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Titane (2021)

Während “Raw” zwar durchaus transgressive Bilder und ein provokatives Thema beinhaltete, im Kern jedoch von einer grundsoliden Metapher zusammengehalten wurde, genehmigt sich Ducournaus “Titane” mehr Ambivalenzen und Überdeterminierungen, lässt sich schwieriger festlegen - und türmt zugleich bereits in der ersten halben Stunde mehr Perversion und Gewalt aufeinander, als es ihr Vorgänger über die ganze Laufzeit schaffte. Dabei scheint sie ihre heftigen Genreeffekte irgendwo an der Schnittstelle zwischen New French Extremity und David Cronenberg nie allzu ernst zu nehmen, sodass ihr ein schwieriger Spagat zwischen viszeralem Ekel und schwarzem Humor gelingt. Vor allem anderen ist “Titane” daher ein Film fürs Kino, fürs gemeinschaftliche Zusammenzucken und kathartische Auflachen.

Trotz dieser durchgängig verspielten Haltung gibt es da einen Umbruch im Erzählrhythmus des Films, der sich in ein durchaus sensibles, von Vincent Lindons verletzlich-neurotischer Schauspielleistung getragenes (Wahl-)Familiendrama verwandelt, welches in seinen Wendungen und psychologischen Tiefenflügen mindestens so normüberschreitend ist wie die blutigere erste Hälfte. Die Beziehung, die hier zwischen den Hauptfiguren entwickelt wird, schillert zwischen verschiedenen Arten der Liebe, väterlicher, romantischer und sexueller. In vergleichbarer Weise bedient “Titane” dabei den zentralen Topos jedes guten Body Horrors, wenn er die vermeintlich stabilen Grenzen des Körperlichen auflöst und den Körper so in seiner identitätsbildenden Funktion attackiert. Das gilt einerseits ganz unmittelbar angesichts der Häufigkeit des Eindringens von Objekten, die eher nicht zum Penetrieren verwendet werden sollten, in Öffnungen, die eher nicht penetriert werden sollten. Es gilt aber insbesondere für Alexia, die Unterscheidungen zwischen Männlichem und Weiblichem ebenso zunehmend unterläuft wie zwischen Mensch und Maschine, Organischem und Anorganischem. “Titane” steuert dabei auf ein eigenwillig zärtliches Gleichgewicht zu, das möglicherweise hinter solchen binären Zuschreibungen liegt und in dem es bedingungslose Akzeptanz gibt. Und das kann nur ein gleichermaßen ekliger und komischer, wie poetischer Prozess sein.

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Raw (2016)

Irgendwo im blutigen Fahrwasser von Cronenberg und der New French Extremity treibt “Raw”, Julia Ducournaus stilsicheres Regiedebüt. Die Idee, sich mit den Mitteln des Horrorfilms symbolisch mit sexuellem Erwachen auseinanderzusetzen (und dass das hier geschieht, daraus macht der Film keinen Hehl), mag nicht gänzlich neu sein, dennoch wirkt “Raw” keineswegs vergammelt, sondern erzählt wunderbar frisch und unterhaltsam von Weiblichkeit, Adoleszenz und Promiskuität. Fernab von elterlicher Geborgenheit sieht sich die Protagonistin erstmals unmittelbar mit der eigenen Sexualität, aber auch und vor allem dem Urteil der anderen darüber konfrontiert. Body-Horror und Kannibalismus sind hier übersteigerte Ausdrucksformen von Empfindungen, die (zunächst) weder kontrollierbar, noch für einen selbst nachvollziehbar sind und erfordern, einen Ausgleich zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und körperlicher Befriedigung zu finden. Zwischen ekstatischen Party-Szenen, Spritzern grimmigen Humors, Blut und Gedärm gelingt es Ducournau zudem, eine tragische, überraschend feinfühlige Geschichte über das Band zweier Schwestern zu erzählen, das sich gerade aufgrund des geteilten Gefühls des Ausgestoßenseins entspinnt.

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