Gesa Lindemann
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Books by Gesa Lindemann
Three aspects are of particular importance to the author. First: modern society is characterized by a morally charged demarcation between persons and other beings. Second: an analysis of modern sociation must include the constitutive significance of violence for the formation of social order. Third: modern sociation is characterized by extraordinarily dynamic technical developments, which are largely driven by the economy.
Actor-Networktheory and Anthropology (Descola) have questioned that only living human beings can be social actors. How must a theory of the social be constructed that understands the circle of legitimate actors as historically contingent.
If the circle of legitimate actors is open to question, one cannot any longer presuppose that there is a universal distinction between nature and culture. Instead a general theory of the social has to understand the nature-culture distinction as particular form of making sense of the world.
A particular order of making sense of the world cannot be grasped as only a social order, instead materiality (body and artefacts), time and space as well as symbols have to be understood as dimensions of order building. This has to be recognized by a general theory of the social.
Violence has been introduced by various empirical studies as a structuring power of social processes, but so far violence has not been recognized as a part of a general theory of the social.
Herewith “Approaches to the World” combines three strands of recent debates: The debates on the necessity of a theoretical turn (like the linguistic turn, material turn, body turn, pictorial turn oder spatial turn), second the debates on the actor status of non-humans and the borders of the social world and third the discussions on the relevance of violence for structuring social processes. Finally Weltzugänge formulates a perspective for a theory of society, in order to
builds pathways of critical self-reflection into the research process and thus retains awareness of its inherent presuppositions.
Papers by Gesa Lindemann
Three aspects are of particular importance to the author. First: modern society is characterized by a morally charged demarcation between persons and other beings. Second: an analysis of modern sociation must include the constitutive significance of violence for the formation of social order. Third: modern sociation is characterized by extraordinarily dynamic technical developments, which are largely driven by the economy.
Actor-Networktheory and Anthropology (Descola) have questioned that only living human beings can be social actors. How must a theory of the social be constructed that understands the circle of legitimate actors as historically contingent.
If the circle of legitimate actors is open to question, one cannot any longer presuppose that there is a universal distinction between nature and culture. Instead a general theory of the social has to understand the nature-culture distinction as particular form of making sense of the world.
A particular order of making sense of the world cannot be grasped as only a social order, instead materiality (body and artefacts), time and space as well as symbols have to be understood as dimensions of order building. This has to be recognized by a general theory of the social.
Violence has been introduced by various empirical studies as a structuring power of social processes, but so far violence has not been recognized as a part of a general theory of the social.
Herewith “Approaches to the World” combines three strands of recent debates: The debates on the necessity of a theoretical turn (like the linguistic turn, material turn, body turn, pictorial turn oder spatial turn), second the debates on the actor status of non-humans and the borders of the social world and third the discussions on the relevance of violence for structuring social processes. Finally Weltzugänge formulates a perspective for a theory of society, in order to
builds pathways of critical self-reflection into the research process and thus retains awareness of its inherent presuppositions.
Helmuth Plessner "Die Stufen des Organischen und der Mensch" unter besonderer Berücksichtigung von Plessners Theorie der Mitwelt.
Alltagsgeschäft der einen besteht aus empirischer, d.h. in diesem Fall experimenteller,
Forschung, während das der anderen aus der Reflexion auf Begriffe besteht, in die gelegentlich
beispielhaft subjektive Erfahrungen oder Ergebnisse empirischer Forschungsarbeit einfließen.
An Sonn- und Feiertagen kommen einige Hirnforscher zu den Philosophen zu Besuch und
beteiligen sich an der Reflexionsarbeit. Umgekehrte Ausflüge gibt es zumindest im
deutschsprachigen Raum nicht. Kein Philosoph betreibt empirische Hirnforschung. In die auf
dieser Arbeitsteilung basierende Debatte möchte ich eine neue Perspektive einführen, deren
Grundlage ein Alltagsgeschäft der dritten Art ist, nämlich das der soziologisch-empirischen
Erforschung der Neurowissenschaften, speziell der experimentellen Hirnforschung. Mit der
letzteren teilt die dritte Perspektive im Prinzip die empirische Ausrichtung. Allerdings ist die
Art des empirischen Fragens nicht so weit von einer philosophischen Reflexion entfernt, wie es
bei der experimentellen Hirnforschung der Fall ist.
