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CARL MOLL ALS
AUSSTELLUNGSMACHER
UND
KUNSTHÄNDLER
CH RI STIAN H U EM ER
CARL MOLL AS
CURATOR
AND
ART DEALER
71
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
ie kaum ein anderes Gemälde der Wiener Moderne stellt
Carl Molls Mein Atelier / Selbstbildnis im Atelier (GE 236) die Widersprüche und Ambivalenzen eines Künstlers des Wiener Fin
de Siècle dar: Durch einen Spalt des Vorhangs sieht man
den Künstler, korrekt mit Anzug samt Masche bekleidet, im
hinteren Teil seines Ateliers konzentriert am Schreibtisch
sitzen, wobei auf den ersten Blick nichts darauf hindeutet, dass er gerade einer
künstlerischen Tätigkeit nachgeht. Vielmehr scheint sich Moll Büroarbeiten zu
widmen, mit goldenem Füller in der rechten Hand einen Brief schreibend.1 Im
vorderen Teil des Raumes können zwei prominente Kunstwerke identifiziert
werden: Van Goghs Porträt seiner Mutter und George Minnes kniender Knabe.
Beide Werke waren von Moll zu Ausstellungszwecken nach Wien gebracht
worden, die Gussform für Minnes Gipsfigur aus der Pariser Galerie La Maison
Moderne für die Secession und Van Goghs Mutter-Porträt vom Berliner Kunstsalon Paul Cassirer für die Galerie Miethke. Die Sammlungsobjekte symbolisieren
die weltläufige Vernetztheit ihres Besitzers. Stilistisch zeigt das Selbstporträt
Molls alle Elemente, die sein künstlerisches Schaffen auszeichnen: die genaue
Beobachtung einer alltäglichen Situation mit vielfältigen Licht- und Schattenkonstellationen sowie die starke Betonung des Raumes trotz impressionistischer
Auflockerung der Oberflächen. Die modernen Räume von Josef Hoffmann, dem
Architekten seiner Villa auf der Hohen Warte, in altmeisterliche Interieurs à la
Vermeer zu übersetzen, war Molls erklärte Absicht. Vor allem aber thematisiert
das Bild auf einer ganz persönlichen Ebene seine lebenslange Zerrissenheit
zwischen den Rollen als Künstler und Kulturmanager.
Dass Carl Moll als Künstler immer wieder hinter seine Rolle als Vermittler und Anreger zurücktritt und gerade dadurch omnipräsent bleibt, davon
haben schon seine Zeitgenossen zu berichten gewusst. So meinte etwa der
Kunsthistoriker Hans Tietze: „Wer die Kunstgeschichte dieser Zeit nicht als
bloßes Stück formaler Entwicklung, sondern als einen Abschnitt lebender
Geistesgeschichte schildern wollte, würde immer wieder auf diesen Maler
stoßen, der ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden oder im künstlerischen
Vereinsleben eine führende Rolle zu spielen, durch bloßes Einsetzen seiner
Persönlichkeit all das erstrebt hat, was anderwärts durch Organisation der
Kräfte erzielt wird.“2 Als Famulus des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler,
den er in praktischen Angelegenheiten unterstützte, war der junge Moll 1892
erstmals mit dem Arbeitsausschuss der Genossenschaft der bildenden Künstler
Wiens in Kontakt getreten, um seinem zurückgezogen arbeitenden Meister
einen Raum für die Frühjahrsausstellung zu sichern. Als sein organisatorisches
Debüt gelten allerdings das Arrangement von Schindlers Gedächtnisausstellung
im Künstlerhaus und die dafür notwendige Ordnung seines künstlerischen
Nachlasses im Herbst desselben Jahres. Mehrere Besprechungen im Feuilleton
erwähnen dann auch, dass die „schöne und würdige Gedächtnisfeier von
Schüler- und Freundeshand“ arrangiert worden sei.3 Mit 120 Gemälden und
34 Zeichnungen suchte Moll seinem verehrten Meister ein Denkmal zu setzen.
Hugo Othmar Miethke, der im Anschluss die Nachlassauktion im Künstlerhaus
durchführte, war vom organisatorischen Talent Molls offenbar so beeindruckt,
dass er ihm kurzerhand die Teilhaberschaft an seiner Galerie anbot.
Doch noch ist Moll nicht bereit, seine künstlerische Arbeit einer
vermittelnden Tätigkeit unterzuordnen. Gegenüber der Genossenschaft der
1
Moll dürfte für das Selbstporträt ein Foto
von Friedrich Viktor Spitzer als Vorlage
benutzt haben, auf dem er allerdings bei der
Bearbeitung eines Holzschnitts zu sehen ist
(vgl. S. 181).
2
Tietze, Carl Moll, 1921, S. 51.
3
Anonymus, Schindler-Ausstellung, 23.11.1892,
S. 17. Ich danke Stefan Lehner für die
Unterstützung bei den Quellenrecherchen
für diesen Artikel.
C A R L M O LL A S C U R ATO R A N D A RT D E A LE R
72
GE 236
Mein Atelier / Selbstbildnis im Atelier,
um 1906
Akademie der bildenden Künste,
Gemäldegalerie
1
Moll apparently used a photo by Friedrich
Viktor Spitzer as a model for the self-portrait,
albeit that the photo shows him working on
a woodcut (cf. p. 181).
2
Tietze, Carl Moll, 1921, p. 51.
3
Anon., Schindler-Ausstellung, 23.11.1892, p. 17.
I would like to thank Stefan Lehner for his
support in researching the sources for this
essay.
o other painting depicts the contradictions and ambivalences
of a fin-de-siècle Viennese artist quite as well as Carl Moll’s
Mein Atelier / Selbstbildnis im Atelier (GE 236): Through a crack in
the curtain we can see him, respectably dressed in a suit and
a bow-tie, sitting in concentration at the writing desk in the
rear part of his studio, with nothing to immediately suggest
that he is pursuing any kind of artistic activity. Rather, Moll appears to dealing
with his paperwork, writing a letter with a gold pen that he is holding in his
right hand.1 Towards the front of the space we can identify two prominent
artworks: Van Gogh’s portrait of his mother and George Minne’s kneeling boy.
Moll brought both works to Vienna in order to exhibit them, the cast for
Minne’s plaster figure from the gallery La Maison Moderne in Paris for the
Secession and Van Gogh’s maternal portrait from Paul Cassirer’s art salon in
Berlin for Galerie Miethke. These objects from his collection symbolize the
cosmopolitan network of their owner. In stylistic terms, Moll’s self-portrait
displays all the elements that distinguish his artistic work: the precise observation of an everyday situation with varying combinations of light and shadow
and a strong emphasis on the space, despite the impressionist breaking down of
the surfaces. Moll’s declared intention was to translate the modern spaces of
Josef Hoffmann, the architect of his villa on the Hohe Warte, into interiors
reminiscent of the Old Masters and, in particular, Vermeer. Above all, however,
the painting addresses – at a very personal level – the lifelong inner conflict
between Moll the artist and Moll the cultural manager.
The fact that, as an artist, Carl Moll repeatedly retreated behind his roles
as a facilitator and a motivator and yet, as a direct result of this, remained
omnipresent was already being reported by his contemporaries. The art
historian Hans Tietze wrote that: “Anyone seeking to portray the history of art
during these years not as a simple series of formal developments, but as a
period of vibrant intellectual history, would repeatedly come across this painter,
who, without occupying any official post or playing a leading role in the life of
any artistic association, has achieved everything that is usually achieved
through the organization of forces, merely through the deployment of his
personality.”2 As the assistant of the landscape painter Emil Jakob Schindler,
whom he supported in practical matters, the young Moll first came into contact
with the working committee of the Association of Viennese Artists in 1892,
when he was seeking to secure a room in the spring exhibition for his master,
who had withdrawn into his work. Moll made his organizational debut,
however, with the arrangement of the memorial exhibition for Schindler in the
Künstlerhaus and, as part of the preparation for the event, the organization of
his master’s artistic estate in the autumn of the same year. Many reviews in the
arts pages also mention that the “wonderful and worthy commemoration [has
been arranged] by the hand of a pupil and friend.”3 With 120 paintings and
34 drawings, Moll sought to establish a memorial to his revered master. Hugo
Othmar Miethke, who conducted the subsequent auction of the estate in the
Künstlerhaus, was apparently so impressed by Moll’s organizational talent that
he offered him a partnership in his gallery on the spot.
Moll was not prepared to put a facilitating role ahead of his artistic
work. Yet he agreed to join the working committee of the Association of
Viennese Artists, where he was made responsible for direct negotiations with
73
Julius von Blaas
Stuck-Parodie Der Krieg,
in: Die Kunst für Alle, Jg. 10, H. 14, 15.4.1895,
S. 223, Archiv des Belvedere, Wien
SEC E SSION U N D DIE „ A FFA IRE MOLL“
Im sozialen Netzwerk der Wiener Künstlerschaft fiel Moll eine zentrale Rolle zu,
selbst wenn er diplomatisch geschickt eher im Hintergrund die Fäden zu ziehen
wusste. So dürfte sein Atelier in der Theresianumgasse neben dem Salon von
Berta Zuckerkandl ein Brennpunkt der Debatten um eine mögliche Sezession
gewesen sein. Jeden Sonntag traf sich dort ein illustrer Kreis von Gleichgesinnten, darunter Gustav Klimt, Josef Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Koloman
Moser, Max Kurzweil und Wilhelm List. Umso erstaunlicher mutet es an, dass
er dieses Grundstück anlässlich eines Besuchs bei seinem späteren Nachbarn,
Eugen Felix, dem „Führer der Konservativen“ im Künstlerhaus, finden sollte.
