Ludwig-Maximilians-Universität München
Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft
Sommersemester 2013
Sinn & Unsinn als Grundproblem der Philosophie: Frege und Wittgenstein
Prof. Dr. Axel Hutter
Verfasser: Francesco Castorina
Gegenstand, Eigenname, Sprachspiel
Die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung führte Frege zum ersten Mal in Funktion
und Begriff (1891) durch. Sie wurde aber ausführlicher in Über Sinn und Bedeutung
weiterentwickelt, das im nachfolgenden Jahr erschien. In den wichtigsten vor diesem Aufsatz
veröffentlichten Abhandlungen, d.h. Begriffsschrift (1879) und Grundlagen der Arithmetik
(1882), hatte sich Frege vor allem mit der Logik auseinandergesetzt und war in diesem
Bereich zu beträchtlichen Resultaten gelangt. Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
stellte die Theorie des Aristoteles die Grundlage der Logik dar. Obwohl die stoische
Aussagenlogik, die mittelalterlichen Untersuchungen, das Programm einer mathesis
universalis von Leibniz, wie auch andere große Philosophen ihren Beitrag zur „Wissenschaft
des Wahren“ geleistet hatten, hing der Apparat der Logik immer noch vom aristotelischen
Organon ab. Bei Frege ist eine bedeutende Entwicklung der Logik in die Richtung einer
neuen Auffassung auszumachen. Er gehört gleichsam „zu den Pionieren der modernen Logik,
ja er kann als deren eigentlicher Begründer angesehen werden.“ (GF Einf. Vorwort V) Wie es
sich bei den Werken von 1892 herausstellt, nimmt er jedoch, neben dem ausgeprägten
Interesse an der Logik, großen Anteil an der sogenannten gewöhnlichen Sprache. In Über
Sinn und Bedeutung stellt nämlich die Analyse der Ausdrücke, die in unserer Alltagssprache
vorkommen, den Ausgangspunkt der Betrachtung dar. Die zwei die Überschrift bildenden
Bezeichnungen beziehen sich nicht nur auf Bestandteile der Logik, sondern auch auf das, was
wir zumeist ungenau eben „Sinn“ und „Bedeutung“ nennen. Die Aufmerksamkeit auf die
Sprachfrage repräsentiert keinen bloßen Anhang zu seinem Studium der Logik. Sie stellt sich
vielmehr in ein philosophisches Umfeld, das linguistic turn genannt wird. Dabei entsteht eine
neue Konzeption der Philosophie, die sich unter gewissen Gesichtspunkten von der Tradition
distanziert und die philosophischen Erklärungen auf die Ausdrucksformen des Gedanken
1
gründet. Da unsere Gedanken hauptsächlich durch die Sprache formuliert werden,
konzentriert sich die analytische Philosophie gerade auf die Sprache. In diesem
Forschungshorizont verändert sich die Sprache von einem Werkzeug der Wahrheitssuche zum
Hauptgegenstand der philosophischen Untersuchungen. Grob gesagt entsteht aus dieser
Prämisse die analytische Philosophie, als deren (Mit)Begründer Frege betrachtet wird.
In der vorliegenden Arbeit werden zunächst die spezifischen Darstellungsmerkmale Freges in
Über Sinn und Bedeutung und Der Gedanke dargestellt. Danach wird anhand der Gedanken
im Spätwerk Wittgensteins eine Kritik an der Bedeutungsauffassung und dem Sinnbegriff
Freges formuliert. Ersterer widmet sich nämlich in verschiedenen Passagen der
Philosophischen Untersuchungen denselben Themen, welche die Theorie Freges und vieler
anderen Sprachphilosophen des 19. und 20. Jahrhunderts überhaupt kennzeichnen. Dabei
konzentriere ich mich nicht auf die sogenannte ideale Sprache der formalen Logik, sondern
auf die alltäglichen Erlebnisse, in denen sich die menschliche Sprache manifestiert. Aus
dieser Perspektive zeigt sich das Programm der analytischen Philosophie einerseits als
originär, da es die Sprache in den Mittelpunkt der philosophischen Reflexionen stellt.
Andererseits erweist es sich jedoch als unzureichend hinsichtlich seines Anspruchs: die Logik
kann deshalb nicht fordern, die Fehler der Philosophie (die gerade aus der Unvollkommenheit
der Volkssprachen entstehen würden) zu klären, weil jene nur einen Ausdruck dieser darstellt.
Mit dem Versgleich zwischen Frege und Wittgenstein soll die folgende These verteidigt
werden: Die Untersuchung der menschlichen Sprache kann nicht ausgehend von den
Logikansprüchen ausgeführt werden, sondern durch ihre gewöhnliche Erscheinung. Worin die
Logikansprüche bestehen und inwiefern die Sprache gewöhnlich erscheint, soll im Laufe
dieser Arbeit erläutert werden. Dabei ist als Prämisse festzusetzen, dass die philosophische
Aktivität immer das Ganze vor Augen haben muss. Aus diesem Grund soll hier dem
Forschungsgebiet der Sprache eine höhere Priorität als dem der Logik zugemessen werden, da
diese meiner Meinung nach einen nur begrenzten Wissenschaftsbereich repräsentiert. Diese
Ansicht ist darin begründet, dass sich Freges und Wittgensteins Betrachtungen in
Themenbereiche ausdehnen, die traditionell nicht in das Gebiet der Sprachfrage fallen. Bei
beiden Autoren geht es um die Ontologie, Verständnistheorie, Intersubjektivität usw. Die
Sprachphilosophie kann sich aber nicht auf die Logikanalyse der Gedanken eingrenzen, da
auch die Werke der sogenannten analytischen Philosophen nicht nur von Begriffen wie
„Bedeutung“, „Aussage“ und „Wort“ handeln, sondern ebenso von „Gegenstand“,
2
„Verstehen“ und „Empfindung“. Die Methode der Philosophie darf letztendlich nicht zu stark
von der Logik bestimmt werden; sie muss vielmehr die Sprache (bzw. die anderen Aspekte
des Realen) immer in Bezug auf das Ganze des Seins und gemäß einer holistischen
Vorstellung beschreiben. Wie dies bereits Aristoteles auf den Punkt brachte: „das Ganze ist
mehr als die Summe seiner Teile“, wobei Letztere durch das Erste bestimmt sind.
1. Sinn und Bedeutung bei Frege
In der philosophischen Literatur wurden die Termini „Sinn“ und „Bedeutung“ meistens ohne
Unterschied gebraucht. Selbst Frege verwendete sie in seinen ersten Werken unterschiedslos
oder bezog sich auf sie durch den allgemeinen Ausdruck „Inhalt“. Der Mangel an Präzision
bei der Bestimmung von Sinn und Bedeutung kann nach Freges Meinung jedoch zu
philosophischen Fehlern führen. Darüber hinaus wird der Philosoph (auch) wegen dieser
Unbestimmtheit dazu gebracht, die Standardvorstellung der Sprache unbewusst anzunehmen.
Diese wird in erster Linie dadurch charakterisiert, dass die Sprache der Ausdruck des
Gedanken, die Konkretisierung der Überlegungen sei; sie besteht an zweiter Stelle darin, dass
es eine unabhängige Außenwelt gibt und die Sprache diese lediglich beschreibt bzw.
widerspiegelt. Bei beiden Charakterisierungen wird die Sprache als Werkzeug betrachtet. Wie
ist Freges Position gegenüber dieser Deutung? Obwohl er sich nicht explizit damit
auseinandersetzt, kann man trotzdem aus seinen Argumenten deutlich ableiten, welche seine
Sichtweise darauf ist. Bezüglich des ersten Aspekts (Sprache als Gedankenausdruck) kehrt
Frege die überlieferte Vorgehensweise um, die aus dem Inneren (Gedanken, Überlegungen)
ins Äußere (Sprache, Kommunikation, Wechselwirkung) geht. Denn die analytische
Philosophie hält die Sprachanalyse für den ersten Schritt der Untersuchung der Wahrheit. In
diesem Zusammenhang offenbart sich die Logikanalyse als die Möglichkeit, die für die
wissenschaftliche Forschung sinnvollen Aussagesätze von den sinnlosen zu unterscheiden.
Diese Stellungnahme ist von Bedeutung: wie wir sehen werden, geht Frege in einigen Teilen
seiner Werke auf andere Arten von Sprache (wie z.B. die der Dichtung) als die
wissenschaftliche ein. Das, was seine Untersuchungen grundlegend lenkt, ist allerdings die
Frage nach der Wahrheit und somit die Wissenschaftssprache. Vom zweiten Aspekt der
Standardsprachauffassung (Zusammenhang Wirklichkeit-Sprache) nimmt Frege hingegen
nicht entschieden Abstand. Das Verhältnis seiner Theorie zu dem traditionellen Sprachbegriff
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kann aber nur dann deutlich werden, wenn zuvor erläutert wird, was er mit „Sinn“,
„Bedeutung“, „Gegenstand“ etc. meint.
