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Sounds perfect Wahhhh, I don’t wanna

Touch Me Not (2018)

Ein Film, dem die Therapiesitzung aus jeder gezeigten Pore dringt, was nicht nur an psychoanalytischen Einsprengseln und dem Thema der Überwindung sexueller Ängste und Vorurteile liegt, sondern vor allem an seinen klinisch weißen, sterilen Bildern. Sie kennzeichnen die Versuchsanordnung visuell als eine solche. Auf der einen Seite mag diese formale Entscheidung darin begründet liegen, dem Mangel an körperlicher wie seelischer Intimität ästhetisch Ausdruck verleihen zu wollen. Andererseits gemahnt “Touch me not” unter anderem deshalb an Foucaults Begriff der scientia sexualis, jene Tendenz der Moderne, Sexualität im Register der Wissenschaft, der Suche nach objektiven Wahrheiten, zu verhandeln, und dem Körper Geständnisse seines Funktionierens zu entlocken. In diesen gleißend hellen Räumen, in denen der Kamera kein Stückchen Haut verborgen bleibt, sollen die Körper irgendeine Wahrheit der Sexualität preisgeben, und sei es implizit. Zugleich wird unaufhörlich über Sexualität und Körper gesprochen - so viel körperliche Affektion traut man dem Kino dann wohl doch nicht zu, dass man nicht alles noch einmal ausbuchstabieren müsste. Damit beraubt sich der Film jedoch schon formal dessen, was er mit seinen Figuren eigentlich auch sucht: Sinnlichkeit, die nicht gleichbedeutend mit Erotik sein muss; jene haptischen und auch olfaktorischen Qualitäten, deren Illusion ein Film nur schwer erzeugen kann, der so sehr in kühler Laborästhetik verhaftet bleibt.

Und man könnte sich auch fragen, welche tiefen Wahrheiten über die Körper, die Sexualität und die Intimität diese Methode denn nun erreicht, geschweige denn über die Sexualität speziell in unserer Zeit, außer jene, dass auch Menschen mit körperlicher Behinderung Sex und, naja, einen Körper haben, wie wir alle. Der Film predigt in aufklärerischer Absicht Toleranz für alle Spielarten der Sexualität, will Missverständnisse und Vorurteile aufheben, indem er direkt mit der vermeintlich anormalen Sexualität konfrontiert. Aber er traut sich dabei nicht, bis auf kurze Ausnahmen, dies auf irgendeine andere Art und Weise zu tun als die vermeintlich neutrale, maximale Sichtbarmachung des Körpers, betrachtet also, auch mit Blick auf die angestrengt experimentelle Form, körperliche Intimität letztlich doch auf recht vergeistigte Weise. Davor können ihn leider auch einige selbstreflexive Exkurse nicht retten, die auf die Spannung zwischen dem Fiktionalen und dem Dokumentarischen gerade bei einem solch intimen Film hinweisen. Sicher, mit der hier beschriebenen Methode wehrt “Touch Me Not” mögliche Pornographie- und Voyeurismus-Vorwürfe ab und kann sich stattdessen in geschmackvoller Distanz wägen. Würde er sich aber dem Dispositiv der scientia sexualis zu entziehen versuchen, könnte dies wiederum ein Film sein, der Sexualität nicht nur untersucht, sondern sich ihr auch aussetzt, der, was er entgegen seines Titels zweifellos will, tatsächlich im doppelten Sinne berühren könnte.

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Cold War - Der Breitengrad der Liebe (2018)

Im Zentrum dieses historischen Melodrams steht ein Lied, das anfangs gesungen von einem einzelnen Bauernmädchen zu hören ist. Später wird es zum polnischen Traditionskitsch, zur stalinistischen Hymne und schließlich zum verjazzten Chanson umgearbeitet werden, aber immer der Versicherung und Einübung der kulturellen, nationalen oder politischen Identität der Musizierenden und Zuhörer dienen. Wenn es gegen Ende des Films, wieder in Polen, als lateinamerikanisch angehauchter Schlager ertönt, dann zeigt das auch, dass Tauwetter angebrochen ist und die Zeit der stärksten Abschottung gegen westliche Einflüsse zu Ende geht.

