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Krisenzeit?
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as 14,Jahrhundert gilt als Krisenzeit schlechthin, Das "Große
Abendländische Schisma" mit
Machtkämpfen zwischen den Päpsten
in Rom und Avignon gilt als ein deutliches Krisenphänomen. Naturkatastrophen und Hungersnöte können als Vorboten der "Kleinen Eiszeit" gesehen
werden, Frankreich und England bekämpften sich erbittert im "Hundertjährigen Krieg" und die Pest suchte ganz
Europa heim.
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Signorenfamilien, der regionalen Absicherung, Heiratsverbindungen mit Fürstenfamilien schließlich sogar der politiM a ila n d s
schen Verankerung im europäischen
Herrschaftskontext. Gerade die permao r i e n srqponmlkjihgfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA
nente Kriegsführung wurde zu einem
bestimmenden Faktor der politischen
Welt Ober- und Mittelitaliens. Dies
führte über die Jahre zu einer Arrondierung der Machtblöcke und ging einher
mit einer immer stärkeren Machtkonzentration auf einige wenige Machthaber und deren Familien, wie man es bei
den mailändischen Visconti, aber auch
bei ihren Konkurrenten wie den Della
Scala aus Verona, den Da Carrara aus
Padua oder den D'Este aus Ferrara beobachten kann.
H e r z o g G ia n G a le a z z o V is c o n ti (1 3 7 8 1 4 0 2 ). D ie M a c h te n tfa ltu n g
g e g e n d ie ita lie n is c h e n
S ig n
Ellen Widder
Der folgende Beitrag kann sich nur
in sehr geraffter Form mit der komplexen Thematik befassen, daher soll dies
in mehreren Schritten erfolgen: Erstens
wird ein allgemeiner Blick auf die politischen und sozioökonomischen Strukurren Italiens im Spätmittelalter von
städtischen Kommunen hin zu "neuen"
Fürstenstaaten geworfen, wobei die
Entwicklung der Signorien eine zentrale
Rolle spielen wird. In diesem Kontext
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Familie behandelt, vor deren Hinter-A
Gian Galeazzo Visconti (geb.
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vergeben wurden, was im Allgemeinen
einherging mit hohen finanziellen Leistungen für ihre Verleihung, also quasi
durch Kauf. Der Trend verlief im Laufe
des 14. Jahrhunderts ganz im Interesse
der Betroffenen in Richtung auf Verleihung des Signorenamtes auf längere
Dauer, dann auf Lebenszeit und schließlich zur Erblichkeit innerhalb der Signorenfamilie.
Man kann hier von einer Dynastisierung, das heißt von der Ausbildung einer politischen Familie sprechen. Trotz
all dieser häufig erfolgreichen Bemühungen blieb die Unsicherheit der Position aufgrund unzureichender beziehungsweise fragiler Legitimationsbasis
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aererogen, horizontal und vertikal hochobil und dank signifikanter Anteile
kaufmännisch wirtschaftender Adeliger
gewaltbereit und konfliktfreudig.
Signorien entstehen in Italien um das
Jahr 1300. Es handelt sich um einen fragilen Rechtstitel, der darin besteht, dass
Unter diesen vielen, im 14. Jahrhundert um die Macht konkurrierenden Signorengeschlechtern ragen die Visconti
von Mailand heraus. Dies hat viele
Gründe, nicht zuletzt militärische Fortüne, aber auch Skrupellosigkeit, dynastisches Glück und geschickte Herrschaftspolitik. Die oben skizzierten
Strategien des Machtausbaus und der
Machterhaltung kann man bei ihnen
idealtypisch studieren: Ihr Begründer
als Signore ist Matteo I. Visconti (12501322); er amtierte 1294 als Reichsvikar
und von 1295 bis 1302 sowie von 1311
bis 1322 als Herr von Mailand. Zwischenzeitlich war er im politischen Exil,
verjagt durch seine Gegner aus dem
Hause Della Torre und de-Iegitimiert
durch die Mailänder Bürger. Die Rückkehr an die Macht hatte er dem Romzug König Heinrichs VII. zu verdanken.
