nun solche belegschaftlichen Umgangsweisen mit Firmenideologie ebenfalls spezifischen Berufsgruppen zuordnen? Dies ist anzunehmen. Allerdings liefern die Feldbeobachtungen und Interviews nicht genügend Quellen, um die aktive Indienstnahme der Ideologie durch die Beschäftigten entlang der beruflich-hierarchischen Linien zuzuordnen. Für ein solches Vorhaben wären mehr Beispiele erforderlich. Dennoch lassen sich einige vorsichtige Aussagen machen. Die erste Aussage hierzu stammt vom Betriebsratsvorsitzenden. Seiner Ansicht nach fordern die Beschäftigten den "GT-way vor allem bei personellen Dingen ein: Wenn es um das Mitarbeitergespräch geht oder um Versetzungen. Und wenn es um Zielvereinbarungen geht." Die im Zitat angeführten Beispiele zeigen, daß der GT-way nicht zwischen zwei positionell gleichgestellten Beschäftigten verhandelt wird, sondern zwischen Beschäftigten auf verschiedenen hierarchischen Ebenen. Und noch wichtiger: Er wird von dem der unteren Ebene Angehörenden ins Feld geführt. Die Einschätzung des Betriebsratsvorsitzenden deckt sich mit meinen Beobachtungen. Natürlich benutzt auch das Management den GT-way. Es benutzt ihn häufig und übt mit ihm - dies zeigte bereits die Textanalyse der Firmenzeitschrift "puls" normative Kontrolle aus. Doch bleibt er in den Händen des Managements eher unspezifisch und allgemein. Er wird nicht zur Geißelung konkreter Situationen, Prozesse oder Personen herangezogen. Wenn das Management sich zur Kritik an konkreten Zuständen oder an einzelnen Beschäftigten gezwungen sieht, ist es auf den GT-way als Argumentationshilfe nicht angewiesen. So können die befragten Manager in den Interviews auch kaum konkrete Verstöße gegen den GT-way schildern. Sekretärinnen und Ingenieure hingegen haben weniger Schwierigkeiten, sich an konkrete Verstöße zu erinnern. Oftmals sind solche Verstöße informeller Art und betreffen den zwischenmenschlichen Umgang. Einige Sekretärinnen beklagen sich etwa über mangelnde Beachtung durch Manager: Diese würden "im Gang durch einen durchrennen", nicht grüßen und würden "von Mitarbeitern, die jahrelang fünf Meter entfernt sitzen, nicht mal den Vornamen kennen." Besonders empfindlich reagieren die Beschäftigten auf nicht ernst gemeinte Demonstrationen des GT-way. Hierzu zwei Beispiele: In einem alle zwei Wochen stattfindenden Abteilungsmeeting bittet der Abteilungschef alle um eine kurze Schilderung zum gegenwärtigen Stand ihrer Tätigkeiten. Jeder der anwesenden Ingenieure redet etwa fünf Minuten. Am Ende wendet sich der Abteilungschef an die Sekretärin: "Monika, was hast du uns zu berichten?" Monika, ganz offensichlich konsterniert über das plötzliche Interesse an ihr, windet sich aus der Situation mit den Worten: "Meine Aktivitäten hängen ja stark von euren ab. Wenn ihr zufrieden seid, bin ich es auch. Ansonsten versuche ich, so gut wie möglich meine üblichen Dienstleistungen zu machen." Nach dem meeting kommt Monika auf mich zu und schimpft über ihren Chef: "Der hat mich vorhin doch nur aus Höflichkeit gefragt. Das war ganz deutlich. Er interessiert sich doch nicht wirklich für das, was ich gemacht habe." Eine ganz ähnliche Qualität an Pro-Forma-Aufmerksamkeit für die Beschäftigten haben nach Ansicht vieler Ingenieure die Rundgänge durch das Großraumbüro von Topmanagern, die in der südwestdeutschen Niederlassung zu Besuch sind. Dieses Ritual wurde von einem der Firmengründer eingeführt, um sich über die Entwicklungen und den Stand der Arbeiten zu informieren: "Er", so ein Ingenieur über den Firmengründer, "hatte ja wirklich ein Interesse an unseren Arbeiten. Das ist heute nicht mehr so. Wenn jetzt hoher Besuch aus USA kommt, dann machen sie nur ihre Runde, um GT-way zu demonstrieren. Eine reine AlibiVeranstaltung." Beide Beispiele zeigen deutlich, daß die Auseinandersetzungen um den GT-way hochgradig aufgeladen sind. Es genügt nicht, die Form zu wahren und alte Traditionen ohne Engagement und Überzeugung weiterzupflegen. Die Beschäftigten lassen sich nichts vormachen. Die Tatsache, daß der GT-way zur Kritik an Personen, Situationen, Maßnahmen oder Strukturen in Dienst genommen wird, gibt noch keine Auskunft über die Wirksamkeit des GT-way als argumentatives Werkzeug der Kritik. Alle Beispiele, dies ist sicherlich wenig überraschend, lassen darauf schließen, daß der Hinweis auf eine Verletzung des GT-way die Erfolgsaussichten von Kritik nicht wesentlich verbessert. Hierzu sei abschließend noch eine Geschichte angeführt. In der medical division kommt es immer wieder zu kleinen oder grösseren Umorganisationen: Abteilungen werden neu zusammengesetzt und Arbeitsfelder für die Beschäftigten redefiniert. Bei solchen Umorganisationen wird oft auch das hierarchische Gefüge zu einem gewissen Grad verändert. Eine solche Umorganisation wurde wenige Wochen vor meiner teilnehmenden Beobachtung bekanntgegeben. Diejenigen Beschäftigten, die von der Umorganisation besonders betroffen waren, kritisierten, daß das Management die Belegschaft erst sehr spät über die geplanten Veränderungen informiert habe. Eine Sekretärin erzählt: Dem Jochen [einem functional manager, A.W.] habe ich auf einem offsite-meeting meine Meinung gesagt: "Ihr braucht nicht glauben, daß ihr uns verarschen könnt. Ihr sagt ständig, die Mitarbeiter sind unser höchstes Gut, aber ihr handelt anders. Wir wurden erst in letzter Minute von den Veränderungen informiert. Buchstäb- lich in letzter Minute. Das hätte man auch anders machen können." Der Jochen hat mich dann gefragt, ob er das seinem Chef, dem Martin, sagen soll. Ich habe sehr gezögert, weil ich weiß, daß der Martin nachtragend sein kann. Aber ich habe mir gedacht, ich habe nichts zu verlieren und ihm gesagt, daß er das ruhig machen kann. Einige Tage später ist der Jochen wieder auf mich zugekommen und hat mir gesagt, daß der Martin meinen Ärger sehr gut verstehen könne, aber die Umorganisation hätte sich nicht anders machen lassen. Wenn ich noch weitere Fragen hätte, dann könne ich gerne auf ihn zukommen. Das habe ich natürlich nicht gemacht. Wer bin ich denn, daß ich auf ihn zugehe? Ich will doch nichts von ihm. Wenn ihn meine Kritik wirklich interessiert, dann soll er auf mich zukommen. Aber die interessiert ihn eben nicht. Dieses Beispiel informiert über die Gesprächsstrukturen und über die Inanspruchnahme der open-door-policy im Arbeitsalltag. Die Sekretärin - die übrigens von vielen ihrer Kollegen als eine "sehr mutige Person" bezeichnet wird, die "ihre Meinung nie hinter dem Berg hält" - hat Einwände, richtet diese jedoch nicht an den Manager, der für die Umorganisation die Verantwortung trägt. Die Kommunikation zwischen der Sekretärin als Kritikerin einer Entscheidung und dem Adressaten der Kritik verläuft über eine vermittelnde dritte Person. Sehr wahrscheinlich hat der Vermittler die Kritik sprachlich und inhaltlich geglättet. Er hat wohl nicht weitergegeben, daß sich einige "verarscht" fühlen, sondern moderatere Worte gefunden. Die geglättete Version verpufft schließlich beim Adressaten, der mit wenig Aufwand und klassischen Abwehrstrategien - der Ärger ist verständlich, doch es gab keine Alternative zu der gewählten Vorgehensweise, für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung - eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Kritikerin umgeht. Damit ist das Thema erledigt. Doch allzu negativ sollte das Bild nicht gezeichnet werden. Die Indienstnahme der Firmenideologie seitens der weniger mächtigen Beschäftigten stärkt zwar nicht ihre Position, jedoch ermöglicht sie ihnen wenigstens, ihre Unzufriedenheit so zu artikulieren, daß diese zumindest legitim und berechtigt erscheint. Dieser Umstand darf nicht als völlig belanglos abgetan werden. Für die Beschäftigten ist die Formulierung von Kritik mit dem GT-way im Rücken zwar nicht macht- und wirkungsvoller, immerhin ist sie risikoloser und somit leichter. 2. Individuelle Grenzziehungen zur Organisation Ich habe irgendwann mal gemerkt, eigentlich bestehe ich nur aus GT. Und verdiene dafür echt zu wenig, das stand in keinem Verhältnis mehr. Ich habe mir auch privat viel Gedanken gemacht und mich reingesteigert, wie jemand, der Firma und Privates nicht trennen kann. Das war alles nur noch Frust. Ich bin dann für vier Wochen in Urlaub gegangen. Nach den ersten zwei Wochen habe ich gemerkt, daß ich überhaupt nicht abschalten kann. Ich habe ständig geträumt, weil ich in einer Hektik aus der Firma raus bin und viele Sachen nicht fertiggekriegt habe, und ich hatte ein absolut ungutes Gefühl. Ich habe also mit ein paar Freunden eine Segeltour gemacht und nach vier Wochen war die aus. Das war ziemlich lang. Und weißt du, das war echt super, in Griechenland und der Türkei, nur auf dem Segelboot. Das war die totale Freiheit. Ich war damals 25 oder 26 Jahre alt. Ich dachte, Mensch, eigentlich könntest du jetzt hier bleiben. Jetzt heuer ich hier irgendwo an. Als Schiffsfrau, koche hier den Sommer über und im Winter wird sich dann schon was finden. Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf GT. Es schnürte mich total zusammen, wenn ich nur an die Firma gedacht habe. Ich dachte, das überlebe ich einfach nicht. Ich kann hier nicht wieder reingehen und ganz normal weiterarbeiten. Allein schon der Gedanke war für mich absolut unerträglich. Diese Tretmühle und dieser Zwang und diese Kontrolle, es war ganz arg schlimm, weil wir in dem totalen Drill drin waren. Du hattest das Gefühl, wenn du auf's Klo gehst, ist irgendwo eine Lichtschranke, die das kontrolliert und irgendwann kommt mal eine Liste raus. Auf der ist ausgedruckt: Marion Müller ist heute dreimal auf's Klo gegangen und die daneben bloß zweimal. Am Ende der vier Wochen habe ich einfach bei GT angerufen und gesagt, ich kann noch nicht wieder kommen. Ich bin noch eine Woche länger geblieben. In der Woche habe ich ein schlechtes Gewissen gehabt: Au Scheiße, das war wohl doch nicht so gut. Dennoch habe ich mir überlegt, nicht mehr zurückzugehen und noch eine Weile zu bleiben. Das hätte natürlich unweigerlich eine Kündigung zur Folge gehabt. Als ich nach der Woche wiedergekommen bin: Jetzt bist du wieder in Deutschland, in diesem ganz normalen Verwaltungsstaat und in diesen ganzen Bürokratien. Schon allein, als ich wieder auf dem Flugplatz war, dachte ich, mein Gott, wie bist du denn auf die Idee gekommen, dich dem entziehen zu können. Keine Chance. Du mußt entweder ganz wegbleiben oder du mußt dich wieder ganz normal anpassen und unterordnen. Ich habe auch überlegt, was ich ohne meinen Job hätte machen wollen. Ich wollte ja nicht kündigen. Es war einfach eine Reaktion auf den ganzen Frust, den ich hatte. Dann hat mich gleich eine Freundin angerufen und gesagt: "Du hast totale Scheiße gebaut. Hier ging nur das Theater ab." Und das war auch echt brutal. Da kam dann gleich so ein Typ, für den ich gearbeitet habe, der aber nicht mein Chef war. Der ist dann gleich zu unserem Oberboss gegangen und wollte, daß ich eine Abmahnung kriege. Sie haben mich nicht abgemahnt, aber als Strafe wurde in der Personalakte für ein halbes Jahr ein Schriftstück hinterlegt. Aber nicht mal dieses Schriftstück war so brutal, sondern die Stimmung, die mir entgegengebracht wurde. Es ging mir total dreckig. Ich wurde richtig bestraft. Das war ein richtiger Psychoterror. Keiner hat zu mir gesagt: "Mensch, reg dich nicht auf, so schlimm war es auch nicht." Ich wurde von meinem ganzen Umfeld, von meiner ganzen Abteilung, von allen Kollegen geschnitten. Es war wie ein kalter Krieg. Ich hätte eigentlich von meinem Gefühl her sofort kündigen müssen, weil das so unerträglich war. Das war eigentlich so die schlimmste Zeit, die ich bei GT hatte. Auch Kolleginnen, die eigentlich Freundinnen von mir waren, waren sauer auf mich und haben gesagt: "Wie kannst du nur, wir schuften hier wie die Blöden. Und du bist sowieso schon im Urlaub. Und bleibst einfach eine Woche länger weg. Das geht doch nicht. Wie kann man nur so flatterhaft sein und so wenig pflichtbewußt!" Erst war ich ganz locker, ich dachte: "Mein Gott, was soll denn der ganze Scheiß? Bin ich hier im falschen Film, oder was?" Und dann plötzlich, während alle so auf dich einhämmern, wird dir bewußt, wie schlimm das eigentlich war. Nach zwei, drei Tagen war es für die anderen wieder erledigt. Niemand hat mehr daran gedacht. Dann war es aber für mich schlimm, ich habe mich dermaßen selber fertiggemacht. Wie konnte ich nur auf die Idee kommen? Ich bin fast in Tränen ausgebrochen. Wie konnte ich sowas nur machen? Wie konnte ich nur so leichtfertig mein Ansehen und meinen Job auf's Spiel setzen? Inzwischen denke ich, das war es überhaupt nicht wert. Das war echt blöd. Das sehe ich auch vollkommen ein. Ich war auch dumm. Ich hätte einfach zwei Tage später anrufen können: Mir ist ein Unfall passiert auf dem Weg zum Flughafen. Ich hätte einfach nur lügen müssen, einfach nur lügen. Und ich war so doof und habe nicht gelogen, habe die Wahrheit gesagt, es sei mir einfach nicht möglich, zurückzukommen. Nachher ging es dann nicht mehr. Ich habe den Job gewechselt und zufällig gleich einen neuen gekriegt, als Sekretärin in einem anderen Bereich. Statt dem Weitwinkel nehme ich jetzt das Teleobjektiv zu Hilfe. Der Blick auf Belegschaftskultur ist nicht mehr makroskopisch und nach sozialen Gruppen differenzierend, sondern mikrospopisch auf die einzelnen Angestellten und deren Handlungsoptionen gerichtet. In diesem Kapitel, das durch graduale Differenzen charakterisiert ist, suche ich nach individuellen Grenzziehungen zur Organisation. Die obige Geschichte ist sicher nicht GT-spezifisch. Im Gegenteil kann man sich nur schwer ein wirtschaftliches Unternehmen vorstellen, zu dem sie nicht paßte. In der in einem Schwung erzählten Geschichte - man spürt, wie die Erzählerin auch Jahre später sich an die Situation mit einer enormen emotionalen Intensität erinnert - wird vor allem ein deutlicher Interessenunterschied zwischen der Organisation und einer Angestellten thematisiert. Die Entscheidung der Erzählerin, ihren Urlaub um eine Woche zu verlängern, ist eindeutig gegen die Firma gerichtet. Die Firma nimmt diese Grenzüberschreitung nicht einfach hin, sondern antwortet formal mit einer Bestrafung in Form eines Eintrags in der Personalakte und informell mit einer Bestrafung in Form von Psychoterror. 118 118  Die erzählte Geschichte ist für GT, gemessen an seiner Firmenideologie, fast ein wenig befremdlich. Die Sekretärin hat mit ihrer Grenzüberschreitung die Idylle des Firmenkultur-Plakats zum Kippen gebracht. Sowohl die Firma wie die involvierten Kollegen antworten auf die Regelverletzung mit sehr traditionellen und konventionellen Sanktionen. Der psychologische Konflikt, dem die Erzählerin ausgesetzt war, betrifft alle, die Arbeitskraft gegen Geld eintauschen. Es geht um zwei Prinzipien, die aneinander zerren: Zum einen das Bemühen, eine gute Arbeit zu machen, Loyalität gegenüber der Firma zu bekunden, von der Firma und Kollegen anerkannt zu werden, die eigene Position innerhalb der Firma zu verbessern und ein möglichst hohes Lohnniveau zu erreichen. Zum anderen die Suche nach einem zufriedenstellenden Privatleben, Raum und Zeit für Familie, Liebesbeziehungen, Freundschaften und Interessen, die nicht in der Lohnarbeit aufgehen. Hierzu gehört auch die Angst, wie einer der Befragten formuliert, "von der Firma verschluckt zu werden". Mit welchem theoretischen Konzept und mit welchen Begrifflichkeiten läßt sich dieser Konflikt darstellen? Zunächst einmal thematisiert der Konflikt die Dichotomie zweier Teile einer Persönlichkeit. Man könnte etwa sagen, es geht um den Konflikt zwischen dem Firmenmenschen und dem Privatmenschen. Nun findet dieses Begriffspaar sicherlich keine Entsprechung in der Realität. Beide Begriffe sind eher als idealtypische Kategorien zu lesen. Zudem sind sie kaum präzise zu definieren: Mit dem Terminus Firmenmensch ließe sich die Hingabe eines Beschäftigten an die Firma umschreiben, der Privatmensch steht umgekehrt für die Hingabe an ein Leben außerhalb und jenseits der Firma. Ich verwende die beiden Begriffe daher in einem umgangssprachlichen Sinn. In der Organisationssoziologie erfährt der Rollenbegriff fast schon eine Renaissance.119 Ich halte für das folgende Vorhaben den Rollenbegriff für problematisch 120 und werde vorrangig mit dem 119  KUNDA (1992) verwendet ihn in seiner Ethnographie eines Silicon Valley Computerconzerns zur Ausleuchtung des Verhältnisses zwischen Individuum und Organisation und bezieht sich dabei auf GOFFMAN (1973) und dessen Unterscheidung zwischen Rollenumarmung bzw. Rollenidentifikation und Rollendistanz bei Mitgliedern einer Organisation. Die von VAN MAANEN (1979) und KUNDA (1992) verwendete Unterscheidung zwischen der "Mitgliedsrolle" bzw. der "beruflichen Maske" einerseits und dem "anderen Selbst" bzw. der "wirklichen Person" ist zwar auf den ersten Blick interessant, weil sie, ähnlich wie die Unterscheidung zwischen Firmenmensch und Privatmensch, eine analytische Trennung bewirkt und insofern den Blick für das hier zu behandelnde Problemfeld schärft. Auf den zweiten Blick begibt man sich meines Erachtens mit solchen Begrifflichkeiten auf einen theoretischen Irrweg: Die Begriffe "Mitgliedsrolle" und "wirkliche Person" gaukeln eine subjektive Zweiteilung vor, die in Wirklichkeit so nicht vorzufinden ist. Es entsteht der Eindruck, als seien die Mitgliedsrolle und die wirkliche Person zwei voneinander unabhängige und autonome Existenzen, als könne man sich, um ein Beispiel zu geben, im Beruf/in der Firma über Jahre hinweg auf eine Art und Weise verhalten, die mit der "eigentlichen Persönlichkeit" nichts zu tun hat. Daß dies ein Fehlschluß ist, kann man in ROTTENBURGs (1992) sehr schönem Aufsatz über die Identitätsprobleme von ostdeutschen Beschäftigten nach der Wende nachlesen. Er zeigt, daß die Vorstellung vieler ostdeutscher Beschäftigten, es gäbe eine wahrhafte Ich-Identität hinter bzw. unabhängig von den sozialen Rollen, nicht mehr als eine fromme Hoffnung ist. 120  Der Rollenbegriff würde zwar zu den Problemen und Fragestellungen des Kapitels gut passen, hat jedoch einige dem Begriff inhärente Schwächen. Er ist, m.E. zu Recht, in den 70er Jahren mit Kritik geradezu überschüttet worden. An dieser Stelle seien nur zwei Einwände genannt: Erstens vereinigt sich im Rollenbegriff eine unauflösbare Paradoxie: "Einerseits ist er erst möglich, wenn das Handeln vom Zwang unmittelbarer Herrschaftsverhältnisse frei geworden ist und die Selbstverständlichkeit traditionaler Handlungslegitimationen erschüttert; andererseits hat er in dem durch Tabu und Tradition eingegrenzten und gesteuerten Handeln sein Vorbild" (FURTH 1971, S.501f). Zweitens impliziert der Rollenbegriff, insbesondere in der GOFFMANschen Metaphorik, eine Gleichsetzung vom Leben mit einem Schauspiel, von Handeln in Organisationen mit einem Begriff der Grenzen arbeiten. Im Unterschied zu Rolle weist der Begriff der Grenzziehung den Beschäftigten einen weit aktiveren Part zu. Zweitens hat er den Vorteil, weniger ganzheitlich daherzukommen. Nicht wer eine/r ist, steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern was eine/r macht. Der Grenzbegriff beschreibt keinen statischen Zustand, sondern eine dynamische Handlung. Der größte Vorteil des Begriffs Grenze gegenüber Rolle oder Identität liegt jedoch darin, daß er die zwar einerseits richtige, andererseits nur halbrichtige Dichotomie zwischen dem Firmen- und dem Privatmenschen wieder aufzulösen vermag. Der Begriff der Grenzziehung erlaubt also nicht nur die Frage, wie die Beschäftigten die Arbeits- von der Privatsphäre trennen und wo die einzelnen Grenzziehungen verlaufen, sondern kann sich auch Mischungsverhältnissen und komplexeren Konstellationen zuwenden: Bis zu welchem Grad lassen etwa die Beschäftigten ein Ineinanderfließen beider Sphären zu, wie stark aktivieren sie beispielsweise den Privatmenschen im Laufe eines gewöhnlichen Arbeitstages? Und umgekehrt: Wie stark lassen sie die Arbeit bzw. die Firma in das Privatleben eindringen? Welche Erwartungen hat nun die Firma GT hinsichtlich solcher Grenzziehungen an ihre Beschäftigten? Laut GOFFMAN (1973, S.177) liegt den sozialen Arrangements einer Organisation "eine sehr umfassende Konzeption des Mitglieds zugrunde - und nicht nur in seiner Eigenschaft als Mitglied, sondern vielmehr in seiner Eigenschaft als Mensch." Wenn diese Beobachtung für alle formalen Organisationen gilt, so ist sie für GT besonders zutreffend. Für ein genaueres Verständnis der Konzeption des Mitglieds bei GT sind die Überlegungen von ROTTENBURG (1992) sehr hilfreich. Er beschäftigt sich mit dem Problem der Vermittlung zwischen den Interessen der Individuen und denen der Organisation und skizziert hierfür drei Modelle. In dem ersten Modell "sollen die Mitglieder dazu gebracht werden, ganz in ihrer Mitgliedsrolle aufzugehen und sich mit den Zielen der Organisation und den darauf zweckorientiert ausgerichteten Mitteln zu identifizieren." Das zweite Modell ist gekennzeichnet durch "starke Trennwände zwischen Berufs- und Privatleben" (S.243). Das erste Modell, er bezeichnet es als "integriertes Modell", wurde in den sozialistischen Gesellschaften angestrebt, das zweite, das "segregierte Modell", gilt als Idealtyp eines kapitalistisch geführten Unternehmens. Tatsächlich kommt laut ROTTENBURG in den westlichen Gesellschaften zumeist ein drittes, das "balancierende Modell", zur Anwendung. Es vereinigt Elemente der beiden anderen Modelle und weist den Mitgliedern "eine Rolle zu, die Identifikation und Distanzierung in einer charakteristischen Weise verknüpft." (S.259) Das balancierende Modell führe zu einem ständigen Ringen um Lösungen, "wobei Nutzorientierungen, Gemeinschaftssinn, Macht und kulturelle Grundannahmen mit ins Spiel kommen und ihren jeweiligen Kern gegen die anderen Orientierungen verteidigen. Nun kann bei diesem Ringen eine Art Allianz zwischen Gemeinschaftshandeln und Wirtschaftshandeln versucht werden. Aus der Perspektive des Gemeinschaftshandelns wird nach einer Chance gesucht, das Unternehmen als Ort zu gestalten, wo sich die Mitglieder als ganze Menschen in Solidarität zueinander entfalten können. Dieses Theaterstück. Daß die alltäglichen Mühen von Beschäftigten in abhängigen Verhältnissen nur sehr begrenzt mit einem Theaterstück zu vergleichen sind, ist sehr schön bei HOFMANN (1973) nachzulesen. Bestreben kann von der Logik der reinen Nutzorientierung strategisch aufgegriffen werden, indem man die Perspektive umdreht: die Vorstellungen der Mitarbeiter sollen nicht das Unternehmen prägen, sondern die Erfordernisse des Unternehmens formen die Vorstellungen der Mitarbeiter; zweifellos wird dieser radikale Unterschied möglichst kaschiert." (S.260) Es ist eben diese, das Gemeinschaftshandeln und das Wirtschaftshandeln in Einklang bringende Variante des balancierenden Modells, das der GT-Ideologie geradezu vorzüglich entspricht. Es nähert sich dem integrierten Modell an und kann zugleich die Gefahren sowohl des integrierten wie auch des segregierten Modells bannen: Die Beschäftigten bei GT dürfen und vor allem sollen als ganze Menschen handeln und dennoch die Interessen der Firma wahren, die ja auch ihre eigenen sind. Die GT-Ideologie will keine bedingungslose Loyalität, keine totale Ergebenheit der Beschäftigten. Sie räumt durchaus ein, daß die Beschäftigten nicht nur Mitglieder bzw. Firmenmenschen, sondern auch Menschen sind. Sie fordert die Beschäftigten dazu auf, "beim täglichen Betreten der Firma ihre Einstellungen und Meinungen" nicht "beim Pförtner ab(zu)geben und nach Arbeitsschluß wieder ab(zu)holen" ("puls"-Sonderausgabe, 5/1995, S.2). Sie will den "durchgängigen Menschen" ("puls2-Sonderausgabe 5/1985, S.2), Ziel ist es, "den ganzen Tag derselbe Mensch (zu) sein (...). Den Arbeitsplatz kann man da nicht ausklammern" ("puls" 3/85, S.2). Mit der Konstruktion des "durchgängigen Menschen" löst die Firma die Dichotomie zwischen dem Firmenmenschen und dem Privatmenschen auf. Die Firmenideologie erweist sich als Meisterin der Grenzverwischung. Der "durchgängige Mensch" ist jedoch für jede wirtschaftliche Organisation eine potentielle Gefahr: Er könnte etwa eine längere Arbeitsunlust entwickeln und danach trachten, diese auszuleben. Um diese Gefahr zu beseitigen, ist ein zweiter Schritt erforderlich: Die Firmenideologie will zwar den "ganzen Menschen" als Mitglied des Betriebs, sie negiert jedoch die Interessenunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern und der Organisation. Wie bereits an anderer Stelle ausführlicher erwähnt, leugnet die Firmenideologie den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital und diffamiert stattdessen eben diesen Widerspruch als ideologisch. Erst mit Hilfe dieser Konstruktion ist gewährleistet, daß die Beschäftigten als "durchgängige Menschen" ihr Handeln am Wohl der Firma ausrichten.121 121  An dieser Stelle läßt sich im übrigen eine Divergenz zwischen den Botschaften des kulturellen Systems und denen des sozialstrukturellen Systems aufzeigen. Während die Ideologie als Teil des kulturellen bzw. symbolischen Systems nach einer Verschmelzung von korporativen und individualistischen Werten sucht und die Interessendivergenz zwischen Individuum und Organisation tabuisiert und an einigen Stellen sogar verneint, weist das sozialstrukturelle Regelwerk deutlich auf einen solchen Interessenunterschied hin. Die Firma hat ein ausgefeiltes Belohnungs- und Sanktionierungssystem entwickelt, das - im Unterschied zu den meisten bundesdeutschen Unternehmen - auch die Mitglieder der oberen Hierarchieebenen einer ständigen Leistungskontrolle unterzieht. Gäbe es bei GT keine Interessendivergenzen zwischen Individuum und Organisation, wäre das sorgfältig aufgebaute Belohnungs- und Sanktionierungssystem komplett überflüssig, gäbe es auch keine Diebstähle oder andere gegen den Betrieb gerichteten Täuschungen. Um solche Widersprüche zwischen dem kulturellen und dem sozialstrukturellen System freilegen zu können, plädiert etwa MEEK (1988) für eine konzeptionelle Unterscheidung zwischen Kultur und Sozialstruktur und einen Ausschluß des sozialstrukturellen Systems aus dem theoretischen Konzept der Organisationskultur. Für eine genaue Definition und Unterscheidung von Kultur und Sozialstruktur (1984). vgl. ALLAIRE/FIRSIROTU Während die Ideologie eine Verwischung der Grenzen anstrebt, gehört der Umgang mit Grenzen für die Beschäftigten zu den routinisierten und alltäglichen Handlungen. Die Ideologie des "durchgängigen Menschen" ist schließlich so vage, daß sie den Beschäftigten einen breiten Interpretations- und Handlungsraum eröffnet. Jedes Mitglied muß erstens selbst definieren, welchen "ganzen Menschen" die Firma haben will und mit welchen Eigenschaften dieser "ganze Mensch" versehen sein soll. Zweitens muß jedes Mitglied ausloten, inwieweit es zwischen der Arbeits- und der Privatsphäre Grenzen verwischt und durchlässig macht, und umgekehrt, wo es klare Grenzziehungen anstrebt. Wie etwa schützt man sich und seine Privatsphäre vor einer potentiellen Kolonialisierung durch die Arbeitssphäre? In Bezug auf den Interessenunterschied zwischen Mitglied und Organisation - von dem de facto alle wissen, daß es ihn gibt - müssen die Beschäftigten sich überlegen, wo sich ihre Interessen mit denen der Firma decken, wo sie divergieren. Sie müssen klären, inwieweit sie den Firmeninteressen entgegenkommen möchten und ihre eigenen Interessen zurückstellen wollen. Dabei müssen sie oftmals Kompromisse eingehen und den sozialen Druck seitens der Vorgesetzten oder der Kollegen aushalten. Immerhin: Sie haben die Wahl und können sich entscheiden. Die Grenzziehungen erfolgen in der Regel in vier Bereichen: Die Beschäftigten ziehen im Arbeitsalltag zeitliche, soziale, motivationale und ideologische Grenzen. Was unter einer ideologischen Grenzziehung zu verstehen ist, zeigen folgende zwei Beispiele: Im Beobachtungsgebiet hat die Personalabteilung an die Infosäule die Kopie eines Zeitungsartikels über die GmbH und ihren neuen Vorsitzenden geheftet und mit rotem Leuchtstift einige Stellen markiert, die die Firma in einem besonders positiven Licht porträtieren, etwa die jährlichen Wachstumsprognosen von 20 Prozent sowie einen zu erwartenden Personalzuwachs von zehn Prozent. Einige Tage später hatte sich das Gesicht des Zeitungsartikels verändert. Zusätzlich zu den mit rotem Leuchtstift hervorgehobenen Sätzen waren andere Stellen mit Kugelschreiber unterstrichen, Stellen, die die Firma nach Ansicht des für die Unterstreichung verantwortlichen Mitglieds wohl in ein kritisches Licht rücken sollte: die FDP-Mitgliedschaft des Vorsitzenden, die Schwäche der Gewerkschaften im Betrieb sowie die Tatsache, daß die Belegschaft ohne Murren eine geringere als die tarifliche Lohnerhöhung akzeptiert hat. Der eigentliche Artikel ist eine Außensicht auf GT und wirkt ohne die verschiedenen Unterstreichungen als ein homogener Text. Erst durch die beiden unterschiedlichen Textmarkierungen entsteht der Eindruck von zwei konkurrierenden Lesarten. Auf der einen Seite die Leuchtstiftmarkierung der Personalabteilung, die den wirtschaftlichen Erfolg und die daraus resultierende Schaffung von Arbeitsplätzen betonen. Wahrscheinlich hat erst diese Leuchtstiftmarkierung den Gegenkommentar provoziert, der sich auf soziale Problemfelder konzentriert. Die Kugelschreiberversion trägt sich nicht selbst, sie bezieht sich auf die Leuchtstiftversion und ist erst durch sie zu verstehen. Die Konnotationen von "FDP-Mitgliedschaft" - Manchester-Kapitalismus, der Stärkere setzt sich durch sind eindeutig und passen ganz und gar nicht zur GT-Ideologie. In diesem Kontext wird die Unterstreichung sofort als Kritik kenntlich, ohne daß der Gegenkommentator mehr über die FDP sagen müßte. Dieses kleine, in gewisser Weise kollektiv verfaßte Politkunstwerk zeugt nicht nur von ideologischer Nähe und ideologischer Distanz. Es verweist in einem weit umfassenderen Sinn auf zwei Kulturen im Betrieb: einer offiziellen, die, sofern sie sich sprachlich äußert, nichts anderes als die Firmenideologie, die Rhetorik der Deutungselite ist, und einer Belegschaftskultur, die dann besonders gut sichtbar ist, wenn sie auf die offizielle Lesart reagiert. Das zweite Beispiel für ideologische Distanzierungen bezieht sich auf die Rezeption des "GTFirmenkultur"-Plakats. Im Feld habe ich 16 Beschäftigte um ihre Ansicht über das Plakat gebeten. Die Mehrzahl der Interviewten registriert zunächst eine Kluft zwischen Wertesystem und Wirklichkeit. Dabei reagieren sie nicht erbost, sondern eher nüchtern, lakonisch, teilweise auch ironisch auf dieses Mißverhältnis. (1) Für mich sieht das aus wie die zehn Gebote. Und die Befolgung der zehn Gebote ist ähnlich wie in der Bibel: Niemand hält sich dran. (2) Wenn man den Text liest als Insider, dann muß man schmunzeln. Man macht sich bewußt, daß es nämlich nicht so ist. (3) The first thing that is not clear: Is it fact or is it wish? I think, it's wishful thinking. (4) Nice ethos but not a realistic one. There is a big difference. It's telling you what you're expected to do. A subtle means of enforcing the rules. Like animal farm. Nice propaganda but nevertheless propaganda. (5) Ich meine, man muß es tun und nicht einfach ein Plakat schreiben. Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir solche Dinge irgendwo hinschreiben und damit abgeben ans Plakat. Das Plakat wird von vielen mit Süffisanz bedacht. Einige der Befragten, darunter ein hoher Manager, bezeichnen den Plakattext ironisch als "die zehn Gebote". Vermutlich hat sich diese Redewendung in der Belegschaft etabliert.122 Der Vergleich mit der christlichen Ethik hat neben seinem ironischen Unterton noch eine weitere Bedeutung. Er indiziert, daß das Plakat auch von den Beschäftigten eher als normatives Regelsystem denn als Ausdruck einer in dieser Form existenten Firmenkultur gelesen wird. Dabei ist zu betonen, daß die Werte selbst nicht zur Diskussion stehen. Sie werden von den Beschäftigten als wichtig erachtet. Bei allen bleibt die Kritik weitgehend allgemein. Sie konstatieren zwar einen Unterschied zwischen Plakat und Wirklichkeit, führen jedoch keine konkreten Beispiele an. Es entsteht der Eindruck, als würden die Befragten das Plakat als Ausdruck einer Soll-Kultur lesen und insofern gar nicht erwarten, daß der Arbeitsalltag dem Plakatinhalt entspricht. Etwas anderes löst bei ihnen Erstaunen und Mißtrauen aus: Das Plakat wurde nur wenige Tage vor der Befragung in allen Großräumen an zentralen Stellen aufgehängt. Die Kommentare zum Plakat beziehen sich bei vielen in erster Linie auf die vermuteten Gründe für dessen massive Verbreitung und Zurschaustellung: (1) Also ich frage mich, wieso müssen sie so etwas aufschreiben und aufhängen? Wenn es jeder glaubt, dann müßten sie es nicht auf ein Poster schreiben. Das ist brainwashing. 122  Die ironische Umdeutung der Firmenideologie in " Die zehn Gebote" ist keine Besonderheit der Belegschaft von General Technologies, sondern eine in vielen Unternehmen gebräuchliche Redewendung, die längst Eingang in die Forschung gefunden hat. Schon BERG/GAGLIARDI (1985) schreiben im Zusammenhang mit "corporate culture" von den "ten commandments". (2) Ich sehe diese Posteraktion wieder mal als einen Versuch, den GT-Familiengedanken zu rekultivieren. Reine Selbstbeweihräucherung. (3) Es wurde eigentlich nie darüber geredet, daß die Firmenkultur ein Problem ist. Das Poster kommt aus dem Nichts. Seltsame Sachen passieren bei uns. (4) Firmenkultur muß man leben und nicht zerreden. (5) Mich interessiert, was das eigentlich soll. Ich halte das schlichtweg für Geldverschwendung. Vor allem, wenn man wenige Tage vorher bekannt gibt, daß die Sozialleistungen abgebaut werden. (6) Ich verstehe den Grund nicht. Soll es eine Erinnerung sein? Oder eine Rechtfertigung? Oder eine Absicherung?" (7) It beat's me. It really beat's me. Ich verstehe den Sinn des Ganzen nicht. (8) Vielleicht soll das heißen, daß jeder seine eigenen Pflanzen mitbringen und gießen kann. Aber das ist ja auch nicht so. Die meisten dieser Mutmaßungen sind firmenkritisch. Die Antworten (1), (3) und (4) ziehen eine direkte Verbindung zwischen der Plakatierung und einer ihrer Ansicht nach eingetretenen Verschlechterung der "Firmenkultur". Neben einigen dezidiert kritischen Vermutungen zur Funktion der Plakatierung ("brainwashing", "Familiengedanken rekultivieren", "Selbstbeweihräucherung", "Firmenkultur ist ein Problem") spiegelt sich in den Zitaten (5), (6) und (7) Verständnislosigkeit, in Antwort (8) mokiert sich eine Sekretärin sogar ganz offen über das Plakat. Das Mißtrauen und die Ironie, die viele Befragte dem Plakat gegenüber zum Ausdruck bringen, richten sich vorrangig gegen die Verschriftlichung und Plakatierung der Firmenwerte. Auch die vermutete Entstehungsgeschichte des Plakats ist Anlaß für negative Kommentare. Viele der Befragten mutmaßen, daß die Hauptpersonalabteilung für die Erstellung und Verbreitung des Plakats verantwortlich ist. Zitat eines Ingenieurs: Ich kann mir schon vorstellen, wie das passiert ist. Da haben sich Personaler getroffen, die mal wieder die Firmenkultur stärker ins Gespräch bringen wollten. Sie überlegten: Was machen wir denn? Einer hatte dann die Idee und die anderen fanden es prima. Seiner Meinung nach hatte nicht "die Firmenleitung" oder "das Management" die Idee, das Plakat an den Stellwänden zu verbreiten, es ist keine Erfindung der Macht. Der Blick richtet sich bei den Ingenieuren und Sekretärinnen nicht nach oben, sondern bleibt horizontal. In der von Technikern dominierten Firma sind "die Personaler" oder "das Personal" eine eigene Gruppe, die, wie in dem oberen Zitat, von vielen mit leiser Ironie bedacht wird. In dem Zitat des Ingenieurs kommt ein für die Beschäftigten von GT relativ verbreitetes strategisches Denken zum Ausdruck. Anstatt über die Ideologieproduzenten zu schimpfen, versetzt er sich in deren Situation und denkt, wie bei einem Schachspiel, über die gegnerischen Absichten nach. In dem Zitat kommt nicht nur die ironische Distanz der Ingenieure zur Personalabteilung zum Ausdruck, sondern vielmehr eine grundsätzlichere Ironisierung der Praxis des symbolischen Managements. Weitere Beispiele für ideologische Distanzierungen habe ich im Arbeitsalltag kaum vorgefunden. Es scheint, daß die Beschäftigten nur dann auf Distanz gehen, wenn die Ideologie sei es in Form des Plakats oder des markierten Zeitungsausschnitts - gar zu laut und unverblümt zur Schau gestellt wird. Im Unterschied zu ideologischen sind zeitliche, soziale und motivationale Grenzen häufiger festzustellen. Bei diesen drei Formen von Grenzziehungen, die im folgenden präsentiert werden, kommt der Interessenunterschied zwischen den einzelnen Beschäftigten und dem Unternehmen besonders deutlich zum Ausdruck. Quellen hierfür sind einmal das Feldtagebuch und zum anderen die Interviews. Im Gegensatz zum letzten Kapitel sind in den Interviews nicht die Wahrnehmungen und Ansichten der Befragten von Interesse, sondern die konkreten Handlungen, die oftmals im Genre Geschichten und Erzählungen ihren Ausdruck finden. 123 Zeitliche Grenzen Zeit besitzt laut NOVOTNY (1990, S.108) die Eigenschaft, nur als Konflikt erfahrbar zu sein. Wo Zeit nicht im Widerspruch zum eigenen Bedürfnis stehe, sei sie auch nicht als solche erfahrbar. In der Arbeitswelt ist Zeit ein besonders umkämpftes Terrain: Sie wird von allen an diesem Kampf beteiligten Akteuren als immer knapper erfahren. Heftiger denn je streiten sich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände um die Dauer wöchentlicher Arbeit und um die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Gleichzeitig und auf einem Nebenschauplatz kämpfen immer mehr Beschäftigte in Eigenregie um verkürzte und selbstgewählte Arbeitszeiten. HÖRNING, GERHARDT UND MICHAILOW (1990) bezeichnen solche Beschäftigte, die ihre persönlichen Zeitvorstellungen in Bezug auf Arbeit und Freizeit realisieren, als Zeitpioniere. Die GmbH hat - sicherlich auch als Reaktion auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen - eine Arbeitszeitregelung entwickelt, die den individuellen Zeitbedürfnissen der Beschäftigten entgegenkommen soll.124 Zum Zeitpunkt der Untersuchung (1993) - die Tarifvertragsparteien hatten eine Wochenarbeitszeit von 36 Stunden vereinbart - einigte sich bei der GmbH der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung auf folgendes Arbeitszeitmodell: Die tatsächliche Wochenarbeitszeit umfaßt weiterhin 40 Stunden. Die vertragliche Wochenarbeitszeit für alle vollbeschäftigten Mitglieder 123  In der Volkskunde und der Empirischen Kulturwissenschaft bilden Erzählungen schon seit je einen Schlüssel für Erkenntnisgewinn. Dagegen ist in der Organisationsforschung die Bedeutung von Betriebserzählungen erst mit dem "Paradigmenwechsel" (EBERS 1985) hin zu Kultur in den Mittelpunkt gerückt. Sie dienen als Quelle zur Erforschung von Organisationskultur (MARTIN/FELDMAN/HATCH UND SITKIN 1983; MARTIN/POWERS 1983; BOJE 1991; FELDMAN 1991). In der Regel weisen die von der Ethnologie und der Anthropologie inspirierten Autoren und Autorinnen darauf hin, daß die Betriebserzählungen jenseits ihrer konkreten Erzähloberfläche eine tiefere Bedeutungsebene hätten (GÖTZ/MOOSMÜLLER 1992; HELMERS/BUHR 1992; SCHWARTZMAN 1993). Tiefere Bedeutungsebenen werde ich in diesem Kapitel nicht suchen; die Erzähloberfläche scheint mir genügend aussagekräftig zu sein. Die als Quelle verwendeten Erzählungen sind denn auch nicht die in der Organisationskulturforschung besonders beliebten Firmenmythen oder Firmenlegenden, sondern Geschichten über Alltägliches, über Handlungsroutinen. Im Blickpunkt steht das Gewohnte, das Gewöhnliche. 124  Die Firmenideologie macht keine expliziten Aussagen über zeitliche Erwartungen. Dies ist auch nicht notwendig, da die Arbeitszeitregelung, die ja letztlich ein formales und strukturales Produkt des normativen Regelwerks ist, eben solche Aussagen macht. bleibt nach wie vor bei 37 Stunden. Somit werden pro Woche drei Stunden Vorarbeitszeit geleistet und auf einem Kurzzeitkonto gutgeschrieben. Über diese angehäufte Freizeit können die Beschäftigten weitgehend selbständig und ihren individuellen Wünschen zufolge verfügen. 125 Die Ein-Stunden-Differenz zwischen der 37- und der 36-Stunden-Woche macht laut eines Informationsblatts von GT "wertmäßig 2,7 Prozent der Summe der monatlichen Grundgehälter aus (...). Wir haben vereinbart, daß sowohl die Geschäftsleitung als auch der Gesamtbetriebsrat über jeweils 50 Prozent des Ausgleichsvolumens von 2,7 Prozent verfügen können. Sie entscheiden für ihren Anteil, ob und wieviel Ausgleich für den entsprechenden zurückliegenden Zeitraum gezahlt wird." Der zeitliche Rahmen In Aushandlungsprozessen mit der Organisation konstruieren sich die Beschäftigten jenseits des Arbeitszeitmodells einen zeitlichen Rahmen und entwickeln einen für sie angemessenen Umgang damit. Die meisten Befragten sind trotz 40stündiger realer Wochenarbeitszeit mit dem Arbeitszeitmodell sehr zufrieden und verweisen mit großer Überzeugung auf die flexible 126 Arbeitszeit: Die Flexibilität ist klasse. Wenn ich mal morgens Lust habe, Tennis zu spielen, gehe ich Tennis spielen und komme daher vielleicht erst um zehn ins Büro. Ohne jetzt groß einen Aufstand zu machen, das ist eben dann gebongt. Die Beobachtungen während der Feldforschung lassen jedoch die Vermutung zu, daß die Flexibilisierung von vielen kaum in Anspruch genommen wird. Im Untersuchungsbereich sind die Arbeitszeiten weitgehend routinisiert und homogen. Nur wenige sind bereits vor 8 Uhr morgens am Arbeitsplatz. Ab 8 Uhr füllt sich der Großraum und um 8.30 Uhr sind alle anwesend. Ab und zu erscheinen Beschäftigte erst um 9 Uhr oder gar um 10 Uhr, aber dies bleibt die Ausnahme. Die tatsächliche Flexibilität im Umgang mit Arbeitsanfangszeiten 125  Das Arbeitszeitmodell wurde in vielen Wirtschaftsmagazinen mit Lob überschüttet und als wegweisend angepriesen. So schreibt die Wirtschaftsjournalistin SCHUCHARD in "Capital" (2/1990, S.187) unter der Zwischenüberschrift: "Arbeitszeitmodelle: Die Zukunft hat schon begonnen": "Die Computerfirma GT ist Spitze: Jeder Mitarbeiter kann weitgehend selbst entscheiden, wann er sein Arbeitspensum erledigt und wie er freie Zeit abfeiert. Vom blauen Montag über mehrmonatige Pausen bis zum gleitenden Ruhestand ist alles drin (...). Zwar gibt es mittlerweile in vielen Unternehmen flexible Arbeitszeiten. Doch erst allmählich setzen sich Modelle durch, die den Beschäftigten die angestrebten Spielräume eröffnen. Eine dieser Pionierfirmen mit weitgehenden Wahlmöglichkeiten ist die deutsche GT GmbH." Die Gewerkschaft IG Metall beurteilt das Modell weit kritischer und geißelt im Vorspann des Leitartikels insbesondere die Position des GT Betriebsrats: "Der Betriebsrat beschloß in seiner Mehrheit (...), eine Einführung der 36-Stunden-Woche (...) von der Geschäftsleitung nicht zu fordern." (In: LUPE, Informationen der IG Metall Stuttgart für die Beschäftigten bei GT, Februar 1993.) 126  Die für alle bindende sechsstündige Kernarbeitszeit liegt zwischen 9 Uhr morgens und 16 Uhr nachmittags. Die beiden fehlenden Stunden - bei GT gibt es ja noch einen Acht-Stunden Tag - können vor die Kernarbeitszeit oder danach gelegt werden. Außerdem werden informelle Regelungen betont, denen zufolge die Beschäftigten sich im Ausnahmefall auch in der Kernarbeitszeit frei nehmen können. konzentriert sich also zumeist auf eine halbe Stunde und besteht darüber hinaus in der Möglichkeit, hin und wieder eine Ausnahme machen zu können. Die wenigen Angestellten, die von der Flexibilisierung Gebrauch machen, müssen den Unmut ihrer Kollegen ertragen. Im Marketing ist spätes Kommen und spätes Gehen erwünscht, weil Telefongespräche nach Übersee aufgrund des Zeitunterschieds erst am Spätnachmittag und am frühen Abend geführt werden können. Ein Zitat ist besonders aufschlußreich: Bei uns gibt es einen Mitarbeiter, der jeden Morgen schon um halb sieben kommt. Und ist dann nachmittags spätestens um vier, halb fünf weg. Das ist sogar ein Vorgesetzter. Das ist noch das Witzigste daran. Jedenfalls paßt das nicht zu dieser Flexibilität, die man von den Mitarbeitern erwartet. Er ist wirklich absolut unflexibel in seiner ganzen Zeiteinteilung. Man stutzt unwillkürlich. Der Begriff der Flexibilisierung der Arbeitszeiten erfährt hier eine bemerkenswerte Uminterpretation: Nicht den Beschäftigten wird Flexibilität zu ihrem persönlichen Wohl zugestanden; stattdessen wird von ihnen eine Flexibilität erwartet, die dem Wohl der Firma zugute kommt. Der Vorgesetzte, von dem im oberen Zitat die Rede ist, macht von der Flexibilisierung der Arbeitszeit Gebrauch und präsentiert sich auf diese Weise als "absolut unflexibel". Das Zitat stammt, dies ist besonders prekär, von einer Sekretärin. Es indiziert, daß sich auch die Beschäftigten der unteren hierarchischen Ebenen voll mit den Belangen und Interessen der Organisation identifizieren können und zu diesem Zweck auch vor Kritik an hierarchisch höhergestellten Beschäftigten nicht haltmachen, wenn diese Eigenwohl vor Firmenwohl stellen. Die Arbeitszeitregelung enthält auch Vereinbarungen, die eindeutig zu Lasten der Beschäftigten gehen. Doch auch diese werden ohne Murren akzeptiert. Ein Ingenieur: Geschäftsreisen sind nicht nur die Rosinen in dem Kuchen. Häufig ist ein hoher Termindruck drin und das Reisen eine Belastung. Man kehrt häufig sehr spät zurück, fährt sehr früh los und die Wochenenden auf einer Geschäftsreise werden nicht angerechnet, wie das bei anderen Firmen der Fall ist. Man muß also Investitionen im Privatbereich machen. Aber andererseits ist es auch wieder erstaunlich, daß eben jeder der GT-Mitarbeiter dazu bereit ist, ohne daß das jetzt ein großes Thema wird. Zweifellos ist die Mehrzahl der Beschäftigten bereit, mehr Zeit als vertraglich festgelegt für die Firma aufzubringen. Doch auch diese Zeit, die ich als Mehrzeit bezeichne, ist informell geregelt. Die Bestimmung einer legitimen Mehrzeit fällt bei den einzelnen Angestellten durchaus unterschiedlich aus. Die Spanne der legitimen Mehrzeit ist etwa nach Ansicht von Sekretärinnen wesentlich geringer als in der Einschätzung von Managern. Zweitens hängt die legitime Mehrzeit von den Adressaten ab. Hier ist etwa zu beobachten, daß Berufsanfängern und Karrieristen ein weit höheres Maß an legitimer Mehrzeit zugebilligt wird. Zitat: Wenn man bei GT Karriere machen will, dann muß man bereit sein, viel mehr Zeit als üblich in die Firma zu investieren. Wer die Spielräume der legitimen Mehrzeit überschreitet, setzt sich seitens der Kollegen und Kolleginnen dem Vorwurf der Überidentifikation aus.127 Dann heißt es: "Wer täglich mehr als 127  "Analytisch müssen wir jedoch erkennen", schreibt GOFFMAN (1973, S.189), "daß es, genau wie die zehn Stunden arbeitet, ist blöd und selber schuld." Überidentifizierte Beschäftigte irritieren etwa durch folgende Verhaltensweisen: Es gibt, sagen wir mal, einige krasse Fälle, wo Leute sogar aus dem Urlaub anrufen und fragen, ob alles okay ist. Bei einem in unserer Abteilung ist es extrem: Der ist rund um die Uhr präsent. Wenn er nicht da ist, hört er permanent sein voice-mail ab <ein voice-mail ist technisch ausgefeilterer Anrufbeantworter, Anmerkung A.W.