Es ist aber auch eben ein Melodram, das neben der Geschichte und der Kunst in den großen politischen Systemen auch davon handelt, wie Individuen sich in der Spannung zwischen historischer Determiniertheit und persönlichen Lebensentwürfen zu verorten versuchen. Nicht nur der Sozialismus wird in seinen Repressionen gezeigt, im Westen, so wird schnell deutlich, sind die Machtmechanismen lediglich subtiler und berühren nichtsdestoweniger auch die Kunst: Im Osten muss die Musik dem Staat dienen, im Westen muss sich der Musiker zur Ware machen. Der Jazz, der, auch im Kinosaal, zunächst einen Befreiungsschlag von den politischen Zwängen bedeutet, wird schnell zur Marke, die ebenfalls ihre Vorschriften hat. Das heißt glücklicherweise nicht, dass der Film in Relativismus abdriftet, vielmehr deutet er an, dass der Unterschied zwischen Warschau und Paris weniger im Grad der Anpassung liegt, sondern im Ausmaß der sichtbaren Grausamkeit.

Man mag sich nun fragen, wo bei so einer thematischen Ambition, den Schwarz-Weiß-Bildern zum Dahinschmelzen und straffen 88 Minuten Laufzeit denn die Liebe bleibt. In der Tat erschwert die Reduktion der Romanze auf dramaturgische Eckpunkte in Kombination mit der elliptischen Erzählweise die Einfühlung. Die Zuneigung dieser Zwei, die zumindest wie die Hauptdarsteller eines großen Melodrams aussehen, bleibt oft mehr Behauptung, als dass sie unmittelbar nachvollzogen wird, so hinreißend manches narratives Fragment auch sein mag. Wichtiger scheint “Cold War” zu sein, zu zeigen, dass Wiktor und Zula weder in Ost noch West leben können, schon gar nicht gemeinsam. Was bleibt der großen Liebe, wenn sie in den Wirren der Geschichte nirgends heimisch werden kann? Die Antwort schwebt, wie auch der Rest des Films, irgendwo zwischen Fatalismus und Poesie.

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Climax (2018)

Zu Anfang seines Films gibt Gaspar Noé uns eine filmische, literarische und philosophische Lektüreliste zur Hand, um zu unterstreichen, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat. Die aufschlussreichste dieser Referenzen ist vielleicht Georges Batailles Novelle “Die Geschichte des Auges”. Wie für Bataille, den erotischen Mystiker, in Momenten des Tabubruchs, also der Transgression, auch eine Art Selbstentgrenzung erfolgt, die möglicherweise erst im Tod ihre höchste Steigerung erfährt, fallen in Noés Film massenhafte Ekstase und Höllenfahrt ineinander. Sie steigern sich bis zu einer infernalischen Orgie, in der ein Körper kaum noch vom anderen zu unterscheiden ist. Auf diesem Höhepunkt lässt uns Noé dann auch mit einer seiner typisch bescheidenen Texttafeln wissen: der Tod ist eine außerordentliche Erfahrung. Den Verweis auf Bataille trägt “Climax” überdies implizit schon im Titel, schließlich ist die poetische französische Bezeichnung für den sexuellen Höhepunkt “der kleine Tod”. 

Die transgressive, ebenso orgiastische wie gewaltsame und entsetzliche Erfahrung (wie sie schon die ekstatischen Tanzszenen präfigurieren) muss bis hinter Vernunft und Sprache gehen und verwandelt so die ihr hilflos ausgelieferten jungen Opfer in einen schreienden und ächzenden Haufen. Den Polizisten am nächsten Morgen zu erklären, was sich hier zugetragen hat, dürfte kaum möglich sein, lag es doch außerhalb des “globale[n] Alptraum[s] der menschlichen Gesellschaft”, wie Bataille in “Die Geschichte des Auges” schreibt. In diesem Zusammenhang lässt sich vielleicht auch das anfängliche Beharren des Films auf sein Französisch-sein verstehen: Nicht nur als ironischer Affront Noés gegen seine zweite Heimat und metaphorische Sichtbarmachung von deren Spannungen und Gewaltpotenzial, sondern als Hinweis auf die Suspension auch der nationalen Identitäten, der Zugehörigkeit zur Gesellschaft als solcher, in der Ekstase.