Seine zahlreiche, politisch aktive
Nachkommenschaft führte die Herrschaft weiter. Bei der Heiratspolitik verliefen die Strategien in verschiedene
Richtungen. In der frühen Phase des
Aufstiegs suchte man Eheverbindungen
mit Abkömmlingen anderer Signorenfamilien und/oder adeliger Familien
Oberitaliens. Hierbei galt es, politische
Positionen zu verteidigen und Allianzen
gegen mächtige politische Gegner wie
die Anjou als Könige von eapel und
Lmeritalien, zu schmieden. So amtierte
Galeazzo I. Visconti (1277-1328) in den
Jahren 1322 als 1328 als Nachfolger seines Vaters als Herr von Mailand. 1300
hatte er Beatrice, Tochter von Obizzo 11.
d'Este, Herrn von Ferrara, Modena und
Reggio Emilia, geehelicht. Sein einziger
Sohn Azzo (1302-1339) folgte ihm von
.1328 bis 1339 in der Mailänder Herrschaft und heiratete 1330 Caterina, aus
einer Nebenlinie der Grafen von Savoyen.
Die Herrschaft in Mailand ging nach
seinem Tod an seinen Bruder Luchino
über, bei dessen drei Ehen sich wiederum die Kräfteverhältnisse in Oberitalien
im Zeichen der weit ausstrahlenden politischen Vorherrschaft der süditalienischen Anjou-Könige widerspiegelten
und zu politischen Koalitionen (und
Hochzeiten) mit benachbarten Mächten
wie den Markgrafen von Saluzzo und
den genuesischen Spinola und Fieschi
führten. Die instabile politische Situation zeigte sich deutlich, als Luchino
1349 durch Mord ein gewaltsames
Ende fand, angeblich vergiftet durch
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Padua oder den D'Este aus Ferrara beobachten kann.LKJIHGFEDCBA
erfolgen:Erstens
wird ein allgemeiner Blick auf die politischen und sozioökonornischen
Strukturen Italiens im Spätmittelalter
von
städtischen Kommunen hin zu "neuen"
Fürstenstaaten
geworfen, wobei die
Entwicklung der Signorien eine zentrale
Rolle spielen wird. In diesem Kontext
werden die Visconti als eine politische
Familie behandelt, vor deren Hintergrund Gian Galeazzo Visconti (geb.
1351, reg. 1378-1402) biographisch beleuchtet und im Anschluss daran zu bewerten versucht wird. Ein kurzes Fazit
beschließt diese Ausführungen.
11.
I.
--
• WaJser
Betrachtet man Italien im Spätmittelalter, dann blickt man auf eine reiche,
bunte und dynamische Welt - dies gilt
nicht nur für Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch für den Bereich
der Politik. Der Norden und Teile Mittelitaliens haben neben den historischen
Niederlanden
den höchsten Verstädtenmgsgrad im damaligen Europa. Es
,
delt sich um wirtschaftlich hochdynamische Regionen mit spezialisiertem
Handwerk (besonders Tuche und Metallverarbeitung)
und lukrativem Fernhandel; dieser umfasst sowohl die gesamte Mittelmeerwelt
mit den orientalischen Anrainerstaaten
als auch die Gebiete nördlich und westlich der Alpen
und Westeuropas. Im flandrischen
Brügge trifft sich diese Welt der italienischen Kaufleute und Bankiers mit der
im
ord- und Ostseeraum aktiven Hanse. Lombarden sind bis in die zweite
Hälfte des 14. Jahrhunderts
im Deutschland sowie den historischen Niederlanden nachweisbar, agieren als Bankiers
und Münzmeister und steuern die Geldströme des damals in Avignon residierenden Papsttums.
Diese europaweite und darüber hinausreichende Vernetzung führt zu einer
kontinuierlichen
Akkumulation
von
Geld- und Sachwerten, die trotz krisenhafter Zuspitzungen
wie dem Bankrott
bedeutender florentinischer
Handelsund Bankhäuser um die Mitte des 14.
Jahrhunderts zu einer ungeheuren künstlerischen und kulturellen Blüte in den
italienischen Städten führt. Die Einwohnerschaft dieser Gemeinwesen
ist sozial
heterogen, horizontal und vertikal hochmobil und dank signifikanter Anteile
kaufmännisch
wirtschaftender
Adeliger
gewaltbereit und konfliktfreudig.
Signorien entstehen in Italien um das
Jahr 1300. Es handelt sich um einen fragilen Rechtstitel, der darin besteht, dass
das (ursprünglich) zeitlich befristete
Amt des Seniors durch Akklamation
von der beschlussfassenden
Volksversammlung einem bestimmten Herrn .
verliehen wird. Der Begriff Senior (ital.
Signore) bedeutet vom Wortsinn eigentlich Älterer, ist hier aber im Sinne von
Würdigerer gemeint. Bei den Signoren
verläuft der Trend hin zu Anstrengungen, ihre politische Legitimation zu
stärken und damit eine stabilere politische Position zu erreichen. Verhindert
werden soll damit, dass bei einem Stimmungswechsel innerhalb der Bürger-
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M ittelalterliche
G eschichte an der
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schaft oder sonstigen politischen Wechselfällen die Macht in der Stadt an einen der stets vorhandenen
Herrschaftskonkurrenten
fällt, der wiederum durch
Beschluss der Volksversammlung
in
seiner Herrschaft legitimiert werden
konnte.