>. Er ruft von zu Hause aus über's Wochenende an und arbeitet das voicemail ab und ruft vom Flughafen aus an und sendet Faxe und was weiß ich. Es gibt schon die totalen workaholics. Also ich versuche, meinen Mitarbeitern klarzumachen, Ferien sind Ferien. Die haben schließlich ihren Sinn. Beschäftigte, die die legitime Mehrzeit überschreiten, geraten seitens ihrer Kollegen in Verdacht, "sonst nichts mit sich anfangen" zu können oder kein zufriedenstellendes Privatleben zu haben: Jemand, der nichts hat, den daheim nichts ruft, dem ist es natürlich egal, wie lange er hier rumsitzt. Alle Befragten bejahen den hohen Stellenwert eines zufriedenstellenden Privatlebens. Dies erscheint allerdings nie als an sich erstrebenswert, sondern erhält seine Bedeutung erst, indem es in einen Zusammenhang mit der Arbeitssphäre gestellt oder sogar als Funktion der Arbeitssphäre konstruiert wird. Ich habe durch Erfahrung gelernt, daß es doch sehr wichtig ist, daß man auch Zeit findet, sich zu entspannen und sich um seine Familie zu kümmern. Denn nur wenn das alles in Bilanz ist, dann läuft die Arbeit. Wenn man nur arbeitet, dann geht es irgendwo schief im Privatleben. Und wenn es im Privatleben nicht läuft, dann läuft es auch in der Arbeit nach einiger Zeit nicht mehr. Wenn den Beschäftigten bei GT die Privatzeit zum Problem wird, ziehen sie gewöhnlich nicht die Organisation, sondern sich selbst zur Verantwortung. So erklärt ein langjähriger Angestellter: Im Mittel habe ich mit Sicherheit mehr Zeit in der Firma zugebracht, als ich wollte. Ich habe es nicht geschafft, genügend Freizeit herauszuschlagen, um ganz ehrlich zu sein. Viele reden so. Dieser Mechanismus, der die Organisation entlastet und die Verantwortung ausschließlich bei sich selbst verortet, ist weit verbreitet und funktioniert wahrscheinlich auch bei Beschäftigten in anderen Firmen. Auf diese Weise kann die Mehrzeit besser gerechtfertigt werden. Keine Zeit haben, sich aber Zeit nehmen Zunehmende Arbeitsverdichtung, wachsender Streß, eine Schließung von lebensweltlichen Poren in der Arbeitszeit - diese in allen hochindustrialisierten Gesellschaften zu beobachtenden Prozesse gelten auch für GT. Ein Ingenieur erklärt: Leute, von denen man glaubt, daß sie für eine soziale Einheit nicht genügend begeistert sind, immer auch wenigstens einige geben wird, die eine Organisation vielleicht dadurch verwirren, daß sie sich zu sehr für sie begeistern." Ich habe nie einen Tag in meinem Job gehabt, an dem ich mal fünf oder zehn Minuten nichts zu tun habe. Wo ich mich setzen kann und darüber nachdenken, was ich tun könnte. Das gibt's nicht. Das ist nicht gut, aber es ist so, es ist die Wahrheit. Dennoch wollen, ja sollen sich laut Ideologie die Beschäftigten Zeit füreinander nehmen. Diese Zeit bezeichne ich im folgenden als soziale Zeit. Da die Beschäftigten aufgrund der zunehmenden Arbeitsverdichtung keine Zeit haben, müssen sie sich die soziale Zeit nehmen. Soziale Zeit steht zwischen der Arbeits- und der Freizeit und muß auch, sofern sie in Anspruch genommen wird, entweder von der Arbeits- oder von der Freizeit abgezwackt werden. Sie kann also während der Arbeitszeit ihren Platz haben oder in den Pausen oder im Anschluß an die Arbeit. Die Zeit nach der Arbeit, hier zeigt sich eine ganz eindeutige Tendenz, wird im Vergleich zu früher weit seltener als soziale Zeit genutzt. Früher gab es viel mehr so Sachen wie Picknick, beerbusts, oder Feiern. Und die Beteiligung war weitaus höher. Man hat sich abends nach der Arbeit zusammengesetzt und einen Sekt getrunken. Man hat da wirklich von seiner Freizeit was für die Kollegen abgezwackt. Und das ist halt jetzt nur noch sehr viel weniger der Fall. Eher gar nicht mehr. Die Befragten begründen diese Abnahme mit der steigenden Arbeitsverdichtung: Der Streß wächst immer mehr, so daß die Leute überhaupt keine Zeit mehr haben neben ihrer vielen Arbeit. Das bißchen Zeit, das noch übrig bleibt, versucht dann natürlich jeder mit seiner Familie oder mit seinen Freunden zu verbringen. Ich zum Beispiel verbringe schon so viel Zeit in der Firma, ich kann nicht noch mehr Zeit da verbringen. Dann habe ich nämlich gar nichts mehr für mich privat. Ich verbringe eine immense Zeit hier. Es geht nicht darum, daß es mir keinen Spaß macht. Aber es geht einfach darum, daß irgendwann meine Zeit, die ich hier verbringen möchte, mal ein Limit erreicht hat. In der Regel findet die soziale Zeit während der Arbeitszeit oder in den Pausen statt. Viele der Befragten unterstreichen ihre Bereitschaft, sich während der Arbeit "Zeit zu nehmen, wenn ich einen Kollegen treffe, der irgendeinen Kummer hat." Das Bild vom sorgengeplagten Kollegen erscheint - in Variationen - in mehreren Interviews. Auf diese Weise gerät die soziale Zeit zu einer hilfsbereiten und fürsorglichen Geste, frei von egoistischen Motiven. Nur eine Sekretärin begründet ihren gelegentlichen Schwatz damit, es sei "stupide, den ganzen Tag vor mich hinzuarbeiten." Der Umgang mit sozialer Zeit während der Arbeitszeit ist zumeist der Firma gegenüber verantwortlich: "Wenn ich mich verquatsche, dann bleibe ich eben abends länger hier." Eine Angestellte in der Personalabteilung trennt sogar zwischen arbeitsbezogenen und privaten informellen Gesprächen und ordnet die soziale Zeit entsprechend der Arbeits- oder der Privatzeit zu: Es kommt drauf an: Wenn ich mit jemand am Kaffeepott eine halbe Stunde verschwätze, der kurz vorher sechs Wochen krank war und ich ihn anspreche: wie geht's denn so?, und er mir dann seine ganze Krankheitsgeschichte erzählt, dann habe ich auch kein schlechtes Gewissen, deshalb bleibe ich keine halbe Stunde länger da. Dann gehört das mit zu meinem Job. Wenn ich jetzt aber am Kaffeepott jemanden treffe und ich weiß, der war in Neuseeland im Urlaub und mich interessiert's, wie es da war und wir schwätzen eine halbe Stunde, dann hänge ich die halbe Stunde dran. Da mache ich schon einen Unterschied. Gibt es eine Art informeller Arbeit? Es scheint so. Was bedeutet es, wenn die Angestellte diese informelle Arbeit abrechnet? Ist dies eine subversive Handlung? Das Zitat eröffnet zwei Interpretationswege. Auf der einen Seite spiegelt sich im Verhalten der Angestellten ein merkwürdiger, bei GT häufig zu findender Altruismus, der, hinter der Maske von Verantwortung gegenüber der Organisation, private Kommunikation mit abendlichem Nachsitzen bestraft. Obwohl (auch die private) Kommunikation immer ausdrücklich als erwünscht präsentiert wird, gilt die Regel, daß die durch soziale Zeit verlorene Arbeitszeit freiwillig wieder eingeholt wird. Es gilt ein struktureller und wenig sichtbarer Zwang, verlorene Arbeitszeit wieder reinzuarbeiten und hierfür die Freizeit zu opfern. Auf der anderen Seite ist die Konstruktion von informeller Arbeit eine Möglichkeit, die eigenen Interessen gegenüber der Firma zu verteidigen. Die Angestellte wehrt sich dagegen, jede Form sozialer Zeit zu ihren eigenen Lasten abzubuchen, handelt insofern leicht subversiv und verdeckt mit dieser Subversivität, die ja weit weg ist von der klassischen Arbeitnehmerlogik, ihren Altruismus. Allerdings ist diese Form von Subversivität gleichzeitig sehr pragmatisch: Das Zuhören dient ja dem Betriebsklima, es ist integrativ für denjenigen, der, um das obige Beispiel aufzugreifen, längere Zeit krank war. Insofern halten sich die subversiven Anteile in deutlichen Grenzen. Die beiden Pausen sind eine besonders umkämpfte Zeit. Pausen sind deutungsbedürftig: Sie können von den Beschäftigten als Arbeitszeit, als Freizeit oder als soziale Zeit genutzt werden. 128 Die Frühstückspause bei GT gilt als klassisches Beispiel für soziale Zeit. Allerdings wird sie längst nicht mehr von allen in Anspruch genommen. Im Durchschnitt verweilen nur etwa ein Drittel der Beschäftigten im untersuchten Großraumbüro zu einem viertelstündigen Plausch an den eigens eingerichteten Stehtischen. Zwei Drittel dagegen verzichten auf die Pause. Sie holen sich ihr Frühstücksbrötchen, füllen den Kaffeebecher auf, gehen zurück an den Arbeitsplatz und frühstücken während der wiederaufgenommenen Arbeit. Viele Beschäftigte erinnern sich an die Zeit vor dem letzten Umzug: Ein Gong habe die Frühstückspause eingeläutet und fast alle hätten die Pause in Anspruch genommen. Inzwischen gebe es keinen Gong mehr und viele würden die Pause einfach verpennen. Diese Begründung deckt sich jedoch nicht mit meinen Beobachtungen. Die Beschäftigten registrieren auch ohne Gong den Beginn der Frühstückszeit. Sobald im Großraum kurz vor neun Uhr die Frühstücksbrötchen angeliefert werden, holen sie sich ihr Brötchen ab. Plausibler klingt dagegen folgende Begründung. Nicht der Gong, sondern der steigende Arbeitsdruck sind die Ursache für die veränderte Pausenpraxis: Mit den Leuten, die jetzt an den Stehtischen sind, möchte ich die Pause nicht verbringen. Eine Weile habe ich mir mein Brötchen geschnappt und mich dann für zehn Minuten zu einer Kollegin gesetzt. Inzwischen ist das auch eingeschlafen. Es gibt ja auch immer was zu tun. Außerdem sollte mein Telefon permanent besetzt sein. Die unbezahlte Mittagspause ist an sich freie Zeit. Aufgrund eines preiswerten und guten Kantinenessens mit großer Auswahl bleiben die meisten Angestellten jedoch im Gebäude. 128  S.139-159) Für eine ausführliche Diskussion der sozialen Funktion von Pausen vgl. SPERLING 1983 (besonders und 1988. Insofern gehört die Mittagspause ebenfalls zur sozialen Zeit. Allerdings ist auch hier eine Kolonialisierung der sozialen Zeit durch die Arbeitszeit festzustellen. Eine Sekretärin berichtet, sie sei von ihrem Chef gebeten worden, nicht immer mit anderen Sekretärinnen essen zu gehen und stattdessen hin und wieder mit der eigenen Abteilung. Begründung: Es wäre gut für das Betriebsklima. Die Sekretärin hat diese in einer Bitte verpackte Forderung abgelehnt: Sie müsse mit den Kollegen täglich acht Stunden verbringen. Deshalb wolle sie sich zumindest in der Pause ihre Gesprächspartner aussuchen können. Zu einer solchen Ablehnung gehört sicher viel Mut. Eine andere Sekretärin erzählt sogar, ihr früherer Vorgesetzter habe darauf bestanden, daß die Abteilung gemeinsam zum Mittagessen geht. Erneut taucht hier das Motiv der informellen Arbeit auf, allerdings als Zwang. Beispiele zwanghafter informeller Arbeit werden dem Forscher gerne erzählt. Dies scheint die Angestellten zu empören, scheint ein Problem bei GT zu sein. Dennoch sind beide Beispiele eher als Zeugnisse der Ausnahme denn als Zeugnisse der Regel zu lesen. Solche auf Gruppenzwang zielende Anweisungen widersprechen nicht nur den in der Firmenideologie ausgedrückten, auf abteilungsübergreifende Netzwerke setzenden Kommunikationserwartungen; sie sind zudem völlig unnötig. Schließlich basieren die informellen Gruppen, die sich beim Mittagessen in der Kantine zusammenfinden, wohl alle auf Arbeitsbeziehungen. Entweder man geht mit Leuten aus der eigenen Abteilung essen oder man kennt die Kollegen und Kolleginnen von abteilungsübergreifenden Projekten oder man ißt mit beruflich Gleichgestellten: Die Sekretärinnen aus meinem Beobachtungsbereich etwa essen meist gemeinsam. Entsprechend sind viele Gespräche am Mittagstisch deutlich arbeitsbezogen. Man unterhält sich nicht nur über die Arbeit, die Gespräche selbst sind Teil der Arbeit. Einer der Manager erzählte mir, für ihn sei jedes Mittagessen ein Termin. Er sei immer verabredet und würde mit seinen jeweiligen Partnern, seien es Kollegen, seien es Kunden, fast immer ein Arbeitsessen machen. Bei dem Manager hat sich die Funktion der Kantine verändert: Sie dient nicht mehr als Pausenraum, sondern ist nur noch die lebensweltliche Alternative zu den Konferenzecken. In der Regel ist die Mittagspause also zwischen sozialer Zeit und Arbeitszeit anzusiedeln. Beide Zeiten fließen ineinander, genaue Trennungen sind oft nicht mehr möglich. Die unbezahlte Mittagspause, dies zumindest ist sicher, steht den Beschäftigten nicht als freie Zeit zur Verfügung, als eine Zeit, die sie ausschließlich für sich selbst haben und entsprechend ihren persönlichen Wünschen gestalten können. Überstunden Ein langjähriger GT-Angestellter vermutet, daß etwa 70 Prozent der Beschäftigten der Firma Überstunden schenken, 20 Prozent genau abrechnen und 10 Prozent die Firma ausnutzen würden. Diese Schätzung, die auch andere Befragte für zutreffend halten, scheint immerhin im Untersuchungsgebiet zu passen: Nur wenige Organisationsmitglieder arbeiten exakt acht Stunden, die meisten bleiben länger.129 129  Dieses Ergebnis beruht nicht auf Beobachtungen. Es basiert auf den Auffassungen meiner Gesprächs- Wer macht keine Überstunden? Diese relativ kleine Gruppe von Beschäftigten hat sicherlich, verglichen mit der Gesamtbelegschaft, eine größere Distanz zur Firma. Das Privatleben wird stattdessen stärker betont. Wenn es dringende Sachen zu erledigen gibt, mache ich auch mal Überstunden. Aber mein Hauptziel ist, daß ich meine Freizeit so gestalte, wie ich es will. Ich bin nicht jemand, der voll und ganz hinter GT steht und sich aufopfert. Diese Ideale, die hier viele Leute haben, übernehme ich nicht. Also, meine Freizeit ist für mich schon immer wichtiger gewesen. In der Regel arbeiten diese Beschäftigten entweder in Positionen mit grundsätzlich schlechten Aufstiegschancen, also in relativ wenig qualifizierten Positionen oder sie konnten frühere Karriereambitionen nicht realisieren und haben als Folge dieser Enttäuschung die Entscheidung getroffen, die Arbeit nicht in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen. Ein 50jähriger Ingenieur erklärt: Ich schaffe mit immer mehr Raum für Freizeit. Früher hatte ich sehr wenig Freizeit. Da habe ich auch die ganze Zeit Überstunden gemacht. Die Arbeit hat Spaß gemacht. Die Aufgaben waren sinnvoll. Ich war überzeugt. Und ich hatte glaubwürdigere Vorgesetzte. Und bessere Aufgaben. Heute habe ich große Zweifel an meinen Vorgesetzten und an meinen Aufgaben. Für die meisten Beschäftigten jedoch gehören Überstunden zum Arbeitsalltag und werden quer durch alle hierarchischen Ebenen als "nun einmal notwendig", oft sogar als völlig selbstverständlich akzeptiert. Eine Sekretärin empört sich über die Haltung ihrer Freundinnen, die in anderen Firmen arbeiteten: Bei denen höre ich immer: "Das sehe ich doch gar nicht ein. Ich gehe Punkt halb fünf. Ich schenke denen doch keine fünf Minuten." Dann denke ich immer: Was denken die sich denn? Das verstehe ich gar nicht. Ich sage ja nicht, daß man mords Überstunden machen muß. Aber ich schaue nicht auf die Uhr. Ich habe nie gesagt: "Ich muß jetzt heim." Oder: "Ich muß jetzt einkaufen." Ich bleibe so lange, bis ich meine Sachen fertig habe. Viele Sekretärinnen arbeiten ihren eigenen Angaben zufolge im Durchschnitt täglich zwischen achteinhalb und neun Stunden. Die befragten Ingenieure taxieren ihre Arbeitszeit auf neun, neuneinhalb oder gar auf zehn Stunden. Bei Managern liegt der Schnitt noch höher. Niemand der Befragten schreibt die Überstunden auf. Dies bedeutet, daß ihnen die Mehrzeit nicht vergütet wird. Die Beschäftigten schenken der Organisation Zeit. Die Information, es sei Usus, der Firma Überstunden zu schenken, erhielt ich zunächst von einem Beschäftigten, der keine Überstunden macht. In den Gesprächen mit Überstunden machenden Beschäftigten hat niemand diesen Umstand von sich aus thematisiert, sondern erst auf meine Frage hin zugegeben. Die Gesprächssituationen waren alle unangenehm, hatten einen Rechtfertigungscharakter und erinnerten fast an das Eingestehen einer Schuld. Ein Beispiel: Frage: Arbeitest du mehr als acht Stunden? partner. Ich habe im Laufe meiner Untersuchung niemanden kennengelernt, der oder die mir gegenüber zugegeben hat, die Firma auszunutzen. Ja. Frage: Wieviele etwa? Zwischen neun und zehn. Frage: Das machen die meisten, oder? Ja. Frage: Schreibst du die Überstunden auf, ich meine, läßt du sie dir anrechnen? Nein. Aber weißt du, wenn ich mal zum Arzt muß, oder mein Kind Geburtstag hat, dann nehme ich mir frei und habe kein schlechtes Gewissen. Viele dieser Gespräche haben eine ähnliche Struktur: Zunächst kurze Antworten, die nicht gerade allzugroße Bereitschaft signalisieren, sich über dieses Thema mit mir zu unterhalten. Auf die letzte Frage, die ja sehr direkt auf die verschwommene Grenzziehung hinweist und damit ein Tabu berührt, folgt statt der bloßen Antwort eine ausführliche Begründung, eine Rechtfertigung des eigenen Handelns.130 Sowohl die Bereitschaft zu Überstunden als auch die Tatsache des Überstunden-Schenkens werden meist mit dem Verweis auf Tauschverhältnisse gerechtfertigt. Die Überstunden sind dann kein Geschenk mehr, sondern Teil eines Deals, von dem nicht nur die Firma, sondern auch die Beschäftigten profitieren. Entweder wird, wie im oberen Beispiel, Zeit gegen Zeit eingetauscht, also die Überstunden gegen das Fehlen am Arbeitsplatz beim Kindergeburtstag, oder, was häufiger geschieht, Zeit gegen eine befriedigende Arbeit und gegen ein gutes Klima. In den folgenden drei Zitaten wird das Tauschverhältnis Überstunden gegen befriedigende Arbeit dabei durchaus verschieden bewertet. Zunächst die positive Bewertung: In meiner letzten Firma hat einfach der Respekt gefehlt. Da haben alle exakt acht Stunden gearbeitet, oft haben wir während der Arbeitszeit private Dinge erledigt, einen Brief geschrieben. Hier bei GT ist es genau umgekehrt. Man zollt den Mitarbeitern Respekt und deshalb kommt es zu Mehrarbeit für die Firma. Hier ist jeder für seine Arbeit selbst verantwortlich. Du kannst sie gut oder schlecht machen. Die meisten wollen sie gut machen und strengen sich an, geben ihr Bestes. 130  Warum verteidigen sich eigentlich die Angestellten vor mir als Forscher? Woher rührt das schlechte Gewissen der Interviewten gegenüber dem Interviewer? Über diese in ethnographischer Hinsicht hochinteressante Frage kann ich an dieser Stelle leider nur spekulieren. Ich sehe drei Erklärungswege. Die erste Erklärung bezieht sich auf mich als Interviewer. Möglicherweise war ich zu offen im Feld und habe den Befragten irgendwie vermittelt, daß ich ihrem Engagement und ihrer Art von Firmenidentifikation skeptisch und distanziert gegenüberstehe. Der zweite Erklärungsstrang wäre mit dem psychoanalytischen Begriff der Übertragung zu umschreiben. In der Interviewsituation ist der Forscher für die Befragten möglicherweise in erster Linie Repräsentant. Entweder repräsentiert er gesellschaftliche Normen (z.B. Trennung von Arbeit und Freizeit; Familiensinn) oder er repräsentiert für den Befragten wichtige Figuren und Bezugspersonen, die während des Interviews nicht anwesend sind, etwa den/die Ehepartner/in. Die Beschäftigten tragen dann ihr schlechtes Gewissen für ihre Lebensweise in die Interviewsituation und rechtfertigen sich stellvertretend. Der dritte Erklärungsweg mutet etwas abenteuerlich an, scheint mir jedoch ebenso plausibel wie die anderen: Vielleicht ist bei GT das schlechte Gewissen ob der Selbstausbeutung permanent anwesend. Vielleicht existiert eine Art kollektiver Scham und eine kollektive Angst vor der Verachtung durch Außenstehende. Vielleicht tragen diese Gefühle sogar ganz entscheidend und viel wirkungsvoller als alle Bemühungen um corporate identity zum Aufbau der Betriebsgemeinschaft und zur Abschottung nach außen bei. Die ambivalente Bewertung: Das Dilemma ist, wenn man gerne arbeitet und vor allem in der Position ist, in der man sehr viel übergreifend und dann auch noch rund um die Welt kommunizieren muß, wird man sehr stark gefordert. Wenn man sich außerdem noch mit seinem Job identifiziert, tut man sowieso ein bißchen mehr. Insofern hat es nie eine Zeit gegeben, wo ich dann pünktlich nach acht Arbeitsstunden meinen Kittel hingeschmissen hätte. Ich mache den Job gerne, aber ich muß mich selber zurückhalten, mich nicht zu wichtig nehmen und auch noch dem Privatleben in der Familie Raum lassen. Und dazu, gebe ich zu, muß ich mich manchmal zwingen. Die Grenzziehung als Zwang. Wie ist der letzte Satz zu verstehen? Als rhetorisches Mittel zur Verdeutlichung der Ambivalenz? Oder ist der Satz wörtlich zu lesen? Wie ist es, wenn man sich zum Privatleben zwingen muß? Was sagt dies über das Verhältnis zur Arbeit aus? Eindeutiger ist die dritte, die "Scheiße"-Bewertung: Keiner bremst mich hier. Das ist die Gefahr. Wennn du dich nicht selber strukturieren kannst, dann kannst du dich hier totarbeiten. Das gefällt mir nicht. Die erweisen dir hier Respekt, sie haben Vertrauen in die Mitarbeiter, ich habe Freiräume, kann meine Arbeit selbst gestalten. Scheiße! Wenn ich da nicht auf mich aufpasse, bestehe ich nur noch aus GT. Die Angst vor einer Symbiose mit der Organisation wird selten so reflektiert und selten so ungeschminkt artikuliert. Der Ausruf "Scheiße!" gehört nicht zum gängigen Vokabular bei GT und unterstreicht die Unzufriedenheit der Befragten mit diesem Tauschverhältnis. Die im Zitat gezogene Verbindung von strukturiert sein, sich bremsen und sich totarbeiten entfaltet ein aufschlußreiches Bild: Nur wer sich strukturieren kann, entkommt der lustvollen aber in den Tod führenden Hochgeschwindigkeitsfahrt. Nur Eigenkontrolle und Selbstdisziplinierung schützen vor dem vergifteten Apfel, mit dem die Firma ihre Beschäftigten in Versuchung führt. Die Mehrzeit muß nicht zwangsläufig in der Firma verbracht werden. Dem Spannungsverhältnis zwischen Überstunden und Familienleben nehmen einige Beschäftigte die Schärfe, indem sie einen Teil der Arbeit zu Hause erledigen. "Dann habe ich wenigstens meine Frau und meine Kinder um mich rum." Zusätzlich zur Mehrzeit kommt oft noch "die Schwierigkeit, abends abschalten zu können." Die gedankliche Beschäftigung mit dem eben bewältigten Arbeitstag und mit den Herausforderungen des kommenden Tages wirken ebenfalls auf die freie Zeit: Es gibt Leute, die können den Griffel wegschmeißen, rausgehen und sagen, jetzt vergesse ich GT bis zum nächsten Tag oder bis zum nächsten Montag. Ich habe damit ein Problem. Wenn ich voll arbeite und auch sehr viele Überstunden mache, kann ich einfach schlecht abschalten. Das heißt, du beschäftigst dich auch zu Hause viel damit und machst dir Sorgen, machst dir Gedanken und steigerst dich rein. Die in der Firma verbrachte Mehrzeit hat noch weitere spürbare Auswirkungen auf die Freizeit. Bei vielen Befragten ist von "Freizeitstreß" die Rede. Es sei schwierig, "Hobbies zu pflegen, den Haushalt zu versorgen und Freundschaften zu pflegen. Das sind alles Dinge, die man nicht mehr so intensiv machen kann." Die knappe Freizeit wird dann "effektiver genutzt", sprich, denselben Rationalisierungskriterien unterworfen, die auch die Arbeitszeit strukturieren. Freizeit ist ein zu kostbares Gut, um "einfach vertrödelt" zu werden: "Dieses vor sich hinleben, so in den Tag hineinleben, das passiert mir nicht mehr." Auch der Urlaub werde dann für "Aktivitäten" in Anspruch genommen und "nicht einfach zu Hause verbummelt." Freizeitstreß, Aktivitäten, etwas pflegen und etwas versorgen: Das Modell der aktiven Freizeit wirkt fast wie ein Gegenzwang, ein Gegendruck gegen die Freizeit fressende Arbeit. Vor dieser Kolonialisierung ist derjenige am besten gefeit, der seine freie Zeit nicht verlümmelt, sondern sie aktiv nutzt. Das Surfboard hält die Arbeit eher fern als der Liegestuhl auf der eigenen Terrasse. Die Auswirkungen auf partnerschaftliche Beziehungen sind nur ansatzweise zu beschreiben. Das Thema ist sicherlich zu intim und hält wohl viele von detaillierten Angaben ab. Vereinzelt wird dennoch deutlich, daß die in der Firma verbrachte Mehrzeit partnerschaftliche Beziehungen sehr belasten kann: Mein Mann sagt oft zu mir: "Sag mal, magst du mich nicht mehr?" Natürlich mag ich ihn noch. Aber wenn ich hier mitmischen will, dann kann ich nicht nach acht Stunden gehen. Es ist schwer, ihm das klarzumachen. Bereits an anderer Stelle wurde gesagt, daß die "typischen GT'ler" nach Ansicht vieler Befragten Singles sind, ledig, "ohne eine richtige Freundin, aber dafür mit zwei PCs daheim". Sie, die "schon ein bißchen eigen geworden sind, nur für die Technik leben und nächtelang aufbleiben, nur um etwas fertigzustellen", leben nicht immer ganz freiwillig ohne feste Beziehungen, wie das folgende Zitat der Personalleiterin zeigt: Ich lästere oft über junge Ingenieure, die hierher ziehen und keine sozialen Einbindungen haben. Diese Attraktivität, dieses Verweilen in der Firma führt dazu, daß sie sich sehr schwer tun, einen Partner zu finden. Die klagen mir dann ihr Leid und sagen: "Ich finde keine Freundin." Das sagen sie mir abends um acht. Ich lästere dann und sage: "Das ist ja auch kein Wunder. Schau mal auf die Uhr! Ich bin schon verheiratet. Du mußt schon rausgehen, wenn du jemanden finden willst." Es kann ein kleiner zeitlicher Teufelskreis entstehen. Viele dieser jungen, von auswärts kommenden Ingenieure entscheiden sich, da sie keine sozialen Bindungen haben, für die Ableistung von Mehrzeit. Die Ableistung von Mehrzeit verhindert gleichzeitig den Aufbau eines sozialen Netzes außerhalb der Firma. Die fehlenden sozialen Beziehungen außerhalb der Firma bewirken einen Bedeutungsgewinn der innerbetrieblichen sozialen (Arbeits-)Beziehungen. Salopp ausgedrückt: Vor die Entscheidung gestellt, um acht Uhr abends allein oder mit anderen Kollegen und Kolleginnen in der Firma zu sein, erscheint vielen die zweite Möglichkeit als die attraktivere. Zeitkontrolle Du kannst hier jeden Tag zwölf Stunden rumsitzen, das fällt überhaupt niemandem auf. Ich mache auch oft Überstunden. Aber wenn ich wegen meinem Kind mal schon um 16 Uhr gehe, dann machen alle große Augen und schauen mich komisch an. Zwar gibt es bei GT kein offizielles Zeiterfassungssystem, dies läßt jedoch keinesfalls auf ein Fehlen jeglicher Zeitkontrolle schließen. Nicht der Automat registriert die Anfangs- und Endzeiten, sondern die wachen Augen der Kollegen und der Vorgesetzten. Möglicherweise ist es gerade das Fehlen eines formellen Kontrollsystems, das die informellen Formen der Zeitkontrolle intensiviert. Auf diese Weise hält sich die Belegschaft gewissermaßen gegenseitig in Schach. Die belegschaftliche Zeitkontrolle ist weder umfassend noch totalitär oder gar furchteinflößend. Sie existiert vielmehr sporadisch, ist eher unscheinbar und subtil. Dennoch ist sie äußerst wirksam. Sie zielt nicht auf Beschäftigte, die relativ viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen, sondern richtet sich gegen die Angestellten, die einen Acht-Stunden-Tag durchsetzen. Und noch wichtiger: Hier entfalten die informellen Zeitkontrollen ihre eigentliche Wirkung. Es sind nicht die täglich zehn Stunden arbeitenden Angestellten, die die feinen Spielarten belegschaftlicher Zeitkontrolle erkennen, es sind diejenigen, die sich nach einem achtstündigen Arbeitstag den Mantel überwerfen und Richtung Ausgang streben, während die Kollegen sitzen bleiben und weiterarbeiten. Eine Angestellte erzählt: Wenn die <die Kollegen, A.W.> sehen, daß jemand um vier oder um halb fünf rausläuft, dann heißt es garantiert: "Na, gehst du schon?" Oder es kommen dann um drei Uhr Anspielungen: "Bist du noch da? Kann ich dich noch was fragen?" Oder sie schauen einfach nur demonstrativ auf die Uhr. Das ist schon sehr ärgerlich. Beschäftigte, die ihre Tätigkeit früh aufnehmen und entsprechend früh beenden, sind ebenfalls Zielscheibe für negative Kommentare: Dadurch, daß ich schon um halb acht anfange und dann halt spätestens um halb fünf oder fünf gehe, höre ich öfter, nein öfter nicht, aber ab und zu, sarkastische Bemerkungen: "Einen schönen Mittag noch!", oder solche Sachen. Aber da hab ich mir eigentlich nichts weiter draus gemacht. Die Bemerkungen müssen allerdings nicht immer so drastisch ausfallen. Gewöhnlich reicht ein Blick, vielleicht bei Gelegenheit eine subtil eingestreute Bemerkung, um die Arbeitskollegen von dem Funktionieren der informellen Kontrolle in Kenntnis zu setzen. Dennoch können sie mitunter sehr verunsichern. Daß die Zeitkontrolle auch ohne kleine Kommentare oder Blicke ihre Wirkung zeigt, wird am Beispiel eines Praktikanten deutlich. Der für neun Monate angestellte Praktikant bezeichnet sich selbst als Frühaufsteher und kommt deshalb jeden Morgen schon um 6.30 Uhr ins Büro. Gerne würde er abends entsprechend früher gehen, hat jedoch Ambitionen auf eine mögliche spätere Festanstellung und möchte deshalb "keinen schlechten Eindruck" machen. Die Folge: Er arbeitet jeden Tag ungefähr elf Stunden. Allerdings ist er sich nicht sicher, ob diese Energieleistung von den Kollegen überhaupt registriert wird. Ein älterer Ingenieur, der sich seit einigen Jahren allen zusätzlichen Zeitzumutungen widersetzt, sich dafür jedoch einem belegschaftlichen Druck ausgesetzt sieht, wünscht sich sogar die klassische Stempeluhr zurück: Meine Kollegen sagen immer hintenrum: "Der kommt später und geht früher." Obwohl das sachlich nicht zutrifft. Ich arbeite genau acht Stunden. Ich habe mir sogar angewöhnt, meine Arbeitszeiten im Kalender einzutragen. Mit rot trage ich die Zeit ein, wann ich morgens komme und mit blau, wenn ich gehe. Der Kalender ist meine persönliche Stempeluhr. Den führe ich, um einem Ausbruch übler Nachreden vorzubeugen. Mit einer Stempeluhr wäre ich viel glücklicher. Da hätte ich den Beweis. Da könnte ich dem Neid entgegenwirken. Frage: Warum Neid? Ich glaube, viele sind neidisch auf mich, weil ich den Mut habe und früher gehe als sie. Ein deviates Verhalten zwar, aber eines, das durch die Regel geprägt ist. Eine sicherlich extreme Taktik, die als - letztendlich nutzloser - Schutzwall gegen die schöne neue Welt aufgebaut wird. Mit welcher Energie sich dieser Ingenieur wehrt, mit welcher Akribie, Ordnung und Systematik er sich abgrenzt und verteidigt. Ein einsamer Kampf, der letztlich nur der Vorbeugung, der Vermeidung möglicher Konflikte dient. Der Kalender steht als Manifestation eines Denkens, das für die Mehrheit der GT'ler unzeitgemäß ist. Er ist Ausdruck eines Mißverständnisses. Wahrscheinlich wissen die Kollegen und Kolleginnen dieses Ingenieurs ganz genau, daß er täglich acht Stunden arbeitet. Das Problem liegt nicht darin, daß er angeblich weniger als acht Stunden arbeitet, sondern in seiner exakten Beschränkung auf den Acht-Stunden-Tag. In der Kalenderführung deutet sich an, daß überschaubare äußere Kontrollsysteme wie etwa eine Stempeluhr arbeitnehmerfreundlicher sein können als deren Fehlen. Schon im Umgang mit Überstunden lag ein Hinweis auf die ELIASsche These von einer historischen Transformation von Fremdzwängen hin zu Selbstzwängen und von äußerer Kontrolle hin zu Selbstkontrolle auf der Hand. Die Mechanismen der Zeitkontrolle bei GT sind ein weiterer Beleg für die Plausibilität dieser These. Im Vergleich zu den durch eine Stechuhr erzeugten Handlungen sind die Kontroll- und damit auch die Disziplinierungspraktiken bei GT wesentlich feiner. Freiheit und Disziplin stehen in einem dialektischen und sich gegenseitig befruchtenden Verhältnis.131 Formen von Fremdkontrolle sind bei GT nur diejenigen Beschäftigten ausgesetzt, die pünktlich gehen, die also, etwas boshaft formuliert, ihre Selbstdisziplinierung nicht weit genug entwikelt haben. Bei diesen belegschaftlichen Zeitkontrollen spielen die Vorgesetzten übrigens keine herausragende Rolle. Die horizontale Ebene genügt nicht nur völlig, sondern garantiert dem Kontrollsystem zugleich den so wichtigen Charakter der Informalität. Soziale Grenzen Die Hochbewertung der informellen Kommunikation ist nicht nur eine der tragenden Säulen der Firmenideologie, sie findet auch in zahlreichen Komponenten des formellen und informellen Systems ihren Ausdruck: Hierzu gehören etwa die Kaffeekultur, die Vornamensregelung, das Tragen von Namensschildern, das Teamfähigkeit überprüfende Mitarbeitergespräch, die konstatierte Holschuld bei der Beschaffung von Informationen, das sogenannte Managementby-walking-around sowie die open-door-policy. Hierzu gehören auch innenarchitektonische Zeichen wie Großraumbüros, Stehtische, Bistro- und Konferenzeken. Die informelle Kommunikation kann dabei rein arbeitsbezogen bleiben oder eine sehr 131  "Die 'Aufklärung'", schreibt FOUCAULT (1976, S.285), "welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden." Im Unterschied zu ELIAS, der die neu entstandenen Zwänge und Disziplinierungsnotwendigkeiten etwas vernachlässigt hat, widmet FOUCAULT ihnen mehr Aufmerksamkeit. In einem kulturhistorischen Sinn erscheint mir deshalb der FOUCAULTsche Blick auf ein postfordistisches Unternehmen wie GT als der angemessenere. persönliche Note bekommen. Die Beschäftigten müssen sich entscheiden zwischen einer strikten Trennung von Beruf und Privatleben und einer in Form und Intensität nuancenreichen Vermischung dieser beiden Sphären. Sie müssen diese Entscheidung von den jeweiligen Arbeitskollegen abhängig machen und sie müssen sie täglich neu treffen. Eine rigide Grenzziehung zwischen Beruf und Privatleben in den sozialen Beziehungen ist sicherlich in jeder Firma die Ausnahme, so auch bei GT. Nur einer von vierzig Befragten - in der Firma hat er längst den Ruf eines etwas starrsinnigen Einzelgängers - spricht sich für eine völlige Trennung der beiden Bereiche aus: Ich vermeide am Arbeitsplatz Privatgespräche total. Ich wirke dem sogar provokativ entgegen. Wenn ich nach dem Urlaub gefragt werde, wie es war, dann reagiere ich säuerlich. Ich gelte als arrogant. Nach dem Motto: Laß mich in Ruhe, das ist meine Sache. Ich habe auch keine Freunde im Betrieb. Meine Devise hier ist ganz klar: Schnaps ist Schnaps und Geschäft ist Geschäft. Natürlich gibt es von anderen immer wieder Annäherungsversuche. Insbesondere von ausländischen Kollegen. Die sind ja sehr interessiert an privaten Kontakten. Ich rekrutiere meine Freunde woanders. Wie der Teufel das Weihwasser meide ich private Kontakte im Büro. Im Normalfall vermischen sich beide Bereiche, wobei hier zahlreiche Schattierungen festzustellen sind. In den Interviews verweisen viele auf die wechselseitige Abhängigkeit beider Sphären. Allerdings werden häufig die Wirkungen des Privatlebens auf die Arbeit thematisiert: "Wenn du irgendwelche persönlichen Probleme hast, dann beeinflußt das ganz schnell deine Arbeit negativ." Die umgekehrte Richtung, die Auswirkungen von Arbeitsproblemen auf das Privatleben, hat für die Befragten offenbar eine geringere Bedeutung. Das Private kann in den Betrieb entweder durch Personen oder - wie im folgenden Unterkapitel ausführlicher erörtert - durch die gängigere Variante, durch Gespräche eingeführt werden. Privatpersonen, d.h. nicht bei GT beschäftigte Personen, die einen Angestellten besuchen, sind fast nie in der Firma zu sehen. Während der siebenwöchigen teilnehmenden Beobachtung wurde nur einmal ein Beschäftigter von seiner Frau und ihrem Baby am Arbeitsplatz besucht, für nur wenige Minuten. Das jährliche Picknick bietet die einzige Chance, auch die Familien bzw. die Partner und Partnerinnen der Kollegen kennenzulernen. Selbst beim Weihnachtsfest bleiben die Belegschaftsmitglieder unter sich, was übrigens bei vielen Befragten einen gewissen Unmut hervorruft. So beklagt sich ein Holländer: In Holland sind die Familien ein Teil von GT, weil sie viel öfter dabei sind. Da sind zum Beispiel auch bei der Weihnachtsfeier die Frauen mit dabei. So kennt man sich untereinander viel besser. Hier dagegen wird man nicht so schnell vertraulich. Was mich hier immer stört, ist die Weihnachtsfeier. Da gehe ich nicht hin, weil ich es blöd finde, daß meine Frau zuhause sitzt und wartet und ich dann mit den Leuten feiern muß, die ich sowieso das ganze Jahr über sehe. Einen Sonderfall im Zusammenhang mit Privatpersonen stellen Paare dar, bei denen beide Angestellte der Firma sind. Um die Herausbildung von unklaren Rollen - einerseits ist die Part- nerin dann Kollegin, andererseits Ehefrau - zu verhindern, betreibt GT eine Personalpolitik, die bei Paaren eine Arbeitskooperation so weit als möglich ausschließt - eine räumliche Trennung wird angestrebt. Ehemann und Ehefrau arbeiten nicht nur in verschiedenen Abteilungen oder Bereichen, sondern in verschiedenen divisions. Im Untersuchungsbereich sind zwei Angestellte mit einem Partner liiert, der ebenfalls bei GT tätig ist. Bei beiden zeigt sich ein Umgang mit der Partnerschaft, der, ähnlich der offiziellen Personalpolitik, auf eine deutliche Trennung von Arbeits- und Privatsphäre ausgerichtet ist. Ein Sekretärin erklärt: Mein Freund arbeitet auch bei GT. Aber für uns ist Geschäft Geschäft und privat ist privat. Wir reden auch nie privat im Geschäft. Außer wenn ich mit ihm mitfahren muß und am Telefon schnell was ausmache: "Holst du mich ab? Ok, tschüs." Aber es wird nicht besprochen, was eingekauft werden muß oder ähnliche Dinge. Wie das Private im Betrieb, so findet auch das Betriebliche in zweierlei Hinsicht Eingang in die Privatsphäre: zum einen durch Arbeitskollegen (vergleiche hierzu das zweite Unterkapitel), zum anderen durch den im Betrieb verwendeten Jargon, der am Ende eines Arbeitstages nicht immer problemlos abgelegt werden kann. Der im Betrieb erlernte Jargon ist insbesondere durch eine überproportionale Verwendung von englischen Begriffen charakterisiert, wobei diese Begriffe oftmals angepaßt werden und sich zu eingedeutschten Wortbildungen verändern. Um sich eine etwas sinnlichere Vorstellung von dem Jargon machen zu können, sei ein Teil einer in der Betriebszeitung abgedruckten Persiflage zitiert, in der der "puls"-Redakteur die firmeneigene Sprache verballhornt ("puls" 3/1983, S.2), die meines Erachtens jedoch den Jargon relativ wirklichkeitsgetreu wiedergibt: Nun, wahrscheinlich würde er <der Germanist, Anmerkung A.W.> sich auch gar nicht so wohl fühlen bei GT und eher von einer Ohnmacht in die andere fallen, wenn er unser GT-Deutsch unter die Lupe nehmen müßte. Wenn er sich z.B. anhören müßte, daß heute die supervisor meeten, um über die targets der verschiedenen lines einer division zu reporten, da die group, als auch corporate, neue guidelines herausgegeben haben und sich die functionals insbesondere den expatriates im sales gegenüber committed haben, eine Transfermöglichkeit in R+D oder QA zu checken. Die Auswirkungen des Jargons auf das Privatleben sind sicherlich nicht gravierend, ebensowenig sind sie jedoch völlig unerheblich. Viele Beschäftigte räumen ein, das Umschalten würde ihnen sehr schwer fallen. Wenn das Umschalten nicht gelingt, dann tragen sie einen Ausweis ihrer Firmenmitgliedschaft in den Freundeskreis und müssen zumindest mit der Unbill der privaten Gesprächspartner rechnen: "Außerhalb der Firma eckt man damit ziemlich an", so ein Ingenieur. Und ein Manager klagt: Es ist schrecklich, in einem deutschen Kreis der einzige GT'ler zu sein. Das fällt einem gar nicht auf, wenn man anders redet. Die anderen mokieren sich dann schon mal darüber. Sie finden das arrogant, glaube ich. Soziale Grenzen lassen sich also in zweierlei Hinsicht ziehen. Zum einen müssen die Beschäftigten entscheiden, bis zu welchem Grad sie Privates, Persönliches oder gar Intimes in der Arbeitswelt dulden beziehungsweise protegieren. Zum anderen müssen sie abwägen, wie viel Berufliches in der Privatsphäre Platz finden darf, inwiefern sie also Arbeitskontakte privatisieren wollen. Diese Grenzziehungen werden in den folgenden beiden Unterkapiteln behandelt. Persönliche Kontakte im Betrieb Bis auf eine Ausnahme betonen alle Befragten die Relevanz von persönlichen Kontakten im Betrieb und geben an, diese zu pflegen. Die Bezeichnung "persönliche Kontakte" ist ausgesprochen weit und unscharf und nur als ein Dachbegriff zu verstehen, den die Befragten mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen und Intensitätsstufen besetzen. Für manche sind persönliche Kontakte ein Ausdruck von sehr privaten, teilweise sogar von tiefen, fast intimen Beziehungen. Andere verbinden damit die Vorstellung, sich nicht ausschließlich arbeitsbezogen zu unterhalten und sich mit den Kollegen und Kolleginnen "auch mal über einen Kinofilm (zu) unterhalten oder sie (zu) fragen, was sie am Wochenende gemacht haben." Die Bandbreite dieser Intensitätsstufen ist etwa so groß wie die Zahl der Interviewten. Einige Beispiele: (1) Wenn du morgens zusammenstehst beim Frühstück oder auch nachmittags oder abends mal, das ist unwillkürlich, daß du einfach mal sagst: "Wir haben das und das gemacht. Und da hatten wir das und das Problem. Und: Mir geht es nicht so gut." Und dann die anderen: "Was hast du denn?" Und dann kannst du es nicht mehr trennen. Also die wissen unheimlich viel von mir. Aber das bleibt auch bei denen. Maximal bis zur Frau dringt das vielleicht daheim. Also du teilst unheimlich viel miteinander. Das ist schon fast wie eine zweite Ehe mit manchen. Du hast ein großes Vertrauensverhältnis. Im Vergleich zu der anderen Firma, mein Gott, der hat überhaupt nichts gewußt von mir. (Sekretärin) (2) Ich gehe so mal zu den Leuten und rede über alles Mögliche: Wie geht's usw.. Ich höre auch oft, okay, es gibt also dies und das in der Familie und darum gehe ich immer nachher dann wieder hin und frage: was ist los und wie ist das? Mir ist das unheimlich wichtig, daß Leute in ihrem Familienleben glücklich sind. Es ist nicht mein Job, sie glücklich zu machen. Aber es ist mein Job, wenn da irgendwo Probleme sind, daß ich soweit helfe, daß sie die Probleme lösen können. Oder wenn man vom Urlaub zurückkommt und die Leute eine Zeit nicht gesehen hat oder von einer längeren Reise, dann gehe ich vorbei und sage, was ist. Aber viel mehr als das kommt auch nicht raus bei mir. (Manager) (3) Wir reden über Privates und über Mitarbeiter. Der eine wollte sie in die Pfanne hauen und der andere hat sie angemeckert. Oder so geht das dann hin und her. Dann versuche ich da ein bißchen zu schlichten. (Sekretärin) (4) Was man am Wochenende gemacht hat, klar. Aber ich möchte nicht, daß die Leute hier zu viel über mich wissen. (Sekretärin) (5) Ich komme nicht mit persönlichen Problemen in die Firma. (Ingenieur) Die Intensitätsgrade der informellen Kommunikation variiert nicht nur zwischen den Befragten, sondern ist darüber hinaus abhängig von den jeweiligen Gesprächspartnern und -partnerinnen, von den konkreten Gesprächssituationen und schließlich auch von der Tageslaune. Die sozialen Grenzen werden also täglich und je nach Partner und Situation neu ausgehandelt. Insofern ist es nahezu unmöglich, das komplexe Gewebe dieser Grenzziehungen in wenigen Sätzen nachzuzeichnen. Die folgenden vier Beobachtungen sollen zumindest einige Aufschlüsse über die Struktur dieses Gewebes geben: 1. Während Sexualität und Erotik in literarischen Werken über die Arbeitswelt eine große Rolle spielen und der berühmte Büroflirt eines der Hauptthemen vieler deutscher Angestellten- und Büroromane bildet,132 unterscheidet sich der Arbeitsalltag bei GT hiervon deutlich. Die sozialen Beziehungen werden zwar von vielen Befragten als sehr persönlich, teilweise sogar als eheähnlich (vgl. Zitat 1) bezeichnet, sie sind jedoch relativ frei von erotischen oder sexuellen Zügen. Körperliche Berührungen sind unüblich. Während der siebenwöchigen Beobachtung habe ich nur einmal eine Umarmung registriert: Ein Ingenieur begrüßte so eine Kollegin, die nach längerer Urlaubszeit wieder im Großraumbüro auftauchte. Dieser Ingenieur wird von anderen Beschäftigten als "ein wenig überherzlich" bezeichnet. Im Beobachtungsbereich hat nur ein Beschäftigter, ein englischer Praktikant, offen geflirtet. Eine der Sekretärinnen wundert sich sehr über "unsere Männer" und kommt zu folgendem Schluß: Ich will ja hier keinen Ehemann suchen. So ist das ja nicht. Aber das sind für mich keine normalen Männer. Ich bin jetzt acht Jahre bei GT und sowas ist mir noch in keiner anderen Firma passiert. Ich habe da noch keine Offerte gekriegt. Da hat es keiner, nur zwei versucht, ja, zwei haben es versucht, ja. Aber irgendwie ist mir noch nie aufgefallen, daß es da irgendwelche Techtelmechtels gibt. Das sind in meinen Augen keine normalen Männer. Ja, die haben wirklich nur ihre Arbeit im Kopf. Die gucken schon mal, aber mehr nicht. Selbst abends oder wenn du dann privat, privat oder geschäftlich, etwas trinken gegangen bist und dann hast du also wirklich noch vom Geschäft gesprochen. Oder in der Mittagspause. Ich habe auch noch nie gehört, daß einer gesagt hat: "Mensch guck mal. Das ist aber eine Nette." Es gibt hier zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Aber wenn du hier als Frau einen Mann suchst, dann bist du verloren. 2. Die persönlichen Kontakte konzentrieren sich bei den meisten auf ein oder zwei Kollegen. Als Beispiel persönlicher Beziehungen und als Beleg dafür kommen viele Befragte auf den Themenbereich "private Probleme" zu sprechen. Die Erörterung von privaten Problemen dient quasi als Indiz für einen besonders hohen Intensitätsgrad der Beziehungen. Es ist auffällig, daß die privaten Probleme zumeist bei den anderen verortet werden. Wie in Zitat (2) wollen die Befragten ihren Kollegen und Kolleginnen bei der Bewältigung privater Probleme helfen. Äußerst selten ist wie in Zitat (1) davon die Rede, den Kollegen die eigenen privaten Probleme zu erzählen, um sich selbst helfen zu lassen. Daß das Erzählen der eigenen privaten Probleme - wenn überhaupt von einer Sekretärin angesprochen wird, während die Manager sich grundsätzlich auf die privaten Probleme der anderen beziehen, ist sicherlich kein Zufall und wird noch zu interpretieren sein. Ansonsten klafft zwischen der oft konstatierten zwischenmenschlichen Nähe und den beispielhaft angeführten Themen ein deutlicher Widerspruch. Auf die Frage: Worüber wird bei persönlichen Gesprächen eigentlich geredet?, werden zumeist Themen angeführt, die gerade nicht eine allzugroße Vertrautheit signalisieren. Folgt man den Angaben der Befragten, wird oft über "andere Mitarbeiter" geredet, über "die Stimmung im Betrieb" oder in einzelnen 132  Vgl. LAUTERBACH 1990, S.52. Abteilungen, über "das vergangene Wochenende" sowie über aktuelle kulturelle und politische Ereignisse. Ein so heikles und potentiell konflikthaltiges Thema wie die Höhe des Gehalts wird vollkommen tabuisiert. Nur wenige der Interviewten gehen gewissermaßen auf firmenideologischen Gegenkurs und bekennen, bei persönlichen Gesprächen "lieber zuzuhören, als selbst was zu erzählen", "eher zurückhaltend" und "vorsichtig" zu sein oder erklären offen, "mit persönlichen Problemen nicht in die Firma" zu kommen. Der Großraum ist für manche ein zusätzliches Handicap: Ich mag eigentlich solche persönlichen Gespräche. Aber nachher denke ich, wer hat sich das angehört? Es ist ein so großer Raum. Manchmal denke ich, das sind schon Privatsachen. Aber wer hat da zugehört? Wenn jemand kommt und mir was erzählt, dann höre ich zu oder ich kann was dazu sagen, aber ich versuche immer aufzupassen, wer das anhören könnte. Das ist das Problem. Das ist immer die Gefahr. Als Grund für die Zurückhaltung geben manche ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber den Kollegen und Kolleginnen an: (1) Alles wird immer gleich bewertet und beurteilt. Man kann hier nichts sagen, ohne daß es bewertet wird. Deshalb ist es oft besser, gerade bei privatem Kram, ein bißchen zurückhaltend zu sein. (2) Ich möchte nicht, daß die Leute zu viel über mich wissen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß das gegen einen gebraucht werden kann. Das ist traurig, aber es ist wahr. Daß die Themen im Regelfall wenig persönlich sind, dies belegen auch die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung. Die beobachteten persönlichen Kontakte waren alle recht kurz, zumeist reduziert auf den Austausch weniger Sätze. Allerdings ist dies wenig erstaunlich: In Anwesenheit eines Forschers sind persönliche Gespräche sicherlich noch weit schwieriger und unwahrscheinlicher. 