Università di Tor Vergata) 1. Die Einbildungskraft an die Macht Seit der Antike wird der Einbildungskraft (oder der Phantasie) und ihren Bildern eine ontologische Kraft beigemessen. Nahezu vorherrschend war diese Ansicht im Zeitalter der...
moreUniversità di Tor Vergata) 1. Die Einbildungskraft an die Macht Seit der Antike wird der Einbildungskraft (oder der Phantasie) und ihren Bildern eine ontologische Kraft beigemessen. Nahezu vorherrschend war diese Ansicht im Zeitalter der Renaissance, mit Beginn der Aufklärung jedoch ging sie mehr und mehr verloren und überlebte einzig im Volksaberglauben 2 . Es handelt sich hier um einen unwiederholbaren Einzelfall, denn die postkantischen Begriffe der «produktiven Einbildungskraft» oder gar der «schöpfenden» und «künstlerischen Imagination» erscheinen geradezu unbedeutend in ihrer nur metaphorischen poietischen Natur verglichen mit einer Denkform, in der die Einbildungskraft unter gewissen Umständen das Vermögen nicht nur der kombinatorischen, sondern der wahrhaft ontologischen Kreativität besitzt. Es ist die Rede von einer Denkform, die in der Ideengeschichte erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Um nur einige zu nennen: a) die abendländische Besessenheit für die nicht nur göttliche Schöpfung ex nihilo; b) die ontoepistemische Erklärung aller pneumatologischen Vorgänge, von denen nur die Wirkungen erfahrbar sind; c) die Frage nach dem Dasein und der Wirkung der feinstofflichen Körper, die sinnlich nicht wahrnehmbar sind, und letztlich; d) die Umschreibbarkeit der nahezu wundersamen psychosomatischen und suggestiven Wirkungen der Leidenschaften auf den eigenen Körper und die Körper der Anderen. Diese Konzeption hat allerdings weder etwas zu tun mit dem grundsätzlich assoziationistischen Begriff, wie er aus der griechischen Philosophie hervorging, noch mit jenen poetischen «illegal marriages» (Bacon), in denen man die 1 Vortrag gehalten im Rahmen der Tagung «Translatio imaginum / Bildübersetzungen» (26-28.02.2010, Eikones NFS Bildkritik). 2 A. Godet, «Nun was ist die Imagination anderst als ein Sonn im Menschen». Studien zu einem Zentralbegriff des magischen Denkens, Zürich (Diss. Basel), 1982; T. Griffero, I sensi di Adamo. Appunti estetico-teosofici sulla corporeità spirituale, «Rivista di estetica» n.s. 12 (1999), S. 119-225, und vor allem T. Griffero, Immagini attive. Breve storia dell'immaginazione transitiva, Firenze, Le Monnier, 2003 (auch für Lit.). Quelle der folgenden, ungestümen Ästhetisierung der Einbildungskraft 3 zu erkennen sehen wollte. Tatsächlich war sie und bedeutet viel mehr: eine echte Verwandlung, ja sogar Schöpfung von noch nicht seienden Wesen. Natürlich bietet der Glaube an die magisch-transitive Kraft der Einbildungskraft seit jeher den Nährboden für eine Reihe von Einwänden: Dieser Glaube sei vor allem a) ein Überrest des kindlichen Bedürfnisses, den Gegenstand und seine Vorstellung zu vereinen, wobei die Wahrnehmung vollständig in eine psychische Projektion umgewandelt wird. Er darstelle ferner b) den allgegenwärtigen Wille zur Macht, durch den der Mensch versucht, der eigenen existenziellen Unzufriedenheit entgegenzutreten, in der größenwahnsinnigen Identifizierung des Ichs mit den äußeren Gegenständen und in der daraus folgenden Zuversicht, dass nichts wahrhaft 'unmöglich' sei. Einwände, diese und andere, die dennoch nicht im Stande sind, die unbestreitbare Tatsache auszuräumen, dass