Soweit die Theorie. In der Praxis
führte dies seitens der Signoren zur
Suche nach weiteren Rechtstiteln, um
die strukturell gefährdete Herrschaft zu
stärken und damit zu verstetigen. Solche Rechtstitel konnten aus verschiedenen Quellen stammen: hierunter fielen beispielsweise die Ernennung zum
Reichsvikar durch den deutschen König
oder Kaiser oder die zum päpstlichen
Vicarius. Es handelte sich in bei den Fällen um Statthalterschaften,
also um politischeJIHGFEDCBA
Ä m te r , die meistens pro Forma
vergeben wurden, was im Allgemeinen
einherging mit hohen finanziellen Leistungen für ihre Verleihung, also quasi
durch Kauf. Der Trend verlief im Laufe
des 14. Jahrhunderts
ganz im Interesse
der Betroffenen in Richtung auf Verleihung des Signorenamtes
auf längere
Dauer, dann auf Lebenszeit und schließlich zur Erblichkeit innerhalb der Signorenfamilie.
Man kann hier von einer Dynastisierung, das heißt von der Ausbildung einer politischen Familie sprechen. Trotz
all dieser häufig erfolgreichen Bemühungen blieb die Unsicherheit der Position aufgrund unzureichender
beziehungsweise fragiler Legitimationsbasis
bestehen. Dies zeigte sich daran, dass
Ämter gewaltsam oder gewaltlos entzogen werden konnten, Signorenfamilien
auf natürlichem oder gewaltsamem
Wege ausstarben oder im Rahmen kriegerischer Ereignisse verdrängt oder unterworfen wurden.
Dieser latenten Gefährdung der
Macht wurde vorgebeugt: Ostentative
Frömmigkeit diente der religiösen,
Prachtentfaltung
der symbolischen, erfolgreiche Kriegführung der faktischen
Legitimation und Konnubium, also Heiratsverbindungen
mit benachbarten
Unter diesen vielen, im 14. Jahrhundert um die Macht konkurrierenden
Signorengeschlechtern
ragen die Visconti
von Mailand heraus. Dies hat viele
Gründe, nicht zuletzt militärische Fortüne, aber auch Skrupellosigkeit,
dynastisches Glück und geschickte Herrschaftspolitik. Die oben skizzierten
Strategien des Machtausbaus
und der
Machterhaltung
kann man bei ihnen
idealtypisch studieren: Ihr Begründer
als Signore ist Matteo I. Visconti (12501322); er amtierte 1294 als Reichsvikar
und von 1295 bis 1302 sowie von 1311
bis 1322 als Herr von Mailand. Zwischenzeitlich war er im politischen Exil,
verjagt durch seine Gegner aus dem
Hause Della Torre und de-legitimiert
durch die Mailänder Bürger. Die Rückkehr an die Macht hatte er dem Romzug König Heinrichs VII. zu verdanken.
Seine zahlreiche, politisch aktive
Nachkommenschaft
führte die Herrschaft weiter. Bei der Heiratspolitik
verliefen die Strategien in verschiedene
Richtungen. In der frühen Phase des
Aufstiegs suchte man Eheverbindungen
mit Abkömmlingen
anderer Signorenfamilien und/oder adeliger Familien
Oberitaliens. Hierbei galt es, politische
Positionen zu verteidigen und Allianzen
gegen mächtige politische Gegner wie
die Anjou als Könige von Neapel und
Unteritalien, zu schmieden. So amtierte
Galeazzo I. Visconti (1277-1328) in den
Jahren 1322 als 1328 als Nachfolger seines Vaters als Herr von Mailand. 1300
hatte er Beatrice, Tochter von Obizzo H.
d'Este, Herrn von Ferrara, Modena und
Reggio Emilia, geehelicht. Sein einziger
Sohn Azzo (1302-1339) folgte ihm von
.1328 bis 1339 in der Mailänder Herrschaft und heiratete 1330 Caterina, aus
einer Nebenlinie der Grafen von Savoyen.