Die Trennlinie zwischen Freund und Feind war offenbar nicht so rigide wie
in der kunsthistorischen Literatur oft dargestellt. Moll beschrieb Felix als
Menschen von „gewinnender Liebenswürdigkeit, ehrgeizig, unermüdlich tätig,
der geborene Vereinsmeier. [...] Schon seine Rednergabe, seine Suada, prädestinierte ihn zum Vorstande.“7 Als die „Fraktion der Modernen“ um den Bildhauer
Edmund Hellmer bei der Vorstandswahl dem amtierenden Präsidenten erwartungsgemäß unterliegt, spitzen sich die Auseinandersetzungen zu und Moll
trägt wesentlich zum Zerwürfnis im Künstlerhaus bei. Er war es dann auch, der
die konstituierende Sitzung der Wiener Secession am 3. April 1897 einberief,
bei welcher Gustav Klimt zum Präsidenten und er selbst zum Vizepräsidenten
gewählt wurde.
Es ist davon auszugehen, dass Moll das international orientierte Ausstellungsprogramm der Secession entscheidend mitgeprägt hat, selbst wenn bei
4
Anonymus, Secessionisten, 1.12.1894, S. 9.
5
Groller, Secessionisten, 1.12.1894, S. 1.
6
Schon Berta Zuckerkandl erkannte die
Bedeutung der vom „gefürchteten
Revolutionär im Künstlerhaus“ organisierten
Ausstellung für die Gründung der Wiener
Secession; siehe Zuckerkandl, Zeitkunst,
1908, S. 147.
7
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 34–35. Das
der Moll-Forschung bislang unbekannte
Typoskript im Kunsthaus Zürich wird vom
Autor für die Publikation als historisch-kritische Ausgabe bearbeitet.
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
bildenden Künstler Wiens erklärt er sich dennoch bereit, im Arbeitsausschuss
mitzuwirken, wo ihm für die III. Internationale Kunstausstellung 1894 die persönlichen Verhandlungen mit den Münchner Künstlern übertragen werden. Dass
diese Aufgabe Zündstoff bergen könnte, war den Verantwortlichen wohl nicht
bewusst gewesen, denn in München hatte es bereits ein Schisma innerhalb der
Künstlerschaft gegeben. Molls Verhandlungsgeschick ist es zu danken, dass bei
der Wiener Internationalen zwar die Mitglieder der Münchner Künstlergenossenschaft das gesamte Nachbarland exklusiv vertreten durften, danach im Gegenzug aber den dortigen Secessionisten eine eigene Schau im Künstlerhaus
ausgerichtet wurde. Da sich – wie es ein Kritiker im Lokal-Anzeiger der Presse
formulierte – bislang nur „einsame Schwalben der modernen Malerei“ nach
Wien verirrt hatten, provozierte die stattliche Kollektion an neuartigen und
kontroversen Werken, darunter Franz Stucks Der Krieg und Die Sünde, einen
handfesten Skandal.4 Vor allem arbeitete sich die Öffentlichkeit nun am Begriff
der „Sezession“ ab. Balduin Groller stellte im Neuen Wiener Tagblatt nicht zu
Unrecht fest, dass „von einem gemeinsamen Kunstprincip, einem künstlerischen Glaubensbekenntnis, das sie zusammenhielt, keine Rede sein kann“.5
Deshalb vermutete er, es gehe den Secessionisten um Anarchie, zumal sie für
schrankenlose Freiheit kämpften, damit sich die künstlerische Individualität
ohne Rücksicht auf Traditionen oder Normen entfalten könne. Moll hatte mit
der Schau jedenfalls ein trojanisches Pferd ins Künstlerhaus eingeschleppt und
bald wurden auch dort die separatistischen Stimmen lauter.6
C A R L M O LL A S C U R ATO R A N D A RT D E A LE R
74
GE 143
Verschneites Atelier in der
Theresianumgasse, 1899
Privatbesitz Wien
the Munich artists in connection with the III. Internationale Kunstausstellung in 1894.
The potentially explosive nature of this task due to the schism that had already
appeared within the artists’ community in Munich was perhaps not realized by
the Society’s officials. It was thanks to Moll’s negotiating skill that the Munich
Artists’ Association was allowed to exclusively represent Austria’s neighbor at
the Vienna Internationale and then, in turn, Munich’s secessionists had their
own show in the Künstlerhaus. Given that – as expressed by a critic in the local
classifieds section of the Presse – only “solitary swallows of modern painting”
had previously strayed to Vienna, the imposing collection of new and controversial works, which included Franz Stuck’s Der Krieg and Die Sünde, provoked a
major scandal.4 More particularly, it triggered an exhaustive public discussion
of the notion of “secession.” In the Neues Wiener Tagblatt, Balduin Groller declared,
not without good reason, that “there can be no talk of a shared artistic principle, a statement of artistic beliefs that binds them together.”5 For this reason, he
suspected that the true agenda of the secessionists was anarchy and, in particular, a fight for unbridled freedom that would allow artistic individuality to
blossom, regardless of traditions or norms. In any event, the exhibition organized by Moll had allowed a Trojan horse into the Künstlerhaus, where separataist voices would also soon be heard.6
SEC E SSION A N D THE “MOLL A FFA IR ”
4
Anon., Secessionisten, 1.12.1894, p. 9.
5
Groller, Secessionisten, 1.12.1894, p. 1.
6
Berta Zuckerkandl already recognized the
importance of the exhibition, which was
“organized by the feared revolutionary in the
Künstlerhaus,” for the founding of the Vienna
Secession; see: Zuckerkandl, Zeitkunst, 1908,
p. 147.
7
Moll, Jahrhundertwende, 1943, pp. 34–35.
The typescript in Kunsthaus Zürich, which
was previously unknown to scholarship on
Moll, is being prepared by the author as a
historical-critical edition.
Moll played a central role in the social network of Vienna’s artists, even if he
was aware of the diplomatic benefits of pulling strings discreetly. Thus, like
Berta Zuckerkandl’s salon, his atelier in Theresianumgasse must have been a
focal point of the debates about a potential secession. Every Sunday, it was the
meeting place for an illustrious circle of kindred spirits, including Gustav Klimt,
Josef Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Max Kurzweil, and
Wilhelm List. It is thus even more surprising that he had found the premises
during a visit to his later neighbor, Eugen Felix, the “leader of the conservatives”
in the Künstlerhaus. The dividing line between friend and foe was apparently
not as rigid as commonly depicted in the art historical literature. Moll described
Felix as a person “of winning amiability, ambitious, tirelessly active, a born
club member, [...] whose ability to speak, to persuade others with a torrent of
words, meant that he was predestined to join the committee.”7 When the
“modernist faction” led by the sculptor Edmund Hellmer was beaten, as
expected, by the incumbent president in the committee elections, the conflict
in the Künstlerhaus intensified, with Moll playing a significant role in the
growing rift. And it was he who then convened the inaugural meeting of the
Vienna Secession on April 3, 1897 at which Gustav Klimt was elected president
and Moll vice president.
It can be assumed that Moll decisively influenced the Secession’s internationally oriented exhibition program, even if the collective nature of the
organization’s activities often makes it difficult today to clearly identify any
individual contribution. He makes tireless use of his contacts at home and
abroad, exploits his excellent relationships with the Ministry of Culture and
Education as well as private patrons, and helps in the acquisition of exhibits on
75
in Paris 1900,
in: The Studio, Jg. 21, 1900, S. 117,
Archiv des Belvedere, Wien
einer im Kollektiv agierenden Organisation der Beitrag des Einzelnen heute oft
nicht mehr ganz klar erkennbar ist. Unermüdlich lässt er seine Kontakte im
In- und Ausland spielen, bringt seine blendenden Beziehungen zum Ministerium für Cultus und Unterricht sowie zu privaten Mäzenen ein und hilft bei der
Beschaffung von Exponaten am internationalen Kunstmarkt – was mit intensiver Reisetätigkeit verbunden ist. Umgekehrt dürfte auch er in dieser Zeit als
Ausstellungsmacher Erfahrungen gesammelt haben, auf die er noch Jahrzehnte
später zurückzugreifen weiß, etwa die Notwendigkeit zu konzeptueller Stringenz, selektiver Verdichtung und gestalterischer Einheit. Als österreichischer
Delegierter der Pariser Weltausstellung 1900 konnte er neben Josef Hoffmann, dem
die raumkünstlerische Gestaltung der Schau im Grand Palais übertragen wurde,
bei Auswahl und Hängung der Secession mitreden. Im puritanisch einheitlichen
Erscheinungsbild dieser Präsentation sah Richard Muther das entscheidende
Distinktionsmerkmal, wenn er vermerkt: „die Hauptsache bleibt, dass – zum
erstenmal vor der Welt – ein Princip formuliert wird: nur in künstlerischer
Umgebung kann Kunst wirken.“8 Moll meinte rückblickend, für ihn sei das
wichtigste Ergebnis seines vierwöchigen Paris-Aufenthalts die erste intensive
Auseinandersetzung mit dem Impressionismus und dessen Genese gewesen.
Kaum ein Wiener Maler hatte zu diesem Zeitpunkt von der Avantgarde-Bewegung
einen klaren Begriff, selbst wenn der internationale Kunsthandel bereits seit
gut einem Jahrzehnt davon durchdrungen war. In der von Moll besuchten
Jahrhundertausstellung französischer Kunst waren sie alle mit Hauptwerken vertreten:
Manet, Monet, Renoir, Degas, Cézanne etc.
Von Juni 1900 bis Juni 1901, als mit Präsident Carl Moll ein Maler der
Künstlervereinigung vorstand, florierte vielleicht etwas überraschend die
8
Muther, Studien, 1900, S. 332f.
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
Die Secession auf der Weltausstellung
C A R L M O LL A S C U R ATO R A N D A RT D E A LE R
76
Giovanni Segantini
Le cattive madri, 1894
Öl auf Leinwand, 105 × 200 cm,
Belvedere, Wien
8
Muther, Studien, 1900, p. 332f.
9
Cf. Forsthuber, Raumkunst, 1991, pp. 51–61.
