6. SPRACHLOS DENKEN IN BEGRIFFEN 161 6.1. Sprachlos denken in einer Sprache des Denkens? 162 6.2. Denken ohne Begriffe? 167 6.2.1. Quasiprädikate 167 6.2.2. Protogedanken 170 6.3. Subjekt und Prädikat im Verhalten? 175 6.4. Urteile im...
more6. SPRACHLOS DENKEN IN BEGRIFFEN 161 6.1. Sprachlos denken in einer Sprache des Denkens? 162 6.2. Denken ohne Begriffe? 167 6.2.1. Quasiprädikate 167 6.2.2. Protogedanken 170 6.3. Subjekt und Prädikat im Verhalten? 175 6.4. Urteile im Verhalten 183 6.5. Sprachlos denken 187 7. BEGRIFFE, URTEILE UND KOMPLEXES VERHALTEN 189 7.1. Radikale Interpretation, Individuierung von Überzeugungen und Anthropomorphismus 190 7.2 Sherlock Holmes, Morgans Canon und zwei letzte Fragen 196 4 8. LITERATUR 203 5 0. Einleitung Könne Tiere denken? Fragen wir Stephen Stich, so ist die Antwort klar: Ja, natürlich können Tiere denken. Um das zu beweisen, müssen wir lediglich zeigen, dass die "Theorie" stimmt, auf deren Grundlage wir Tieren einen Geist zuschreiben. Bei dieser Theorie handelt es sich um unsere Alltagspsychologie. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwei grundlegende mentale Zustände annimmt: Wünsche und Überzeugungen. Diese Zustände sind die Erklärungsgrundlage für Verhalten. Wir sagen, jemand verhält sich so-und-so, weil er einen bestimmten Wunsch und/oder eine bestimmte Überzeugung hat. Der Hund Rudi hat Lust auf Knochen und ist der Überzeugung, einen in der Küche zu finden. Also geht er in die Küche und holt sich den Knochen. Unsere Alltagspsychologie hat nun ein entscheidendes Merkmal. Bei ihr handelt es sich um eine funktionale Theorie "in dem Sinne, dass die Zustände, die sie postuliert, nur im Hinblick auf ihre Relationen zu anderen Zuständen, zur Wahrnehmung (und anderen Umweltreizen) sowie zum Verhalten charakterisiert werden." 1 Das heißt, welche Wünsche und Überzeugungen ein Wesen hat, wird durch Rückgriff auf andere Wünsche und Überzeugungen des Wesens sowie auf dessen Verhalten oder Wahrnehmung bestimmt. So schreiben wir Rudi beispielsweise den Wunsch zu, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden, wenn er, nachdem er wahrgenommen hat, dass sein Herrchen sich die Straßenschuhe anzieht, von seinem Platz aufspringt, auf sein Herrchen zuläuft und freudig mit dem Schwanz wedelt. Die Wahrnehmung, dass sein Herrchen sich die Straßenschuhe anzieht, führt nämlich bei Rudi zu der Überzeugung, dass sein Herrchen die Wohnung verlassen wird. Diese Überzeugung wiederum löst den Wunsch aus, gemeinsam mit seinem Herrchen nach draußen zu gehen. Erkennen können wir dies alles am Verhalten von Rudi: dem Aufspringen vom Platz, dem Zulaufen auf sein Herrchen und dem freudigen Schwanzwedeln. Das heißt, es gilt auch umgekehrt, dass Wahrnehmung oder Verhalten durch Überzeugungen und Wünsche sowie durch Wahrnehmung und Verhalten bestimmt werden. Wir brauchen als gar nicht erst zu versuchen, Wünsche oder Überzeugungen anders, durch psycho-physische Gesetze zum Beispiel, zu definieren. Zum einen, weil es solche Gesetze nicht gibt, und zum anderen, weil sie für die Beantwortung der Frage 1 S. Stich, "Haben Tiere Überzeugungen?", in, D. Perler und M. Wild (Hg.), Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion, Suhrkamp 2005, S. 95. In solchen Kontexten ist es keineswegs gleichgültig, welchen aus einer Menge koextensionaler Termini man bei der Zuschreibung eines Wunsches oder einer Überzeugung herausgreift. Schließlich