Die Herrschaft in Mailand ging nach
seinem Tod an seinen Bruder Luchino
über, bei dessen drei Ehen sich wiederum die Kräfteverhältnisse
in Oberitalien
im Zeichen der weit ausstrahlenden
politischen Vorherrschaft der süditalieni-,
sehen Anjou-Könige widerspiegelten
und zu politischen Koalitionen (und
Hochzeiten) mit benachbarten
Mächten
wie den Markgrafen von Saluzzo und
den genuesischen Spinola und Fieschi
führten. Die instabile politische Situation zeigte sich deutlich, als Luchino
1349 durch Mord ein gewaltsames
Ende fand, angeblich vergiftet durch
seine dritte Ehefrau Isabella Fieschi.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stabilisierte sich die Lage bei den
Visconti durch die gemeinsame Herrschaft der Brüder Bernabö und Galeazzo Visconti. Beide waren etwa gleich alt
und heirateten 1350 als etwa Dreißigjährige. Der ältere Bernabö wählte Beatrice della Scala; sie entstammte einer
Familie, die zu den mächtigsten Konkurrenten der Visconti zählte, nämlich
den Herren von Verona, Brescia, Parma
und Lucca. Aus dieser Ehe (und aus
sonstigen außerehelichen
sexuellengfedcbaZYXW
Sonderheft
zur Ausgabe
7/2016A 9 .
Aktivitäten Bernabös) ging eine vielköpfige Nachkommenschaft hervor, von
der später noch die Rede sein wird.
Sein nur wenig jüngerer Bruder Galeazzo II. ehelichte im selben Jahr wie
sein Bruder Bianca Maria di Savoia. Sie
war eine Tochter Graf Aymons von Savoyen, entstammte also keiner Nebenlinie wie ihre oben bereits behandelte
Schwägerin Caterina, sondern war
Tochter des regierenden Grafen. Die
Grafen von Savoyen zählten zum europäischen Hochadel, waren bestens vernetzt und mit den Königshäusern in
Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich verwandtschaftlich verbunden. Im Gegensatz zu Bernabös reicher
Nachkommenschaft gingen aus dieser
Ehe nur zwei Kinder, davon nur ein
Sohn hervor. Bei diesem handelt es sich
um den im November 1351 geborenen
Gian Galeazzo Visconti.
Bernabö und Galeazzo teilten sich
die Herrschaft, die sie über Jahre einvernehmlich, mit verschiedenen Herrschaftsschwerpunkten und relativ unangefochten ausübten; der Ältere saß vornehmlich in Mailand, der Jüngere in
Pavia. In dieser Zeit vollzogen sich in
Italien Entwicklungen, die in der Forschung mit dem Trend von der Kommune zu "neuen" Fürstenstaaten umschrieben werden. So kam es seit etwa der
Mitte des 14. Jahrhunderts zu verschiedenen Prozessen: Zum einen überschritt das Herrschaftsgebiet einzelner
Signorenfamilien das ursprüngliche Gebiet ihrer Städte, wozu immer auch das
städtische Umland, der Contado, zählte;
es dehnte sich auf weitere Städte aus
und arrondierte sich. Gleichzeitig verminderte sich die Zahl der Signorengeschlechter durch dynastisches Aussterben beziehungsweise politische Auslöschung oder Verdrängung durch Konkurrenten. Einige Signorengeschlechter
und Stadtrepubliken setzen sich durch,
blieben aber in ihrer Stellung oder politischen Eigenständigkelt permanent gefährdet und neigten daher ebenfalls zur
territorialen Expansion.
Dieser Prozess verlief nicht kontinuierlich, sondern in Schüben. Die Auslöser waren vielfältig; es konnten Ein•
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nördlich an die Altstadt grenzte und
ihm als hochrepräsentativ ausgestattete,
prachtvolle Fürstenresidenz diente,
gleichzeitig aber militärisch sowohl die
Stadt wie die Straße nach Mailand kontrollierte.
III.
Auf diese Art und Weise blieben in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
als Vormächte auf der politischen Landkarte Oberitaliens lediglich die Visconti
von Mailand, die Republik Venedig und
die Republik Florenz übrig, während
die Stadtrepubliken Bologna, Genua,
Pisa und Siena ins zweite Glied rückten. Die Gonzaga von Mantua und die
Este von Ferrara überlebten unter jeweils spezifischen Bedingungen; sie lagen zwischen den in dynamischer Ausbildung befindlichen Machtblöcken von
Mailand und Venedig und standen unter permanenter Bedrohung, von den
expansiven und aggressiven Nachbarn
geschluckt zu werden. Diese territoriale
Dynamik führte dazu, dass sich aus ehemaligen hochmittelalterlichen Stadt, republiken bereits im späten 14. Jahrhundert Flächenstaaten mit erstaunlich
differenzierter Verwaltung, militärischen Strukturen und sozialer Kontrolle
entwickelt hatten.