10
Anon., Theater, 8.5.1901, p. 11.
the international art market – a task that requires intensive travelling. Conversely, he also seems to have gathered experience at this time as a curator, learning
about the need for conceptual rigor, selective concentration, and aesthetic unity,
concepts that he will turn to again decades later. As an Austrian delegate to the
Universal Exposition in Paris in 1900 he joined Josef Hoffmann, who had been
charged with the spatial design of the show in the Grand Palais, in selecting
and hanging the works of the Secession. Identifying the puritanically unified
appearance of this presentation as its decisively distinguishing characteristic,
Richard Muther commented: “the main thing remains that a principle is being
formulated for the first time before the eyes of all: Art can only be effective in
artistic surroundings.”8 Looking back, Moll noted that the most important result
of his four-week stay in Paris was his first intense encounter with Impressionism and its origins. At this point, hardly any Viennese painter had a clear
understanding of this avant-garde movement, even if it had been permeating
the international art market for at least a decade. Moll visited the Centennial
Exposition of French Art, in which all its major figures – Manet, Monet, Renoir,
Degas, Cézanne, etc. – were represented by major works.
While it may appear surprising that modern applied art flourished
between June 1900 and June 1901, the year during which Carl Moll, a painter,
was president of the association, this fact could be explained by the vice-presidency of Josef Hoffmann.9 In any event, the Secession put on an arts and crafts
exhibition during this period that featured, amongst others, Mackintosh, van de
Velde, and Minne, a display of Masterpieces from Abroad by Segantini, Rodin, and
Klinger, and a show exclusively devoted to the work of Austrian artists, in which
the main exhibit was Klimt’s Medizin. The résumé presented to the General
Assembly on May 6, 1901, which encompassed 100,000 visitors and the sale of
works with a value of 290,000 Kronen, including that of Segantini’s Le cattive madri
to the Moderne Galerie, was highly satisfactory.10
Starting in 1904, divisions surfaced again amongst Vienna artists with
the emergence of the idea, based on the Berlin model, of integrating Galerie
Miethke into the Secession as a sales outlet. Even before the matter could be
discussed in the General Assembly the jeweler Paul Bacher, a wealthy friend of
Gustav Klimt, decided to acquire the gallery, of which Moll, without lengthy
77
Ferdinand Georg Waldmüller
Praterlandschaft, 1830
Öl auf Holz, 91,5 × 71 cm,
Gemäldegalerie, Berlin
DIE GA LERIE M IETHK E
Die kunst- und kulturhistorische Bedeutung des von Carl Moll entwickelten
Ausstellungsprogramms für die Galerie Miethke kann kaum überschätzt
werden.12 Der Maler Arnold Clementschitsch erinnerte sich beispielsweise noch
Jahrzehnte später daran, welch tiefen Eindruck die französischen Impressionisten auf ihn bei seinen Besuchen gemacht hatten.13 Andere wiederum, darunter
kein Geringerer als Egon Schiele, erhielten dort ihre erste Galerieausstellung.
Hier konnte Moll sein organisatorisches Talent weitgehend unabhängig von den
üblichen Vereinszwängen entfalten. Beim Ausstellungsprogramm hatte er im
Großen und Ganzen freie Hand, er musste keinen Arbeitsausschuss mehr von
seinen Ideen überzeugen. Die Präsentationen waren im Umfang kleiner als jene
der Secession, sie wechselten mit größerer Frequenz und waren zudem oft
monografisch angelegt. Moll wollte die Galerie Miethke nie als Konkurrenz zur
Secession in Stellung bringen, er sah in ihr vielmehr eine notwendige Ergänzung zu deren Aktivitäten. Dennoch sollten Kritiker wie Ludwig Hevesi bald
feststellen, dass die Führung auf modernen Pfaden in Wien nunmehr auf die
Galerie Miethke übergegangen war: „In diesen Räumen sieht man vor allem das
Kühne, Starke, Neue, Vielangefochtene, das erst morgen anerkannt werden
wird.“14
Neu gestaltet wurde mit der Übernahme auch der zentrale Ausstellungsraum in der Dorotheergasse, der bis dahin in braunrot-goldenes Halbdunkel
getaucht war. Koloman Moser verpasste dem Oberlichtsaal einen weißen
Mörtelputz, schwarze Fenster- und Türrahmen sowie einen Fries aus weißschwarzen Quadraten. Die erste Schau, die sogar Kaiser Franz Joseph I. als einer
der Leihgeber besuchte, widmete Moll von November bis Dezember 1904 dem
9
Vgl. Forsthuber, Raumkunst, 1991, S. 51–61.
10
Anonymus, Theater, 8.5.1901, S. 11.
11
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 115.
12
Siehe die grundlegenden Arbeiten von
Natter, Carl Moll, 1998; Schweiger,
Kunstsalon, 1998; Natter, Miethke, 2003.
13
Clementschitsch, Wege, 1947, S. 104f.
14
Hevesi, Wien, 1907, S. 12.
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
moderne Raumkunst – was mit der Vizepräsidentschaft von Josef Hoffmann
zu tun gehabt haben mag.9 Jedenfalls zeigte die Secession in dieser Zeit eine
kunstgewerbliche Ausstellung mit Mackintosh, van de Velde, Minne und anderen,
eine mit Meisterwerken des Auslandes von Segantini, Rodin und Klinger sowie eine,
die ausschließlich Arbeiten österreichischer Künstler gewidmet war, darunter
als Hauptexponat Klimts Medizin. Das bei der Generalversammlung am 6. Mai
1901 gezogene Resümee von 100.000 Besuchern und dem Verkauf von Werken
im Wert von 290.000 Kronen, darunter Segantinis Le cattive madri an die Moderne
Galerie, konnte sich durchaus sehen lassen.10
Ab 1904 kommt es in der Wiener Künstlerschaft erneut zu Zwistigkeiten,
als die Idee auftaucht, nach Berliner Vorbild die Galerie Miethke der Secession
als Verkaufslokalität anzugliedern. Noch bevor die Angelegenheit in der Generalversammlung diskutiert werden kann, entschließt sich ein wohlhabender
Freund Gustav Klimts, der Juwelier Paul Bacher, zum Erwerb der Galerie, wobei
Moll ohne langes Zögern die künstlerische Leitung übernimmt. Am 14. Juni
1905 kommt es zu einer Kampfabstimmung in der „Affaire Moll“, bei welcher
die Unvereinbarkeit von Kunst und Handel besiegelt wird, was wiederum zum
Austritt der sogenannten Klimt-Gruppe führt. „Es scheint“, so Moll in seinen
Lebenserinnerungen, „daß die Künstler zu jenen Lebewesen gehören, die sich
nicht durch Zeugung sondern durch Spaltung fortpflanzen.“11
C A R L M O LL A S C U R ATO R A N D A RT D E A LE R
78
hesitation, became artistic director. On June 14, 1905 the matter of the “Moll
Affair” is put to a vote, which confirmed the incompatibility of art and commerce and, in turn, led to the resignation of the so-called Klimt Group. “It
appears,” Moll recalls in his memoirs, “that artists count amongst those creatures that reproduce not through procreation but through division.”11
GA LERIE M IETHK E
Ausstellung der Wiener Werkstätte,
Galerie Miethke, 1905, in: The Studio, Jg. 37,
1906, S. 169, Archiv des Belvedere, Wien
11
12
Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 115.
See the basic works by Natter, Carl Moll,
1998; Schweiger, Kunstsalon, 1998; Natter,
Miethke, 2003.
13
Clementschitsch, Wege, 1947, p. 104f.
14
Hevesi, Wien, 1907, p. 12.
15
Zuckerkandl, Kunst, 4.4.1910, p. 4.
It is hard to overestimate the art-historical and cultural significance of the
exhibition program developed by Carl Moll for Galerie Miethke.12 Decades later,
for example, the painter Arnold Clementschitsch was still recalling the powerful effect exerted upon him by the French Impressionists during his visits.13 For
others, including none other than Egon Schiele, it was the setting for their first
gallery exhibition. Here, Moll was able to develop his organizational talents,
with few of the constraints common to an association. He generally had a free
hand in planning the exhibition program and no longer had to sell his ideas to
any working committee. The presentations were smaller in scale than those in
the Secession, changed more frequently, and were also often monographic.
Keen to avoid positioning Galerie Miethke as a competitor to the Secession, Moll
preferred to see it as a much-needed complement. And yet critics such as
Ludwig Hevesi soon observed that it was Galerie Miethke that was now leading
the move towards Modernism in Vienna: “It is in these spaces that one principally sees the bold, the strong, the new, the much-challenged, which will only
gain recognition tomorrow.”14
The takeover of Galerie Miethke also led to the redesign of the main
exhibition space in Dorotheergasse, which had previously been submerged in a
brown-red and golden semi-darkness. Koloman Moser decorated the top-lit
space with white plaster, black door and window frames, and a black-and-white
checkerboard frieze. Moll devoted the first exhibition, which was staged
between November and December 1904 and even visited by Emperor Franz
Joseph I. in his role as one of the lenders, to the Biedermeier painter Ferdinand
Georg Waldmüller. The gallery generally mixed works that were for sale with
others that weren’t, loans from private collections and museums. It even
attracted German museum directors such as Hugo von Tschudi, who returned
home with an important Praterlandschaft for the National Gallery in Berlin. The
show is seen as triggering both the reception of Waldmüller in fin-de-siècle
Vienna and the wider appreciation of the artist in Germany. Anton Romako and
Carl Schuch were also subsequently reappraised as a result of monographic
exhibitions organized by Moll.
Above all, however, it was French modernists that were exhibited more
often and in greater numbers in Galerie Miethke during Moll’s seven years as
artistic director than in any other institution in the Habsburg metropolis, as
noted by Berta Zuckerkandl: “The major, important developments in Impressionism, the torchbearer of a new artistic ideal, Gauguin and van Gogh, have
been presented to us at Miethke by Carl Moll. And he is also to thank for the
fact that an outstanding figure, like Daumier, and a rare phenomenon, like
Toulouse-Lautrec, are viewed as instructive and inspiring treasures”15
79
Vincent van Gogh
Portrait de la mère de l’artiste, 1888
Öl auf Leinwand, 40,6 × 32,4 cm,
Norton Simon Museum, Pasadena
15
Zuckerkandl, Kunst, 4.4.1910, S. 4.
16
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 76.
17
Heute Sammlung Oskar Reinhart, Winterthur.