3. Der Aufbau und die Pflege persönlicher Beziehungen im Betrieb ist nicht immer eine rein freiwillige Angelegenheit. In jedem Betrieb gibt es einen Zwang zur informellen Kommunikation. Dieser Zwang ist bei GT aufgrund der firmenideologischen Hochbewertung von informeller Kommunikation entsprechend stark. "Die Fähigkeit, auf andere zuzugehen", dies betonen fast alle Beschäftigten, sei eine der grundlegenden und unverzichtbaren Kompetenzen. "Wer da Schwierigkeiten hat, sucht sich besser eine andere Firma." Immer wieder wird, den Zugang zu Informationen betreffend, von einer "Holschuld der Mitarbeiter" gesprochen. Visibility ist eines der zentralen Schlüsselbegriffe. Wer im Arbeitsalltag nicht sichtbar ist oder wer seine Arbeit nicht sichtbar machen kann, gerät schnell in eine ungünstige Position: Das ist ganz wichtig im Betrieb, daß man bekannt wird. Das ist unglaublich wichtig, man glaubt gar nicht, wie wichtig das ist, das Allerwichtigste überhaupt. Viele Leute hier leisten sehr gute Arbeit und kriegen keine Anerkennung und kein Feedback. Weil man sie nicht kennt. Ich sage immer: "Leute, wenn ihr was geleistet habt, laßt uns Leute zusammenrufen." Diese visibility, daß jemand sich verkaufen kann, das ist das A&O. Das hat immer so einen negativen Unterton, das sich verkaufen. Aber die, die das machen, kriegen auch noch mehr Kontakt zu anderen, werden viel eher und schneller eingebunden, es ist ja alles eine Team- arbeit, und werden dadurch ungleich höher geschätzt und das motiviert die von neuem. Der Zwang zur informellen Kommunikation erstreckt sich nicht nur auf die Arbeitskooperation, sondern gilt bis zu einem gewissen Grad auch für die persönlichen Beziehungen im Betrieb. Dieser Zwang ist natürlich nur mittelbar erfahrbar und zielt oft nur, was schließlich nicht nur für Betriebe, sondern für alle sozialen Bereiche gilt, auf die Einhaltung von Konventionen und den zwischenmenschlichen Umgang betreffenden Regeln. Ein Beispiel: Das verstehe ich, daß sich mein Chef nicht besonders für mein Privatleben interessiert, das trage ich ihm auch nicht nach. Mich interessiert es eigentlich auch nicht wirklich, was er macht, ich frage ihn aber trotzdem manchmal, wie es ihm geht. Oftmals beruht der Zwang zur informellen Kommunikation jedoch nicht nur auf der Einhaltung gesellschaftlicher Etiketten, sondern auf gruppenspezifischen Integrationsforderungen. Wer sich solchen Forderungen entgegenstellt oder verweigert, muß mit Konsequenzen rechnen. Das folgende Zitat einer Sekretärin zeigt die feinen Formen informeller Zwangskommunikation und informiert über die subtilen Folgen, die eine Verweigerung der üblichen Muster sozialer Beziehungen nach sich zieht: Die Sekretärinnen gehen hier oft miteinander essen. Ich bin sehr selten dabei. Ich gehe meistens mit anderen. Ich glaube, die denken dann immer: Die ist gar nicht interessiert an Sekretärinnenproblemen. Was gar nicht stimmt. Wenn es ein Problem gibt, das allgemein Sekretärinnen betrifft, wenn einfach was über unsere Köpfe hinweg entschieden wird, dann kümmere ich mich natürlich auch darum. Aber irgendwelche anderen Sachen nicht, irgendwelches Getratsche: "Guck mal, der geht schon wieder mit ihr essen oder sie schon wieder mit ihm." Was interessiert mich das, wer mit wem essen geht. Wenn die gerne miteinander essen gehen, bitte schön. Oder irgendwelche Gespräche, wie ich meiner Pflanze Wasser gebe, nein danke. Ich werde manchmal etwas komisch angeschaut. Frauen untereinander labern ja meistens: "Was hast du denn gestern abend gekocht? Wie kochst du dies und jenes? Und ich habe gerade dies genäht und ich habe gerade jenes eingekauft und ich war gerade beim Friseur und habe dies und jenes bezahlt." Ich kann mit solchen Gesprächen nicht viel anfangen. Und warum soll ich dann mit denen essen gehen und mich dann zu Tode langweilen? Ich habe das Gefühl, daß mir das übel genommen wird. Weil die merken dann, die geht ihre eigenen Wege. Und versucht nicht gleich, voll Kontakt zu kriegen und sich zu integrieren. Klar, ich habe schon versucht, Kontakt zu kriegen. Aber deswegen krieche ich nicht gleich auf allen vieren und gehe mit denen essen. Und sage: "Ach ist das schön. Ich war gestern auch im Breuninger." Es wird manchmal nicht akzeptiert, wenn man seine eigenen Wege geht. Es kommt auch nicht so richtig raus, niemand sagt was. Ich meine, wie sollen die das sagen? Sie können mir das nicht zum Vorwurf machen, daß ich mit ihnen nicht essen gehe. 4. Die Klage der Sekretärin läßt darauf schließen, daß die soziale Integration in der eigenen Berufsgruppe bei den Sekretärinnen eine wichtigere Rolle spielt als dies etwa bei Ingenieuren oder Managern der Fall ist. Möglicherweise finden sich hier auch am ehesten personalisierte Arbeitsbeziehungen. In der Tat sprechen drei Indizien dafür, daß eine wachsende hierarchische Position mit einer strikteren Grenzziehung zwischen Arbeit und sozialem Engagement korre- spondiert. Erstens deuten zahlreiche Aussagen der Befragten auf einen solchen Zusammenhang hin: Die Manager in unserem Bereich sind leider keine Ausnahme. Es gibt eine ganze Generation von Leuten im mittleren Management, die alles andere als offen sind. Die schotten sich ab. Überhaupt nicht GT-way. Für die zählt nur ihre Karriere. Das zweite Indiz bezieht sich auf die oben konstatierte Beobachtung, daß die angeführten "persönlichen Probleme" zumeist bei den anderen verortet werden. Diese Beobachtung gilt besonders für Aussagen von Managern. Wenn von persönlichen Problemen die Rede ist, wollen Manager immer anderen helfen, sie zu lösen; daß sie ihre eigenen persönlichen Schwierigkeiten im Betrieb bereden könnten, wird dagegen nie erwähnt. Nun ließe sich einwenden, daß dieses Ausweichen auf die persönlichen Probleme der anderen eine bloße, in den alltäglichen Praktiken keine Entsprechung findende Interviewtaktik sein kann, um erstens Hilfsbereitschaft und Engagement zu demonstrieren und um sich zweitens als ein Manager zu präsentieren, der, wie ein Manager über einen Kollegen sagte, "sein Privatleben voll im Griff hat und es ebenso souverän managed wie seine Arbeit". Zweifellos sind solche Verortungen persönlicher Probleme bei anderen auch eine Interviewtaktik, die der Selbststilisierung dient. Es ist jedoch zu vermuten, daß diese Verortungen ebenso das tatsächliche managerielle Verhalten im Betrieb wiedergeben. Hierfür spricht auch Indiz drei: Es bezieht sich auf die Funktionen, die die Befragten der informellen Kommunikation zuschreiben. Während für Sekretärinnen und für einige Ingenieure die persönlichen Gespräche einen Wert an sich haben, der Entspannung oder der Muße dienen oder einfach nur "Spaß machen", fungieren sie für Manager eher als Mittel zum Zweck: Gute soziale Beziehungen wirken positiv auf die Arbeit und private Probleme müssen im Betrieb beredet werden können, da sie, wenn sie nicht gelöst werden, über kurz oder lang Störungen bei der Arbeit erwarten lassen. Manager machen zwar im Unterschied zu anderen Berufsgruppen mehr Überstunden, können also ihre zeitlichen Grenzen weniger kontrollieren, dafür ziehen sie strengere soziale Grenzen. Daß oftmals die managerielle Betonung der Bedeutung von sozialen Beziehungen eher als Lippenbekenntnis denn als Ausdruck ihrer eigenen Praktiken zu werten sind, liegt sicherlich auch in der extremen Knappheit der Ressource Zeit begründet. Persönliche Gespräche lenken von der anstehenden Arbeit ab, verhindern sie gar für die Dauer dieser Zeit. Weitaus wichtiger dürfte jedoch ein anderer Grund sein: Wer im von Konkurrenzsituationen durchzogenen Arbeitsleben vor Kollegen bzw. Konkurrenten die eigenen Probleme, Schwächen oder Schwierigkeiten ausbreitet, macht sich potentiell angreif- und verwundbar. Je höher die hierarchische Position, desto wichtiger ist es, offene Flanken zu vermeiden, desto notwendiger, in Gesprächen mit anderen die die eigene Person betreffenden Informationen zu filtern und wenn nötig zurückzuhalten. Diese möglichen Folgen persönlicher Kontakte werden zwar, wie bereits erwähnt, von einigen thematisiert, jedoch nicht von Managern. Es ist eine Sekretärin, die erzählt, sie habe negative Erfahrung mit persönlicher Offenheit gegenüber anderen Beschäftigten gemacht. Es ist ein Ingenieur, der "vorsichtig mit privaten Dingen" ist, weil "alles beurteilt" wird. Manager führen diese Begründungen nicht an. Dennoch ist es gerade bei ihnen sehr naheliegend, daß ihre relativ strikten sozialen Grenzziehungen in einem aus Angst vor Mißbrauch aufgebauten Selbstschutz begründet liegen. Betriebliche Kontakte in der Freizeit Bislang wurden die Grenzziehungen bzw. die Beruf und Privatsphäre überlappenden Beziehungen in der Arbeit erörtert. Jetzt soll untersucht werden, welche Beziehungs-Spielarten die Vermittlung dieser beiden Sphären in der Freizeit hervorbringt. Die Firma GT hat ein gewisses Interesse daran, daß die Beschäftigten in der Freizeit betriebliche Kontakte weiterführen. Sicherlich darf dieses Interesse nicht überinterpretiert werden. Es ist natürlich nur von marginaler Bedeutung und es ist auch kein expliziter Bestandteil der Firmenideologie. Daß die Firma an in die Freizeit reichenden Arbeitsbeziehungen Interesse hat, wird immerhin an den von ihr organisierten Aktivitäten und den von ihr zur Verfügung gestellten Einrichtungen deutlich. Als Beispiel für die von ihr organisierten Aktivitäten seien die mehrmals im Jahr - in den 70er und 80er Jahren sogar mehrmals im Monat - stattfindenden beerbusts genannt: die Firma stellt das Bier und die Räume, die Beschäftigten sitzen nach der Arbeit noch ein wenig zusammen. Daß die beerbusts in den letzten Jahren weit weniger häufig als früher stattfanden, liegt den Befragten zufolge im nachlassenden Interesse seitens der Belegschaft begründet. Als Beispiel für die von GT zur Verfügung gestellten Einrichtungen seien die Sportanlagen genannt, die den Beschäftigten eine breite Palette von Sportarten auf dem Firmengelände zur Verfügung stellen und die, folgt man den Einschätzungen eines GT-Sportaktivisten, von vielen in Anspruch genommen werden. Das Spektrum an möglichen Grenzziehungen und Vermischungen von Arbeits- und persönlichen Beziehungen ist in der Freizeit ähnlich vielfältig wie in der Arbeitszeit. Manche der Befragten geben an, "schon einige Freunde im Betrieb" zu haben, mit denen sie sich abends treffen würden, andere sprechen von "zwei oder drei Kollegen, die ich als Freunde bezeichnen würde", wiederum andere haben "bei GT keine Freunde". Die Antworten unterscheiden sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Anzahl betrieblicher Kontakte in der Freizeit, sondern auch in Bezug auf die Häufigkeit gemeinsamer Treffen sowie in der Definition dieser Kontakte. So reden etwa viele der Befragten von Bekannten anstelle von Freunden: Ich würde nicht sagen, daß ich Freunde im Betrieb habe. Aber ich habe natürlich Bekanntschaften geschlossen, wo man sich ein- oder zweimal im Jahr irgendwo trifft. Also Freundschaften nicht unbedingt, aber daran habe ich auch kein Interesse. Die Nähe zu Kollegen in der Freizeit wird nicht generell positiv bewertet. Schon eine fehlende räumliche Distanz kann störend sein. Einer der Ingenieure fürchtet sich vor GT-Nachbarn: Ich suche keine Freundschaften innerhalb der Firma. Ich möchte da einen gewissen Abstand halten. Als wir zum Beispiel das Haus gesucht haben, da gab es auch Alternativen, in einer Reihenhaussiedlung. Aber ich habe schon mitgekriegt, da sind mindestens schon drei Kollegen, alle aus der BMD. Das möchte ich nicht. Allein die Abhängigkeit, daß man dann vielleicht die Gleitzeit und alles aufgeben würde, und morgens gemeinsam um halb sieben anfängt zu arbeiten. Das ist dann gegen meinen Rhythmus, aber ich habe dann keinen logischen Grund mehr zu sagen, nein, ich fahre selber um halb neun. Das könnte ich dann irgendwo auch nicht, auch nicht begründen, warum ich jetzt selber mit dem Auto hinfahren würde. Einige der Kontakte beruhen auf Initiativen, die von der Firma organisiert sind. Die Beteiligung an von GT organisierten Initiativen und Aktivitäten eröffnet neue Kontaktangebote und ist besonders für neue Mitglieder interessant. Zitat einer Sachbearbeiterin: Im Tennis bin ich noch sehr aktiv dabei. Und die Skigymnastik mache ich auch grundsätzlich mit. Dann bin auch bei den Skiausfahrten dabei. Bei anderen Initiativen inzwischen nicht mehr. Ich habe mittlerweile privat viele Bekanntschaften durch GT und mache dann halt mit denen Sachen. Sei es ins Kino gehen oder irgendwo essen gehen oder am Wochenende mal was unternehmen. Oder mal eine Wanderung. Oder auch mit GT'lern privat zusammen in Skiurlaub fahren. Also das sind Dinge, die nicht unbedingt die Initiative von GT voraussetzen, sondern die Eigeninitiative erfordern. Die Motive für die Privatisierung betrieblicher Beziehungen sind bei den einzelnen Beschäftigten durchaus unterschiedlich. Zwar mag es zunächst naheliegend sein, die Vermischung des Privatlebens mit betrieblichen Beziehungen als ein Indiz für eine hohe Vernetzung mit GT zu betrachten, oder auf das Mitglied bezogen: als ein Indiz für eine starke Herausbildung des Firmenmenschen. Eine solche Schlußfolgerung mag zwar für einige Mitglieder plausibel sein, ist jedoch insgesamt zu eindimensional. Neben einer stark ausgeprägten Firmenanbindung spielen mindestens noch zwei weitere Motive eine wichtige Rolle. Das erste Motiv könnte als eine Vermittlung zwischen Arbeits- und Privatsphäre zugunsten der Privatsphäre bezeichnet werden. So erklärt ein Ingenieur: Es ist so, daß ich da und dort doch ganz bewußt nach Gelegenheiten suche, die Arbeitswelt in die Privatsphäre reinzubringen. Wenn ich zum Beispiel Besuch kriege, also Kollegen aus USA, dann nutze ich gern die eine oder andere Gelegenheit, die mit nach Hause zu bringen, damit meine Frau und meine Familie auch weiß, mit wem ich zu tun habe. Ich habe das Gefühl, daß dadurch das Verständnis seitens der Familie erleichtert wird. Und man kann dann auch besser erzählen. Ich erzähle oft in epischer Breite, was ich den Tag über gemacht habe. Aber wenn es dann um bestimmte Ereignisse geht, man kann einen Namen einem Gesicht zufügen und man sagen kann, der und der war da, dann ist es auch ganz gut. Solche Vermittlungsversuche sind problematisch und gelingen nicht immer. Eine starke Herausbildung von personalisierten Arbeitsbeziehungen kann zu Konflikten im Privatbereich führen: Früher sind wir abends oft noch zusammen was trinken gegangen. Da waren alle noch ziemlich ungebunden. Ich habe damals einen Freund gehabt und der war nicht so GT-begeistert und irgendwann mußt du wieder was anderes machen. Sonst kriegst du einfach private Probleme. Es gibt auch viele Leute, die dann private Probleme gekriegt haben, deren Beziehungen kaputt gegangen sind. Das zweite Motiv für die starke Privatisierung von Arbeitsbeziehungen liegt in der Schwierigkeit begründet, außerbetriebliche Kontakte zu knüpfen. Mit diesem Problem sind vor allem ortsfremde und das heißt in der Regel ausländische Beschäftigte konfrontiert. Sie verfügen über kein soziales Netzwerk jenseits der Firma. Wir haben viele Ausländer hier, die kein Daheim in dem Sinne haben, die treffen sich dann halt mit Leuten vom Betrieb. Das ist ganz klar, bei den Engländern zum Beispiel, da gibt's so einen Engländerclan. Die hängen immer zusammen. Die Ausländer selbst machen für ihre betriebsfixierten Privatkontakte nicht das fehlende "Daheim", sondern die schwierige Kontaktaufnahme mit Deutschen verantwortlich. Eine britische Ingenieurin: Ich kenne hier nur Leute aus dem Betrieb. Ich finde, hier ist es ganz schwer, Leute außerhalb des Betriebs kennenzulernen. Das ist nicht so leicht. Ich bin Mitglied von Clubs, aber trotzdem, es gibt eine bestimmte Grenze und dann wird es nichts mehr. Es sind keine Freunde, sondern so lockere Bekannte. Und eigentlich nur von der Arbeit. Das passiert oft: Man hat einen Arbeitskollegen und lernt dann die Freundin von dem Arbeitskollegen oder Freunde von ihm kennen. Aber ich muß sagen, meine ganzen Freunde und Bekannten sind alle vom Betrieb. Selbst ein Thüringer Praktikant, er ist für neun Monate angestellt, ist bei der Suche nach Privatkontakten auf den Beschäftigtenpool angewiesen und hofft auf eine von Praktikanten ausgehende Initiative: "Es wäre sehr schön, wenn die GT-Praktikanten irgendwelche Treffs organisieren, einen Stammtisch oder so." Viele der Ausländer wundern sich nicht über die hohe Quote ausländischer Angestellter und spekulieren, welches Ziel die Firma mit ihrem Personalmanagement verfolgt. Ihrer Ansicht nach kommt der hohe Ausländeranteil der Firma zugute: Wir haben kein privates Umfeld und können uns ganz auf die Arbeit konzentrieren. Und wenn wir uns treffen, dann mit Kollegen. Oft ist es dann schwer, nicht über GT zu sprechen. Dennoch ist für die ortsfremden, insbesondere die ausländischen Beschäftigten die abendliche Verabredung mit Kollegen weniger Zeichen einer besonders starken Identifikation mit der Firma, denn eine aus der Not geborene Strategie zur Vermeidung privater Isolation. Es ist schwer, das heißt wir wollen, aber wir schaffen es nicht. Wiederum ist das Informelle die Arbeit. Wenn sich Arbeitsbeziehungen privatisieren, ist bereits eine allen Beteiligten vertraute thematische Plattform vorgegeben, auf die entweder bei Gelegenheit rekurriert werden kann, die aber auch gesprächsleitend und -dominierend sein kann. Nicht nur ausländische Beschäftigte machen die Erfahrung, daß es "oft schwer (ist), nicht über GT zu sprechen", wie das folgende Zitat eines deutschen Ingenieurs zeigt: Wenn man sich mit Leuten von GT in seiner Freizeit trifft, dann passiert es sehr leicht, daß man dann in Gesprächsthemen abgleitet, die sich um GT drehen. Das passiert relativ schnell. Aber das hängt sehr stark von den Leuten selbst ab, also mit wem ich mich dann treffe und welche Art von Kontakten bestehen. Die meisten Beschäftigten haben jedoch das Anliegen, Arbeit und Privatsphäre zu trennen und entwickeln Strategien, um abends das Thema GT auszuklammern. Eine Ingenieurin (Zitat 1) und ein Ingenieur (Zitat 2) erzählen: (1) Wenn ich mit Leuten weggehe, reden wir nie über die Arbeit. Ich muß sagen, das interessiert mich auch überhaupt nicht. Wenn dann mal jemand anfängt, unterbreche ich ihn und sage: "Jetzt ist Freizeit. Lassen wir das bis morgen." Das klappt eigentlich ganz gut. (2) Es gibt eine kleine Runde von Kollegen, mit denen ich mich hin und wieder auf ein Bier treffe. Vier, fünf Leute. Aber wird haben etwas vereinbart: Nie über die Arbeit sprechen. Wer die Regel bricht, muß eine Runde zahlen. Das zweite Zitat ist ein spielerischer Umgang mit einem Problem, lustig und traurig zugleich. Die Anwesenden beteiligen sich an einem Miniritual, das nicht deshalb interessant ist, weil es einen Lösungsweg vorschlägt, sondern weil es die Brisanz des Problems freilegt. Trotz all den unterschiedlichen Schattierungen, die Privatisierung betrieblicher Beziehungen zweifellos haben, lassen sich zwei allgemeinere Aussagen machen. Erstens: Die Privatisierung betrieblicher Beziehungen ist altersabhängig. Jüngere Beschäftigte sind zumeist eher willig, sich in der Freizeit mit Kollegen und Kolleginnen zu treffen. Bei älteren Beschäftigten ist dagegen ein verstärktes Interesse am Schutz der Privatsphäre vor dem Betrieb zu beobachten. Das folgende Zitat eines etwa 55jährigen Ingenieurs stellt dabei auch einen Bezug zur Ideologie her. Dieser Interpretation zufolge ist die Ziehung von privaten Grenzen eine Handlung, die nicht mit dem dominanten Wertesystem vereinbar ist. Am Anfang, als ich noch in der Entwicklung war, hatte ich viele Freunde im Betrieb. Im Marketing nachher weniger. Ich muß sagen, jetzt habe ich mehr außerhalb als innerhalb. Innerhalb nicht mehr. Die Bindungen geht man auch eher am Anfang ein. Mein privates Leben habe ich inzwischen auch gerne für mich. Da bin ich vielleicht kein guter GT'ler. Frage: Glauben Sie denn, daß Sie da eine Ausnahme sind? Nein. Das ergibt sich automatisch. Das habe ich bei vielen beobachtet. Wenn sie relativ am Anfang stehen oder jung sind, dann knüpfen sie die Kontakte und je weiter sie durch die verschiedenen Mühlen durchgehen, desto mehr läßt das nach. Da treffen sie so viel Leute, das ist schon alles schön zu, Kontakte und so, aber nicht, daß sie unbedingt gleich tiefe, neue Freundschaften entwikeln, nicht mehr auf privater Basis. Zweitens: Im Umgang mit Privatisierungen betrieblicher Kontakte spiegeln sich hierarchische Unterschiede wider. Manager achten zumeist auf eine geringere Durchlässigkeit von Arbeit und Freizeit, während Ingenieure und vor allem Sekretärinnen eine höhere Vermischung von Arbeitsund Privatkontakten tolerieren, vielleicht auch anstreben. Zwei stellvertretende Zitate: (1) Mein Mann und ich haben einige befreundete Kollegen, mit denen wir auch privat was unternehmen. Hin und wieder gehen wir mal was essen. Oder man geht ins Kino und anschließend auf ein Bierchen, das ist so mehr, daß man mal miteinander was unternommen hat und so. Daß man mal nach dem Geschäft und nicht immer nur in dem Geschäft zusammen ist. (Sekretärin) (2) Privat habe ich nicht viele Freunde aus der Firma. Ich versuche da doch, mein Privatleben privat zu halten. Ich laufe jetzt nicht bei anderen die Türe platt, um noch weiter über GT zu reden. Gut, mit meinem Nachbarn bin ich sehr eng befreundet. Weil wir uns schon lange kennen. Wir treffen uns aber, weil wir befreundet sind. Das hat wenig mit GT zu tun. (Ingenieur) Das Motiv in Zitat (1) ist die gemeinsame Unternehmung, genauer: eine bereits vollzogene gemeinsame Unternehmung. Wieder taucht das Thema informelle Arbeit auf. Sogar in der Freizeit wird informell gearbeitet: Es ist eine Arbeit, die auf eine gemeinsame Erinnerung zielt. In Zitat (2) wird dagegen erst eine Regel postuliert, um anschließend in entschuldigendem Ton einzuräumen ("Gut,..."), daß die Regel nicht eingehalten wird. Nicht nur die personale Vermischung von Arbeit und Privatsphäre ist in beiden Zitaten verschieden - ebenso sind es die Funktionen. Während das gemeinsame Bierchen der Sekretärin dazu dient, die Arbeitsbeziehungen zu privatisieren, die Kollegen also von einer anderen Seite kennenzulernen, hat der Ingenieur in seinem Nachbarn längst einen Freund gefunden. Nicht die Privatisierung einer Arbeitsbeziehung, sondern die Pflege einer Freundschaft steht im Vordergrund. Daß der Freund des Ingenieurs ebenfalls bei GT arbeitet, ist inzwischen eher nebensächlich. Was sich bereits bei der Analyse von persönlichen Beziehungen während der Arbeit zeigte, findet seine Entsprechung bei betrieblichen Kontakten in der Freizeit: Je höher die hierarchische Ebene, desto stärker sind die Beschäftigten an klaren sozialen Grenzen interessiert. Da Manager in der Regel mehr Zeit als etwa Sekretärinnen in die Firma investieren müssen, also weniger Zeit für ihr Privatleben haben, muß dieses umso besser vor betrieblichen Kolonialisierungen in Schutz genommen werden. Motivationale Grenzen Zunehmend mehr Berufs- und Beschäftigtengruppen stellen laut BAETHGE (1991, S.10f.) subjektbezogene Ansprüche an die Arbeit - Ansprüche, die "die Betriebe das Fürchten lehren" müssen: Wer nicht vordringlich äußere Reproduktionsaspekte, sondern persönliche Sinnkriterien an die Arbeit anlegt, wer also Arbeit auf sich und nicht sich auf die Arbeit bezieht (...), der scheut sich nicht lange, sein Investment und Verhalten in der Arbeit zu überprüfen und zu revidieren, wenn seine Ansprüche nicht erfüllt werden. Sei es, er sucht sich einen neuen Arbeitsplatz, sei es, er verlagert sein Aktivitätspotential auf andere Bereiche (z.B. Freizeit, Weiterbildung, außerbetriebliche Tätigkeiten) und geht in der Arbeit innerlich auf Tauchstation, wenn die äußeren Bedingungen einen Betriebswechsel nicht möglich oder zu kostspielig erscheinen lassen (...). Die Betriebe bekommen zunehmend zu spüren, daß Identifikation mit der Tätigkeit keineswegs auch Identifikation mit der Organisation heißt, innerhalb derer sie ausgeübt wird. Für die bei GT Beschäftigten scheint diese Diagnose keine Gültigkeit zu haben. Fast alle Befragten geben wörtlich an, sich sowohl mit der Arbeit wie auch mit der Firma voll zu identifizieren. Dies überrascht gleich doppelt: Zum einen verwundert es vor dem Hintergrund der von BAETHGE sicherlich zu Recht konstatierten generellen Abnahme einer Identifikation mit dem Betrieb. Vielleicht ist die Identifikation der Befragten mit der Firma dadurch zu erklären, daß GT zu eben den Betrieben gehört, die die individuelle Sinnhaftigkeit der Arbeit für wichtig erachten und deshalb für ein Umfeld sorgen, das der Selbstverwirklichung in der Arbeit entgegenkommt. Zum anderen überrascht die hohe Übereinstimmung der Antworten. Von zwanzig Befragten erklärten immerhin 16, das sind 80 Prozent, sich mit der Firma zu identifizieren. Vielleicht war die Interviewfrage falsch133 - falsch insofern, als sie Antworten wie "ein bißchen" oder "mal mehr, mal weniger" kaum zuläßt. Identifikation ist schließlich ein vieldeutiger und interpretierbarer Begriff, der für ganz unterschiedliche individuelle Haltungen stehen kann. Für die Erkundung motivationaler Grenzen ist der Grad an Identifikation mit Arbeit und/oder Betrieb zwar eine maßgebliche, doch sicher nicht die einzig relevante Bestimmungskategorie. Doch wie läßt sich Motivation sinnvoll definieren? In der Organisations- und Arbeitspsychologie gehört Motivation zu den Schlüssel- oftmals sogar zu den Lieblingstermini - ein funktionaler und eindeutig positiv konnotierter Begriff, exakt meß- und quantifizierbar und in ein kategoriales Stufensystem eingeteilt.134 Ich gebrauche den Begriff in einer alltagssprachlichen Art und Weise und denke bei Motivation an Engagement, an Identifikation, an Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen und schließlich an eine grundsätzlich positive Haltung zur Tätigkeit. Hierzu gehört auch der Grad an emotionaler Anbindung an die Firma bzw. Distanzierungsformen wie Täuschungen, Witze, Ironie und ein abstraktes Reden. Die Motivation der Beschäftigten kann man in Interviews nicht direkt abfragen - die Antworten wären dann wohl ebenso gesichtslos wie die Antworten auf die Frage nach der Identifikation. Dennoch sind in den Interviews zahlreiche Passagen verborgen, die Aussagen über die Motivation der Befragten machen. Diese versteckten Aussagen der Befragten zur Motivation lassen sich in drei Bereiche aufteilen: 1. Aussagen, die Motivation bekunden; 2. Aussagen, die auf illegitime Motivationsmängel verweisen und 3. Aussagen, die legitime Motivationsmängel ansprechen. Insgesamt scheint die Motivationsbereitschaft der Beschäftigten bei GT abgenommen zu haben. In vielen Interviews wird darauf hingewiesen, daß "früher fast alle mit der Firma verheiratet waren. Das ist jetzt nicht mehr so." Dennoch gebe es "nach wie vor viele eingefleischte GT'ler. Das sieht man auch an unseren Umfragen, daß da ein Vorteil besteht gegenüber anderen Firmen." Als Ursache für den relativen Motivationsschwund wird die Firmengröße angeführt, die auch die Praxis der Einstellungsgespräche beeinflusse: "Früher ist da viel stärker gesiebt worden." Zeugnisse einer hohen Arbeitsmotivation Wenn die Befragten über ihre Motivationsbereitschaft sprechen, beschreiben sie sich selbst, 133 134   Die Frage lautete: Identifizieren Sie sich mit Ihrer Arbeit oder mit der Firma oder mit beidem? Noch heute beziehen sich alle arbeitspsychologischen Motivationstheorien auf das von HERZBERG (1959) entwickelte Konzept. HERZBERG, der die Ursachen für Motivation vor allem in der Arbeit selbst verortet, hat ein sehr instrumentelles Interesse an Motivation - worauf er in einem seiner Aufsätze (1968) bereits mit der Überschrift hinweist: "One more time: How do you motivate employees?" nicht die Firma als Profiteur der erbrachten Motivation. Entweder betonen sie dann den Eigennutz ihres Engagements oder sie verweisen, dies ist die häufigere Variante, auf ein Tauschverhältnis: Für die Motivation, die sie der Firma geben, bekommen sie von GT andere Dinge zurück. Da die Organisation von der Motivation profitiert, quittiert sie diese mit anderen Gaben - mit Anerkennung oder auch, wie das folgende Zitat zeigt, mit einer Anstellung: Dann habe ich mich um einen Festvertrag in verschiedenen Abteilungen beworben. Das war dann schon viel härter, weil du auf Herz und Nieren geprüft wurdest. Ich habe halt immer versucht, mehr über meine Persönlichkeit zu machen, das heißt eben klarzumachen: OK, lernen kann man alles. Ich wußte, daß sie darauf stehen: Daß man sich Mühe gibt, sich anstrengt und zeigt, daß man bereit ist, in den Job reinzuwachsen. Ich habe in dieser Zeit auch sehr viel Einsatzbereitschaft gezeigt. Ich habe sehr viele Überstunden gemacht, damit die auch meinen guten Willen sehen. Den Festvertrag habe ich dann auch bekommen. Heute würde ich das nicht mehr machen. Das war schon ein bißchen, wie soll ich sagen, demütigend für mich. Du hast schon ein bißchen arschkriechen müssen. Das würde ich heute echt nicht mehr machen. Das Zitat zeigt nicht nur die Tauschbeziehung zwischen Motivation und Festanstellung, sondern informiert darüber hinaus über die Fähigkeit der Beschäftigten, sich dieses Wissen nutzbar zu machen, es taktisch anzuwenden. Allerdings hat diese Taktik einen Preis in Form eines Gefühls von Demütigung. Dieser Preis wird dem Zitat zufolge nur in Notsituationen bezahlt. Weit häufiger jedoch als Festanstellung oder Aufstiegsmöglichkeiten bringen die Befragten einen anderen Tauschgegenstand ins Spiel: Motivierte Arbeit produziert Anerkennung. Wenn sie zufrieden sind und das sind sie wahrscheinlich, dann bringen sie dir auch das Ganze entgegen und lassen dich schalten und walten. Dann lassen sie dich hier unheimlich selbständig arbeiten. Und das liegt mir. Ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe es immer als ehrlich und offen und locker empfunden und trotzdem mußt du viel Leistung bringen. Und wenn sie erkennen, du leistest was, du bist auch bereit, du bist ehrgeizig, du gibst auch was und gehst nicht nach deinem Acht-Stunden-Tag, dann erkennen sie dir das auch wirklich an. Dann behandeln sie dich gut. Das Zitat erinnert an Science Fiction. Das "sie" ist wie "ES". SIE sind allmächtig. SIE da oben sehen alles. Die Macht läßt schalten und walten, spendet Anerkennung und behandelt die da unten gut. Das "sie" gibt der Selbständigkeit eine totalitäre Note. Unten darf und soll man selbständig arbeiten, soll man sich abstrampeln und etwas leisten. Wer so agiert, wie SIE es sich vorstellen, wird mit Anerkennung belohnt. Das jährlich stattfindende Mitarbeitergespräch ist wie kein anderes Medium geeignet, dem Bedürfnis nach Anerkennung gerecht zu werden, bzw. aus der Sicht der Organisation, den Bedarf an Anerkennung zu gewährleisten. Hier zeigt sich die reziproke Beziehung zwischen Motivation und Anerkennung. Nicht nur führt eine hohe Motivation zu Anerkennung, auch umgekehrt gilt: Die Anerkennung der geleisteten Arbeit kann einen Motivationsschub bewirken. Beim Mitarbeitergespräch kann die Anerkennung direkt, unmittelbar und vor allem unverhüllt ausgesprochen werden. Entsprechend groß können die Wirkungen eines solchen Lobs sein, wie die folgende Erinnerung einer Sekretärin an ihr letztes Mitarbeitergespräch zeigt: Ja dann bin ich also hin. Dann hat er <der Vorgesetzte, A.W.> gesagt: "Sie haben jetzt ihr Mitarbeitergespräch. Sie sind jetzt so und solange da. Und Ihre Tätigkeit ist die und diese. Und, also ich freue mich ganz arg, daß Sie bei GT sind. Und ich freue mich, daß Sie einen Festvertrag haben. Das freut mich ganz besonders." Dann sind wir die einzelnen Schritte durchgegangen, also ich durfte das <die Bewertungen des Vorgesetzten, A.W.> lesen. Er hat mir das nicht vorgelesen. Er hat gesagt, ich möchte das doch bitte lesen in Ruhe. Und mir soviel Zeit nehmen, wie ich brauche. Also er ist da unheimlich nah mit mir umgegangen, möchte ich mal sagen. Ich habe mich ganz toll gefühlt und ganz wichtig gefühlt. Das ist wichtig, daß du dich wichtig fühlst. Das Gefühl hat er mir echt gegeben. Und er weiß auch, daß ich ein Mensch bin, der das Lob braucht und die Anerkennung. Und das gibt er mir dann auch. Er sagt auch zu mir: "Ich gebe das aber bloß, weil Sie das echt verdienen." Dann sagt er immer: "Susanne, Sie sind ein ganz wichtiger Teil und Sie spielen das immer ein bißchen runter." Und das möchte er nicht. Und: "Sie sind wichtig für uns." Und ich bin die beste, die er je gehabt hat. Er hat schon fünfzehn Sekretärinnen gehabt. Und er ist einfach so zufrieden. Und er kann nichts Negatives sagen. Wir sind dann jeden einzelnen Punkt durchgegangen. Er hat sich wahnsinnig Zeit genommen. Wir sind drei Stunden gesessen. Ich habe nachher nicht mehr gewußt, wo mein Kopf sitzt. Ich hätte teilweise heulen können, so rührend war das manchmal. Weil er sich brutal viel Mühe gegeben hat, und ich habe mich nachher unheimlich motiviert gefühlt. Ich habe gedacht, mein Gott, jetzt gibst du noch mehr, jetzt gibst du alles. Nirgends offenbart sich der Januskopf der Anerkennung deutlicher. Auf der einen Seite die wohlwollende Bestätigung bereits erbrachter Leistungen, auf der anderen Seite wirkt sie als Leistungsmotor. Anerkennung verpflichtet: Wer sie einheimst, muß ihr auch künftig gerecht werden. Das geäußerte "jetzt gibst du noch mehr, jetzt gibst du alles", ist eigentlich eine wenig überraschende Folge dieses Ansporns. Legitime Motivationsmängel Üblicherweise sind die Nummernschilder der Firmenautos mit den identitätsmarkierenden Buchstaben "GT" versehen. 135 Die Nummernschilder mit "GT" sind zwar nicht bindend, gehen jedoch so an die Besitzer von Firmenfahrzeugen. Auf ausdrücklichen Wunsch können sich die Besitzer von Firmenfahrzeugen ein Nummernschild ohne "GT" in der Mitte geben lassen. Die Folge: Von 20 Firmenautos haben 19 das "GT"-Nummernschild. Eine Besitzerin eines Firmenwagens mit "GT"-Nummernschild bereut es, das Nummernschild nicht geändert zu haben: Jetzt muß ich mich im Straßenverkehr auch noch als role model aufführen. Das stinkt mir ziemlich. Ich würde nicht sagen, daß ich ein Rowdy bin, aber ich knall halt oft mein Auto irgendwo hin, wenn es keinen Parkplatz gibt. Im Normalfall wäre das 135  In der Mitte des Nummernschilds, also zwischen den Initialen der Kreisstadt auf der linken Seite und der Zahlenkombination auf der rechten Seite, stehen dann die Buchstaben GT. Dieser Sonderwunsch muß bei der Zulassungsstelle beantragt und auch entsprechend vergütet werden. mein Bier, aber mit der GT-Nummer habe ich halt nochmal ein Stück Firma unter dem Hintern. Ich bin ja nur der Benutzer, nicht der Eigentümer. Also das war ein Fehler, das mache ich nächstes Mal anders. Nicht immer und nicht alle Beschäftigten sind "motiviert bis in die Zehenspitzen", wie dies weiter oben in einem Zitat geäußert wurde. Die totale Motivation wird selbstredend von niemandem verlangt. Alle haben ein gewisses Anrecht auf Arbeitsunlust. Allerdings bewegt sich dieses Anrecht in relativ engen und grob festgelegten Grenzen. Praktiken, die sich innnerhalb dieses Rahmens äußern, bezeichne ich im folgenden als legitime Motivationsmängel. Legitime Motivationsmängel entsprechen entweder dem firmenideologischen Wertekodex und werden deshalb üblicherweise nicht sanktioniert, oder sie werden mittels erlernten Taktiken so gut wie möglich verschleiert. Üblicherweise treten legitime Motivationsmängel im Arbeitsalltag auf: entweder in der Vermeidung von Arbeit zugunsten von Nichtarbeit oder in der Einstellung zur Arbeit. Es geht also etwa um überlange, nichtarbeitsbezogene Gespräche sowie um die zur Schau getragene Arbeitsunlust, um ein fast notwendiges und harmloses Jammern. Unlustbekundungen sind sozusagen ein wesentliches und wirkungsvolles Mittel, um die allgemein hohe Motivationsbereitschaft nicht auf eine unangenehme Art sichtbar werden zu lassen. Es ist ein wenig wie in der Schule: Der offene Streber wird von den übrigen verachtet. Die Grenzen für legitime Motivationsmängel sind relativ fließend und werden zumeist in Aushandlungsprozessen mit den jeweiligen Kollegen und den Vorgesetzten festgelegt. Darüber hinaus hängen sie von dem jeweiligen situativen Kontext, das heißt von der Stimmung im Betrieb ab. Der situative Kontext prägt sicherlich auch die folgende, in englisch geführte Unterhaltung zwischen einem englischen und einem deutschen Ingenieur: Markus erzählt Pete, daß er heute schon den ganzen Tag vor sich hinschlafe. Darauf erwidert Pete: "Well, it's poets day." Markus kennt den Ausdruck nicht und fragt nach. Pete erklärt: "Poets day stands for 'piss off early tomorrow is Saturday'. It's a polite way to say something rude." Markus ist von dem Ausdruck begeistert und notiert ihn, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt selbst anwenden zu können. Hin und wieder weniger Lust zum Arbeiten zu haben, ist völlig legitim, besonders am Freitag. Viele Motivationsmängel bewegen sich jedoch im Graubereich zwischen Duldung und Illegitimität. Diese müssen zumeist maskiert werden. Hierzu entwickeln die Beschäftigten auf verschiedenen Ebenen Taktiken - GOFFMAN (1980, S.98-142) spricht in diesem Zusammenhang von Täuschungsmanövern. So berichtet etwa eine Sekretärin von einer beliebten Strategie ihrer Kolleginnen, um eine Reduktion der Arbeitszeit durchzusetzen: Viele Kolleginnen, die jetzt auf Halbtagsjobs runter sind, sind mit dem Argument gekommen, daß sie sich weiterbilden wollen und daß sie Volkshochschulkurse belegen wollen. Und keine von denen hat's getan. Die Begründung, mehr Zeit für das Privatleben haben zu wollen, scheint weniger legitim zu sein. Das persönliche Interesse, die Reduktion der Arbeitszeit, ist in einem tendenziell leistungsfreudigen Umfeld leichter zu realisieren, wenn die Reduktion mit Weiterbildung statt mit Faulheit gerechtfertigt wird. Deshalb der Rückgriff auf die ideologiekonformen Argumente. Einige Taktiken zur Verschleierung von Arbeitsunlust: (1) Manchmal gibt es einfach Phasen, wo man nichts zu tun hat. Dann kannst du natürlich nicht einfach rumlungern und die Beine auf den Tisch legen. Du versuchst, beschäftigt auszusehen, runzelst die Stirn und tust ganz wichtig. (2) Wir tratschen sehr oft miteinander, die Ute und ich. Wahrscheinlich zu oft. Das ist schon aufgefallen. Deshalb machen wir es jetzt heimlich. Nicht mehr am Kaffeepott. Unter irgendeinem Vorwand besuchen wir uns gegenseitig am Schreibtisch und dann tuschel tuschel tuschel. Heimlich macht es noch mehr Spaß. Private Gespräche im Betrieb sind ideologiekonform, also legitim, fast schon erwünscht. Dies wurde bereits mehrfach festgestellt. Allerdings nur bis zu einem gewissen Rahmen. Danach drohen sie illegitim zu werden; deshalb das heimliche Getuschel. Noch wichtiger als die Maskierungen der Nichtarbeit sind Taktiken, um die mitunter negativen Einstellungen und Haltungen zu kaschieren: (1) Was bin ich in den Meetings oft genervt. Was könnte ich da losschreien. Aber zur Taktik gehört eben auch, daß du einen breiten Arsch hast. Du sitzt und lauerst und schluckst. Das normale Rudelverhalten. (2) Natürlich muß man hier diplomatisch sein. Wenn ich jetzt jeden Tag wiederholen würde, GT ist Scheiße, das würde natürlich bestimmte Leute verletzen. Es gibt ja von der Mentalität her unterschiedliche Leute. Manche fühlen sich dann verletzt, weil sie mit GT verheiratet sind. Es gibt hier halt einen gewissen Geist, und wenn man den beleidigt, dann ist er auch beleidigt. Niemand, der hier arbeiten will, wird so dumm sein und den ganzen Tag rumnörgeln. Also eine gewisse gesunde Vorsicht ist hier schon am Platz. (3) Bei meinem Mitarbeitergespräch habe ich gedacht, okay, das machst du jetzt so positiv wie möglich. Ich kann ja nicht sagen, ich finde hier alle die Leute bescheuert und ihn sowieso auch. Das kann ich ja wohl meinem Chef nicht sagen. Wie bereits angedeutet, sind die Grenzen für legitime Motivationsmängel nicht klar definiert. Sie sind abhängig von den jeweiligen betroffenen Beschäftigten und deren Interaktionspartnern. Oftmals wird erst in mühsamen Aushandlungsprozessen die Legitimität wenig motivierter Handlungen geklärt, wie das folgende Zitat zeigt: Was mich hier sehr stört: Daß alle Karriere machen sollen. Daß sie einen da reinzwängen wollen. Ich habe meinem Chef schon oft ins Gesicht gesagt, daß ich keine Karriere machen will, daß er mich in Ruhe lassen soll. Ich bin keine Karrierefrau. Ich bin zufrieden mit dem, was ich tue. Man darf von mir nicht verlangen, daß ich ständig dran arbeite, mich zu verändern. Am besten, man übernimmt alle zwei Jahre einen anderen Job und macht ständig Fortbildungen. Das will ich nicht und das geht irgendwie nicht in deren Köpfe. Es hat mich noch nie jemand spüren lassen, aber ich weiß, daß es für viele nicht okay ist, wie ich es mache. Für die betroffenen Beschäftigten wie auch für deren Kollegen gibt es viele Grenzfälle. Es gilt herauszufinden, ob man oder jemand sich innerhalb des legitimen Rahmens bewegt oder nicht. Eine solche Legitimationsüberprüfung erfolgt zumeist durch Gespräche. Allerdings sind auch andere Methoden der Informationsgewinnung möglich: die Beobachtung der Kollegen oder das Austesten von Grenzen. Auf solche Informationen sind insbesondere Beschäftigte angewiesen, denen das informelle Regelwerk noch nicht völlig vertraut ist, etwa neue Mitglieder der Organisation oder Praktikanten.136 Ein Tagebuchauszug über die Interaktion zwischen dem Praktikanten Mike und dem Ingenieur Jörg: Mike und ich machen seit vielleicht fünf Minuten Witze. Plötzlich schaut Jörg zu uns rüber. Mike fühlt sich genötigt, Jörg zu erklären, daß er eigentlich arbeite, momentan aber nichts tun könne, da er auf einen Ausdruck warte. Jörg meint, das sei schon okay, worauf Mike antwortet: "Ich dachte nur, es sei besser, das zu sagen. Irgendwie sagten mir das die Sphäre und die Wellen." Jörg: "Das meinst du doch nicht ernst, oder?" Mike: "Doch." Beim doch hat er jedoch gelacht, so daß es für Jörg und für mich völlig unklar blieb, ob das ernst oder witzig gemeint war. (Später erzählte er mir, es sollte bewußt unklar bleiben, er habe es jedoch ernst gemeint). Danach schiebt Mike noch kurz mir die Schuld in die Schuhe. Beide machen einen Witz darüber, daß ich hier die Leute vom Arbeiten abhalte und der Dialog löst sich auf. Halb versöhnlich, aber nicht wirklich geklärt. Einen Tage später: Mike hat ein Baby, das auf einem medizinischen Plakat abgebildet ist, zum Zombie umgestaltet, indem er die Augen schwärzte und auf die Stirn die "666" schrieb. Er zeigte es mir, ich mußte lachen. Jörg hörte mein Lachen und schaute kurz rüber. Mike fühlte sich genötigt/wollte ihm den Grund unseres Amusements mitteilen und zeigte ihm das Plakat. Auch Jörg fand es komisch und es entstand ein kurzer Dialog über "The Omen". Diesmal ging der Dialog nicht mehr schief. Mike hatte dazugelernt, sich nicht wie gestern entschuldigt, sondern seinen Kollegen in die Situation mit einbezogen. Solche Gespräche tragen nicht nur dazu bei, die informellen Regelsysteme und Verhaltensstandards kennen- und verstehen zu lernen, sondern tragen darüber hinaus zur Konstitution derselben bei. Neben der eigenen Legitimationsüberprüfung existieren auch Überprüfungsformen durch Kollegen. In vielen Interviews wird etwa darauf hingewiesen, daß es wichtig ist, mit Kollegen, deren Leistung nachgelassen hat, zu sprechen: (1) Ich bin wohl diejenige in der Personalabteilung, die die meisten informellen Gespräche führt und aus solchen Gesprächen Informationen zurücknimmt in die Personalabteilung. Da passiert es schon mal, daß ich zu meiner Chefin sage: "Du, hast du das und das gewußt?" Ich meine, wenn jemand in Scheidung lebt, dann kann man es gut nachvollziehen, daß dessen Leistung im Moment nicht die beste ist und daß er neben der Kappe ist. Das ist kein Tratschen. Ich denke, wir müssen da einfach Bescheid wissen, um solche Sachen beurteilen zu können. 136 vgl.  Für eine ausführliche Erörterung der Taktiken von neuen Beschäftigten zur Informationsbeschaffung 1991. MILLER/JABLIN (2) Wenn ich merke, daß es bei einem Mitarbeiter nicht so gut läuft, dann spreche ich mit ihm und frage ihn, ob ich helfen kann. Manchmal läßt jemand in seiner Leistung nach und niemand weiß warum. Wenn man dann mitkriegt, daß derjenige private Probleme hat, dann kann man das viel besser verstehen. Auf der einen Seite rührende und ernst gemeinte Fürsorge, auf der anderen Seite eine klare Form der Kontrolle. Wenn der Leistungsabfall etwa durch private Probleme verursacht wird, ist er legitim - zumindest zeitweilig. Illegitime Motivationsmängel Illegitime Motivationsmängel manifestieren sich in zwei Bereichen: zum einen in dem Bereich der faktischen Nichtarbeit, zum anderen im Bereich der emotionalen Einstellung zur Arbeit. Der erste Bereich, also die faktische Nichtarbeit, ist schwer zu beschreiben, da die Beschäftigten, wie oben beschrieben, mit spezifischen Taktiken ihre Nichtarbeit tarnen. Ein Gespräch zwischen zwei Beschäftigten ist für Dritte, die sich außer Hörweite befinden, nicht als privater Plausch identifizierbar. Private Gespräche sind die häufigste, nahezu die einzige Form, in der sich Nichtarbeit im Betrieb ausdrückt. Andere denkbare Alternativen, wie etwa aus dem Fenster zu schauen, Zeitung zu lesen oder Computerspiele zu machen, habe ich in der siebenwöchigen Beobachtungsphase nicht bemerkt. Nur einmal in dieser Zeit - draußen schneite es und die Welt wurde langsam weiß - habe ich einen Ingenieur beobachtet, wie er für ein oder zwei Minuten aus dem Fenster geschaut hat. Solche anderen Formen von Nichtarbeit sind wohl auch deshalb rar, weil sie im offenen Großraumbüro kaum kaschiert werden können. Zwar konnte ich bei den Beschäftigten bis auf die eine Ausnahme keine anderen Formen von Nichtarbeit registrieren, umgekehrt haben jedoch die Beschäftigten illegitime Motivationsmängel bei mir festgestellt und entsprechend reagiert. Hierzu zwei Beispiele. Beispiel 1: Zwar sind auf nahezu allen PCs Computerspiele installiert, sie werden jedoch nie angewandt. Auch auf dem mir zugeteilten PC waren Computerspiele geladen. Nach einigen Wochen meiner teilnehmenden Beobachtung - ich langweilte mich, gewann keine neuen Einsichten mehr, war etwas frustriert und forschungsmüde - beschloß ich, mir die Zeit mit einem Computerspiel zu vertreiben. Ich spielte insgesamt drei Tage lang. Obwohl mein Bildschirm von den Arbeitsplätzen der umsitzenden Beschäftigten nicht einsehbar war, hat schon nach einer Stunde ein Ingenieur bemerkt, daß ich mich nicht mit meinen Studien beschäftigte und ironisierte mein Spiel mit einem Witz: "So, das versteht man also unter Forschung." Die erste Stufe einer Anzahl von unvermeidlichen Sanktionierungen. Hinter dem harmlosen Witz lauert bereits eine versteckte Verärgerung. Am Abend des ersten Tages haben alle Angestellten, die in meinem unmittelbaren Umfeld saßen, von meiner Computerspielerei Notiz genommen und sie kommentiert: "Na, wie läuft's denn so bei dir?" Und: "Sie bereiten sich schon auf den Feierabend vor?" Dies hat mich sehr erstaunt, weil bis dahin einige von ihnen mich und meine Arbeit vollständig ignorierten. Erst jetzt wurde mir die Bedeutung meines Regelbruchs in seiner ganzen Tragweite bewußt und ich beschloß, meine konfrontative Grenzverletzung am nächsten Tag weiter zu betreiben. Mich interessierte, wie schnell der Druck auf mich wächst, wie groß er wird, welche Reaktionen die Beschäftigten einleiten, um die Regel wieder in Kraft zu setzen. Am zweiten Tag wurden die Bemerkungen schärfer und bissiger: "Andreas, Sie spielen ja schon wieder. Das kann doch nicht so weiter gehen." Und: "Das Leben an der Uni muß ja wirklich toll sein." Und: "Ihre Arbeit ist ja wirklich sehr anstrengend." Einer meinte sogar: "Ich glaube, wir müssen das Spiel auf ihrem PC löschen." Die Beschäftigten fühlten sich zu Recht provoziert. Die Fortsetzung des Spiels trotz der sanktionierenden Kommentare war natürlich auch eine Unverschämtheit. Am dritten Tag war der Unmut, den ich auslöste, so deutlich zu spüren, daß ich kaum noch den Mut fand, weiterzuspielen. Die Stimmung wurde immer aggressiver. Beschäftigte, die mir bis dahin freundlich gesonnen waren, ignorierten mich oder zeigten mir durch Blicke ihr Mißfallen. Ich wollte das Spiel jedoch fortsetzen und versuchte, mein Spielen vor den Beschäftigten zu verbergen, was nicht immer gelang. Am Nachmittag des dritten Tages empfand ich die Stimmung als so extrem gereizt und gegen mich gerichtet, daß ich beschloß, das Spielen und damit den Psychokampf zu beenden. Der Regelbrecher gibt nach und wandert, geschubst von allen, zurück in die Reihen der Konformität. Das zweite Beispiel schildert Reaktionen auf eine weit feinere und weniger direkte Form von Nichtarbeit: Träumen bzw. Nachdenken am Arbeitsplatz. Während meiner teilnehmenden Beobachtung haben mich Beschäftigte mehrfach mit einem der Büroarbeit anscheinend nicht angemessenen Gesichtsausdruck ertappt. Einmal starrte ich träumend aus dem Fenster, als sich plötzlich ein Ingenieur näherte, mir mit der Innenseite seiner Hand über die Augen fuhr und sagte: "Aufwachen! Nicht träumen, sondern forschen." In einer anderen Situation bemühte ich mich, eine Unterhaltung zweier Ingenieure zu belauschen und muß wohl mit einem leeren Gesichtsausdruck in den Großraum gestarrt haben. Dabei wurde ich von einer Sekretärin angesprochen: "Andreas, meditierst du?" Ich verneinte. "Du schaust schon die ganze Zeit so komisch. Als ob du meditierst." Ich verneinte erneut und antwortete: "Es wäre schön, wenn man im Großraum meditieren könnte." Daraufhin sagte sie: "Ja, das hätte mich auch sehr gewundert." Beide Beispiele markieren die Grenzen von legitimer Nichtarbeit. Obwohl ich nicht für GT tätig war, haben meine Formen von Nichtarbeit eindeutig negative Reaktionen hervorgerufen. Es ist zu vermuten, daß die für GT arbeitenden Beschäftigten sich ähnlichen Formen von Nichtarbeit noch weit weniger aussetzen dürfen und mit noch schärferen Reaktionen und Sanktionierungen zu rechnen hätten. Der zweite Bereich, in dem sich illegitime Motivationsmängel präsentieren, bezieht sich auf die emotionale Einstellung zur Arbeit. Insbesondere eine Haltung zur Arbeit wird von den Beschäftigten als illegitim betrachtet: Meckern, Nörgeln, das Ausstrahlen negativer Wellen. Nörgeln ist bei uns nicht erwünscht. Nein, ich würde sagen, mehr positiv sein. Wollen wir es anders ausdrücken und sagen: positiv sein ist mehr erwünscht, als negativ sein. Wenn einer nur nörgelt, dann ist er hier falsch. Es ist wichtig, daß man öfter mal was Lobenswertes sagt. Das kam auch in unseren letzten Umfragen raus. Solche illegitimen Motivationsmängel gibt es zwar bei GT, allerdings werden sie von den Befragten immer bei anderen verortet: Ich hatte mal eine Kollegin, mit der kam ich nicht klar. Es lag an ihrer grundsätzlichen Art, an ihrem Wesen. Allein, wie sie auf andere zuging, wie sie im Geschäft rumlief, als wenn ihr eine Laus über die Leber gelaufen ist. Sie war immer so negativ. Die machte alles falsch, was man falsch machen konnte. Wer eine negative Ausstrahlung hat, provoziert in der Belegschaft zurechtweisende Reaktionen: (1) Es gibt manche, die immer nur rumbruddeln, immer nur rummeckern und motzen. Die muß man mal am Schlawittchen paken und sagen, "Junge, jetzt sag mal was Positives." Das mache ich dann auch. (2) Also ich muß sagen, der ganze Bereich bei uns, wir sind alle ziemlich aufgelokert. Wenn immer einer mit soo einem Gesicht rumläuft, dann sage ich schon mal, "was ist denn mit dir los heute?" oder "ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?" oder so. Wir haben einen Mitarbeiter, der hat so ein traniges Gesicht, der hat dann auch noch so einen Gang. Wenn ich den sehe, dann sage ich betont freundlich und aufheiternd: "Jochen". Und dann guckt er mich an und sagt, "ja, ich weiß Marion, ich soll lächeln." Während sich also bei der Belegschaft kaum Belege für illegitime Nichtarbeit finden, sind illegitime Motivationsmängel in Bezug auf die Einstellung zur Arbeit vorhanden. Beschäftigte, die am Arbeitsplatz ein "traniges Gesicht" zeigen, befinden sich nicht nur in der Minderheit, sondern auch in einer wenig beneidenswerten Situation. Eine negative Ausstrahlung wird seitens der Belegschaft nicht toleriert und mit entsprechenden Kommentaren geahndet. Fazit Die Firmenideologie will den "durchgängigen Menschen" haben, den "ganzen Menschen", der sowohl den arbeitenden Angestellten als auch den Privatmenschen mit all seinen Sehnsüchten, Wünschen und Träumen umfaßt. Sie zielt also darauf, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatsphäre zu verwischen. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Die Beschäftigten ziehen in zeitlicher, sozialer und motivationaler Hinsicht eigene Grenzen. Diese wurden beschrieben. Dabei zeigte sich ein breites Spektrum an gradualen Differenzen. Die Musterkollektion der präsentierten Praktiken erweist sich als sperrig, als vielschichtig und vielendig. In immerhin drei Bereichen wären vorsichtige Generalisierungen möglich. Der erste Bereich bezieht sich auf einen Vergleich der bei GT zu beobachtenden Grenzziehungen mit denen anderer Firmen. Hierzu läßt sich wenig Genaues sagen. Nimmt man etwa auf der einen Seite einen Betrieb mit im weitesten Sinne tayloristischen Konturen, etwa einen typischen Konzern aus der Einzelhandelsbranche - hier ziehen die Beschäftigten üblicherweise sehr klare und rigide Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre137 - und auf der anderen Seite das japanische 137 Organisationsmodell des Betriebsclans (vgl. hierzu DEUTSCHMANN 1987), der ja durch eine sehr hohe Durchlässigkeit von Privatleben und Firma charakterisiert ist, dann lägen die Praktiken bei GT sicherlich zwischen diesen beiden Polen. Eine genauere Verortung ist nicht möglich. Der zweite Bereich bezieht sich auf das Verhältnis zwischen der in der Firmenideologie angelegten Grenzverwischung, also der ideologischen Auflösung der Dichotomie von Firmenund Privatmensch auf der einen Seite und den alltäglichen Grenzziehungen der Beschäftigten auf der anderen Seite. In der Einleitung des Kapitels wurde die Frage gestellt, bis zu welchem Grad die Beschäftigten mit ihren Grenzziehungen eigene Interessen durchsetzen, wo sie, zu Lasten ihrer eigenen Interessen, die der Organisation bedienen und welche Kompromisse sie hierbei eingehen. Ist die Organisation, so wäre am Ende des Kapitels zu fragen, mit den Grenzziehungspraktiken ihrer Angestellten zufrieden? Die Frage erlaubt zwar Spekulationen am Einzelfall, kann aber generell kaum beantwortet werden. Vielleicht könnte man sagen, daß die Beschäftigten, die sich mit der Firma identifizieren (das sind etwa 80 Prozent) oder diejenigen, die GT unbezahlte Überstunden schenken (etwa 70 Prozent), ihre Grenzen auf eine Art und Weise ziehen, die in der Organisation beifällige Zustimmung auslösen würde. Strenge Grenzziehungen zur Firma, dies wurde deutlich, sind zwar möglich, aber schwer zu realisieren: Erinnert sei hier nur an den Ingenieur, der, weil er keine Überstunden machen will, präventiv seine Arbeitszeiten in den Kalender schreibt, um sich vor potentiell kritischen Kommentaren seitens der Kolleginnen und Kollegen zu schützen. Der dritte Bereich bezieht sich auf hierarchische und berufsspezifische Unterschiede bei den Grenzziehungen. Die Musterkollektion der zeitlichen, sozialen und motivationalen Grenzziehungen liefert ein recht eindeutiges Bild: Manager tun sich mit zeitlichen Grenzziehungen sehr schwer (Arbeitsessen in der Mittagszeit, besonders viele Überstunden), halten jedoch eine größere soziale Distanz (wenig persönliche Gespräche während der Arbeit, wenig private Kontakte mit Kollegen in der Freizeit). Bei den Sekretärinnen ist das Verhältnis genau umgekehrt: Während sie die sozialen Grenzen eher aufweichen, achten sie in zeitlicher Hinsicht auf einen Schutz der Privatsphäre vor dem betrieblichen Zugriff. Die Berufsgruppe der Ingenieure liegt bei der Ziehung zeitlicher wie auch sozialer Grenzen zwischen den beiden anderen Berufsgruppen. Bei motivationalen Grenzziehungen lassen sich dagegen keine beruflichen Spezifika erkennen.  und Diese Aussage basiert auf eigenen Erfahrungen als Teamer der Gewerkschaft HBV (Handel, Banken Versicherungen) von Betriebsratsseminaren zum Thema "Belegschaftskultur". 3. Gefeierte Ideologie - drei festliche Rituale im Vergleich Zu Beginn zwei Szenen: Szene eins schildert eine monatlich stattfindende Freitagsansprache, die alle Interessierten der medical division über die jüngsten Ereignisse informiert, über Entwicklungen, technische Neuerungen und konjunkturelle Daten des Konzerns, der GmbH und des Geschäftsbereichs der Medizintechnik. Üblicherweise wird die Freitagsansprache in der Kantine von einem der führenden Manager der medical division gehalten. Vor rund dreihundert Beschäftigten, einige haben Notizblöcke dabei, steht Lazlo, der Chef der medical division der GmbH am Mikrophon und eröffnet die Ansprache mit den Worten: "You all look very relaxed. I hope you had a nice vacation." Es folgt ein Witz über das Wetter: Er hoffe, daß niemand in Deutschland Urlaub gemacht habe, denn hier hätte das Wetter nicht zur Erholung beigetragen. Der Witz wird von den Beschäftigten gefällig aufgenommen und mit Gelächter quittiert. Daraufhin sagt Lazlo: "We need lots of enthusiastic people." Nach diesem sehr informellen Beginn wird die Ansprache faktenorientierter und formeller. Lazlo berichtet über eine Besucherdelegation, die eine "outstanding open review" erhalten hätten und lobt, "talking about outstanding people", zwei Entwicklungsingenieure, die sich durch eine besondere Leistung ausgezeichnet haben und jetzt, unter dem Beifall der Versammlung, ans Mikrophon gebeten werden, um eine Urkunde entgegenzunehmen. Anschließend informiert er über die "performance" der division, über die erzielten Profite und über die erreichten wie auch nicht erreichten Zielsetzungen. Am Ende seiner Rede stellt er fünf neue Beschäftigte vor und bittet die Versammlung: "I ask all of you to help them to integrate." Nach der Namensnennung erheben sich die "newcomers", das Auditorium begrüßt alle fünf jeweils mit einem Applaus. Lazlo übergibt das Mikrophon an seinen Vorgesetzten Ben, der für die medical group die Verantwortung trägt, also für alle medical divisions des Konzerns, und der gerade bei der GmbH zu einem Besuch weilt. Kurzer Applaus. Auch Ben beginnt sehr informell: "Most of you know me, I've been in Swabia many times before." Er erzählt, daß er heute morgen sein Geburtstagsfrühstück im Zug einnehmen mußte und daß der Mädchenname seiner Frau Schäufele ist: "A good swabian name, isn't it?" Lachen im Auditorium. Nach diesen persönlichen Anekdoten schwenkt er über zu firmenbezogenen Informationen. Er widmet sich längere Zeit dem schwelenden Konflikt innerhalb der medical group zwischen USA und Deutschland, spricht über das Wachstum der medical group, vergleicht es mit dem der Konkurrenzfirmen und sinniert am Ende seines Vortrags über die Gründe für den Erfolg von GT: "I thought about why we are unique. The most important reason: We're doing a better job than other people. We should be absolutely proud of that." Abschließend gibt er den Beschäftigten einen Rat mit auf den Weg: "The way to do it: just keep it going. And make next year better than this one." Lauter Beifall am Ende der Rede. Nach der Rede kommen aus der Zuhörerschaft zwei Wortmeldungen. Beide Male wird deutlich, daß die Redner mit der Ansicht von Ben grundsätzlich übereinstimmen. Während der erste Wortbeitrag dem Autor zufolge lediglich dazu dient, "nochmals einen von Bens Punkten zu unterstreichen", ist der zweite Redebeitrag etwas kritischer: Der Redner verweist auf die virulenten und allseits bekannten konzerninternen Spannungen in der Medizintechnik zwischen USA und Deutschland und bittet Ben um eine Stellungnahme. Hierauf antwortet Ben mit der einleitenden Bemerkung: "Thank you for mentioning this point", um anschließend nochmals an den "team spirit" zwischen den deutschen und us-amerikanischen Konfliktparteien zu appellieren: "We all belong to the same company." Jetzt ist die Freitagsansprache beendet. Die Beschäftigten gehen langsam zurück zu ihren Arbeitsplätzen. Beim Verlassen der Kantine nutzen viele die Gelegenheit, die Ansprache zu kommentieren und zu interpretieren. Einer der Beschäftigten sagt halblaut und an alle Umstehenden adressiert: "So folks, now we are motivated." Um ihn herum wird geschmunzelt und gelacht. Szene zwei beleuchtet einen Ausschnitt eines wöchentlich stattfindenden Staff-Meetings in einem der Konferenzräume. Zum Staff gehören Marketing- und Entwicklungsmanager, die Personalmanagerin sowie die Sekretärin des ranghöchsten Managers - üblicherweise tagen dann ungefähr zehn Angestellte. Das Staff-Meeting organisiert die anfallende Arbeit für die kommende Woche. Zu Beginn meiner Feldforschung werde ich in einem dieser Staff-Meetings vom Sitzungsleiter Martin den anderen Beschäftigten vorgestellt und gebeten, meine Arbeit zu erläutern und meine Wünsche zu äußern. Auf meinem Wunschzettel steht unter anderem die Bitte, an Meetings unterschiedlicher hierarchischer Ebenen teilnehmen zu dürfen. Beim Stichwort Hierarchie unterbricht mich Hans, ein junger Entwicklungsmanager mit der trocken plazierten Bemerkung: "Ich dachte, bei GT gibt es keine Hierarchie." Die Bemerkung löst bei einigen der Beteiligten ein Schmunzeln aus und animiert Ulrich, einen anderen Manager, dazu, den Witz weiterzutreiben. Er murmelt, laut genug, um von allen gehört zu werden: "Die gibt es in jeder anderen Firma, aber nicht bei uns." Einige grinsen, die Gesichtszüge des Sitzungsleiters wirken ein wenig verärgert - es ist jedoch nicht klar, ob ihn die Richtung der Kommentare stört oder die Unterbrechung an sich. Nach dem Meeting unterhalte ich mich mit Ulrich und schildere ihm meine Beobachtung von der finster gewordenen Miene bei Martin. Daraufhin sagt Ulrich beiläufig: "Der Martin hat es halt nicht so gern, wenn man sich über GT lustig macht." Beide Szenen sind keine feierlichen Rituale, sondern Arbeitsrituale. Sie dienen als Grundlage zur Entwicklung verschiedener Fragen, die später die Analyse von feierlichen Ritualen strukturieren sollen. Die beiden Szenen, die hier nur sehr knapp vorgestellt werden, weisen im Umgang mit der Firmenideologie große Unterschiede auf. In der Freitagsansprache nutzen zwei auf der hierarchischen Leiter hoch angesiedelten Manager ihre Autorität, um die Firmenideologie zu verkünden bzw. ins Gedächtnis zu rufen, um eine bestimmte Sicht der Organisation zu vermitteln und um das Verhältnis zwischen Individuum und Organisation zu definieren. Dies geschieht zum einen durch die konkreten ideologischen Botschaften (Gemeinschaft, Integration, Kollektivinteressen, Einzigartigkeit der Firma, Leistungsorientierung, Wertschätzung der einzelnen Beschäftigten, Konturierung der Angestelltenidentität: relaxed und enthusiastisch und herausragend), zum anderen durch die Art der Vermittlung, durch den Aufbau der Reden: sie beginnen informell und persönlich; sie stellen eine Intimität zum Auditorium her; die Autoritäten präsentieren sich als erfolgreiche Manager und als witzige Menschen: Erfolg ist sexy; sie verbinden Arbeit und Spaß. Die Zuhörerschaft ist zwar eine auf den ersten Blick passive und undifferenzierte Gruppe, bestätigt aber dennoch aktiv und auf vielfältige Weise die Autoritäten: Sie klatscht, lacht über die Witze, verhält sich während der Ansprache ruhig, hört konzentriert zu, hin und wieder nicken einige mit dem Kopf, einige machen sich Notizen, einige stellen am Ende unkonfrontative und affirmative Fragen. Erst nach der Veranstaltung und durch den despektierlichen, Gelächter auslösenden Satz eines Angestellten wird deutlich, daß die Unterstützung und Bestätigung des Auditoriums zumindest teilweise künstlich, taktisch, opportunistisch und unterwürfig war. "So folks, now we are motivated" - dies dient zur Distanzierung vom Geschehen und ist Ausdruck eines belegschaftlichen Eigensinns: Ihr da oben spielt euren Part, ihr müßt es tun, ihr könnt es auch tun, wir haben gar nichts dagegen einzuwenden, aber wir kennen das Spiel und fallen auf die Tricks nicht rein. Der Umgang mit der Firmenideologie im Staff-Meeting ist dagegen völlig anders. Das StaffMeeting ist im Unterschied zur Freitagsansprache weit weniger auf eine Propagierung der Ideologie ausgerichtet. Hier geht es in erster Linie um arbeitsbezogene Zwecke, um den betrieblichen Alltag, um Probleme, die auf der Tagesordnung stehen und um konkrete Lösungswege. Das Staff-Meeting hat also eine sehr pragmatische Orientierung. Auch ist der hierarchische Unterschied zwischen den Teilnehmern geringer. Schließlich ist die gesamte Arbeitssituation persönlicher: Die Gruppe ist klein, die Interaktion zwischen den Teilnehmern sehr groß. In solchen Arbeitsgruppen ist die Interaktion offener und zudem riskanter. Wenn hier die Firmenideologie ins Spiel kommt, ist eine affirmative Haltung keineswegs gewährleistet. Hans und Ulrich machen sich lustig über die Bemühungen der Organisation um eine Verschleierung der hierarchischen Struktur. Daß der anwesende Leiter des Meetings die Scherze mit einem verärgerten Blick beantwortet, mindert die Bereitschaft zur Verspottung der Firmenideologie jedenfalls nicht wesentlich. Sanktionen sind als Folge dieser Distanzierungen nicht zu befürchten: Da - im Unterschied zu den zwei die Freitagsansprache haltenden Topmanagern - die Teilnehmer des Meetings nicht Agenten, sondern in erster Linie Empfänger und Subjekte der Firmenideologie sind, haben solche Zurschaustellungen von Distanz einen anderen Charakter und einen anderen Stellenwert: Sie können sogar den Zusammenhalt untereinander stärken. Wer hier immer den offiziellen Jargon wählte, macht sich in den Augen der anderen schnell einer Überidentifikation verdächtig. Während also die Freitagsansprache im Kern sehr ideologiekonforme Züge trägt und ideologiekritische Zeichen erst am Rand, also nach der Ansprache, sichtbar werden, ist das Staff-Meeting durch einen im Kern respektloseren Umgang mit dem offiziell propagierten Wertesystem gekennzeichnet. Dabei unterscheiden sich in beiden Szenen sowohl die normativen Forderungen wie auch die normativen Antworten. Was ist der Zweck dieser szenenvergleichenden Analyse? Es soll, in einem Satz, gezeigt werden, daß die zu beobachtenden Positionierungen zur Firmenideologie von den spezifischen Settings, Situationen und Anlässen abhängig sind. Das vorige Kapitel, also die Musterkollektion von zeitlichen, sozialen und motivationalen Grenzziehungen, die die Beschäftigten in und gegenüber der Firma einschlagen, kann in theoretischer Hinsicht als eine Demontage der Integrationsperspektive gelesen werden. Die Sammlung empirischer Details ist jedoch zu vielfältig, um geordnet und in ein theoretisches Gefüge eingebettet werden zu können. In diesem Kapitel wird mit dem Vergleich verschiedener Situationen ein möglicher Ordnungsversuch vorgeschlagen: Es soll gezeigt werden, daß der Umgang der Beschäftigten mit der Firmenideologie situativ ist und daß umgekehrt die jeweiligen interaktiven Situationen einen je spezifischen Rahmen herausbilden, der den Umgang der Beschäftigten mit der Firmenideologie strukturiert. Entsprechend dem Diskussionsstand in der us-amerikanischen Organisationskulturforschung definiere ich Rituale als "role-governed activity of a symbolic character which draws the attention of participants to objects of thought and feeling which they hold to be of special significance." (LUKES 1975, S.291) Eine solche soziologische Definition zielt auf eine Erweiterung des eher engen und zumeist an Religion angebundenen ethnologischen Ritualbegriffs. 138 Trotz den konfligierenden ethnologischen und soziologischen Definitionen gibt es eine in der Forschung weithin akzeptierte Sichtweise: Ihr zufolge bilden Rituale quasi ein Scharnier, das Ideologien auf der einen Seite und individuelle Erfahrungen auf der anderen Seite verbindet und zusammenhält. Sie sind eine Form symbolischer Kommunikation. Nach KUNDA (1992, S.93) sind betriebliche Rituale Zusammenkünfte, "where the organizational ideology (...) is dramatized and brought to life." Treffend bezeichnet er sie folglich als "presentational rituals". In Ritualen wird die Firmenideologie nicht in erster Linie produziert, sondern übermittelt, eingeübt und bis zu einem gewissen Grad modifiziert. In Ritualen wird die Ideologie in eine Praxis transferiert und transformiert. Dies weist bereits auf ihre Funktion hin: Sie wirken. Sie liefern einen Rahmen, der beispielhaft das angemessene Verhältnis zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern illustriert. Rituale, so LUKES, determinieren die Wahrnehmung und die Interpretation sozialer Realität. Sie artikulieren, wie die Teilnehmer denken und fühlen sollen. An dieser Stelle kann man eine Brücke schlagen zwischen Kultur und Ritual: Das Ritual als regelgeleitete Aktivität liefert den Rahmen, der bis zu einem gewissen Grad die Wahrnehmungen, Interpretationen, Gefühle und Verhaltensweisen konstituiert.139 Auf der einen Seite werden Rituale also benutzt, um Macht und Autorität zu symbolisieren, um die Regelproduzenten und die firmenideologische Deutungselite zu legitimieren. Auf der anderen Seite wirken alle Ritualteilnehmer an der Konstruktion des Rituals mit. Um mit GIDDENS zu sprechen: Sie strukturieren den rituellen Rahmen. Am Beispiel der Freitagsansprache läßt sich 138  Zwar teile ich die von ethnologischer Seite geäußerten Bedenken, daß Begriffe wie Ritual, Tabu und Mythos, die von Ethnologen der "sakralen Sphäre" (HELMERS 1993b, S.160) zugeordnet werden, durch eine Profanisierung seitens der Organisationskulturforschung "ihre (eigentliche) Bedeutung verlieren" können. Trotz dieser fachdisziplinären Einwände scheint es mir durchaus akzeptabel, den Ritualbegriff in der Organisationskulturforschung zu benutzen, da er in der Umgangssprache die engen ethnologischen Grenzen längst verlassen hat. 139  Ganz ähnlich ist die Definition von VAN MAANEN/KUNDA (1989, S.49): "Ritual occasions can be seen as mechanisms through which certain organizational members influence how other members are to think and feel what they want, what they fear, what they should regard as proper and possible, and ultimately, perhaps, who they are." dies veranschaulichen: Das auf den ersten Blick scheinbar passive Auditorium festigt durch Lachen, Klatschen, Nicken, Zuhören und Nachfragen maßgeblich den Ritualrahmen. Ohne diese Tätigkeiten ist eine solche Veranstaltung kaum vorstellbar. Die in der GmbH immer seltener stattfindenden beerbusts nach der Arbeit sind ein weiterer Beleg, daß Rituale nur dann funktionieren, wenn sie seitens der Teilnehmer angenommen, gepflegt und belebt werden. Es gibt bei GT zahlreiche Rituale, die die Firmenideologie mit Leben füllen. Zu nennen wären hier u.a. alle Meetings in ihren unterschiedlichen Formen und Ausprägungen, Ansprachen, Vorträge, Weiterbildungs- und Einführungsseminare, Workshops, Ehrungen, alle Feste, Feiern und Betriebsausflüge. Ein Ritual, dessen Rahmen bröckelt, ist etwa die morgendliche Frühstückspause. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf die Analyse einer spezifischen Ritualform, die der betrieblichen Feiern.140 Dabei werde ich drei zeremonielle Ereignisse beschreiben und miteinander vergleichen: das alljährlich stattfindende Picknick, die Abschiedsfeier für den Topmanager der medical division und eine der zahllosen kleinen Geburtstagsfeiern. Im Vergleich zu arbeitsbezogenen Ritualen sind Feiern viel offensichtlicher und bewußter mit Symbolik ausgestattet. Mich interessieren dabei erstens die firmenideologischen Themen, auf die sich die Feiern beziehen und die sie bedienen. Welche Themen greifen sie auf und wie erzählen sie diese? Konkreter: Welche Aussagen machen sie jeweils über Informalität, über den Umgang mit Hierarchie und über das Verhältnis von Organisationsmitgliedschaft und Individualität? Zweitens interessieren mich die Prozesse, die den rituellen Rahmen der jeweiligen Feiern formen und die Regeln, die die Interaktionen leiten. Was passiert bei den Feiern, was wird gesagt und getan, wer redet und agiert, mit welchen Instrumentarien und Mechanismen werden die Bedeutungen konstruiert? Welche Symbole werden zu welchem Zweck ins Spiel gebracht, wie wird die Ideologie präsentiert, wie wird sie forciert oder auch umschifft? Welchen Einfluß auf die Konstruktion und Interpretation sozialer Realität haben die Beschäftigten bei den jeweiligen Feiern? Können bei der (gemeinsamen) Deutung sozialer Realität Unterschiede 141 sichtbar werden, können gar Konflikte entstehen? 140  Eine vorzügliche Analyse arbeitsbezogener Rituale ist bei KUNDA 1992 nachzulesen. Er unterscheidet drei verschiedene arbeitsbezogene Rituale, die er nach deren jeweils vorherrschender Kommunikationsform als "talking down" (z.B. Managementansprachen), "talking across" (z.B. Trainingsworkshops und Einführungsseminare) und "talking around" (z.B. Arbeitsgruppen) bezeichnet und analysiert diese insbesondere im Hinblick darauf, inwiefern sie "role embracement" bzw. "role distanciation" strukturieren, er untersucht also ihre Nähe/Ferne zur Ideologie. Seine Ergebnisse, wonach, in einem Satz, bei "Talking-Down-Ritualen" das höchste, und bei "Talking-Around-Ritualen" das geringste Potential an ideologienahem Verhalten vorzufinden ist, decken sich weitgehend mit meinen Beobachtungen. Deshalb erscheint es mir wenig sinnvoll, mein Material über arbeitsbezogene Rituale ausführlich zu präsentieren, um letztlich jedoch zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie zu gelangen. KUNDA 141  In der Literatur gibt es noch keinen Vergleich verschiedener feierlicher Rituale innerhalb eines Unternehmens. Ohnedies ist die empirische Forschung zu diesem Thema bislang merkwürdig dünn: zu nennen wären hier lediglich die sehr guten Arbeiten von ROSEN. ROSEN 1985 untersucht eine betriebliche Frühstücksfeier, ROSEN 1988 analysiert eine Weihnachtsfeier. Er zeigt in beiden Studien, wie diese Feiern zur Untermauerung von sozialer Ordnung und zur Ausübung von normativer Kontrolle fungieren. Rituelle Feiern und Zeremonien sind hingegen Das Picknick Es ist Samstag nachmittag, ein heißer Tag im August. Mitten im Wald, auf einer großen und romantischen Lichtung, die ein kleiner Bach in zwei Hälften teilt, findet eine Veranstaltung statt, die auf den ersten Blick an eine große 'Hockete', ja fast an ein kleines Volksfest erinnert. Das gesamte Areal ist groß genug für vier- oder fünftausend Leute. Auf der einen Seite des Bachs steht ein riesiges Zelt, das Gelände rechts und links vom Zelt dient als Spielwiese. Auf der anderen Bachseite stehen Biertische, umrahmt von Grills, Theken für das kalte Buffet, Liegehallen, Getränketheken, Toiletten, einem Sanitätszelt und einem Infostand. An aneinandergestellten Biertischen sitzen lachende und vergnügte Menschen, damit beschäftigt, ein Steak sowie den dazugehörigen Salat zu essen. Sie trinken Bier oder nichtalkoholische Getränke und unterhalten sich angeregt mit ihren Tischnachbarn und -nachbarinnen. Als Nachtisch gibt es Kaffee und Kuchen oder Eis oder beides. Mit zunehmender Dauer und ansteigendem Alkoholgenuß wird die Stimmung geselliger. Auch an den Grills, zwischen den Salattischen und vor den Getränkeausgaben herrscht reger Verkehr. Hin und wieder bilden sich kleine Gruppen. Freizeitlich gekleidete Menschen begrüßen einander, oft mit einem jovialen Schulterklopfen, einige umarmen sich sogar leicht. Hin und wieder begrüßen sich männliche und weibliche Kollegen sogar mit einem Kuß auf die Backe. Wieder andere gesellen sich in kleinen Gruppen auf der anderen Seite des Baches, den Blick auf eine Hüpfburg gerichtet, in der zahlreiche Kinder ganz offensichtlich ihren Spaß haben. Für die Kinder ist an diesem Nachmittag bestens gesorgt. Neben einem Sandkasten, einem Karussell und der bereits erwähnten Hüpfburg werden zahlreiche Kinderspiele wie Sackhüpfen, Eierlaufen, Stelzenlaufen, Gummiballhüpfen und Dosenwerfen veranstaltet. Die Spiele finden großen Anklang. Die Kinder werden von ihren umstehenden Eltern begeistert angefeuert. Ein Liederzirkus gibt zweimal eine halbstündige Vorstellung: "Der Löwe lacht". Der Lärmpegel ist hoch: Johlende und kreischende Kinder, gesellige Erwachsene, und aus großen, in Bäumen hängenden Lautsprecherboxen tönt über das Gegenstand vieler theoretischer Betrachtungen. GARFINKEL 1956 und GEPHART 1978 analysieren mit ethnomethodologischem Ansatz die Bedingungen für erfolgreiche Degradierungszeremonien. GUSFIELD/MICHALOWICZ 1984 diskutieren den Unterschied zwischen symbolischen und nichtsymbolischen Handlungen und streifen hierbei Untersuchungen über Feiern. TRICE/BEYER 1984 und TRICE 1985 erstellen eine Typologie betrieblicher Zeremonien. Ihre Typologie erklärt jedoch nicht, wie sich bestimmte Feiertypen zur Firmenideologie verhalten oder wie in ihnen die soziale Ordnung präsentiert und stabilisiert wird und ist insofern für den angestrebten empirischen Vergleich wenig hilfreich. DANDRIDGE 1986 untersucht die Funktionen betrieblicher Feiern. Er betrachtet Zeremonien als ein Medium, das zwischen Arbeit und Spiel vermittelt und insbesondere die Funktion hat, das Spielerische in die Arbeit zurückzubringen. "Ceremony has great similarity to play and is capable of bringing some of the benefits of play into the work setting in a controlled manner. Emphasizing the dichtotomy between work and play contributes to work alienation. Integrating work and play through ceremony can return richness to work and an experience of community and purpose of the organization." (S.168) Ihm geht es vor allem um eine positive Bewertung der Feiern. Mir erscheint ein solcher Ansatz nicht nur sehr affirmativ, er ist darüber hinaus ein Produkt allzugroßer Nähe zu den betrieblichen Praktikern. Daß DANDRIDGEs Funktionenanalyse betrieblicher Feiern zu den berühmten, das heißt zu den häufig zitierten Arbeiten innerhalb der Organisationskulturforschung gehört - mir selbst dabei ist kein einziger kritischer Kommentar bekannt - sagt viel aus über den Stand und den Zustand der Organisationskulturforschung. gesamte Areal hinweg Mainstream-Popmusik aus den 70er und den 80er Jahren, kaum mehr Aufmerksamkeit erreichend als die berühmte Kämpfertsche Kaufhausmusik. Die Atmosphäre riecht nach ausgelassener Freizeit, nach Wochenende, nach zwanglosem und streßfreiem Samstagsvergnügen. Dies ist das jährlich stattfindende Picknick der GmbH. Es wird von der Firma organisiert und finanziert. Das Picknick kostet die Firma jährlich etwa 250.000 Mark. Pro "Mitarbeiter" werden ungefähr 50 Mark veranschlagt. Eingeladen sind alle "Mitarbeiter" - das sind Festangestellte, Beschäftigte mit einem befristeten Arbeitsvertrag sowie die Praktikanten und Praktikantinnen und deren Familienangehörige. Ledige Beschäftigte dürfen eine Person mitbringen, in der Regel ist das der Freund oder die Freundin. Das Picknick ist die einzige Veranstaltung von GT, die die Familien der Beschäftigten einschließt. Aufgrund der angestiegenen Zahl der Beschäftigten hat die Firma das Picknick in den letzten Jahren auf drei Samstage aufgeteilt, so daß jetzt auf jeden der drei Picknicktage rund 2000 Beschäftigte plus Anhang kommen, das sind etwa drei- bis viertausend Erwachsene und tausend Kinder. Die Teilnahme am Picknick ist freiwillig. Einer Schätzung der Firma zufolge nehmen jährlich etwa 80 Prozent der Beschäftigten am Picknick teil. Wer sich bzw. die Familie zur Teilnahme anmeldet, bekommt pro angemeldeter Person einen Button zugewiesen, der dann beim Picknick getragen werden soll und den Träger quasi als legitimen Gratisesser und -trinker ausweist. Die Organisation des Großereignisses liegt bereits seit vielen Jahren in der Hand eines Beschäftigten und ist bis ins kleinste Detail vorbereitet. Auf der Checkliste für das Picknick 1993 sind insgesamt 57 Stichworte vermerkt, von "Amt für öffentliche Ordnung" über "Ankündigung, Anmeldelisten, Ausrufanlage, Bäckerei, Baurechtsamt, Buspendelverkehr, Buttons, Fahrdienst, Geschirrmobil, Gutscheine für Kinderspielzeug, Meeting, Parkplätze, Preise für Kinderspiele, Teller und Besteck" bis zum "Zelt", um nur einige zu nennen. Mit der Verpflegung, dem Auf- und Abbau, der Reinigung und dem Werkschutz hat die GmbH Fremdfirmen beauftragt. Die übrigen Dienste während des Picknicks - hierzu gehören etwa die personelle Besetzung von zwölf Grills, der Getränkeausschank, erste Hilfe, Hüpfburgbetreuung, Spielzeugausgabe, Helfer für die Kinderspiele - werden von den Beschäftigten übernommen. Das Ritual Picknick hat also einen Animationscharakter: Die Organisation macht Angebote, doch ebenso erwartet sie von den Mitgliedern Engagement. Einige Wochen vor dem Picknick werden zu diesem Zweck Listen freiwilliger Dienste ausgehängt, in die sich die Beschäftigten eintragen. Bei der personellen Besetzung dieser Dienste gibt es eine ungeschriebene, aber jedem Beschäftigten bekannte Regel: Die Topmanager stehen am Grill. Diesen Brauch hat sich die südwestdeutsche GmbH von der us-amerikanischen Konzernmutter abgeschaut. Der Brauch wird seit einigen Jahren mehr und mehr aufgeweicht. Dies liegt an der ungünstigen Proportion zwischen dem hohen personellen Bedarf an den Grills und der geringen Anzahl der Topmanager. Der Organisator des Picknicks erklärt: "Inzwischen brauchen wir pro Samstag zwischen dreißig und vierzig Griller. Soviel Topmanager gibt es gar nicht. Deswegen bricht man das jetzt etwas runter. Auch andere können sich für den Grilldienst eintragen." Das Picknick beginnt am Samstag morgen um zehn Uhr und endet um 18 Uhr abends. Die Waldlichtung ist etwa eine Autoviertelstunde vom Firmengelände entfernt. Zwischen beiden Orten hat die Firma einen halbstündigen Buspendelverkehr eingerichtet, so daß die Besucher zu jeder Zeit kommen und später auch wieder gehen können. Die Besucher des Picknicks fahren also zuerst selbst auf das Firmengelände und lassen sich von dort mit dem Bus Richtung Waldlichtung transportieren. Beim gemeinsamen Warten auf den Bus bilden sich bereits die ersten Gruppen. Beschäftigte, die sich kennen, machen einen kurzen Smalltalk und stellen sich gegenseitig ihre Familien vor. Viele begrüßen beim Einsteigen den Busfahrer und der grüßt freundlich zurück. Kurz vor der Waldlichtung sieht man vom Bus aus den Werkschutz. Der Werkschutz kontrolliert die Grenzen des Areals nach außen hin. Er achtet darauf, daß sich keine Fremden, besonders zufällig vorbeilaufende Spaziergänger, unter die Picknickgemeinschaft mischen. Auf dem Areal selbst ist der Werkschutz nicht zu sehen. Direkt bei der Bushaltestelle ist ein Spielzeugstand aufgebaut. Alle Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 14 Jahren erhalten von GT ein kleines Geschenk. Die Geschenke sind auf das Alter der Kinder abgestimmt. So können etwa Kleinkinder bis drei Jahre zwischen diversen Stofftieren und Wachsmalstiften wählen, 4-8jährige zwischen Filzstiften, einem Kletten-Dart-Spiel oder einem Würfelbecher, 9-14jährige können sich wahlweise einen Haftball, einen Flugkreisel oder ein Damespiel aussuchen. Danach beginnt das eigentliche Picknick. Die Kleidung der Picknicker ist informell und freizeitlich. An dem heißen Augusttag trugen die Männer zumeist kurze Stoffhosen oder Bermudas und ein T-Shirt oder ein kurzärmeliges Hemd - dazu die Standardkombination für die Füße: Sandalen und weiße Tennissocken. Die Frauen sind insgesamt etwas schicker angezogen. Die meisten von ihnen haben entweder Kleider an oder sportliche Röcke. Insgesamt wird die Kleidung dem Anlaß gerecht und verweist auf ihn. Es ist eine typische Outdoorkleidung: Wenn die Stoffe einen Fett- oder Grasfleck abbekommen sollten, wäre es nicht weiter schlimm. Die Kleidung ermöglicht keine sicheren Rückschlüsse auf den hierarchischen Status oder die berufliche Tätigkeit ihrer jeweiligen Träger. Noch stärker als die Kleidung vereint die Besucher der angeheftete Button. Die Buttons fungieren als Ausweis, als Eintritts- und Berechtigungsmarke. Fast alle, das sind etwa neun von zehn Picknickern, haben ihn sich angesteckt. Damit ist die Akzeptanz des Buttons weit höher als die des Namensschilds, das gewöhnlich nur von der Hälfte der Belegschaft getragen wird. Der Button hat einen Durchmesser von sieben Zentimetern und verkündet in schwarzer Schrift auf grünem Untergrund den Anlaß des Treffens: "GT PICNIC 93". Auf dem Button ist ein im Asterix-Stil gezeichneter Indianer mit viel Federschmuck abgebildet, der offenbar auf das Picknick aufmerksam machen soll (die linke Hand liegt am Mund an) und den Weg weisen soll (der ausgestreckte Zeigefinger der rechten Hand als Richtungsangabe). "Das Indianermotiv habe ich gewählt", berichtet dessen Erfinder in der PR-Abteilung, "weil wir seit einigen Monaten ja einen neuen Häuptling haben", auf den Führungswechsel innerhalb der GmbH anspielend.142 Die 142  Die Ethnologie thematisierte Ende der 80er Jahre das Verhältnis von "Unternehmenskultur und Stammeskultur", so der gleichlautende Titel eines 1988 von BRANDES/BACHINGER/ERLHOFF herausgegebenen Readers. Es scheint so, als habe die "small-society-metaphor" (BABA 1988), die einen solchen - übrigens wenig überzeugenden - Vergleich zwischen der Kultur einer Stammesgemeinschaft und der einer wirtschaftlichen Organisation repräsentiert, einige Jahre später Eingang in die PR-Abteilungen großer Konzerne gefunden. Dies wäre dann eines der nach Ansicht von BARLEY/MEYER/GASH (1988) eher seltenen Beispiele für eine Akkulturation der Praktiker durch die Akademiker. Anhand einer Zeitschriftenanalyse weisen die Autoren nach, daß üblicherweise Buttons wurden in den siebziger Jahren eingeführt, weil, so eine Beschäftigte, "viele Firmenfremde, die zufällig vorbeigekommen sind, uns GT'lern die Steaks weggegessen haben." De facto hat der Button jedoch keine Ausweisfunktion. Auch buttonlose Besucher bekommen ohne Probleme Essen und Getränke ausgehändigt. Außerdem sichert ja bereits der Werkschutz das Gelände vor unliebsamen Gästen. Themen 1. Vergemeinschaftung: Das Picknick ist eine Demonstration der corporate identity. Er soll das oftmals beschworene Wir-Gefühl herstellen, sichtbar machen und mit Leben füllen. Er zielt darauf, daß die Beschäftigten zusammenkommen, sich in die Betriebsgemeinschaft integrieren.143 Die freizeitlichen Interaktionen sollen die übliche soziale Distanz verringern. Das gemeinsame Essen, Trinken und Reden ist Zeichen einer Verfestigung der gemeinschaftlichen Bande. Die Biertischgeselligkeit produziert in weit höherem Maß Intimität als die Geselligkeit an den Stehtischen im Firmengebäude: Nicht nur weil die Beteiligten sitzen, sondern weil sie gemütlich sitzen, denn sie haben Zeit. Die Biertischgeselligkeit produziert zudem ein enges Sitzen. Die Körper der Beschäftigten sind sich viel näher als in der Firma. Diese körperliche Nähe korrespondiert mit den zahlreichen körperlichen Berührungen. Während Mann und Frau am Arbeitsplatz selbst auf den konventionellen Händedruck verzichten, sind hier Umarmungen und Küsse ebenso möglich wie ein burschikoses Schulterklopfen. Auch der Alkohol trägt zur Erzeugung einer gemeinschaftlicheren Atmosphäre bei. Er vermindert Hemmungen und fördert weniger kontrollierte Interaktionen. Er sorgt für eine sorglose Stimmung. Zwei Repräsentationen der Vergemeinschaftung sind besonders auffallend: zum einen die Wachmannschaft des Werkschutzes, zum anderen der Button. Der Werkschutz markiert die räumlichen Grenzen des Areals. Diese Grenzen trennen innen von außen, sie trennen GT von der Welt. Der Werkschutz markiert diese Grenzen nicht nur, er bewacht sie zudem. Diese Bewachung scheint notwendig, denn die Draußenstehenden wollen angeblich in das Gebiet der Dazugehörenden eindringen und Steaks und Bier schmarotzen. Der Werkschutz garantiert, daß die Zugangsberechtigten unter sich bleiben. Auch der Button trennt die Belongers von denen, die nicht dazugehören - er hat jedoch noch eine weitreichendere Bedeutung: Im firmenideologischen Zielkonflikt zwischen der Hochschätzung des Kollektivs und der der Individualität betont der Button entschieden das erstere. Während das Namensschild als das funktionale Äquivalent in der Arbeit die Individualität unterstreicht, ist der Button zwar nicht das 143 akademische  Feld durch die Praktiker beeinflußt wird. TRICE/BEYER (1984, S.663) erstellen eine Typologie firmenspezifischer Riten und subsumieren den Picknick unter den "rites of integration". Eine solche Klassifizierung ist berechtigt und auch in Grenzen richtig, wenngleich sie bedauerlicherweise zu einer funktionalen Eindimensionalität führt. Wie noch zu zeigen sein wird, bedient der GT-Picknick neben der Integrationsfunktion noch einige weitere und keineswegs unerhebliche organisationale Bedürfnisse. namenlos, führt aber nur den des Betriebs an. Ähnlich wie auf dem Kirchentag ist die Zugehörigkeit zum Betrieb wichtiger als die Sicherung persönlicher Individualität. Eines der zentralen firmenideologischen Merkmale, die Grenzziehung nach außen, wird also mit Hilfe des Werkschutzes und der Buttons realisiert und in Praxis transformiert. Die Einbeziehung der Familienangehörigen weitet die Gemeinschaft aus: Nicht nur die GTBeschäftigten sollen Geselligkeit praktizieren, sondern auch ihre Ehepartner und Kinder. Der Hauptorganisator des Picknicks erklärt mir: "Das ist ja das Hauptmotiv des Picknicks: Daß man sich privat kennenlernt und vor allem, daß man die Familien der Kollegen kennenlernt." Das Wohlergehen der Kinder liegt der Firma dabei besonders am Herzen. Nochmals der Organsiator: "Die Kinder spielen eine ganz wichtige Rolle. Die sind oft ein guter Aufhänger, um sich kennenzulernen. Außerdem treiben sie das Picknick voran. Die drängen ihre Eltern zur Teilnahme." Die Einbeziehung der Familie sorgt neben der Ausweitung der Betriebsgemeinschaft auch für eine Intimisierung des Gemeinschaftsgefühls. Man könnte auch sagen: Das Picknick ist ein Versuch zur Realisierung der GT-family. Schon der Begriff "Picknick" deutet auf Vertrautheit und Intimität: Bei Picknick denkt man an Fontane, an eine bürgerliche Fahrt ins Grüne, an auf dem Gras ausgebreitete Decken, an eine familiäre, vertraute, verhalten erotische Situation. Daß das volksfestähnliche Zusammensein faktisch mit diesen Assoziationen wenig gemein hat, mag zwar auf den ersten Blick irritieren, wirft jedoch umso drängender die Frage auf, warum dieses (volks)festliche Ritual ausgerechtet unter dem Begriff Picknick firmiert.144 2. Hierarchie: Das Picknick hat insgesamt einen nivellierenden und hierarchieverschleiernden Effekt. Noch weitaus deutlicher als während der Arbeitszeit ist beim Picknick "der ganze Mensch" gefordert und von Interesse, um in der firmenideologischen Terminologie zu bleiben. "Der ganze Mensch", dazu gehört auch der Mensch hinter dem Angestellten, der Privatmensch, genauer: der Privatmensch und seine Familie. Beim Gespräch über die Kinder eines Kollegen rücken Beruf und Status der Gesprächspartner in den Hintergrund. Professionelle Kompetenz ist sekundär. Gefragt sind stattdessen andere Eigenschaften und Tugenden: Witz, Charme, Esprit, Unterhaltungsvermögen sowie die Sympathie und die Attraktivität der Angehörigen. Die freizeitliche Kleidung aller Picknicker und der Button sind die äußere Zeichen dieser Nivellierung. Wenngleich das Picknick von der Entwertung der Hierarchie und vom Abbau der Schwellen erzählen will, indiziert die Gruppenbildung, daß in der Praxis hierarchische Strukturen keineswegs vergessen sind. Wer sich mit seinem Partner oder mit seiner Partnerin an den Biertischen einen Platz sucht, dies ergab meine Beobachtung, landet für gewöhnlich bei Kollegen mit einem ähnlichen Status. 144  Sicherlich haben die deutschen Konnotationen des Begriffs wenig mit den us-amerikanischen gemein. "Picnic" ist ein englisch-französischer Begriff und steht für eine europäische Erfindung: für die Entdeckung der Natur als Essensort durch das Bürgertum. Mit dem Essen im Freien stilisierte sich das Bürgertum zu Naturmenschen, "als Gegenpol zur höfischen Konvention" (KÖNIG 1992, S.19). In den USA wurde das Picknick quasi entbürgerlicht. Insofern ist die us-amerikanische Bedeutung nicht mit der deutschen vergleichbar. Der jährliche Betriebspicknick ist übrigens ein Brauch vieler us-amerikanischer Firmen und insofern keine Besonderheit von GT. Auch und gerade im Brauch der den Grill bedienenden Topmanager ist eine Erzählung über Hierarchie enthalten. Der Brauch, dies ist wichtig, hat keinerlei instrumentelle Bedeutungen, sondern ausschließlich eine symbolische Funktion. Welche Bedeutungen transportiert der Brauch? Zunächst bedeutet der Brauch in zweierlei Hinsicht eine symbolische Umkehrung der Arbeitsbeziehungen und indiziert damit, wie das Picknick im allgemeinen, eine spielerische Entschärfung der betrieblichen Hierarchie. Erstens soll er das hierarchische Gefüge entschärfen, indem er die Manager als Diener der Beschäftigten ausweist. Die Manager werden nicht mit Dienstleistungen beliefert, sondern liefern selbst. Sie bedienen die übrigen Teilnehmer, das heißt, sie bedienen in der Regel ihnen untergeordnete Beschäftigte.145 Zweitens verrichten die Topmanager am Grill Handarbeit. Sie packen zu, werden schmutzig, haben plötzlich einen Fettfleck auf dem Hemd, stehen in Rauchschwaden, sie schaffen. Im Unterschied zu den manageriellen Tätigkeiten in der Firma ist das Grillen viel körperbetonender. Der Brauch ist gleich doppelt ein Text über die verkehrte Welt. Dies macht ihn in gewisser Weise für viele Beschäftigte attraktiv. Dies ist jedoch nur die erste Lesart des Brauchs. Geht man der Frage nach, warum das Topmanagement sich ausgerechnet der Tätigkeit des Grillens verschreibt bzw. sich reserviert, kommt man zu ganz anderen Schlußfolgerungen. Im Vergleich zu den anderen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung, Geschenkausgabe, Sanitätsdienste oder Getränkeausschank ist das Grillen sicherlich die privilegierteste Tätigkeit und die "wichtigste" Arbeit: Ohne die Topmanager bleibt das Fleisch roh. Das Fleisch ist bzw. war lange Zeit (bis zum Aufkommen der vegetarischen Bewegung in den 80er Jahren) das Hauptgericht, es ist/war das Zentrum eines jeden Restauranttellers. Den strukturalistischen Zuordnungen von TOLKSDORF (1973) zufolge ist das Grillen im Freien, weil spektakulär, eine 146 ausgesprochene Domäne der Männer. Es ist eine öffentliche Zubereitung von Nahrung und es ist eine "naturnahe" Tätigkeit. Insofern bedient und unterstützt der Brauch die Familienmetapher der Ideologie. Die Väter/Topmanager versorgen die Familie/Organisation mit Nahrung. TOLKSDORF treibt seine Interpretation von grillen (--> Natur) gleich Mann nicht weiter. Diese Korrelation lädt jedoch ein zu weiteren Assoziationen: Männer denken, nur sie können grillen, sie sehen im Grillen eine schwierige Technik, ein Spiel mit dem Feuer, mit der gefährlichen Glut. Die gefährliche Glut muß unter Kontrolle gehalten werden, eine schweißtreibende Angelegenheit. Das Grillen von Fleisch, um die Assoziationen noch weiter zu treiben, erinnert 145  Das Verständnis von Management hat sich in den letzten Jahren/Jahrzehnten stark gewandelt. So ist die Auffassung des derzeitigen GmbH-Chefs, ein Topmanager sollte der erste Diener seiner Organisation sein, eine recht populäre Ansicht. Vor zehn oder zwanzig Jahren war die symbolische Umkehrung sicher deutlicher. 146  TOLKSDORF unterscheidet zwischen Hausgrills (Toaster, Infrarotgrill im Küchenherd, Waffeleisen) und Freiluftgrills. Während das häusliche Grillen (es ist privat und es ist ein "zivilisiertes" Grillen) in den Zuständigkeitsbereich der Frau fällt, sind Männer für die Freiluftgrills zuständig. Tolksdorfs strukturalistische Gleichung heißt: grillen (--> Natur) : Mann : öffentlich grillen (--> Kultur) : Frau : privat an Atavismus, an die Jagd und die Beute, die erlegt wurde, um sie mit allen zu teilen. Mit Hilfe des TOLKSDORFschen Modells wird jetzt die zweite, weit wichtigere Bedeutung des Brauchs freigelegt: Bei GT sind nur die Topmanager "echte" - das heißt beutemachende und der Naturgewalt des Feuers strotzende - Männer. Die anderen Männer, Ingenieure, Angestellte in der Produktion, sind für diese Tätigkeit noch nicht reif oder haben sich noch nicht ausreichend für die Position nahe der Glut bewährt. Der Brauch hat also eine extrem hierarchiebetonende Funktion.147 Er ist für wenige Auserwählte reserviert und ist im Kontext des ansonsten Hierarchie nivellierenden Picknicks das einzige Zeichen, das zumindest die Firmenelite kenntlich macht. Der Brauch präsentiert die Topmanager am Grill zwar als Diener, aber als Chefdiener. Er zieht seine Relevanz aus einem spielerischen Umgang mit Hierarchie, auf der einen Seite den status quo umkehrend, auf der anderen Seite ihn betonend, noch weit mehr als sonst. Letztlich führt gerade die symbolische Umkehrung zu einer besonderen Sichtbarmachung hierarchischer Strukturen. Wenig überraschend kursiert innerhalb der GmbH, insbesondere unter Ingenieuren, der etwas hämische Spruch: "Wer bei GT Karriere machen will, muß sich an den Grill stellen." 3. Informalität: Sicherlich haben alle betrieblichen Feiern eine Informalisierungsfunktion. Sie sind kleine Oasen inmitten einer Arbeitslandschaft. Sie gehören weder völlig zur Arbeit noch gehören sie völlig zur Nichtarbeit, zur Freizeit, zur Privatsphäre. Betriebliche Feiern stehen vielmehr vermittelnd zwischen diesen Polen. Dabei, so meine These, können sie sich entweder in der Mitte zwischen beiden Polen ansiedeln oder sich eher an den Arbeits- bzw. an den Freizeit- bzw. Privatsphärenpol anschmiegen. Im letzten Kapitel habe ich den Begriff "informelle Arbeit" benutzt. Mit diesem Begriff läßt sich auch die Vermittlungsfunktion betrieblicher Feiern umschreiben. Sie können, je nach Feier, ihren Schwerpunkt entweder auf der Informalität oder auf der Arbeit haben. Das Picknick thematisiert wie kein anderes feierliches Ritual die Seite der Informalität und die der Nichtarbeit. Hier wäre zunächst die zeitliche Distanz zur Arbeit anzuführen. Es findet am Wochenende statt und zeichnet sich durch eine hohe zeitliche Distanz zur Arbeit aus. Auch die räumliche Distanz zur Arbeit ist hoch. Das Areal liegt nicht auf dem Firmengelände, sondern eine Autoviertelstunde davon entfernt. Auch der gewählte Ort für die Feier indiziert Informalität: es ist kein (kultivierter) Ballsaal, sondern eine (natürliche) Waldlichtung. Weitere Zeugnisse der Informalität sind das Inventar, also Biertische, Bierbänke und ein Zelt, der Alkoholausschank, die zwanglose Kleidung, die spielenden Kinder, selbst das Verhalten der Teilnehmer: Sie zeigen ihre Gefühle, sie lachen, lassen sich von der Musik beschwingen, sind laut und guter Stimmung. 