Beschäftigen wir uns nun mit dem Inhalt des Aufsatzes Über Sinn und Bedeutung. Der Autor
nimmt seinen Ausgang vom Problem der Gleichheit. Die Aussagen der Gestalt „a=a“ und
„a=b“ sind beides Gleichheiten. Sie weisen jedoch einen grundlegenden Unterschied auf: die
erste gilt nämlich a priori und erweitert unser Wissen nicht; die zweite bringt dagegen einen
Erkenntniswert mit sich. Inwiefern bezeichnen wir beide aber als Gleichheiten? In dieser
Prämisse, die auf den ersten Blick trivial erscheint, liegt eine bedeutende Konsequenz. Und
zwar, dass die zwei Logikkategorien der klassischen Sprachphilosophie, d.h. das
bezeichnende Wort (oder Zeichen) und der bezeichnete Gegenstand, alleine nicht ausreichen,
um das Problem zu lösen. Warum? Gesetzt den Fall, dass die Gleichheit eine Beziehung
zwischen Gegenständen ist, wobei z.B. sowohl „a“ als auch „b“ für „Morgenstern“ stehen. In
diesem Fall sind beide Aussagesätze a priori richtig und haben keinen Informationsgehalt.
Daraus folgt, dass die Gleichheit der Gestalt „a=b“ keine Beziehung zwischen bezeichneten
Gegenständen ist. Diese ist aber auch keine Beziehung zwischen bezeichnenden Zeichen. Der
Kognitivwert betrifft nicht nur einfach den Zusammenhang zwischen den Gegenständen und
beliebig zugewiesenen Namen. Im Beispiel des Textes, „Morgenstern=Abendstern“, stellen
die zwei Ausdrücke keine bloße demselben Gegenstand zugesprochenen Zeichen dar. Beide
bergen vielmehr in sich noch etwas anderes. Neben dem Gegenstand und dem Zeichen muss
es also ein Drittes geben, von dem die Möglichkeit neuer Erkenntnis abhängt.
Diese dritte Kategorie findet Frege in dem, was er „Sinn eines Ausdrucks“ nennt.
„Morgenstern“ und „Abendstern“ beziehen sich auf denselben Gegenstand und haben
dennoch einen jeweils unterschiedlichen Sinn. Der Unterschied besteht in der Art des
Gegebenseins des Bezeichneten. Der eine Ausdruck verbindet den bezeichneten Gegenstand,
d.h. den Planeten Venus, mit bestimmten Beschreibungen, welche anders sind als die, die der
andere, obwohl er sich auf dasselbe bezieht, mit sich bringt. Der Gegenstand, den der
Eigenname (Zeichen bzw. mehrere Zeichen) bezeichnet, ist hingegen seine Bedeutung, im
Beispiel der Planet Venus. Was für eine Beziehung verbindet Eigennamen, Sinn und
Bedeutung? Einem Eigennamen entspricht ein Sinn, welcher die Art des Gegebenseins eines
Gegenstands ist. Aber diesem (dem Gegenstand) entspricht nicht nur ein Sinn, denn er kann
auf verschiedene Art und Weise gegeben sein. Die Bedeutung von „München“ kann mit dem
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Eigennamen „die Hauptstadt Bayerns“ erscheinen, der einen bestimmten Sinn ausdrückt oder
mit dem Eigennamen „die drittgrößte Stadt Deutschlands“, der einen anderen Sinn ausdrückt.
Beide Eigennamen beziehen sich aber auf dasselbe Objekt, d.h. die Stadt München. Die
normalen Sprachen respektieren dieses Modell jedoch nicht immer. Es gibt Eigennamen, die
nicht immer denselben Sinn bzw. dieselbe Bedeutung haben (man denke an das Wort
„Hahn“). Darüber hinaus bedingt ein sinnvoller Ausdruck nicht immer auch eine Bedeutung.
So haben die Namen von Romanfiguren, wie z.B. Sherlock Holmes, die keinen wirklich
existierenden Gegenstand bezeichnen, dennoch einen Sinn innerhalb der Werke. Einen Sinn
zu verstehen, zieht die Erfassung eines Gegenstands nicht notwendig nach sich.
Die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung der Eigennamen verbindet sich mit einer neuen
Erkenntnistheorie. Das Erkennen des Sinnes eines Ausdrucks impliziert nicht das des
Bezeichneten. Mit der Erfassung der Wörter „der höchste Berg der Erde“ lässt sich noch nicht
das benannte Objekt erfassen. Wir können z.B. den Sinn dieses Eigennamens insofern
verstehen, als wir schon wissen, was ein Berg ist, was „hoch“ heißt usw. Solche
Bestimmungen betreffen nicht den Gegenstand an sich, der durch sie selbst bezeichnet wird.
Man begreift den Sinn von „der höchste Berg der Erde“ auch wenn man nicht weiß, welcher
der höchste Berg der Erde ist. Die Erkenntnis des Sinnes ist also gleichsam reichhaltiger als
die der Bedeutung. Zugleich ist dennoch die Sinnerfahrung eingeschränkter als die der
Bedeutung. Wie im Beispiel gezeigt wurde, garantiert das Verständnis des Ausdrucks „der
höchste Berg der Erde“ nicht das Wissen, dass der Mount Everest tatsächlich der höchste
Berg der Erde ist. Wenn übrigens die zwei verschiedenen Arten von Erkenntnis völlig gleich
wären, würden die Behauptungen der Form „a=b“ keine Information enthalten.
Frege präzisiert ferner, dass Sinn nicht mit Vorstellung zu verwechseln ist. Was versteht der
Autor unter „Vorstellung“ eines Gegenstands? Diese ist das Bild, das anlässlich der
Wahrnehmung des Objekts in einem Bewusstsein entsteht. Wie lässt sie sich determinieren?
Und inwiefern ist sie von der Art des Gegebenseins des Gegenstands zu unterscheiden? Wenn
sie nicht dasselbe sind, wie verhalten sie sich zueinander? Da sich die mit einem bestimmten
Eigennamen verbundene Vorstellung nur im einzelnen Bewusstsein bildet, hat sie eine enge
Beziehung zu Gefühlen, Erinnerungen und anderem mehr, was das Innenleben jenes
Individuums ausmacht. Zudem bildet sich nicht immer dieselbe Vorstellung bei der
Wahrnehmung eines gewissen Objekts, da ja das Bewusstsein von stets wechselhaften
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Faktoren bestimmt ist. Das Gegebensein eines Gegenstandes findet unabhängig vom Sichbilden der Vorstellung statt. Der Name „Berlin“ wird beispielweise von verschiedenen
Subjekten mit unterschiedlichen Vorstellungen verknüpft; das hängt davon ab, dass jede
Verknüpfung von den persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen beeinflusst wird. Der Sinn
des Ausdrucks „die Hauptstadt Deutschlands“ wird dagegen von keinem Innenvorgang
bedingt. Freilich kann eine Person diesen Ausdruck nicht verstehen (ein Kind z.B., das nicht
weiß, was eine Hauptstadt ist); das verändert aber seinen Sinn nicht. Vorstellung ist somit
immer etwas Privates. Sinn hingegen ist seiner Natur nach öffentlich:
Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher
gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist. [...]
Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man
bei der Vorstellung genaugenommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit. (SB 26-7)
Die größte Errungenschaft Freges in Über Sinn und Bedeutung besteht meiner Ansicht nach
in der Ergründung der Sinndimension. Die originellen Züge seiner Untersuchung treten vor
dem Hintergrund der Standardauffassung der Sprache noch deutlicher hervor. Einen der
Eckpfeiler dieser Auffassung bildet die Idee, derzufolge sich die Wirklichkeit als Summe der
Gegenstände, die Sprache dagegen als Gesamtheit der Wörter definieren ließe, die sich wie
Etikette auf die Objekte aufkleben lassen. Dieses Bild suggeriert die Sprache selbst. Inwiefern
ermöglicht der Sinnbegriff eine Distanzierung von dieser Vorstellung? Er ist, wie gezeigt
wurde, nicht auf das Bild des Wortes als Etikett reduzierbar, weil er nicht mit dem
Gegenstand, sondern mit seiner Art des Gegebenseins korrespondiert. Das heißt, dass er nicht
die reine Wirklichkeit spiegelt. Gleichzeitig lässt er sich auch nicht auf die private
Vorstellung reduzieren, weil er „gemeinsames Eigentum von vielen“ ist: „Die Bedeutung
eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst, den wir damit bezeichnen; die Vorstellung,
welche wir dabei haben, ist ganz subjektiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr
subjektiv wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand selbst ist.“ (SB 27) Die
Sinnnatur ist schwierig zu fassen: einerseits ist sie nicht wie die Vorstellung mit dem Subjekt
verbunden; andererseits besitzt sie nicht die absolute Unabhängigkeit wie auf der anderen
Seite die Bedeutung. Die Art des Gegebenseins der einzelnen Gegenstände ist also von den
Menschen abhängig, aber zugleich auch vom einzelnen Individuum unabhängig. I.a.W. lebt
der Sinn nicht in dem Ich sondern in dem Wir. Die menschliche Sprache ist dementsprechend
nicht objektiv sondern öffentlich. Mit dieser Bemerkung will Frege den Punkt betonen, dass
die Menschen nicht (nur) von der Wirklichkeit reden, wenn unter „Wirklichkeit“ die
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Gesamtheit der Objekte verstanden wird. Wenn wir uns auf den Namen „Aristoteles“ durch
den Ausdruck „der Schüler Platos“ beziehen, weisen wir auf Bestimmungen hin, die sich
nicht auf das Bezeichnete beschränken lassen. Das scheint eine banale Entdeckung zu sein, ist
es jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass die menschliche Sprache fast ausschließlich in ihrer
Bezeichnungsfunktion untersucht wurde. Das Konzept des Sinnes stellt die Sprache auf die
Ebene der Öffentlichkeit neben die der Objektivität. Der Mensch benutzt seine Sprache auf
verschiedene Art, für diverse Zwecke und nicht nur zur Beschreibung der Wirklichkeit: wenn
wir uns z.B. der Dichtung widmen, konzentrieren wir uns auf bestimmte Eigenschaften
unserer Sprache; wenn wir eine wissenschaftliche Forschung durchführen, fokussieren wir
andere Eigentümlichkeiten. Dieser Aspekt der Untersuchung Freges wird klarer, wenn man
die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung auf der Ebene von Sätzen genauer betrachtet.1
In demselben Aufsatz befasst sich Frege auch mit den Eigenschaften von Sätzen. Wie lässt
sich der in diesen jeweils enthaltene Gedanke definieren? Der Autor zeigt, dass sich der
Aussagesatz mit der Ersetzung eines Aussageteils durch einen Ausdruck von derselben
Bedeutung, aber anderem Sinn, unter einem Hinblick ändert, unter einem anderen gleich
bleibt. Auch in diesem Fall decken sich Sinn und Bedeutung nicht. Worin unterscheidet sich
die Behauptung „der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper“ von der
Äußerung „der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper“? Und was haben sie
hingegen gemeinsam? Ihr Wahrheitswert ist gleich: beide sind wahr. Die Ersetzung bringt
keine Veränderung ihres Wahrheitswertes mit sich. Diesen nennt Frege „Bedeutung“ eines
Satzes. Das, was sich dagegen ändert, ist der enthaltene Gedanke; dieser ist der Sinn der
Behauptung. Wie man sieht, entsprechen Sinn und Bedeutung der Eigennamen nicht Sinn und
Bedeutung der Behauptungssätze. Dennoch existieren Analogien. Es gibt Aussagen, die nur
Sinn haben. Darunter finden sich Eigennamen (wie z.B. Sherlock Holmes), die ihrerseits
Sinn, aber keine Bedeutung haben. Die Behauptung „Sherlock Holmes ist ein großer
Detektiv“ versteht jeder, der die deutsche Sprache beherrscht und die Romane von Agatha
Christie kennt. Sie ist allerdings weder wahr noch falsch. Doch welche Rolle spielt die
Tatsache, dass solche Sätze keine Bedeutung haben? Man kann die Frage banal beantworten:
1
Anders als die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung der Eigennamen stellt die der Sätze nicht den
Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Diese Veranschaulichung ist jedoch aus den folgenden Gründen
notwendig. Zum Einen ist sie für die Beschreibung des Problems der Wahrheit von Nutzen. Zum Anderen soll
auch auf die Frage nach der Unbestimmtheit des Sinnes eingegangen werden; hierzu ist es nötig, sowohl einen
Blick auf den Sinn der Eigennamen als auch auf den der Sätze zu werfen
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überhaupt keine. Niemand interessiert sich dafür, dass der Figur Sherlock Holmes keine reale
Person entspricht, während er den Roman liest. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist auf andere
Charakteristika der Sprache gerichtet. Bei welchen Fällen kümmern wir uns aber um die
Satzbedeutung und damit die Bedeutung der einzelnen Bestandteile? Wir fragen nach der
Bedeutung, wenn wir nach der Wahrheit suchen: „Das Streben nach Wahrheit also ist es, was
uns überall vom Sinn zur Bedeutung vorzudringen treibt.“ (SB 30) Es gibt zwei
Wahrheitswerte: das Wahre und das Falsche. Diese sind als zwei Gegenstände zu begreifen,
auf welche sich die Aussagesätze beziehen (oder besser, beziehen können) und die allen
Wissenschaften zugrunde liegen. Ausführlichere Beobachtungen bezüglich des Wahren und
Falschen finden sich bei Frege in Der Gedanke. Hier umreißt der Autor das Wesen des
Gedankens präziser, der ja der Sinn eines Satzes ist, woraus aber nicht notwendigerweise
folgt, dass der Sinn eines Satzes immer ein Gedanke sei. Denn dieser ist „etwas, bei dem
überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann.“ (dG 33) Es gibt demnach Kategorien sinnvoller
Aussagen, die jedoch keinen Gedanken ausdrücken: dazu gehören Witze, Befehle, Bitten usw.
Warum ist es für Frege so wichtig, die Alltagssprache von einer anderen Sprache zu
unterscheiden, die sich nur auf das Wahre bzw. Falsche beziehen kann?2 Freges Ziel liegt in
der Begrenzung der wissenschaftlichen Sprache. Wissenschaft ist immer an der Wahrheit
orientiert und setzt diese sozusagen voraus. Deshalb besteht, wenn die Wahrheit an sich (oder
besser das Wahrsein) nicht genau determiniert ist, das Risiko, dass sich die ganze Aktivität als
unbegründet erweist. Während die Wissenschaft zur Wahrheit tendiert, kommt der Logik die
Aufgabe zu, die Gesetze des Wahrseins herauszufinden. Dabei zeichnet sich Freges
Philosophie als logische Analyse der der Wissenschaft zugrundeliegenden Aussagesätze ab.
Durch die Gedankenbestimmung will der Philosoph eine klare Grenze zwischen bei den
Wissenschaften gültigen Behauptungsätzen und Aussagen ziehen, die sich in der
Alltagssprache zwar als sinnvoll, in der wissenschaftlichen Sprache jedoch als sinnlos
erweisen. Zum ersten Typus gehören diejenigen Sätze, die einen Gedanken enthalten, da
dieser wahr oder falsch sein kann. Worin besteht aber das Wahrsein eines Gedankens? Wenn
die Wahrheit das Fundament der Wissenschaftsarbeit darstellt und diese offenbar keine
2
Eigentlich kommen auch in der Alltagssprache Behauptungen vor, die das Wahre und das Falsche betreffen,
weshalb Freges Unterscheidung eine tiefere Ebene zugeschrieben werden kann. Sein Programm, wie weiter
unten noch ausführlicher gezeigt wird, besteht darin, dass er die Eigenschaften der wissenschaftlicheren
Aussagesätze festlegt. Es spielt keine Rolle, dass die wahr-oder-falsch-Sätze auch in der Alltagssprache präsent
sind. Zur besseren Unterscheidbarkeit nenne ich die Sprache, die außer Witzen, Bitten etc. auch Gedanken
einschließt, „Alltagssprache“, jene, die nur Gedanken enthält, „wissenschaftliche Sprache“.
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individuelle
Aktivität
ist,
dann
darf
das
Wahrsein
nicht
einem
persönlichen
Wahrheitsempfinden entsprechen. Der pythagoreische Lehrsatz ist beispielsweise wahr
unabhängig davon, ob ich ihn gelernt habe und für wahr halte:
Das, was ich Gedanken genannt habe, steht ja im engsten Zusammenhange mit der Wahrheit. Was ich
als wahr anerkenne, von dem urteile ich, dass es wahr sei ganz unabhängig von meiner Anerkennung
seiner Wahrheit, auch unabhängig davon, ob ich daran denke. Zum Wahrsein eines Gedankens gehört
nicht, das er gedacht werde. „Tatsachen! Tatsachen! Tatsachen!“ ruft der Naturforscher aus, wenn er
die Notwendigkeit einer sicheren Grundlegung der Wissenschaft einschärfen will. Was ist eine
Tatsache? Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist. Als sichere Grundlage der Wissenschaft aber
wird
der
Naturforscher
sicher
nicht
etwas
anerkennen,
was
von
den
wechselnden
Bewusstseinszuständen von Menschen abhängt. Die Arbeit der Wissenschaft besteht nicht in einem
Schaffen, sondern in einem Entdecken von wahren Gedanken. Der Astronom kann eine
mathematische Wahrheit anwenden bei der Erforschung längst vergangener Begebenheiten, die
stattfanden, als auf Erden wenigstens noch niemand jene Wahrheit erkannt hatte. Er kann dies, weil
das Wahrsein eines Gedanken zeitlos ist. Also kann jene Wahrheit nicht erst mit ihrer Entdeckung
entstanden sein. (dG 50)
Aus diesem Zitat treten klare Betrachtungen zutage, die sich sehr gut mit dem ergänzen, was
Frege schon in Über Sinn und Bedeutung erläutert hatte. Der Gedanke ist objektiv und wird
nicht erzeugt. Er wird vielmehr gefasst (und das ist das, was wir denken nennen). Die
Tatsache, dass er gefasst wird, verändert seinen Wahrheitswert nicht. Darüber hinaus ist die
Wirklichkeit weder wahr noch falsch. Es ist nicht richtig zu sagen, eine Tatsache sei wahr
bzw. falsch. Was wahr oder falsch sein kann, ist der Gedanke, der jene Tatsache beschreibt.