18
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 134.
19
Heute Musée d’Orsay, Paris.
20 Heute Metropolitan Museum of Art,
New York.
21
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 135.
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
Biedermeiermaler Ferdinand Georg Waldmüller. Meist mischte die Galerie
käufliche und unverkäufliche Werke, Leihgaben aus Privatbesitz und Museen.
Angelockt wurden sogar deutsche Museumsdirektoren wie Hugo von Tschudi,
der eine bedeutende Praterlandschaft für die Berliner Nationalgalerie mit nach
Hause nahm. Die Schau gilt als Initialzündung der Waldmüller-Rezeption der
Wiener Jahrhundertwende und als Beginn seiner Wertschätzung in Deutschland. Eine Neubewertung durch von Moll organisierte Personalen erfuhren in
weiterer Folge auch Anton Romako oder Carl Schuch.
Vor allem aber wurden die Klassiker der französischen Moderne in der
Galerie Miethke während der sieben Jahre unter Molls Leitung öfter und
zahlreicher ausgestellt als in jeder anderen Institution der Habsburgermetropole,
wie schon Berta Zuckerkandl anmerkte: „Die großen, wichtigen Entwicklungsresultate des Impressionismus, die Fackelträger eines neuen Kunstideals, Gauguin und van Gogh, hat Carl Moll bei Miethke uns gebracht. Und ihm ist auch
zu danken, dass eine überragende Gestalt, wie die Daumiers, oder eine seltene
Erscheinung, wie die von Toulouse-Lautrec, als Kostbarkeit lehrreich und
eingeprägt werden.“15
Wegweisend und von großer künstlerischer Wirkung war die Ausstellung von Vincent van Gogh im Jänner 1906. Sie fand nach der Eröffnungsschau
über die Wiener Werkstätte bereits in der Dependance am Graben statt. Moll
selbst war mit der „befremdenden Neuheit“ van Goghs (und Cézannes)
erstmals beim Auspacken seiner Bilder für die spektakuläre ImpressionismusAusstellung in der Secession 1903 konfrontiert. Das Publikum, gewohnt Malerei
nach dem „schulmäßige[n] Können eines Handwerkers“ zu beurteilen, so Moll,
„konnte unmöglich zu diesen Eruptionen eines Genies eine Beziehung finden.“16
Das war auch drei Jahre später bei Miethke kaum anders; die Kritik war sich in
ihrer ablehnenden Haltung weitgehend einig. Zustande kam die Ausstellung
durch eine Kooperation mit dem Berliner Galeristen Paul Cassirer, der einen
Großteil der 45 Exponate direkt aus dem Nachlass van Gogh-Bonger einlieferte.
Moll selbst konnte mittlerweile drei Werke aus seiner eigenen Sammlung beisteuern. Portrait de la mère de l’artiste, welches in Molls Mein Atelier (GE 236) zu sehen
ist, war über Cassirer in seinen Besitz gelangt, weil Paul Bacher es zusätzlich
zum Le jardin de l’hôpital d’Arles17 trotz des äußerst niedrigen Preises von 500 Francs
nicht für die Galerie Miethke übernehmen wollte: „Ja, lieber Moll, kaufen ist
leichter als verkaufen – wem soll ich denn das alte Weib aufreden – denken Sie
doch auch ans Publikum!“18 Derartige Differenzen bezüglich des künstlerischen
Wertes von potenziellen Akquisen dürften öfter aufgetreten sein. Ein andermal
telegrafierte Moll aus Paris an Bacher voller Begeisterung wegen dreier Hauptwerke van Goghs. Er hatte L’Arlésienne19 und La Berceuse20 sowie Le Jardin de Daubigny
aus der Sammlung Amédée Schuffenecker in Meudon für 25.000 Francs angeboten bekommen. Zum Kaufabschluss kam es jedoch wieder nicht, weil
Bacher meinte: „Habe mit dem Einen genug – für van Gogh kein weiterer
Franc zu haben.“21 Moll zeigte sich über solche verpassten Chancen noch
Jahrzehnte später enttäuscht, weil damit seine Bemühungen, vorbildliche Kunst
des Auslands nach Wien zu bringen und idealerweise etwas Bleibendes zu
schaffen, torpediert wurden. Ähnlich erging es ihm später mit einem Hauptwerk von Édouard Manet, Sur la plage, aus der Sammlung Henri Rouart. Moll
konnte die einzigartige Impressionisten-Kollektion mit nahezu 300 Werken
bereits 1908 bestaunen und zwei Gemälde für die Daumier-Ausstellung in der
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80
Édouard Manet
Sur la plage, 1873
Öl auf Leinwand, 59,6 × 73,2 cm,
Musée d’Orsay, Paris
16
17
Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 76.
Now in the Oskar Reinhart Collection,
Winterthur.
18
Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 134.
19
Now in the Musée d’Orsay, Paris.
20 Now in the Metropolitan Museum of Art,
New York.
21
Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 135.
22 Ibid., p. 202. For more on the Henri Rouart
Collection see: Distel, Collectionneurs, 1989,
pp. 177–193.
23 Moll, Leben, 1943, p. 147.
A pioneering event that also had a powerful artistic impact was the
Vincent van Gogh exhibition in January 1906. This was held in the branch
on the Graben following the opening exhibition, which was dedicated to the
Wiener Werkstätte. Moll himself had first been confronted by the “disconcerting novelty” of van Gogh (and Cézanne) while unpacking his paintings for the
spectacular Impressionism exhibition in the Secession in 1903. The public who,
according to Moll, were “used to evaluating a painting in terms of the didactic
skill with which it was crafted […] couldn’t possibly relate to these eruptions
of genius.”16 Little had changed three years later at Miethke; the critics were
largely united in their hostility. The exhibition had come about with the
cooperation of the Berlin gallerist Paul Cassirer, who delivered a majority of the
45 exhibits direct from the van Gogh-Bonger estate. Moll was now also able to
contribute three works from his own collection. Portrait de la mère de l’artiste, which
can be seen in Moll’s Mein Atelier (GE 236), had entered his ownership via Cassirer
because Paul Bacher had been unwilling to acquire it alongside Le jardin de l’hôpital
d’Arles17 for Galerie Miethke, despite the extremely low price of 500 Francs: “Yes,
my dear Moll, buying is easier than selling – whom should I convince to take
the old dear off my hands – just consider the audience!”18 It seems that such
differences regarding the artistic value of potential acquisitions were rather
common. On another occasion, Moll telegraphed Bacher from Paris, bursting
with enthusiasm due to three major works by van Gogh. He had been offered
L’Arlésienne19 and La Berceuse20 as well as Le Jardin de Daubigny from the Amédée
Schuffenecker collection in Meudon for 25,000 Francs. But this deal was
also never concluded because Bacher felt that: “One is enough – not another
Franc for van Gogh.”21 Moll was still expressing his disappointment over such
missed chances decades later, because they had torpedoed his attempts to bring
exemplary foreign art to Vienna and, ideally, to create something of lasting
value. He had a similar experience later with a major work by Édouard Manet,
Sur la Plage from the Henri Rouart Collection. Moll had the opportunity to
admire the unique impressionist collection of almost 300 works in 1908, when
he borrowed two paintings for the Daumier exhibition in Galerie Miethke.
In 1912, when they came under the hammer, he traveled to Paris with the
collector Hermann Eissler and the director of the Austrian State Gallery, Friedrich Dornhöffer. Dornhöffer, whom Moll characterizes as a notoriously weak
decision-maker, withdrew shortly before the painting was sold for almost
100,000 Francs – “as a result of which one of the most beautiful documents
of the impressionist movement in France” is lost to Austria.22 What – one is
tempted to ask – would the collection of the Belvedere look like today if Moll
had accepted the offer of the minister of education, Wilhelm von Hartel, to
become its first director?
Reflecting the two-track approach to the gallery program already established under Hugo Othmar Miethke, Moll also sought to spread the financial risk
related to contemporary art by dealing in Old Masters: “Support the present and
find the means for this in the past,” was the motto.23 And yet, as a painter who,
in his own words, was best able to differentiate in matters of quality, Moll
initially saw the sourcing of artworks from the past as a special challenge. His
impartiality regarding the art-historical canon made him particularly open to
new discoveries, as long as he could be convinced by the artistic quality of a
work. One of Moll’s more notable achievements was the Goya exhibition in
81
Francisco José de Goya y Lucientes
Retrato de Doña Ceán Bermúdez,
um 1790–92
Öl auf Leinwand, 121,7 × 84,3 cm,
Szépművészeti Múzeum Budapest
22 Ebd., S. 202. Zur Sammlung Henri Rouart
siehe Distel, Collectionneurs, 1989, S. 177–193.
23 Moll, Leben, 1943, S. 147.
24 Moll, Ausst.-Kat. Wien, Miethke, Goya, 1908,
S. 5.
25 Der Wiener Unternehmer Gustav Paalen
unterstützte den Ankauf des Kaiser-FriedrichMuseumsvereins mit der beachtlichen
Summe von 230.000 Goldmark; siehe
Neufert, Liebe, 2015, S. 74–78.
C A R L M O LL A L S AU S S TE LLU N G S M AC H E R U N D K U N S TH Ä N D LE R
Galerie Miethke leihen. Als sie 1912 unter den Hammer kommt, reist er mit
dem Sammler Hermann Eissler und dem Direktor der Österreichischen Staatsgalerie, Friedrich Dornhöffer, nach Paris. Dornhöffer, den Moll als notorisch
entscheidungsschwache Person charakterisiert, steigt kurz vor dem Zuschlag
um fast 100.000 Francs aus – „eines der schönsten Dokumente der impressionistischen Bewegung in Frankreich“ ist damit für Österreich verloren.22 Wie
würde die Sammlung des Belvedere heute aussehen, möchte man fragen, hätte
Moll das Angebot des Unterrichtsministers, Wilhelm von Hartel, angenommen,
ihr erster Direktor zu werden?