147  Ob die Organisationsleitung der GmbH mit dem Brauch diese Botschaft transportieren wollte, läßt sich zwar jetzt nicht mehr feststellen, scheint mir jedoch aus zwei Gründen eher unwahrscheinlich. Erstens hat sie den Brauch von der Konzernmutter übernommen, zweitens kann man aus den firmenideologischen Ambitionen und Intentionen eher das Gegenteil vermuten: Wahrscheinlich sollte der Brauch im Sinne seiner Erfinder gerade eine hierarchieabbauende Wirkung haben, sollte die im Arbeitsalltag existenten hierarchischen Verhältnisse zeitweise maskieren. Sollte diese Vermutung stimmen, dann wäre die Maske gar keine Maske, sondern hätte eher eine entlarvende Funktion. Dies wäre komisch und tragisch zugleich. Ritualrahmen Nachdem nun mit der Vergemeinschaftung, der Hierarchie und der Informalität drei im feierlichen Ritual des Picknicks angelegte firmenideologische Themen erörtert sind, sollen nun einige Bemerkungen zum Ritualrahmen gemacht werden. Die Inszenierung des Picknicks liegt vollständig in den Händen der Organisation und hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten kaum gewandelt. Das Picknick trägt zu einer Sichtbarmachung der Firmenideologie bei, wenngleich dies nicht explizit geschieht, sondern über die symbolische Ausstattung der Feier. Für die einzelnen Beschäftigten gibt es keine oder nur sehr geringe Möglichkeiten, auf den Ritualrahmen Einfluß zu nehmen. Eine der wenigen Optionen, die den Rahmen veränderten, wäre etwa eine kollektive Nichtteilnahme. Ebensowenig können die Beschäftigten die durch die Organisation intendierten firmenideologischen Botschaften des Picknicks beeinflussen. Es ist also nur schwer denkbar, daß sich beim festlichen Ritual Picknick ein Spannungsverhältnis zwischen Firmenideologie und Belegschaftskultur auftut. Das Picknick bietet als Anlaß kaum eine Möglichkeit für Konflikte zwischen der Organisation und der Belegschaft bzw. einzelnen Belegschaftsmitgliedern. Daß die Beschäftigten die durch das Picknick transportierten firmenideologischen Botschaften kaum beeinflussen können, bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß sie diese Botschaften teilen oder gar affirmativ beurteilen. Anders formuliert: Die dem Picknick zugeschriebenen Funktionen müssen mit den Wirkungen auf die Beschäftigten wie auch mit deren Intentionen für die Teilnahme am Picknick keineswegs korrelieren. Warum gehen die Beschäftigten hin? Gehen sie hin, weil sie sich mit der Firma identifizieren? Weil sie durch ihre Teilnahme das firmenideologische Wertesystem bestätigen oder gar stärken wollen? Weil sie die Betriebsgemeinschaft suchen und sich nach der GT-family sehnen? Oder sind ganz andere Gründe für die Partizipation verantwortlich? Drängen die Kinder? Heucheln die Beschäftigten, schieben sie das Interesse an der Betriebsgemeinschaft nur vor, um in der Firma nicht als unsozial zu gelten? Sind sie in Wirklichkeit nur an der kostenlosen Verpflegung interessiert? Besuchen sie das Picknick, weil ihnen die Hüpfburgbetreuung einen kinderquengelfreien Nachmittag verspricht? Vielleicht können einige belegschaftliche Wahrnehmungen, Interpretationen und Bewertungen des Picknicks diese Fragen teilweise beantworten und auf diese Weise die Analyse der durch das Ritual transportierten Botschaften ergänzen. In einem Fragebogen habe ich die Beschäftigten gebeten, drei Assoziationen zum Picknick zu nennen. Die Nennungen sind in weiten Teilen eine Wiedergabe der dem Picknick inhärenten firmenideologischen Themen. Sie assoziieren es unter anderem mit Familie, Kinder, Familienfeier, Volksfest, Sonne, Bier, Zusammensein, Spaß, Small-Talk, zwanglose Atmosphäre, Essen, Trinken, Gespräche, Plaudereien, Partner der Kollegen kennenlernen, Manager am Grill, Freunde treffen und Action. Viele der Assoziationen haben einen bewertenden Charakter. Sie lassen sich in vier Gruppen einteilen. Die erste Gruppe der Bewertungen sind eindeutig positiv: toll für Kinder; gut organisiert; viel Spaß; gutes Essen; schön für Familien. Die zweite Gruppe deutet darauf hin, daß die Befragten sich von der Integrationsfunktion des Picknicks distanzieren: unzeitgemäßer Motivationsversuch; alter Zopf; Muß-Veranstaltung; GT will damit angeblich die Familien der Mitarbeiter integrieren; findet nicht während der Arbeitszeit statt, sodaß man am Wochenende was mit der Firma machen muß; Teamgeist-Ausbildung. Solche Assoziationen klingen reserviert, als wollten sie sagen: Wir wissen genau, was ihr da oben mit dem Picknick bezweckt, aber wir fallen nicht darauf rein. Die Aussagen in der dritten Gruppe indizieren eine (oft ironische) Instrumentalisierung des Picknicks für eigene Zwecke: es gibt etwas umsonst - nutzen wir es aus; das große Fressen; Präsenz der Schmarotzer; für viele erschöpft es sich im kostenlosen Essen und Trinken; der Wochenendeinkauf kommt billiger. Die vierte Gruppe der Nennungen sind eindeutig negativ und lassen darauf schließen, daß die Autoren dieser Assoziationen nicht am Picknick teilnehmen: Menschenmassen; Geldverschwendung; zu viele Leute; to much GT; zu viel Rummel; Massenveranstaltung; immer dasselbe; gähnende Langeweile (ich war erst einmal dort). Die letzte Bemerkung stammt von einem Beschäftigten, der seit über zwanzig Jahren bei GT angestellt ist. Diese wenigen Stimmen und Assoziationen machen bereits auf die komplexen und multiplen Motivationen für die Teilnahme bzw. die Nichtteilnahme am Picknick aufmerksam. Sie enthalten sowohl distanzierte, ja sogar zynische als auch ideologiegläubige Positionen. Insgesamt läßt sich konstatieren, daß die Beschäftigten die Funktionen des Rituals gut genug oder auch zu gut kennen, als daß die Organisation das feierliche Ritual für propagandistische Zwecke nutzen könnte. Die Krönungsfeier Nach über zwanzig Jahren findet in der GmbH ein Führungswechsel statt. Der bisherige Vorsitzende tritt freiwillig zurück. Zu seinem Nachfolger kürt der Vorstand den bisherigen Leiter der medical division, Benno Karner. Für die medical division ist der Karrieresprung ihres Chefs eine zwiespältige Angelegenheit: Auf der einen Seite bedeutet dieser Aufstieg einen Prestigegewinn für die medical division, auf der anderen Seite geht ihnen ein Vorgesetzter verloren, mit dem alle sehr zufrieden waren. Die medival division beschließt, ihrem Chef ein Abschiedsgeschenk in Form einer Feier zu schenken. Die Feier soll am Morgen des Tages stattfinden, an dem Benno seinen neuen Arbeitsplatz bezieht. Der Wechsel des Arbeitsplatzes ist mit einem Gebäudewechsel (vom Werk sechs ins Hauptgebäude) verbunden. Die Feier ist als ein Sammelsurium einzelner Darbietungen und Vorführungen geplant. Da das Fest für Benno eine Überraschung sein soll, ist es notwendig, alle Organisations- und Koordinierungsschritte heimlich vorzubereiten. Die Vorbereitung der Feier übernimmt ein, laut Personalleiterin "konspiratives Team", dem sieben Manager und Bennos Sekretärin angehören. Wer die Idee hatte, ein solches Team zu bilden und wer es schließlich zusammenstellte, dies konnte mir ein Jahr nach der Krönungsfeier niemand mehr sagen - eine bezeichnende Tatsache: Es scheint, als sei es unwesentlich gewesen, wer der/die Initiator/in war. Die Personalleiterin erklärte mir (ein Jahr später): "Also von wem der zündende Funke ausging, das weiß ich nicht mehr. Es ist auch ganz egal. Es war klar, daß wir uns etwas einfallen lassen mußten und auch wollten." Dieses Team trifft sich lediglich einmal und sammelt in einem brainstorming Ideen. Nach diesem Treffen erfolgt die weitere Planung über den informellen Weg der face-to-face Kommunikation: zufällige Begegnungen auf dem Gang, ein kurzes Gespräch am Kaffeepott. Dabei übernimmt Bennos Sekretärin eine Schlüsselrolle: Bei ihr laufen alle Fäden zusammen, sie wird über die Details als erste informiert. Die Entscheidung, sich an der Feier mit Darbietungen zu beteiligen, bleibt den Beschäftigten selbst überlassen. Da die medical division bereits ihre jährliche Weihnachtsfeier mit Sketchen, Tänzen und Musikstücken garniert, existiert in der Belegschaft bereits ein kreatives Potential, auf das rekurriert werden könnte. Einige Gruppen, die sich bereits bei diversen Weihnachtsfeiern bewährt haben, melden entweder selbst einen Beitrag an oder werden von Kollegen wie auch der Organisationsleitung dazu ermuntert. Andere Gruppen formieren sich eigens für diesen Anlaß. Einstimmung: Das feierliche Ritual, im folgenden als Krönungsfeier bezeichnet,148 findet, wie alle größeren Veranstaltungen, in der Kantine der medical division statt. Die Feier beginnt morgens um neun Uhr und dauert insgesamt knapp neunzig Minuten. Eine Viertelstunde vor Beginn ist von dem bevorstehenden Ereignis noch nichts zu bemerken. Die Beschäftigten sitzen an ihren Schreibtischen und gehen ihrer Tätigkeit nach. Erst zehn Minuten vorher ändert sich sehr schnell die Szenerie. Die Beschäftigten nehmen ihre Kaffeetasse, stehen auf und gehen in Richtung Kantine. Einer der in meiner Nähe sitzenden Ingenieure wendet sich an mich: "Time to go, Kulturforscher. Abschiedsfrühstück für Benno. Das dürfte dich interessieren." In wenigen Minuten leert sich der Großraum vollständig. Alle, die an diesem Tag arbeiten bzw. im Gebäude sind, das sind etwa vierhundert Beschäftigte, nehmen an der Krönungsfeier teil. Auf dem Weg in die Kantine bilden sich kleine Gruppen: Man lacht, scherzt, macht Small-Talk oder tauscht noch schnell arbeitsbezogene Informationen aus. In der Kantine ist eine Bühne aufgebaut. Die Tische und Stühle sind so gestellt, daß alle zur Bühne hin schauen können. Die Beschäftigten setzen sich und erwarten plaudernd den Beginn der Vorführungen. Erster Auftritt: Eine Gruppe von Ingenieuren betritt die Bühne. Sie eröffnen die Feier mit einigen bekannten Musikstücken wie "Oh, when the Saints go marchin' in" oder "Von den 148  An dieser Stelle ist eine Vorbemerkung über den Namen der rituellen Feier notwendig. Die Beschäftigten haben sie informell immer als "Abschiedsfrühstück" bezeichnet. Da die Feier ein einmaliges Ereignis war, existiert kein offizieller Name dafür. Ich habe mich für die Bezeichnung "Krönungsfeier" entschieden, weil die für einen Außenstehenden zu beobachtende symbolische Interaktion in erster Linie die Bedeutung einer Krönung bzw. einer Graduierung hat und erst sekundär auf Abschied hinweist. Ich bezweifle jedoch nicht, daß die rituelle Feier für die Beschäftigten hauptsächlich die Funktion der Verabschiedung hatte. Die Benennung des feierlichen Rituals ist ein Musterbeispiel für die potentielle Unvereinbarkeit von etischer und emischer Sichtweise. Man muß sich entscheiden, ob man die eigenen Kategorien und Begriffe zur Beschreibung einer "anderen Kultur" einsetzt, oder die der anderen übernimmt. Warum habe ich mich hier für die etische Variante entschieden? Um ganz ehrlich zu sein: Das weiß ich selbst nicht. Die Entscheidung fußt eher auf einem Gefühl, auf Intuition als auf klaren, rationalen Überlegungen. Dies ist sicherlich eine unbefriedigende Antwort. blauen Bergen". Zweiter Auftritt: Unter Trauermusik betreten drei in Schwarz gekleidete Sekretärinnen die Bühne und schluchzen laut in Taschentücher, Schmerz und Trauer simulierend. Anschließend singen sie eine dichterische Variation zur Musik von "Marmor, Stein und Eisen bricht". Die Variation: "Weine nicht, wenn der Benno geht, damm damm. Es gibt einen, der zu uns steht, damm damm." Über Lautsprecher werden zweimal Original-Sätze von Benno Karner eingespielt, die die Trauerbekundung der drei Frauen kommentieren. Einer der beiden Sätze lautet: "Also ich muß sagen, ich bin wirklich gerührt." Der andere: "Jetzt fällt mir gar nichts mehr ein." Das Publikum lacht und klatscht. Dritter Auftritt: Zehn Sekretärinnen tanzen zum Pop- und Leistungsanimationssong "Life is life". Die Botschaft des Popsongs ist simple: Die Menschen sollen ihr Bestes geben. Die zehn Sekretärinnen sind wie Revuegirls angezogen: auf dem Kopf einen Zylinder, auf dem ein weißer Buchstabe aufgeklebt ist, weiße Handschuhe, in der rechten Hand einen Stock, schwarze Kleidung. Die Choreographie des Tanzes und der Gleichschritt in den Bewegungen erinnert an Varieté und an die berühmten Tillergirls.149 Am Ende des Tanzes stehen alle in einer Reihe, vor der Hüfte die Zylinder. Die Buchstaben auf den Zylindern ergeben den Glückwunsch: "All the best". Die bisherige Sekretärin von Benno bittet ihn auf die Bühne und schenkt ihm im Namen der Gruppe einen Dirigentenstab. Sie übergibt ihn mit den Worten: "Wir tanzen zwar nicht nach Ihrer Pfeife, aber wir tanzen für Sie." Diese Bemerkung wird vom Publikum mit Beifall honoriert. Weiter sagt sie: "Damit Sie den Takt angeben können und vielleicht irgendwann mal so gut wie wir ohne Dirigenten tanzen können, wollen wir Ihnen ein Hilfsmittel überreichen diesen Dirigentenstab." Wieder Lachen im Publikum. Als zusätzliches Geschenk überreichen sie ihm ein Album mit Erinnerungsfotos der zehn Sekretärinnen. Außerdem steht in dem Album der Anfangsvers von "Life is Life". Benno liest allen den Anfangsvers vor: "When all give the power and all give the best, every minute of an hour, don't think about the rest. When you all give the power, you all get the best. When everyone gives everything and every song everybody sings life is life." Es ist klar, daß sich in diesem Liedtext die Arbeitsmoral der GT'ler, besonders der Sekretärinnen widerspiegeln soll. Vierter Auftritt: Eine Gruppe von Ingenieuren interpretiert den Reinhard-Mey-Schlager "Ich bin Klempner von Beruf" und dichtet den Liedtext um: "Ich bin PACS-man von Beruf, ein dreifach 149  Die gleichförmige Erscheinung und der synchrone Bewegungsstil animierte KRACAUER zu einem Vergleich mit der industriellen Rationalisierung: "Den Beinen der Tillergirls entsprechen die Hände in der Fabrik (...). Das Massenornament ist der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität" ("Das Ornament der Masse", in: Das Ornament der Masse, S.54). In der Glosse "Girls und Krise" (Frankfurter Zeitung, 27.5.1931) führt er diese Allegorie weiter aus: "Wenn sie eine Schlange bildeten, die sich auf und nieder bewegte, veranschaulichten sie strahlend die Vorzüge des laufenden Bands; wenn sie im Geschindtempo steppten, klang es wie: Business, Business; wenn sie die Beine mathematisch genau in die Höhe schmetterten, bejahten sie freudig die Fortschritte der Rationalisierung: und wenn sie stets wieder dasselbe taten, ohne daß ihre Reihe je abriß, sah man innerlich eine ununterbrochene Kette von Autos aus den Fabrikhöfen in die Welt gleiten und glaubte zu wissen, daß der Segen kein Ende nehme." Lob, dem der die goldne Truppe schuf. Denn auch in den größten Nöten gibt es immer was zu löten, ständig kommt es zu Problemen an PCs und Fallsystemen." Der veränderte Liedtext ist gespickt mit Fachjargon, der nur firmeneigenen Beschäftigten verständlich ist. Der Liedtext vermittelt, ebenso wie das Original, eine Mischung aus leicht hämischem, aber gutverdaulichem Spott über die eigene Berufsgruppe einerseits und andererseits Signale von Zugehörigkeit und Gruppenidentifaktion. Der Liedtext endet mit der Zeile: "Und braucht man keine PACS-men mehr, na dann werd' ich halt Manager." Fünfter Auftritt: Eine Vertreterin des "measuring team" trägt ein Gedicht vor, das den firmeneigenen Jargon verballhornt. Am Ende überreicht sie Benno ein T-Shirt, auf dem ein riesiges Dollarzeichen abgedruckt ist. Darüber steht: "Measure of success." Sechster Auftritt: Die Personalabteilung schenkt Benno ein Paar goldener Schuhe - an jedem Schuh sind auf beiden Seiten große goldene Flügel angebracht. Benno muß testen, ob ihm die Schuhe passen. Die Schuhprobe wird von großem Publikumsgelächter begleitet. Siebter Auftritt: Das functional management der division hat die längste Vorstellung: Jeder der sechs Manager hat für Benno ein Geschenk und reichert die Übergabe mit freundlichen, lustigen und hochsymbolischen Sätzen an. Es ist allgemein bekannt, daß Benno ein leidenschaftlicher Segler ist. Darauf beziehen sich alle Geschenke. Auch die begleitenden Worte sind in der Seemannssprache gehalten: Es geht um Kapitänswechsel und Steuerleute, um den Lotsen und dessen Kurs, um Nebel und rauhen bzw. wechselhaften Wind sowie um blinde Passagiere, denen die Richtung des Schiffs gleichgültig ist, solange es nur schwimmt. Bei diesen Ausführungen wird die GmbH immer als großes Schiff oder als Dampfer bezeichnet, das träge, schwerfällig und schwierig zu steuern ist. Die division hingegen ist ein kleines aber feines Boot: entweder ein Schnellboot oder ein U-Boot mit Tiefgang. Immer ist es schnell und reaktionsschnell, wendig, flexibel und anpassungsfähig. Als Geschenke erhält Benno einen Kompaß ("Sie wissen, es wird nicht leicht werden, den Überlick zu behalten. Damit Sie stets wissen, wenn Sie so in Ihrer Kombüse pennen, welcher Kurs gerade anliegt und damit Sie stets feststellen können, ob Ihre Steuerleute nicht vielleicht doch heimlich den Kurs geändert haben, haben wir für Sie ein kleines Tool"), ein Basecap mit zwei Schildern, eins vorne und eins hinten ("Daran erkennt man die Steuermänner, die keine Linie in den Kurs bringen, heute so, morgen so"), eine Schiffsglocke ("Für die meetings"), eine Windfahne ("Damit Sie wissen, woher der Wind weht. Was keinesfalls heißt, daß Sie Ihr Fähnlein opportunistisch nach dem Wind hängen werden"), einen Wurfanker ("Bitte dampfen Sie nicht ab in Ihrer neuen Rolle und lassen Sie sich noch häufig in der Medizinelektronik sehen. Werfen Sie also auch den Anker aus"), ein Nebelhorn ("Krach machen kann man auch, wenn es Nebel gibt. Und dann ist es ganz hilfreich, wenn die anderen wissen, wo man steht. Es ist manchmal auch ganz tröstlich, wenn man in einer dicken Suppe ist und alles ist grau und gleich und gleicher, wenn man dann hört, es gibt noch einen, selbst wenn der auch nur im Nebel stochert"), eine Lenzpumpe ("Lenzpumpen sind wichtig, damit niemand auf dem Dampfer ausrutscht"), ein Flaschenschiff und einen Rettungsring ("Damit können Sie zur Not immer in die Medizin zurückschwimmen"). Einer der Manager beschreibt Benno nicht als Kapitän eines Schiffes, sondern eher als dessen Designer, bei dem die ganze Mannschaft den Kurs mitbestimmen darf. Anschließend wird der Nachfolger von Benno auf die Bühne gebeten. Das functional management überreicht ihm eine "original Elb-Lotsenmütze" ("Wenn Sie so nach Hamburg gehen, werden Sie von den Touristen als Fotoobjekt benutzt") und ein Steuerrad. Achter Auftritt: Benno bittet, ganz offensichtlich tief gerührt, um ein Mikrophon. Die anderen verlassen die Bühne oder stellen sich in den Hintergrund. Benno hält eine Dankesrede: "Ich habe zwar einiges erwartet, aber das habe ich nicht erwartet. Ich dachte mir, daß wir eine kleine offizielle Übergabe machen. Als ich heute morgen hier eintraf, lief draußen einer vom Wachdienst herum. Ich fragte ihn, was geht hier denn ab? Ich dachte, daß irgendein hohes Tier zu Besuch kommt. Da sagte der junge Mann zu mir, er kannte mich nicht: Da ist irgendwo so ein Ausstand." Die Geschichte sorgt für große Heiterkeit. Vom Beifall ermutigt, erzählt Benno eine weitere Geschichte, die ihn auf die Nichtalltäglichkeit dieses Tages aufmerksam machte: "Daß hier irgendwas im Gange ist, habe ich auch gerochen, als ich mir heute morgen einen Kaffee holen wollte. Da die Gefahr bestand, daß ich hierher gehe, bot mir die Elke [seine Sekretärin, Anmerkung A.W.] an, mir einen Kaffee zu bringen. Das macht sie nur ganz selten. Ich habe ihr geantwortet, daß ich mir meinen Kaffee immer noch selbst holen kann. Wir wollen hier doch keine feudalistischen Methoden einführen." Auch diese Geschichte löst im Publikum schallendes Gelächter aus. Jetzt wird Benno ernst: "Also ich muß sagen, ich bin sehr beeindruckt. Ich werde von Journalisten immer wieder gefragt, was an den GT denn so besonders ist. Die Frage ist für mich immer sehr schwer zu beantworten, da ich schon so lange dabei bin. Das Besondere an GT sind für mich einfach die Mitarbeiter. Auf die können wir wirklich stolz sein. Ich wünsche Ihnen allen, daß Sie weiterhin so spritzig bleiben und so kreativ. Daß Sie weiterhin Fehler machen wollen, aber nicht zu viele <Lachen im Publikum>. Daß Sie nicht gläsern und bürokratisch werden. Das unternehmerische Element unserer Mitarbeiter ist das, was uns auszeichnet und stark macht. Wenn das erhalten bleibt, sind auch schwierige Zeiten zu bewältigen. Und dieses unternehmerische Element habe ich bei all den kreativen Darbietungen gesehen." Langanhaltender Applaus. Nach dieser Rede kramt Benno selbst zwei Geschenke hervor und bittet seinen Nachfolger in der medical division auf die Bühne. Er überreicht ihm ein Zepter und eine vielzackige goldene Krone mit den Worten: "Das sind die crown jewels." Jemand aus dem Publikum ruft ihm zu: "Und wo sind die Juwelen?" Benno antwortet: "Die Juwelen sind die Mitarbeiter." Dieser bedankt sich, die Auftritte sind zu Ende. Abgang: Nach einem etwa zehnminütigen Intermezzo - Benno geht wieder zurück zu seinem Sitzplatz und seiner ebenfalls anwesenden Frau, immer wieder im Small-Talk mit einzelnen Beschäftigten oder kleinen Gruppen - wird Benno von einigen Personen aus dem Management in Richtung Kantinenausgang geführt. Sie steuern mit ihm die Parkplätze an. Alle anderen Beschäftigten folgen dieser kleinen Gruppe ins Freie. Zur großen Überraschung von Benno steht auf dem Parkplatz eine mit vielen Pflanzen geschmückte Pferdekutsche. Benno steigt in die Kutsche und nimmt die bereitliegende Peitsche in die Hand. Die Kutsche fährt ihn zu seinem neuen Arbeitsplatz in das Hauptgebäude. Er wird mit großem Gejohle verabschiedet. Als er außer Sichtweite ist, ist die Krönungsfeier vorbei. Die Beschäftigten gehen langsam wieder ins Gebäude zurück. Alle sind ein wenig für sich, die munteren Plaudereien, mit denen die Beschäftigten zu Beginn des Rituals den Übergang von der Arbeit zur Feier vollzogen, sind jetzt auf dem Weg zurück zur Arbeit nicht zu beobachten. Die Stimmung ist verhalten, fast ein wenig gedrückt, viele wirken sehr gerührt. Rückblende: Während der Vorbereitungen des feierlichen Rituals entstehen zumindest bei einer der auftretenden Gruppen Meinungsverschiedenheiten über die geplante Vorführung. Die Entscheidung der Sekretärinnen für einen Tanz ist umstritten. Eine der Sekretärinnen verweigert ihre Teilnahme. Sie erklärt: Der Tanz war eine Idee der Sekretärin vom Benno. Die hat einfach gesagt, daß alle mitmachen sollen. Das klang schon fast wie ein Befehl. Und die Sachbearbeiterinnen hat sie nicht angesprochen, obwohl sie auf derselben Gehaltsstufe wie wir sind. Ich werde bei dem Tanz nicht mitmachen. Wir sollen da die Beine schwingen. Da kommt man sich ja vor, wie ein Go-Go-Girl. Das ist doch für die Männer ein Augenschmaus. Und jetzt rate mal, zu welchem Lied wir tanzen sollen: zu 'Life is life'. Bescheuerter geht's doch nicht mehr, oder? Auch eine andere Sekretärin ist mit dem geplanten Tanz sehr unzufrieden. Allerdings hat sie bereits zugesagt - "ich wollte eben kein Spielverderber sein." Erst später wuchsen ihre Bedenken, die sie jedoch, aus Solidarität mit der Gruppe, hintanstellt. Ich kann jetzt nicht mehr raus. Ich würde in der Reihe fehlen, da würde effektiv eine Person fehlen. Aber mir stinkt das immer mehr. Jetzt denke ich mir, du blöde Kuh, worauf hast du dich da eingelassen? Ich habe den anderen letztes Mal ganz klar gesagt: "Hört mal her, das geht mir gegen den Strich. Da kann ich gleich einen Striptease hinlegen. Das finde ich blöd. Also kommt, Leute, das ist Geschäft und was soll denn das? Das ist doch wieder ganz typisch. Sekretärinnen tun da rumtänzeln. Wir sind doch selber schuld, wenn wir an der Anerkennung, oder sonst irgendwie an unserem Status hier nichts verändern. Ihr tragt dazu bei, daß wir wieder in diese Rolle hineingedrängt werden, in das Klischeedenken und so." Jetzt stößt es mir richtig auf. Ich möchte gar nicht mehr. Aber ich mache auch mit nächsten Freitag. Die anderen tun das halt ab und sagen: "Das ist Gaudi und Spaß." Und irgendwo ist es kein Spaß. Dann habe ich zu ihnen gesagt: "Ich zeige kein Bein. Auf keinen Fall. Das könnt ihr euch abschminken." Viel lieber hätte ich einen Sketch gemacht oder etwas gesungen. Oh, mir graut so. Ich überlege mir, ob ich mir nicht lieber einen Fuß brechen soll bis nächste Woche, weißt du so. Ich kann jetzt auch einfach nicht mehr raus, weil wir schon alles einstudiert haben. Ich möchte nicht, daß es an mir scheitert. Dann heißt es: Wo bleibt da die Kollegialität? Und: Mach doch mal den Spaß mit. Das ist doch lustig. Und: Sei doch nicht so genant. Themen Wie das Picknick knüpft auch das Ritual Krönungsfeier an die firmenideologische Themen Hierarchie, Gemeinschaft/Individualität und informelle Arbeit an, allerdings mit deutlichen Akzentverschiebungen. Darüber hinaus verweist es nachdrücklich auf ein in der Firmeni- deologie ausgeklammertes Thema: Auf die Existenz von Berufskulturen. (1) Führung: Die Krönungsfeier ist vor allem als eine symbolische Bestätigung der Führung zu lesen. Auf den ersten Blick mag dies verwundern. Wie kommt es, daß eine Firma, die ansonsten permanent bemüht ist, die klassische hierarchische Symbolik zu vermeiden und die durch Hierarchie entstehenden Statusunterschiede zwischen den Beschäftigten zu entschärfen, auf diese Weise ihre Führung feiert? Widerspricht dies nicht dem Wertesystem? Diese Feier der Führung läßt sich nur begreifen, wenn man die im letzten Kapitel gemachte analytische Unterscheidung zwischen dem Firmenmensch und dem Privatmensch aufgreift. Die Krönungsfeier ist keine Pflichtveranstaltung, keine offizielle Zeremonie, sondern eine freiwillige und informelle Veranstaltung. Sie gilt nicht nur dem designierten GmbH-Chef, sondern zumindest ebenso sehr, wenn nicht zuerst, dem Menschen im Chef. Die Krönungsfeier ist ein Dokument der öffentlichen und kollektiven Anerkennung von Benno. In ihr spiegelt sich Stolz über seine Beförderung ins höchste Amt der GmbH; Stolz, daß dieses Amt zukünftig von einem aus der medical division besetzt wird. Das Objekt des kollektiven Stolzes, Benno, rückt in den öffentlichen Blick und wird vor zahlreichen Zeugen graduiert. Mit den Begriffen Anerkennung und Stolz läßt sich das Gefühl, das die Krönungsfeier durchzieht und das zugleich das Gefühl ist, das die Beschäftigten Benno entgegenbringen, nur unzureichend beschreiben. Die Krönungsfeier vermittelt nicht nur Anerkennung und Stolz, sondern auch Verehrung. Man könnte fast von einer öffentlichen Liebesbekundung sprechen: Alle mögen Benno und alle zeigen es. Sie schätzen an ihm genau die Eigenschaften, die Benno in seiner Dankesrede wiederum den anderen Beschäftigten zuschreibt: kein gläserner, verbiesterter, sturer und bürokratischer Manager zu sein, sondern ein lustiger und humorvoller Mensch. Der von Bennos Sekretärin geäußerte Satz "wir tanzen zwar nicht nach Ihrer Pfeife, aber wir tanzen für Sie" - zeigt natürlich, daß sie es eben doch tun (müssen). Sonst wäre der Ausspruch nicht witzig. Der Satz unterstreicht aber gerade durch seine Keckheit und vermeintliche Frechheit das öffentlich bekundete Gefühl der Verehrung des Menschen im Chef. Paraphrasiert bedeutet der Satz: Die Tatsache, daß ich öffentlich so keck und sogar ein wenig despektierlich über meinen Chef reden kann, zeigt, was für ein toller Mensch er ist. Die Antwort von Benno knüpft genau an diese Gefühlslage an. Er erzählt zwei Geschichten, die ihm vordergründig als Indizien für einen besonderen Tag gelten, eigentlich jedoch als Erzählungen über Führung zu verstehen sind und auch so vom Publikum verstanden werden. In beiden Geschichten bestätigt er zwar seine herausgehobene Position, macht jedoch zugleich klar, daß die herausgehobene Position keine statusmäßige Sonderbehandlung rechtfertigt. Er ist nicht empört, sondern reagiert belustigt, wenn der Pförtner ihn nicht erkennt. Er präsentiert sich nicht als zukünftiger GmbH-Chef, sondern als Mensch und trifft damit die Wünsche und Erwartungen des Publikums. Auch den Kaffee möchte er sich selbst holen. Da die gesamte Dimension der Feier bis hin zur Kutsche seine herausgehobene Stellung betont, bedient Benno in seinen Geschichten die andere Seite: Prestigesymbole seien ihm unerwünscht, er sei stattdessen an der Herstellung von symbolischer Gleichheit interessiert. In beiden Erzählungen präsentiert sich Benno als menschliche und antifeudale, das heißt in diesem Kontext, nicht autoritäre Führungspersönlichkeit, die wiederum eben aufgrund dieser Eigenschaften bei den Beschäftigten so geschätzt wird und ihm zu dieser Feier verhalf. (2) Individualität und Gemeinschaft der medical division: Zahlreiche Aspekte der Krönungsfeier betonen die Individualität der Beschäftigten. Zum einen ist bereits der Anlaß und der Zweck der Feier ein Verweis auf Individualität: Manche in der Organisation, insbesondere die an der Spitze, verdienen eine besondere Wertschätzung. Die Feier findet zu Ehren eines einzelnen Beschäftigten statt. Auch die Darsteller auf der Bühne spielen als Individuen eine herausgehobene Rolle. Bei Ihren Auftritten können sie sich selbst stilisieren, können ein Zeugnis ihrer persönlichen Kreativität abgeben: Der Tanz, der uminterpretierte Reinhard-Mey-Schlager, die weinenden Frauen - all diese Vorführungen sind mit bestimmten Personen verbunden, mit bekannten Gesichtern. Alle Beschäftigten, die im Laufe der Krönungsfeier auf der Bühne stehen, zeigen sich in der Organisationsöffentlichkeit von einer anderen Seite als im Arbeitsalltag: als musikalisch talentiert, als sportlich und ausdrucksstark, als witzig, originell und fantasievoll. Schließlich betont auch Benno in seiner Dankesrede die Individualität der Beschäftigten. Es sind "die Mitarbeiter", die seiner Ansicht nach GT zu einer besonderen Firma machen. Diese Besonderheit wird nicht mit Masse oder Durchschnitt, sondern mit Einzigartigkeit und Persönlichkeit assoziiert. Er bescheinigt ihnen, kreativ zu sein und unternehmerisch zu denken. Auch dieses Bild hebt die Besonderheit des einzelnen Beschäftigten hervor. Natürlich sind in der Krönungsfeier auch gemeinschaftliche Elemente zu finden. Hierzu gehören zum einen kollektive Handlungen wie das In-Einem-Raum-Sitzen. Das kollektive Klatschen und Lachen im Publikum indiziert Mitgliedschaft und Zugehörigkeit. Das Gemeinschaftsgefühl bezieht sich dabei hauptsächlich auf die medical division. Dies kommt auch in den Geschenken und metaphorischen Kommentaren des Managements zum Ausdruck: Es geht um eine Abgrenzung der medical division von der GmbH und um eine positive Hervorhebung der division. Es entsteht der Eindruck von der Besonderheit der "Mediziner" innerhalb der großen GmbH. (3) Informelle Arbeit: Die Krönungsfeier liegt genau in der Mitte zwischen Arbeit und Nichtarbeit. Die zeitliche Distanz zur Arbeit ist zwar weniger deutlich als beim Picknick, dennoch liegen zwischen Arbeitsende und Feierbeginn und später zwischen Feierende und Arbeitsbeginn jeweils einige transitorische Minuten. Ebenso die räumliche Distanz: Zwar findet die Feier innerhalb der Firma statt, doch ist mit dem Gang vom Arbeitsplatz in die Kantine ein sehr deutlicher Ortswechsel verbunden. Die Kantine wird ja nicht primär mit Arbeit, sondern mit Pause und Erholung in Verbindung gebracht. Auch die Tischgeselligkeit ist im Vergleich zum Picknick nur in reduzierter Form vorhanden. Die Beschäftigten sitzen zwar pro forma gemeinsam an Tischen, doch die Aufmerksamkeit gilt der Bühne, nicht den Tischnachbarn. Auch der Alkohol fehlt. In den Darbietungen spiegelt sich dies ebenfalls wider. Aufführungen sind immer und per se erarbeitete Spiele: auf der einen Seite leicht und spielerisch, auf der anderen Seite vorbereitet und einstudiert. Wie beim Picknick ist auch hier die Offenlegung von Gefühlen eine wesentliche Komponente des Rituals - allerdings fehlt den über die Stücke vermittelten Gefühlen Spontaneität. Sie sind wohldurchdacht und genau dosiert. Die Verortung der Feier in der Mitte zwischen den Polen Arbeit und Nichtarbeit läßt sich auch am Beispiel der Meinungsverschiedenheiten über den Sekretärinnentanz aufzeigen. Ein Ausschnitt des obigen Zitats: "Die anderen tun das halt ab und sagen: 'Das ist Gaudi und Spaß.' Und irgendwo ist es kein Spaß." Auf der einen Seite ist der Tanz wirklich nur ein harmloser Spaß, der nicht überbewertet werden sollte, auf der anderen Seite - und alle wissen das - ist er ein Indikator zur normativen Beurteilung einer Berufsgruppe. (4) Berufskulturen: Mit Ausnahme der Personalabteilung werden alle anderen Aufführungen von jeweils homogenen beruflichen Gruppen präsentiert. Dies zeigt, welch immense Bedeutung den jeweiligen Berufskulturen zukommt. Mit den Darbietungen machen, so die These, alle professionellen Gruppen Aussagen über sich und ihr berufliches Selbstverständnis. Um mit den Sekretärinnen zu beginnen: Der Sekretärinnentanz greift ein klassisches Motiv auf, mit dem Sekretärinnen üblicherweise dargestellt werden. Danach werden Sekretärinnen sexualisiert; sie sind zuständig für die Optik, ihr äußeres Erscheinungsbild ist von Bedeutung. Der Tanz greift dieses Motiv zwar auf, er bestätigt es jedoch nicht. Die Sekretärinnen haben nicht, wie von einer aus der Gruppe befürchtet, Bein gezeigt. Das Zitat dieser Sekretärin zeigt, daß die Tanzvorführung von Diskussionen begleitet wurde, die das Selbstverständnis reflektierten und kritisch in Frage stellten. Die Sekretärinnen sind daran interessiert, sich von ihrem klassischen Image zu befreien. Sie wissen, daß die Aufführung dieses Image auf irgendeine Weise beeinflussen wird. Die eigentliche Tanzaufführung ist ein Kompromiß, der für alle Beteiligten akzeptabel ist. Mit dem Schlußkommentar - "wir tanzen nicht nach Ihrer Pfeife, aber wir tanzen für Sie" - demonstrieren die Sekretärinnen Selbstbewußtsein, Unabhängigkeit und Sinn für Sprachwitz. Die Ingenieure machen sich bei einem ihrer Auftritte sogar ganz explizit selbst zum Thema. "Ich bin PACS-man von Beruf." Damit weisen sich die Ingenieure als der PACS-Gruppe innerhalb der medical division zugehörig aus. Auf eine ironische Weise besingen sie sich selbst und ihre Tätigkeit. Schließlich ist auch die Darbietung der Managementgruppe selbstbezogen: Ihre Geschenke und ihre begleitenden Kommentare konnotieren Führung und damit genau die Tätigkeit, die man dem Management gemeinhin zuschreibt. Auch die Abgrenzung der medical division von der GmbH und die positive Zeichnung der division (als Schnell- und U-Boot) ist managementtypisch. Alle professionellen Gruppen benutzen also die Bühne, um ihr eigenes Selbstverständnis zu demonstrieren. Ritualrahmen Die Inszenierung des feierlichen Rituals liegt weitgehend in den Händen der Beschäftigten, ist jedoch keineswegs völlig beliebig. Ein Gremium hat mit der Organisation der Feier, der Koordination der Darbietungen sowie der Animierung der Beschäftigten zur aktiven Teilnahme an der Feier einige zentrale Aufgaben übernommen, die den Rahmen der Feier nicht unwesentlich prägen. Im Unterschied zum Picknick haben hier die Beschäftigten die Möglichkeit, auf die Interpretation betrieblicher Realität Einfluß zu nehmen - natürlich vor allem die Bühnendarsteller. Mit Hilfe von Sketchen, Tänzen, symbolischen Artefakten in Formen von Geschenken und metaphorischen Kommentaren üben sie Deutungsmacht aus. Dies eröffnet wiederum ein Potential für Konflikte. Die Krönungsfeier selbst war völlig frei von Konflikten; eine in jeder Hinsicht harmonische Veranstaltung, ohne Störungen und Irritationen. Dagegen sind in der Vorbereitungsphase durchaus Konflikte aufgetreten. Das Ritual Krönungsfeier eröffnet den Beteiligten also ein weit höheres Maß an diskursiver Auseinandersetzung über die betriebliche Wirklichkeit und ebenso ein höheres Maß an der praktischen Umsetzung, an der Zurschaustellung dieser Interpretationen. Ziel der Feier ist zum einen die symbolische Bestätigung des neuen GmbH-Vorsitzenden, zum anderen eine bühnenreife Vorführung, eine Zurschaustellung von Belegschaftskultur und von Firmenideologie. Die Krönungsfeier ist eine Lehrstunde für den Umgang mit Symbolik. Sie ist, paradox formuliert, eine belegschaftskulturelle Feier der Firmenideologie. Die Geburtstagsfeier Es ist ein gewöhnlicher Donnerstag im September. Ingenieur Klaus hat heute Geburtstag. Bis zum Spätnachmittag wird es für ihn und seine Kollegen ein Arbeitstag wie jeder andere. Fast den ganzen Tag weiß außer ihm selbst niemand etwas. Dies ändert sich etwa gegen 15 Uhr. Plötzlich ruft ihm die Chefsekretärin Claudia, sie sitzt von Klaus ungefähr sieben oder acht Meter entfernt, von ihrem Arbeitsplatz aus zu: "Sagen Sie, Klaus, haben Sie heute Geburtstag?" Jemand muß es ihr erzählt haben. Einige in der Nähe sitzenden Kollegen und Kolleginnen hören die Frage und schauen kurz auf. Klaus bejaht. Daraufhin erhebt sich die Sekretärin Martina, die zwischen Claudia und Klaus sitzt, von ihrem Arbeitsplatz, geht zu Klaus und gratuliert ihm mit einem Handeschütteln. Die anderen bleiben sitzen. Die Arbeit geht weiter. Eine halbe Stunde später geht Klaus durch die Abteilung und lädt alle zum Kuchenessen ein. Die Einladung nehmen alle zum Anlaß, ihm zu gratulieren. Mich lädt er auch ein, obwohl wir bis dahin noch nicht miteinander gesprochen haben. Das Kaffeekränzchen findet in der abteilungseigenen Konferenzecke statt. Er hat eine große Schwarzwälder Kirschtorte gekauft und stellt sie in die Mitte des runden Tischs. Auf einem halbhohen Regal neben der Konferenzecke stehen bereits einige Pappteller und einige Kaffeelöffel. Zu Beginn der kleinen Feier stehen zehn Personen in oder an der Konferenzecke: Vier Frauen und der Gratulant sitzen auf den Konferenzstühlen, sechs Männer stehen entweder innerhalb oder knapp neben der Ecke. Die Anwesenden: drei Sekretärinnen, fünf Ingenieure, eine Ingenieurin und ich. Vorgesetzte sind nicht dabei. Der direkte Abteilungschef wie auch die beiden Bereichsmanager, deren Arbeitsplätze nicht weit von Klaus entfernt liegen, sind außer Haus. Mit der Bemerkung: "Den Kaffee muß sich jeder selber holen", serviert Klaus persönlich und legt allen ein Stück Torte auf den Pappteller. Alle haben ihre Kaffeetasse dabei. Es wird deutlich, daß diese Gruppe momentan zusammengehört. Während der Verteilung der Kuchenstücke werden kräftige "Ahhhhs" und "Ohhhs" geäußert. "Der sieht aber gut aus." Und: "Der schmeckt aber wirklich gut." Die Eingeladenen qittieren den Kuchen mit dankbarer Anerkennung und wohlwollenden Worten. Claudia, die Chefsekrekretärin: "Ich habe vorher zur Martina gesagt, daß ich schon die ganze Woche Lust auf ein Stück Kuchen habe." Nur eine Sekretärin stichelt ein wenig im Scherz: "Ja, ja. Die Männer haben es gut. Die können den Kuchen einfach kaufen. Und von uns Frauen wird verlangt, daß wir ihn selber backen." Nach der kollektiven Kommentierung des Kuchens entsteht eine kleine Pause. Man ißt. Ein, zwei Minuten sagt niemand etwas. Die Stimmung wird ganz leicht unangenehm. Alle spüren, daß jetzt ein Gespräch in Gang gebracht werden sollte, egal worüber. Claudia meint: "Es ist schön, daß man mal wieder zusammensitzen kann. Es hat ja schon lange niemand mehr Geburtstag gehabt." Damit ist ein Thema gefunden. Man überlegt gemeinsam, wer zuletzt Geburtstag hatte. Diese Überlegung führt dazu, die Geburtstagsdaten nicht anwesender Kollegen zu rekonstruieren und einige an der Feier Beteiligten nach ihrem Geburtstag zu befragen. Das Gespräch über die Geburtstage zieht sich recht lange hin. Martina fällt eine Anekdote ein: Letztes Jahr habe man den Geburtstag von Jim, dem Chef der Abteilung, vergessen. Als Jim feiern wollte, sei kaum jemand da gewesen. Die Anekdote wird von den anderen nicht kommentiert. Wieder nistet sich langsam das Schweigen ein, als plötzlich ein Telefon klingelt. Alle lauschen auf den Klang. Claudia meint, dies sei ihr Telefon. Eine Sekretärin sagt: "Das war ja klar. Kaum sitzt man mal zusammen, muß das blöde Telefon klingeln." Man ließ es noch zwei, dreimal klingeln, dann wurde die Gruppe langsam nervös. Die ersten Bemerkungen fallen: "Da ist einer aber ganz penetrant." Dann: "Vielleicht ist es was Wichtiges." Nach dem achten oder neunten Klingeln macht sich Ingenieur Mark, der leicht außerhalb der Konferenzecke steht und deshalb das Telefon relativ schnell erreichen kann, auf den Weg, nimmt ab, legt nach einem kurzen Lauschen wieder auf, kommt zurück und berichtet den anderen, er sei zu spät gekommen. Auf einigen Gesichtern zeigt sich Anspannung. Jemand meint, daß jetzt sicher viele in der Firma anrufen werden, um Klaus zu gratulieren. Der Witz geht daneben. Niemand lacht. Dann klingelt das Telefon von Claudia erneut. Wieder geht Mark ran. In der Konferenzecke ist es still, man lauscht auf die Anrede. Mark begrüßt seinen Gesprächspartner mit "Hallo Ben". Während des kurzen Telefonats ergibt sich in der Konferenzecke kein Gespräch. Als Mark zurückkommt, sagt ein Ingenieur zu ihm: "Ich dachte schon, es sei Ben Jones." 150 Dieser Joke wird aufgegriffen. Ein anderer Ingenieur meint, daß Joe Cullen vielleicht auch noch zum Gratulieren anrufen könnte.151 Dies verneint Klaus und erwidert halbernst: "Der Joe ruft nur bei mir an, wenn er was von mir will." Den anderen Beteiligten ist nicht ganz klar, ob Klaus die letzte Bemerkung als Witz erkannt hat. Das Thema scheint ausgereizt, das Gespräch stockt erneut. 150  Ben Jones ist der Chef der Medizinelektronik von GT weltweit, bekleidet also innerhalb der Konzernhierarchie eine sehr hohe Position. 151  Joe Cullen ist in der Konzernhierarchie ebenfalls weit oben. Auch er sitzt in den USA und kommt gelegentlich zu Besuchen nach Südwestdeutschland. Das nächste Thema wird wiederum von Claudia eingeleitet. Sie möchte von Mark, der morgen seinen letzten Arbeitstag vor dem Urlaub hat, wissen, wohin er denn fahre. Mark antwortet relativ knapp und etwas einsilbig. Es beginnt ein gegenseitiges Abchecken der Urlaubsziele: "Wohin fahren Sie denn, Tony?" - "Wir fahren in die Schweiz für drei Wochen." - "Und wohin da genau?" - "Ins Berner Oberland." - "Das ist eine herrliche Gegend. Wir waren da auch schon." Inzwischen haben sich kleine Gesprächsgrüppchen gebildet, die jedoch nur von sehr kurzer Dauer sind und jederzeit aufgelöst werden können. Eines dieser Minigrüppchen erörtert die Frage, wie man sich am besten gegen Insekten schützen kann. In der Zwischenzeit sind neue Gratulanten eingetroffen. Drei Ingenieure, die einen Stock höher in der Forschung und Entwicklung arbeiten, gratulieren Klaus, der sie über die Feier wohl informiert hat, nehmen sich ein Stück Kuchen und reihen sich ein. Die kleinen Grüppchen sind wieder aufgelöst, die Aufmerksamkeit gilt den Neuankömmlingen. Einer ist relativ neu und auch für Klaus ein Unbekannter. Er wird von einem der beiden anderen Entwicklungsingenieure Klaus vorgestellt. Daraufhin wendet sich Claudia an ihn: "Ah, Sie sind also der Friedebert Kleiner. Das ist ja schön, daß ich jetzt auch mal ihr Gesicht kenne." Auf den verwunderten Gesichtsausdruck erklärt sie, daß sie heute Post an ihn weitergeleitet habe. Anschließend fallen noch ein, zwei Witze darüber, ob er die Post denn erhalten hat. Als nächster Gratulant gesellt sich Armin zu der inzwischen etwas zerfaserten Gruppe und meint, an Klaus gerichtet: "Aber gratulieren muß man nicht, oder?" Martina informiert ihn, daß Klaus heute Geburtstag hat und Armin setzt von neuem an: "Ich weiß, aber gratulieren muß man nicht, oder?" Einige lachen über den Scherz. Die Feier ist inzwischen etwas über fünfundzwanzig Minuten im Gang und ist in ihrer figurativen Struktur zumeist ein Konglomerat diverser informeller Grüppchen. Die kommunikative Dezentralisierung wird jedoch bei Neuankömmlingen regelmäßig unterbrochen. Zwei neue Entwicklungsingenieure erscheinen auf der Bühne. Sie gratulieren Klaus, der noch immer der einzige sitzende Mann ist, und nehmen sich ein Stück Kuchen. Einer der beiden hat eine Skizze in der Hand und winkt damit Klaus zu: "Kann ich mit dir kurz was besprechen?" Claudia und Martina protestieren umgehend: "Aber jetzt doch nicht. Wir unterhalten uns gerade. Das hat doch wohl Zeit bis nachher." Der Entwicklungsingenieur läßt sich von diesem Einwand nicht irritieren. Er stellt sich in die Meetingecke hinter Klaus und beide beugen sich über die Skizze. Daraufhin protestieren die beiden Frauen erneut: "Das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Das ist eine Feier. Das hat Zeit bis nachher." Der Entwicklungsingenieur stutzt und schwenkt um: "Ja, da habt Ihr natürlich recht. Das sehe ich ein. Aber versuchen kann man es ja mal." Der Entwicklungsingenieur ist gerade dabei, das Papier wieder wegzulegen, als Claudia dem Konflikt die Schärfe nimmt und abschwächt: "Sie können ruhig kurz was Geschäftliches besprechen. Aber kritisieren dürfen wir das ja wohl." Dennoch wird das Papier nicht mehr auf den Tisch gelegt. Wieder bilden sich Minigrüppchen. Der Entwicklungsingenieur bleibt bei Klaus stehen. Nach etwa einer Minute, bis auf Klaus und den Entwicklungsingenieur sind alle in ein Gespräch eingebunden, zieht er wieder sein Papier hervor und beginnt, mit Klaus über eine technische Skizze zu reden. Jetzt werden sie von den anderen nicht mehr bei der Arbeit gestört. Es scheint, als würde dies von den anderen gar nicht mehr bemerkt. Durch dieses Arbeitsgespräch, in das der Gefeierte involviert ist, bekommt die Feier ein anderes Gesicht. Von jetzt an scheint es keinen Zwang mehr zu geben, die informelle Gruppe durch ein Thema zusammenzuhalten, an dem alle partizipieren können. Die Feier zeigt erste Zeichen einer Auflösung und wird zugleich unangestrengter. Wieder bilden sich mehrere Grüppchen. Eine der Gruppen unterhält sich über Filme. Die Unterhaltung ist angeregt und wesentlich entspannter als die Gespräche zuvor. Zwar spielt sich die Szene noch immer in der Konferenzecke und dem unmittelbar angrenzenden Bereich ab, doch ist die Streuung jetzt ein wenig ausgeprägter. So steht eine Dreiergruppe etwa zwei Meter von der die Konferenzecke abschirmenden Stellwand entfernt - eine Kommunikation mit den sitzenden Personen wäre so nicht mehr möglich. Zwei Ingenieure entfernen sich unauffällig in Richtung ihres Arbeitsplatzes. Ich gehe auch, um mir einige Stichworte zu notieren. Als ich fünf Minuten später wiederkomme - einige sind gegangen, in der Konferenzecke und dicht daneben befindet sich noch ein harter Kern von acht Beschäftigten, das Arbeitsgespräch ist beendet - höre ich, wie Claudia darüber klagt, daß solche kleinen Feiern im Lauf der letzten Jahren stark zurückgegangen sind: "Früher hat es so oft einen beerbust gegeben. Oder man ist nach der Arbeit noch zusammengesessen und hat eine Flasche Sekt geköpft. Einfach so. Man hat gar keinen Anlaß dafür gebraucht. Das passiert heute kaum noch." Einer der Entwicklungsingenieure antwortet ihr, daß bei ihnen noch häufiger gefeiert würde. Woraufhin Claudia antwortet: "Ahhh, gut zu wissen. Dann müssen wir öfter mal hochkommen." Eine älterer Ingenieur kritisiert die "jungen Leute". Die hätten einfach kein Interesse mehr an solchen Aktivitäten. Armin gibt als Grund für die rückgängige Feierfreude den Alkohol an: "Heute wird einfach nicht mehr so viel getrunken wie früher. Vor zehn Jahren haben wir uns in der Firma oft noch einen kleinen Schwips angetrunken. Das macht heute doch keiner mehr." Ein anderer Ingenieur erwidert: "Man muß halt auch heimfahren. Und das geht halt nicht in betrunkenem Zustand." Dieses Argument will Klaus wiederum nicht gelten lassen: Man könne ja auch alkoholfreies Bier oder einen Sprudel trinken. Es entsteht eine kurze Pause, plötzlich fährt Klaus fort: "Jeder will halt heim nach der Arbeit. Wir sind lange genug hier. Und der Streß ist auch gestiegen." Der Entwicklungsingenieur meint, man müsse etwas gegen diese Entwicklung tun. Daraufhin schweigen alle betreten, niemand weiß etwas zu sagen. Plötzlich erhebt sich Claudia mit einem "Sooo" von ihrem Stuhl. Dies wird von allen als Zeichen des Aufbruchs gedeutet. Die Gruppe löst sich jetzt sehr schnell auf. Die Kaffeetasse in der Hand gehen die Beschäftigten wieder an ihre Arbeitsplätze zurück. Die Feier hat insgesamt eine knappe dreiviertel Stunde gedauert. Themen 1. Informelle ARBEIT: Während das Picknick, als eine zwischen Arbeit und Nichtarbeit vermittelnde Feier, sehr dicht bei der Nichtarbeit zu verorten ist und die Krönungsfeier etwa in der Mitte zwischen den beiden Polen liegt, thematisiert das Ritual Geburtstagsfeier eher Arbeit denn Nichtarbeit. Die zeitliche wie auch die räumliche Distanz zur Arbeit ist minimal. Die Geburtstagsfeier findet während der Arbeitszeit statt. Die abteilungseigene Konferenzeke als Ort der Feier liegt nicht nur - wie bei der Krönungsfeier - innerhalb des Firmengeländes, sie liegt vielmehr im selben Großraum. Sie ist nur wenige Meter von den Arbeitsplätzen der meisten Teilnehmer entfernt. Die Geburtstagsfeier liegt mitten in der Arbeit. Die Beschäftigten müssen nur von den Schreibtischstühlen aufstehen und befinden sich wenige Sekunden später in einem anderen Setting. Sie sitzen dann an einem Tisch, an dem üblicherweise die Meetings stattfinden. Sie tragen nach wie vor ihre Arbeitskleidung, meiden alkoholische Getränke und trinken wie üblich den aufmunternden Kaffee. Dieser wird wie immer getrunken: Jeder geht an die Kaffeemaschine und füllt sich seine Tasse. Es ist kein Unterschied zum üblichen Arbeitskaffee zu erkennen.152 Qua Maschinenkaffee greift die Organisation ungemütlich in die kleine Gruppe hinein. Die Praxis des Kaffeetrinkens liefert in diesem Fall keine Abgrenzung zum Alltag. Auch die Gesprächsthemen verweisen auf Arbeit: Gerade die ersten Themen, die ja alle dezidiert und in einem angestrengten Stil Anti-Arbeit (andere Geburtstagsfeiern, Urlaube, wegfahren) aufgreifen, sind ein Zeichen für die Bedrohung der Feier durch arbeitsbezogene Themen. Erst nachdem diese permanent in der Luft liegende Drohung realisiert ist, nachdem also einige, darunter sogar das Geburtstagskind, während der Feier arbeiteten, wird die Feier für die anderen etwas ausgelassener. Andere mögen, dies ist nicht auszuschließen und wäre kaum verwunderlich, während der Feier an ihre liegengelassene Arbeit denken. Nach der Feier gehen alle an ihre Arbeitsplätze zurück. Wieder ist der Wechsel des Settings eine Sache von wenigen Metern und Sekunden. Hinzu kommt: Die Geburtstagsfeier hat keine klaren zeitlichen Grenzen. Einige stoßen mit Verspätung zur Feier, andere gehen früher. Auch die räumlichen Grenzen sind recht vage. Es wäre wohl richtiger, von mehreren Grenzen zu sprechen. In der Mitte des Rituals befindet sich ein feiernder Kern, der in der Konferenzecke sitzt. Um diesen Kern bilden sich wiederum mehrere konzentrisch angeordnete Kreise (stehend innerhalb und außerhalb der Konferenzecke). Der äußerste Kreis ist vom Kern fast schon ein wenig abgeschnitten. Die Geburtstagsfeier ist noch in einem viel umfassenderen Sinn in der Sphäre der Arbeit angesiedelt. Während der Feier haben alle Anwesenden gearbeitet. Nicht wie Klaus und der Entwicklungsingenieur, die Art ihrer Arbeit war anders. Sie betrifft die Herstellung von Informalität. Wenn jetzt von informeller Arbeit die Rede ist, liegt die Betonung auf dem zweiten Wort. Die Geburtstagsfeier dokumentiert, welche Arbeit, ja welche Mühen zur Erzeugung einer informellen Situation notwendig sind. Dies ist vielleicht die bedeutendste Aussage der Geburtstagsfeier: Informalität ist einer der zentralen Werte bei GT, die Beschäftigten bejahen und unterstützen ihn und sind auch bereit, hierfür die nötigen Anstrengungen zu unternehmen. Hierzu gehören das allgemeine Lob des Kuchens, wie auch die freundlichen Bemerkungen, (1) schon die ganze Woche Lust auf Kuchen haben und (2) daß es schön sei, mal wieder zusammenzusitzen.153 Im Unterschied zur Krönungsfeier, bei der den meisten Beschäftigten die informelle 152  Bei einer anderen GT-Geburtstagsfeier wurde aufgrund des besonderen Anlasses der Maschinenkaffee in eine große Kanne gefüllt und in die Mitte der Runde gestellt. Damit wurde der Unterschied zum Arbeitskaffee signalisiert. 153  Das Lob des Kuchens verweist neben der informellen Leistung auch auf ein typisches geschlechtsspezifisches Muster: Frauen loben den Mann, weil er einen Kuchen mitbringt. Der informellen Leistung Arbeit ab- und aus der Hand genommen wird, und im Unterschied zum Picknick, das allein aufgrund seiner Größe insgesamt kaum mißlingen kann, ist das kleine Grüppchen der Feiernden verpflichtet, eine informelle Situation zu erzeugen. Daß die Herstellung einer informellen Situation Arbeit erforderlich macht, wird zunächst an dem Gesprächsverlauf deutlich: Die Gespräche ergeben sich nicht einfach, sie müssen geführt werden. Davon zeugen die wiederholt eingetretenen kürzeren oder längeren Pausen, wie auch die Versuche, solche tendenziell illegitimen Gesprächspausen zu beenden. Die Geburtstage von an- und abwesenden Kollegen zu rekapitulieren ist sicherlich eher ein aus der Not geborenes Thema, das vor allem der Übertönung des Schweigens dient.154 Von der informellen Arbeit zeugen schließlich auch die zahlreichen Witze. Witze, Jokes, Gags, lustige Anekdoten und nette kleine Geschichten sind geradezu Paradegenres der Informalität. Sie sollen die Situation entkrampfen und den Boden bereiten für eine aufgelokerte Atmosphäre. 