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Memoria (2021)

Film als lebendiges Bewusstsein, in dem Träume, Natur, Geschichte und Jenseitiges Teil derselben Realität werden. Weerasethakul variiert seinen Cemetery of Splendour, betont aber vielleicht noch stärker als dort die metaphysischen Aspekte seines Kinos, das in seinen langsamen Atemzügen Unaussprechliches erahnen lässt. Über seinen schwülen Naturbildern und zwielichtigen urbanen Schauplätzen scheint stets schon eine Geisterwelt zu schimmern - oder sind es doch nur Radiofrequenzen? Wieder und wieder insistiert er so lange auf seinen ahnungsvollen Einstellungen, bis sie mehr zu zeigen scheinen, als man sieht. Wer sich auf diesen gemächlichen Rhythmus, das beständige Vermischen des Profanen und des Fantastischen einlässt und bereit ist, seiner undurchdringlichen Logik zu folgen, bekommt vielleicht eine Ahnung von den beängstigenden wie anziehenden, allumfassenden Vernetzungen, die Weerasethakul weniger prätentiös behauptet, als dass er sie spürbar macht. In einem Meer aus Eindeutigkeit sind seine Filme befreiend enigmatische Inseln, die Zuschauer*innen aktivieren, ohne sie zu bedrängen.

Das Entscheidende Medium ist dabei, die Prämisse verrät es bereits, der Ton, als bloßes Geräusch ebenso wie als Musik. Unsichtbar, alles überdeckend einerseits, als Echo noch über Jahre vernehmbares, alles verbindendes Element andererseits. Aber eben auch ganz praktisch betrachtet: Wie er im Tonstudio entsteht, als Musik zum Ausdruck wird, uns verknüpft und berührt - oder uns anruft. Daher ist Memoria auch nicht einfach “nur” ein Film über das Schürfen nach tieferen Schichten der Erde, sondern auch über das Greifen nach dem nächsten Menschen, die Suche nach einer Berührung, in der wir beginnen, den Anderen zu verstehen. Und darüber, dass in dieser Berührung vielleicht der Schmerz der Geschichte, wie er sich in alles einschreibt, begriffen und geteilt werden kann.

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The French Dispatch (2021)

Unter den heute erfolgreichen Regisseur*innen dürfte Wes Anderson wohl derjenige sein, der am ehesten anhand seiner formalästhetischen Konstanten wiedererkannt wird. Wer dafür seine Filme guckt (und das wäre nicht der schlechteste Grund), wird von “The French Dispatch” abermals nicht enttäuscht werden: Der Film strotz erneut vor zentralperspektivischen, symmetrischen Kompositionen, zweidimensionalen Kamerafahrten und sorgsam arrangierten Details. Umso überraschender, dass Anderson über weite Strecken auf Farbe verzichtet, zählen doch seine monochromen Pastellbilder zu ebendieser Liste an Wiedererkennungsmerkmalen. Man wittert plumpe Nostalgie, gerade in einem Film, der sich eines so leicht romantisierten Sixties-Frankreichs als Schauplatz bedient. Interessant wird diese formale Entscheidung jedoch gerade dadurch, dass sie gebrochen wird: An entscheidenden Punkten ergießt sich plötzlich doch Farbe über das Bild und ist ebenso schnell wieder verschwunden. Es handelt sich um Bilder von Malerei, von Musik, von Poesie und schließlich um einen ganzen Cartoon. Gegenüber der Historizität des Stoffes, die neben der Schwarz-Weiß-Ästhetik dadurch verstärkt wird, dass wir hier Reportagen aus einem Magazin sehen, das schon gar nicht mehr existiert, betont “The French Dispatch” so die Zeitlosigkeit von Kunst, Genuss und Kreativität. Und das ist doch nun mal echte Romantisierung.

Ins Schwanken gerät der Film immer dann, wenn er darauf stößt, dass das Frankreich der Sechziger Jahre nicht nur eine Fundgrube für minutiös durchgetaktete Kurzgeschichten und aufwändige Sets ist, sondern auch eine politische Wirklichkeit hatte. Andersons visueller Stil, der alles der präzisen Bewegung und Komposition unterordnet, um die Welt in ein pastellfarbenes Puppenhaus umzuformen, ist entgegen seiner Kritiker*innen der Ernsthaftigkeit per se nicht unfähig - seine häufigen abrupten Ausbrüche an Sentimentalität zeugen auch hier wieder von einem Interesse an seinen Figuren, das über deren Reduktion auf eine Ansammlung von charmanten Spleens weit hinausschießt, allein für diese Momente wäre der Film schon sehenswert. Gesellschaftliche Zustände wiederum verkommen dabei zum bloßen Hintergrundrauschen von Figurendrama und pittoresker Ästhetik - da wird dann Polizeigewalt schon mal ohne weiter nachzufragen zur überzeichneten Pointe aufgeblasen. Insbesondere die 68er Studierendenrevolten fallen dieser Vereinnahmung zum Opfer. Wo etwa noch Godards “Die Chinesin” dem studentischen Tatendrang zwar mit einigem Sarkasmus und Bedauern, aber letztlich doch auf Augenhöhe begegnete, tauchen politische Forderungen bei Anderson gar nicht erst auf - es kann sich für ihn scheinbar nur um das Werk triebgesteuerter Kinder und ungeformter Poeten handeln. Jugendlicher Idealismus ja, aber nur noch als Vibe, bei dem es um nichts geht. Dass Anderson sich gerade für diese Charaktere sogar einmal dazu hinreißen lässt, zur destabilisierten Handkamera zu greifen, ist dann auch nicht als plötzlicher Einbruch der außerfilmischen Realität in die luftleere Anderson-Welt zu deuten, sondern als Zugeständnis wenigstens an die junge Liebe.