Das sich aus dieser Gesamtkonzeption ergebende Verständnis von Erklären und Verste-hen weist eine besondere Pointe auf. Die Begründung der Methoden geisteswissenschaftli-chen Verstehens mache es nämlich erforderlich, eine Theorie der menschlichen Person zu entwickeln, denn diese wird als Trägerin der geschichtlichen Prozesse verstanden. Es ist die Person, deren Ausdruck den Gegenstand des sozial- und geisteswissenschaftlichen Verste-hens bildet. Als menschliche ist die Person nun nicht nur ein immaterielles Geistwesen, sondern ebensosehr ein materiell physisches Wesen. Dieser Sachverhalt müsse Plessner zufolge als grundlegend für die sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung berücksich-tigt werden. Es geht für Plessner also nicht nur darum, das Verste-hen gesellschaftlich-historischer Prozesse als wissenschaftliches Verfahren zu begründen, sondern ebenso um einen rational begründeten verstehenden Zugang zur Natur. Dieses Naturverständnis muß notwendigerweise sein Verhältnis zum naturwissenschaftlichen Na-turverständnis reflektieren, da dieses den bis dahin einzig rational begründeten Zugang zur Natur darstellt. Diesem Anspruch versucht Plessner gerecht zu werden, indem er den ver-stehenden Zugang zur Natur als Reflexion der naturwissenschaftlichen Forschung begreift. Es handelt sich bei Plessners Theorie des Lebendigen also einerseits um einen methodisch eigenständigen verstehenden Zugang zur Natur, der andererseits zugleich eine Reflexion des naturwissenschaftlichen Naturverständnisses darstellt.
und deren institutionell-symbolische Vermittlung systematisch miteinander verbunden werden. Damit rückt das Verhältnis von materiellem Handeln und den institutionellen Regeln des Handelns in den Mittelpunkt. Zudem bezieht die Theorie
reflexiver Technikentwicklung die Raum-Zeit-Struktur leiblich-technisch-sozialer Verkettungen systematisch ein. Dies ermöglicht es, die Entwicklung von einer leibnahen Werkzeugtechnik über Maschinentechnik hin zu kybernetischer
Steuerungstechnik systematisch rekonstruieren und in ihrer Dynamik erfassen zu können.
Neben allen Bequemlichkeiten ist die digitale Welt dadurch gekennzeichnet, dass eine Unmenge an mathematisch verarbeitbaren Daten entsteht, die in automatisierter Weise gesammelt und ausgewertet werden können. Dieses Wissen steht denjenigen zur Verfügung, die es sich technisch zugänglich machen können. Im Netz sammelt jeder, der es technisch kann, über jeden, der das technisch nicht verhindert, so viele Daten, wie es ihm technisch möglich ist. Diejenigen, die wissen können, „wissen alles“ (Hofstetter 2014). Dass hierin etwas qualitativ Neues liegt, wird deutlich, wenn man die Aufmerksamkeit darauf lenkt, in welchem Ausmaß die technologischen Möglichkeiten der Vernetzung des gesamten Lebens in die digitale Welt gesteigert werden. Der damit einhergehende Umbruch ist wahrscheinlich nur mit der Erfindung des motorisierten Individualverkehrs vergleichbar. Das von einem Menschen gesteuerte Auto war/ist das Symbol individueller Freiheit, die sich erfolgreich sozialen Kontrollen entziehen kann. Jeder konnte sich als automobiles Individuum von Ort zu Ort bewegen und die räumlichen Grenzen seiner sozialen Herkunft verlassen.
Mit der Durchsetzung der Netztechnologie wird die Ära dieser individuellen Freiheit zu Ende gehen. Denn wir treten ein in die Ära der „Totalöffentlichkeit in der Matrix der digitalen Raumzeit“, deren Selbstverständlichkeit auf der Verschränkung von Leib und Nexistenz beruht.