Nun ist all das mit Blick auf Noés Filmographie nur bedingt neu, und auch die Mittel, derer er sich dafür bedient, sind bekannt: schwerelose, desorientierende Kamera, knallige Farben und dauerwummernde Elektrobeats formieren sich erwartungsgemäß zum Angriff auf die Sinne der Zuschauer. Auch hinsichtlich des inhaltlichen Tabubruchs ist “Climax” für Noé-Verhältnisse nur bedingt schockierend. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Methode eines Filmemachers, der sein Skandalregisseur-Image so stolz zur Schau trägt, sich nicht zwangsläufig in bloßer Selbstüberbietung totlaufen muss (ohne gleich den leeren Vorwurf der “leeren Provokation” machen zu wollen). Und daran kann sich die Frage anschließen, ob die transgressive Erfahrung, die sich hier schließlich auch auf den Zuschauer übertragen soll (mit Sicherheit immer in einer “light”-Version”), sich mit in dieser Weise eingefahrenen Mitteln noch evozieren lässt. Dies einzuschätzen obliegt sicherlich in gewisser Weise dem Einzelnen, dennoch kann man “Climax” mit Recht als stimmigen Versuch bezeichnen: die somatischen Reaktionen, das unwillkürliche Wippen mit dem Fuß, bleiben schließlich auch beim hundertsten gelungenen Einsatz eines Elektro-Klangteppichs nicht aus; nur weil Schocks bekannt sind, braucht man nicht so zu tun, als sei man nicht schockierbar; und mindestens im Finale steigert Noé seine Ausdrucksmittel in eindrücklicher Weise. Man sollte sich daher von Fragen nach der Originalität nur bedingt beirren lassen und Noés angestrengte Bemühungen, das Kino zum Batailleschen Erfahrungsraum zu transformieren, schlicht als Einladung verstehen, sich seinen Obsessionen (immer noch) auszusetzen. Denn das Schöne am Kino ist ja auch, dass man so oder so nach anderthalb Stunden rausgehen und so tun kann, als sei nichts passiert.

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Bad Times at the El Royale (2018)

Drew Goddards zweiter Film als Regisseur nimmt sich zunächst, ganz im Geiste seines “The Cabin in the Woods”, als metafilmisches Spiel aus: Der heimliche Blick in fremde Hotelräume wird zum allmächtigen Blick der Kamera in die Heimlichkeiten der Figuren und ihre Vergangenheit, der Einwegspiegel wird zur Leinwand. Dieser Blick ist natürlich immer auch voyeuristisch, denn eigentlich wartet diese Kamera nur darauf, dass der Film zum Porno wird. Goddards Film scheint daher nicht zufällig an typisches post-Tarantino Crime-Kino zu erinnern, stellt dessen Mechanismen aus, die hinter jeder Figur eine elaborierte Enthüllung erwarten lassen und die Schaulust am Spiel dieser Figuren miteinander und dem Spiel des Films mit ihnen entzündet - wortwörtlich, sobald sich das Rouletterad zu drehen beginnt.

Im weiteren Verlauf lässt dieser selbstreflexive Modus jedoch nach und das El Royale wird vom Schmuddelkino zum Fegefeuer seiner sündigen Gäste. Wenn das Spiel auf seine erwartbare Eskalation zutreibt, scheint Goddard bemüht, fern der zuvor sich abzeichnenden Ironie, ein Stück Wahrhaftigkeit, sogar Reinheit zu retten und die guten Ganoven nicht ganz der nihilistischen Willkür eines nicht minder erwartbar extravaganten Charles Manson-Verschnitts anheim zu geben - man könnte fast den Versuch darin erkennen, das Gewissen des Zuschauers zu beruhigen, der sich zuvor noch ganz der Lust an der spielerischen Gewalt hingeben durfte. Nachdem schließlich schon alles enthüllt scheint, entdeckt der Film dann auch passenderweise die Wahrheit der Lüge. Es kümmert nicht länger, ob der Priester nun falsch oder echt ist, solange er nur glaubwürdige Absolutionen erteilt.