Gedanken gehören also eigentlich nicht der Außenwirklichkeit an, obwohl sie diese in einem
gewissen Sinne betreffen. Man behandelt sie nämlich nicht dergestalt, wie man mit Dingen
umgeht. Wie gezeigt wurde, sind diese aber auch nicht auf das Bewusstseinserleben
beschränkt; bei diesem hypothetischen Fall würden die Gedanken ihre Objektivität verlieren
und jede Wissenschaft würde auf die Psychologie verweisen, die die Geistesvorgänge
untersucht. Auch diese Hypothese wäre allerdings falsch, da Psychologie als Wissenschaft
ebenso auf dem Wahren und Falschen basiert. Wenn man diese aber als beliebig verwendbare
Prädikate betrachtete, würde die ihnen zugrunde liegende Sachlichkeit verlorengehen. Um die
Gedanken ontologisch zu determinieren, reichen die Bereiche der Gegenstände und der
Vorstellung nicht aus. Der Gedanke hat mit beiden Eigenschaften gemeinsam, ist aber nicht
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auf die beiden reduzierbar. Aus diesem Grund existiert nach Frege ein dritter Bereich idealer,
zeitloser Entitäten, der zwischen den anderen beiden steht.
Als weiterer Aspekt soll hier noch die Beziehung zwischen Gedanke und Behauptung näher
beleuchtet werden. Letztere enthält Ersteren. Doch werden darüber hinaus zusammen mit dem
Gedanken Bestandteile ausgedrückt, die einen Beitrag zur Bestimmung des Sinnes leisten,
aber das Wahr- bzw. Falschsein des Gedankens nicht verändern. Diese Bestandteile benennt
Frege nicht explizit, führt aber aus, dass sie oft in der Dichtung vorkämen. Es gibt keinen
Grund dafür, sie in die wissenschaftlichen Darstellungen einzuschliessen, da diese ja nur die
Wahrheit im Blick haben. Zugleich hängt das Wahrsein nicht von der Auswahl der Ausdrücke
ab, die Sinnnuancen aufweisen. Die Auswahl z.B. des Wortes „Pferd“ oder „Ross“ spielt
dabei keine Rolle. Diese Nuancen sind dagegen bei der Literatur und noch mehr bei der
Dichtung von Bedeutung, weil sie, obwohl sie das Wahrsein nicht ändern, den Satzsinn
modifizieren. Mit diesen Beobachtungen will Frege die Reflexionen über die Unbestimmtheit
der Entsprechung zwischen Behauptung, Gedanken und Wahrsein einführen. Diese
Überlegungen gehören zum allgemeinen Thema der Unbestimmtheit des Sinnes. Damit
beschäftigt sich Frege in beiden betrachteten Aufsätzen. In Über Sinn und Bedeutung stellt er
die Frage nach der Verknüpfung eines Ausdrucks mit einem Sinn. Zwei Personen können z.B.
dem Wort „München“ einen jeweils unterschiedlichen Sinn zuweisen und demnach einander
nicht verstehen. Genauso, wie Frege in Der Gedanke schreibt, „verstehe z. B. einer den
Namen ,Dr. Gustav Lauben’ im Sinne von ,Der Arzt, der in einer bestimmten Wohnung
wohnt’, während ihn ein anderer im Sinne von ,Die Person, die am 13. 9. 1875 in N. N.
geboren wurde’. Beide verbänden also mit dem Namen einen verschiedenen Sinn, und daher
drücke auch ein Satz wie ,Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden’ für beide verschiedene
Gedanken aus“ (GF Einf. 73). Diese Unbestimmtheit verhindert jedoch auch nicht in jedem
Fall, dass die Sprecher einander dennoch verstehen. Sie stellt nämlich das Missverständnis
dar, d.h. ein normales Phänomen der Volkssprachen. Bei den wissenschaftlichen Leistungen
ist aber diese Unbestimmtheit nicht erlaubt. Gerade deswegen braucht jede Wissenschaft, die
nach einem hohen Exaktheitsniveau verlangt, einen Wortschatz, in dem Zeichen, Sinn und
Bedeutung unmissverständlich miteinander verbunden sind.
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2. Eigenname und Gegenstand bei Wittgenstein
In diesem Abschnitt wird die Entsprechung der Eigennamen mit den Gegenständen
eingehender betrachtet. Trotz der originären Argumentcharakteristika der Philosophen, die in
dieser Arbeit behandelt werden, geht diese Thematik auf antike Wurzeln zurück. Es handelt
sich um das Problem des Zusammenhangs zwischen Außenwelt und Sprache. Die Idee, nach
der sich die Worte direkt auf die Gegenstände beziehen, kann auf eine lange Tradition
zurückblicken und stellt die Standardkonzeption von Sprache dar. Wittgenstein übt in seinen
Philosophischen Untersuchungen mehrfach Kritik an dieser traditionellen Sichtweise. Der
folgende Abschnitt konzentriert sich auf die Entsprechung der einzelnen Gegenstände mit den
sie bezeichnenden Eigennamen. Es soll aufgezeigt werden, dass Frege, dessen These oben
beschrieben wurde, diesen Punkt in Über Sinn und Bedeutung zu oberflächlich behandelt hat.
Wie bereits erläutert, distanziert sich Frege von der Standardsichtweise der Sprache, insofern
er das Gebiet des Sinnes ergründet hat, welcher sich nicht auf die Gegenstände reduzieren
lässt. Einerseits also beschränkt sich die Sprache für ihn nicht auf die Widerspiegelung der
Realität, andererseits bleibt seine Auffassung an der klassischen Metaphysik festgemacht.
Meine Meinung ist darin begründet, dass der Bedeutungsbegriff von der direkten
Entsprechung von Namen und Gegenständen zeugt. Es ist wichtig, nochmals zu erinnern,
dass sich Frege in seiner Schrift nur für die Eigennamen und die mit ihnen verbundenen
Gegenstände interessiert, die er als „einzeln“ und „bestimmt“ (SB 24) definiert. Wörter wie
„Tisch“ schließt er dabei nicht mit ein, weil sie auf keinen einzelnen Gegenstand referieren,
sondern Begriffe sind. Er richtet seine Aufmerksamkeit vielmehr auf Wörter bzw. Ausdrucke
wie „Aristoteles“, „Morgenstern“, „der Schnittpunkt der Geraden, welche die Ecken eines
Dreieckes mit den Mitten der Gegenseiten verbinden“ (SB 24), und „Mond“ (SB 27).
Demzufolge ist das Wort „Tisch“ kein eigentlicher Eigenname, Ausdrücke wie „dieser Tisch“
und „mein Tisch“ hingegen schon, da sie einzelne Gegenstände bezeichnen. Diese Prämisse
ist wesentlich, da die in dieser Arbeit vorgebrachte Kritik an dem Bedeutungskonzept bei
Frege ihren Ausgang bei der Undeutlichkeit des Begriffs von einzelnem und bestimmtem
Gegenstand nimmt.
Inwiefern ist die Fregesche Bedeutungsauslegung abzulehnen? Meine Erwägungen stützen
sich auf zwei Einwände, die ihre Wurzeln in denselben Ausgangsfragen haben. Und zwar:
Was meint Frege mit einzelnem und bestimmtem Gegenstand genau? Versteht er darunter
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das, was wir normalerweise „Ding“ nennen? Dies ist ein wesentlicher Punkt, da die
Bedeutungsvorstellung direkt auf die Idee des Gegenstandes verweist, die nicht genügend
thematisiert, sondern von der unkritisch ausgegangen wird. Wegen der dürftigen
Aufmerksamkeit für diese Fragen, versuche ich zwei entgegengesetzte, aber komplementäre
Hypothesen zu formulieren. Beiden folgt ein Einwand, der aufzeigt, dass der Begriff
„Bedeutung“ irreführend für eine richtige Bestimmung der Sprache ist.
