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German Sales 1901-1945: Kunst - Auktionen - Provenienzen

2017, Provenienz & Forschung

CH RISTIAN HUEMER German Sales 1901 – 1945: Kunst – Auktionen – Provenienzen Auktionskataloge sind unverzichtbare Quellendokumente für die Provenienzforschung (Abb. 1). Deren Bedeutung für Kunstliebhaber und -händler wurde früh erkannt. Man sammelte sie, katalogisierte sie und versuchte, die darin enthaltenen Informationen über Werkcharakteristika, Besitzerwechsel und Marktwerte systematisch aufzuarbeiten. So publizierte Gerard Hoet mit seinem Catalogus of Naamlyst van Schilderyen bereits 1752 ein Verzeichnis von Gemälden (mit Preisen) basierend auf alten niederländischen Verkaufskatalogen. Knapp 200 Jahre später folgte Frits Lugt mit seinem vierbändigen Monumentalwerk Répertoire des catalogues de ventes publiques. Seit den 1980er Jahren schließlich ist der J. Paul Getty Trust dabei, forschungsrelevante Informationen aus verstreuten Quellendokumenten zentral zugänglich zu machen. Gegenwärtig enthält der Getty Provenance Index® mehr als eine Million Datensätze zu Transaktionen, die in historischen Auktionskatalogen dokumentiert sind. Trotz dieser langjährigen internationalen Anstrengungen bleiben Abdeckungsgrad und Tiefenerschließung bis heute mangelhaft – von Land zu Land beziehungsweise Epoche zu Epoche unterschiedlich komplett. Für den deutschsprachigen Raum konnten in den 1990er Jahren die versteigerten Gemälde vor 1800 aufgearbeitet und in drei Bänden publiziert werden.1 Heute ist diese Information online über die Provenance Index Datenbanken abrufbar. Eine substanzielle Erweiterung des Datenpools erfolgte dann zwischen 2010 und 2013 durch das Projekt »German Sales 1930 – 1945: Art Works, Art Markets, and Cultural Policy.« Ein bilaterales Forschungsförderungsprogramm von Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und National Endowment for the Humanities ermöglichte eine Externe Projekte 53 1 Katalog ausgewählter Kunstsachen aus dem Nachlasse Sr. Durchlaucht des Prinzen A. zu Solms-Braunfels sowie kleinerer Beiträge aus Privatbesitz, J. M. Heberle (H. Lempertz Söhne), Köln, 12.–14. März 1902, o. S. transatlantische Kooperation zwischen der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, der Universitätsbibliothek Heidelberg und dem Getty Research Institute, die es sich zum Ziel gemacht hatte, alle noch erhaltenen deutschsprachigen Auktionskataloge dieser kritischen Epoche zu erschließen, zu digitalisieren und in den Provenance Index einzuspeisen. Dafür wurde eine innovative, kollaborative und modulare Arbeitsweise entwickelt, die auch im Nachfolgeprojekt »German Sales 1901 – 1929« zur Anwendung kommt. Während die deutschen Partner die Finanzierung für das Folgeprojekt wiederum durch die DFG sichern konnten, entschied sich der J. Paul Getty Trust 2015 mit eigenen Mitteln die aufgebaute Infrastruktur und die internationalen Netzwerke erneut zu nutzen. Nach Abschluss des zweiten Teils im September 2017 (Berlin/Heidelberg) beziehungsweise Juli 2018 (Los Angeles) wird eine umfassende und kostenfrei zugängliche Quellenbasis von mehr als 9 000 digitalisierten Katalogen mit rund 750 000 Datensätzen für die Erforschung des deutschen Kunstmarktes in der Moderne und für die Provenienzforschung zur Verfügung stehen. Die Ergebnisse der beiden Teilprojekte sind über den DFG-geförderten Fachinformationsdienst arthistoricum.net (»German Sales 1901 – 1945«, Abb. 2) zentral zugänglich. Die Kunstbibliothek Berlin übernahm im Rahmen dieser Zusammenarbeit die biblio54 Externe Projekte grafische Erfassung aller für den Zeitraum in diversen Bibliotheken noch erhaltenen Kataloge, welche auch die Grundlage für die Digitalisierung in Heidelberg darstellt. Bislang wurden die Bestände von fast 40 Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgenommen. Im Gegensatz zu den großen amerikanischen Bibliotheken, welche die Metadaten ihrer Bestände in den spezialisierten, aber kostenpflichtigen Verbundkatalog SCIPIO einspeisen, sind in Deutschland Auktionskataloge oft nicht individuell erfasst. Bibliothekare wissen mitunter nur, wieviele Laufmeter sie davon im Keller haben, nicht jedoch, welche Kataloge und ob diese in irgendeiner Form handschriftlich annotiert sind. Die von der Kunstbibliothek erstellte Bibliografie, die derartige Zusatzinformation inkludiert, wird auch im Fortsetzungsprojekt »German