2. Neue Hierarchie: Der Brauch der grillenden Manager beim Picknick wurde teilweise und auf einer vordergründigen Bedeutungsebene als eine symbolische Umkehrung von Hierarchie (der Vorgesetzte als Diener) interpretiert. In dem Ritual Geburtstagsfeier findet eine faktische Umkehrung von Hierarchie statt. Hier besetzen und beanspruchen die Sekretärinnen, insbesondere die Chefsekretärin, die Schaltstellen. Sie nehmen das Zepter in die Hand. Man könnte fast von einer Sitzungsleitung sprechen. Die Sekretärinnen und das Geburtstagskind sitzen und bilden damit den räumlichen Kern der Feier. Die Sekretärinnen tragen wie keine andere Gruppe 155 die Verantwortung für die Herstellung der informellen Atmosphäre. Sie bestimmen die Gesprächsthemen, integrieren Neuankömmlinge und halten die Feier im Fluß. Sie bestimmen, ob während der Feier gearbeitet werden darf oder nicht. Sie beenden die Feier, wenn es ihnen geboten scheint. Gewiß sollte man diese hierarchische Umkehrung nicht überbewerten. In einem größeren betriebsalltäglichen Kontext, dies ist bekannt, erweist sich diese Umkehrung letztlich auch nur als eine symbolische, die die Funktion hat, die eigentlichen Machtstrukturen zu bestätigen und zu stärken. Auf der anderen Seite scheint es dringend erforderlich, die informelle Macht, die gerade Sekretärinnen innehaben, zu erkennen. Wer das Ende einer Feier festlegen kann, hat bedeutenden Einfluß und eine mächtige Position. Diese andere Hierarchie verweist erneut auf das Vorhandensein von Berufskulturen bzw. auf Geschlechterkulturen, die sich u.a. in Berufskulturen eingeschrieben haben. des Mannes, also dem Kauf des Kuchens, gebührt gleich doppeltes Lob. Bei vertauschten Rollen - eine Frau bringt den Kuchen mit - wäre die informelle Leistung wohl als quasi selbstverständlich vorausgesetzt worden. 154  Solche Situationen schreien geradezu danach, den Einfluß des Forschers auf das Feld zu reflektieren. Man könnte die nur schwer in Gang kommende Kommunikation als Ausdruck einer Verunsicherung wegen der Präsenz eines außenstehenden Beobachters deuten. Da die Beschäftigten wußten, daß ich an "Kultur" interessiert bin, so könnte man die Argumentation fortführen, entstand für sie während der Feier ein besonderer Druck, sich mir gegenüber informell zu präsentieren. 155  Die Gründe hierfür werden im nächsten Kapitel ausführlicher erörtert. Hierarchie ist zudem Thema bei einigen Unterhaltungen - obwohl während der Feier keine Vorgesetzten anwesend waren. Die Anekdote über den Abteilungschef, dessen letzter Geburtstag vergessen wurde, wird erst durch dessen hierarchische Position erzählenswürdig. Die Witze nach dem Telefonat sind ein weiteres Beispiel. Sie bearbeiten die informelle Seite der VorgesetztenUntergebenen-Beziehungen: Auch Vorgesetzte sind Menschen. Sie freuen sich über Glückwünsche, wenn sie selbst Geburtstag haben und sie können ihren Untergebenen zum Geburtstag gratulieren. 3. Abteilungsgemeinschaft: In der Geburtstagsfeier kommt ein sehr ambivalentes Verhältnis der Beschäftigten zur Vergemeinschaftung zum Ausdruck. Auf der einen Seite hat jede Feier die Bedeutung eines Come-Together-Ereignisses. Die Geburtstagsfeier zeichnet sich auch durch das Bemühen zur Herstellung von Gemeinschaft aus - ebenso jedoch durch das relative Mißlingen genau dieser Bemühungen: Ein Gefühl von Kollektivität will nicht entstehen.156 Mit diesem relativen Scheitern korrespondiert der Tenor der selbstreflexiven Diskussion am Ende: Feiernd wird die Frage nach den Ursachen für den Rückgang kleinerer Feiern aufgeworfen. Diese Frage impliziert bereits eine größere und umfassendere Frage: die nach den Ursachen für den Schwund der Kollektivität. Nach einigen etwas kümmerlichen Rettungsversuchen der Gemeinschaftlichkeit, die darauf zielen, der Jugend bzw. dem veränderten Alkoholkonsum die Verantwortung für diesen Prozeß in die Schuhe zu schieben, bringt Klaus mit einer Machen-wiruns-doch-nichts-vor-Rhetorik die eigentlichen Gründe ins Spiel: den wachsenden Arbeitsdruck, die lange tägliche Arbeitszeit, die anderweitigen Interessen der Beschäftigten, die Tatsache, daß die Organisation weder die Welt noch das Zuhause ihrer Beschäftigten ist. Nach diesem Eingeständnis ist die Feier an einem Punkt angelangt, der eine Fortsetzung nahezu unmöglich macht. Zwar wird noch ein mutiges "Dagegen müssen wir doch etwas tun" in die Runde geworfen, doch alle wissen, daß es keine einfachen Lösungen gibt. Die Geburstagsfeier endet letztlich mit einer Bestätigung des sukzessiven Verfalls von Gemeinschaftlichkeit. Ritualrahmen Im Unterschied zum Picknick und zur Krönungsfeier erfolgt die Inszenierung der Geburts156  In diesem Sinne ist die Geburtstagsfeier sicherlich nicht typisch oder gar repräsentativ. Vielleicht scheitert die Feier auch deshalb, weil der Gastgeber im Grunde seines Herzens gar keine Feier will, sich jedoch dazu verpflichtet fühlt. Insgesamt ist die Vorbereitung der Feier ja doch etwas lieblos. Den Kaffee muß sich jeder selbst holen, statt den Kuchen auf Porzellantellern zu servieren, die ja in der Kantine bereitliegen und viel eher eine Gruppe konstituieren würden, greift Klaus auf Pappteller zurück. Dann wäre wiederum zu fragen: Wenn Klaus eigentlich auf die Feier seines Geburtstags gar keinen Wert legt, warum wird die Feier dann dennoch aufrechterhalten? Gibt es einen für alle geltenden Zwang? Dürfen die existierenden Asymmetrien zwischen den für Informalität und Fürsorge zuständigen Sekretärinnen und den oftmals in informellen Angelegenheiten unbegabten und uninteressierten Ingenieuren nicht allzu deutlich werden? Eine andere Erklärung für das Stattfinden solcher Feiern wäre in der Bedrohung der Abteilungsgemeinschaft zu suchen. Gerade weil solche Feiern im Kontext einer zunehmenden Arbeitsverdichtung schwieriger werden, gerade weil die Beschäftigten die Gefährdung der Abteilungsgemeinschaft im Arbeitsalltag vor Augen haben, erhalten (auch mißglückte) Geburtstagsfeiern einen hohen Stellenwert. tagsfeier ausschließlich durch die (beteiligten) Angestellten. Der Inszenierungsform entspricht das Ziel der Feier: Sie demonstriert nicht corporate identity, sondern bestätigt vielmehr die Existenz einer Belegschaftskultur. Verglichen mit den beiden anderen Ritualen ist der Rahmen der Feier weniger klar. Natürlich gibt es einige zeitliche, räumliche und personelle Strukturierungselemente: Die Geburtstagsfeier dauert in der Regel eine Stunde, sie findet immer in der eigenen Abteilung statt und ist üblicherweise auf eine überschaubare Anzahl von Teilnehmern begrenzt. Alkohol, dies besagt eine informelle Regel, sollte bei Feiern erst ab 16.30 Uhr getrunken werden. Abgesehen von diesen Vorgaben ist der Rahmen jedoch wenig festgelegt. Er muß jedesmal neu konstruiert werden. Diese Konstruktion der feierlichen Grenzen geschieht nahezu ausschließlich durch die Teilnehmer des Rituals. Vielleicht ist das Gelingen einer Geburtstagsfeier auch deshalb so schwierig, weil diese Grenzen Angriffen seitens der Beschäftigten ausgesetzt sind. Die Attacken bewirken, daß die feierwilligen Beschäftigten nicht mehr feiern können, weil sie sich vor allem mit den Grenzverletzungen beschäftigen müssen. Dennoch gilt: Bei der Geburtstagsfeier haben die Beteiligten extrem viel Deutungsmacht. Sie können und müssen betriebliche Realität interpretieren. Sie können die Feier also zu einem Symbol der Gemeinschaft machen oder nicht. Im Unterschied zu den beiden anderen Ritualen, deren Instrumente zur Interpretation betrieblicher Realität einmal der Brauch, das andere Mal die symbolischen Artefakte und die Vorführungen waren, vollzieht sich die Deutung betrieblicher Realität bei der Geburtstagsfeier ausschließlich über die Interaktion der Teilnehmer. Die Deutungsmacht der Beteiligten macht die Geburtstagsfeier konsequenterweise zu einem umkämpften Terrain. Während der Feier können konflikthaltige Situationen entstehen. Es sind Konflikte, die das adäquate, der Situation der Geburtstagsfeier angemessene Verhalten betreffen. In solchen Situationen müssen die Teilnehmer aushandeln, welches Verhalten ideologiekonform ist und ob ein ideologiekonformes Verhalten anzustreben ist. Während der Geburtstagsfeier gab es zwei potentiell konflikthaltige Situationen. Beide Situationen werden durch ein unerwartetes Eindringen der Arbeit in die feierliche Atmosphäre bestimmt, und beide machen eine Reaktion der Teilnehmer notwendig. Situation eins: Das klingelnde Telefon. Die Teilnehmer befinden sich in einem Zielkonflikt. Auf der einen Seite haben sie das Recht auf eine ungestörte Geburtstagsfeier, auf der anderen Seite droht bei einer Ignorierung des Telefons Ärger: Der Anrufer könnte ein Topmanager, seine Nachricht sehr wichtig sein. Unter diesen Umständen wäre es das kleinere Übel, den Hörer abzunehmen. Mit zunehmender Klingeldauer werden die Feiernden unruhiger, schließlich entscheidet sich einer von ihnen gegen die Feier und für die Arbeit. Diese für alle Beteiligten unangenehme Situation wird nach dem Gespräch kollektiv verwitzelt. Situation zwei: Das Arbeitsgespräch zwischen Klaus und dem Entwicklungsingenieur. Der Entwicklungsingenieur stört relativ ungeniert die Feier und das Geburtstagskind. Die Sekretärinnen bekunden als informelle Machthalterinnen mehrfach ihren Protest gegen diese Unterbrechung der Feier. Schließlich erfolgt ein Rückzug des Entwicklungsingenieurs, bei dem er sein unangemessenes Verhalten eingesteht. Daraufhin erteilt ihm die Chefsekretärin eine Arbeitserlaubnis und erklärt ihm, daß der Protest nur symbolisch war ("Sie können ruhig kurz was Geschäftliches besprechen, aber kritisieren dürfen wir das ja wohl").157 Nach einiger Zeit 157 erfolgt dann eine möglichst unauffällige Wiederaufnahme der Arbeitsbesprechung. Die anderen Teilnehmer entschließen sich dazu, die Störung nicht zu beachten - kein kollektives Verwitzeln, sondern ein kollektives Ignorieren. In beiden Situationen fällt die Entscheidung für die Arbeit und gegen die Feier. Im Unterschied zum Picknick und zur Krönungsfeier, bei denen die Ideologie demonstriert und auf der Bühne vorgestellt wurde, ist die Geburtstagsfeier durch ein zumeist schnelles, spontanes und zu verhandelndes Verhalten gegenüber der Firmenideologie gekennzeichnet. Beim Geburtstagsfest wird die reine Lehre umbewertet, praktiziert und im Betriebsalltag durchgesetzt. Zusammenfassung Am Beispiel der drei Feiern sollte gezeigt werden, wie die Firmenideologie in eine Praxis transferiert und wie sie hierbei reproduziert und teilweise modifiziert wird. Sie übersetzen also, etwas salopp formuliert, die Rhetorik der Zeitschrift "puls" und anderer Schriften in betriebliche Handlungen. Darüberhinaus spiegeln sie einige wesentliche Elemente und Themen des Arbeitslebens wider. Kurz: Sie vermitteln zwischen Firmenideologie und Arbeitsalltag. Diese Vermittlung beinhaltet zwangsläufig eine Deutung, u.U. eine Umdeutung der Ideologie und der betrieblichen Realität. Die drei beschriebenen Feiern haben einige gemeinsame Merkmale. Sie beruhen alle auf einer freiwilligen Teilnahme. Zudem zeichnen sich alle durch einen hohen Partizipationsgrad und folglich durch eine entsprechende Beliebtheit aus: etwa 80 Prozent der Belegschaft besucht jährlich das Picknick, an der Krönungsfeier nahmen alle im Werk anwesende Beschäftigte teil und bei Geburtstagsfeiern verzichten die zur Abteilung/Arbeitsgruppe gehörenden und anwesenden Kollegen nur selten auf den obligatorischen Kuchen. Eine weitere Gemeinsamkeit betrifft die in den Ritualen verborgenen Themen. Erstaunlicherweise ergab die Analyse der Feiern, daß alle drei Rituale dieselben firmenideologischen Themen aufgreifen und bearbeiten. Es geht vor allem um eine Präsentation von Hierarchie, von informeller Arbeit und des Verhältnisses von Organisationsmitgliedschaft und Individualität. Tabelle 1: Vergleich der firmenideologischen Themen Themen Gemeinschaft versus Individualität  Picknick Gemeinschaft des Betriebs Krönungsfeier Individualität und Gemeinschaft der division Geburtstagsfeier (mißglückte) Abteilungsgemeinschaft Ob der Protest tatsächlich nur symbolisch war, wäre allerdings in Zweifel zu ziehen. Schließlich hat sie allen Grund, sich über das wenig sensible, fast schon unverschämte Verhalten des Entwicklungsingenieurs zu echauffieren. Themen Picknick Krönungsfeier Geburtstagsfeier Informelle Arbeit INFORMELLE Arbeit informelle Arbeit informelle ARBEIT Hierarchie Nivellierung und mißglückte symbolische Umkehrung der Chef als geachteter Mensch teilweise faktische Umkehrung der formalen Macht andere Themen Berufskulturen Damit sind die Gemeinsamkeiten jedoch erschöpft. Die Art und Weise, wie die Themen erzählt werden, das heißt, wie sie bearbeitet, verhandelt und interpretiert werden, ist bei den einzelnen Feiern sehr unterschiedlich. Während etwa das Picknick die Nivellierung von Hierarchie betont und über den Brauch der grillenden Topmanager Hierarchie symbolisch umkehren will, was jedoch nicht gelingt, sondern im Gegenteil auf Hierarchie erst aufmerksam macht, unterstreicht die Krönungsfeier vor allem die menschliche Seite eines hierarchisch hoch positionierten Beschäftigten. In der Geburtstagsfeier kommt es dagegen zu einer - zeitlich befristeten faktischen Umkehrung der gewöhnlichen Hierarchie. Die Analyse der Feiern zeigt die Abhängigkeit der Firmenideologie vom Kontext: Die personale Anwesenheit von mächtigen GT'lern führt bei den weniger mächtigen Beschäftigten zu je spezifischen Wahrnehmungen von Hierarchie und Reaktionsweisen darauf. Natürlich haben trotz der divergierenden Bearbeitungsformen des Themas alle drei Feiern letztlich eine hierarchiebestätigende Funktion. Zu fragen ist aber auch: Wieso erhält das Thema Hierarchie, obwohl es in der Firmenideologie mehr oder weniger negiert wird, bei den drei Feiern einen derart hohen Stellenwert? Vielleicht liegt der Grund hierfür in den feierlichen Ritualen selbst. Vielleicht sind sie noch schwerer zu enthierarchisieren als der Arbeitsalltag. Gemeinschaftlichkeit wird in unterschiedlicher Vehemenz und auf verschiedenen Ebenen thematisiert: beim Picknick auf der Betriebsebene und sehr vehement, bei der Krönungsfeier - weniger vehement und vor allem in Form verschiedener Berufsgemeinschaften - auf der Ebene der division und bei der Geburtstagsfeier - wiederum sehr vehement - auf der Abteilungsebene. Dabei sind die Schwierigkeiten der Herstellung einer Gemeinschaft bei der Geburtstagsfeier besonders markant. Individualität konnotierende Zeichen sind vor allem bei der Krönungsfeier festzustellen. Auch die Thematisierung von informeller Arbeit wird bei den einzelnen Feiern unterschiedlich akzentuiert. Das Picknick betont die informelle Seite und die Seite der Nichtarbeit, das Geburtstagsfest dagegen die Arbeit, und die Krönungsfeier bewegt sich in der Mitte zwischen beiden Polen. Vielleicht hängt die Menge der informellen Arbeit auch von der Größe der Feier ab. Je kleiner die Feier, so eine vorsichtige These, desto höher die informelle Arbeit, weil das adäquate Verhalten weniger vorgeschrieben werden kann, sondern vielmehr ausgehandelt werden muß. Tabelle 2: Vergleich der Ritualrahmen Rahmen Picknick Krönungsfeier Geburtstagsfeier Inszenierung durch Organisation (bzw. ein Delegierter) medical division und interessierte Beschäftigte Beschäftigte Hauptinstrumente zur Bedeutungsproduktion primär: Bräuche u. Artefakte; sekundär: Interaktion Vorführungen (u.a. Sketche) und symbolische Artefakte primär: Interaktion sekundär: Bräuche Einfluß der Beschäftigten auf Verlauf der Feier gering (Teilnahme oder Nichtteilnahme) hoch für Beschäftigte auf der Bühne, gering f. Publikum hoch für alle Teilnehmer unterschiedliche Deutung des Rituals und Konflikte keine beobachteten Konflikt im Vorfeld (Sekretärinnentanz) während der Feier Auch die Rahmen der feierlichen Rituale sind äußerst verschieden. Das Picknick ist eine von der GmbH inszenierte und organisierte Veranstaltung, die den Beschäftigten wenig Einflußnahme auf die Interpretation der Firmenideologie wie auch der betrieblichen Realität einräumt. Selbst wenn sich alle Beschäftigten insgeheim über den Brauch der Manager am Grill mokierten, würde dies an der über das Ritual transportierten Aussage über Hierarchie wenig ändern. Dennoch gibt es auch hier einen belegschaftlichen Einfluß: Der vom Organisator beklagte Schwund an freiwilligen Diensten sowie der von ihm konstatierte Rückgang beim Genuß alkoholischer Getränke können als erste Anzeichen eines langsamen Bröckelns des Rituals gedeutet werden. Das Picknick zielt ganz eindeutig auf die Reproduktion und Sichtbarmachung von corporate identity. Bei der Krönungsfeier sind einige Beschäftigte an der Inszenierung beteiligt, folglich auch an der (sogar unterschiedlichen) Interpretation betrieblicher Realität. Die Krönungsfeier ist deshalb keine pure Corporate-Identity-Veranstaltung, sondern auch eine bühnenreife Vorstellung einstudierter Belegschaftskultur. Immerhin drücken einige der Angestellten mit ihren subjektiven Ansichten und Talenten der Veranstaltung ihren Stempel auf. Die Geburtstagsfeier hingegen ist völlig in der Hand der Beschäftigten und muß sich als Ritual am deutlichsten auf den Arbeitsalltag beziehen und sich mit diesem auseinandersetzen. Bei der Geburtstagsfeier muß das firmenideologische Wertesystem interpretiert, ausgehandelt und durchgesetzt werden. Deshalb sind hier unterschiedliche Deutungen und Konflikte über das adäquate Verhalten am ehesten sichtbar. Die Art und Weise, wie Firmenideologie im Betriebsalltag wahrgenommen, gedeutet und umgesetzt wird, hängt, dies sollte hier gezeigt werden, zu einem wesentlichen Teil von den jeweiligen situativen Anlässen ab. 4. Vom Zeichen- und Distinktionswert der Kaffeetassen Dinge haben, so lehrt uns die Semiotik, neben ihrem Gebrauchs- und Tauschwert auch einen Zeichenwert. 158 Dies gilt auch für Kaffeetassen: Nur scheinbar sind sie bloße Büroutensilien mit ausschließlich funktionalen Eigenschaften und Bestimmungen. Sie können Geschenke sein, Erinnerungen an Situationen und Personen transportieren und einen Anlaß für die Kontaktaufnahme schaffen. Grundsätzlich fungieren sie als Indikatoren eines kulturellen Systems, sie sind Träger von spezifischen Bedeutungen. Auf der individuellen Ebene sind sie Aushängeschilder der distinktiven und persönlichen Selbstdarstellung ihrer Besitzer und damit Zeichen eines bestimmten Lebensstils. Oft sind die Tassen mit Sinn vermittelnden Namen, Bildern, Sprüchen und Logos versehen. Doch nicht nur die emblematischen Aufdrucke, auch die Form und das Material der Tassen transportieren Bedeutungen. Kaffeetassen können auf die Einstellungen und Überzeugungen ihrer Besitzer aufmerksam machen und deren ästhetische Präferenzen symbolisieren - und oftmals sollen sie das auch. Dann sind sie ein Instrument zur Stilisierung von Identität und - bis zu einem gewissem Ausmaß - der Veröffentlichung von Subjektivität. 159 Kaffeetassen gehören nicht nur zu den wenigen persönlichen Gegenständen am Arbeitsplatz, sondern sind - allein durch ihre Funktion - besonders persönlich, weil besonders körperlich und sinnlich: Sie werden betrachtet, berührt und vor allem werden sie an die Lippen geführt. Beim Trinken berührt die Unterlippe das Gefäß und hinterläßt Speichel am Tassenrand. Ein britischer Praktikant bei GT konnotiert sie gar mit Sexualität: Your personal mug should remain in your mind. You drink from it. It's close to you. Close to your mouth. It's part of you. It's intimate. It's sexual. Man mag dieses Zitat ruhig für ironisiert und absichtlich überspitzt halten, verglichen mit anderen alltäglichen Bürogegenständen sind Kaffeetassen jedoch in der Tat intim. Stehen einem mehrere Tassen zur Verfügung, dann kristallisiert sich im Laufe der Zeit eine Lieblingstasse heraus. 160 Die Tasse ist nur für den eigenen Gebrauch bestimmt.161 Niemand möchte, daß andere 158  Vgl. hierzu: BAUDRILLARD (1991, S.14). Er bezeichnet "Das System der Dinge" als ein "System von Bedeutsamkeiten." 159  Zu nennen wäre hier allenfalls noch der Wandschmuck, der jedoch in Firmen wie GT, die "den ganzen Menschen" wollen, für die Belegschaft keine große Rolle zu spielen scheint - jedenfalls haben die Beschäftigten im Untersuchungsgebiet, verglichen mit anderen Firmen, nur wenig Persönliches an die Stellwände geheftet. Dem Wandschmuck kommt, so meine These, vor allem eine Ersatzfunktion zu. In Firmen mit deutlichen Belegen einer entfremdeten Arbeit, mit klassischen Autoritätsstrukturen und mit einer scharfen Trennung zwischen dem ungeliebten Acht-Stunden-Tag und der herbeigesehnten Freizeit kann der Wandschmuck eine wichtige symbolische Funktion erfüllen: Mit Urlaubspostkarten aus Fuerteventura am Pinboard neben dem Bildschirm können die Beschäftigten ihren Kollegen die privaten Wünsche, Hoffnungen, Träume und Sehnsüchte vermitteln und sich selbst versichern, daß die eigene Persönlichkeit nicht nur aus stupider Arbeit besteht (vgl. hierzu: 1991). SCHAIBLE 160 aus der eigenen Tasse trinken. Noch schlimmer ist es, wenn Kollegen die eigene Tasse, die ja zumeist einen extrem niedrigen Tauschwert hat, verlegen oder gar verlieren. 162 Aufgrund ihrer Eigenschaft, persönlicher als andere Gegenstände des Arbeitsplatzes zu sein, eignen sich Kaffeetassen besonders gut für Lebenstilanalysen im Betrieb. Ziel dieses Kapitels ist es, dem Zeichenwert der Kaffeetassen bei GT nachzuspüren.163 Oder mit dem schönen Satz des Phänomenologen FLUSSER (1993, S.9): "Es ist klar: Die Dinge meiner Umgebung sind meine kulturelle Bedingung." Bei dieser Suche interessiert weniger der kontextfreie semantische Gehalt der Tassen, als die Beziehungen, die die Beschäftigten zu diesem Ding einnehmen. Im Vordergrund der Analyse stehen also, ganz in der Tradition der Soziosemiotik BOURDIEUS, der Umgang mit den Tassen und ihre Nutzungsformen, sowie die Bedeutungen, die die Beschäftigten ihren Trinkgefäßen zuschreiben und damit verknüpft, die Distinktionswerte, die die Entscheidungskriterien für die Wahl einer spezifischen Tasse beeinflussen und strukturieren.  Dies beruht auf einer Miniumfrage im Freundeskreis und auf meinen eigenen Erfahrungen. Im Laufe dieser Arbeit hat sich trotz eines großen Tassensortiments in der Küche an meinem Schreibtisch mehr und mehr eine ganz bestimmte Kaffeetasse in den Vordergrund gedrängt, zunächst sogar unmerklich. Ich habe sie von einem der Beschäftigten geschenkt bekommen. Im letzten Jahr am Schreibtisch habe ich nur noch aus dieser Tasse getrunken. 161  Zwei Beispiele, die die besonders enge Bindung belegen, die die Beschäftigten zu ihren Tassen halten. Erstens: Bei GT wurde Anfang 1990 sogar "eine karabinerähnliche Vorrichtung konstruiert", die es den den Beschäftigten ermöglichen soll, ihre Tasse jederzeit dabeizuhaben. Die "Tassenhängevorrichtung", die am einen Ende am Henkel und am anderen Ende am Gürtel befestigt wird, kann von den Angestellten bestellt werden (vgl. "puls" 4/1990, S.23). Auf diese Weise wird die Tasse zum verlängerten Teil des eigenen Körpers - immer spürbar, immer griffbereit. Zweitens: Ein Psychologe, der bei GT Managementseminare durchführt, hat, zu Gast bei der Weihnachtsfeier, gewettet, "daß eine Gruppe GT-Mitarbeiter, des GTlers liebstes Kind, die Kaffeetasse, ihren Besitzern ohne Schwierigkeiten zuordnen könne" (puls 9/92, S.16). Zwar verlor der Psychologe diese Wette, jedoch nur, wie der Autor des "puls"-Artikels vermerkt, "um Tassenbreite". 162  Bei der Tübinger Lokalzeitung, dem "Schwäbischen Tagblatt", sah sich der Chef vom Dienst in einem Redaktionsinfo (April 1995) sogar dazu genötigt, den "Kaffeetassenklau" zu geißeln. Hier die Rüge im Wortlaut: "Die Technische Abteilung läßt über die Abteilungsleitung mitteilen, daß ab sofort oben in der TA kein Kaffee mehr geschöpft werden darf - auch nicht gegen Bezahlung. Bisher war das möglich, nachdem aber einige Redaktions-Kolleg(inn)en nicht nur den Kaffee geholt haben, sondern auch die der TA zugeordneten Tassen (einschließlich privater Trinkgefäße), gabs dort oben Zoff." 163  Wenn im folgenden von Kaffeetassen gesprochen wird, dann sind nicht die deutschen Tassen gemeint, die üblicherweise auf einen Unterteller gestellt werden. Die Rede ist hier von den angelsächsischen "mugs", also von hohen, zylinderförmigen Keramikbechern mit einem Henkel an der Seite. Daß die Beschäftigten nicht aus Tassen mit Untertellern trinken, hat einen einfachen Grund: Unterteller bewirken mehr Immobilität. Für räumlich flexible Angestellte sind die zelebrierenden Aspekte des Kaffeetrinkens sekundär. Wichtig ist der bequeme und einfache Transport einer Tasse. Und hierzu eignen sich die englischen mugs weit besser. Überspitzt formuliert sind die Bechertassen eher Arbeitsinstrumente denn Schmuckstücke. Während die Tassen mit Unterteller an einen katholischen Kaffeeklatsch und ausgiebiges Sitzen erinnern, deuten die angelsächsischen Bechertassen auf Beweglichkeit und eine protestantische Arbeitshaltung. Exkurs: Zur Nichtbeachtung Bourdieus in der Organisationskulturforschung BOURDIEU thematisiert bekanntlich den Zusammenhang von Geschmackspräferenzen und sozialen Lagen und liefert hiermit das prominenteste, m.E. auch das wichtigste Konzept zur Vermittlung von Sozialstruktur und Kultur. Der Gegenstand seiner Kultursoziologie ist das Verhältnis von Kultur, Macht und sozialer Ungleichheit; ein Thema also, das für die Organisationskulturforschung von höchstem Interesse sein sollte. Sollte, denn dies ist, um es kurz und bündig zu formulieren, nicht der Fall. In den drei neueren englischsprachigen Aufsatzsammlungen zum Thema Organisationskultur (TURNER 1990, GAGLIARDI 1990, FROST u.a. 1991), die insgesamt 75 empirische Studien enthalten, wird BOURDIEU lediglich einmal zitiert. Dieser eine Autor (RUSTED, in: GAGLIARDI 1990) verweist in seinem Forschungsstand in Klammern auf "(Bourdieu 1979)". Die Erwähnung von BOURDIEUs ethnologischer Studie über das kabylische Haus dient dem Autor als eine von insgesamt acht den Satz schmückenden Literaturangaben. Sie fungiert jedoch nicht als Anregungspotential, um mit ihr zu arbeiten. Auch in der deutschsprachigen Literatur zum Themenkomplex Unternehmens- bzw. Organisationskultur wird BOURDIEU äußerst stiefmütterlich behandelt. In keinem der prominenteren Beiträge (hierzu gehören EBERS 1985, ZÜRN 1985, NEUBERGER/KOMPA 1987, HEINEN 1987, BRANDES/BACHINGER/ERLHOFF 1988, DÜLFER 1988, DIERKES/ROSENSTIEL/STEGER 1993, BLEICHER 1994, sowie die von MERKENS/SCHMIDT herausgegebenen Unternehmenskulturstudien) taucht der Name BOURDIEU auf. Die Nichtbeachtung von BOURDIEU ist umso erstaunlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß er, wie MÖRTH/FRÖHLICH (1994, S.9) feststellen, "der derzeit meistrezipierte und diskutierte lebende (Kultur-)Soziologe" ist. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Hat ausgerechnet die Organisationskulturforschung dem Ratschlag von SCHULZE (1993, S.16), "Bourdieu (...) systematisch zu vergessen", systematisch Folge geleistet? Warum hat die Organisationskulturforschung BOURDIEU nie für sich entdeckt? Interessiert sie sich nicht für den Zusammenhang von Macht und Kultur? Doch wohl kaum. Sind Lebensstilanalysen im Bereich der Arbeit weniger ergiebig? Dies wäre erst zu beweisen. Zur Beantwortung der Frage nach seiner Nichtbeachtung ist ein kleiner Ausflug in die aktuelle kulturtheoretische Diskussion über Lebensstile notwendig. Nach MÜLLER (1994) zeichnen sich in der Diskussion der Beziehung zwischen sozialer Ungleichheit und Lebensstilen derzeit drei Positionen ab. Die erste Position beruht auf dem von BECK (1983 und 1986) entwickelten Individualisierungstheorem. Danach kommt es als Folge einer zunehmenden Individualisierung zu einer Pluralisierung von Lebensstilen (erhöhte Mobilität, erhöhte berufliche Flexibilisierung, Pluralisierung der Intimbeziehungen, verändertes Konsumverhalten etc). Traditionelle Bindungen weichen auf, althergebrachte Klassen- und Schichtorientierungen werden obsolet. Die zweite Position beharrt mit BOURDIEU darauf, daß die Wahl des Lebensstils nach wie vor von der Klassenzugehörigkeit abhängt. Die dritte Position schließlich begreift die Pluralisierung von Lebensstilen als Innovationschance, die zu neuen Gruppenformationen führt. Auf den ersten Blick steht das BECKsche Individualisierungstheorem in einem unauflösbaren Widerspruch zur BOURDIEUschen Ungleichheitstheorie. Dieser Widerspruch löst sich etwas auf, wenn man, dies ist der kleinste gemeinsame Nenner der BECK-Kritik, sein Individualisierungstheorem als eine in erster Linie für die Mittelschicht gültige Diagnose bewertet. Der Zwang bzw. die Fähigkeit zur Stilbildung ist auch nach BOURDIEU in den Mittelschichten besonders ausgeprägt. Unterschichten haben die geringsten Möglichkeiten zur Distinktion, da sich ihr Geschmack am Reich der Notwendigkeit orientieren muß. Die Oberschichten dagegen müssen laut BOURDIEU (1982, S.388) nur so sein, wie sie sind: Die, welche für "distinguiert", für "besonders" gelten, besitzen das Privileg, sich um ihr Anderssein keine Gedanken und keine Sorgen machen zu brauchen. Für die Mittelschichten gilt also zweierlei: Zum einen haben sie, folgt man BOURDIEU, die größten Distinktionsbedürfnisse und vielfältige Stilisierungsmöglichkeiten und sind aus diesem Grund als Mittelschicht erkennbar. Auf der anderen Seite zeichnen sich die Mittelschichten durch eine Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen aus, was gleichzeitig ihre Parzellierung bzw. die Bildung neuer Gruppenformationen jenseits der traditionellen Schichten bewirkt. Das Kleinbürgertum ist, verglichen mit dem Proletariat und dem Großbürgertum, nicht nur die mit Abstand numerisch größte, sondern auch die am stärksten ausdifferenzierte Schicht. In der Angestelltenforschung gestaltet sich die Anwendung der BOURDIEUschen 164 Kultursoziologie also nicht gerade einfach. Nun gehören die Beschäftigten moderner Unternehmen wie etwa Computerfirmen zum überwiegenden Teil den Mittelschichten an. Moderne Unternehmen sind Mittelschichtsarmeen. Ob Topmanager oder Sekretärin, alle sind Angestellte. Innerhalb eines Unternehmens kommt es zwar zu vielfältigen Ausdifferenzierungen entlang von hierarchischen, beruflichen oder funktionalen Linien, eine Zuordnung zu Klasse oder Schicht fällt zunehmend schwerer. Ein Beispiel: Sind Manager in Großunternehmen Vertreter des Kapitals oder sind sie ebenso Lohnabhängige wie etwa Sachbearbeiter? Die soziologische Verortung von Ingenieuren fällt keineswegs leichter. Während ältere soziologische Theorien die Ingenieure wahlweise als revolutionäre Klasse, als Teil der neuen Arbeiterklasse, als Teil der neuen Angestelltenklasse oder als Teil der Mittelklasse eingruppiert haben, herrscht in neueren soziologischen Theorien ein Dissens, ob die Berufsgruppe der Ingenieure eher unter klassentheoretischen, funktionali164  Diese Vermutung wird bestätigt, wenn man aktuelle volkskundliche Arbeiten zur Arbeiter- und zur Angestelltenkultur vergleicht. Für die volkskundliche Arbeiterkulturforschung ist Bourdieu der derzeit wichtigste Theoretiker. Ein Blick ins Register des von KASCHUBA/KORFF/WARNEKEN 1991 herausgegebenen Tagungsbands "Arbeiterkultur seit 1945 - Ende oder Veränderung" weist BOURDIEU als einen der am häufigsten zitierten Personen aus. In vielen Beiträgen dieses Bandes (KASCHUBA, MÜHLBERG, MAASE, DÖLLING, VESTER, PALLOWSKI, KATSCHNIG-FASCH) arbeiten die Autoren mit BOURDIEU oder arbeiten sich an ihm ab. Demgegenüber spielt er in der sowieso nur spärlich entwickelten volkskundlichen Angestelltenforschung keine Rolle. So bleibt etwa die von LAUTERBACH konzipierte Münchner Ausstellung "Großstadtmenschen - Die Welt der Angestellten" (1995) auf die Zeit vor 1945 beschränkt und am sicherlich ausgezeichneten Blick KRACAUERs haften. Dies ist kein Vorwurf. Die modernen Angestellten sind einfach eine zu heterogene Gruppe, um von Volkskundlern und anderen Kulturwissenschaftlern als Schicht umfassend ausgestellt bzw. beschrieben werden zu können. stischen oder statustheoretischen Gesichtspunkten zu analysieren ist (hierzu ausführlich: LAATZ 1979). Hier schließt sich nun die Argumentation: Die Organisationskulturforschung hat BOURDIEU m.E. deshalb nicht aufgegriffen, weil ihre Erforschungssubjekte zumeist den Mittelschichten angehören und weil in den Betrieben die Kategorien zur Zuordnung von Lebensstilen an soziale Lagen mehr und mehr verschwimmen. Wer etwa mit dem Unterteilungsschema der "Feinen Unterschiede" in einer wirschaftlichen Organisation die Varianten des kleinbürgerlichen Geschmacks an spezifische Beschäftigtengruppen anzubinden versucht, wird schnell von der Undurchführbarkeit einer solchen Vorgehensweise überzeugt sein. Ein weiteres Motiv für die mangelnde Berücksichtigung der "feinen Unterschiede" in Betrieben könnte darin liegen, daß die Zunft der Industrie- und Betriebswissenschaftler die Analyse von "groben Unterschieden" für ausreichend hält. Status-, Geld- und Machtunterschiede sind, so die mögliche Argumentation, in Betrieben so klar und augenfällig, daß man keine Lebensstilforschung betreiben muß. Eine solche Sicht ist sicherlich nicht leicht von der Hand zu weisen. Solange sich Machtunterschiede klar in beruflichen Positionen niederschlagen, ist eine Kenntnis von feinen Distinktionszeichen für die Analyse sozialer Ungleichheit nicht unbedingt erforderlich. Diesem Argument ließe sich jedoch entgegenhalten, daß in Betrieben die Analyse sozialer Ungleicheit zwar ohne detaillierte Kenntnis der "feinen Unterschiede" möglich ist, daß dabei der Blick jedoch unnötigerweise eingegrenzt bleibt. Vielleicht wird deshalb ein weites Feld aus der Analyse ausgeklammert und "verschenkt". Es wäre zumindest voreilig, auf BOURDIEU in der Organisationskulturforschung grundsätzlich zu verzichten. Eine Überprüfung, inwiefern sich in Betrieben das Studium der "feinen Unterschiede" als lohnend erweist, scheint mir immerhin eine notwendige Aufgabe zu sein. Hier stellt sich jedoch ein neues Problem: In postfordistischen Unternehmen wird der Raum für kulturelle Distinktionen zusehends enger. Statussymbole werden, soweit möglich, vermieden: keine Chefetage, sondern Großraumbüros. Auch die Ausstattung der Arbeitsplätze kaschiert die sozialen Unterschiede eher als sie zu betonen. Manager sitzen nicht mehr auf ledernen Sesseln an teuren Mahagonischreibtischen. Ihnen steht dasselbe Mobiliar wie Ingenieuren oder Sekretärinnen zur Verfügung. Selbst die Kleidung ist kein sicherer Indikator mehr. Oft drücken sich im legèren Baumwollhemd und im gediegenen Jakett eher funktionale (Marketing, Forschung&Entwicklung, Produktion, Vertrieb) denn soziale Unterschiede aus. Es ist sehr aussagekräftig, daß viele der Interviewten betonen, sie wären bei GT in ihnen unbekannten Großraumbüros nicht in der Lage, Topmanager und ihre Arbeitsplätze zu erkennen. Dennoch sind auch in solchen Unternehmen individuelle und kollektive Distinktionsmöglichkeiten nach wie vor existent. Sei es der Firmenwagen oder der begehrte Fensterplatz, sei es die Anzahl der Stellwände oder die Flächengröße der Arbeitsplätze. Ein besonders teurer PC auf dem Schreibtisch oder, noch eleganter, kein PC auf dem Schreibtisch. Eine eigene Konferenzecke am Arbeitsplatz - all dies sind Statussymbole. Distinktionszeichen sind nicht nur auf Dinge beschränkt. Hierzu gehört etwa die Präsenz am Arbeitsplatz und der räumliche Arbeitsradius: Manager sind häufig nicht am Arbeitsplatz, sondern in Amerika. Hierzu gehören Netzwerke, Zugänge zu Informationen, Kommunikations- und Interaktionsformen bis hin zur Körpersprache: Wenn sich zwei Beschäftigte unterhalten, einer vorgebeugt und aufmerksamkonzentriert, der andere relaxed im Stuhl zurückgelehnt, die Arme hinter dem Hals verschränkt, so weiß man schnell, wer der Chef ist. Distinktionspraktiken mögen weniger augenscheinlich sein als in traditionellen Betrieben mit ausgeprägten Hierarchien, vorhanden sind sie dennoch. Das Feld ist ergiebig. Die Revolte gegen Plastikbecher Bis vor zehn Jahren etwa war es Usus, den Kaffee aus Plastikbechern zu trinken. Die Umstellung von den Plastikbechern auf Keramiktassen ist ein Verdienst der Beschäftigten. Ähnlich wie die Nichtraucherkampagne wurde der Wechsel der Trinkgefäße von unten und dezentral initiiert, das heißt in den jeweiligen divisions, Bereichen und Abteilungen. Das wachsende ökologische Verantwortungsbewußtsein vieler Angestellter zwang die Firmenleitung zum Umdenken. Die Umstellung geschah in mehreren Etappen: Umweltbewußte Beschäftigte brachten zunächst ihre eigenen Kaffeetassen mit. Die Firmenzeitschrift "puls" (7/1984) greift unter der Überschrift "Was unsere Kaffeebecher kosten" das Anliegen auf. Daraufhin haben sich in Leserbriefen ("puls" 8/1984) Beschäftigte zu Wort gemeldet: Aus vollem Herzen kann ich dem Aufruf zustimmen, daß alle GT-Mitarbeiter diesen kleinen Schritt tun und einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz und zur Kostenreduktion leisten. In dem "puls"-Artikel wurde die GmbH aufgefordert, für die Beschäftigten Becher aus Glas oder Porzellan bereitzustellen. Die Firma unterstützte diese innovative Anliegen und beschenkte die Mitglieder mit Tassen, auf denen ein GT-Logo und andere Aufdrucke abgebildet waren. Zwar wuchs die Fraktion der Keramiktassenbenutzer stetig an, doch der Umstellungsprozeß vollzog sich langsam. Dies veranlaßte einige ökologisch engagierte Beschäftigte, ihr Anliegen mit spektakulären Aktionen zu unterstreichen und die Übergangsphase zu beschleunigen. Eine Sekretärin berichtet: Irgendwann haben einige in der Cafeteria mal zwei Wochen lang einen Tisch aufgestellt und alle Plastikbecher gestapelt, die jeden Tag allein in unserem Werk weggeschmissen worden sind. Das waren einige Rollen, so richtige Pakete. Das hat viel bewirkt und manchen die Augen geöffnet. Darüber hat man geredet. Aber manche Leute scheint es trotzdem nicht abgeschreckt zu haben. Die Umstellung war nicht frei von Konflikten. Die Auseinandersetzung wurde indirekt geführt. Ort der Handlung ist der Kaffeepott. Weil nicht alle Beschäftigten aus eigenem Antrieb auf den Gebrauch von Plastikbechern verzichten wollten, verschärften die Gegner der umweltschädlichen Gefäße die Auseinandersetzung: Irgendwann hing am Kaffeepott ein Zettel, daß man doch bitte in Zukunft eigene Tassen mitbringen sollte, zwecks Umweltschutz. Da gab es heiße Debatten bei manchen Leuten, die das nicht in Ordnung fanden, daß man eigene Tassen mitbringen soll. Der belegschaftliche Druck auf die "Uneinsichtigen" war nun so stark, daß die Benutzer von Plastikbechern unter einen Rechtfertigungszwang gerieten: Bei uns im Marketing-Bereich hat dann irgendjemand einen Zettel an die Kaffeemaschine gehängt, daß er schon genug unter Zeitdruck steht und daß er keine Zeit hätte, hier jeden Tag seine Tassen zu spülen. Auf beiden Dokumenten fehlte die Autorenschaft. Während sich jedoch der/die Autor/en des erstens Zettels im Bewußtsein der Mehrheitsmeinung wähnen konnte/n und deshalb die Angabe einer Autorenschaft wohl nicht notwendig schien, weiß sich der/die Verfasser/in des ZeitdruckPapiers in der Defensive. Hier läßt sich vermuten, daß die Unterschrift aus Kalkül fehlt: Niemand wollte sich zur Zielscheibe der Kritik machen. Das Zeitdruck-Papier konnte die umweltbewußte Fraktion nicht aufhalten. Inzwischen haben sich die Keramiktassen längst durchgesetzt. Zwar stehen auf den Kaffeemaschinen immer noch einige Plastikbecher, diese sind aber nur für Kunden gedacht. Der überwiegende Teil der interviewten Beschäftigten lehnt die ökologieschädlichen Gefäße entschieden ab. "Also das ist mir die Umwelt wert, daß ich meine Tasse selber spüle", so der gängige Kommentar. Welch enormen Druck das dominante Umweltbewußtsein im Untersuchungsbereich auf die Beschäftigten auszuüben vermag, zeigt die folgende Interviewpassage mit einer englischen Ingenieurin: In England trinken alle noch aus Plastikbechern. Aber wenn ich hier aus den Plastikbechern trinke, dann fühle ich mich schuldig, ein Verbrechen an der Umwelt. Selbst wenn ich von der Kantine komme und am Kaffeeautomat vorbeilaufe, gehe ich erst noch an meinen Arbeitsplatz, um meine Tasse zu holen. Frage: Und warum lächelst du so ironisch, wenn du mir das erzählst? Das stimmt. Ich lächle ironisch, weil ich als Engländerin nicht aus der Tasse trinken würde. It's filthy. Und umständlich. Eigentlich fühle ich mich nicht schuldig vor der Natur, sondern vor den Blicken der deutschen Angestellten. Ich bin schon mit einem Plastikbecher durch die Gänge gelaufen und wurde dann angesprochen. Just jokes, you know, but ... Als Neuankömmling wird man hier schon sehr auf das deutsche Umweltverhalten gedrillt. Ich habe nur zwei Beschäftigte kennengelernt, die sich dem Gebrauch von Keramikbechern verweigern oder entziehen: Der erste ist ein Angestellter aus dem Untersuchungsbereich. Er trinkt, obwohl er im Aktenschrank "vielleicht ein Dutzend Tassen stehen" hat, den Kaffee aus Plastikbechern und begründet seine Entscheidung mit unzureichenden Spülmöglichkeiten: Weil es mich sehr stört, daß es hier nichts zum Säubern gibt. Nur das Klo. Es ist aber eine Unsitte, die Kaffeetasse auf dem Klo zu spülen. Das ist sehr unästhetisch, das würde ich nie machen. Für sein unökologisches Verhalten muß der widerspenstige Ingenieur allerdings seit längerem strafende Blicke und "bissige Kommentare" seiner Kollegen und Kolleginnen in Kauf nehmen, die wohl auch nicht ganz folgenlos bleiben: Es ist ja nicht so, daß ich die Plastikbecher sofort wegwerfe. Ich verwende sie mindestens fünfmal. Der zweite Benutzer von Plastikbechern ist der GmbH-Chef. Er bedauert dies und legitimiert seine Plastikpräferenz mit Mobilitätsanforderungen: Ich bin ständig woanders. Ich kann doch nicht überall eine Tasse mitnehmen. Ich würde sie ständig liegenlassen. Leider habe ich vergessen, den Vorstandsvorsitzenden zu fragen, ob er deshalb Kritik ausgesetzt ist. Es wäre zu vereinfacht, Lebensstile ausschließlich an Klassen oder Schichten zu binden. Bourdieus Konzept ist jedoch elastisch genug, um Lebensstile auch an neue soziale Gruppierungen anzubinden. Innerhalb weniger Jahre hat sich aufgrund einer sich permanent verschärfenden ökologischen Krise ein gesellschaftlicher Bewußtseinswandel vollzogen, der natürlich nicht nur bei den Beschäftigten von GT zu beobachten und insofern wenig firmenspezifisch ist. Das Umweltbewußtsein der Beschäftigten, ihr Bestreben, schwer zu entsorgenden Müll zu vermeiden und ihre Bereitschaft, diese Haltung mit neuen Anstrengungen umzusetzen denn Spülen ist Arbeit - all dies zeigt, daß Lebensstile neue soziale Formationen und "soziale Integrationsformen" (MICHAILOW 1994, S.109) jenseits von Schicht und Klasse konstituieren. MICHAILOW, der zwar den traditionellen Formationen wie Klasse oder Schicht einen Bedeu165 tungsverlust bescheinigt, deshalb jedoch keine Individualisierung konstatiert, vertritt gegenüber BOURDIEU die These, daß sich die Modi der sozialen Integration geändert haben. (...) Gegenüber traditionalen Integrationseinheiten zeichnen sich Lebensstile dadurch aus, daß sie nicht die gesamte Lebenslage umfassen, sondern selektiv auf Themen und Kristallationskerne zugespitzt sind. (S.108f) Auf Themen wie Ökologie, so könnte man hier hinzufügen. Bei GT bildete sich eine große Fraktion von Umweltschützern, die die Keramiktasse zu einem Symbol für ökologische Umorientierung stilisierten, wobei die Ächtung der Plastikbecher natürlich nur ein kleines Agitationsfeld dieser Umorientierung darstellt und von anderen Maßnahmen, wie etwa der Mülltrennung, begleitet wird. In der Übergangsphase von Plastik zu Keramik fungierten beide Materialien als Erkennungszeichen. Inzwischen hat zumindest die Keramiktasse aufgrund der generellen Akzeptanz ihre Bedeutung als ökologisches Symbol eingebüßt. Mit dem Aufkommen der Keramiktasse bilden sich jedoch, wie nun zu zeigen sein wird, neue semantische Felder. Die Kaffeetassen im Untersuchungsfeld lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Da sind einmal die sogenannten Firmentassen, also Tassen mit Sprüchen, Bildern oder Graphiken, die sich entweder auf das Gesamtunternehmen oder auf einen Teilbereich der Firma beziehen und immer mit einem Firmenlogo versehen sind. Dieser Tassentyp ist bei weitem am häufigsten zu sehen. Zur zweiten Kategorie gehören sogenannte Privattassen, also Tassen, die die Mitglieder nicht von der Organisation erhalten, sondern sich selbst und außerhalb der Firma besorgen. Zunächst zu den Firmentassen. Firmentassen 165  Diese These gilt m.E. vor allem für die Mittelschichten. Im Vergleich zum Gratiskaffee fährt die Firma bei den Tassen eine andere Strategie. Tassen mit dem Firmenlogo werden zu bestimmten Anlässen verschenkt: bei Jubiläen, bei erfolgreich beendeten Projekten oder bei besonderen Umsatzmarken. Sie werden verschenkt an divisions, an Bereiche, Abteilungen oder, was am häufigsten geschieht, an die Teilnehmer eines Projekts. Die Tassen wollen also verdient sein. Sie sind individuell zugeteilte Prämien und insofern Indikatoren ganz eigener und eigentümlicher Hierarchien. Wer also neu ist in der Firma, kommt in der Regel nicht sofort in den Besitz einer Firmentasse und muß deshalb in der Anfangszeit mit einer selbstgekauften Privattasse vorlieb nehmen. Daß das Unternehmen hin und wieder Tassen verschenkt, sehen fast alle Befragten als eine nette Geste, erwarten das teilweise sogar: "Wenn sie schon den Kaffee anbieten, können sie auch gleich für die Tassen sorgen. Dann muß man sich schon nicht mehr selbst drum kümmern", so eine der typischen Bewertungen. Entstehungskontexte und Tassensemantik Im beobachteten Bereich sind vor allem zwei Tassentypen mit dem Firmenlogo besonders häufig zu sehen. Die eine ist weiß, hat auf der Hinterseite ein dreifarbiges großes Dreieck, das den GT-way symbolisieren soll.166 Unterhalb des Dreiecks stehen in blauen Großbuchstaben die Initialen des Bereichs. Auf der Vorderseite prangen gut lesbar der Vor- und Nachname des Besitzers sowie das eher unauffällige Firmenlogo, beides ebenfalls in blau. Diese Tasse, im folgenden als "Namenstasse" bezeichnet, hat die Bereichsleitung im November 1992 an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem jährlich stattfindenden "kick-off-meeting" verschenkt: Mit diesem zweitägigen Meeting läutet der Bereich das neue Fiskaljahr ein. Die Namenstasse ist unter den Beschäftigten am weitesten verbreitet. Einer der Ingenieure über ihren Entstehungskontext: Das war eine reine Verzweiflungstat unseres Bereichsleiters. Wenn das Klima nicht mehr stimmt, bekommt man halt eine Tasse geschenkt. Ein anderer hätte so etwas nicht nötig gehabt. Das Zitat ist einer von vielen Belegen für das symbolische Management der Bereichsleitung. Es zeigt aber auch das strategische Denken des Ingenieurs. Er nimmt nicht bloß freudig das Geschenk entgegen, sondern reflektiert die Funktion solcher Praktiken; er weiß sie zu deuten. Die andere gängige Firmentasse hat eine dunkelblaue Farbe als Grundton und einen rot-weißen Aufdruck, der sich nahezu über die gesamte Oberfläche erstreckt. Die großen roten Buchstaben fordern zum Feiern auf: "Celebrate!" steht am oberen Rand. Darunter befindet sich in weiß das Schaubild des Umsatzes mit der typische Aufschwungkurve einer erfolgreichen Firma: auf der X-Achse die Zeit (von 1917 bis 1992), auf der Y-Achse das Geld. Die Erfolgslinie beginnt erst 166  Dieses Dreieck ist groß auf der Vorderseite der Broschüre "The GT-way" abgedruckt und soll wohl die im Innenteil der Broschüre präsentierten drei Säulen des GT-way, die "organizational values", die "corporate objectives" und die "strategies and practices" versinnbildlichen. zögerlich, um dann innerhalb der letzten Jahre steil nach oben zu weisen. Unterhalb von "Celebrate!" steht "$1,000,000,000". Darunter steht das Firmenlogo sowie das eines Medizingeräteherstellers, der 1917 gegründet und irgendwann von GT gekauft wurde. Der Anlaß für diese Tasse, im folgenden als "Celebrate-Tasse" bezeichnet, liegt also im Erreichen einer Schwellenzahl: der Milliarde. Die Tasse wurde, in einem Geschenkkarton verpackt und mit einem Begleitbrief des Division-Managers versehen, zu Beginn des Jahres 1993 an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der "medical division" (etwa an 400 Beschäftigte) ausgeteilt, genauer an die Sekretärinnen: Diese haben die nötige Anzahl für ihre Abteilungen bekommen und die Tassen dann weiterverteilt. Während also die Namenstassen subjektorientriert sind und - ganz im Sinne des Firmencredos die Persönlichkeit des einzelnen Mitarbeiters betonen, zielen die Celebrate-Tassen auf die corporate identity, zumindest auf das Wir-Gefühl der medical division. Sie unterstreichen nicht nur den Erfolg der division, sondern fordern gleich alle Beschäftigten der division zum Feiern auf. In ihrer Unterschiedlichkeit - hier die Hervorhebung der Individualität, dort die Beschwörung des Firmenkollektivs - spiegeln die beiden Tassen zwei wesentliche, wenngleich paradoxe Pfeiler der Firmenideologie. Im Gegensatz zur Namens- und zur Celebrate-Tasse stehen die anderen im Beobachtungsbereich vorgefundenen Firmentassen in einem projektbezogenen Kontext und wurden ausschließlich an die beteiligten Mitarbeiter verschenkt. Einige davon sollen hier kurz skizziert werden. Die "Denkertasse": Die leere Tasse ist schwarz. Erst wenn sie mit heißem Kaffee gefüllt wird, erscheint vor dem schwarzen Hintergrund dank eines temperatursensiblen Materials ein silberner Aufdruck. Zu sehen ist ein Abbild einer weltberühmten Skulptur: der "Denker" von Auguste Rodin. Schräg