War das Galerieprogramm bereits unter Hugo Othmar Miethke zweigleisig angelegt gewesen, so wollte auch Moll das finanzielle Risiko im Umgang
mit zeitgenössischer Kunst durch den Handel mit alten Meistern streuen: „Die
Gegenwart fördern und die Mittel dazu in der Vergangenheit suchen“, so lautete
das Motto.23 Allerdings empfand er es zunächst als besondere Herausforderung,
sich als Maler, der nach eigenen Worten höchstens ein Unterscheidungsvermögen bei Fragen der Qualität besitzt, mit der Beschaffung von Kunstwerken der
Vergangenheit auseinanderzusetzen. Molls Unvoreingenommenheit dem kunsthistorischen Kanon gegenüber machte ihn besonders offen für Neuentdeckungen, sofern ihn die künstlerische Qualität eines Werkes überzeugen konnte.
Besondere Verdienste erwarb sich Moll mit der 104 Positionen umfassenden
Goya-Ausstellung im März/April 1908. Im Katalogvorwort schlägt er auf eine
für ihn typische Weise die Brücke zwischen Alt und Neu, wenn er feststellt:
„In einem Madonnenköpfchen Grecos im Prado sieht man schon den ganzen
Cézanne […]. In Paris lernt man Daumier und Manet kennen, in Madrid findet
man ihren großen Anreger: Francisco de Goya.“24 Seinen ersten Goya hatte der
Maler in Paris gesehen, kurze Zeit später, im Herbst 1907, bricht er zu seiner
ersten Spanienreise auf. In Madrid und Toledo hinterlässt neben Goya vor allem
El Greco, den er bis dahin nicht gekannt hatte, einen starken Eindruck. Mit dem
Ergebnis der Reise kann er zufrieden sein, gelingt es ihm doch, zwanzig
Ausstellungsobjekte, darunter fünf bedeutende Erwerbungen, mit nach Hause
zu nehmen. Die wichtigste davon, das Retrato de Doña Ceán Bermúdez, kann zu seiner
großen Verwunderung wieder nicht in Wien gehalten werden. Sie geht an das
Szépművészeti Múzeum in Budapest.
Für das Aufstöbern markttauglicher Werke wendet Moll viel Zeit und
Energie auf; er unternimmt ausgedehnte Dienstreisen, insbesondere nach
Italien. Einen beachtlichen Niederländer entdeckt er allerdings bei einem
Sammler am Neuen Markt in Wien, wo er sich – wie schon beim oben genannten Goya – eine Leiter bringen lässt, um das Bild aus nächster Nähe inspizieren
zu können. Er erkennt in dem Bild De heilige familie, das im Auktionskatalog der
berühmten Sammlung Friedrich Jakob Gsell noch als Rembrandtschule firmierte, einen Aert de Gelder, eine Zuschreibung, die dann auch Wilhelm von Bode
akzeptiert, der das Bild für die Gemäldegalerie in Berlin ankauft. Bode, die
Autorität schlechthin im Altmeistersegment des internationalen Kunsthandels,
erwarb Jahre später auch noch ein Meisterwerk von Tizian, das Moll – allerdings erst nach seiner Zeit bei Miethke – von einem Bologneser Antiquar
angeboten bekam und dessen Authentizität er nach einer Reinigung in Wien
etablieren konnte.25 In seinen Lebenserinnerungen bringt Moll zahlreiche Beispiele, die beweisen sollen, dass der Landschaftsmaler ein besseres Auge besitzt
als die Kollegen der immer mächtiger werdenden Zunft der Kunsthistoriker. Er
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82
Aert de Gelder
De heilige familie, um 1700/10
Öl auf Leinwand, 80,5 × 97,3 cm,
Gemäldegalerie, Berlin
24 Moll, exh. cat. Vienna, Miethke, Goya, 1908,
p. 5.
25 The Vienna businessman Gustav Paalen
supported the acquisition by the
Kaiser-Friedrich-Museumsverein with an
impressive 230,000 Goldmarks; see: Neufert,
Liebe, 2015, pp. 74–78.
26 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 176. This
phrase could equally well have come from
the Viennese collector Rudolf Leopold
(1925–2010).
27
Auct. cat. Berlin, Cassirer/Helbing,
Sammlung, 20.3.1917.
March-April 1908, which comprised 104 items. He characteristically used the
foreword to the catalogue to build a bridge between old and new by stating: “In
a head of the Madonna by Greco in the Prado one can already see all of Cézanne
[…]. In Paris one becomes acquainted with Daumier and Manet, in Madrid one
finds their great inspiration: Francisco de Goya.”24 He had seen his first Goya in
Paris and shortly afterwards, in autumn 1907, he set off on his first trip to Spain.
In Madrid and Toledo, Goya and, above all, El Greco, whose work he sees for the
first time, leave a strong impression. He can be satisfied with the result of the
trip for he has succeeded in returning home with twenty exhibition objects,
including five significant acquisitions. To his great astonishment it is once again
impossible to keep the most important of these, the Retrato de Doña Ceán Bermúdez, in
Vienna. It goes to the Szépművészeti Múzeum in Budapest.
Moll invests much time and energy in unearthing marketable works; he
undertakes extensive business trips, especially to Italy. However, he discovers a
significant Dutch Master when visiting a collector on Neuer Markt in Vienna,
where – as in the case of the above-mentioned Goya – he asks for a ladder to be
brought so that he can inspect the work from close range. He recognizes De
heilige familie, which is described in the catalogue of the auction of the famous
Friedrich Jakob Gsell collection as a product of the School of Rembrandt, as the
work of Aert de Gelder, an attribution that is subsequently also accepted by
Wilhelm von Bode, who acquires the painting for the Gemäldegalerie in Berlin.
Bode, the absolute authority on the international market for Old Masters, also
went on to acquire a masterwork by Titian that Moll – albeit after his time at
Miethke – had been offered by a dealer in Bologna and whose authenticity he
was able to establish after it had been cleaned in Vienna.25 In his memoirs, Moll
offers numerous examples that are designed to prove that the landscape painter
has a better eye for such matters than his colleagues amongst the ever more
powerful ranks of art historians. He writes: “For me, the work is only genuine
if the spirit of the master speaks from it […]. Studying art history is incredibly
interesting, extremely instructive, but it can’t teach one to see.”26 It seems that
Moll’s departure from Galerie Miethke in July 1912 can at least be partly
explained by an intensifying conflict with the art historian Hugo Haberfeld,
who had been appointed at his side as commercial director several years earlier.
In addition to this, the gallery had been undercapitalized since the early death
of Paul Bacher, as a result of which Moll’s friends had to repeatedly help out by
lending money. When his relationship with the gallery came to an end, Moll
received – in lieu of a share of profits to which he was entitled but which had
not been paid for years – a small but excellent collection of Italian Masters from
the 14th to the 18th centuries that he auctioned off five years later at Cassirer in
Berlin.27
28 Moll organized the following exhibitions in
the Secession for the Society: Von Füger bis
Klimt. Die Malerei des XIX. Jahrhunderts in
Meisterwerken aus Wiener Privatbesitz
(September to October 1923); Meisterwerke
italienischer Renaissancekunst aus
Privatbesitz (May to July 1924); Die führenden
THE SO C IET Y OF THE FRIEN DS
OF MU SEU M S
Meister der französischen Kunst im
XIX Jahrhundert (March to April 1925);
Jahrhundertschau deutscher Malerei (March
to April 1926); Meisterwerke englischer
Malerei (September to November 1927).
In the 1920s, Carl Moll was commissioned by the Society of the Friends of
Museums to organize a series of exhibitions that were recognized as first-rate
cultural events, despite difficult circumstances.28 Established as the Austrian
83
Venere con organista e cupido, um 1548
Öl auf Leinwand, 115 × 210 cm,
Gemäldegalerie, Berlin
schreibt: „Für mich ist nur das Werk echt, aus dem der Geist des Meisters
spricht […]. Das Studium der Kunstgeschichte ist ungemein interessant, ist
überaus lehrreich, lehrt aber nicht sehen.“26 Das Ausscheiden Molls aus der
Galerie Miethke im Juli 1912 dürfte sich zumindest teilweise aus einem sich
verschärfenden Konflikt mit dem promovierten Kunsthistoriker Hugo Haberfeld
erklären, der ihm seit Jahren als kaufmännischer Leiter zur Seite gestellt war.
Zudem litt die Galerie seit dem frühzeitigen Tod von Paul Bacher an Unterkapitalisierung, weshalb Freunde Molls immer wieder als Kreditgeber einspringen
mussten. Wegen einer über Jahre nicht ausbezahlten Gewinnbeteiligung erhält
Moll bei der Lösung des Verhältnisses zur Galerie eine kleine, aber feine
Kollektion italienischer Meister aus dem 14. bis 18. Jahrhundert, die er fünf
Jahre später bei Cassirer in Berlin versteigern lässt.27
DER V EREIN DER MUSEU M SFREU N DE
26 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 176.
Dieser Satz könnte genauso gut vom Wiener
Sammler Rudolf Leopold (1925–2010)
In den 1920er-Jahren organisierte Carl Moll im Auftrag des Vereins der
Museumsfreunde in Wien eine Reihe von Ausstellungen, die trotz schwieriger
Umstände als Kulturereignisse ersten Ranges wahrgenommen wurden.28
1912 als Österreichischer Staatsgalerieverein gegründet, dessen wesentliche
Aufgabe es war, durch Ankäufe von Kunstwerken aus Vereinsmitteln den
Ausbau der damals im Unteren Belvedere eingerichteten staatlichen Galerie
zu fördern, dehnte die „ganz unpolitische“ Organisation nach dem Ersten
Weltkrieg und der Übertragung der kaiserlichen Kunstsammlungen an den
Staat ihre Wirksamkeit auf alle Bundesmuseen aus. Außerdem verlagerte sich
der Schwerpunkt der Aktivitäten nun zunehmend auf die Abhaltung öffentlicher Vorträge und Ausstellungen, die das Kunstleben der Stadt anregen
und erzieherisch wirken sollten.29 Der Übergang von einem monarchischaristokratischen zu einem bürgerlichen Zeitalter mache es, so Hugo von
stammen.