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Dogman (2018)

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: “Ich bin der Faschismus.” Nein, er wird sagen: “Marcello, hast du nicht noch ein bisschen Koks für mich?” Auf ein Statement dieser Art scheint Matteo Garrone mit seiner Darstellung der Beziehung zwischen dem schmächtigen Hundefriseur Marcello und dem hünenhaften Kleinkriminellen Simone hinauszuwollen: Simone ist zunächst mehr Horrormonster als Mensch, scheint Marcello immer dort aufzulauern, wo es ihm gerade am ungelegensten kommt, und unaufhaltsam, sobald er die alten Boxerfäuste schwingt. Bei aller Angst vor seinem treusten Kokskunden, diesem falschen Freund, treibt Marcello jedoch immer wieder auch die Faszination für dessen Macht und die Hoffnung, ein Stück vom Kuchen abzubekommen, in Simones Arme.

Die verfallen(d)e Kleinstadt, in der die beiden aneinander geraten, ist ebenso aussichtslos wie Marcellos Versuche, nicht mit Simone zu kollaborieren, ohne ihm je zu widersprechen. Gewalt, so die bedrückende Botschaft dieses tiefgrauen Films, lässt sich nur mit Gewalt beantworten, die Simones dieser Welt wird man, hat man sie einmal an sich herangelassen, nur um den Preis der moralischen Integrität wieder los. Bei einem solchen Nahezu-Determinismus irritiert aber, neben einigen holprigen Drehbuchentscheidungen, wiederum das betont ambivalente Ende. Dies mag auch daher rühren, dass “Dogman” sich nie ganz entscheiden kann, ob er Milieustudie, auf den blutigen Kampf zweier ungleicher Männer reduzierter Thriller oder doch die große Metapher sein will, Aspekte, die sicherlich nicht unvereinbar sind, hier jedoch eher in Unbestimmtheit münden. Darunter leidet letztlich die Dringlichkeit der Fragen, die Garrones der Ausweglosigkeit der Gewalt verpflichtetes Weltbild durchaus aufwerfen könnte.

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Der Affront (2017)

Wenn das Schicksal eines Landes und die Wunden der Geschichte im Film vor Gericht verhandelt werden sollen, dann darf man sich in der Regel auf pathosgesättigte Reden und dramaturgische Paukenschläge einstellen. Das ist auch in “Der Affront” nicht anders, der sein brisantes Thema frei von Ambivalenzen aufbereitet. Das Setting des Gerichtsprozesses bietet sich neben scharfen Wortgefechten schließlich stets dafür an, seine Botschaft in Plädoyers explizit auszuformulieren, was meist ebenso mitreißend wie didaktisch ist. Alle an diesem Konflikt beteiligte Parteien, so sagt man uns, haben gelitten, auch der vermeintlich schlicht palästinenserhassende Christ hat seine Gründe; ein Land, dessen Alltag von der Spannung zwischen verfeindeten Gruppen geprägt ist, braucht Versöhnlichkeit und Verständnis füreinander. Das macht “Der Affront” zu einem sehr gut gemeinten Film. So gut gemeint, dass es manchmal schwer zu ertragen ist.

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A Star Is Born (2018)

Obwohl dieser Film vom Aufstieg eines Pop- und Fall eines Rockstars erzählt, verachtet er den Pop nicht. Dessen allzu einfache Ablehnung als künstlerischer Ausverkauf kommt hier nur von Coopers abgehalftertem Rockmusiker. Zwar fehlt auch ein kritischer Blick auf die Musikindustrie als solche nahezu völlig, obwohl an Coopers Figur ihre potenziell verheerenden Auswirkungen sichtbar werden. Dafür aber hat der Film, vermutlich schon allein dank Gagas Beteiligung, eine grundsätzliche Achtung vor dem Handwerk, das sowohl für Popmusik als auch für Coopers vermeintlich “echtere” Musik nötig ist. Daher zeigt er sein Pärchen nicht einfach als zwei Genies, sondern gibt der Arbeit, die beider Kunst erfordert, relativ viel Raum.