über dem Kopf des Denkers ist im Comicstil eine Denkblase zu sehen. In der Denkblase steht: Think again Think open Think GT Die Denkblase illustriert einen Slogan, der im Lauf des Projekts von den beteiligten Mitarbeitern kreiert wurde und sich schnell zu einem geflügelten Motto entwickelte. Laut den Angaben eines Projektmitarbeiters wurde der Slogan oft in einem spielerischen Zusammenhang verwendet. Er war jedoch nicht ironisch gemeint. Die "Winner-Tasse": Auf einem weißen Hintergrund steht zweifarbig: TRAINING (in rot) TO WIN! (in blau) Diese Tasse ist eigens für Trainingsteilnehmer konzipiert worden. Ziel war es, den Verbrauch der Plastikbecher weiter zu drosseln. Eine Zeitlang erhielt jeder Trainingsteilnehmer diese Tasse. Aus Kostengründen hat die Firma jedoch bald wieder auf solche Geschenke verzichtet. Die "Kundentasse": Auf einem weißen Hintergrund steht in blauer Schrift: "HAVE YOU SATISFIED A CUSTOMER TODAY?" Diese Frage steht sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Tasse. Die "OPENism-Tasse": Die Tasse hat ein japanisches Firmenlogo, daneben befindet sich der Firmenname in japanischen Schriftzeichen. Der Grundton der Tasse ist weiß. Abgebildet ist in schwarzer Farbe ein Computersystem mit Rechner, Tastatur, Bildschirm und Maus. Auf der Tastatur und vor dem Bildschirm steht breitbeinig ein schwarzgelber, grimassenschneidender und die Zunge herausstreckender Kater Garfield. Über dem Bildschirm heißt es in großen blauen Lettern: "OPENism". Der Terminus OPENism hat hier eine zweifache Bedeutung: Einmal spielt er auf die sogenannten open systems an, eine von der Firma entwikelte Computertechnik, zum anderen auf die im Unternehmen sehr geschätzte offene Kommunikation. Auch wenn der Kater dem OPENism - vielleicht auch dem Bediener der open systems oder dem Betrachter des Tassenmotivs - die Zunge zeigt: Die Tasse ist geradezu ein Paradebeispiel für die in Keramik gegossene Firmenideologie. Die "Töpfer-Tasse": Sie ist ebenfalls ein industrielles Produkt, sieht jedoch aus, als sei sie selbst getöpfert, da sie eine leicht unregelmäßige, sich nach oben hin verengende Außenfläche aufweist. Auf der hellblauen Tasse steht im weißen Schriftzug - auch die Schrift wirkt handgeschrieben und selbstgemacht - der Vorname des Besitzers. Die Tasse wurde projektbezogen verschenkt und ist nur in einer Abteilung zu sehen. Die Organisation überläßt die Gestaltung der Kaffeetassenkultur also nicht ausschließlich ihren Mitgliedern, sondern macht selbst Angebote, schaltet sich ein, versucht, das durch die Umstellung auf Keramiktassen frei werdende kulturelle Feld zu besetzen. Was sich bereits am Beispiel der Namens- und der Celebrate-Tasse andeutete, wird durch die anderen Firmentassen bestätigt: Fast alle Motive versinnbildlichen entweder essentielle Merkmale der Firmenideologie wie offene Kommunikation, Kundenorientierung, Siegergestus oder sie fordern gar von den Eignern spezifische Werte und Verhaltensweisen ein. Die Tassenaufdrucke fordern relativ unverblümt die Beschäftigten dazu auf, offen zu denken, zu trainieren, um zu gewinnen, die Kunden zufriedenzustellen. Liest man die Labels als firmenideologische Botschaften, so sind die Tassen bloße selbstreferentielle Etikettierungen. Frei nach dem Motto "Zeige mir deine Tassen und ich sage dir, wer du sein möchtest", präsentiert sich die Organisation, wie es die Tassenaufschriften suggerieren: kundenfreundlich, ein winner, ein Denkerkollektiv mit kreativen und individualistischen Angestellten, eine Erfolgsfirma mit offener Kommunikation und steil nach oben zeigenden Umsätzen. Der Eifer, mit dem das Unternehmen Firmentassen produziert und verschenkt, wie auch die Vielfalt der die Firmenkultur etikettierenden Motive lassen auf eine Firmenideologie schließen, die hochgradig aufgeladen ist und als ungemein wichtig bewertet wird. Selbst ein so kleines und unscheinbares Ding wie die Kaffeetasse bleibt davon nicht verschont. Ebenso aufschlußreich wie der Inhalt der firmenideologischen Botschaften ist die Form, in der diese präsentiert werden. Für das Gros der Firmentassen läßt sich eine klare Tendenz zur Stilisie- rung konstatieren. Die einzelnen Stilisierungen werden dabei auf ganz unterschiedliche Weise hergestellt. So greift etwa die Denkertasse auf den Bereich der Hochkultur und der etablierten Kunst wie auch auf den Bereich der Pop-Kultur zurück. Die Rodin-Skulptur wird jedoch nicht nur abgebildet, sondern durch die dem Comicstrip abgeschaute Gedankenblase verfremdet: art meets pop art. Eine Stilbricolage, eine Komposition, die zwei völlig verschiedene stilistische Richtungen zitiert. Zu diesen Kunststilen gesellt sich ein technischer Kniff: Die temperatursensible Substanz ist bei normaler Temperatur unsichtbar und erhält erst im Zusammenspiel mit Hitze seine silberne Farbe. Ganz offensichtlich soll die Denkertasse überraschen. Die stilistischen Anstrengungen sind nicht zu übersehen. Auch bei der OPENismTasse finden sich Anleihen aus dem "Kulturbereich": Zum einen der dem Comic entsprungene Garfield, zum anderen die herausgestreckte Zunge, die ja spätestens seit den Rolling Stones zum wohl populärsten Symbol für gezähmte Aufsässigkeit aufgestiegen ist. Die Stilisierung der Töpfertasse wird dagegen mit anderen Mitteln hergestellt. Ihre Form soll von der industriellen Produktion ablenken. Sie möchte lieber ein Kunsthandwerk, lieber etwas Besonderes sein. Die Tatsache, daß die Töpfertasse gerade nicht mit Liebe, sondern mit Maschinen gemacht wurde, bringt die Bemühungen um Stil umso deutlicher zutage. Nutzungsformen Claudia (Sekretärin) hat insgesamt drei Firmentassen. Bei ihr zu Hause stehen zwei, zur Zeit benutzt sie im Büro die Namenstasse. Sie wechselt ihre Firmentassen aber immer, um sie daheim spülen zu können. Zuhause trinkt sie auch aus den Firmentassen. "Mangels sauberem Geschirr. Aber das ist wirklich nichts Besonderes." Sie bevorzugt im Büro zwar keine Firmentassen, "aber die sind halt gerade da. Warum soll ich mir eine Privattasse kaufen, wenn ich sowieso schon nicht mehr weiß, wo ich mit den anderen hin soll?" Sie fügt hinzu: "Die Tassen sind mir relativ wurscht. Für mich sind das einfach Tassen, woraus ich trinken kann. Sie sollten nicht potthäßlich sein und sauber, das ist das Wichtigste." Kathleen (Ingenieurin) hat sowohl die Celebrate- wie auch die Namenstasse auf dem Schreibtisch. Sie benutzt diese beiden Tassen, weil es einfacher ist. So muß ich schon von daheim keine mitbringen. Die weiße Tasse habe ich etwas lieber, weil da mein Name darauf steht. Ich kann sie auch mal irgendwo anders liegen lassen und erkenne sie dann wieder. Bei der blauen dagegen muß man sehr aufpassen. Da so viele diese Tasse haben, kann man sie leicht verwechseln. Zu Hause würde sie beide nicht benutzen. "Da käme ich mir ein bißchen komisch vor. Vor allem, wenn ich Gäste habe." Gerhard (Ingenieur) ist sehr erfreut darüber, "daß sich jemand mit diesem Thema beschäftigt." Er hat fünf verschiedene Firmentassen in seinem Aktenschrank und eine weitere auf dem Schreibtisch. Er präsentiert mir alle Tassen und kann zu jeder einzelnen eine kleine Geschichte erzählen: Diese hier haben wir nach der Einführung eines neuen Computersystems bekommen und diese am Ende eines Projekts, an dem ich beteiligt war. Als Anerkennung sozusagen, als kleines goody. Er berichtet voller Stolz, daß er daheim noch andere Firmentassen besitzt. Einige davon habe er sogar schon an Freunde verschenkt. Er verspricht, mir am nächsten Tag eine aus dem Heimvorrat zu schenken. Früher hatte er auch mal eine private Tasse auf dem Schreibtisch. "Das war ganz am Anfang. Als ich dann meine erste Firmentasse geschenkt bekam, habe ich aus der getrunken." Seine Lieblingstasse ist derzeit die Denkertasse. Daheim verwendet er jedoch lieber Privattassen. "Das ist gepflegter." Dann zeigt er seine Armbanduhr, auf deren Ziffernblatt gut lesbar das Firmenlogo aufgedruckt ist. "Die ist auch ein Geschenk." Die Uhr trägt er täglich. Mit den Tassen will er zu Hause keine Werbung machen, "obwohl ich mich mit den Slogans identifizieren kann." Das Gespräch wird ihm langsam ein wenig peinlich. Abschwächend fügt er hinzu: So viele Firmentassen habe ich daheim nicht. Mit den Tassen, die daheim stehen, ist es wie mit den T-Shirts, die ich von der Firma geschenkt bekommen habe. Die verwende ich nur zum Joggen. Peter (Ingenieur) trinkt am liebsten aus der Namenstasse: Mit der fühlst du dich hier zuhause. Mit der gehörst du zur Familie. Die blaue [die Celebrate-Tasse, A.W.] ist einfach nicht so persönlich. Außerdem ist sie auch deshalb nicht so geschickt, weil ich meine Tasse immer irgendwo stehen lasse. Die Celebrate-Tasse steht inzwischen zu Hause. Das Firmenlogo stört ihn überhaupt nicht. Meine Freunde wissen doch, wo ich arbeite. Außerdem kann ich dann ganz stolz sagen: 'Seht her, wir haben eine Milliarde Umsatz gemacht.' Regina (Sekretärin) trinkt zwar aus einer Privattasse, hat jedoch zu Hause mehrere Firmentassen. Ihr Mann arbeitet in derselben Firma. Auch er hat schon einige Firmentassen mit nach Hause gebracht, die dort auch regelmäßig benutzt werden. Die Slogans dieser Tassen kennt sie nicht exakt auswendig, "aber in etwa steht da 'Superprofit' darauf oder 'Let's continue'oder 'Wir haben es geschafft'." Die Firmentassen benutzt sie daheim - auch wenn Besuch kommt: Nein, das stört überhaupt nicht. Im Gegenteil, gerade wenn junge Leute zu Besuch kommen, die freuen sich sogar über das Logo oder wenn da etwas darauf steht. Ich trage privat auch gerne T-Shirts und Sweatshirts von der Firma. Hans (Ingenieur) stellt seine Firmentassen offen zur Schau. Im Gegensatz zu den meisten Mitarbeitern, die, sofern sie im Besitz mehrerer Tassen sind, diese im Innenraum ihrer Regale verstauen, wählt er die Regaloberfläche als Aufbewahrungsort. Mit seinen insgesamt neun verschiedenen Firmentassen inszeniert er auf seinem Regal fast schon eine Miniausstellung: Die Gefäße stehen in einer Reihe und sind so postiert, daß alle Henkel in dieselbe Richtung zeigen. Einige dieser Exponate stammen aus anderen Staaten und geben Auskunft sowohl über einige der weitverzweigten Dependencen des internationalen Konzerns wie auch über die Geschäftsreisen des sammelfreudigen Ingenieurs. Jede einzelne Tasse bedeutet mir wirklich was. Ich finde sie schön und wenn ich meine Tassen anschaue, erinnere ich mich, wo ich schon gearbeitet habe. Karl (Ingenieur) ist inzwischen im Besitz von fünf Firmentassen. Er benutzt keine und trinkt als einziger nach wie vor aus Plastikbechern. Die fünf Tassen hat er in seinem Aktenschrank verstaut. Zu Hause hat er keine Firmentassen: "Meine Frau würde mich für verrückt erklären, wenn ich mit den Dingern ankäme." Karl, der nach eigenen Angaben ein "sehr distanziertes Verhältnis zu GT" hat, kritisiert die Tassenkultur mit großer Vehemenz: Mir stinkt diese Kaffeetassen-Euphorie hier. Jeder Hinz und Kunz meint, er müßte Kaffeetassen verteilen. Das ist einfallslos. Was soll ich denn mit vier Tassen? Das ist viel zu viel. Er möchte von seinem Arbeitergeber keine Geschenke erhalten. In der Gestik des Schenkens sieht er Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse eingebettet: Zu jedem nichtigen und wichtigen Anlaß bekommen wir hier eine Kaffeetasse geschenkt. Das finde ich nicht gut. Sie sollen die Leute lieber so vernünftig bezahlen, daß sich alle eine eigene Tasse kaufen können. Das tun sie ja auch. Aber man könnte meinen, es wäre nicht so. Also wie bei Sklavenhaltern. Die Sklaven bekommen freie Kost und Logis, aber keinen Lohn. Seine Kritik richtet sich auch gegen die Stilisierungspraxis. Hier drückt sich doch ganz klar der Individualitätszwang aus. Jede Tasse muß möglichst originell, auffällig oder persönlich sein. Die sieben Kurzportraits sind zwar nicht repräsentativ für den Bereich, doch sie informieren sowohl über die Motive, die die Wahl der Tassen strukturieren, als auch über die verschiedenen Umgangsweisen mit ihnen. Insgesamt sind vier idealtypische Umgangsweisen zu beobachten: Benutzen, nicht benutzen/verstecken, ausstellen und umfunktionalisieren. Die erste Umgangsform, die Verwendung der Tassen als Trinkgefäße, ist natürlich die mit Abstand häufigste, jedoch wenig spektakuläre Variante. Die zweite Variante, die Nichtbenutzung von vorhandenen Firmentassen und das Verstecken dieser Tassen im Schrank, ist zwar weit seltener zu beobachten, jedoch beileibe keine Ausnahme. Diese beiden Umgangsweisen werden jedoch erst durch die Motive interessant, die zur Wahl bzw. zur Ablehnung von Firmentassen im allgemeinen oder von einer bestimmten Firmentasse führen. Fünf Motive strukturieren die Entscheidung: Pragmatik, Integration und Identifikation, Sicherung von Individualität, intentionale Distinktion und Ästhetik. Das pragmatische Motiv findet sich etwa in den Zitaten von Claudia und Kathleen, von Integration und Identifikation künden die Portraits von Gerhard, Peter, Regina und Hans. Ästhetik spielt bei Hans und bis zu einem gewissen Grad auch bei Claudia eine Rolle. Die Sicherung von Individualität taucht in den Portraits von Kathleen und Peter auf. Bei Gerhard und Hans zeigen sich Distinktionsabsichten. Bei den meisten Beschäftigten sind wohl mehrere Motive für die Tassenwahl ausschlaggebend. Mancher sagt, es sei ihm "wurscht, aus welcher Tasse ich trinke" und bekennt trotzdem gleichzeitig, "daß es schön ist, wenn der eigene Name auf der Kaffeetasse steht." Wahrscheinlich ist aus diesem Grund die Namenstasse so populär: Sie befriedigt einerseits das Bedürfnis nach einer persönlichen Note, versichert dem Besitzer zweitens seine Firmenzugehörigkeit und ist drittens insofern äußerst praktisch, als man sie überall stehenlassen und wiederfinden kann. Die dritte Nutzungsvariante ist die Ausstellung der Tassen. In dieser Praxis zeigt sich die hiermit intendierte Stilisierung besonders deutlich. Stilisierung bedarf grundsätzlich einer sozialen Sichtbarkeit. Sie funktioniert nur dann, wenn der Akteur ein Publikum hat, das die Stilisierung registriert und wenn möglich, mit Anerkennung reagiert. Stilisierung setzt also Kompetenz voraus: Der Stilisierer muß das, was er stilisiert, als potentielles kulturelles Kapital erkennen und er muß es in kulturelles Kapital verwandeln. Der Stilisierer muß also wissen, daß ihm die Ausstellung der Firmentassen einen Distinktionsgewinn sichert. Die Ausstellung ist noch in einer zweiten Hinsicht aufschlußreich: Das kulturelle Kapital der Kaffeetassen entspricht durch diese Form der Sichtbarmachung einem institutionalisierten Kulturkapital. Gerade durch ihre große Zahl wirken die Tassen wie Titel, Orden oder Ehrenabzeichen. Für das Publikum sind die neun ausgestellten Objekte ein Indiz, daß ihr Eigentümer zum einen schon bei vielen Projekten beteiligt war, zum anderen, daß er in verschiedenen Staaten gearbeitet hat, also ein Mann von Welt ist. Die vierte Nutzungsform ist das Umfunktionieren von Firmentassen. Sie müssen schließlich nicht zwangsläufig als Trinkgefäße verwendet werden. Im Beobachtungsraum werden sie verschiedentlich als Aufbewahrungsort für Bleistifte, Kugelschreiber und andere Schreibutensilien zweckentfremdet. Interessanterweise ereilt dieses Schicksal insbesondere die Kundentasse. Insgesamt habe ich diese Tasse viermal gesehen - viermal zweckentfremdet. Die Umnutzung der Kundentasse zum Gefäß für kleinere Büromaterialien findet sich in einem Fall an einem öffentlichen Platz - die Tasse steht auf einem Regal, das ganz offensichtlich zu keinem direkten Arbeitsplatz gehört - und in den drei anderen Fällen auf den Schreibtischen von Mitarbeitern. In den letzteren drei Fällen ist die Tasse jeweils ein wenig versteckt und so auch bei allen so gedreht, daß die Aufschrift möglichst schlecht zu lesen ist. Wie ist dies zu erklären? Ganz offensichtlich ist die Aufschrift "Have you satisfied a customer today" den Tassenbesitzern unsympathisch. Diese Botschaft markiert wohl die Grenzen firmenideologischer Akzeptanz. Die Aufschrift riecht nach 70er-Jahre-Pädagogik und ist wenig zeitgeistkompatibel. Zudem brüskiert sie das ansonsten auf Selbständigkeit, Vertrauen und Eigenverantwortung ausgerichtete Wertesystem. Sie konnotiert viel zu deutlich den erhobenen Zeigefinger. Wenn die Aufforderung allzu unverblümt oberlehrerhaft und schulmeisterlich-kontrollierend daherkommt, gehen die Angestellten auf Distanz. Einer der Ingenieure, der die Kundentasse auf seinem Schreibtisch umfunktionalisiert hat, äußert sich so: "Damit würde ich nie am Kaffeepott stehen. Das wäre mir unangenehm." Die Nutzungsformen der Firmentassen haben deutlich gemacht, daß es verfehlt wäre, von einer spezifischen Tasse direkt auf das Bewußtsein ihres Besitzers oder ihrer Besitzerin zu schließen. Dennoch gibt es strukturelle Beziehungen zwischen den jeweiligen Tassen, den Nutzungsweisen und den Einstellungen der Tasseneigner. So vorsichtig man mit voreiligen psychologischen Schlüssen sein sollte, es zeigen sich doch Affinitäten zwischen den Motiven einer intuitiven oder intentionalen Tassenpräferenz und dem Grad der emotionalen Anbindung an die Firma. Eine starke Hingabe zu den Firmentassen - diese kann über verschiedene Praktiken ihren Ausdruck finden: über den Gebrauch der Firmentassen im privaten Bereich, über eine Ausstellung oder über das Weiterverschenken an Freunde - indiziert eine hohe Verbundenheit mit der Firma. Angestellte, die entweder stolz auf die Tassen sind oder stolz auf die Milliarde, von der die Celebrate-Tasse kündet, haben wohl keine Veranlassung, symbolisch, also etwa über eine Geringschätzung der Firmentassen, auf Distanz zur Organisation zu gehen. Wer dagegen, wie Karl, konfrontativ den Plastikbechern treu bleibt, die eigenen Firmentassen versteckt und die Geschenkpraxis grundsätzlich kritisiert, pflegt kein sehr inniges Verhältnis zum Betrieb. Privattassen Die zweite Kategorie von Keramiktassen, die sogenannten Privattassen, werden von außen in die Firma eingeführt. Insofern sind sie Zeichen einer mitgebrachten Kultur der Beschäftigten, einer Kultur, die nicht per se in den unternehmenskulturellen Vorgaben aufgehen muß. Sie betonen die lebensweltlichen Aspekte in der Arbeitswelt. Wer eine Privattasse in die Firma bringt, braucht sich nicht an das Sortiment zu halten, das die Organisation anbietet, sondern etabliert dort etwas Eigenes. Privattassen lassen sich nun weiter zwei Untergruppen zuordnen: Zur ersten Untergruppe zählen Tassen mit einer direkt auf die Arbeit oder den Beruf bezogenen Aufschrift. Zur zweiten Untergruppe gehören Tassen, die entweder gar keinen Aufdruck haben oder mit einem nicht-arbeitsbezogenen Text versehen sind. Privattassen, die keinen arbeitsbezogenen Aufdruck haben, verkörpern besonders deutlich diesen lebensweltlichen Aspekt. Sei es ein Tier oder ein Spruch, eine Karikatur oder eine Landkarte all diese unterschiedlichen Motive haben im Kontext Firma eine Gemeinsamkeit. Sie weisen die Besitzer solcher Tassen als Personen aus, als Menschen mit einem subjektiven Geschmack, als Individuen, die sich nicht ausschließlich über ihre Arbeit definieren, sondern noch andere Interessen haben. Während der Arbeit dienen diese Motive oftmals als Distinktionsinstrument und deshalb als Kontaktvehikel und Gesprächsanlaß. Einige Kurzportraits: Marion (Sekretärin) hatte von Anfang an eine Privattasse. "Die meisten haben damals noch aus den Plastikbechern getrunken, Firmentassen gab es noch gar keine." Inzwischen hat sie zwei Firmentassen, die Celebrate- und die Namenstasse. Beide sind in ihrem Schrank verstaut. "Für Notfälle." Sie trinkt lieber aus ihrer Privattasse, "weil ich keine Kaffeetasse haben möchte, wie alle anderen auch." Die Namenstasse ist ihr nicht individuell genug. "Darauf steht zwar mein Name, aber sonst sind sie alle gleich." Lars (Ingenieur) schwärmt von den kommunikationsfördernden Qualitäten einer ungewöhnlichen Tasse. Sie zeigt einen Bart-Simpson-Cartoon des amerikanischen Zeichners Matt Groening - Aufschrift: "Don't have a cow, man". Lars: "Ich stehe auf die Simpsons." Er sagt, er sei ein Fan von Matt Groening. "Viele sprechen mich auf den Cartoon an und fragen, was der Satz bedeutet." Noch mehr denn als Anlaß für Gesprächsthemen und als ein Kontaktanbahner dient ihm die Tasse jedoch als Evasionshilfe: Ich habe sie in Florida gekauft. Dort habe ich zwei Jahre lang gelebt und gearbeitet. Wenn ich jetzt acht Stunden am Tag hier sitze, dann habe ich ein Souvenir. Ich schaue mir manchmal die Tasse an und wenn ich dann von meinem Schreibtisch aus dem Fenster sehe, dann sehe ich Palmen und Strände und das Meer. Sue (Ingenieurin) trinkt aus einer ungewöhnlich geformten Privattasse, auf der eine schwarze Katze abgebildet ist. Obwohl sie einige Firmentassen hat, trinkt sie daraus nie ihren Kaffee: "Because they're ugly. All of them." Sie wähle ihre Tasse nur nach ästhetischen Kriterien aus und erklärt, daß sie auch auf eine individuelle Tasse Wert legt. Sue sagt: "I really need to like my mug. It's very important." Als Jim (Praktikant) sein Praktikum bei GT begann, bot ihm eine Mitarbeiterin, die in der Nähe seines Arbeitsplatzes saß, eine ihrer Firmentassen an. Diese Offerte lehnte er ab, weil er "different" sein wollte, und kaufte sich stattdessen eine eigene Tasse. Aus den Plastikbechern wollte er nicht trinken. Allerdings sind die Gründe dafür nicht ökologischer Natur: "If you don't have a mug, you don't belong to the system." Seine gekaufte Tasse bezeichnet er als Kompromiß. "I wanted to be accepted by the system, but as myself. I'm working only in this company, not really for this company. I'm a student." Als Festangestellter würde er vielleicht auch aus einer Firmentasse trinken, aus einer, die seinen Namen trägt: "Then it's personalised." In den Überlegungen des Praktikanten steckt ein ausgeprägtes strategisches Denken: Er kennt sowohl die Implikationen seines Status als auch die Zeichenhaftigkeit von Trinkgefäßen und ist sich der integrationsfördernden Kraft der "mugs" völlig bewußt. Er strukturiert seine Tassenwahl entlang dieser Überlegungen und sucht einen Kompromiß zwischen den Anforderungen "des Systems" und den eigenen Bedürfnissen. Desweiteren hat Jim die kommunikative Funktion einer Tasse mitbedacht. Als er im Supermarkt seine Tasse (Aufdruck: "Moskau" und ein Stadtplan der russischen Hauptstadt) auswählte, kalkulierte er auf Kommentare der anderen Beschäftigten: "Maybe they ask me: Oh, have you been to russia?" Wie sich zeigen sollte, zu Recht: "I got lots of comments. There was a woman, a very beautiful woman. I never talked to her before." Sie sei auf ihn zugekommen und habe seine Tasse bewundert - woraufhin er ihr am darauffolgenden Tag die gleiche Tasse mit London-Motiv schenkte. Die die Privattassenwahl strukturierenden Motive sind zwar ähnliche wie die für die Firmentassen, dennoch gibt es zwei wesentliche Unterschiede. Erstens spielt bei der Auswahl einer Privattasse im Vergleich zur Firmentasse Pragmatik eine weit geringere Rolle. Allerdings können auch bei der Entscheidung für eine Privattasse pragmatische Kriterien ausschlaggebend sein. So hat sich etwa Regina (Sekretärin) eine eigene Tasse gekauft, "weil mir die Tassen hier zu groß sind." Deshalb suchte sie gezielt eine kleine und schmale Tasse aus: "Damit der Kaffee nicht so schnell kalt wird." Da sie ihren Kaffee langsam trinkt, geht sie lieber häufiger zur Kaffeemaschine. Eine andere Sekretärin ist zwar im Besitz der blaufarbenen Celebrate-Tasse, hat sich jedoch eine eigene weiße Tasse gekauft, weil ich an der den Schmutz besser erkennen kann. Die andere [die Celebrate-Tasse, A.W.] gefällt mir eigentlich besser, aber da kann ich nie sehen, ob sie auch wirklich sauber ist. Der zweite motivstrukturierende Unterschied: Im Vergleich zu den Firmentassen spielen Distinktion und Ästhetik hier eine weit wichtigere Rolle. Die Beschäftigten mit einer Privattasse wollen etwas Eigenes, etwas Schönes und etwas Besonderes haben. Sie wissen um den symbolischen Wert der Tassen. Sie sind Stilisierende, "Sinnbastler" (HITZLER 1994). Ihre Tassen sollen auffallen, sich abheben von den anderen, sie sollen Aufmerksamkeit erregen. Interessanterweise hat hier die distinktive Praxis eine integrative Funktion und ein integratives Ziel: Schließlich ist es die Besonderheit der Tasse, die einen Gesprächsanlaß schafft. Die Privattassen bieten, dies zeigt das Portrait von Jim, ein ungeheures Potential zur schnellen Überbrückung von Fremdheit und Distanz. Bei den Privattassen mit einer arbeits- oder berufsbezogenen Aufschrift sind Ästhetisierung und Stilisierung zweitrangig. Bei ihnen zählt primär die Botschaft. Zwar mögen auch sie ein Kontaktvehikel sein, wichtiger ist jedoch die Aussage an sich. Insofern ähneln sie den berühmten, in jedem Büro kursierenden kopierten Blättern mit Bürowitzen. Im beobachteten Bereich gibt es nur zwei Tassen dieses Typs. Die eine gehört einer Sekretärin und aus der anderen trinkt der Bereichsleiter. Beide Objekte verdienen eine etwas genauere Betrachtung. Gut sichtbar steht auf dem Bildschirm einer Sekretärin eine weiße Tasse mit folgender Aufschrift: "Auch die beste Sekretärin braucht mal 'ne Pause." Während "die beste Sekretärin" in großen Lettern auf der Tasse prangt und schon von weitem zu erkennen ist, sind die anderen Wörter deutlich kleiner gehalten. Diese Tasse wird nicht zum Trinken verwendet, sie bleibt auf dem Bildschirm und dient ausschließlich als Zierstück und Messageträger. Wiederum ein Beispiel für die Praxis des Umfunktionierens. Während jedoch die umfunktionierte Kundentasse aus Scham ihrer eigentlichen Funktion beraubt wurde, entspringt die Umnutzung dieser Tasse einem anderen Motiv: Die Tasse soll den Kollegen ins Auge springen. Mein Chef hat mir diese Tasse geschenkt, als er aus dem Allgäu zurückkehrte. Er hat sie sogar extra einpacken lassen. Die Tasse hat sie gut sichtbar positioniert, um ihren Kollegen und Kolleginnen zu signalisieren, daß ich auch mal in Ruhe gelassen werden möchte. Weil immer alle zu mir kommen. Wegen jeder Kleinigkeit. Und wenn es sein muß, auch fünfmal am Tag. Das Geschenk ihres Vorgesetzten interpretiert sie so: "Er hat mir die Tasse geschenkt, weil ihm der Spruch so gut gefiel und weil er mir zu verstehen geben wollte, daß er mit mir zufrieden ist. Das sagt er auch immer wieder. Mein Chef ist wirklich sehr nett." Der Slogan übermittelt zwei Botschaften. Die erste, sofort ins Auge springende heißt: Die Inhaberin dieser Kaffeetasse inseriert sich als eine gute Sekretärin. Die zweite Botschaft hat eher einen appellierenden Signalcharakter und soll dem Leser sagen: Diese Sekretärin kann auch nicht immer arbeiten. Interessant ist nun, wie die Sekretärin diese beiden Bedeutungsebenen für sich instrumentalisiert. Während der Vorgesetzte mit seinem Geschenk ihrer Ansicht nach auf die erste Bedeutungsebene anspielt und sie die Tasse als Anerkennung und Bestätigung ihrer Fähigkeiten und ihres Engagements interpretiert, benützt sie für ihre Kolleginnen und Kollegen die zweite Aussage: Die herausragende Position der Tasse soll gleichsam als mahnender Fingerzeig fungieren, als ein symbolischer und im Arbeitsalltag sicherlich völlig wirkungsloser Schutz vor Überbeanspruchung. Während jedoch ihre Interpretation des Vorgesetztenmotivs mit dessen Intention durchaus übereinstimmt - "Ich habe ihr diese Tasse geschenkt, weil ich ihr zeigen wollte, daß ich mit ihrer Arbeit sehr zufrieden bin" - hat der Aufdruck bei ihren Kollegen auch schon zu Irritationen und Mißverständnissen geführt. Zwei ihrer Kollegen haben den für sie nicht intendierten Code gelesen und sie süffisant als "beste Sekretärin" angesprochen. "Ich habe ihnen dann erklärt, daß es nicht so gemeint ist, daß ich die beste Sekretärin bin. Der Spruch heißt doch: 'Auch die beste Sekretärin braucht eine Pause.' Nicht, daß ich die beste bin, sondern daß ich eine Pause brauche." Auch der Bereichsleiter benutzt eine Privattasse mit einer arbeitsbezogenen Aufschrift. Diese ist jedoch klar und weniger mißverständlich: "Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts." Eine so etikettierte Tasse ist eine Cheftasse. Ähnlich wie die Denkertasse zitiert sie zunächst legitimes kulturelles Kapital, um es dann zu verfremden. Francis Bacons programmatisches Diktum zur Beherrschung der Natur erfährt hier einerseits zwar eine ironische Brechung, andererseits - und dies ist hier entscheidend - eine an pragmatischer Zweckrationalität orientierte rhetorische Übersteigerung. Nichts wissen macht nichts - das soll heißen: nichts wissen schadet nicht. Bleibt zu fragen, wem, und die Antwort ergibt nur dann einen Sinn, wenn man die Perspektive der Macht beibehält: Nichts wissen macht mir nichts. Diese Tasse transportiert drei Aussagen. Die erste bezieht sich auf die hierarchische Position des Besitzers. Er ist ein Manager mit viel Macht und großer Personalverantwortung - einer Sekretärin stünde die Tasse wohl schlecht zu Gesicht. Die zweite Botschaft reflektiert die kulturelle Selbstverortung des Besitzers. Der Bereichsleiter sagt mit diesem Label: Wissen ist Macht, ich habe viel Macht, ergo: ich bin ein Wissender. Die dritte, weniger offensichtliche Aussage soll die Stellung des Bereichsleiters zementieren und ließe sich etwa so übersetzen: Ich bin hier auch dann der Chef, wenn ich mal etwas nicht weiß; ich kann mir in meiner relativ machtvollen Position sogar Unkenntnis erlauben - eine selbstgefällige und hierarchiebewußte Präsentation der eigenen Person. So unterschiedlich die inhaltlichen Aussagen der Chef-Tasse und der Sekretärin-Tasse auch sein mögen, zeigen sich doch zwei markante Parallelen: Zunächst einmal haben beide Tassen die Funktion einer beruflich-positionellen Zuschreibung. Der Sekretärin gehört die Sekretärinnentasse, der Bereichsleiter trinkt aus der Cheftasse. Vor dem Hintergrund, daß das Unternehmen ansonsten hierarchieindizierende Symbole weitgehend vermeidet - es gibt keine Chefetage, die höheren Vorgesetzten haben keinen Chefsessel und sitzen an denselben Kunststoffschreibtischen wie alle anderen Mitarbeiter - wirken beide Tassen besonders aussagekräftig. Sie belegen die belegschaftskulturelle Symbolisierung eines Aspekts, den die Firmenideologie leugnen will. Während sich also die offizielle Unternehmenskultur mit ihrer egalisierenden Raumausstattung um eine Dezimierung hierarchischer Symbolik bemüht, führt zumindest in zwei Fällen - die im eigentlichen Wortsinn "mitgebrachte" Kultur der Beschäftigten quasi durch die Hintertüre wieder Hinweise auf dennoch bestehende Hierarchien ein. Hierfür gibt es übrigens noch ein anderes Beispiel in Form eines Objekts, das eine ganz ähnliche Botschaft wie die Cheftasse konnotiert und darüber hinaus auch mit dem Stilmittel Ironie operiert. Im näheren Umfeld des Bereichsleiters, zwischen seinem Arbeitsplatz und dem seiner Sekretärin, steht ein Garderobenständer, der von ihm, der Sekretärin und einigen weiteren Angestellten benutzt wird. An der Spitze dieses Garderobenständers hängt ein Basecap mit der Aufschrift "BIGGEST BOSS": ebenfalls ein eingeschleustes Zeichen für Hierarchie in der egalisierenden offiziellen Firmenkultur. Daß die hierarchieindizierenden Zeichen von den Beschäftigten wieder eingeschleust werden, zeigt mit großer Deutlichkeit die Grenzen der Machbarkeit und Planbarkeit von corporate culture: Wo die Firma den Chefsessel verweigert, können Vorgesetzte mit anderen Symbolen auf ihren Status aufmerksam machen. Interessanterweise ging die Initiative zum Erwerb beider Tassen von Vorgesetzten aus, also von genau der Beschäftigtengruppe, die von der Geringschätzung der offiziellen Statussymbolik am wenigsten profitiert.167 Die zweite Gemeinsamkeit bezieht sich auf die Stilisierung der Tassen. Zwar wurde bereits darauf hingewiesen, daß Stilisierung hier nur eine geringere Rolle spielt, dennoch hat sie eine wichtige Funktion: Die Stilisierung soll die primäre Funktion der beiden Tassen, das Markieren sozialer Positionen, aufweichen. Beide Tassenaufschriften sind ironisch und frech, sie sind ein wenig aufmuckend, ohne rebellisch zu wirken. Sowohl die Aufschrift "Die beste Sekretärin" als auch der Text "Wissen ist Macht" wären wohl zu hart und offen, zu direkt und unvermittelt, um im Umfeld dieser Firmenkultur noch als Repräsentationsformen bestehen zu können. Die ironischen Verkleidungen dagegen nehmen den Kaffeetassen die Schärfe, verwitzeln die Aussage und machen sie so - entsprechend der Firmenideologie, nach der das Betriebsklima locker und die Mitarbeiter kreativ sind - für ihre jeweiligen Eigentümer wie auch für die Kollegen und Kolleginnen akzeptabel. Die Grenzen von BOURDIEUs Theorie für die Analyse von Kultur in Betrieben Das Tassenkapitel war ein Versuch, das BOURDIEUsche Konzept am Beispiel der Beziehungen, die die Beschäftigten gegenüber ihren Kaffeetassen einnehmen, zu erproben. Nun ist es Zeit für eine Bilanz. Wo ist seine Theorie hilfreich, wo greift sie nicht? Im strengen Sinn ließ sich sein Konzept nicht anwenden. Dies liegt jedoch weniger an dem Untersuchungsgegenstand Kaffeetasse, als an dem Untersuchungsfeld Marketingabteilung eines Computerkonzerns. Wo schon die Gesamtorganisation in ihrer Sozialstruktur wenig heterogen ist, zeichnet sich das Untersuchungsfeld durch eine besonders starke soziale Homogenität aus. Es gibt hier weder ein Proletariat noch Vertreter der Oberschicht. Die Marketingabteilung ist eine reine 167  In der Minima Moralia (S.46) wettert ADORNO gegen Geschenkartikel: "Der Verfall des Schenkens spiegelt sich in der peinlichen Erfindung der Geschenkartikel, die bereits darauf angelegt sind, daß man nicht weiß, was man schenken soll, weil man es eigentlich gar nicht will." Das Geschenk der "Beste-Sekretärin-Tasse" zeigt m.E. die Grenzen der Kulturindustriekritik. Natürlich kann auch ein solch industriell gefertigtes Massenprodukt wie diese Tasse Funktionen erfüllen, die über das Kaschieren von Verlegenheit, wie Adorno dies unterstellt, weit hinausgehen. Sie erhalten eben erst im spezifischen Kontext ihre jeweils individuelle Bedeutung. Ohne eine Kenntnis der Bedingungen und der Situation des Schenkens bleibt die Bedeutung, die ein GeschenkartikelGeschenk haben kann, natürlich blaß. Mittelstandsinsel. Es ist hier natürlich nicht möglich, die Beschäftigten am Beispiel ihrer Kaffeetassen sozialen Schichten zuzuordnen. Auch läßt sich die eingangs formulierte These, wonach ein Kaffeetassenaufdruck Aussagen über das kulturelle Kapitel ihres Eigners zuläßt, nur begrenzt bestätigen. Es funktioniert etwa bei der Bart-Simpson-Tasse. Bart Simpson ist zweifelsohne ein kulturelles Erkennungszeichen. Der Besitzer dieser Tasse kennt und mag das Werk des Cartoonisten. Bei der Cheftasse hingegen ist zweifelhaft, ob dessen Besitzer intentional Bacon zitiert. Unter der Voraussetzung, daß der Besitzer Bacon kennt und weiß, daß die Parole "Wissen ist Macht" von ihm stammt, könnte man mit Bourdieu spekulieren, daß der Besitzer dieser Tasse dem aufsteigenden Kleinbürgertum zuzuordnen sei. Für Aufwärtsmobile stelle sich das Problem, von der etablierten Elite akzeptiert zu werden. Deshalb bestehe bei dem Besitzer der Cheftasse eine starke Neigung, sich mit legitimem kulturellen Kapital wie Bacon zu schmücken und mit ihm anzugeben, ohne es wirklich zu kennen. Die Cheftasse sei das Produkt eines von Prätention und Bluff geleiteten Habitus. Da jedoch der intentionale Bezug zu Bacon recht zweifelhaft ist, bleiben solche Überlegungen spekulativ. Im strengen Sinn kann man also hier nicht mit BOURDIEU arbeiten.168 Wenn man jedoch, wie MICHAILOW (1994) in Anlehnung an BOURDIEU, von der Formierung neuer Lebensstilgruppen ausgeht, führt die Analyse der Kaffeetassen zu einigen interessanten Ergebnissen. Erstens: In zweierlei Hinsicht lassen sich übergreifende Praktiken feststellen, die das Untersuchungsfeld homogenisieren. Zum einen hat sich innerhalb eines kurzen Zeitraums eine Großgruppe von ökologiebewußten und -interessierten Beschäftigten gebildet. Dieses Umweltdenken findet seinen Ausdruck in der kollektiven Substitution der Plastikbecher durch Keramiktassen. Zum anderen ist die Form der Tassen einheitlich. Niemand im Untersuchungsgebiet trinkt aus einer Tasse mit Unterteller. Alle bevorzugen die angelsächsischen mugs: Eine Ästhetik, die an privates Kaffeetrinken erinnert, wird also bei der Arbeit zugunsten einer praktischeren Orientierung abgelehnt. Zweitens: Eine Analyse der Tassenaufschriften wie auch der individuellen Bezüge zu den Tassen spaltet das bislang homogene Feld in verschiedene Gruppen auf. Zum einen wäre hier der Unterschied zwischen Privat- und Firmentassennutzern zu nennen: Privattassentrinker pflegen insgesamt ein etwas distanzierteres Verhältnis zur Organisation, sie wollen sich nicht in erster 168  Ein kleines Gedankenspiel: Die Kaffeetassen, insbesondere die Firmentassen, verweisen nicht nur auf ihre Eigner, sondern auch auf die Firma als Ganzes. Würde man Institutionen und Organisationen wie individuelle Akteure behandeln und sie sozialen Schichten zuordnen, dann könnte man mit BOURDIEU GT als eine typische Neureichenorganisation bezeichnen: Ein Konzern, der erst seit knapp über fünfzig Jahren existiert, sich an die internationale Spitze hochgearbeitet hat und jetzt versucht, nicht nur zu den oberen Zehntausend, sondern auch zu den feinen Zehntausend zu gehören. Deshalb produziert die Firma Tassen, die, wie die Celebrate-Tasse, wenig diskret auf Schaubildern die GT-Erfolgsstory nacherzählen oder die, wie die Denkertasse, Kultur zitieren. Hierzu paßt Rodin, dessen Skulpturen von den Schichten mit hoher kultureller Kompetenz als etwas kitschig belächelt werden. Für dieses Gedankenspiel bräuchte man Vergleichsfirmen. Etwa ein alteingesessenes Unternehmen, das bei der Gestaltung seiner Firmentassen auf weniger aufdringliche Motive zurückgreifen und Schlichtheit den Vorzug geben würde. Linie als Mitglied der Firma ausgeben, sondern betonen stattdessen ihre außerhalb der Organisation erworbene mitgebrachte Kultur. Zum anderen verweist die Tassenwahl auf einen Unterschied zwischen intentionalen Stilisierern auf der einen Seite und Beschäftigten, die wenig Interesse an einer Stilisierung per Tassen haben auf der anderen Seite. Unter Stilisierern verstehe ich solche Beschäftigte, die die symbolische Bedeutsamkeit von scheinbar unbedeutenden Alltagsgegenständen nutzen und Spaß daran finden, mittels einer spezifischen Tassenaufschrift ihren Geschmackpräferenzen Ausdruck zu verleihen. Diesen Stilisierern steht eine Gruppe von Beschäftigten gegenüber, die wenig Interesse an Distinktion zeigt und sich weigert, die Kaffeetasse intentional zu stilisieren. Ihr Distinktionsunwille verdichtet sich in dem Satz: "Es ist mir egal, aus welcher Tasse ich trinke." Er zeigt sich ebenso in der negativen Distinktion von Karl, der aus Plastikbechern trinkt, weil er den an den Keramiktassen sichtbaren "Individualisierungszwang" ablehnt. Drittens: Die Nutzungsformen der Tassen informieren über verschiedene Spielarten zur Herstellung von intentionaler Distinktion. So gibt eine Firmentasse zumeist Auskunft über eine Projektzugehörigkeit. Distinktion kann über Ästhetik vermittelt werden, ein Beispiel hierfür ist die Katzentasse von Sue. Sie kann über die Zitierung von Kunst (Rodin, Matt Groening) oder Philosophie (Bacon) entstehen. Eine Tasse kann, wie die Moskautasse, per Überraschungsmoment/Fremdheit/Originalität distinktiv sein. Weiterhin ist die Sichtbarmachung von Individualität (Namens- und Töpfertasse) ein Distinktionsmittel. Distinktiv wirken schließlich Tassen, die auf den betrieblichen Status verweisen wie die Chef- und die Beste-Sekretärin-Tasse. Eine letzte, im Untersuchungsfeld zu beobachtende distinktive Spielart ist das Ausstellen von Firmentassen. Hier endet jedoch der Bezug zu BOURDIEUs Kulturtheorie. Das wichtigste Ergebnis, das die Analyse der Kaffeetassen hervorbringt, bezieht sich nicht auf soziale Lebensstile, sondern ganz im Sinne dieser Arbeit, auf das Verhältnis von Firmenideologie und Belegschaftskultur. Am Beispiel der Cheftasse und der Beste-Sekretärin-Tasse läßt sich die begrenzte Reichweite der Firmenideologie illustrieren. Die firmenideologische Egalisierungsrhetorik und -symbolik kann durch die Beschäftigten bzw. durch einzelne Beschäftigte ausgehebelt werden. Zwar kann die Firma über einen Verzicht auf das Chefzimmer und das Vorzimmer für dessen Sekretärin eine hierarchieindizierende Symbolik abbauen, doch mit den entsprechenden Privattassen können verschleierte Statusunterschiede schnell wieder sichtbar gemacht werden. Es gilt also festzuhalten, daß Beschäftigte die Firmenideologie mit ihrer mitgebrachten Kultur unterwandern können. Noch wichtiger ist jedoch die Frage nach den Akteuren. Die Unterwanderer der Egalisierungsideologie sind beide Male Manager. Dies ist wenig verwunderlich. Erstens haben sie als einzige Gruppe ein Interesse, Statusunterschiede symbolisch sichtbar zu halten. Zweitens sind sie, verglichen mit Ingenieuren oder gar Sekretärinnen, mit mehr Machtanteilen ausgestattet. Handlungen, die die Botschaften der Firmenideologie unterlaufen, können am ehesten von den mächtigen Akteuren in einer Organisation ausgeübt werden. 5. "Da ist jeder völlig frei": Zur Wahrnehmung des firmeneigenen Kleidungsstils Daß Kleidung auch ein Zeichensystem ist, daß sie Codes transportiert, die Aussagen machen über Kultur, über Normen und Stile, kurz: daß Kultur über Symbole, wie Kleidung eines ist, kommuniziert und konstruiert wird - diese Erkenntnis beschränkt sich nicht auf einen kleinen Kreis von Personen mit großem kulturellen Kapital, etwa auf Sozialwissenschaftler. Alle wissen es und machen aktiv Gebrauch von diesem Wissen: Punks und Nonnen, Yuppies und Fastnachtsaktivisten, Kaninchenzüchter und Soldaten. Dieses Wissen haben natürlich auch die Beschäftigten einer wirtschaftlichen Organisation. Sie beobachten und deuten das Kleidungsverhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie kleiden sich selbst mit dem Wissen, daß umgekehrt die Kollegen den gewählten Kleidungsstil ebenso mit Sinn versehen. Sie indizieren mit der Bekleidung eine spezifische und täglich neu auszuhandelnde Form der Anpassung an ein gegebenes Umfeld oder der Distanzierung davon. Im Zentrum dieses Kapitels steht nicht der tatsächliche Kleidungsstil der Beschäftigten beleuchtet wird lediglich die diskursive Ebene. Wie reden die Beschäftigten über ihre Kleidung, wie über die Freiheiten und Zwänge bei der Kleiderwahl? Was liegt innerhalb der Grenzen des Erlaubten, was ist eine im Betrieb illegitime Kleidung? Grundlage für die folgende Diskursanalyse sind also die Beobachtungen und Kommentare der Befragten. Dabei greife ich vor allem auf die Interviews, teilweise auch auf meine Erfahrungen im Feld zurück. Am Ende des Kapitels B4 (Firmenideologie: Konturierung eines Begriffs) habe ich die These aufgestellt, daß bei GT alle Beschäftigten an der Aufrechterhaltung der Firmenideologie mitarbeiten. Ziel des vorliegen169 den Kapitels ist es nun, die Plausibilität dieser These zu überprüfen. Studien, die sich mit der Zeichenhaftigkeit von Kleidung beschäftigen, sind inzwischen unüberschaubar. In der Organisationskulturforschung dagegen ist Kleidung als Untersuchungsgegenstand bislang nahezu völlig übersehen worden. Dieser Umstand ist umso überraschender, als die Suche nach Organisationskultur repräsentierenden Symbolen in den letzten Jahren immer breitere Kreise zog und sich auf immer mehr Artefakte erstreckte. Der Kleidung wurde dabei sehr wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht.170 Der einzige mir bekannte konzeptionelle Aufsatz über die Bedeutung von Kleidung in Organisationen von RAFAELI/PRATT (1993) ist kaum 169  Daß die Beschäftigten ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Firmenideologie haben, wurde schon in früheren Kapiteln deutlich, insbesondere in C1 (Berufsspezifische Aneignungsformen der Firmenideologie) und C3 (Gefeierte Ideologie). 170  Einige empirische Arbeiten widmen der Kleidung immerhin eine marginale Beachtung; in der Regel hat Kleidung dann eine Indikatorfunktion (MARCH/OLSEN 1984; MARTIN/FELDMAN/HATCH/SITKIN 1983; ROSEN 1985 1988). und ROSEN mehr denn als Auflistung von Thesen, die über kulturwissenschaftliches Basiswissen nicht hinauskommen.171 Mein Interesse am Diskurs über die Kleidung wurde gleich zu Beginn der Feldforschung geweckt. Nachdem bei dem ersten Treffen mit der Personalleiterin alle Fragen erörtert worden waren und der Rahmen der Feldforschung ausgehandelt, bot sie mir an, mich in die übliche Vornamensregelung einzubeziehen und gab mir gleich anschließend einen Bekleidungstip. Ein Auszug aus dem Forschungstagebuch: "Andreas, mir persönlich ist es egal, wie Sie angezogen sind. In meiner Freizeit laufe ich am liebsten auch in einer ganz abgetragenen Lederjacke rum." Ich hatte eine fast neue, dunkelbraune Lederjacke an. Die Jacke ist nicht elegant, sondern eher lässig, sie hat viele Außentaschen. Das Leder ist weich gegerbt und sieht ganz und gar nicht abgetragen aus. Sie fuhr fort: "Sie werden hier jedoch nur ernst genommen, wenn Sie ordentlich und sauber gekleidet sind. Und Sie sollten rasiert sein und frisch gewaschene Haare haben." Ich fühlte mich durchaus ordentlich und sauber gekleidet: Ich trug eine schwarz-melierte 501 in gutem Zustand und ein schwarzes Sweatshirt mit Kragen und einem verspielten Reißverschluß. Ich hatte frisch gewaschene Haare, hatte allerdings einen DreiTage-Bart. Ich hielt mein Erstaunen und meine Verletzung über diese indirekte Rüge nicht zurück und entgegnete: "Sie überraschen mich. Ich dachte, hier sei alles so informell. Inzwischen darf doch jeder Bankkaufmann mit einem DreiTage-Bart rumlaufen." Sie zuckte mit den Schultern und erwiderte fast schon ein wenig entschuldigend: "Bei uns ist das eben noch nicht so." Daraufhin fragte ich sie, ob meine jetzige Kleidung denn okay sei, was sie zwar zunächst bejahte, dann jedoch relativierte: "Wenn Sie mit Managern zu tun haben, dann könnte ein Jackett und eine Krawatte nicht schaden. Wissen Sie, bei IBM sind die Kleidungsvorschriften noch viel konservativer als bei uns. Da müssen alle Frauen ein Kleid tragen, das bis zu den Knien reicht, nach oben hin aufgeschlossen und am besten mit Rüschen." Mein Gesichtsausdruck muß wohl immer noch sehr erstaunt gewesen sein, sie erklärte mir erneut den Sinn ihres Ratschlags: "Mir ist es wirklich egal, was sie hier anziehen. Ich sage das nur, damit Sie von allen ernst genommen werden. Es wäre sozusagen in Ihrem eigenen Interesse. Sie können natürlich machen, was Sie wollen." Das Gespräch mit der Personalleiterin hat mich in verschiedener Hinsicht erstaunt. Wenn bei GT so schnell über Kleidung gesprochen wird, scheint das Thema wichtig zu sein und darüber hinaus in irgendeiner Form ein Problem darzustellen. Zwischen den Erwartungen der Personalleiterin an meinen Kleidungsstil und meinem tatsächlichen Outfit bestand eine Lücke. Erstaunt hat mich ferner die Kritik der Personalleiterin, genauer: die Tatsache, daß ich als Außenstehender kritisiert wurde.172 Schließlich hat mich die Abgrenzung des bei GT üblichen 171  So lauten etwa die ersten zwei ihrer insgesamt dreizehn Thesen (S.41): (1)"Dress may indicate the degree to which an organization is influenced by, or seeks association with, a particular culture or institution." (2) "Dress attributes convey central, distinctive, and enduring values of the organization." 