Forschungsperspektive. Im Rahmen einer relationalen Perspektive wird danach gefragt,
wie in relational strukturierten Transaktions- oder Kommunikationsprozessen Akteursidentitäten
entstehen. Als Vertreter relationaler Ansätze können etwa H arrison C. White, Charles Tilly oder
Niklas L uhmann gelten. In einer relationistischen Perspektive wird danach gefragt, wie in relational
strukturierten Kommunikationsprozessen festgelegt wird, welche Entitäten überhaupt als operativ
relevante Einheiten anzuerkennen sind und wie diese eine je spezifische Identität entwickeln.
Vertreter dieser Richtung sind z. B . B runo L atour sowie die an H elmuth Plessner anschließenden
Autoren, die die G renzen der Sozialwelt analysieren. Wenn die G renzen der Sozialwelt kontingent
gesetzt werden, bedarf es eines triadisch strukturierten Kommunikationsbegriffs. N ur mithilfe
eines solchen konzeptuellen Rahmens können aus einer soziologischen B eobachterperspektive
die entscheidenden G renzziehungsprozesse rekonstruiert werden. D ie im triadischen Kommunikationsbegriff
angelegte Struktur sozialer Reflexivität wird im letzten Abschnitt anhand von vier
Sinndimensionen (zeitlich, sachlich, sozial, räumlich) in ihrer B edeutung für die Analyse sozialer
Ordnung expliziert."
In der Sozialtheorie sind dyadische Konzepte von Sozialität der dominierende Ausgangspunkt der
Konzeptualisierung sozialer Beziehungen und der damit zusammenhängenden Entstehung sozialer Ordnung. Der Dritte
wird seit Simmel zwar immer wieder als Ergänzung der Dyade eingeführt, bleibt aber in seiner systematischen Relevanz
für die Theoriebildung unklar. Ein Grund dafür ist das spezifische Bezugsproblem dyadischer Sozialitätskonzeptionen:
die doppelte Kontingenz zwischen Ego und Alter. Der Dritte wird erst dann systematisch relevant, wenn das Bezugs-
problem erweitert und es als offene Frage behandelt wird, welche Entitäten füreinander als Alter Ego auftreten kçnnen.
Ausgehend von diesem Problem, das ich im Anschluss an Plessner als Problem der Kontingenz der Mitwelt behandle,
wirft der Beitrag die Frage auf, wie sich die Differenzierungsform der modernen Gesellschaft als Ausdifferenzierung
funktionaler Teilbereiche alternativ zu handlungs- und systemtheoretischen Konzepten begreifen lässt. Anhand einzelner
Funktionsbereiche lässt sich zeigen, dass sich funktionale Teilbereiche im Sinne unterschiedlich strukturierter Dritten-
konstellationen begreifen lassen. Ich diskutiere dies am Beispiel von Wissenschaft, Wirtschaft sowie Politik und Recht.
Summary:
Dyadic notions of sociality are often used as basic concepts for understanding social relations and the emer-
gence of social order. Although Simmel had already introduced the notion of the third actor in addition to the dyad, the
systematic relevance of the third actor for social theory has remained unclear. One reason for this is that dyadic concepts
of sociality are consistently coupled with the problem of double contingency between Ego and Alter. The third actor,
Tertius, becomes a necessary consideration only once the elementary understanding of the problem of social order is ex-
tended. This extension is brought about by complementing the question how the problem of double contingency is sol-
ved with the question as to which entities will consider one another as Alter Ego respectively. Following Plessner’s theo-
ry of the shared world, the second problem is described here as the “problem of contingency of the shared world”. The
solution of the latter problem defines which entities confront one another in relations of double contingency. In this per-
spective concrete actions and communications are treated as solutions to two basic problems: the problem of contingen-
cy of the shared world and the problem of double contingency between actors. With reference to these elementary prob-
lems this contribution offers a revised concept of functional differentiation as an alternative to traditional approaches in
systems and action theory. Functionally differentiated realms of society, in this perspective, can be described as being ac-
complished in and through triadic relations structured in patterns specific to particular functional realms. This idea is
explored by discussing science, the economy, and law/politics as examples.