Den ersten Einwand entwickle ich ausgehend von der folgenden Antwort auf die vorherigen
Fragen: Der Einzelgegenstand ist das, was wir Ding nennen. Unter die Dingkategorie fallen
der Mond, die Straßen, die Häuser usw. Wodurch zeichnen sie sich aus? Ihr Hauptmerkmal ist
es, Materie zu sein. Mond, Häuser, Straßen sind Materie, insofern sie Materie sind. Wie lässt
sich ihrerseits die Materie kennzeichnen? Die Materie ist deshalb so beschaffen, weil sie
ausgedehnt ist. Jedes Ding, und somit jeder Einzelgegenstand, ist ausgedehnt. Solche
Interpretation ist von großer Bedeutung, weil sie in der Tat aus dem Bereich der Gegenstände
die sogenannten abstrakten Entitäten ausschließt. Dabei beziehe ich mich nicht auf die
Entitäten wie Freiheit, Mut und Friede; nicht aber, weil sie nicht abstrakt, sondern nicht
einzeln sind. Sie sind folglich a priori ausgeschlossen. Ich spiele vielmehr auf Wendungen
wie „Sokrates’ Kahlköpfigkeit“ oder „der Mut von Alexander dem Großen“ an, welche
bestimmt sind, sich aber auf kein Ding beziehen. Diese Ausdrücke haben nur Sinn. Was für
eine Konsequenz bringt aber eine solche Antwort mit sich? Wenn wir den Begriff vom
einzelnen Gegenstand auf diese Art interpretieren, bleiben wir in jeder Hinsicht der
klassischen Metaphysik verpflichtet, für die nämlich das Wort etwas wie ein Etikett ist, das
am Ding festklebt. Wir versehen den Mond mit dem Etikett „Mond“, mein Haus mit „mein
Haus“ etc. Warum beschreibt aber dieses Bild, das so selbstverständlich aussieht, das
Funktionieren unserer Sprache nicht genau? Weil nach dieser Theorie der Gegenstand (z.B.
der Mond) unverändert bleiben soll. Wenn das Wort nur jenes Ding bezeichnet, sollte sich bei
jeder Veränderung des Gegenstands das Etikett selbst ändern. Die Mondoberfläche ändert
sich ständig unter atmosphärischen Einflüssen, aber wir weisen dem Mond nicht mit
derselben Beständigkeit neue Namen zu. Daher ist der Eigenname nicht der Materie als
solcher zuerkannt, und entsprechend auch nicht dem Gegenstand. Man könnte dagegen
einwenden, die für den Menschen unmerklichen Veränderungen modifizieren den Gegenstand
nicht; deswegen sei der Etikettenwechsel nicht notwendig. Führen wir noch ein Beispiel an.
Ich versehe mein Auto mit dem Etikett „mein Auto“. Nach einem schlimmen Unfall hat sich
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das Auto auffällig verändert: zwei Fenster sind kaputt, es fehlen ein Reifen und der
Rückspiegel. Hindert diese Tatsache mich daran, mein Auto immer noch „mein Auto“ zu
nennen? Selbstverständlich nicht. Freilich kann ich es mit anderen Benennungen (wie
„Schrott“) bezeichnen, allerdings hindert mich nichts daran, den gleichen Ausdruck wie vor
dem Unfall zu gebrauchen. Die Gegenstandsänderung entspricht nicht dem Wechsel des
Wortes, das ihn bezeichnen kann. Ich bin der Meinung, es gibt keinen Sprachbestandteil, der
eine Korrespondenz von Eigenname und Gegenstand a priori 3 rechtfertigen kann, wobei
Gegenstand für „ausgedehntes Ding“ steht.
Betrachten wir nun noch eine Widersprüchlichkeit, die sich ergibt, wenn man den Gegenstand
als ausgedehntes Ding begreift. Die Aufgabe, ein Objekt durch ein Wort zu bezeichnen,
scheint auf den ersten Blick trivial. Auch bei diesem Fall kann das Bild eines Schildes die
Entsprechung eines Eigennamens mit einem Einzelgegenstand klarer machen. Ich muss das
Schild „mein Haus“ an mein Haus anbringen. Am Anfang habe ich eine große Auswahl, wo
genau ich mein Schild befestigen kann. Ich beschließe, auf das Dach zu steigen und bemerke,
dass da schon ein Etikett ist, und zwar „Dach meines Hauses“. Dann will ich es an der Tür
anbringen, stoße aber auf das gleiche Problem. Das Problem lässt sich philosophisch
folgendermaßen formulieren: falls ich die zwei Schilder („mein Haus“ und „Dach meines
Hauses“) nebeneinander befestige, was gewährleistet es mir, dass ich durch das erste eben
mein Haus und durch das zweite das Dach meines Hauses bezeichne? Die Schilder alleine
reichen nicht. Eine andere Person, die nur aufgrund der Schilder entscheiden würde, könnte
die beiden Namen verwechseln. Mit diesem System ist jede Interpretation zulässig. Diese
Situation sieht zunächst irreal aus. Gerade diese Irrealität allerdings beweist, dass das, was
Frege über den Gegenstand schreibt („Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand
selbst, den wir damit bezeichnen“ (SB 27) ), nicht so selbstverständlich ist, wie es auf den
ersten Blick erscheint. Die Zweifel, die bei der Erklärung dieser Entsprechung entstehen,
können vom Schildmodell nicht gelöst werden. Sie dürfen aber auch nicht ignoriert werden.
Wie ist also das Verhältnis des einzelnen Gegenstands (ausgedehntes Ding) zu den Wörtern?
Zur Bestimmung eines solchen Verhältnisses ist es zuerst notwendig, zu definieren, was wir
unter „Gegenstand“ verstehen. Der Begriff des Gegenstands, als ausgedehntes Ding
verstanden, deckt nicht alle möglichen Verwendungen des Wortes „Gegenstand“. Unter
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A priori heißt hierbei „unabhängig vom konkreten Sprachgebrauch in den tatsächlichen Situationen“. Dieser
Punkt, den ich später in Angriff nehmen werde, stellt die pars constuens meines Vorwurfes an Frege dar.
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gewissen Umständen bezeichnen wir ein ganzes Haus als Gegenstand; unter anderen
konzentrieren wir uns nur auf das Dach oder gar einen Dachziegel. Inwiefern gebrauchen wir
dasselbe Wort für so unterschiedliche Dinge? Es ist ersichtlich, dass wir eine solche Frage nur
bei expliziten Überlegungen über die Natur unserer Sprache stellen, denn normalerweise
benutzen wir die Wörter spontan. Und manchmal glauben wir, dass sie sich auf die
Gegenstände beziehen. Falls es um Häuser und Wohnungen geht, bezeichne ich mein Haus
mit dem Ausdruck „mein Haus“ und demzufolge betrachte ich es als Gegenstand. Diese
Bezeichnung folgt aber nicht den Regeln des Schildmodells, weil sie nur unter einigen
Umständen gilt. Dabei sehe ich mein Haus nicht als Objektzusammenhang (Dach, Tür usw.)
an; sonst könnte man gar nichts „Gegenstand“ nennen, weil alles zerlegbar ist. Solche
philosophischen Fragen entstehen durch die Nichtberücksichtigung der Tatsache, dass wir
Wörter auf unterschiedliche Art und Weise verwenden. Wenn ich sage: „Gib mir zwei
Gegenstände“ und mein Gesprächspartner gibt mir zwei Bücher, kann ich erwidern: „Ich hatte
dir gesagt, ich wollte zwei Gegenstände! Warum hast du mir mehrere hundert Seiten
gegeben?“. Wodurch wird dieses Missverständnis verursacht? Gerade dadurch, dass das Wort
„Gegenstand“ auf verschiedene Weisen gebraucht werden kann. Wenn wir also keinen
Bezugskontext (wie im vorliegenden Beispiel) haben, hat dieses Wort keine Bedeutung (im
gewöhnlichen Sinn). Doch verschwindet vielleicht damit der Begriff des Gegenstands selbst?
Da alles Gegenstand sein kann, macht es folglich überhaupt noch Sinn, von Gegenständen zu
sprechen? Diese Einwände sind meiner Absicht nach deshalb falsch, weil sie den Kontext
nicht berücksichtigen, in dem dieses Wort benutzt wird. Ein Einzelgegenstand kann mein
Buchregal, ein einzelnes Buch oder gar nur eine Seite sein. Das kommt auf das Thema meiner
Rede, meine Tätigkeit usw. an. Es gibt m.a.W. keinen Gegenstand im absoluten Sinn.
Gegenstand ist das, was Menschen als solchen bezeichnen. Und Menschen verwenden dieses
Wort immer und ausschließlich innerhalb der bestimmten Sprachgepflogenheiten, die
Wittgenstein „Sprachspiele“ nennt. Wenn man nach der Bedeutung schlechthin sucht, stößt
man auf das Missverständnis, das vorhin beschrieben wurde: der Satz „gib mir zwei
Gegenstände“ hat keine Bedeutung, solang man kein Sprachspiel festlegt.