27
Aukt.-Kat. Berlin, Cassirer/Helbing,
Sammlung, 20.3.1917.
28 Moll organisierte für den Verein in der
Secession folgende Ausstellungen: Von
Füger bis Klimt. Die Malerei des XIX. Jahrhunderts in Meisterwerken aus Wiener
Privatbesitz (September bis Oktober 1923);
Meisterwerke italienischer Renaissancekunst
aus Privatbesitz (Mai bis Juli 1924); Die
führenden Meister der französischen Kunst
im XIX. Jahrhundert (März bis April 1925);
Jahrhundertschau deutscher Malerei (März
bis April 1926); Meisterwerke englischer
Malerei (September bis November 1927).
29 Colloredo-Mannsfeld, Museumsfreunde,
1924, S. 165.
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Tiziano Vecellio
C A R L M O LL A S C U R ATO R A N D A RT D E A LE R
84
29 Colloredo-Mannsfeld, Museumsfreunde,
1924, p. 165.
30 Hofmannsthal, Museumsfreunde, 25.5.1924,
p. 2.
31
Ottmann, Füger (Moderne Welt), 1923, p. 1.
32 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 248.
33 Ottmann, Füger (Moderne Welt), 1923, p. 4.
34 Buschbeck, Jahrhundert, 15.10.1923, p. 7.
State Gallery Society in 1912, when its central role was to acquire artworks with
its own funds as a means of supporting the development of the public gallery,
which was then located in the Lower Belvedere, the “completely apolitical”
organization expanded its activities to all federal museums following the end of
the First World War and the handing over of the imperial art collection to the
nation. At the same time, the focus of the Society’s activities shifted towards
staging public lectures and exhibitions, which should be both educational and
stimulate the artistic life of the city.29 Hugo von Hofmannsthal wrote in the Neue
Freie Presse that the transition from a monarchic-aristocratic to a bourgeois age
created the need for the activities of private collectors and museums to complement each other, as had already been common practice in the United States of
America and other European countries for decades.30 According to the secretary
of the Society, all those with any sort of wealth (including companies and cooperatives) should “rally together, in order to make a unanimous, cross-party
commitment: to art, to Vienna.”31
The Society presented its first exhibition in the Secession between
September and October 1923. Entitled Von Füger bis Klimt it offered a retrospective
of a century of Austrian art. The works on loan came exclusively from Viennese
private collections, due in particular to the fact that the works owned by the
Republic were required for the reconfiguration of the Upper Belvedere. Moll’s
comprehensive knowledge of the material and decades of organizational
experience, together with the high esteem in which he was held by both private
collectors and the experts in the museums, meant that he was predestined for
this task. The idea for such an exhibition was also certainly his. Firstly, back in
1905, he had published the monumental portfolio Ein Jahrhundert österreichischer
Malerei 1800–1900 for Galerie Miethke. The following year, he had been invited
by Hugo von Tschudi to curate the Vienna section of the major Jahrhundertausstellung deutscher Kunst in the National Gallery in Berlin. And in 1918 he had organized
the show Ein Jahrhundert Wiener Malerei for the Kunsthaus Zürich. So-called centeninials emerged from Universal Expositions, where the French, in particular, had
selected and organized the artistic production of their nation in such a way that
a stroll through the spaces created the impression of a teleological evolution. In
Austria, on the other hand, a similar retrospective, in which “father and
grandfather march together in rank and file,” had yet to be attempted.32 In the
end, a concise picture of art-historical developments could not be realized. The
reasons for this included both the limitation to works from Viennese private
collections and the restricted space of the Secession. According to the catalogue,
they had “only selected the best artists and, from each, their best works.”33 In
his review, Ernst Buschbeck described the exhibition by using the metaphor of
the “landscape after the deluge,” in which it is possible to see the towering
rocks but impossible to understand any tectonic relationship between them due
to the rapidly rising floodwater. In his opinion, the exhibition would have
benefitted from more breadth and diversity.34 In any event, with a net profit of
45 million Kronen, which were donated to the Austrian Gallery, the exhibition
was a complete success. Moll had added a new, significant chapter to his earlier
services to the propagation of Austrian art.
The exhibition Die führenden Meister der französischen Kunst im 19. Jahrhundert,
which was also commissioned by the Society of the Friends of Museums and
staged in the Secession in 1925, enabled Moll to fulfill a long-held dream. He
85
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Hofmannsthal in der Neuen Freien Presse, notwendig, dass private Sammeltätigkeit und Museumsbetrieb sich wechselseitig ergänzen, ganz so wie es in den
Vereinigten Staaten von Amerika und anderen europäischen Ländern bereits
seit Jahrzehnten Usus sei.30 Alle irgendwie Vermögenden (auch Gesellschaften und Genossenschaften) sollten sich, so der Schriftführer des Vereins,
„zusammenscharen, um über alle Parteien hinweg ein einmütiges Bekenntnis
abzulegen: zur Kunst, zu Wien“.31
Als erste Ausstellung präsentierte der Verein in der Secession von September bis Oktober 1923 unter dem Titel Von Füger bis Klimt einen Rückblick auf
hundert Jahre österreichischen Kunstschaffens. Die Leihgaben kamen ausschließlich aus Wiener Privatbesitz, zumal die Werke der Republik für die
Neuaufstellung im Oberen Belvedere benötigt wurden. Molls umfassende
Materialkenntnis, seine jahrzehntelange organisatorische Erfahrung sowie
das Ansehen, das er bei privaten Sammlern und Museumsfachleuten genoss,
prädestinierten ihn für die Aufgabe. Die Idee für eine derartige Ausstellung
stammte gewiss von Moll selbst. Einerseits hatte er bereits 1905 für die Galerie
Miethke das umfangreiche Mappenwerk Ein Jahrhundert österreichischer Malerei
1800–1900 herausgegeben. Im Jahr darauf war Moll von Hugo von Tschudi
eingeladen worden, die Wiener Abteilung für die bedeutende Jahrhundertausstellung deutscher Kunst in der Berliner Nationalgalerie zu kuratieren. Und für das
Kunsthaus Zürich organisierte er 1918 die Schau Ein Jahrhundert Wiener Malerei.
Sogenannte Centennalen gingen aus den Weltausstellungen hervor, wo es
insbesondere den Franzosen gelungen war, die Werke nationalen Kunstschaffens so auszuwählen und anzuordnen, dass beim Durchschreiten der Säle der
Eindruck einer teleologischen Entwicklung entstand. In Österreich dagegen
war ein ähnlicher Rückblick, in welchem „Vater und Großvater in Reih und
Glied aufmarschieren“, noch nicht versucht worden.32 Ein konzises Bild der
kunsthistorischen Entwicklung ließ sich am Ende nicht realisieren. Dagegen
sprachen schon die Beschränkung auf Wiener Privatbesitz sowie die begrenzten Räumlichkeiten der Secession. Man hatte „nur die besten Künstler hervorgeholt und von jedem nur seine besten Werke“, heißt es im Katalog.33 Ernst
Buschbeck charakterisierte die Ausstellung in seiner Kritik mit der Metapher
der „Sintflutlandschaft“, deren hoch aufragende Gebirgsblöcke zwar gut
sichtbar seien, deren tektonischer Zusammenhang jedoch durch die steigenden
Wasser verborgen bleibt. Mehr Breite und Vielfalt wäre seiner Meinung nach
der Ausstellung zuträglich gewesen.34 Mit einem Reinertrag von 45 Millionen
Kronen, welcher der Österreichischen Galerie gespendet wurde, war die
Veranstaltung jedenfalls ein voller Erfolg. Moll hatte seinen bisherigen Verdiensten um die Propagierung österreichischer Kunst ein neues, bedeutendes
Kapitel hinzugefügt.
Einen lang gehegten Traum erfüllte Moll sich mit der Ausstellung Die
führenden Meister der französischen Kunst im 19. Jahrhundert, die ebenfalls vom Verein der
Museumsfreunde in Auftrag gegeben und in der Secession 1925 realisiert
wurde. Er hoffte sogar, eines Tages die ununterbrochene Entwicklung von der
Gotik bis Cézanne aufzeigen zu können. Einmal mehr ging es nicht um wirklich zeitgenössische Kunst, sondern um die Darstellung einer großen Tradition,
der „Manifestation von Prestige und Überlegenheit französischer Malerei“.35 Im
Katalogvorwort bezieht sich Moll auf die legendäre Impressionismus-Schau von
1903, die sein Kollege Wilhelm Bernatzik in der Secession ausgerichtet hatte:
30 Hofmannsthal, Museumsfreunde, 25.5.1924,
S. 2.
31
Ottmann, Füger (Moderne Welt), 1923, S. 1.
32 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 248.
33 Ottmann, Füger (Moderne Welt), 1923, S. 4.
34 Buschbeck, Jahrhundert, 15.10.1923, S. 7.
35 Brief von Carl Moll an André Dezarrois,
20.12.1924, X expo, 1925, peinture française,
carton 1, Archives des Musées Nationaux,
Paris.
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86
35 Letter from Carl Moll to André Dezarrois,
December 20, 1924, X expo, 1925, peinture
française, carton 1, Archives des Musées
Nationaux, Paris.
36 Exh. cat. Vienna, Secession, Meister, 1925,
p. 5.
37
Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 251.
38 Tietze, Ausstellung, 23.5.1925, pp. 136, 138.
39 Seligmann, Ausstellung, 11.3.1925, p. 1.
even hoped that one day he would be able to illustrate the continuous evolution
from the Gothic to Cézanne. Once again, the exhibition wasn’t really about
contemporary art but, rather, about depicting an important tradition, the
“manifestation of the prestige and superiority of French painting.”35 In his
foreword to the catalogue, Moll refers to the legendary Impressionism exhibition of 1903, which his colleague Wilhelm Bernatzik had organized in the
Secession: “But back then Impressionism had had its high point just thirty years
before. It had taken our remote Vienna that long to find out about this major
European artistic movement. Since then, around another twenty years have
passed, during which our hometown has remained, with a few humble and
barely noticed exceptions, just as removed from the world as before. We have
been content amongst ourselves.”36 Moll’s almost museum-like mise-en-scène
in the Secession brought together an impressive collection of works from public
museums like the Louvre and the Musée du Luxembourg and private galleries
such as Durand-Ruel, Bernheim-Jeune, Paul Rosenberg, and Ambroise Vollard.