der Glaube an die plastische Kraft der Imagination und der Bilder einen grundlegenden Teil der Geschichte des menschlichen Psychismus überhaupt darstellt, und darüber hinaus einen guten Ausblick auf die Gründe verschafft, die das seltsame Zusammenleben von Wissenschaft und Aberglauben zu Beginn der Neuzeit erklären. Andererseits scheint sich mit der «Dialektik der Aufklärung» das vom magischen Denken und der vis imaginationis vorausgesetzte Universum der unendlichen Möglichkeiten nur vorübergehend verdunkelt zu haben bereit wiedergeboren zu werden im Zeitalter des Virtuellen und der Genmanipulation: ein Zeitalter, das ebenso wie die «Natur-Magie» davon überzeugt ist, dass bestimmte Dinge gewiss «schwer, aber nicht unmöglich» sind. Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass der Glaube an die ontologische Transitivität der Bilder (der mentalen und nicht mentalen) den psychosomatischen Pol unserer Kultur aufwertet. Einen Pol, der a) auf dem Glauben gründet, der Geist sei das allgemeine Medium zwischen Leiblichem und nicht Leiblichem, jedoch b) noch nicht bereit, Einbildungskraft und Unwirklichkeit zu identifizieren. Im Rahmen dieser Kultur wäre es freilich banal, die abergläubischen Verfechter der Lehre der transitiven Einbildungskraft ihren wissenschaftlich gewappneten Gegnern gegenüberzustellen (magische Leichtgläubigkeit versus wissenschaftliche Skepsis). Es ist unterdessen treffender, von einem theoretischen Kontinuum zu sprechen, das sich durch verschiedene, fast nicht wahrnehmbare, semantische Nuancen charakterisiert. In diesem Kontinuum kann es ohne weiteres geschehen, dass die Verteidiger derselben spezifischen Auffassung ganz unterschiedlichewenn nicht gar antithetische -epistemologische Bilder voraussetzen, oder umgekehrt, dass ein theoretisch-ontologisches Einverständnis keineswegs gegensätzliche spezifische Bewertungen ausschließt. Im modernen Sprachgebrauch in den Bereich der Subjektivität und Unwirklichkeit verbannt, aber paradoxerweise gerade aus diesem Grund von den Avantgarden des 20. Jh. sowohl mit kreativen als auch utopischen Werten belegt, stand die Einbildungskraft nicht immer so wie heute in der Gunst der Wissenschaften. Nicht einmal die ihr von der Romantik zugeschriebene Macht, die Wirklichkeit zu überschreiten und zu vervollkommnen, zeigt sich als ein wahrhaft ontologischer Fortschritt, sondern stellt letztlich nur eine rein 'imaginäre' Reform der Wirklichkeit dar. Nur die wirkungsmächtige Imagination, d. h. das Vermögen, als magisches Medium zwischen Denken und Sein zu vermitteln, lässt den Glauben daran zu, dass alles das, was eingebildet werden kann, unter gewissen Bedingungen ein fundamentaler Teil der Vorgänge des Universums werden kann. 2. «Umgeleitete» Bilder: Böhme und der Urmensch Es ist wohl bekannt, dass die philosophisch-theologische Besinnung auf den adamischen Zustand für die unterschiedlichen Wissensbereiche -und gerade für die Ästhetik -von entscheidender Bedeutung ist. Sie spielt auf eine ästhetische Heterotopie an, die eine andersartige Leiblichkeit verlangt. Ein großer Teil der Grundmerkmale, die seit jeher dem status integratis zugeordnet wurden, weisen tatsächlich auf eine «Geistleiblichkeit» hin, von der, (z. B) Jakob Böhme zu Folge, verschiedene dotes (Begabungen) stammen. Zu diesen (signatura rerum und cognitio centralis) 4 gehört auch eine schöpfende Einbildungskraft -eine ontologische Produktion -die sich als psychosomatischer Prozess erweist. Wenn der Geist sich etwas vorstellt, dann prägt sich dieses Bild im Leib ein und verwandelt ihn, oder es schafft etwas ex nihilo. Es tun sich diesbezüglich zwei Möglichkeiten auf: a) Adam schafft durch die Einbildungskraft einen Geistleib nach seinem Bilde und wiederholt ins Unendliche das göttliche Vorbild in einer Art schmerzloser, androgyner und geschlechtsloser Zeugung; b) Adam, der diesseitigen Vielfalt zum Op-4 T. Griffero, Zentralerkenntnis, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von J. Ritter -K. Gründer -G. Gabriel, Basel, Schwabe, 2005, Band 12, 1291-1292. 4 fer gefallen, wird von der Phantasey besessen. Diese ist als das 'Sich-Einbilden' in der diesseitigen Vielfalt -und nicht in der göttlichen Einheit -zu verstehen (man bemerke den charakteristischen intransitiven Gebrauch des Verbums «einbilden»). Die Phantasey würde hier den Sündenfall verkörpern und so eine trügerische Schöpfung leerer Gestalten verbreiten, eine unbestimmte, aber abartige Wiederholung des Modells, in anderen Worten eine unendliche Wiederholung der Tragödie der Sünde. So zeigt sich die «umgebildete» Phantasey als die eigentliche Ursache der transzendentalen Illusion, der letztendlich die Existenz der irdischen Welt und des irdischen Menschen zu verdanken ist. Die axiologische Duplizität der transitiven 5 Einbildungskraft bei Böhme bezeichnet sozusagen die ganze Geschichte dieses Vermögens. An dieser Stelle sind noch zwei Punkte zu beachten. Zum einen, das Primat der himmlisch-geistigen Leiblichkeit, weil für Böhme das Innere, das Geistige sich notwendig im Äußeren vervollkommnen muss, indem es Form annimmt, leibhaftig wird. Zum anderen, die Ablehnung der tausendjährigen ikonoklastischen Reaktion auf den vollkommenen Illusionismus, der als Täuschung empfunden wurde: In der Theosophie Böhmes gilt in der Tat einzig das durch das perfekte mimetische Gelingen ausgezeichnete Bild, in dem Urbild und Abbild ununterscheidbar sind, als gutes Bild. 3. Die Bilder und currus animae Kehren wir nun zur Geschichte der transitiven Bilder zurück. Die anfängliche Ausbreitung der Transitivität, von der Einbildungskraft über jede Art des Sehens, bis hin zu allen wesentlichen mentalen und psychischen Eigenschaften (Begehren, Wille, Neid, fixe Idee, u. s. w.), und die darauffolgende Begrenzung auf die Weiblichkeit, denn im 16. und 17. Jh. ist eine Art 'Verweiblichung' der Einbildungskraft zu beobachten, stellen die entscheidenden Stationen dieser Geschichte dar. Die Meinung, die Einbildungskraft sei das 'magische' Hervorbringen eines Bildes in einem auch äußeren Leib, die wohl zum letzten Mal auf wissenschaftlicher Ebene in der theosophischen und naturphilosophischen Romantik (vor allem bei Baader und Schelling) zum Tragen kommt, ist dennoch in jeder Form der Mystik zugegen und hat seinen Höhepunkt in der sogenannten 'Naturmagie' der Renaissance, die ihre Wirksamkeit tatsächlich der Tätigkeit der Einbildungskraft anvert-5 Vgl. F. Cuniberto, Dall'immaginazione teosofica al lavoro del concetto, «Annuario filosofico» 12 (1996), S. 179-196. Abhandlungen über die jettatura transitiv zu wirken, auch wenn sie unbeabsichtigt ist (durch eine erhöhte Anzahl von media: Augen, Worte, Berührung, Atem und sogar die Physiognomie des Jettatore oder Unglücksbringer, usw.), da die Ausdünstungen, welche die Atmosphäre durchströmen -weil diese Autoren stetig...