kann aus der korrekten Aussage, "Martin überlegt, ob Mark Twain an Lungenkrebs gestorben ist" eine falsche werden, wenn man "Mark Twain" durch "Samuel Clemens" ersetzt und Martin gar nicht weiß, dass beide Namen dieselbe Person bezeichnen. Handelt es sich bei Martin um ein sprachfähiges Wesen, stellt diese Situation wohl kein Problem dar. Wir können Martin schließlich fragen bzw. kann er uns sagen, woran er denkt, und ob er weiß, dass "Mark Twain" das Pseudonym von Samuel Clemens war. Bei Tieren ist dies jedoch nicht so einfach. Wie es aussieht, können wir unseren Hund oder die Katze nämlich nicht einfach fragen. Wir können also nicht angeben, worin der genaue Gehalt ihrer Wünsche und Überzeugungen besteht. Aber was soll eine Überzeugung sein, die keinen genauen Gehalt hat? Fragen wir darum wieder Stephen Stich, ob Tiere denken können, so lautet seine nicht minder klare Antwort: "Natürlich nicht." 2 Das erste von Stich angeführte Problem betrifft zwei Fragen: Zum einen wird gefragt, was die Bedingungen sind, die ein Wesen erfüllen muss, um Überzeugungen haben zu können. Dies zieht die zweite Frage nach der Natur von Überzeugungen nach sich. Schließlich lässt sich nur dann etwas zu-oder absprechen, wenn man weiß, worum es sich hierbei handelt. Das zweite von Stich angeführte Problem betrifft die Frage danach, wie sich eigentlich untersuchen lässt, ob Tiere Geist haben. Beide Probleme hängen zusammen. Denn es hängt von der Natur von Überzeugungen ab, mit welcher Methode sie sich überhaupt untersuchen lassen. Dem ersten Problem nähert man sich also mit einer Untersuchung der Natur von Überzeugungen. 3 Zunächst einmal scheint klar zu sein, dass Überzeugungen Dinge sind, die einen Gehalt haben. Wenn wir sagen, jemand könne denken, dann meinen wir in der Regel, er sei in der Lage, etwas zu denken. Gedanken hat man also nie einfach so, sondern wenn man denkt, dann denkt man immer etwas. Ein entscheidendes Merkmal von Gedanken ist es daher, einen Inhalt zu haben. Nun lassen sich Gedanken meist in mehrere Bestandteile zerlegen. Wenn ein Hund die Nachbarskatze jagt, diese vor ihm auf den Baum flüchtet und der Hund nun den Baum hinaufbellt, dann schreiben wir ihm vielleicht die Überzeugung zu, dass die Katze auf 2 Ebd., S. 100. 3 Vgl., S. Tietz und M. Wild, "Denken Tiere? Ein Forschungsbericht", in, Information Philosophie, 3/2006, S. 15. 8 dem Baum ist. Und die Hauptbestandteile, in die wir diese Überzeugung zerlegen würden, sind wohl "Katze" und "Baum". Hierbei handelt es sich um Begriffe. Sie sind also ein weiteres Merkmal von Überzeugungen. Bei Kant heißt es, Denken erfolge immer in Begriffen. 4 Wenn der Hund also tatsächlich den Gedanken hat, dass die Katze auf dem Baum ist, dann muss er auf irgendeine Weise über die Begriffe "Katze" und "Baum" verfügen. Was aber sind Begriffe? Diese Frage wird sehr unterschiedlich beantwortet. Die meisten bezeichnen Begriffe als Klassifikationsprinzipien. Sie sind ein Allgemeines, dem ein Besonderes, ein einzelner Gegenstand, subsumiert wird. Die Subsumtion erfolgt anhand von Kriterien, die jener Gegenstand mit anderen Gegenständen teilt, die ebenfalls unter diesen Begriff fallen. Diese Kriterien müssen natürlich auf irgendeine Weise gewusst werden. Denn das Klassifizieren von Dingen ist nicht einfach eine Sache des Dispositioniertseins oder eine einfache Kausalreaktion auf Gegenstände mit denselben Eigenschaften. Einen Begriff zu haben, scheint also zu bedeuten, dass ein Wesen urteilt, dass bestimmte Dinge unter ihn fallen. Das sehen nicht alle so. Ruth Millikan beispielsweise ist der Ansicht, dass es sich bei den wenigsten Begriffen tatsächlich um Klassifikationsprinzipien handelt. Die meisten Begriffe sind ihr zufolge Substanzbegriffe. 