Surprisingly, an impressive number of works from Viennese private collections
could also be seen, such as four paintings by van Gogh including a self-portrait
from the collection of Hermann Eissler, who also provided La Folle by Théodore
Géricault, a study for Manet’s Bar aux Folies Bergères, Renoir’s Jeune Fille lisant, and a
landscape by Cézanne. Moll particularly recalled the difficulties that he had
encountered in obtaining works on loan in Paris. Even though Berta Zuckerkandl had interceded to ensure that he had the official support of the French
government, which even assumed responsibility for the bulk of the costs, he
insisted upon having complete freedom to design the exhibition. His decision to
deliberately ignore some of the advice of the Education Ministry’s Comité pour
l’expansion de l’art français, such as their suggestion that it was imperative to
include painters from the Académie, probably meant that he had to scale down
his requests for loans from the public museums.37 When he turned to replacement objects that he had found on the art market, he would reportedly receive a
positive reply one day followed by a negative one the next due to sales negotiations. “Friend Vollard” kept him waiting for three weeks about a major work by
Cézanne, the large-scale Les Joueurs de cartes, before finally pulling out. This possibly
enables us to understand why critical visitors to the exhibition such as Hans
Tietze tended to view such first-class exhibits as Manet’s Le Balcon from the
Luxembourg (now in the Musée d’Orsay) as praiseworthy exceptions and to
lament the lack of similar works. Tietze also expressed surprise that the “aesthetic
archangel of Vienna,” Adalbert F. Seligmann of the Neue Freie Presse, the journal of
the liberal bourgeoisie, could still dismiss – in 1925 – the prominence of
Cézanne, van Gogh, and Gauguin as an art market sham.38 In contrast, the
cultural-political significance of the exhibition was underlined in many of the
newspaper reports, with some even asking what could possibly have persuaded
the French government to “show such a demonstrative favor to the poor and
powerless Austria, this amputation stump? Only the desire to annoy Germany
or to offer a candy to those in Austria opposed to an Anschluss?”39
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„Damals aber lag der Höhepunkt des Impressionismus gerade dreißig Jahre
zurück. So lange hatte unser weltabgeschiedenes Wien gebraucht, um von
dieser großen Bewegung der europäischen Kunst Kenntnis zu erlangen. Seitdem sind wieder rund zwanzig Jahre verflossen, und in dieser Zeit blieb unsere
Vaterstadt, von einzelnen bescheidenen und kaum bemerkten Bemühungen
abgesehen, ebenso weltfern wie vorher. Wir waren uns selbst genug.“36 Molls
geradezu museale Inszenierung in der Secession brachte eine eindrucksvolle
Kollektion von Werken aus öffentlichen Museen wie dem Louvre oder dem
Musée du Luxembourg sowie aus privaten Galerien wie Durand-Ruel, Bernheim-Jeune, Paul Rosenberg und Ambroise Vollard zusammen. Überraschenderweise war auch eine beachtliche Anzahl an Werken aus Wiener Privatbesitz
zu sehen, etwa vier Gemälde von van Gogh, darunter ein Selbstbildnis aus der
Sammlung Hermann Eissler, der auch noch La folle von Théodore Géricault, eine
Studie für Manets Bar aux Folies Bergères, Renoirs Jeune fille lisant sowie eine Landschaft von Cézanne beisteuerte. Moll erinnerte sich hauptsächlich an die
Schwierigkeiten, denen er bei der Beschaffung von Leihgaben in Paris begegnete. Durch die Vermittlung von Berta Zuckerkandl erhielt er zwar die offizielle
Unterstützung der französischen Regierung, die auch einen Großteil der Kosten
übernahm, bei der Konzeption der Ausstellung wollte er jedoch freie Hand.
Ratschläge des im Unterrichtsministerium installierten Comité pour l’expansion
de l’art français, wie die Notwendigkeit, auch Maler der Akademie aufzunehmen,
überhörte er geflissentlich, was wiederum zur Folge gehabt haben mag, dass er
die Anfragen an staatliche Museen bescheidener gestalten musste.37 Bei im
Kunsthandel gesichteten Ersatzobjekten erhält er angeblich an einem Tag eine
Zusage und am nächsten wegen Verkaufsverhandlungen wiederum eine Absage.
„Freund Vollard“ hält ihn wegen eines Hauptwerkes von Cézanne, der großen
Les joueurs de cartes, drei Wochen hin, um es am Schluss doch wieder zurückzuziehen. So wird vielleicht verständlich, warum kritische Ausstellungsbesucher
wie Hans Tietze erstklassige Werke à la Manets Le balcon aus dem Luxembourg
(heute Musée d’Orsay) eher vermissten und als löbliche Ausnahme ansahen.
Tietze zeigt sich zudem verwundert, dass der „ästhetische Erzengel Wiens“,
Adalbert F. Seligmann von der Neuen Freien Presse, dem Blatt des liberalen Bürgertums, im Jahr 1925 die Bedeutung von Cézanne, van Gogh und Gauguin noch
immer als Kunsthändlermache abtun konnte.38 Die kulturpolitische Bedeutung
der Ausstellung wurde hingegen in Zeitungskritiken oft betont, ja man fragte
sich sogar, was die französische Regierung veranlasst haben mag, „dem armen
und machtlosen Österreich, diesem Amputationsstumpf, eine solche demonstrative Gefälligkeit zu erweisen? Nur um Deutschland zu ärgern oder den
Anschlussgegnern bei uns ein Zuckerl zu verabreichen?“39
BIEN NA LE VON V ENEDIG
Selbst in den 1930er-Jahren widmete sich der mittlerweile über 70-jährige
Maler noch vereinzelt größeren Ausstellungsprojekten. Schwierige Umstände,
wie hinsichtlich der Teilnahme Österreichs an der 18. Biennale von Venedig
1932, reizten ihn ganz besonders: „Was drei Vereinigungen und ein Ministerium nicht machen können, soll ich versuchen?“, schreibt Moll.40 Der von Josef
36 Ausst.-Kat. Wien, Secession, Meister, 1925,
S. 5.
37
Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 251.
38 Tietze, Ausstellung, 23.5.1925, S. 136, 138.
39 Seligmann, Ausstellung, 11.3.1925, S. 1.
40 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 288.
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THE V ENIC E BIENNA LE
40 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 288.
41
Cf. Sharp, Österreich, 2013, pp. 202–09.
42 Born, Kunst, 1.5.1932, p. 14.
43 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 293.
44 Meier-Graefe, Ausstellung, 6.10.1932, p. 8;
Anon.: Tagesbericht, 3.11.1932, p. 4.
45 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 290.
Even in the 1930s, at the age of over 70, Moll still occasionally worked on large
exhibition projects. He was particularly attracted by challenging circumstances,
such as those faced by Austria’s participation in the 18th Biennale in Venice in
1932: “And I should try to achieve something that three associations and one
ministry couldn’t?” he writes.40 As the pavilion designed by Josef Hoffmann
was only built two years later, Austria had hitherto been unable to present its
official contribution in its own building. The Corporative State finally succeeded
where both Monarchy and Republic had failed. In 1932, however, there was an
opportunity to occupy the empty German pavilion, even though no public
money was available to support the project. Helma de Gironcoli, who was
Viennese but lived in Venice and also acted as co-commissioner, played the
intermediary. At first glance, this partisan, pro-modernist approach appears
surprising in the political context of the embattled Republic.41 However, due to
the lack of public support, Moll considered the exhibition to be a private
undertaking and, as commissioner, demanded complete freedom in matters of
selection and design. Once again, the concept from the “splendid painter and
proven Austrian exhibition expert”42 sought to create a uniform effect: In each
of the four spaces (one large and three small) one artist should set the tone,
there should be few artists – in particular Oskar Kokoschka, Anton Faistauer,
Herbert Boeckl, Franz Wiegele, Robin Christian Andersen, and Arnold Clementschitsch – yet each should be represented by several works. But the difficulties of realizing the elaborate program would soon become clear: “No room
will resemble the plans that I had drawn up after four intense months [...] it’s
always the same – fully thought out but only half done,” said Moll.43 In the case
of Kokoschka, who should have played a leading role in the exhibition, Berlin’s
Galerie Cassirer, which exclusively represented him, didn’t want him to be
marketed as an “Austrian” artist, as a result of which Moll had to organize loans
from international private collections. Several painters promised new works that
weren’t ready on time; artists who were aggrieved because they hadn’t been
invited protested with accusations of imbalance. And yet, in the end, the
reviews were consistently positive. In the Frankfurter Zeitung, Julius Meier-Graefe
described “the Austrian exhibition as by far the best.”44 Moll’s plan of covering
the 4,000-Schilling cost of transport and insurance through a ten percent levy
on the sales in Venice failed due to a lack of demand. After the exhibition he
had to raise this money via donations – including in the form of his own
paintings.
Moll had seen the risky initiative behind this exhibition as a service to
the next generation of artists, to whom he was able to offer an important
platform in Venice. For example, he presented sculptures by the still largely
unknown Fritz Wotruba. Moll justified the inclusion of his own work in the
show by arguing that as a painter “who doesn’t belong to any association – as a
‘non-organized’ worker – [he never had] the opportunity to participate in
official events,” although he was also painfully aware that his painting “expressed a sensual experience that is rooted in the past.”45 Moll’s understanding
of art had been out of step for some time. Picasso, with whose works he had
first been confronted years earlier when visiting the collection of the Czech art
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deutschen Pavillon, Venedig 1932
Ausstellungsansicht, XVIII. Esposizione
Biennale Internazionale d’Arte
Hoffmann entworfene Pavillon konnte erst zwei Jahre später errichtet werden,
davor war der repräsentative Auftritt in einem eigenen Gebäude nicht möglich.