1395 kam es mit der Herzogserhebung Gian Galeazzos Visconti durch
den römisch-deutschen König Wenzel 1.
erstmals zu einer massiven Rangerhöhung eines Signorengeschlechts, verbunden mit dessen Aufstieg in die europäische Fürstenriege. Ihm folgten in den
nächsten Jahrzehnte weitere: 1433 wurden die Gonzaga von Mantua durch
Kaiser Sigmund zu Markgrafen erhoben. Damit vergleichbar wäre die 1501
erfolgte Erhebung Cesares Borgia zum
Herzog der Romagna durch seinen Vater, Papst Alexander IV, oder die 1518
erfolgte von Lorenzo di Piero de'Medici
zum Herzog von Urbino durch seinen
Onkel, Papst Leo X. Es versteht sich
fast von selbst, dass diese Rangerhöhungen von den neuen Vasallen entweder
mit viel Geld erkauft (1395), durch
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dur~h. Famili-
Universität und die bereits angesproBianca Maria von Savoyen zu den eurochene nahe Kartause. Man kann wohl
päischen Königshöfen, ihre damit einannehmen, dass den Visconti hierbei
hergehende glänzende Vernetzung und
nicht nur Paris, die Heimat seiner erslange Lebensdauer, die dazu führten,
ten Ehefrau, sondern auch das Prag
dass beide Visconti-Sprösslinge in erster
Kaiser Karls IV, immerhin einer ihrer
Ehe Königskinder von europäischem
Onkel, als Vorbilder dienten.
Rang heiraten sollten. Bereits im zarten
Nachdem Gian Galeazzo nach dem
Alter von vier Jahren wurde Gian GaPutsch die zahlreiche Nachkommenleazzo zudem die Ehre zuteil, vom deutschaft seines Onkels Bernabö und deren
schen König Karl IV persönlich zum
einflussreiche und/oder schlagkräftige
Ritter geschlagen zu werden. Angeblich
Schwägerschaft ausgeschaltet hatte,
kreierte Francesco Petrarca während eierfolgt ab 1387 die militärische Expannes Aufenthaltes am Hof der Visconti in
sion in der Po-Ebene Richtung Padua,
Pavia sein heraldisches Emblem; es hanMantua und Ferrara; diese endete
delte sich eine weiße Turteltaube vor eischließlich mit der Eroberung der gener vielstrahligen Sonne auf azurblauem
samten Lombardei. Zur Finanzierung
Grund, im Schnabel ein Spruchband mit
des Vorhabens wurden Verwaltung und
der altfranzösischen DeviseA" a bon
Finanzwesen gestrafft und durchorganidroyt" ("zu Recht").
siert, was zu hohen Steuereinnahmen
Im Jahre 1360 erfolgte die Verlobung
führte. Im Jahre 1395 erhob ihn dann
Gian Galeazzos mit Isabelle de France,
König Wenzel zum Herzog von Mailand
einer Tochter König Johanns 11.von
und Grafen von Pavia zum "Preis" von
Frankreich. Die angebahnte Ehe kostete
100.000 Gulden ( a 3,4 Gramm Feindie Visconti rund eine halbe Million
gold). Nach dieser europaweit hohe
Goldschilde (Scudi); dabei handelte es
Wellen schlagenden Rangerhöhung
sich dabei um eine Münze mit einem
folgte die Expansion Richtung Süden in
Anteil von immerhin 3,2 Gramm Feindie Toskana, die im Jahre 1399 zum
gold. Das Geld diente als eine Art von
Kauf von Pisa und der militärischen
"Mitgift", zu verstehen als Kaufpreis für
Einnahme von Siena führte.
die Schwiegertochter aus königlichem
Hier geriet vor allem die Republik
Geblüt. Im Gegenzug wurde der BräutiFlorenz mit ihrem weiten Herrschaftsgam bei der Hochzeit von seinem
gebiet in massive Bedrängnis und ging
Schwiegervater mit der kleinen, im heuauf die Suche nach Verbündeten, die sie
tigen Departement Marne gelegenen
unter anderem im Norden fand. Wie
Grafschaft Vertus belehnt, denn ein
schon erwähnt, wurde König Wenzel,
Schwiegersohn ohne Adelstitel war am
dem Gian Galeazzo die Gnade der
französischen Königshof im 14. JahrRangerhöhung zum Fürsten zu verdanhundert mit Sicherheit unvorstellbar.gfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA
ken gehabt hatte, im Jahre 1400 vornehmlich aus genau diesem Grund von
den Kurfürsten des Reiches abgesetzt
Im Jahre 1360 erfolgte die
und sein Nachfolger und Gegenkönig,
Pfalzgraf Ruprecht III. bei Rhein und
V erlobung G ian G aleazzos
selber Kurfürst, darauf verpflichtet, den
m it Isabelle de F rance, einer
mächtigen Visconti auszuschalten und
seine Macht zu brechen. Zu diesem
T ochter K önig [ohanns II.