Sales 1901 – 1929« wieder den ersten umfassenden Überblick zum Auktionswesen der Epoche liefern können. In leicht modifizierter Form (und angereichert um amerikanische Standorte) soll diese in Berlin als PDF-Datei publizierte Bibliografie am Ende auch in der sogenannten Sale Descriptions Datenbank des Getty Provenance Index® recherchierbar sein. Das online-Repositorium der Universitätsbibliothek Heidelberg stellt wenige Monate vor dem offiziellen Abschluss des Fortsetzungsprojekts für den Gesamtzeitraum 1901 – 1945 fast 8 000 digiExterne Projekte 2 Postkarte · German Sales 1901 – 1945 55 3 Mary Cassatt · Die Loge · 1882 · Öl auf Leinwand · 79,8 × 63,8 cm · Washington, National Gallery of Art (Chester Dale Collection), Inv.-Nr. 1963.10.96 talisierte Auktionskataloge zur Verfügung. Die Scans von mehr als einer halben Million Seiten wurden auf der Grundlage eines langjährig erprobten Workflows mit optischer Zeichenerkennung (OCR) in durchsuchbare Volltexte umgewandelt. Das Ergebnis ist eine ansprechende und zitierfähige Webpräsentation jedes einzelnen Digitalisats, das auf der Basis zusätzlich erstellter Strukturdaten bequem navigiert werden kann. Sämtliche Bände sind als PDF-Dateien zum Download bereitgestellt, die Freitextsuche funktioniert über die Einzelexemplare hinweg. Dies ist eine enorme Erleichterung für die Forschung. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass die automatisierte Texterkennung nach wie vor Fehler macht, weshalb ein von der Software nicht korrekt wiedergegebenes Wort bei der Suchanfrage keine Treffer erzielt. Für den Getty Provenance Index® wurden die Heidelberger Volltexte mithilfe automatischer Syntaxanalyse in spezifische Datenfelder für Künstlernamen, Werktitel, Maße, Material etc. eingelesen und anschließend manuell editiert. Um präzisere Suchergebnisse zu gewährleisten, wurde zudem jeder Künstlername aus dem Auktionskatalog mit einer Normdatei verknüpft, jeder Werktitel in all56 Externe Projekte gemeine Themen- und Genrekategorien eingeordnet. Die Datensätze im Provenance Index sind oft mit Zusatzinformationen wie Schätz-, Ausruf- und Verkaufspreisen versehen, die aus publizierten Quellen wie der Internationalen Sammler-Zeitung stammen. Einlieferer- und Käufernamen sollen sukzessive aus handschriftlichen Annotationen diverser Katalogexemplare sowie anderen wichtigen Archivmaterialen eingetragen werden. Besonders praktisch für den Nutzer ist, dass jeder Datensatz im Provenance Index permanent mit dem entsprechenden Digitalisat auf der Heidelberger Website verlinkt ist. Einschränkend ist hier wiederum zu vermerken, dass die sogenannte Sale Contents Datenbank aufgrund des enormen Redaktionsaufwandes bislang auf Gemälde, Zeichnung und Skulptur fokussiert ist. Wer sich beispielsweise für Kunsthandwerk, Bücher, Münzen oder Musikinstrumente interessiert, muss sich auf die Volltextsuche in Heidelberg verlassen. Es bleibt zu hoffen, dass die neu geschaffene Quellenbasis erhellende Forschungsergebnisse generiert. Immerhin scheinen deutsche Städte wie Berlin, München oder Düsseldorf in ihrer Bedeutung als internationale Umschlagplätze für Kunst in der Moderne unterschätzt. In den 1920er Jahren kamen sogar Pariser Altmeistersammlungen wie jene von Joseph Spiridon in Berlin unter den Hammer; amerikanische Sammler und Händler waren bei derartigen Prestigeauktionen stets präsent, die Preise erreichten internationales Niveau. Im Zuge der editorischen Arbeit für den Provenance Index konnten bereits einige der Provenienzforschung noch unbekannte Transfers von Deutschland nach Amerika entdeckt werden. Dass etwa Mary Cassatts »Die Loge« (Abb. 3) am 15. Mai 1928 bei Paul Graupe in Berlin als Teil der »Sammlung S. M.« angeboten wurde, ist selbst dem heutigen Besitzer, der National Gallery of Art in Washington, bislang verborgen geblieben.2 Die Konturen historischer Sammlungen werden für die Nachwelt oft erst im Augenblick ihrer Auflösung erkennbar. 1 Thomas Ketelsen, Tilmann von Stockhausen: Verzeichnis der verkauften Gemälde im deutschsprachigen Raum vor 1800, hg. von Burton B. Fredericksen, Julia I. Armstrong, The Provenance Index of the Getty Research Institute, München 2002. 2 Ich danke meiner Kollegin Claudia Einecke, Editorin von »German Sales 1901 – 1929«, für diesen Hinweis. Dr. Christian Huemer, Getty Research Institute, Los Angeles, ist Leiter der Getty Provenance Index® Datenbanken. Externe Projekte 57