Kommen wir nun zur zweiten Auslegung des Gegenstandsbegriffes, derzufolge die abstrakten
Einzelentitäten in der Gegenstandskategorie eingeschlossen sind. Dieser Interpretation gemäß
haben Eigennamen wie „der Mut von Alexander dem Großen“ und „die Schwerkraft“ eine
Bedeutung. Es ist beachtenswert, dass Freges Text, wenn auch nicht ausdrücklich, diese
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zweite Auslegung suggeriert. Er schreibt über den bestimmten Gegenstand folgendermaßen:
„dies Wort im weitesten Umfange genommen“. (SB 24) In diesem Zusammenhang ändern
sich die Kriterien zur Festsetzung dessen, was die in Frage stehende Kategorie umfasst. Nach
der ersten Auslegung war ein Gegenstand das, was ausgedehnt ist. Das heißt, dass die
Ausdehnung das Auswahlkriterium darstellte. Jetzt ist es hingegen nicht klar, wann sich ein
Eigenname auf einen Gegenstand bezieht und wann er nur Sinn hat. Warum z.B. ist die
Schwerkraft ein Gegenstand und Odysseus nicht? Wonach suchen wir, wenn wir nach dem
entsprechenden Gegenstand des Eigennamens „die Schwerkraft“ fragen? Und warum können
wir eigentlich nichts Ähnliches finden, wenn wir nach der Bedeutung von „Odysseus“ fragen?
Mir leuchtet ein, dass sich, falls die Untersuchungskriterien nicht exakt bestimmt sind, die
Untersuchung selbst als erfolglos erweist. Es gibt eine Textstelle bei Über Sinn und
Bedeutung, in der der Autor auf ein Prinzip Bezug nimmt, gemäß dem es möglich ist,
sinnvolle von sinnlosen Ausdrücken zu unterscheiden:
Käme es nur auf den Sinn des Satzes, den Gedanken, an, so wäre es unnötig, sich um die Bedeutung
eines Satzteils zu kümmern; für den Sinn des Satzes kann ja nur der Sinn, nicht die Bedeutung dieses
Teiles in Betracht kommen. Der Gedanke bleibt derselbe, ob der Name „Odysseus“ eine Bedeutung
hat oder nicht. Daß wir uns überhaupt um die Bedeutung eines Satzteils bemühen, ist ein Zeichen
dafür, daß wir auch für den Satz selbst eine Bedeutung im allgemeinen anerkennen und fordern. Der
Gedanke verliert für uns an Wert, sobald wir erkennen, daß zu einem seiner Teile die Bedeutung fehlt.
Wir sind also wohl berechtigt, uns nicht mit dem Sinne eines Satzes zu begnügen, sondern auch nach
seiner Bedeutung zu fragen. Warum wollen wir denn aber, daß jeder Eigenname nicht nur einen Sinn,
sondern auch eine Bedeutung habe? Warum genügt uns der Gedanke nicht? Weil und soweit es uns
auf seinen Wahrheitswert ankommt. Nicht immer ist dies der Fall. Beim Anhören eines Epos z.B.
fesseln uns neben dem Wohlklange der Sprache allein der Sinn der Sätze und die davon erweckten
Vorstellungen und Gefühle. Mit der Frage nach der Wahrheit würden wir den Kunstgenuß verlassen
und uns einer wissenschaftlichen Betrachtung zuwenden. Daher ist es uns auch gleichgültig, ob der
Name „Odysseus“ z. B. eine Bedeutung habe, solange wir das Gedicht als Kunstwerk aufnehmen. Das
Streben nach Wahrheit also ist es, was uns überall vom Sinn zur Bedeutung vorzudringen treibt. Wir
haben gesehen, daß zu einem Satze immer dann eine Bedeutung zu suchen ist, wenn es auf die
Bedeutung der Bestandteile ankommt; und das ist immer dann und nur dann der Fall, wenn wir nach
dem Wahrheitswerte fragen. (SuB 29-30)
Was uns zur Suche nach der Bedeutung eines Eigennamens antreibt, ist der Wahrheitswert
des Satzes, in dem er vorkommt. Wenn wir unser Interesse auf die Dichtung richten, brauchen
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wir die Bedeutungen nicht. Die Wahrheit ist nämlich dabei nicht wichtig. Die Wahrheit ist das
Prinzip, das die Frage nach der Bedeutung eines Eigennamens und damit nach dem ihm
entsprechenden Gegenstand stellt. Doch in diesem Textabschnitt findet sich noch eine weitere
wichtige Angabe. Wenn wir uns für die Wahrheit interessieren, reicht uns der Sinn alleine
nicht mehr. Demzufolge verlassen wir das Feld der Dichtung und widmen uns der
wissenschaftlichen Betrachtung. Aus diesem Gesichtspunkt können wir klar behaupten,
inwiefern der Ausdruck „die Schwerkraft“ eine Bedeutung hat und „Odysseus“ keinen
Gegenstand bezeichnet. Obwohl sich der erste Eigenname auf kein ausgedehntes Ding
bezieht, erscheint er in Aussagesätzen, bei denen die Wahrheit in Frage gestellt werden kann.
Solche Aussagesätze machen die wissenschaftliche Sprache aus. „Odysseus“ hingegen ist
immer mit der Dichtung verbunden und hierbei kümmern wir uns nicht um die Wahrheit.
Gemäß diesem Modell liegen, meiner Meinung nach, Wahrheit, Gegenstand und Bedeutung
außerhalb der Sprache. Wir können entscheiden, ob wir uns auf die Wahrheit konzentrieren
oder mit dem Sinn begnügen. Freges Beispiel ist sehr deutlich und freilich in vielen Fällen
gültig. Ich bin jedoch der Meinung, dass diese Erläuterung nicht für sich beanspruchen kann,
die gesamte menschliche Sprache zu beschreiben und die Grenze zwischen Sinn und Unsinn
in der wissenschaftlichen Sprache zu ziehen. Warum? Frege lokalisiert Wahrheit und
Gegenstände außerhalb der Sprache. Sie repräsentieren eine von unseren Wörtern
unabhängige Wirklichkeit. Bei dieser Vorgehensweise bewegt er sich jedoch immer noch
innerhalb des Horizontes der Sprache. Auf diese Weise verleiht er der Wahrheit eine von dem
Gebrauch, den Menschen vom Begriff, oder besser Wort, „Wahrheit“ machen, unabhängige
Funktion. Wenn ich vom Wort „Wahrheit“ rede, denke ich selbstverständlich auch an die
davon abgeleiteten Wörter wie „wahr“, „richtig“, aber auch „falsch“. Frege erreicht einen
absoluten Begriff der Wahrheit nur durch eine Abstraktion ausgehend von der gewöhnlichen
Verwendung des entsprechenden Wortes. Damit die Wörter „wahr“, „richtig“, „falsch“
Bedeutung (im gewöhnlichen Sinne) haben können, müssen Kriterien (die das Spiel
determinieren) gegeben sein, gemäß denen etwas eben wahr oder falsch sein kann. Und die
Originalität der Argumentation Wittgensteins besteht darin, dass er zeigt, dass es die
verschiedensten Sprachspiele und somit diverse Arten von Kriterien gibt. Diese lassen sich
nicht auf ein einziges Kriterium reduzieren. Darüber schreibt Wittgenstein Folgendes:
„So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und was falsch
ist?“ - Richtig und falsch ist, was Menschen sagen; und in der Sprache stimmen die Menschen
überein. Dies ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform. (pU 356)
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Was meint Wittgenstein hiermit? Er behauptet, jede Rede über das Richtige und das Falsche
setzt immer schon etwas voraus, und zwar eine Übereinstimmung. Was wird dabei aus der
Wahrheit an sich? Wittgenstein argumentiert, dass Menschen nie die Wahrheit an sich
erfahren. Und das, nicht weil ihr Verstand mangelhaft, sondern weil ihr Leben in
Sprachspielen organisiert ist. Diese können sich zwar miteinander verflechten, jedoch
keineswegs auf ein einziges Sprachspiel reduzieren lassen. Man darf darum auf keinen Fall
von einem Hauptsprachspiel reden. Und da wir unsere Wörter nur in den Sprachspielen
verwenden, müssen wir die Idee ablehnen, es existiere ein Grundmodus für den Gebrauch von
„Wahrheit“. In diesem Rahmen steht der Einwand des Gesprächspartners von Wittgenstein:
„So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und was
falsch ist?“ Das heißt: Gibt es keine objektive Grundlage, wenn wir sagen, etwas sei richtig
oder falsch? Könnte es vielleicht sein, dass irgendwann Menschen darin übereinstimmen, dass
der Satz „2x2=5“ richtig sei? Und wäre diese Behauptung dann wirklich wahr? Diese
skeptische Hypothese gibt Wittgensteins Position nicht wieder. Ein Fundament für die
Verwendung der entsprechenden Wörter existiert ja. Es ist aber nicht außerhalb der Sprache
zu suchen. Jedes Sprachspiel, in dem diese Wörter vorkommen, ist immer schon nach Regeln
(zumeist implizit akzeptiert) strukturiert. Die Teilnahme an diesen Spielen, und somit das
Befolgen seiner Regeln, stellt die Übereinstimmung dar, die der Autor der Philosophischen
Untersuchungen andeutet. Und diese Übereinstimmung basiert darauf, dass Menschen ihre
Lebensformen teilen, d.h. an denselben Sprachspielen teilnehmen (bzw. teilnehmen können).