In diesem Aufsatz werden die verhältnismäßig kleine Tradition der Analyse der Grenzen der Sozial-
welt und die große, weithin anerkannte Tradition der Theorie sozialer Differenzierung (insbesondere die Theorie funk-
tionaler Differenzierung) miteinander ins Gespräch gebracht. Der Aufsatz untersucht, wie Grenzregime zwischen sozia-
len Personen und anderen Entitäten unterscheiden, und diskutiert die Frage eines immanenten Zusammenhangs zwi-
schen dem Grenzregime einer Gesellschaft und der dominanten gesellschaftlichen Differenzierungsform, und zwar für
die funktional differenzierte Gesellschaft und für stratifikatorisch differenzierte Gesellschaften. Für die funktional diffe-
renzierte Gesellschaft zeigt sich, dass diese Differenzierungsform daran gebunden ist, dass nur lebendige Menschen so-
ziale Personen sein können. Dieser Zusammenhang wird im Anschluss an Luhmanns These ausgearbeitet, wonach die
Grundrechte als tragende Institution der funktional differenzierten Gesellschaft zu begreifen sind. Die Moderne basiert
auf einem kognitiv-normativen Institutionenkomplex: auf den Menschenrechten einerseits und andererseits auf dem
Menschen als Gattung, die aus prinzipiell gleichartigen Individuen besteht. Das Grenzregime stratifikatorisch differen-
zierter Gesellschaften kommt ohne solche kognitiv-normativ universellen Annahmen aus: Der Kreis möglicher Akteure
wird situativ und fallbezogen begrenzt. Wenn der Institutionenkomplex Mensch-Menschenrechte als Bedingung der
funktional differenzierten Gesellschaft zu begreifen ist, stellt sich die Frage, welche Bedeutung den Exklusions- und Un-
terdrückungsexzessen zukommt, die die Bildung moderner demokratischer Staaten begleitet haben. Dieses Problem wird
abschließend diskutiert.
eine Neuinterpretation von Plessners Theorie der "exzentrischen Positionalität", die aufzeigt, daß Plessner das Anliegen der Anthropologie, die Besonderheit des Menschen zu begründen, reflexiv wendet. Auf diese Weise gerät in den Blick, daß Anthropologie nur eine mögliche Form darstellt, den Kreis sozial existierender Individuen zu schließen. Wer ein sozialer Akteur ist, ist eine Frage, deren Antwort nicht von vomherein feststeht, sondern deren Beantwortung empirisch rekonstruiert werden muß.
Lindemann geht dabei immer wieder auf unser unmittelbares Erleben zurück. Sie fragt danach, wie die Strukturen der modernen Gesellschaft unser unmittelbares Zusammenleben bestimmen – wie wir einander ansehen, miteinander und gegeneinander handeln und einander berühren. Das Ergebnis ihrer Analyse ist zwiespältig: Die grundlegenden Strukturen unserer Gesellschaft werden sich nicht verändern, obwohl die Ordnung unserer alltäglichen Berührung sich verändern wird.
Zugleich zeigt sich in Zeiten von Corona, wie die moderne Gesellschaft immer wieder emanzipatorische Hoffnungen nährt, dass z.B. auch tiefverwurzelte rassistische Strukturen verändert werden können. Die Krise scheint das Ethos der Menschenrechte nicht zu beschädigen. Eher rücken soziale Ungleichheit und strukturelle Gewalt ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Davon zeugt nicht zuletzt die Black Lives Matter Bewegung.
Für die Autorin sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung. Erstens: Die moderne Gesellschaft zeichnet sich durch eine moralisch aufgeladene Grenzziehung zwischen Personen und anderen Wesen aus. Zweitens: Eine Analyse der modernen Vergesellschaftung muss die konstitutive Bedeutung von Gewalt für soziale Ordnungsbildung einbeziehen. Drittens: Moderne Vergesellschaftung zeichnet sich durch außerordentlich dynamische technische Entwicklungen aus, die maßgeblich durch die Wirtschaft vorangetrieben werden.