Erst der Ständestaat realisierte, woran Monarchie und Republik bislang gescheitert waren. 1932 ergab sich allerdings die Möglichkeit, den frei stehenden
deutschen Pavillon zu bespielen, obwohl dafür keine öffentlichen Gelder
bereitgestellt werden sollten. Vermittelnd trat die in Venedig lebende Wienerin
Helma de Gironcoli auf, die dann auch als Co-Kommissärin firmierte. Auf den
ersten Blick überrascht die Parteinahme für die Moderne im politischen
Kontext der umkämpften Republik.41 Moll sieht die Ausstellung aber aufgrund
fehlender staatlicher Unterstützung als privates Unternehmen und reklamiert
als Kommissär jegliche Freiheit bei Auswahl und Gestaltung für sich. Wieder
zielt das Konzept des „trefflichen Maler[s] und bewährten österreichischen
Ausstellungsfachmann[s]“42 auf einheitliche Wirkung: Jeder der vier Säle (ein
großer und drei kleine) sollte einen tonangebenden Künstler präsentieren,
wenige Künstler dafür mit mehreren Werken vertreten sein, insbesondere
Oskar Kokoschka, Anton Faistauer, Herbert Boeckl, Franz Wiegele, Robin
Christian Andersen, Arnold Clementschitsch. Doch die Schwierigkeiten bei der
Realisierung des ausgeklügelten Programms lassen nicht lange auf sich warten:
„Kein Saal wird so, wie ich ihn im Plane nach viermonatlicher Mühe fertiggestellt hatte [...] wie immer – ganz gedacht und halb getan“, so Moll.43 Bei
Kokoschka, dem eine Hauptrolle in der Ausstellung zukommen sollte, stellte
sich die Berliner Galerie Cassirer, die ihn exklusiv vertrat, gegen eine Vermarktung als „österreichischen“ Künstler, woraufhin Moll Leihgaben aus internationalem Privatbesitz organisieren musste. Mehrere Maler wurden mit den
versprochenen neuen Arbeiten nicht fertig; die nicht eingeladenen Künstler protestierten gekränkt mit dem Vorwurf der Einseitigkeit. Dennoch waren die
Kritiken am Ende durchwegs positiv, Julius Meier-Graefe bezeichnete in der
Frankfurter Zeitung „die österreichische Ausstellung als die weitaus hervorragendste“.44 Molls Plan, die Kosten von 4.000 Schilling für Transport und Versicherung durch eine zehnprozentige Abgabe auf Verkäufe in Venedig zu decken,
ging mangels Nachfrage nicht auf. Er musste diese nach der Schau durch
Spenden – auch in Form eigener Bilder – lukrieren.
41
Vgl. Sharp, Österreich, 2013, S. 202–209.
42 Born, Kunst, 1.5.1932, S. 14.
43 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 293.
44 Meier-Graefe, Ausstellung, 6.10.1932, S. 8;
Anonymus, Tagesbericht, 3.11.1932, S. 4.
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Österreichische Ausstellung im
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historian Vincenc Kramář, spoke a language that, to him, was quite foreign – he
viewed abstract art as “a purely intellectual activity.” He was deeply convinced
that naturalism was the basis of the fine arts and that Impressionism was the
major development of his generation.
During the final years of his life it became very difficult to persuade
Moll to become involved in exhibition projects. It was with much reluctance
that he acted as the “reliable window dresser” at the Biennale in 1936, where he
was once again responsible for the holistic arrangement of the selected works.
The idea of working on a large jury had lost virtually all its appeal. In another
context he had made a plea for the role of the sole curator with sole responsibility by suggesting that: “If authoritarianism is the most promising regime
anywhere, then in the art world. A single, well-rounded head doesn’t have to,
but could, produce something well-rounded, eight heads never.”46 Single-handedly, he organized a first major solo exhibition in Austria for Kokoschka, who
had already been ostracized by the German National Socialists, in May and June
1937. Moll marked the 50th birthday of his friend, who was “lost to his homeland,” by presenting 39 paintings, 48 original graphic works, and 16 prints
representing all the artist’s creative periods in the Museum for Art and Industry
(today MAK), thus sparking a cultural-political controversy.47 Wanting to avoid
any risk of appropriation, Kokoschka kept away from the exhibition. He wrote
to Moll: “It’s not me, who is exhibiting, but you, who are exhibiting me. I
know nothing of your negotiations, and neither do I interfere afterwards!”48
During the Second World War, fifty years after his exhibition debut in
the Künstlerhaus, Moll ended his curatorial career with a further memorial
exhibition for Emil Jakob Schindler. He has come full circle. His friend and
master is largely forgotten, Moll is keen to attempt a reappraisal, and Bruno
Grimschitz offers him the opportunity to do so in the Belvedere. The representative selection of 67 works, only half as many as in 1892, seeks to illustrate the
development of his oeuvre, with all its detours and dead ends. In keeping with
the political situation, critics also praised Schindler for the fact that, like all
German art when it was not overwhelmed by foreign (e.g. French) influences,
“he attached particular importance not just to pleasing the eye but also to the
soulfulness of his work.”49 Moll ends his memoirs with the following words:
“I have done my duty. ‘Grateful and loyal’ was written on the ribbon of the
wreath that I laid on my master’s grave 50 years ago. I have remained grateful
and loyal to him. It is now clear that I have acted correctly, in not only human
but also artistic terms.”50
46 Ibid., p. 270.
47 See: Sultano/Werkner, Oskar Kokoschka,
2003, pp. 17–72.
48 Ibid., p. 21.
49 Neumayer, Schindler, 1942, p. 3.
50 Moll, Jahrhundertwende, 1943, p. 340.
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Moll hatte die riskante Initiative für diese Ausstellung als Dienst am
künstlerischen Nachwuchs gesehen, der durch ihn in Venedig eine wichtige
Bühne bekam. So präsentierte Moll beispielsweise Skulpturen des noch weitgehend unbekannten Fritz Wotruba. Dass er auch eigene Werke in die Schau
integrierte, rechtfertigte der Maler mit der Tatsache, er hätte „als keiner Vereinigung angehörig – als ‚nicht organisierter‘ Arbeiter – nie Gelegenheit, bei
offiziellen Veranstaltungen mitzutun“, obwohl ihm schmerzlich bewusst war,
in seiner Malerei „einem in der Vergangenheit wurzelnden Empfindungsleben
Ausdruck [zu] geben“.45 Längst war Molls Kunstverständnis nicht mehr auf der
Höhe der Zeit. Picasso, mit dessen Werken er vor Jahren erstmals bei einem
Besuch der Sammlung des tschechischen Kunsthistorikers Vincenc Kramář
konfrontiert war, sprach für ihn eine völlig fremde Sprache – das Abstrakte
empfand er als „reine Gehirnarbeit“. Seiner inneren Überzeugung nach war
der Naturalismus das Fundament der bildenden Kunst, der Impressionismus
das große Ereignis seiner Generation.
In den letzten Lebensjahren ließ sich Moll kaum mehr zu Ausstellungsprojekten überreden. Eher widerwillig spielte er den „bewährten Auslagendekorateur“ bei der Biennale 1936, indem er sich einmal mehr um das gesamtheitliche Arrangement der ausgewählten Werke kümmerte. Die Arbeit in einer
mehrköpfigen Jury vermochte ihn kaum noch zu reizen. In anderem Zusammenhang hatte er sein Plädoyer für den allein verantwortlichen Kurator so
formuliert: „Wenn irgendwo, so ist in der Kunst autoritäres Regime das vielversprechendste. Ein einzelner, vollwertiger Kopf muß nicht, kann aber Vollwertiges leisten, acht Köpfe nie.“46 In Eigenregie richtete er dem von den
deutschen Nationalsozialisten bereits als verfemt geltenden Kokoschka zwischen Mai und Juni 1937 seine erste große Personale in Österreich aus. Anlässlich des 50. Geburtstags des „der Heimat abhanden“ gekommenen Freundes
präsentierte Moll im Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) 39 Gemälde,
48 Originalgrafiken und 16 Druckgrafiken aus allen Schaffensperioden und
entfachte damit eine kulturpolitische Kontroverse.47 Kokoschka wollte sich
jeglicher Vereinnahmung entziehen und blieb der Ausstellung fern. An Moll
schrieb er: „Nicht ich stelle aus, sondern Du stellst mich aus. Von deinen
Verhandlungen weiß ich nichts, mische ich mich auch nachher nicht hinein!“48
Mitten im Zweiten Weltkrieg, fünfzig Jahre nach seinem Ausstellungsdebut im Künstlerhaus, beendete Moll seine kuratorische Laufbahn mit einer
weiteren Gedenkausstellung für Emil Jakob Schindler. Der Kreis schließt sich.
Es war ruhig geworden um seinen Meister und Freund, noch einmal will Moll
eine Neubewertung versuchen, wozu ihm Bruno Grimschitz eine Möglichkeit
im Belvedere eröffnet. Die repräsentative Auswahl von 67 Werken, nur halb so
viele wie 1892, soll die Entwicklung seines Schaffens mit allen Um- und
Abwegen vor Augen führen. Der politischen Situation entsprechend, lobte die
Kritik Schindler auch dafür, dass er wie die gesamte deutsche Kunst, wenn sie
denn nicht von fremden (d. h. französischen) Einflüssen überlagert war, „neben
der Augenfreude immer auf die Seelenhaftigkeit besonderen Wert legte“.49 Moll
schließt seine Lebenserinnerungen mit folgenden Worten: „Ich habe meine
Pflicht getan. ‚Dankbar und treu‘ stand auf den Bändern des Kranzes, den ich
meinem Meister vor 50 Jahren auf sein Grab legte. Ich bin ihm dankbar und
treu geblieben. Heute klärt es sich, daß ich nicht nur menschlich, sondern auch
künstlerisch richtig gehandelt habe.“50
45 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 290.
46 Ebd., S. 270.
47 Siehe Sultano/Werkner, Oskar Kokoschka,
2003, S. 17–72.
48 Ebd., S. 21.
49 Neumayer, Schindler, 1942, S. 3.
50 Moll, Jahrhundertwende, 1943, S. 340.