ZGL 2016; 44(1): 93–96
Forschungsnotiz
Péter Maitz*, Werner König* u. Craig A. Volker*
Unserdeutsch (Rabaul Creole German)
Dokumentation einer stark gefährdeten Kreolsprache in
Papua-Neuguinea
source: https://doi.org/10.7892/boris.121427 | downloaded: 21.9.2020
DOI 10.1515/zgl-2016-0004
Förderzeitraum: Oktober 2015 bis September 2018
Gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (MA 6769/1-1)
Projektleitung: Péter Maitz (Sprecher), Werner König (beide Universität Augsburg), Craig A. Volker (Divine Word University Madang, Papua-Neuguinea)
Kooperationspartner: Institut für Deutsche Sprache Mannheim, Peter Mühlhäusler (University of Adelaide, Australien)
Webseite: https://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/
sprachwissenschaft/Unserdeutsch
Unserdeutsch, in der englischsprachigen Fachliteratur auch unter dem Namen Rabaul Creole German bekannt, ist die einzige deutsch relexifizierte Kreolsprache der Welt. Es ist um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unter mixedrace Kindern an der Missionsstation der Herz-Jesu-Missionare in Vunapope auf
der Insel New Britain im damals vom Deutschen Reich als Kolonie verwalteten
Bismarck-Archipel (Papua-Neuguinea) entstanden und wurde 1979 durch einen
Zufall von Craig A. Volker für die linguistische Forschung entdeckt.
Unserdeutsch wird heute nur noch von höchstens etwa 100 älteren Menschen
gesprochen. Selbst die jüngsten aktiven Sprecher sind über 65, so dass die
Sprache als stark gefährdet gilt und nach der zehnstufigen Gefährdungsskala
von Ethnologue (Lewis et al. 2015) als nearly extinct (Stufe 8b) und nach der
sechsstufigen Skala der UNESCO (Moseley 2010) als critically endangered eingestuft werden muss. Die meisten der einst ausnahmslos in und um Vunapope
*Kontaktpersonen: Prof. Dr. Péter Maitz: Universität Augsburg, Germanistik – Deutsche Sprachwissenschaft, Universitätsstrasse 10, D-86159 Augsburg,
E-Mail: peter.maitz@phil.uni-augsburg.de
Prof. Dr. Werner König: Universität Augsburg, Germanistik – Deutsche Sprachwissenschaft,
Universitätsstrasse 10, D-86159 Augsburg,
E-Mail: werner.koenig@phil.uni-augsburg.de
Prof. Dr. Craig A. Volker: Divine Word University, Lingusitic Research, Madang, Papua Neuginea,
E-Mail: cvolker@dwu.ac.pg
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lebenden Sprecherfamilien sind im Zuge der Unabhängigkeit Papua-Neuguineas
(1975) nach Australien ausgewandert und leben heute verstreut entlang der
Ostküste Australiens in und um Brisbane, Gold Coast, Cairns und Sydney. Nur
ein schwindender Rest ist in Papua-Neuguinea verblieben und lebt heute ebenfalls verstreut auf unterschiedlichen Inseln des Landes. Somit hat sich das Hauptverbreitungsgebiet der Sprache nach 1975 von Papua-Neuguinea nach Ostaustralien verlagert.
Unserdeutsch nimmt nicht nur von seiner Lexifikatorsprache, sondern auch
von seinen Entstehungsumständen und Funktionen her eine Sonderstellung
unter der Kreolsprachen der Welt ein (vgl. Maitz i. E., Maitz/Volker i. E.). Daher
ist die Sprache nicht nur für die germanistische Linguistik, sondern (u. a.) auch
für die Kreolistik und die Sprachtypologie von besonderer Bedeutung. Dennoch
ist Unserdeutsch bislang von all den genannten Disziplinen weitgehend vernachlässigt worden. Vor dem Start des Augsburger Projekts war es ausschließlich
Craig A. Volker, der vor Ort Feldforschung betrieben hat und er ist zugleich bisher
auch der einzige, der linguistische Arbeiten zur Sprachstruktur vorgelegt hat.
Dementsprechend gestaltet sich auch die gegenwärtige Forschungssituation.
Volkers bis heute unpublizierte Masterarbeit (Volker 1982) und ein daraus hervorgegangener Aufsatz (Volker 1989) sind bis heute die einzigen Arbeiten, die
dezidiert der Sprachstruktur gewidmet sind und aus denen wir zumindest die
meisten zentralen Struktureigenschaften von Unserdeutsch kennen. Die Forschungslage ist auch in Bezug auf die Sprachdokumentation nicht besser. Der
Großteil der von Volker Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre gemachten
Sprachaufnahmen ist teils durch Fahrlässigkeit der aufbewahrenden Institution
verschollen, teils durch einen Vulkanausbruch in Rabaul 1994 vernichtet worden.
Die dringendste Aufgabe besteht daher gegenwärtig in der systematischen
und – soweit es heute überhaupt noch möglich ist – umfassenden Dokumentation
von Unserdeutsch. Dabei geht es zum einen um die Konservierung von Daten
einer sterbenden Sprache, zum anderen um die Erhebung und korpuslinguistische Aufbereitung der entsprechenden Menge an linguistischen Primärdaten, die
im nächsten Schritt als die empirische Basis für eine systematische Sprachbeschreibung inklusive der Beschreibung der Variation entlang des Post-KreolKontinuums dienen können.