Zweck führte Ruprecht in den Jahren
von F rankreich.
140112 eine vornehmlich von Florenz
finanzierte Strafexpedition gegen ihn
durch, scheiterte damit aber kläglich;
Der französische Grafschaftsname,
sie kostete ihn nicht nur viel Geld, sonbenannt nach der kleinen, 140 östlich
dern das Ansehen, zumal sein abgesetzvon Paris gelegenen Stadt Vertus, wurde
ter Kontrahent Wenzel noch bis 1419
am Hof der Visconti italianisiert zu Virlebte und ihn damit um neun Jahre
minderte sich die Zahl der Signorengeschlechter durch dynastisches Aussterben beziehungsweise
politische Auslöschung oder Verdrängung durch Konkurrenten. Einige Signorengeschlechter
und Stadtrepubliken
setzen sich durch,
blieben aber in ihrer Stellung oder politischen Eigenständigkeit
permanent gefährdet und neigten daher ebenfalls zur
territorialen
Expansion.
Dieser Prozess verlief nicht kontinuierlich, sondern in Schüben. Die Auslöser waren vielfältig; es konnten Einwirkungen auswärtiger Mächte sein, so
die Romzüge deutscher Könige wie
Heinrich VII., Ludwig IV., der Bayer,
Karl IV., aber auch die Italienzüge
päpstlicher Legaten wie Bertrand de
Pouget oder Aegidius Albornoz, ferner
die Aktivitäten auswärtiger Reichsvikare wie König [ohann von Böhmen oder
Markward von Randeck, neapolitanischer Könige wie Karl-Robert von Anjou oder zugewanderter
marodierender
Söldnerkompanien
aus dem Frankreich
des Hundertjährigen
Krieges wie die
Compagnia Bianca dei Falco des englischen Söldnerführers [ohn Hawkwood
(italianisiert zu Giovanni Acuto) sowie
die Rückkehr der seit 1309 in Avignon
residierenden
Päpste Ende der 1360er
Jahre und der Ausbruch des Großen
Abendländischen
Schismas 1376. Auch
der Ausfall von Hegemonen beeinflusste die Entwicklung; hierzu zählten die
über 60 Jahre währende Absenz der
Päpste im fernen Avignon oder die 1343
eintretende politische Neutralisation
der lange Italien dominierenden
Könige
von Neapel aus dem Hause Anjou.
Solche Einwirkungen von außen führen zu Phasen politischer Destabilisierung, bei der es zu massiven Spannungen, innenpolitischen
Umbrüchen und
außenpolitischen
Aktionen kam. Kluge
Signori bauten vor und verschanzten
sich vor ihren Feinden hinter massiven
Mauern und/oder bauten zur Sicherung
und Kontrolle in den von ihnen unterworfenen Städten mächtige Festungen
mit einer starken militärischen Besatzung. Ein gutes Beispiel dafür ist das von
Galeazzo H. um 1360 in Pavia erbaute
Castello Visconteo, das unmittelbar
10
Sonderheft
zur Ausgabe
712016
den Kurfürsten des Reiches abgesetzt
'intc wellere: 1433 wurIm Jahre 1360 erfolgte die
den die Gonzaga von Mantua durch
und sein Nachfolger und Gegenkönig,
Pfalzgraf Ruprecht III. bei Rhein und
Kaiser Sigmund zu Markgrafen erhoV erlobung G ian G aleazzos
selber Kurfürst, darauf verpflichtet, den
ben. Damit vergleichbar wäre die 1501
m it Isabelle de F rance, einer
mächtigen Visconti auszuschalten
und
erfolgte Erhebung Cesares Borgia zum
Herzog der Romagna durch seinen Vaseine Macht zu brechen. Zu diesem
T ochter K önig [ohanns 1I.
ter, Papst Alexander IV., oder die 1518
Zweck führte Ruprecht in den JahrenJIHGFEDCBA
von F rankreich.