172 Stils gegenüber dem anderer Firmen überrascht. Ich beschloß also, in den Interviews den Kleidungsstil zu thematisieren. Daß das Thema Kleidung nicht nur in Reaktion auf mich virulent wurde, sondern daß es bei GT in irgendeiner Form ein Problem darstellt, wird auch bei den jährlichen Weihnachtsfeiern in der medical division deutlich. Bei diesen Feiern ist es üblich, daß einige Sketche vorgetragen werden. Sowohl auf der 1993er wie auch auf der 1994er Feier wurden in Sketchen Kleidungszwänge ironisiert. Der 1993er Sketch: Zwei Praktikanten - von Praktikanten gespielt unterhalten sich. Irgendwann erklärt einer der beiden, daß sie jetzt in ein meeting gehen müssen. Daraufhin binden sich beide eine Krawatte um. Sketch 1994: Ein Ingenieur sitzt betont locker am Schreibtisch, die Beine auf der Schreibtischplatte, mit einem Kollegen telefonierend. Plötzlich klingelt sein zweites Telefon: Der GmbH-Chef ist am Ende der Leitung. Daraufhin setzt sich der Ingenieur gerade auf seinen Stuhl, holt aus der Schreibtischschublade eine Krawatte und bindet sie sich um. Die beiden Sketche belegen, daß die Beschäftigten viel mehr über strukturelle Kleidungszwänge wissen, als sie mir gegenüber in den Interviews zum Ausdruck gebracht haben. Die großen Lacher im Publikum, die beide Sketche hervorgerufen haben, signalisieren nicht nur, daß es bei GT auf irgendeine Art ein "Kleidungsproblem" gibt, sondern zeigen vor allem, daß dies erkannt und sogar öffentlich kritisiert bzw. ironisiert wird. Wie können nun die Äußerungen der Beschäftigten in eine Beziehung zur Firmenideologie gestellt werden? Die Firmenideologie liefert selbstverständlich keine ausgefeilte Regieanweisung für die Wahl einer adäquaten Kleidung im Betrieb. Dennoch läßt sich anhand der Kommentare über den Kleidungsstil zeigen, wie die Befragten die Firmenideologie reproduzieren. Bei der folgenden Diskursanalyse ist zweierlei zu prüfen. Zum einen interessiert mich, wie die Beschreibungen der Beschäftigten mit den firmenideologischen Botschaften korrespondieren. Insbesondere zwei firmenideologische Botschaften sind hierfür relevant: die behauptete Informalität und die behauptete Individualität der Angestellten. Zum anderen ist zu untersuchen, wie die Diskursstrategien beim Reden über das Sich-Kleiden mit verschiedenen firmenideologischen Merkmalen korrespondieren. Insbesondere zwei Merkmale sind relevant: das Prinzip der Grenzziehung nach außen und die inhaltliche Ambivalenz. Informalität Die behauptete Informalität gehört zu den firmenideologischen Grundpfeilern. Die Firmenzeitung greift sogar das Thema Kleidung vereinzelt auf und bringt es mit diesem Grundpfeiler in Zusammenhang. Dabei wird die Bekleidung der GT'ler und GT'lerinnen unisono entweder ganz direkt mit Attributen wie "lässig", "leger" und "informell" belegt oder es fallen Formulierungen, die solche Zuschreibungen unmißverständlich konnotieren. Ein Beispiel: "Der typische GT'ler  Erst später wurde mir klar, daß ich mit Beginn meiner Forschung nicht mehr ein Außenstehender war, sondern einen Zwischenstatus eingenommen hatte. Hierfür spricht auch der Vorschlag der Personalleiterin, mich in die Vornamensregelung einzubeziehen. In gewisser Hinsicht (Vorname, Kleidung) sollte ich zum GT'ler werden. trägt eher Jeans als Krawatte" (puls 9/1987, S.2). Bestätigen nun die Befragten die behauptete Informalität? Die Frage läßt sich mit einem klaren Ja beantworten. Die Ansichten über den Kleidungsstil werden im folgenden in einer sehr komprimierten Form vorgestellt. Die Mehrzahl der Interviewten antwortet auf meine Frage nach dem Kleidungsstil eines typischen GT'lers oder einer typischen GT'lerin mit Formulierungen wie "eher lässig als super-elegant", "nicht schicki-micki", "nicht so schnieke", "hemdsärmelig", "salopp", "nicht konservativ", "nicht traditionell" und "ähnlich locker wie im universitären Bereich". In vielen Antworten fällt ein Vergleich mit anderen Firmen, deren Beschäftigte sich dann konservativer, traditioneller, normierter und formeller anziehen. Bereits hier wird also deutlich, daß die Befragten klare Innen-Außen-Grenzen ziehen. Jenseits dieser Zuschreibungen fällt auf, daß die Meinungen über die Kleidung der typischen GT'lerin wesentlich heterogener sind als die über den männlichen Kleidungsstil. Der weibliche Kleidungsstil wird mal als "modisch", mal als "nicht sehr modisch" beschrieben, mal als "sportlich", mal als "uschimäßig, also blond, lange Haare, Dauerwelle, Jeans mit Gürtelchen, Pumps und hohe Absätze und dann noch ein adrettes Blüschen." Die Ansichten über den Kleidungsstil der männlichen Beschäftigten sind viel homogener: Häufig verweisen die Befragten auf die Berufs- und Bereichsabhängigkeit und unterscheiden dabei insbesondere die Bereiche Marketing und Research and Development. Die männlichen Beschäftigten im Marketing seien "besser", "moderner", "eher business-like" angezogen, sie tragen "ein weißes Hemd und eine Stoffhose, manchmal Krawatte". Die Männer im Forschungs- und Entwicklungsbereich sind "echt loker", "salopp" gekleidet, haben zumeist "Jeans und ein Sweatshirt" an. Wenn weibliche Angestellte über den Kleidungsstil der Entwicklungsingenieure sprechen, fallen häufig negative Bewertungen wie "mäßig bis saumäßig, lässig bis nachlässig" oder "mir zu schmuddelig, teilweise sehen die schon ein wenig verfilzt aus." Individuelle Freiheit Zur zweiten firmenideologischen Botschaft: Hierfür ist es notwendig, die generellen Anforderungen an das Persönlichkeitsprofil der Beschäftigten auf ihr Kleidungsverhalten eng zu führen. Bereits in den ersten beiden Punkten des "Firmenkultur"-Plakats sind die Begriffe Selbstverwirklichung, Persönlichkeit und Freiräume enthalten. Es ist sicherlich zulässig, diese allgemeinen Zuschreibungen auch auf die Bekleidungspraktiken zu übertragen. Die Betonung liegt dann auf der Individualität der Beschäftigten. Bevor nun die firmenideologische Verheißung von zwangloser Individualität und Selbstverwirklichung mit den Aussagen der Befragten verglichen werden soll, möchte ich eine Überlegung von SIMMEL (1895) vorstellen. SIMMEL hat in seinem Essay zur Psychologie der Mode beschrieben, daß Kleidung entweder zur Verhüllung oder zur Betonung der Individualität benutzt werden kann, entweder um sich mit ihr an ein bestimmtes Umfeld anzupassen oder um sich davon hervorzuheben: Sie <die Mode, A.W.> genügt einerseits dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, insofern sie Nachahmung ist; sie führt den einzelnen auf die Bahn, die alle gehen; andererseits aber befriedigt sie auch das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sichabheben, und zwar sowohl durch den Wechsel ihrer Inhalte, der der Mode von heute ein individuelles Gepräge gegenüber der von gestern und morgen gibt, wie durch den Umstand, daß Moden immer Klassenmoden sind. (In: Schriften zur Soziologie, S.132) Diese beiden antagonistischen Tendenzen gelten nicht nur für die Mode, sondern ganz allgemein für Kleidung. Sie ist immer ein "Kompromiß zwischen der Tendenz nach sozialer Egalisierung und der nach individuellen Unterschiedsreizen" (S.132). Die Wahl der dem Betrieb angemessenen Kleidung unterliegt auf der Ebene des einzelnen Akteurs noch einem weiteren Antagonismus, der mit dem ersten nicht notwendig kongruieren muß, ihm im Alltag jedoch oftmals entspricht: Es ist die Entscheidung zwischen der individuellen Freiheit auf der einen Seite und der Rücksichtnahme auf ein System sozialer Normen, Regeln und Vorschriften. Wenn die Akteure in einer Organisation ihrem individuellen Stil frönen und auf Differenz bedacht sind, ist das organisationelle Kleidungsverhalten eher heterogen; sind die Akteure auf Egalität und Anpassung an das soziale Regelwerk bedacht, ist die organisationelle Bekleidungspraxis eher homogen. Eine heterogene Organisation wäre etwa eine Universität, eine im Kleidungsstil homogene Organisation wäre der Arbeitgeberverband. Eine wirtschaftliche Organisation liegt irgendwo zwischen diesen beiden Polen und ist im allgemeinen durch eine strukturierte Heterogenität gekennzeichnet. In der anfangs vorgestellten Episode aus dem Forschungstagebuch sind es eben diese Antagonismen, die dem Dialog zwischen der Personalchefin und mir seine innere Spannung verleihen. Auf der einen Seite das konziliante Zugeständnis an individuellem Ausdruck, auf der anderen Seite der Verweis auf ein soziales Umfeld und dessen informelles Regelsystem. Auf der einen Seite die Bestätigung der persönlichen Freiheit, auf der anderen Seite die Koppelung von Arbeitserfolg und Anpassung im Kleidungsstil. Auch eine Strategie zur Widerspruchseliminierung wird am Beispiel dieser Episode sichtbar: Der Widerspruch ist deshalb kaum sichtbar, weil die Personalleiterin nicht von Zwängen, sondern von Interessen, insbesondere von meinen Interessen als Forscher ausgeht. Sie möchte mir nichts vorschreiben, macht aber deutlich, daß eine erfolgreiche Forschung nicht zuletzt vom Kleidungsstil abhängen kann. Wo also verorten sich die Beschäftigten in diesem Spannungsfeld zwischen Anpassung und individueller Entfaltung? Die Frage in den Interviews lautete folgendermaßen: "Kann man sich bei GT denn anziehen, wie man will, oder gibt es bestimmte informelle Regeln und Standards, die man beachten sollte?" Dies sind, sicherlich wenig überraschend, die beide Pole der Antworten. (1) Da ist jeder völlig frei. (2) Natürlich gibt es einen Rahmen, den man nicht unbedingt überschreiten sollte. Überraschender dürfte dagegen die Tatsache sein, daß die beiden Zitate, die sich ja gegenseitig ausschließen, von derselben Person stammen, und daß sie in ganz ähnlicher Form und vor allem immer in derselben Reihenfolge auch in zahlreichen anderen Interviews vorkommen. Die erste Reaktion der Befragten betont fast immer die Freiheit der Akteure in ihrer Wahl. Einige Zitate: (1) Man kann grundsätzlich alles anziehen. Ich habe hier schon Leute im Jogginganzug gesehen. (2) Für informelle Regeln, wie Sie das nennen, sind die Unterschiede einfach zu groß. Das sind Riesenunterschiede. (3) Es gibt keinen Krawattenzwang. Es gibt überhaupt keinen Kleidungszwang. (4) Die Frauen verändern ihren Kleidungsstil je nach Jahreszeit, je nach Laune. (5) So wie es zur Person paßt und entsprechend den Modetrends. (6) Ich glaube, daß, daß da ein hohes Maß an Individualität vorhanden ist. Ich kann auch ein Beispiel nennen. Es gibt eine Person bei uns, die sich dadurch auszeichnet, daß sie immer Fliegen trägt, keine Krawatten, nur Fliegen. Und, äh, diese Fliegen verschiedener Formen, Größen und Farben usw., das ist eine Sache der Individualität, gehört zu der Person. (7) Hier gibt es keinen Standard-Dress. Die Kleidung ist bunter als in anderen Firmen. Das drückt eine Geisteshaltung aus: Es ist erlaubt, mal quer zu denken. (8) Die Frauen kleiden sich so, daß sie sie selbst sind und nicht das Stereotyp einer Frau. Unter den Befragten herrscht eine breite Übereinstimmung: Die Kleiderwahl liegt ausschließlich in den Händen des einzelnen Beschäftigten. Zur Unterstützung der Aussage greifen manche Befragte auf Kleidungsstücke zurück, die trotz ihrer Ausgefallenheit im tolerierten Bereich liegen. Die Jogginghose in Zitat (1) steht dann als Zeichen für das Eindringen von Informalität, Freizeit, Privatheit und Sportlichkeit in die Geschäftswelt. Oder die Fliege von Zitat (6): Sie gilt als ein Kleidungsstück, das die Individualität besonders deutlich hervorhebt. Fliegenträger haben gemeinhin den Ruf, Nonkonformisten zu sein. Die konstatierte Individualität geht sogar so weit, daß Frauen mit ihrer Kleidung nicht mehr sozialen Rollenerwartungen wie Weiblichkeit und Femininität gerecht werden müssen (Zitat 8). Die einzige Gemeinsamkeit, die alle Beschäftigten verbindet, ist die durch die Kleidung ausgedrückte Geisteshaltung des Querdenkertums (Zitat 7). Wenn überhaupt strukturierende Einflüsse angesprochen werden, sind dies, wie die Jahreszeit in Zitat (4), oder die Mode in Zitat (5), externe Einflüsse. Strukturierungsmerkmale Ungeachtet dessen tauchen in den Interviews verschiedene, die obere Sichtweise relativierende Strukturierungsmerkmale auf. Das erste bezieht sich auf die Spezifik des GT-Kleidungsstils. Diese Spezifik, die ja schon auf die Frage nach dem typischen Kleidungsstil häufig ins Feld geführt wurde, um die im Vergleich zu anderen Firmen höhere Informalität zu betonen, taucht auch jetzt wieder in einigen Antworten auf (Zitat 7). Wieder erfolgt also eine Grenzziehung zu anderen Firmen: Dort scheint die Kleidung insgesamt weniger bunt zu sein und den weniger bunt gekleideten Beschäftigten in anderen Firmen ist es eher nicht "erlaubt, mal quer zu denken". Das zweite Strukturierungsmerkmal bezieht sich auf die Spezifik der einzelnen Bereiche: Der Hinweis, daß der Kleidungsstil vom Beruf respektive vom Bereich abhängt, wurde von vielen schon geäußert und erscheint auch jetzt: Wenn man die Mitarbeiter sieht, kann man schon erahnen, in welchem Bereich sie arbeiten. Die Entwickler tragen eine Jeans und ein kariertes Hemd, die in der Produktion sind auch sehr locker angezogen. Die im Marketing erkennt man auch sehr deutlich. Sie achten sehr auf ihre Kleidung. Und im Vertrieb sind sie sehr schnieke. Während diese beiden Strukturierungsmerkmale von den Befragten nicht als Widerspruch zur deklarierten individuellen Wahlfreiheit betrachtet werden, interpretieren sie hingegen das dritte Strukturierungsmerkmal, die Repräsentationspflicht nach außen, durchaus als Einschränkung: (1) Gerade als Sekretärin ist die richtige Kleidung sehr wichtig, denn das spiegelt das Unternehmen wider. (2) Es existiert ein ungeschriebenes Gesetz. Bei Kunden muß man sich den Erwartungen entsprechend kleiden. Eine Ingenieurin, ebenfalls Innen-Außen-Grenzen ziehend, verbindet diese Regelung mit dem legeren Stil: Wenn wir leger gekleidet sind statt altmodisch steif, dann sieht das natürlich auch beim Kunden vertrauenswürdiger aus. Als viertes Strukturierungsmerkmal werden die mit dem Freitag als dem letzten Arbeitstag vor dem Wochenende verbundenen Konventionen genannt: Am Freitag gehen viele, besonders die Engländer und die Amerikaner, in Jeans und Pullover in die Firma. Freitag ist der Tag, wo man absolut lässig ist. Das ist keine Vorschrift, das ist einfach eine Gewohnheit. Das fünfte Strukturierungsmerkmal heißt Karriere: Wer Karriere machen will, nutzt den Freiraum nicht, er vermeidet saloppe Kleidung. Die Formulierung "nutzt den Freiraum nicht" ist sehr aussagekräftig: Sie unterstellt allen, die Karriere machen wollen, eine Entscheidungsfreiheit, die so offenbar nicht existiert. Damit wird von dem Autor des Zitats, einem Manager, das Strukturierungsmerkmal Karriere fast schon wieder aufgehoben. Toleranzschwellen Einige der Befragten legen Toleranzschwellen fest. Dabei zeigt sich, daß die Zumutungsgrenzen für die einzelnen Beschäftigten stark divergieren. Während einige sehr hohe Toleranzgrenzen haben - "nur nicht verschlampt, die Sachen sollten sauber sein und nicht verrissen" - sind für andere die Grenzen deutlich rigider: (1) Turnschuhe sollte man natürlich nicht anziehen. (2) Kürzlich hatte ich einen Minirock an. Da dachte ich, vielleicht hast du die Grenze jetzt überschritten. Ein Manager macht sich sogar Gedanken über Ohrringe. Auszug aus einem Interview: Ich wüßte nicht, wie ich reagiere, wenn ich einen Mitarbeiter mit Ohrringen hätte. Wir haben doch einiges mit Kunden zu tun. Ich wüßte nicht, ob das schon jenseits der Grenze der Kleiderordnung ist. Vielleicht ist ein Ohrring in fünf Jahren kein Problem mehr, aber heute, glaube ich, gäbe es doch den einen oder anderen Kunden, der dann die Nase rümpfen würde. Frage: Sie hatten bislang noch keinen Mitarbeiter mit Ohrring? Nee, hatte ich nicht, aber ich hatte also einige Bewerber mit Ohrringen, wobei ich aber ganz klar sagen muß (lacht), also der Ohrring hatte keinen Einfluß drauf gehabt, daß ich dann die Person nicht genommen habe. Ja, und dabei fällt mir jetzt ein: Das geht einem ja auch als Elternteil so. Wie würde ich reagieren, wenn eines Tages der Sohn nach Hause kommt und hat einen Ohrring? Noch immer steht der männliche Ohrring entweder für Homosexualität oder für den NichtMacho, für den weichen, androgynen Mann. Es wäre sicherlich ein interessantes Unterfangen, alle Beispiele, die außerhalb des geduldeten Raums liegen, zu sammeln, um auf diese Weise ein Bild zu erstellen, was die Beschäftigten von GT nicht sind. Dies wäre jedoch ein anderes Thema. Allerdings genügt schon ein flüchtiger Blick auf die Exponate des nicht mehr geduldeten Stils Turnschuhe, Minirock, Ohrringe bei Männern, eingefärbte Haarsträhne, Alternativ-Look - um festzustellen, daß vieles davon zum Bereich jugendlicher Subkultur zählt oder zählte und als rebellisches und provokatives Zeichen gegen 'das Establishment' gerichtet war/ist. Homogenisierungsmechanismen Die Nichtbeachtung solcher Toleranzschwellen stört die strukturierte Heterogenität des Kleidungsstils. Allerdings existieren drei wirksame Mittel und Mechanismen zur notwendigen Homogenisierung: Das erste heißt präventive Selektion, das zweite heißt Kritik und das dritte Anpassung. Was ich unter präventiver Selektion verstehe, verdeutlicht eine Episode aus dem Feld: Während meiner Feldforschung durfte ich an einem Bewerbungsgespräch sowie an der anschließenden Beratung teilnehmen. Der Bewerber erschien in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und hellblauer Krawatte zum Vorstellungsgespräch. Nach dem Gespräch einigte man sich in der Personalabteilung schnell darauf, dem Bewerber eine Absage zu schreiben. Das erste Argument, das bei dem Nachgespräch gegen den Bewerber ins Feld geführt wurde, war dessen Kleidung. Diese sei zu wenig bunt und würde nicht zum üblichen Stil passen. So wird also schon im Vorfeld überprüft, ob die Kleidung des Bewerbers mit dem firmeneigenen Stil kompatibel ist. Zur Kritik: Nahezu alle Befragten können sich an eine oder mehrere Situationen erinnern, in denen entweder sie selbst oder Kollegen und Kolleginnen aufgrund der Kleidung kritisiert wurden: Ein Mann wegen einer kurzen Hose, eine Frau wegen einem Stirnband, eine andere Frau wegen ihrer "gewagten Kleidung und ihrer billigen Frisur", eine dritte erregte Mißfallen mit ihrem "Alternativ-Look". In allen geschilderten Fällen bewirkte die Kritik Anpassungsleistungen der Kritisierten. Die Form der Kritik ist sehr unterschiedlich. Mal erscheint sie als "ein paar sloppy Kommentare" oder als "eine kleine Bemerkung am Kaffeepott, das genügt oft schon", mal erscheint sie, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen, in einem sehr autoritären Gewand: (1) Eine Aushilfe kam mal mit einer eingefärbten Haarsträhne. Der damalige Marketingchef hat dann zu ihr gesagt, wenn die Strähne bis morgen nicht weg sei, brauche sie nicht mehr zu kommen. Die Aushilfe hat sich dem Druck gebeugt. (2) Ein Ingenieur von R&D wechselte ins Marketing und kam in Shorts. Das wurde dann unterbunden. Der Marketing-Manager kam auf ihn zu und meinte, GT sei schließlich kein Ferienland. Im Beobachtungsfeld sind es drei Instanzen, die Kritik an der Kleidung üben: Zum einen sind es die Vorgesetzten. In den Interviews gehören die meisten der angeführten Beispiele zur Rubrik Vorgesetztenkritik. Die zweite Instanz ist die Personalleitung. In den Interviews gibt es hierfür nur ein Beispiel, jedoch ein sehr ungewöhnliches: Auch ein Stil, der overdressed und zu elegant ist, kann die strukturierte Heterogenität sprengen: Ein Ingenieur berichtet, die Personalleiterin habe "mal eine Sekretärin aus den USA angesprochen, die immer gekleidet war wie eine Barbiepuppe. Um sie kleidungsmäßig zu bremsen. Das würde auf die anderen Sekretärinnen einen unnötigen Druck ausüben." In der Regel wird die Kritik jedoch von Kolleginnen und Kollegen aus dem Team geäußert: "Das wichtigste Regulativ ist die Gruppe." Dies ist wohl die häufigste Kritikform. Der dritte und wohl wichtigste Mechanismus, der eine Homogenisierung des Kleidungsstils bewirkt, sind quasi "freiwillige" Anpassungsleistung an das Umfeld. Diese "freiwilligen" Anpassungen entstehen nicht durch einen direkten Druck von außen. Sie vollziehen sich oft unmerklich, können sich über einen längeren Zeitraum erstreken und basieren wohl auf der notwendigen und geforderten Verinnerlichung äußerer Zwänge. Die Norm wird dabei in informellen Gesprächen abgesteckt. "Klar tuscheln wir manchmal: 'Wie sieht denn die heute wieder aus?'", erklärt eine Sekretärin. Erst wenn die Verinnerlichung äußerer Zwänge nicht einsetzt, wird direkte Kritik von außen notwendig. Zwei Schilderungen eines solchen Anpassungsprozesses seien hier wiedergegeben: (1) Als ich hier angefangen habe, war ich nicht der elegante Typ. Manchmal habe ich so Hosen angehabt, da hat mein Chef zu mir gesagt: "Heute siehst du aus wie der Bauarbeiter." Irgendwas. Dann haben wir uns totgelacht, das war alles. Aber ich habe das manchmal auch als den kleinen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Aber ich mußte nicht repräsentieren, ich hatte keinen Kundenkontakt. Und im Laufe der Jahre veränderst du ja in jeder Beziehung deinen Geschmack und so habe ich auch meinen Kleidergeschmack verändert. Ich trage auch heute noch Jeans. Aber ich achte viel mehr auf die Kleidung. (2) Am Anfang dachte ich, iiihh, sind das komische Leute, alle sind so gestriegelt und gebügelt, alle so bürokratisch und gedrillt. Alle schick gekleidet. Also das fand ich damals unmöglich. Ich bin immer mit meinen Jeans und meinen Turnschuhen hier reingekommen und irgendwann hat mich mal eine gefragt, ob ich eigentlich nichts anderes zum Anziehen habe. Das fand ich damals ganz schön hart. Ich hatte einfach nicht das Geld, um mir jeden Tag einen anderen Fummel anzuziehen. Und dann habe ich mehr Geld verdient und hatte auch mehr Klamotten, also da hast du dich so unweigerlich angeglichen. Ohne das zu merken, kommst du da rein. Man verändert sich wirklich unmerklich. Und meine Freunde haben plötzlich zu mir gesagt, Mensch, jetzt bist du bei GT und jetzt wirst du auch so komisch. Das hätte ich eigentlich nie für möglich gehalten, man wird richtig formatiert. Und du siehst plötzlich genauso aus wie alle anderen. Frage: Wie wird man denn da formatiert? Durch die Leute. Durch das Sehen und Gesehen-Werden. Durch das Gefüge. Also innerhalb eines Jahres war ich letztendlich genauso. Aber das muß jetzt nicht nachteilig sein. Du hast dir zwar deine Persönlichkeit erhalten, aber am Drumrum hast du einiges verändert. Natürlich auch deshalb, weil du mehr Geld hast. Und dann willst du ja auch so sein. Und willst dich auch wohlfühlen. Bestimmte Dinge, die dir gefallen, übernimmst du, wenn du es kannst. Du läßt dich einfach anregen. Das ist vielleicht besser ausgedrückt wie formatieren. Der letzte Abschnitt von Zitat (2) informiert über die Ambivalenz eines solchen Anpassungsprozesses: Die Bewertung dieses Prozesses pendelt zwischen "formatiert werden" und "sich anregen lassen", zwischen passivem und ohnmächtigem Erdulden und aktiver, selbstbestimmter Veränderung. Mit der Dauer der Zugehörigkeit wandelt sich, so scheint es, die Bedeutung von "Individualität": Während sich Individualität für die Beschäftigten zu Beginn durch einen außerhalb der Norm liegenden Stil charakterisiert, wird sie später zur Kennzeichnung eines innerhalb der Norm liegenden Stils benutzt. Die Einschätzung eines ausserhalb der Norm liegenden Kleidungsstils stammt wohlgemerkt von den Beschäftigten. Die Organisation achtet ja, wie bereits geschildert, in den selektierenden Bewerbungsgesprächen auf eine gewisse Adaptionsfähigkeit bei Neuzugängen. Strategien der Widerspruchseliminierung In den beiden obigen Zitaten wird der Anpassungsprozeß von einer teilweise sogar sehr herben Kritik begleitet. Diese wird zwar wahrgenommen, wird jedoch, wie im folgenden zu sehen, von den Befragten letztlich nicht als solche stehengelassen. Die zitierten Aussagen beider Befragten fielen in den Interviews relativ frühzeitig. Die Frage "Wird man denn bei GT manchmal wegen der Kleidung kritisiert?" wurde in den Interviews später gestellt. Hier die jeweiligen Gesprächspassagen: (1) Ich wurde deswegen <wegen der Kleidung, A.W.> noch nie kritisiert. Frage: Das hat sich vorhin aber anders angehört. Wie meinst du das? Frage: Dein früherer Chef hat dich doch als Bauarbeiter bezeichnet. Ach so. Das war keine Kritik in dem Sinn. Das war scherzhaft gemeint. Zu ihm hatte ich ein gutes Verhältnis, er durfte das sagen. (2) Frage: Wird man wegen der Kleidung manchmal kritisiert? Nein. Frage: Du hast doch vorher mal ein Beispiel gesagt, daß du angesprochen wurdest... Ja gut, aber da war ich Aushilfe. Das hat auch eine Kollegin zu mir gesagt. Ich war mit ihr befreundet. Das war nicht so, daß sie gesagt hat, iihh, wie läufst denn du rum. Sondern irgendwie: Du hast auch nichts anderes als deine Turnschuhe. Weißt du, so irgendwie. Beide Interviewten relativieren ihre zuvor geschilderte Kritik. Die Kritik wird dabei nicht mehr als Kritik benannt. Beide greifen hierfür auf dasselbe Argument zurück: das freundschaftliche Verhältnis, das die Kritiker mit den Kritisierten verbindet. Es wurde bereits gesagt, daß fast alle Befragten sich an ein oder mehrere Beispiele von Kritik an der Kleidung erinnern. In vielen Fällen erfolgt anschließend eine Relativierung. Neben der bereits bekannten Argumentation mit dem freundlichen Verhältnis zwischen Kritikern und Kritisierten tauchen diverse weitere Begründungen auf. Entweder stellen die Befragten ihre Beispiele als "absolute Ausnahme" dar oder sie unterstreichen die Berechtigung der Kritik, denn "so <in kurzen Hosen, A.W.> kann man bei uns nun mal nicht rumlaufen". Eine weitere Relativierungsstrategie ist die Bewertung der Kritik als "völlig normal. Solche Kommentare gibt es in jeder Firma." An dieser Stelle schließt sich nun der in vielen Interviews vorzufindende diskursive Kreis. Zunächst das Postulat einer fast absoluten individuellen Freiheit der Kleiderwahl. Dann der Verweis auf strukturierende Faktoren für die Wahl der Kleidung, der ja in einem gewissen Widerspruch steht zu der zuvor angegebenen Freiheit. Oft wird hier die Bereichsabhängigkeit angeführt. Dieser Widerspruch wird in den Interviews jedoch nicht thematisiert. Schließlich die Benennung von Toleranzgrenzen und die Schilderungen von Anpassungsprozessen und von Kritik. Hier wird der Widerspruch zur vorangehend geäußerten Beliebigkeit offensichtlich. Der Widerspruch soll durch eine Relativierung der Kritik an der Kleidung aufgelöst werden. Die Kritik wird nicht als Kritik stehengelassen. Sie wird entweder als freundschaftliches Geplänkel abgetan oder als "Ausnahme", als normal oder als legitim abgeschwächt. Alle Relativierungen haben die Funktion, die kleidungsbezogenen Grenzverletzungen und deren Sanktionierungen gering zu bewerten und den zutage getretenen Widerspruch zugunsten einer Betonung der individuellen Entscheidungsfreiheit aufzulösen. Nun drängt sich die Frage auf, warum die Beschäftigten in den Interwiews mit mir die Individualität, die Informalität und die Lockerheit ihrer Kleiderwahl betonen, während sie bei den Weihnachtsfeiern in Form von Sketchen die taktischen Zwänge und die Formalisierungen gegenüber hierarchisch höhergestellten Beschäftigten geißeln. Die einzige denkbare Erklärung für diese Diskrepanz liegt im situativen Kontext: einmal die interne Weihnachtsfeier, zum anderen das Gespräch mit einem Außenstehenden. Mir als einem Vertreter der Außenwelt antworten die Beschäftigten imagesichernd, sie präsentieren mir einen Soll-Zustand. Firmenintern dagegen muß der Mythos von der strukturellen Zwanglosigkeit nicht aufrechterhalten werden, da die "Wahrheit" sowieso allen bekannt ist. Fazit Die zu Beginn aufgestellte These von einer Mitarbeit aller Beschäftigten an der Aufrechterhaltung der Firmenideologie bestätigt sich bei der Analyse der Äußerungen zum Kleidungsstil. Die Befragten betonen zum einen den informellen Stil, zum anderen verweisen sie auf die Individualität bei der Kleiderwahl. Damit liegen sie auf Kurs der Ideologie. Darüber hinaus betonen sie sehr häufig die Spezifik des firmeneigenen Kleidungsstils und reproduzieren damit die firmenideologischen Grenzziehungen nach außen. Der vielleicht interessanteste Aspekt zur Unterstützung der These ist der Umgang mit Widersprüchen. Laut GIDDENS (1979, S.193-196) ist eine der grundlegenden Funktionen jedweder Ideologie die Verschleierung, wenn möglich sogar die Eliminierung von existenten Widersprüchen in einem System. Einer der grundlegenden Widersprüche bei GT ist die Konstruktion eines 'individuellen GT'lers'. Einerseits sollen die Beschäftigten ihre subjektiven Ansprüche realisieren, andererseits sollen sie einem bestimmten Typus entsprechen und zur Firma passen. Das firmenideologische Geflüster ins Ohr der Beschäftigten - 'seid so, wie wir euch haben wollen, dann könnt ihr sein, wie ihr wollt' korrespondiert mit den Widersprüchen in den Aussagen zum Kleidungsstil. Strukturierende Faktoren, Zwänge und Formen der Anpassung und der Kritik werden diskursiv entweder nicht berücksichtigt oder so eingebaut, daß sie - immer auf entsprechende Nachfrage - zwar wahrgenommen und erzählt, nicht jedoch benannt werden. Die Aussagen, die die individuellen Freiheiten betonen, sind somit nicht gefährdet, müssen nicht in Frage gestellt werden. Insofern harmonieren die Diskursstrategien der Befragten, insbesondere die Strategien zur Eliminierung dieses Widerspruchs, mit den Erfordernissen und formalen Merkmalen der Ideologie. Daß selbst massive Kritik von Vorgesetzten nicht beanstandet wird, vielleicht auch nicht beanstandet werden kann, ist sicherlich ein Indiz für die Macht dieses Bedeutungssystems, wonach die Beziehungen informell zu sein haben und die Selbstverwirklichung der Beschäftigten angeblich keine Grenzen kennt. Die mit dem Instrument der Informalisierung auf eine Verschleierung von autoritären Beziehungen zielende Firmenideologie scheint immerhin so stark bzw. so verlockend zu sein, daß selbst klassisches autoritäres Verhalten nicht mehr als solches geoutet werden kann. D. Schluß Ziel dieser Arbeit war es, an einem Fallbeispiel das Verhältnis zwischen Firmenideologie und Belegschaftskultur zu beschreiben. Hierfür habe ich den Computerkonzern GT gewählt, der den Ruf genießt, eine 'starke Unternehmenskultur' zu haben. Die Ethnographie von GT beruht auf zwei Schritten. Zunächst habe ich das firmenideologische System beschrieben, seinen Konstituierungsprozeß nachgezeichnet, seine hegemoniale Funktionen analysiert und die zentralen inhaltlichen und formalen Merkmale dieses Systems herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt habe ich aus verschiedenen Perspektiven die Realität hinter der Rhetorik beleuchtet. Es sollte gezeigt werden, wie die Beschäftigten im Schatten der Firmenideologie arbeiten und interagieren, wie sie die Ideologie reproduzieren, wie sie sie konsumieren und wie sie sich bei Bedarf von ihr distanzieren. Dabei bin ich von einer tendenziell emischen zu einer tendenziell etisch angelegten Präsentation übergegangen: Während die ersten beiden Kapitel über die Deutungen der Firmenideologie und über die Grenzziehungen zur Firma eher die Wahrnehmungen und Praktiken der Beschäftigten vorstellen, erzähle ich in den letzten drei Kapiteln am Beispiel dreier Minifallstudien über Feiern, Kaffeetassen und Kleidung eher meine Geschichte über die Belegschaft von GT. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit werden im folgenden nochmals kurz zusammengefaßt. Zum Verhältnis von Firmenideologie und Belegschaftskultur Wie läßt sich nun das Verhältnis zwischen der GT-Ideologie und der Belegschaftskultur beschreiben? Im Laufe dieser Untersuchung hat sich meine Wahrnehmung dieses Verhältnisses stark verändert. Die Ausgangsüberlegung vor der Feldforschung basierte auf folgendem Modell: Firmenideologie (FI) und Belegschaftskultur (BK) waren also zunächst zwei Kreise, die sich zwar gegenseitig beeinflussen können, jedoch weitgehend eigenständig existierten. Die beiden Kreise können, so meine urspüngliche Vermutung, entweder zwei Pole darstellen oder sich teilweise überschneiden. Mit zunehmender Dauer der Arbeit erwies sich dieses Modell jedoch als nicht haltbar. Wenn die Firmenideologie, wie sich nach und nach deutlicher herauskristallisierte, durch eine totale Präsenz charakterisiert ist, steht dies im Widerspruch zu meinen Ausgangsüberlegungen. Es war also erforderlich, die Beziehung zwischen Firmenideologie und Belegschaftskultur so zu präsentieren, daß die totale Präsenz der Ideologie zum Ausdruck kommt. Jetzt am Ende der Arbeit würde ich dieses Modell vorschlagen: Noch immer können sich Firmenideologie und Belegschaftskultur gegenseitig beeinflussen. Allerdings wird auf diese Weise betont, daß sich bei GT eine Belegschaftskultur nur innerhalb des firmenideologischen Systems formiert. Sie muß sich, ob distanzierend, kritisch oder affirmativ, ob instrumentell und eigene Interessen bedienend, auf die GT-Ideologie beziehen. Firmenideologie 1. Die GT-Deutungselite unternimmt beträchtliche Anstrengungen, um die Firmenideologie zu etablieren und zu einem alles dominierenden Bedeutungssystem auszubauen. Die Ideologie war also nicht einfach schon immer da, sondern wurde, vor allem im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte, mit großem Engagement produziert, entwickelt und in Form gebracht. Im Laufe dieses Prozesses sind immer mehr firmenideologische Begriffe ins Spiel gebracht worden. Die ebenfalls ansteigenden Bemühungen, einige zentrale Begriffe zu definieren, haben letztendlich das genaue Gegenteil bewirkt und eine semantische Vagheit hervorgerufen, die einerseits ein nützliches Machtinstrument für die Ideologieproduzenten darstellt, andererseits jedoch auch der Belegschaft interpretatorische Freiräume bei der Aneignung der Ideologie ermöglicht. Inzwischen ist die GT-Ideologie durch eine totale Präsenz charakterisiert. Zur Veröffentlichung der firmenideologischen Rhetorik stehen immer mehr Medien zur Verfügung. War zunächst die Betriebszeitung das alleinige Organ, nutzt die GT-Deutungselite inzwischen auch Broschüren, Plakate, Videos und Einführungsseminare zur Vermittlung der Firmenideologie. 2. Die GT-Firmenideologie ist weniger autonom, als dies von ihren Produzenten und ihren Konsumenten behauptet wird. Während sowohl die Deutungselite wie auch die Belegschaft permanent auf die "gewachsene Kultur" und auf "unsere ganz besondere Kultur" verweisen, zeigt die Analyse des Ideologisierungsprozesses, daß der firmenideologische Boom bei GT exakt zu dem Zeitpunkt einsetzte, als sich in den westlichen Industriegesellschaften mit "Unter- nehmenskultur" eine neue Leitidee durchzusetzen begann. Der zeitgleiche Boom der GTFirmenideologie mit der Entdeckung der "Unternehmenskultur" in der Wissenschaft und bei den betrieblichen Praktikern ist das erste Argument, das die konstatierte Autonomie der "GTFirmenkultur" relativiert. Das zweite Argument, das eine Abhängigkeit der GT-Ideologie von generellen gesellschaftlichen Entwicklungen indiziert, bezieht sich auf die Inhalte des normativen Systems. Die GT-Ideologie speist sich aus einem postmaterialistischen Wertekanon und bietet mit Schlagworten wie Informalität, Kreativität, Selbstverwirklichung, Flexibilität, Verantwortung und Vertrauen ein normatives Set an, das spätestens seit Beginn der 80er Jahre gesellschaftlich anerkannt und en vogue ist, und das von Beschäftigten mit hohen subjektiven Ansprüchen an ihre Arbeit geradezu eingefordert wird. 3. Die GT-Firmenideologie ist ein hegemoniales Instrument zur Definition von betrieblicher Realität. Das management of meaning funktioniert, indem die Deutungselite vorgibt, im Namen von allen zu sprechen. Es dient ihr zur Herstellung von normativer Kontrolle. Die Ideologie hat also systemerhaltende Funktionen. Die Ausübung von normativer Kontrolle ist sicherlich die subtilste Kontrollform, da sie primär auf die Wahrnehmung und auf die Gefühle der Beschäftigten zielt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß GT auf andere, weniger subtile Kontrollformen verzichtet. Die normative Kontrolle ist vielmehr als eine Ergänzung zu traditionelleren Kontrollformen zu begreifen. Allenfalls könnte man sagen, daß diese zugunsten der normativen Kontrolle etwas in den Hintergrund treten. 4. Die GT-Firmenideologie ist deshalb so präsent, weil sie nicht bloße Rhetorik ist. Im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen, die sich ab Mitte der 80er Jahre eine "Firmenkultur" zulegten, zeichnet sich die GT-Ideologie gerade dadurch aus, daß sie nicht in der Luft hängt, sondern eingebunden ist in ein Gewebe von betrieblichen Strukturen und Praktiken, die die firmenideologische Rhetorik begleiten und unterstützen. Für die Eingebundenheit der Ideologie in betriebliche Strukturen seien hier zwei Beispiele genannt: Das "management by objectives" ist nicht nur ein Begriff oder eines der dreizehn Merkmale auf dem "Firmenkultur"Plakat, sondern eine konkrete Managementstrategie, die im jährlichen Mitarbeitergespräch ihren Ausdruck findet. Auch die sogenannte "open-door-policy" ist nicht nur Rhetorik, sondern ebenso in irgendeiner Weise Realität - die Großraumbüros zeugen davon. Neben den betrieblichen Strukturen ist die GT-Ideologie auch in alltäglichen Praktiken präsent. Hierzu gehören arbeitsbezogene Routinen und Rituale wie Ansprachen oder meetings ebenso wie Feiern oder informelle Zusammenkünfte wie beerbusts und Kaffeepausen. Bei diesen Routinen und Ritualen wird die Firmenideologie von der bloßen Rhetorik in Praxis transformiert. Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie 1. Zunächst zeigt die Ethnographie, daß der Begriff Belegschaftskultur, sofern er Homogenität suggeriert, natürlich sehr brüchig ist. Die Belegschaft ist ein komplexes Gebilde, das viele unterschiedliche Gruppen umfaßt. In hierarchischer wie auch in geschlechts-, alters-, abteilungs- und berufsspezifischer Hinsicht bilden sich unter dem Dach der Belegschaft verschiedene Gruppen heraus. Diese sind nicht nur soziale Gruppen, sondern Gruppen mit je spezifischen 'Kulturen', das heißt, sie unterscheiden sich voneinander durch eine je spezifische Wahrnehmung der Firmenideologie und einen je spezifischen Umgang mit derselben. Durch das Zusammenspiel von hierarchischen, berufs- und geschlechtsspezifischen Faktoren bilden sich bei GT insbesondere drei deutlich voneinander unterscheidbare "Kulturen" heraus: die der Sekretärinnen, der Ingenieure und Ingenieurinnen und schließlich die der Manager. In dieser Beziehung zeigt sich also eine deutliche Kluft zwischen den impliziten Botschaften der Firmenideologie und der betrieblichen Realität. Während das vergemeinschaftende Vokabular der Ideologie Unterschiede zwischen den Beschäftigten ignoriert oder gar negiert, sind gruppenspezifische Differenzen im Arbeitsalltag nicht zu übersehen. Ironischerweise zeigen sich diese Unterschiede gerade bei der Rezeption der GT-Ideologie. 2. Auch eine andere implizite Botschaft der Firmenideologie findet in Reinform im Arbeitsalltag keine Entsprechung. Während die GT-Ideologie Interessensunterschiede zwischen den einzelnen Beschäftigten und dem Unternehmen zu verschleiern bemüht ist, sind die Beschäftigten gezwungen, Grenzen zu ziehen und sich vor dem betrieblichen Zugriff auf den "ganzen Menschen" zu schützen. Solche Grenzziehungen erfolgen in zeitlicher, sozialer oder motivationaler Hinsicht. Auch ideologische Grenzziehungen sind zu beobachten: Wenn die firmenideologische Rhetorik zu laut und zu aufdringlich präsentiert wird, was etwa am Beispiel des "GT-Firmenkultur"-Plakats gezeigt wurde, reagieren die Beschäftigten mit deutlichen Distanzierungen und mit Äußerungen wie "Propaganda", "brainwashing", "wishful thinking" oder "animal farm". Insgesamt sind die Grenzziehungen jedoch wenig ausgeprägt. Zumeist kommt es dabei zu keinen Konflikten mit der Firma, und es ist zu vermuten, daß die Organisation mit den Grenzziehungen ihrer Beschäftigten gut leben kann. So stellen etwa die täglichen Kalendereinträge der Arbeitszeiten eines Ingenieurs die große Ausnahme dar. Dieses Beispiel verweist vor allem auf die Regel bei der Mehrzahl der Beschäftigten: auf freiwillige und unbezahlte Überstunden. 3. Die Beschäftigten sind der Firmenideologie - trotz deren totaler Präsenz - keineswegs hilflos und ohnmächtig ausgeliefert. Vielmehr haben sie - vielleicht sogar wegen ihrer totalen Präsenz die Möglichkeit, die GT-Ideologie zu deuten und ihre unterschiedlichen und zumeist vagen Themen und Inhalte zu gewichten. Auf diese Weise können sie innerhalb und im Rahmen des firmenideologischen Systems bis zu einem gewissen Grad ihre subjektiven Bedürfnisse realisieren. Von dieser Möglichkeit machen sie im Arbeitsalltag permanent Gebrauch. So sind die gruppenspezifischen Aneignungsweisen der Firmenideologie selektiv. Sie korrespondieren mit je spezifischen Interessen von Sekretärinnen, Ingenieuren/innen und Managern: Alle drei beruflichen Gruppen stellen vor allem solche Inhalte der GT-Ideologie in den Vordergrund, die entweder ihre Tätigkeiten anerkennen oder ihre jeweilige Position im hierarchischen Gefüge stärken: Sekretärinnen betonen die symbolische Gleichheit, das informelle Klima und das Engagement der Firma für die Beschäftigten. Ingenieure und Ingenieurinnen heben die individuelle Arbeitsgestaltung und die informellen Arbeitsbeziehungen hervor, und Manager picken sich aus der GT-Ideologie primär den Führungsstil als zentrales Element heraus. Auch die (bedingt) gruppenspezifischen Grenzziehungen zur Firma korrespondieren mit je gruppenspezifischen Interessen: So konnte gezeigt werden, daß etwa Sekretärinnen im Unterschied zu Ingenieuren/innen und Managern deutlicher zeitliche Grenzziehungen vornehmen, während die in zeitlicher Hinsicht stark beanspruchten Manager im Unterschied zu anderen Gruppen zum Schutz ihres Privatlebens eher soziale Grenzen ziehen. 4. Insgesamt reproduzieren die Beschäftigten die Firmenideologie. Vor allem die Minifallstudien haben dies verdeutlicht. Am Beispiel der drei Feiern wurde gezeigt, wie die GT-Rhetorik in Praxis transformiert und dabei an spezifische Situationen und Anlässe angepaßt wird. Auch der Diskurs über Kleidung indiziert, daß die Beschäftigten die GT-Ideologie aufrechterhalten. Nun bliebe nach den Gründen und Motivationen der Beschäftigten für diese Praxis zu fragen: Warum reproduzieren sie ein Bedeutungssystem, das ihnen zwar, wie bereits konstatiert, bis zu einem gewissen Grad einen Spielraum bietet, um ihre eigenen Interessen nutzbar zu machen, das jedoch vor allem ein autoritäres und hegemoniales Bedeutungssystem ist? Diese Frage kann ich nicht beantworten. Hierfür wäre eine Folgeuntersuchung notwendig. Eine Vermutung sei an dieser Stelle dennoch geäußert: Wahrscheinlich ist der Nutzen, den die Beschäftigten aus der Aufrechterhaltung der Firmenideologie ziehen, größer als eine Infragestellung der GT-Ideologie. Solange sich die Rhetorik nicht zu weit von der betrieblichen Realität entfernt, haben die Beschäftigten immerhin die Chance, unerwünschte Zustände mit Hilfe der Ideologie zu kritisieren. Dies ist traurig und erleichternd zugleich. Literaturverzeichnis ABRAVANEL, Harry (1983): Mediatory myths in the service of organizational ideology. 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Ist Ihnen aus dieser Zeit noch ein Erlebnis im Gedächtnis? - Was ist Ihnen in der Anfangszeit besonders aufgefallen? - Hat sich Ihr erster Eindruck bestätigt? - Hat sich im Betrieb im Laufe der Zeit etwas verändert, das mit dem ersten Eindruck nicht übereinstimmt? - In jeder Firma gibt es ungeschriebene Regeln und Gesetze. Neulinge werden oft mit Tips und Ratschlägen versorgt, um die ungeschriebenen Regeln nicht zu verletzen. Welche solcher informeller Tips hat man Ihnen gegeben (Über Betrieb/Chef/Umgangsformen/Kleidung/Arbeitsstil)? - Wenn man neu ist, muß man sich zwangsläufig auf den Betrieb einstellen und vielleicht einige Gewohnheiten umstellen. Wo hat es bei Ihnen sofort geflutscht, was kam Ihnen entgegen? Wo war die Einfindung nicht so unkompliziert? GT-way - Wie sieht die typische GT'lerin aus? Was ist das für eine Frau (Erscheinung, Kleidung, Umgangsformen, Charakter, Arbeitsweise)? Wie sieht, im Vergleich zur typischen, die ideale GT'lerin aus? - Jetzt zu den Männern. Erst der typische, dann der ideale GT'ler. - Was sind Ihrer Ansicht nach die drei wichtigsten Merkmale der Firmenkultur von GT? - Welche Bedeutung haben diese Werte für Sie? Warum? - Was ist bei GT anders als bei anderen Firmen? - Ein so großer Betrieb ist ja permanent Veränderungen ausgesetzt. Hat es auch im Bereich der Unternehmenskultur in den letzten Jahren Veränderungen gegeben? Hat sich in den letzten Jahren der Führungsstil verändert? - Was bedeutet eigentlich der GT-way ganz genau? Wie kann man ihn einem Fremden erklären? - Was wäre ein eklatanter Verstoß gegen den GT-way? Fallen Ihnen konkrete Beispiele ein? - Was bringt der Firma GT der GT-way? - Ist der GT-way eigentlich nur positiv oder hat er auch eine strukturelle Schattenseite, die sich für die Firma ungünstig auswirkt? - Es wird oft gesagt, der GT-way sei in den letzten Jahren ein wenig verlorengegangen? Stimmt das? Wenn ja, welche Gründe machen Sie dafür verantwortlich? - Welche Rolle spielt bei GT der Betriebsrat? Identifikation - Ist es für Sie etwas Besonderes, bei GT zu arbeiten? - Lesen Sie regelmäßig den "puls"? Im Betrieb oder daheim? - Identifizieren Sie sich mit dem Betrieb oder ist es nur ein Job für Sie, den man eben runterreißt? - Hat sich, seit Sie bei GT arbeiten, etwas in Ihrer Freizeit verändert? - Haben Sie Freunde/Freundinnen im Betrieb, mit denen Sie sich auch außerhalb der Arbeitszeit treffen. Wie viele, wie oft? - Oft wird gesagt, daß man bei GT die Privatsphäre nicht so gut von der Arbeit trennen könne. Stimmt das? Wie schützen Sie ihre Privatsphäre? Informelle Kommunikation - Hat die Möglichkeit zu einem Schwatz während der Arbeitszeit in den letzten Jahren eher aboder eher zugenommen oder hat sich nichts verändert? - Worauf führen Sie das zurück? - Wie wichtig sind Ihnen solche informellen Plaudereien? - Welche Funktion haben für Sie nicht-arbeitsbezogene Gespräche? - Kann man bei GT viele Gefühle zeigen? - Beschreiben Sie bitte kurz Ihr Verhältnis zu Ihrem Vorgesetzten? - Ergreift Ihr Chef auch manchmal die Initiative zu einem kleinen privaten Gespräch? Wann? Worüber wird dann geredet? Kommen Sie manchmal auch zu ihm mit persönlichen Angelegenheiten? - Wie war Ihr letztes Mitarbeitergespräch (atmosphärisch, inhaltlich)? Rituelle Handlungen - Bei GT reden sich alle mit dem Vornamen an. Was halten Sie von dieser Regelung? Warum? Wie war es anfangs für Sie (Hemmungen, Vermeidungsversuche)? Kann es manchmal auch zu krampfigen Situationen kommen? - Wie offen ist die open-door-policy? Gibt es unsichtbare Türen? - Gibt es im Großraum Statussymbole, an denen man die hierarchische Ordnung erkennen kann? - Bei GT sagen viele nicht "Das ist mein Chef/Boss/Vorgesetzter", sondern sie sagen "Ich reporte/berichte an ihn." Warum? Welche dieser beiden Formulierungen ist Ihnen lieber? - Was halten Sie von dem GT-Jargon mit seinen vielen englischen und englisch-eingedeutschten Begriffen? Warum unterhält man sich hier so? Hat der Jargon Auswirkungen auf das Gemeinschaftsgefühl? Kennen Sie jemand, der sich dem Jargon völlig entzieht? - Warum gibt es bei GT den Kaffee gratis? - Warum sagen mir alle, daß ich mich an die Kaffeetische stellen soll, um die Firmenkultur zu untersuchen? - Stehen Sie auch manchmal an den Kaffeetischen? Wann? In welcher Situation? Über was wird dann geredet? - Wurde die Kaffeetischkultur früher intensiver gepflegt? - Gibt es in Ihrem Bereich ab und zu mal kleinere Feiern, zum Beispiel Geburtstagsfeiern? Wie ist denn die letzte verlaufen (Alkohol, Gesprächsthemen, Teilnehmer/innen, Vorbereitung etc.)? Konflikte - Wird bei GT die Firmenkultur eher durch das Management definiert oder sind alle an der Ausformung der Firmenkultur beteiligt? Beispiele. - Gibt es denn informelle Kleidungsregeln, an die man sich halten sollte? Passiert es manchmal, daß man wegen der Kleidung kritisiert wird? - Seit neuestem gilt bei GT das Rauchen als unerwünscht. Wie kam es denn zu diesem Beschluß? - Trägt der GT-way eigentlich zur Konfliktvermeidung bei? Oder führt er dazu, daß man mit Interessenunterschieden anders umgeht als in anderen Firmen? - Wird aufgrund des GT-way der Betriebsrat überflüssiger oder scheint es nur so? - Wird bei Ihnen in der Abteilung viel geschimpft? Worüber? - Erinnern Sie sich an eine Intrige? - Warum sind bei GT die Frauen in höheren Positionen so unterrepräsentiert? - Hilft der GT-way den Frauen zur Durchsetzung ihrer Interessen? Wird durch ihn die Gleichberechtigung ein wenig größer? - Gibt es in Ihrer Abteilung Eigenbrötler und Dickköpfe? - Haben Sie manchmal das Gefühl, daß Sie Erwartungen, die das Unternehmen an Sie hat, nicht erfüllen wollen? Wie verhalten Sie sich dann? - Wie macht man bei GT Karriere? - Wann wird man bei GT entlassen? Konkrete Beispiele. - Angenommen, die Hälfte aller Beschäftigten müßte entlassen werden: Bei welcher Hälfte wären Sie? Warum? Utopisches - Wie sähe Ihr Wunscharbeitsplatz aus? - Was würden Sie bei GT verändern, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten? 2. Fragebogen 1. Wenn die Firma ein Tier wäre, welches würden Sie wählen, um GT zu beschreiben? 2a. Ein Mitarbeiter hat zu mir gesagt: "GT ist ein Biotop." Ist dieses Bild schlüssig für Sie? Wo hinkt es, wo paßt es? 2b. Angenommen, GT wäre ein Biotop. Was für ein Biotop wäre es Ihrer Ansicht nach, wie würde es aussehen? 3. "Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser." Paßt dieses auf den Kopf gestellte Sprichwort zu GT? 4. Welche drei Assoziationen fallen Ihnen zum GT-Picknick ein? 5. Die Firma wird oft als Familie bezeichnet. Was verbinden Sie mit dem Begriff "GT-family"? 6. Angenommen, die Firma würde aus Kostengründen das Frühstück einsparen: Wie würden Sie darauf reagieren? 7. Im neuen "puls" erklärt ein GT-Mitarbeiter im Anschluß an ein Seminar zum Thema "Führen mit Vision": "Bisher war ich der Meinung, daß man als Visionär geboren sein muß. Inzwischen weiß ich es besser. In jedem von uns steckt ein Visionär und jeder ist auch fähig, seine Visionen umzusetzen. Es müssen nur ein paar Randbedingungen beachtet werden." Inwiefern teilen Sie seine Aussage? 8. Was fällt Ihnen zum Stichwort "Garage" ein? 9. Bitte beschreiben Sie in einer Schagzeile das Verhältnis von GT zu anderen Firmen bzw. zur bundesdeutschen Firmenlandschaft. Alternative hierzu: Sie können auch ein Bild zeichnen. Was wäre GT, was die anderen Firmen? 10. "Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Gut." So umschreibt GT in der Regel sein Verhältnis zu den Beschäftigten. Welches Verhältnis haben Sie zu GT? Bitte beantworten Sie die Frage, indem Sie auf die oben erwähnten Firmenbilder zurückgreifen und sich selbst in dieses Bild einfügen. a. Wenn die Firma ein/eine__________ (Tier) ist, dann bin ich______________. b. Wenn die Firma ein Biotop ist, dann bin ich________________. c. Wenn die Firma eine Familie ist, dann bin ich________________. 11. Zusatzfrage: Vielleicht wollen Sie mir ein Feedback geben. Wie bewerten Sie diesen Fragebogen? Hiermit erkläre ich, daß ich die Arbeit selbst verfaßt und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Tübingen, den 14.3.1996