Sogar die mathematische Wahrheit, die vom Studium der Menschen unabhängig scheint, ist
mit den Regeln dieses Spiels verbunden. Es ist möglich (obgleich es heute sehr
unwahrscheinlich erscheint), dass in Zukunft einige Gemeinschaften Rechenregeln annehmen,
denen gemäß die Behauptung „2x2=5“ als wahr betrachtet wird. Was würden wir dazu sagen?
Unsere mathematischen Prinzipien sind einfach anders als ihre oder diese Personen benutzen
denselben Aussagesatz in einem Spiel von anderen Regeln als unseren:
„Wenn auch alle Menschen glaubten, 2x2 sei 5, so wäre es doch 4.“ - Wie sähe denn das aus, wenn
alle Menschen dies glaubten? - Nun ich könnte mir etwa vorstellen, sie hätten einen anderen Kalkül,
oder eine Technik, die wir nicht „rechnen“ nennen würden. Aber wäre das falsch? (Ist eine
Königskrönung falsch? Sie könnte, von uns verschiedenen, Wesen höchst seltsam erscheinen.) (pU
573)
Wittgenstein fordert uns zur folgenden Überlegung auf: Jeder Zug (wie die Rechnung oder die
Krönung) darf nicht am Maßstab absoluter Kriterien gemessen werden. Er muss sich
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vielmehr den Regeln des Spiels angleichen, in dem er gemacht wird. Und in Bezug auf die
Spielkriterien wird er als wahr bzw. falsch betrachtet.
Kehren wir nun zur Diskussion über die Entsprechung von Eigennamen und Gegenstand
zurück. Wir suchen nach einem Gegenstand, wenn wir nach dem Wahrheitswert der
Behauptungen fragen. Jetzt wissen wir, dass die Frage nach der Wahrheit nur innerhalb eines
Sprachspiels gestellt werden kann. Darüber hinaus nimmt diese Frage nicht immer die gleiche
Form an, denn sie ist je nach Sprachspiel von verschiedenen Regeln bestimmt. Beim
Aufgreifen der Erwägung Freges, bemerken wir, dass er etwas voraussetzt, wenn er
folgendermaßen schreibt: „Das Streben nach Wahrheit also ist es, was uns überall vom Sinn
zur Bedeutung vorzudringen treibt.“ (SuB 30). Und zwar setzt er implizit den Begriff der
Wahrheit der Naturwissenschaften voraus. Und falls wir glauben, dass die Wahrheit des
Spiels der Naturwissenschaften die einzig wirklich wahre sei, vergleichen wir diverse
Umstände, in denen das Wort „wahr“ auftaucht: „Es ist wahr, dass Elizabeth die Erste zur
Königin gekrönt wurde“ - „Es ist wahr, dass Descartes ein großer Philosoph war“ - „Es ist
wahr, dass Odysseus von Polyphem nicht verschlungen wird“ - „Es ist wahr, dass ich
schneller renne als Lukas“. Diese Aussagen werden in verschiedenen Kontexten geäußert und
sind mit verschiedenen Tätigkeiten verknüpft. Gerade darum darf ihre Wahrheit bzw.
Falschheit nicht nach einem einzigen Kriterium bemessen werden. Auch die Kriterien der
Naturwissenschaften können nicht bei jedem Fall der Verwendung des Wortes „wahr“ gültig
sein. Wenn Frege also sagt: „Mit der Frage nach der Wahrheit würden wir den Kunstgenuß
verlassen und uns einer wissenschaftlichen Betrachtung zuwenden“ (SuB 30), bemerkt er
nicht, dass sich unser Handeln umgekehrt abspielt. Und zwar entscheiden wir uns zunächst,
an welchem Spiel wir teilnehmen wollen (z.B. verlassen wir das Spiel, und damit die Regeln,
der Dichtung und widmen uns dem Spiel der Naturwissenschaft); danach fragen wir gemäß
den Regeln des neuen Spiels nach der Wahrheit. M.a.W. können wir nur nach der Wahrheit
fragen, wenn wir uns davor entschieden haben, an welchem Sprachspiel wir teilnehmen
wollen. Bei einigen Spielen entspricht die Wahrheit der Suche nach einem Gegenstand, oder
besser, nach dem, was in jenen Spielen als Gegenstand betrachtet wird. Zugespitzt lässt sich
Freges Bestimmung der Bedeutung als vom Eigenname bezeichneter Gegenstand als vage
bezeichnen, denn auf der einen Seite ist sie keinem Sprachspiel zugeordnet, auf der anderen
betrachtet sie die Regeln eines bestimmten Spiels unter allen Umständen als gültig.
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3. Wie operiert man mit dem Sinn der Eigennamen und Sätze?
In diesem letzten Paragraphen meiner Arbeit soll die Unbestimmtheit des Eigennamen- und
Satzsinnes aufgezeigt werden. Auch dabei verweise ich oft auf die Philosophischen
Untersuchungen, um das Problem aus einer anderen Perspektive zu analysieren. Im Bezug auf
die Sinnauffassung bemerkt Frege selbst, dass eine gewisse Unbestimmtheit vorherrscht.
Einerseits ist die Definition des Sinnes als Art des Gegebenseins des Bezeichneten
unmissverständlich.
Andererseits
entstehen
allerdings
Zweifel
(und
daher
die
Unbestimmtheit) hinsichtlich der Art und Weise, wie der Sinn der Wörter und Sätze den
Menschen gegeben ist. In dieser Hinsicht setze ich den ersten Erörterungspunkt fest: Die
Unbestimmtheit des Sinnes betrifft nicht die Art des Gegebenseins der Gegenstände, sondern
die Art, wie Menschen mit ihm umgehen.
Bevor ich ins Detail der Diskussion gehe, möchte ich erinnern, dass Freges Absicht nicht in
der Beschreibung der alltäglichen Unterhaltungen besteht. Er will ausgehend von der
logischen Analytik der Behauptungen der wissenschaftlichen Sprache ein festes Fundament
verleihen. Er ist jedoch im Bereich der gewöhnlichen Sprache zu verorten, insofern er sich
dem Problem der Verbindung des Eigennamens mit dem Sinn widmet:
Man könnte vielleicht sagen: ebensogut, wie mit demselben Worte der eine diese, der andere jene
Vorstellung verbindet, kann auch der eine diesen, der andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch
besteht der Unterschied dann doch nur in der Weise dieser Verknüpfung. Das hindert nicht, daß beide
denselben Sinn auffassen; aber dieselbe Vorstellung können sie nicht haben. (SB 27)
In Der Gedanke führt der Autor ein weiteres Beispiel an, durch das noch klarer wird, was er
unter Unbestimmtheit des Sinnes versteht. Zwei Personen verknüpfen mit dem Namen „Dr.
Gustav Lauben“ einen jeweils unterschiedlichen Sinn, weshalb die Aussage „Dr. Gustav
Lauben ist verwundet worden“ zwei verschiedene Gedanken ausdrückt. Mit solchen
Betrachtungen lokalisiert Frege den Sinn nicht mehr im Bereich der Öffentlichkeit, sondern
der subjektiven Vorstellungen. Warum? Weil man mit dem Sinn nicht auf diese Weise
operiert. Der Sinn ist nicht etwas, das sich mit den Ausdrücken verbinden lässt. Das
Verbinden ist ein Vorgang, der mit den Vorstellungen vorgenommen werden kann, weil es die
Subjekte einzeln betrifft. Das würde selbst Frege zugeben. Es ist oft der Fall, dass beim
Zuhören eines Vortrages ebenfalls Anwesende die Eigennamen der Behauptungen mit
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anderen Umformulierungen4 verknüpfen als ich. Beim Hören des Satzes „München ist eine
schöne Stadt“ assoziiere ich mit dem Eigennamen „München“ die Umformulierung „die
drittgrößte Stadt Deutschlands“; ein anderer verknüpft damit „die Hauptstadt Bayerns“; ein
dritter verbindet damit überhaupt nichts. Aus Fregescher Perspektive drückt dieser Satz drei
verschiedene Gedanken aus, d.h. er hat für jeden von uns einen unterschiedlichen Sinn. Ich
bin der Meinung, dass der Sinn in einer solchen Auffassung sein Öffentlichsein nur
theoretisch bewahren kann. In der Praxis ist es sehr unwahrscheinlich, dass zwei Sprecher
denselben Sinn mit den benutzten Ausdrücken verknüpfen. Im wahrscheinlichsten Fall, in
dem die Sprecher an zwei unterschiedliche Umformulierungen denken, drückt dieselbe
Behauptung verschiedene Gedanken aus. Hierbei stellen sich notwendig die folgenden
Fragen: Was heißt, dass ein Satz verschiedene Gedanken bzw. einen je unterschiedlichen Sinn
enthält? Heißt es, dass der Satz keinen einzigen und geteilten Sinn hat? Wie sieht ein nicht
geteilter Sinn aus? Was für eine Konsequenz bringen diese unterschiedlichen Verknüpfungen
mit sich? Frege beantwortet diese Frage nicht, weil er sie nicht stellt. Das liegt daran, dass für
ihn die Charakteristik der Sprecher und der Umstände, unter denen die Unterhaltung
stattfindet, keine wichtige Rolle spielt. In seinem Beispiel erscheinen die Sprecher als zwei
Computer, die zunächst eine Information („Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden“)
austauschen. Danach assoziieren sie mit dem Eigennamen „Dr. Gustav Lauben“ zwei
verschiedene Umformulierungen. Das Ergebnis ist, dass sich die ursprüngliche Behauptung in
zwei Sinngehalten manifestiert. In diesem Zusammenhang ist der Sinn nur potentiell geteilt;
in der konkreten Praxis erweist er sich nur selten als „gemeinsames Eigentum“ (SB 26) der
beteiligten Sprecher.