1. Die Stellung des Tieres in der Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland 3
1.1 Das deutsche Tierschutzgesetz 3
1.2 Das Tier als Mitgeschöpf – „Tiere sind keine Sachen“ (§90a BGB) 14
1.3 Tierschutz mit Verfassungsrang (Artikel 20a GG) 16
2. Das US-amerikanische Tierschutzrecht 21
2.1 Animal Welfare Act 21
2.2 Tiere als Rechtssubjekte – „Standing“ von Tieren 27
3. Das japanische Tierschutzgesetz 35
3.1 Die Entwicklung der japanischen Tierschutzgesetzgebung 35
3.2 Zur parlamentarischen und rechtswissenschaftlichen Debatte 44
3.3 Rechtskultur in Japan (aus der Perspektive der Comparative Law Studies) 56
4. Vergleich der Tierschutzbestimmungen in Deutschland, Japan und den USA 65
Literatur 78
Urteile 85
Wie muss eine allgemeine Theorie des Sozialen aussehen,
• die den Kreis legitimer Akteure als historisch variabel, d.h. als kontingent, begreift, statt ihn selbstverständlicherweise auf den Kreis lebendiger Menschen zu beschränken?
• die die Natur-Kultur-Unterscheidung nicht als gegeben voraussetzt, sondern als eine mögliche Ordnung des Zugangs zur Welt begreift?
• die Ordnung nicht nur als eine Ordnung des Sozialen analysiert, sondern auch Materialität und die Dimensionen von Raum und Zeit einbezieht?
• die Gewalt als ordnungsbildende Kraft begreifen kann?
• die eine Perspektive für die Formulierung einer Gesellschaftstheorie erschließt?
Mit Blick auf die allgemeine Theoriedebatte werden in diesem Buch drei Diskus-sionstränge zusammengeführt: Zum einen das Konglomerat an Debatten um die Notwendigkeit theoretischer Neuorientierungen (»turns« oder »Wenden« wie z.B. linguistic turn, material turn, body turn, pictorial turn oder spatial turn); zum anderen die Problematisierung der Grenzen der Sozialwelt bzw. des Akteursstatus nichtmenschlicher Entitäten; drittens die immer wieder aufflackernden Auseinandersetzungen um die Bedeutung von Gewalt für die Gestaltung sozialer Prozesse.
Die Theorie der Weltzugänge führt diese Aspekte zu einer Theorie mehrdimensionaler Ordnungsbildung zusammen und entwickelt dabei zugleich eine Perspektive für die Ausarbeitung einer Gesellschaftstheorie. Dieser Schritt ist theoriearchitektonisch notwendig, denn dadurch lassen sich die Sozialtheorie und damit auch die durch sie angeleiteten Forschungen reflexiv historisch situieren – dies ist die Voraussetzung für eine rationale Theoriekonstruktion.
Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass Technik in der Sozialdimension nicht nur Menschen bzw. Akteure ersetzt, sondern auch Kommunikation. Dass Technik als Ersatz von Körpern bzw. ihrer Handlungsfähigkeit zu verstehen ist, ist seit Gehlen bekannt und wurde in jüngerer Zeit von Rammert/Schulz-Schaeffer oder von Latour bzw. der ANT prominent gemacht. Darüberhinaus scheint es mir aber auch wichtig, konzeptuell zu erfassen, dass Technik kommunikative Vollzüge bzw. kommunikative Vermittlungen ersetzt. Im Konzept der rekursiven Technikentwicklung werden beide Aspekte zusammengeführt. Das Neue der als Digitalisierung beschriebenen Prozesse zeichnet sich dadurch aus, dass die Automatisierung von Kommunikation schubhaft zunimmt. Als Beispiel können etwa Uploadfilter gelten, die eine rechtliche Bewertung im Rahmen kommunikativer Aushandlungen ersetzen. Derart automatisierte Kommunikationen können auch ausschließlich zwischen Artefakten ablaufen.