1 4 0 1 1 2 eine vornehmlich
von Florenz
erfolgte von Lorenzo di Piero de'Medici
finanzierte Strafexpedition
gegen ihn
zum Herzog von Urbino durch seinen
durch, scheiterte damit aber kläglich;
Onkel, Papst Leo X. Es versteht sich
Der französische Grafschaftsname,
sie kostete ihn nicht nur viel Geld, sonfast von selbst, dass diese Rangerhöhundern das Ansehen, zumal sein abgesetzbenannt nach der kleinen, 140 östlich
gen von den neuen Vasallen entweder
von Paris gelegenen Stadt Vertus, wurde
ter Kontrahent Wenzel noch bis 1419
mit viel Geld erkauft (1395), durch
am Hof der Visconti italianisiert zu VirTreue bezahlt (1433) oder durch Famililebte und ihn damit um neun Jahre
überlebte.
tu und latinisiert zu Virtus, was man
eninteressen
(1501, 1518) motiviert
beides mit Tugend oder Tapferkeit überFür den siegreichen Gian Galeazzo
wurden, ihren Lehnsherren aber durchsetzen kann. Damit wurde der französistand damit Italien offen. In den Jahren
aus zum Schaden gereichen konnte, wie
1400 bis 1402 eroberte er mit Perugia,
die Absetzung König Wenzels durch die
sche "Conte de Vertus" zu einem italieAssisi, Lucca und Bologna große Teile
Kurfürsten im Jahre 1400 beweist.
nischen "Conte di Virtü" und einem lateinischen Comes virtutum, auf Deutsch
Umbriens, der Toskana und der Emilia
Wie oben bereits erwähnt, war der
einem Tugendgrafen. Getragen von dieRomagna und wandte sich danach geerste Herzog von Mailand, Gian Gaser propagandistisch
ausgiebig genutzgen Florenz, das seinem sicheren Unterleazzo Visconti (gest. 1402), der einzige
ten Selbststilisierung
wurde Gian Gagang entgegensah, wie die Quellen einSohn seiner Eltern. Nicht nur dies führleazzo im Jahre 1378 nach dem Tod seihellig berichten. Da ereignete sich das
te zu ganz anderen Dispositionen
als
Unerwartete und Unvorhergesehene:
nes Vaters Mitregent in Mailand und
bei seinem Onkel Bernabö mit seiner
entmachtete seinen Onkel Bernabö vor
Am 3. September 1402 starb er völlig
zahlreichen Nachkommenschaft.
Jener
dessen Tod im Jahre 1385.
•
überraschend
im Alter von 55 Jahren in
verheiratete seine ehelich geborenen
Aber auch das eigene Familienleben
dem kleinen Ort Melegnano im FeldTöchter vorrangig mit deutschen Grafen
lager vor der eingeschlossenen
Arnoverlief in diesen Jahren aus ganz andeund Fürsten, was allerdings immer in
Stadt. Da seine Söhne aus zweiter Ehe
ren Gründen eher tragisch. Seine franVerbindung mit einer ganz außergefür die erfolgreiche Übernahme der
zösische Gemahlin starb 1372 bei der
wöhnlich großen Mitgift erfolgte. Dies
Geburt des dritten Sohnes, der seinerHerrschaft noch zu jung waren, fiel in
geschah schlicht aus dem Grund, da anseits das Säuglings alter nicht überlebte.
der Folgezeit das Machtgebiet Gian
ders der Rangunterschied
bei der Wahl
Galeazzos in sich zusammen und FloIn den folgenden Jahren ereilte das
der Braut für die Bräutigame und deren
Schicksal auch die anderen beiden gerenz entkam damit - ganz nach SichtFamilien nicht überbrückbar
gewesen
meinsamen Söhne (gest. 1376 und
weise - durch puren Zufall oder durch
wäre. Die illegitimen Töchter wiederum
1381). Zwar heiratete Gian Galeazzo
göttliche Fügung seinem fast besiegelten
wurden mit in mailändischen
Diensten
Schicksal.
1380 erneut, diesmal aus offensichtlich
stehenden Condottieri verheiratet, darpolitischen Gründen seine Cousine Caunter eine mit dem bereits erwähnten
terina, eine Tochter Bernabös Visconti,
IV.
[ohn Hawkwood. Die illegitimen Söhne
doch blieben bis 1388 weitere Söhne
fungierten meist selbst als gefürchtete
Dieser Überblick verlangt nach eiaus. Möglicherweise hat ihn diese durchKriegsherren und Söldnerführer;
all dies
nem Fazit. Es fällt aus vielen Gründen
lebte dynastische Krise zu großen relisorgte für Bindungen und Verbindungen
giösen Anstrengungen veranlasst, denn
schwer, den Visconti als historische Perbis in die kriegsführenden
Truppen hinsönlichkeit zu bewerten. Uns erscheint
in die 1380er Jahre fallen die Anfänge
ein und schützte auch auf diese Weise
des großen gotischen Domneubaus in
er heute bei nüchterner Betrachtung als
die Machtposition
und Herrschaft
Bernabös,
Inbegriff eines mit macchiavellistischer
Mailand sowie die Stiftung der Kartause
von Pavia.