Cooper inszeniert diese Geschichte als klassisches, tränenreiches Hollywood-Melodram über die große Liebe, der gegen jede Hoffnung das Schicksal (heißt hier: die Drogen) dazwischen kommt. Überraschungen gibt es folglich kaum, er baut wohl ganz auf seinen und Gagas Charme sowie gerade auf die Zeitlosigkeit des Stoffes. Oder, wie es Sam Elliott durch den Schnauzer nuschelnd ausdrückt: Musik besteht aus zwölf Tönen, die sich ständig wiederholen, und man kann als Musiker bloß hoffen, zu zeigen, wie man diese sieht. Schaut man sich die euphorischen Reaktionen auf dieses zweite Remake von “A Star Is Born” an, so scheint für Filme in etwa dasselbe zu gelten.

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The Man Who Killed Don Quixote (2018)

Terry Gilliam kämpft gegen Windmühlen. Rückhaltlos identifiziert er sich mit seinen Hauptfiguren und pendelt dabei zwischen rührselig, albern und sehr albern. Was als Meta-Streifen über das Filmemachen samt dick aufgetragener Filmgeschäfts-Satire beginnt, wird im weiteren Verlauf zum pathetisch-überdrehten Buddy- und Road-Movie und endet als pompöser Ab- und Lobgesang auf heroisches Aufbäumen von Träumern gegen die ganze Welt und ihren bösen Zynismus. Dass der Film dabei, ebenfalls nicht viel anders als sein Don Quixote, oft wie ein ungelenker Unfall wirkt, dessen surreale Verspieltheit bisweilen zur angestrengten Pose verkommt, stellt den Zuschauer vor die Wahl, entweder entnervt den Kopf zu schütteln oder sich Gilliams erzwungener Anarchie gerade wegen dieses unerschütterlichen Willens und Glaubens an das Fantastische hinzugeben.

Zwischen Wahnsinn und Kompromiss gibt Gilliam offenkundig immer dem Wahnsinn den Vorzug, was ja zu loben ist, aber hier nicht selten an Selbstherrlichkeit grenzt. Man möchte ihn dazu beglückwünschen, dass dieser Film trotz der turbulenten Entstehungsgeschichte wohl seiner persönlichen Vision relativ nahe kommen muss. Er ist deswegen aber auch aus der Zeit gefallen, türmt Klischee auf Klischee, Übertreibung auf Übertreibung, bis man ihn mit seiner sentimentalen Botschaft letztlich mehr für diese Haltung bewundert, als dass er selbst bewundernswert wäre.

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The Endless (2017)

Überdeutlich beschwört “The Endless” kosmischen Horror à la H. P. Lovecraft, scheitert jedoch weitestgehend daran, diesen auch auf den Zuschauer zu übertragen. Das liegt vor allem daran, dass er so damit beschäftigt ist, die komplexe Funktionsweise seines grausamen Gottes zu erklären, dass sich das Gefühl des existenziellen Ausgeliefertseins des Menschen gegenüber dieser Macht nur in wenigen gelungenen Sequenzen einstellen will, in denen eben Unerklärbares oder noch nicht Erklärtes geschieht - konstituiert sich dieser Horror doch gerade da, wo menschliches Verständnis gesprengt wird. Einem solchen Effekt können zu ausschweifende Rationalisierungen nur abträglich sein. Heraus kommt so vielmehr ein filmisches Puzzle, das ständig dazu herausfordert, die Logik seines Universums zu rekonstruieren.

Interessanter wird der Film, wo er nahelegt, diese Logik als Metapher für diverse hierarchische Verhältnisse zu lesen: zwischen Gott/Mensch, Gruppe (Sekte)/Individuum und Bruder/Bruder. Dabei fasst er diese Unterordnungsverhältnisse nicht zwangsläufig als negativ auf, solange sie auf Reziprozität beruhen, die Unterordnung also gewissermaßen freiwillig bleibt. Indem er so Hierarchien auf familiärer, gemeinschaftlicher und kosmisch-religiöser Ebene in ihrer gegenseitigen Verflechtung sichtbar macht, lässt sich sein Ende auch als dreifacher Emanzipationsakt begreifen - auch wenn die plötzliche Sentimentalität dieser Auflösung einen faden Beigeschmack hinterlässt. Bei alledem bleibt jedoch eine höchste, unausweichliche Autorität, ein unsichtbarer, allgegenwärtiger Voyeur, auf den Benson und Moorhead in metafilmischen Einschüben immer wieder verweisen, die Kamera. Denn vor was auch immer die Protagonisten fliehen, eines werden sie nicht verhindern können: Dass der Film einfach von neuem beginnt.