Um die Besonderheiten automatisierter Kommunikation zu begreifen, beginne ich mit der Frage, ob und wenn ja wie Erwartungen automatisiert werden können, Denn Erwartungen sind konstitutiv für Kommunikation. Zeitlich bezeichnen Erwartungen einen spezifischen Zusammenhang von Gegenwart und Zukunft. Erwartungen beziehen sich auf Zukünftiges. Der Bezug auf die Zukunft erfolgt derart, dass der gegenwärtiger Zustand eines leiblichen Akteurs durch den Zukunftsbezug bestimmt wird. D.h., die Zukunft, das Noch-nicht-seiende, bestimmt die Gegenwart des Akteurs. Lässt sich diese Struktur in technischen Abläufen ebenfalls finden? Anders gefragt, gibt es in technisierten Abläufen die modale Differenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?
Die Hypothese lautet: Technik funktioniert in einer anderen Zeitform, die ich als digitale Zeit bezeichne. Hier gibt es die Differenz zwischen Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft nicht, sondern nur messbare und daher kalkulierbare Vorher-Nachher-Relationen. Ein Zeitpunkt ist definiert dadurch, dass es messbare Zeitpunkte vorher und messbare Zeitpunkte nachher gibt. Der Zeitpunkt ist dadurch zwar relational bestimmt etwa als 7. Oktober, 12.32 Uhr und 27,487 Sekunden, der als solcher nur besteht, weil es Zeitpunkte vorher und nachher gibt. Diese Zeit kann auf die Zustände von messbar ausgedehnten Körpern angewendet werden, dann würde man von digitaler Raumzeit sprechen. Dann gilt für jeden Zeitpunkt, dass der materielle Zustand eines Dings an diesem Zeitpunkt bestimmt ist: Etwa als positive oder negative Ladung. In diesem Sinn kann auch der Zustand eines menschlichen Körpers, insofern er messbar ausgedehnt ist, positiv erfasst werden. In diesen Fällen gibt es keine Zukunft, die die Gegenwart bestimmt, sondern Nachher Zeitpunkte, mit unterschiedlichen materiellen Zuständen. Technisierung von Kommunikation heißt zeittheoretisch gesehen, die modale Differenz zwischen Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft in kalkulierbare Vorher-Nachher-Relationen zu übersetzen.
Dies hat Konsequenzen für das Verständnis von Normativität der Technik. Dies gilt insbesondere dann, wenn Normativität mit Bezug auf die Differenz zwischen normativen und kognitiven Erwartungen analysiert wird. Lässt sich das spezifische Verhältnis von Zukunft und Gegenwart, das normatives Erwarten bzw. die Verarbeitung der Enttäuschung normativer Erwartungen auszeichnet, in technische Vorher-Nachher-Relationen übersetzen? Die These lautet: Ein Zukunftsverständnis wonach die Zukunft den Akteuren unbekannt, aber im Sinne eines Schicksals vorherbestimmt ist, ist eher in kalkulierbare Vorher-Nachher-Relationen zu übersetzen als ein Zukunftsverständnis, demzufolge die Zukunft offen und damit gestaltbar ist. Abschließend werden die Fragen diskutiert: Welche institutionalisierten Normverständnisse sind mit welchen institutionalisierten Zukunftsverständnissen vereinbar? Und: Welche Konsequenzen hat dies für die Entwicklung von Technik?
These contradictory findings have a basis in a double understanding of individuality, which characterizes modern horizontal sociation. Horizontal differentiation and the institution of the human being, equal in freedom and dignity, secure each other, as Luhmann puts in his analysis of fundamental rights. To safeguard the relationship of mutual precondition between horizontal differentiation and the institution of the individual, requires a balance between the knowledge about individuals in different contexts and the protection of the individual from an excess of knowledge about it. This means, for example, that the knowledge of an organisation about an employee should not include the knowledge about this person in relation to his or her overall economic behaviour. Or: The knowledge that is generated about an individual in the context of consumer behaviour should not be used to forecast family behaviour.
The talk unfolds the idea of the individual as an institutional condition of horizontal differentiation. Based on this insight, the talk investigates whether the development of the new platform technologies and their possibilities of data storage, collection and evaluation have to be identified a) as a threat to the structures of horizontal differentiation or b) as a confirmation of these structures. Herewith, the talk provides an in-depth-discussion of the tension in the understanding of the ongoing digital transformation of society: have we to understand these developments as the fulfillment of existing tendencies or as a fundamental threat to the normative structures of modern societies.
Erschienen in der Soziologischen Revue