Virtü ausgestatteten Renaissancefürsten,
Deutlich anders verhielt es sich bei
Pavia wurde unter Gian Galeazzo als
der zwar bei seiner Gewaltanwendung
den Kindern Galeazzos 11. Allein die
europäische Fürstenresidenz
weiter ausweder Skrupel noch Grenzen kannte,
Tatsache, dass auch langfristig nur ein
gebaut, wozu nicht nur der von seinem
damit aber einen geeinten und befriedeschon 1351 geborener Sohn als NachVater begonnene repräsentative
Festen Flächenstaat mit guter Verwaltung,
folger zur Verfügung stand, führte zu
tungsschlossbau
und die Ticino-Brücke
einem geordneten Finanzwesen und
besonderen Anstrengungen
von Seiten
kultureller Blüte schuf. Diese Form von
gehörten, sondern auch die 1361 durch
der Eltern. Hinzu kamen die verwandtein Privileg Kaiser Karls IV. begründete
Staatlichkeit darf durchaus als modern
schaftlichen Beziehungen seiner MuttergfedcbaZYXWVUTSRQPONMLKJIHGFEDCBA
gelten. Das Echo seiner Zeitgenossen
klang allerdings nicht ganz so, auch sein
Nachruhm ist verdunkelt und daher
stellt sich die berechtigte Frage, woran
das liegen könnte.
Die Antwort ist wohl in Florenz zu
suchen. Für die Stadt am Arno war der
Visconti der Tyrann, der nur eines im
Sinn hatte: die Zerstörung der Freiheit.
In der politischen Rhetorik der florentinischen Kanzler der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts war Florenz der Ort,
an dem Karl der Große seinerzeit römi-.
sehe Bürger angesiedelt hat, nachdem
er die Tyrannen der Lombardei unterworfen hatte. Florenz wurde damit der
Hort republikanischer Freiheit in unmittelbarer Nachfolge der antiken römischen Res publica. Diese Bedrohungskommunikation wurde der Auftakt der
"politischen" Renaissance, die sich damals in Form humanistischer Gelehrsamkeit und Rhetorik äußerte und wenige Jahre später mit der Aufnahme republikanischer Bauformen in der "Florentiner Renaissance" nach einhelliger
Auffassung das Ende des Mittelalters
bedeutete und die Moderne einleitete.
Die Florentiner Rhetorik gegen den gefürchteten mailändischen "Tyrannen"
geriet mit dem Humanismus in die Geschichtsbücher und verdichtete sich
dort zum Geschichtsbild. Hinzu kam,
dass Gian Galeazzo als Fürst des Heiligen Römischen Reiches und Enkel eines französischen Königs sich mit seinem Streben in den europäischen Hochadel "mittelalterlich" verhielt und "gotisch" baute. In der Rückschau spielte
bei der Konstruktion des Geschichtsbildes von Gian Galeazzo Visconti sicher
auch die Baukunst eine Rolle, konnte
doch die im gotischen Stil und im Auftrag eines machthungrigen Tyrannen gebaute Mailänder Kathedrale nicht mit
der die Moderne ankündigenden Florentiner Renaissance mithalten.
Damit ergibt sich ein ambivalentes
Bild, das im Grunde nur ein Fazit zulässt: Geschichte ist paradox und verläuft ergebnisoffen - jedenfalls liefert sie
uns weder eindeutige, noch schlüssige
Fortschrittserzählungen und schon gar
keine Schwarz-Weiß-Bilder. 0LKJIHGFEDCBA
L i t e r a t u r : JIHGFEDCBA
A r te lo m b a r d a d a i V is c a n ti a
des von Gian Galeazzo Visconti sicher
auch die Baukunst eine Rolle, konnte
doch die im gotischen Stil und im Auftrag eines machthungrigen Tyrannen gebaute Mailänder Kathedrale nicht mit
der die Moderne ankündigenden Florentiner Renaissance mithalten.
Damit ergibt sich ein ambivalentes
Bild, das im Grunde nur ein Fazit zulässt: Geschichte ist paradox und verläuft ergebnisoffen - jedenfalls liefert sie
uns weder eindeutige, noch schlüssige
Fortschrittserzählungen und schon gar
keine Schwarz-Weiß-Bilder. 0LKJIHGFEDCBA
L ite r a tu r :
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