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BlacKkKlansman (2018)

Spike Lee muss sich in seinem Protagonisten Ron Stallworth gewissermaßen wiedererkennen: Genau wie dieser den Ku-Klux-Klan versucht er mit diesem Film, das Kino zu unterwandern, sein politisches Anliegen mainstreamtauglich zu verpacken, black power in ein Hollywood-Repräsentationssystem zu injizieren, das für ihn seit D.W. Griffiths “Die Geburt einer Nation” quasi ein rassistisches Erbe weiterzutragen scheint. Schwarze Kultur hingegen wurde historisch an die Ränder des Kino vertrieben, ins Blaxploitation-Genre, und so ist es nur logisch, dass Lee nun eine Synthese aus Griffith und diesem Genre versucht. Die unbequeme Frage, die sich Stallworth im Film gefallen lassen muss, ob er denn für Gleichberechtigung kämpfen könne, indem er mit einer systematisch rassistischen Polizei kooperiere, scheint Lee dann auch nicht groß zu kümmern.

Interessanter und brisanter als die filmische Verneigung vor afroamerikanischer Kultur ist dann auch der Rückgriff auf Griffith. Selbstreflexiv verweist Lee in einer Vorführung von “Die Geburt einer Nation” für den Ku-Klux-Klan auf die ideologische Macht des Kinos. Wenn er sich dann im Finale der von Griffith geprägten Parallelmontage und Last Minute Rescue bedient, dann muss dies auch als Versuch verstanden werden, sich diese filmsprachlichen Mittel über 100 Jahre nach Griffiths rassistischem Referenzwerk Hollywoods aggressiv wieder anzueignen. In seinen besten Momenten ist “BlacKkKlansman” daher nicht nur ein Exempel der Macht des Kinos und der Repräsentation, sondern liefert den Diskurs darüber gleich mit. In seinen schlechtesten Momenten hingegen ist er etwas, das man böswillig auch als stumpfen Agitprop bezeichnen könnte, wobei das Problem hier keineswegs die Deutlichkeit ist, sondern das letztliche Unvermögen, sich ähnlich differenziert mit den komplexeren, systematischen Verästelungen des Rassismus auseinanderzusetzen. Der Ku-Klux-Klan ist zwar gewiss ein verdientes, aber auch ein einfaches Ziel, und wird durch den ständigen Willen zur Bloßstellung als Bündel von Idioten (bis auf zwei erwähnenswerte Ausnahmen) möglicherweise noch verharmlost. Struktureller Rassismus hingegen wird zwar gegen Beginn mehrfach angedeutet, jedoch am Ende mit einer unbeholfenen und geradezu albernen Auflösung versehen, wenn stellvertretend einfach der eine fiese Rassistenpolizist verhaftet wird. Das mag zu Lees Ansatz durchaus irgendwie passen, projiziert aber zugleich ein komplexes Problem institutioneller Diskriminierung auf ein blödes Individuum - statt eben auf die Institution.

Als politischer Aktivismus funktioniert dieser Film, der seine Manipulationsmechanismen so vollkommen offenlegt, also recht gut, und insofern will man Lee auch nicht viel vorwerfen. Nichtsdestotrotz muss man sich fragen, ob er die Verführung des Spektakels Kino wirklich reflexiv wieder einholen kann, ob er zum Diskurs etwas beitragen kann mit den klaren Linien, die er zieht (Schwarze+gute Weiße vs. einzelne böse Weiße) außer berechtigte Wut. Oder ob er vielleicht im Rahmen seiner gelungenen Umkehrung filmischer Rhetorik letztlich doch nur liberale Gemeinplätze artikuliert und so zwar ein gelungener Aufruf zum Handeln ist, weniger aber zum Denken. 

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