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Titane (2021)

Während “Raw” zwar durchaus transgressive Bilder und ein provokatives Thema beinhaltete, im Kern jedoch von einer grundsoliden Metapher zusammengehalten wurde, genehmigt sich Ducournaus “Titane” mehr Ambivalenzen und Überdeterminierungen, lässt sich schwieriger festlegen - und türmt zugleich bereits in der ersten halben Stunde mehr Perversion und Gewalt aufeinander, als es ihr Vorgänger über die ganze Laufzeit schaffte. Dabei scheint sie ihre heftigen Genreeffekte irgendwo an der Schnittstelle zwischen New French Extremity und David Cronenberg nie allzu ernst zu nehmen, sodass ihr ein schwieriger Spagat zwischen viszeralem Ekel und schwarzem Humor gelingt. Vor allem anderen ist “Titane” daher ein Film fürs Kino, fürs gemeinschaftliche Zusammenzucken und kathartische Auflachen.

Trotz dieser durchgängig verspielten Haltung gibt es da einen Umbruch im Erzählrhythmus des Films, der sich in ein durchaus sensibles, von Vincent Lindons verletzlich-neurotischer Schauspielleistung getragenes (Wahl-)Familiendrama verwandelt, welches in seinen Wendungen und psychologischen Tiefenflügen mindestens so normüberschreitend ist wie die blutigere erste Hälfte. Die Beziehung, die hier zwischen den Hauptfiguren entwickelt wird, schillert zwischen verschiedenen Arten der Liebe, väterlicher, romantischer und sexueller. In vergleichbarer Weise bedient “Titane” dabei den zentralen Topos jedes guten Body Horrors, wenn er die vermeintlich stabilen Grenzen des Körperlichen auflöst und den Körper so in seiner identitätsbildenden Funktion attackiert. Das gilt einerseits ganz unmittelbar angesichts der Häufigkeit des Eindringens von Objekten, die eher nicht zum Penetrieren verwendet werden sollten, in Öffnungen, die eher nicht penetriert werden sollten. Es gilt aber insbesondere für Alexia, die Unterscheidungen zwischen Männlichem und Weiblichem ebenso zunehmend unterläuft wie zwischen Mensch und Maschine, Organischem und Anorganischem. “Titane” steuert dabei auf ein eigenwillig zärtliches Gleichgewicht zu, das möglicherweise hinter solchen binären Zuschreibungen liegt und in dem es bedingungslose Akzeptanz gibt. Und das kann nur ein gleichermaßen ekliger und komischer, wie poetischer Prozess sein.

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Black Widow (2021)

Man mag sich fragen, wieso ein Film im Jahr 2021 einen abgehalfterten Sowjet-Propaganda-Superhelden, der sich Karl Marx auf die Finger tätowiert hat, als Witzfigur braucht, während auf der anderen Seite des großen Teichs Captain America mit neuem Anstrich immer noch als Symbol von allem, was recht ist, gelten darf. Oder sich wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit hier die USA als freiheitlicher Sehnsuchtsort die Figurenpsychologie prägt, weil es dort Baseball, Familie und “American Pie” gibt (den Song, nicht den Pie), wie hier also in einem schließlich von europäischen Standorten dominierten Film amerikanische kulturelle Hegemonie zelebriert wird. The End of History, etcetera, etcetera. Aber dazu müsste man dem Film mehr Kohärenz und Interesse an diesen ollen Kalter-Kriegs-Kamellen unterstellen, als er selbst beansprucht. Vordergründig geht es ihm natürlich eher um die Formulierung ein paar seicht-feministischer Thesen: dass Frauen jetzt endlich dieselben langweiligen Rollen ausfüllen (und dieselben langweiligen Filme drehen) dürfen wie ihre männlichen Kollegen, und dass, immerhin, Mädchenhandel schlecht ist und der freie Wille nicht gebrochen werden darf von den bösen Russen. Girl Power, etcetera, etcetera.

Dementsprechend wird auch der male gaze wenigstens oberflächlich gemieden: Black Widows Outfits sind gemütlicher, ihre Kampfanzüge funktionaler als sie es vor über zehn Jahren gewesen sein mögen, nie taxiert Cate Shortlands Kamera lüstern ihren latexüberzogenen Körper - womit freilich zugleich auch das letzte bisschen Sex aus dem notorisch lustbefreiten Marvel-Universum ausgetrieben wäre. Nichtsdestotrotz ist es angemessen, diese Bemühungen positiv hervorzuheben bei einem Film, bei dem ästhetisch sonst so wenig zu holen ist: farblich regiert das altbekannte öde Marvel-Grau, das höchstens mal von ein paar pflichtbewusst-sowjetischen Rottönen durchbrochen wird; keine Actionszene, die umhin käme, trotz der beachtlichen Mittel Disneys jede einzelne Bewegung durch Schnitte zu fragmentieren; selbst die visuellen Effekte sehen zum Teil erschreckend billig aus - fast, als wäre dieser Film eher fürs Streaming produziert worden. All das wäre vielleicht noch zu verschmerzen, wenn die schleppenden Dialoge dazwischen mit ihren abgewetzt-gefühlsheuchlerischen Konflikten weniger stümperhaft wären. Dass thematisch und erzählerisch vom Disney-Konzern keine Durchbrüche zu erwarten sind, versteht sich mittlerweile wohl von selbst. Dass die erfolgreichsten Filme der Welt aber auch handwerklich nur mit einem “Passt schon” durchgewunken zu werden scheinen, weil die Zuschauer für Marvel-Film Nr. 24 ebenso garantiert sind wie für die nächste Folge “Loki”, ist dann doch nichts weniger als eine künstlerische Bankrotterklärung.

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