Kommen wir auf Freges Beispiel zurück. Die Behauptung „Dr. Gustav Lauben ist verwundet
worden“ enthält für die Sprecher (A und B) zwei verschiedene Gedanken, weil sie mit dem
Name „Dr. Gustav Lauben“ unterschiedliche Umformulierungen verknüpfen. Erweitert man
das Beispiel,5 so wird es deutlicher, worin der Sinn besteht bzw. wie er sich manifestiert.
A: „Dr. Gustav Lauben, der Arzt, der in jener Wohnung wohnt, ist verwundet worden.“
4
Mit Umformulierung eines Eigennamens meine ich das, was Frege unter dessen Sinn bzw. einen Sinn dessen
versteht.
5
Diese Erweiterung ist in Der Gedanke nicht präsent. Ich rege sie an, um meine Idee so gut wie möglich
auszuführen.
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B: „Ich kenne einen Dr. Gustav Lauben. Ich weiß aber nicht, wo er wohnt. Ist er vielleicht
der, der am 13.09.1875 in N. N. geboren wurde?“
A: „Das weiß ich nicht. Er hat zwei Töchter. Hast du nun verstanden, von wem ich rede?“
Der Dialog könnte weitergehen. Die zwei könnten herausfinden, dass beide von derselben
Person oder von verschiedenen Personen sprechen. Sie könnten auch im Zweifel bleiben,
solang sie nicht zusammen Dr. Gustav Lauben sehen. Warum sollte diese Erweiterung uns
beim Verstehen dessen helfen, was der Sinn der Eigennamen und Sätze ist? Weil es, meiner
Meinung nach, einen wichtigen Punkt aufzeigt. Und zwar, dass die Tatsache, dass die
Sprecher denselben Namen mit zwei verschiedenen Arten des Gegebenseins derselben Person
assoziiert haben, es nicht verhindert, dass A und B eine sinnvolle Unterhaltung führen. Dabei
stehen wir vor zwei möglichen Interpretationen derselben Tatsache (der sinnvollen
Unterhaltung). Die erste (die Freges) lautet wie folgt: jede Behauptung drückt für die
einzelnen Sprecher verschiedene Gedanken aus, deshalb existiert kein beiden gemeinsamer
Auseinandersetzungsbereich; die gesamte Diskussion hat nicht einen einzigen Sinn, oder
wenn sie ihn hat, ist es nicht klar, inwiefern. Die zweite lässt sich hingegen so umreissen: Der
Dialog ist sinnvoll, d.h. die Behauptungen haben einen einzigen geteilten Sinn, einfach weil A
und B an derselben Unterhaltung teilnehmen. Wenn wir Zuschauer der Diskussion wären,
würden wir uns mit Sicherheit für die zweite Auslegung entscheiden. Wir würden uns nur
dafür interessieren, was sich äußerlich offenbart. Für uns würden die geistigen Assoziationen
der Sprecher keine Rolle spielen. Wir würden denken, dass A und B eine gemeinsame Basis
gefunden haben und sich ihre Wörter, Aussagen und die ganze Debatte dementsprechend als
sinnvoll erweisen können. Die Konsequenz der Tatsache, dass für die Sprecher derselbe Satz
unterschiedliche Gedanken enthält, d.h. dass A und B nicht mit der gleichen Umformulierung
denselben Namen verbinden, ist damit deutlich geworden. Die Verknüpfungen der einzelnen
Sprecher determiniert die Richtung des Dialoges. Wenn A und B sofort entdecken, dass der
Name „Dr. Gustav Lauben“ für sie dieselbe Person bezeichnet, entwickelt sich die
Unterhaltung auf eine Weise, anders auf eine andere Weise. Dieser Faktor bestimmt aber
nicht das Sinnvollsein der Wörter, Aussagen und Diskussionen. In Bezug auf ihr Sinnvollsein
sind jedoch nicht die persönlichen Verbindungen wichtig, sondern der geteilte Gebrauch der
Zeichen. Im vorherigen Beispiel haben nämlich A und B einen geteilten Gebrauch derselben
Ausdrücke gefunden, obwohl sie diese nicht mit gleichen Umformulierungen verbunden
haben und sich nicht sicher waren, dass derselbe Eigenname für dieselbe Person stehe.
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Wie lässt sich der geteilte Gebrauch der Ausdrücke bzw. Behauptungen erklären? Er ist nicht
in den logischen Abstraktionen, sondern in den konkreten Situationen zu untersuchen. Bei der
Untersuchung der jeweiligen Gegebenheiten beobachtet Wittgenstein, dass die Verwendung
der Sprache von Regeln determiniert wird. Diese werden ihrerseits von jedem Menschen bei
Tätigkeiten, Unterhaltungen etc. zumeist implizit angenommen, m.a.W. bei jedem
Sprachspiel. In unseren (alltäglichen und nicht alltäglichen) Konversationen haben wir
allerdings nicht den Eindruck, Regeln zu befolgen. Das liegt daran, dass wir sie als etwas
Selbstverständliches und extrem Natürliches akzeptieren. Welcher Art von Regeln folgen im
Beispiel A und B? Nehmen wir einmal an, dass B Folgendes sagen würde: „Ich habe
verstanden, vom wem du redest! Dr. Gustav Lauben ist meine Englischlehrerin!“ Nach Frege
ist dies ein (sicherlich falscher) Satz, der einen Gedanken enthält und folglich sinnvoll ist. A
würde wahrscheinlich aber dazu sagen: „Was du sagst, macht keinen Sinn! Dr. Gustav
Lauben kann weder eine Frau noch ein Sprachlehrer sein!“ und ein Zuschauer würde die
Meinung von A höchstwahrscheinlich teilen. Welche Kriterien nehmen wir aber zu Hilfe, um
zu entscheiden, ob dieser Aussagesatz sinnvoll oder sinnlos ist? Meiner Ansicht nach können
wir gar nichts anderes tun, als uns an den Regeln des Sprachspiels zu orientieren. Eine solche
Behauptung („Dr. Gustav Lauben ist meine Englischlehrerin!“) erweist sich in diesem
Sprachspiel, d.h. in dieser Unterhaltung, diesem Umstand, als unsinnig. Warum? Weil sie
zwei der impliziten Spracheregeln bricht. Und zwar kann Dr. Gustav Lauben
selbstverständlich weder eine Frau noch ein Sprachlehrer sein.
Aus diesen Erwägungen heraus möchte ich meine Kritik an Freges Auffassung des
Eigennamen- und Satzsinnes formulieren. Mein Einwand richtet sich nicht gegen einen
bestimmten Aspekt seiner Theorie, sondern gegen seine Vorgehensweise an sich. Zur
Untersuchung der menschlichen Sprache vollzieht er eine im Rahmen der Sprachphilosophie
bedeutende Unterscheidung (die zwischen Sinn und Bedeutung). Bei den Definitionen seiner
Begriffe nimmt er jedoch seinen Ausgang von den einzelnen Eigennamen bzw. Behauptungen
wie z.B. „Morgenstern“, „Abendstern“ und „Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden“. In
diesem Zusammenhang führt er eine Abstraktion der logischen Analytik gemäß durch. Diese
Ausdrücke bzw. Aussagesätze werden damit aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen.
Meiner Meinung nach stellt Logik nicht die richtige Methode für eine universale
Untersuchung der Sprache dar. Denn diese ist immer schon mit den menschlichen Erlebnissen
zu einem Ganzen vereinigt. Der Sinn unserer Behauptungen ist i.a.W. stets mit der Praxis der
22
Menschen verbunden, die sich in Sprachspiele gliedert. Die Methode der Abstraktion der
Wörter und Sätze von ihrem konkreten Gebrauch ist bei der formalen Logik zweifellos
effizient, für eine Untersuchung des Sinnes jedoch ungeeignet, da dieser nur in den
menschlichen Sprachspielen lebt.
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Literaturverzeichnis
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„Erschienen in: Von Savigny, Eike (HG), Ludwig Wittgenstein, Philosophische
Untersuchungen“, Klassiker auslegen, Akademie Verlag, Berlin 1998
Wille, Matthias, Frege, Einführung und Texte, Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2013
Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, (=pU), Suhrkamp, Frankfurt am Main,
1989
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