5 Und bei Substanzbegriffen handelt es sich um Identifizierer. Sie klassifizieren keine Gegenstände, sondern identifizieren diese. Und Identifikation, so Millikan, ist keine Urteilsleistung. Verfügt ein Wesen also über Begriffe in Millikans Sinn, dann ist es in der Lage, Gegenstände zu identifizieren, ohne diese Gegenstände zu klassifizieren. Aber auch diejenigen, die meinen, bei Begriffen handele es sich um Klassifikationsprinzipien, sind sich keineswegs darüber einig, was genau das für Begriffe bedeutet. So behaupten die einen, bei Begriffen würde es sich um Vorstellungen handeln, die für Gegenstände stehen. Das heißt, der Begriff "Baum" bedeutet, was er bedeutet, weil er in einer näher zu erläuternden Beziehung zu Bäumen steht. Dies meint jedenfalls Jerry Fodor. 6 Andere, wie Ernst Tugendhat, behaupten, bei Begriffen handele es sich um Prädikate möglicher Urteile. 7 Der Begriff 4 Vgl., I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, in, Preussische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Gesammelte Schriften, Band III, A 69/B 94. 9 "Baum" würde hiernach also bedeuten, was er bedeutet, weil er in einem Urteil vorkommt. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, dies sind durchaus erhebliche Unterschiede, denn sie haben ganz unterschiedliche Konsequenzen hinsichtlich dessen, was ein Wesen erfüllen muss, um über Begriffe verfügen zu können. Handelt es sich bei Begriffen um Prädikate möglicher Urteile, dann ist klar, dass denkende Wesen Urteile fällen können müssen. Nun sind Urteile aber Einheiten, die sich in Subjekt-und Prädikat-Term zergliedern lassen. Das heißt, denkende Wesen müssten hiernach zu Urteilen mit Subjekt-Prädikat-Struktur in der Lage sein. Die Subjekt-Terme in einem Urteil haben jedoch eine andere Funktion als die Prädikat-Terme. Während Prädikat-Terme Gegenstände klassifizieren, kommt es Subjekt-Termen im Urteil zu, diese Gegenstände zu identifizieren. Handelt es sich bei Begriffen um Prädikate möglicher Urteile, dann scheinen denkende Wesen also sowohl zu Identifikation als auch zu Klassifikation in der Lage sein zu müssen. Anders sieht es aus, wenn man Begriffe als Vorstellungen versteht, die für Gegenstände stehen. Da sich die Bedeutung eines Begriffs hiernach seiner Beziehung zu den Gegenständen verdankt, die er subsumiert, sieht es nicht so aus, als könnten bzw. müssten Begriffe nur in Verbindung mit einem Subjekt-Term vorkommen. Bei diesem Modell scheint es durchaus möglich zu sein, ohne Subjekt-Term auf Gegenstände zuzugreifen. Meint man als sogenannter Gegenstandstheoretiker nun aber auch, dass Denken in ganzen Urteilen stattfindet, dann folgt hieraus, dass man erklären muss, wie sich unter gegenstandstheoretischen Prämissen Urteile bilden lassen. Denn wenn die Bedeutung eines Begriffs in dessen Beziehung zu dem Gegenstand besteht, den er subsumiert, dann handelt es sich bei Begriffen um semantisch eigenständige Einheiten, um Bedeutungsatome also. Eine mögliche Erklärung dafür, wie man aus einer Menge von Bedeutungsatomen ein Urteil bildet, könnte nun darin bestehen, eine Art Einheitsbewusstsein zu...