Gerne würde man über ein großes Werk wie “Speed Racer“ schreiben, es sei seiner Zeit voraus gewesen, aber dazu müsste man unterschlagen, wie unverbraucht und befremdlich es noch immer wirkt, wie es sich vielleicht noch mehr als zur Zeit seines Erscheinens den Blockbuster- und eigentlich sämtlichen Sehgewohnheiten widersetzt. Während die überwältigende Mehrheit der Filme bis heute versucht, ihre Herkunft aus dem Computer zu verschleiern, stellt “Speed Racer“ sie ostentativ aus und wird so zum Experimentierfeld der Möglichkeiten digitalen Filmemachens. Fauvistisch, wie hier mit leuchtenden Farben gespielt wird, unübersehbar der Verzicht auf “Realismus“ als obersten Maßstab visueller Effekte. Die Oberflächen der Objekte in “Speed Racer“ sind konsequent glänzend und glatt, ohne deshalb steril zu wirken oder an Taktilität einzubüßen, gerade weil sie eine einheitliche Welt bilden, die womöglich einem lebendigen Cartoon so nahe kommt wie es nur geht. Auch nutzen die Wachowskis die digitale Technik, um mit ihrer Kamera unmögliche Sprünge und Fahrten zu vollführen, verschiedene Aufnahmen übereinanderzuschichten und ineinander übergehen zu lassen. So erproben sie eine Filmsprache, die nicht mehr den physischen Begrenzungen des Apparats unterworfen sein will und erreichen, durchaus in expressionistischer Tradition, eine vollkommene ästhetische Überformung der filmischen Welt. Gerade bei der Montage, womöglich derjenige Aspekt von Film, der am ehesten den Namen seiner “Grammatik“ verdient, wird dies offensichtlich: Wann immer es geht, werden Schnitte versteckt, nicht um raumzeitliche Einheit zu suggerieren, sondern um einen stetigen Fluss gerade disparater Zeit- und Handlungsebenen zu erzeugen und mehrere Bilder in derselben Einstellung zu kombinieren. Das bleibt keine Spielerei, sondern erzeugt einen dynamisierten filmischen Raum mit einem eigenen narrativen Sog – das erste Rennen ist neben einer Einführung in den Stil des Films auch ein elegantes Meisterstück klassischer, emotional involvierender Exposition.
Diese formale Innovationskraft steht zunächst im Dienst eines ziemlich einfachen Plots, was “Speed Racer“ von jenen, die ihn zum Kultfilm stilisieren wollen, den Ruf krasser Bilder mit einer schwachen Story eingebracht hat. Und in der Tat sind weder Schauspiel noch Drehbuch hier sonderlich subtil, was wiederum der Orientierung am Animevorbild geschuldet sein mag. Das war der zeitgenössischen Kritik, größtenteils Unwillens, an einen Film Gedanken zu verschwenden, der primär an Kinder vermarktet wurde, genug, ihn (bestenfalls) mit Begriffen wie “bonbonbuntes Pop-Spektakel“ abzufertigen. Die Tatsache, dass der Film keine Scham hat, sein Melodrama mit ebenso breitem Pinsel zu malen wie seine Bilder, und dass er die überhöhten Emotionen und einfachen Psychologien von Figuren mit Namen wie Speed, Mom und Pops Racer ernst nimmt, statt sie ironisch-distanziert auszustellen, was wohl Grund genug, ihn selbst nicht mehr ernst zu nehmen.
Wer derart allergisch auf emotionale Aufrichtigkeit reagiert, verstellt sich allerdings nicht nur den Blick auf die innovative visuelle Erzählkunst von “Speed Racer“, sondern auch auf einen zutiefst metacinematischen Text. In den Händen der Wachowskis wandelt sich die seichte antikapitalistische Mär von der liebevollen Arbeiterfamilie, die sich gegen ein korruptes, den Sport nicht ehrendes System durchsetzt, zum Manifest der Möglichkeit von Kunst innerhalb eines kunstfeindlich-kommerzialisierten Systems. Die Absichtserklärung der Schwestern, mit “Speed Racer“ ähnlich die etablierte Filmgrammatik durchkreuzen zu wollen wie einst der Kubismus in der Malerei, mag man anmaßend finden, aber sie trifft doch den Kern der Sache. Nicht umsonst ist im Grunde das erste, was wir zu sehen bekommen, ein von Speed gebasteltes Daumenkino, das sich zu einer Renn-Fantasie im kindlichen Zeichentrickstil auswächst, und das letzte Rennen beinhaltet eine Anspielung auf die Vorzeit des Kinos in Form der fotographischen Studien Eadweard Muybridges. Solche Referenzen verorten “Speed Racer“ einerseits in einer Tradition filmtechnischer Innovationen und positionieren ihn unbescheiden als den nächsten vergleichbaren Sprung. Andererseits setzt der Film so früh das Erträumen neuer Bilderwelten mit dem Geschwindigkeitsrausch des Autorennens in eins, sodass Speeds unbeirrbarer Glaube an die Würde des Rennsports mindestens ebenso sehr ein Bekenntnis zur Kunst wider die zynische Industrie ist.
Damit ist es ein leichtes, sich ebenfalls in bequemem Zynismus zu wiegen und die Wachowskis als naiv abzustrafen, würde nicht “Speed Racer“ letztlich zugleich den Beleg dazu liefern, dass es doch immer wieder zu Wundern kommt, bei denen absurde Budgets nicht in die Reproduktion von Altbekanntem gesteckt, sondern zum Aufstoßen genuin neuer filmischer Möglichkeiten verwendet werden – eine Woche vor diesem Film startete übrigens “Iron Man“ in den Kinos. Insbesondere das letzte Rennen weist die Wachowskis als große Utopistinnen aus: Sie steigern ihre Mittel bis hin zu Abstraktion, einem Rausch von Farben mit dem Ziel der ekstatischen Selbstüberschreitung des Protagonisten ebenso wie des Publikums. So wie Speed hier durch bloße Geschwindigkeit die filmische Realität selbst um sich herum biegt, glauben die Wachowskis an die Veränderung der Wirklichkeit qua ästhetischer Revolution. Mit einem Wort, “Speed Racer“ ist letztlich ein Plädoyer und eine Versicherung für – so viel Pathos muss sein – den Glauben ans Kino.