Diese Dokumentation steht im Mittelpunkt des Augsburger Projekts. Die
Datenerhebung, die von Péter Maitz und Craig A. Volker durchgeführt wird, soll
im Wesentlichen bis Sommer 2016 abgeschlossen werden, so dass im Anschluss
daran mit dem Korpusaufbau begonnen werden kann. Die Datenerhebung erfolgt
durch eine Methodentriangulation, im Zentrum mit einem teilgesteuerten narrativen Interview. Um die relative Unnatürlichkeit der Erhebungssituation zu verringern und die Authentizität der Daten zu fördern, werden nach Möglichkeit zwei
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Peergroup-Mitglieder zur gleichen Zeit interviewt, auch damit sich im Laufe des
Interviews idealerweise ein Gespräch zwischen ihnen entwickeln kann. Die
Fragen der Interviewer beziehen sich vor allem auf die sprachlichen und sozialen
Verhältnisse an der Mission in Vunapope, Vergangenheit und Gegenwart der
Sprecher, ihrer Familie und der Sprachgemeinschaft insgesamt. Durch diese
thematische Ausrichtung können zugleich auch wertvolle, für die linguistische
Interpretation der Primärdaten relevante Metadaten gewonnen werden. Das
Interview wird ergänzt durch die Abfrage eines Fragebuchs, das insgesamt etwa
320 Stimuli (Sätze und Syntagmen) in Englisch und Tok Pisin, den von allen
Sprechern gesprochenen Hauptverkehrssprachen von Papua-Neuguinea, enthält.
Die Sprache der Stimuli wird – je nach Präferenz und Kompetenz – von den
Gewährspersonen individuell bestimmt bzw. gewählt. Diese Stimuli werden dann
von den Gewährspersonen in unserdeutscher Übersetzung mündlich wiedergegeben und auf Tonträger festgehalten. Die Stimuli sind so konzipiert, dass mit
ihrer Hilfe sowohl der Grundwortschatz als auch die wichtigsten morphologischen und syntaktischen Variablen abgefragt werden. Schließlich füllen die
Gewährspersonen einen Fragebogen aus, mit dessen Hilfe metalinguistische
Daten zur Sprachbiographie, zur Identität sowie zu den Spracheinstellungen
erhoben werden. Diese Informationen sind wiederum unerlässlich sowohl zur
Rekonstruktion der Sprachgeschichte, die im Rahmen eines Dissertationsprojekts
systematisch erschlossen werden soll, als auch zur angemessenen linguistischen
Interpretation der Primärdaten.
Das aus den so gewonnenen Daten aufzubauende Korpus wird mit Hilfe von
EXMARaLDA, dem inzwischen bewährten System zum Aufbau und zur Analyse
von sprechsprachlichen Korpora, erstellt. Die Transkription erfolgt nach den
Konventionen von GAT2 (Minimaltranskript) in – an den notwendigen Stellen
aufgeweichter – deutscher Standardorthografie. Letztere ist durch die lexikalische Nähe des Unserdeutschen zum Standarddeutschen relativ problemlos
möglich. Neben einer manuellen Annotation von Transferphänomenen sollen
die Daten durch eine automatisierte Lemmatisierung und ein automatisiertes
Part-of-Speech-Tagging (Westpfahl/Schmidt 2013) angereichert werden.
Da das fertige Korpus schließlich in die Datenbank für Gesprochenes Deutsch
(DGD) am Institut für Deutsche Sprache integriert werden soll, wird der Korpusaufbau – im Rahmen einer offiziellen Kooperation – vom Institut für Deutsche
Sprache begleitet und unterstützt. Ein Teil des Korpus wird darüber hinaus auch
auf der Augsburger Projekthomepage veröffentlicht werden. Diese Kopie wird –
neben der interessierten Öffentlichkeit – vor allem an die Unserdeutsch-community selbst gerichtet sein, ohne deren großzügige Mitwirkung und Hilfsbereitschaft das Projekt unmöglich gewesen wäre. Durch diese digitale Dokumentation
soll, und daran ist unseren Gewährspersonen sehr gelegen, für die Kinder und
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Péter Maitz, Werner König u. Craig A. Volker
Enkelkinder der heutigen, letzten Sprechergeneration wenigstens eine Erinnerung an die Sprache und Geschichte(n) ihrer Vorfahren erhalten bleiben.
Literatur
Lewis, M. Paul/Simons, F. Gary/Fennig, D. Charles (eds.). 2015. Ethnologue: Languages of the
World. 18th ed. Dallas TX: SIL International. Online version: http://www.ethnologue.com
Maitz, Péter (im Druck): Unserdeutsch (Rabaul Creole German). Eine vergessene koloniale
Varietät des Deutschen im melanesischen Pazifik. In: Lenz, Alexandra N. (Hrsg.): German
abroad – Perspektiven der Variationslinguistik, Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung. Göttingen: V & R unipress (Wiener Arbeiten zu Linguistik; 4)
Maitz, Péter/Volker, Craig A. (im Druck): Documenting Unserdeutsch: Reversing colonial amnesia. In: Journal of Pidgin and Creole Languages.
Moseley, Christopher (ed.) (2010): Atlas of the World’s Languages in Danger. 3rd ed. Paris:
UNESCO Publishing. Online Version: http://www.unesco.org/culture/en/endangeredlanguages/atlas
Volker, Craig (1982): An Introduction to Rabaul Creole German (Unserdeutsch). Unpublished
MLitSt thesis, University of Queensland.
Volker, Craig (1989): Rabaul Creole German syntax. In: Working Papers in Linguistics 21.1.
(University of Hawaii: Department of Linguistics), 153–189.
Westpfahl, Swantje/Schmidt, Thomas (2013): POS für(s) FOLK – Part of Speech Tagging des
Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch. In: Journal for Language Technology
and Computational Linguistics 1, 139–156.
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